Der Zufall spielte Schicksal - Anne Bodmann - E-Book

Der Zufall spielte Schicksal E-Book

Anne Bodmann

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Beschreibung

Romantische Liebesgeschichten voller Herz, Schmerz und Dramatik werden von den besten Schriftstellerinnen erzählt. Wie aufregend und spannend die Liebe sein kann, wird von der ersten bis zur letzten Seite fesselnd geschildert. Man möchte diese süchtig machenden Romane in einem Atemzug regelrecht verschlingen... Lisa Heimann saß im Empfang der internistischen Praxis von Dr. Beier. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, viel zu schade, um drinnen zu bleiben und zu arbeiten. Sehnsüchtig schaute sie aus dem Fenster, überall grünte und blühte es. Kinder liefen herum und spielten mit Ball und Roller. Lisa hatte das große Buch vor sich liegen, in dem die angemeldeten Patienten und ihre Termine aufgeschrieben waren. Aber es kamen auch immer noch andere, die nicht angemeldet waren und die einen akuten Grund hatten, den Arzt aufzusuchen. Dann musste sie selbst entscheiden, wo man diese einschieben konnte, sodass niemand allzu lange warten musste. Lisa war eigentlich Krankenschwester, hatte sich aber schon vor drei Jahren entschlossen, in einer Arztpraxis als Sprechstundenhilfe zu arbeiten. Bisher machte ihr die Arbeit viel Freude. Ihr lag der Umgang mit Menschen. Sie sah ihnen an, ob sie Kummer oder Schmerzen hatten, und fand für alle ein aufmunterndes Wort. Aber heute war das anders. Da hätte sie viel darum gegeben, wenn sie einen Spaziergang durch die Anlagen oder gar in einen Wald hätte machen können. Vielleicht lag es auch an dem einsamen Sonntag, den sie gestern wieder einmal erlebt hatte. Lisa war eine Waise, sie hatte weder Verwandte noch Freunde in der Stadt. Und so leicht sie auch Kontakte zu den Patienten herstellen konnte, in ihrem Privatleben war sie eher schüchtern und zurückhaltend. Da war ihre Freundin und Kollegin Jessica ganz anders. Diese hatte viele Freunde, und es bereitete ihr keine Mühe, Gesellschaft am Wochenende zu finden. Meist war sie sogar mit einer ganzen Clique unterwegs.

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Lovestory Edition – 4–

Der Zufall spielte Schicksal

Aenne Bodmann

Lisa Heimann saß im Empfang der internistischen Praxis von Dr. Beier. Es war ein wunderschöner Frühlingstag, viel zu schade, um drinnen zu bleiben und zu arbeiten. Sehnsüchtig schaute sie aus dem Fenster, überall grünte und blühte es. Kinder liefen herum und spielten mit Ball und Roller.

Lisa hatte das große Buch vor sich liegen, in dem die angemeldeten Patienten und ihre Termine aufgeschrieben waren. Aber es kamen auch immer noch andere, die nicht angemeldet waren und die einen akuten Grund hatten, den Arzt aufzusuchen. Dann musste sie selbst entscheiden, wo man diese einschieben konnte, sodass niemand allzu lange warten musste.

Lisa war eigentlich Krankenschwester, hatte sich aber schon vor drei Jahren entschlossen, in einer Arztpraxis als Sprechstundenhilfe zu arbeiten. Bisher machte ihr die Arbeit viel Freude. Ihr lag der Umgang mit Menschen. Sie sah ihnen an, ob sie Kummer oder Schmerzen hatten, und fand für alle ein aufmunterndes Wort. Aber heute war das anders. Da hätte sie viel darum gegeben, wenn sie einen Spaziergang durch die Anlagen oder gar in einen Wald hätte machen können.

Vielleicht lag es auch an dem einsamen Sonntag, den sie gestern wieder einmal erlebt hatte. Lisa war eine Waise, sie hatte weder Verwandte noch Freunde in der Stadt. Und so leicht sie auch Kontakte zu den Patienten herstellen konnte, in ihrem Privatleben war sie eher schüchtern und zurückhaltend. Da war ihre Freundin und Kollegin Jessica ganz anders. Diese hatte viele Freunde, und es bereitete ihr keine Mühe, Gesellschaft am Wochenende zu finden. Meist war sie sogar mit einer ganzen Clique unterwegs. Insgeheim beneidete Lisa die Freundin um ihre lockere Art.

Da kam Jessica gerade wie ein Wirbelwind in die Praxis gestürmt. Wie fast jeden Morgen kam sie einige Minuten zu spät.

»Uff!«, sagte sie. »Das war knapp.«

»Wer oder was war’s denn heute, der schuld an deiner Verspätung ist?«, fragte Lisa ironisch. »Ein Stau? Der verpasste Bus? Oder der nicht funktionierende Wecker?«

»Du bist boshaft!«, maulte Jessica. »Ich bin eben nicht so gewissenhaft wie du. Ich weiß nicht, wie das kommt. Immer fehlen mir am Ende fünf Minuten.«

»Stell deine Uhr fünf Minuten vor, dann klappt’s.«

»Aber das habe ich doch schon gemacht. Ich rechne schon mit diesen fünf Minuten. Wahrscheinlich war ich zu müde vom Sonntag. Wir haben das schöne Wetter gründlich ausgekostet.«

»Wer ist wir?«, fragte Lisa amüsiert. »Du und Henning? Oder du mit Klaus? Oder du und David?«

»Du bist nicht auf der Höhe, Lisa. Henning, Klaus und David sind doch schon seit vierzehn Tagen nicht mehr aktuell. Gestern war ich mit einer ganzen Clique unterwegs, Männlein und Weiblein gut gemischt. Du solltest mal mitkommen. Es ist wie ein Kurzurlaub. Am Montag ist man ein ganz anderer Mensch. Man stürzt sich mit viel mehr Schwung in die Arbeitswoche.«

»Davon merke ich bei dir allerdings nicht viel. Wie eine Schnecke schleichst du herum. Vor Müdigkeit kannst du deine Augen nicht aufhalten. Ich fürchte, ich könnte mir das überhaupt nicht leisten. Die Patienten können doch nicht vor der Tür warten. Irgendjemand muss sie hereinlassen, und das bin nun mal ich. Deine Arbeit im Labor fängt meist nicht so pünktlich genau um acht Uhr an.«

»Wie gut, dass ich die Laborantin bin«, gähnte Jessica. »Wie ist’s, kommst du am nächsten Sonntag mal mit?«

»Ich weiß nicht recht«, sagte Lisa zögernd. »Ich habe ja auch einiges in meinem kleinen Haushalt zu tun. Ich muss meine Wäsche waschen, die Kleider bügeln, die Wohnung aufräumen und säubern. Am Samstag muss ich einkaufen und all das erledigen, wozu mir in der Woche keine Zeit bleibt.«

»Wenn ich das nur höre!«, seufzte Jessica und verdrehte ihre Augen. »Kannst du nicht mal alles stehen und liegen lassen und tun, was dir Spaß macht? Wie willst du je Menschen kennenlernen? Wenn du so weiter machst, dann wirst du noch als alte Jungfer enden.«

Das saß. Lisa biss sich auf die Lippen. Zum Glück hörte sie jetzt das Auto ihres Chefs draußen kommen.

»Dr. Beier kommt«, sagte sie zu Jessica. »Sieh zu, dass der dich schon im Kittel sieht. Sonst denkt er womöglich, du wärest gerade erst eingetroffen.«

Jessica verschwand im Labor, während Lisa ihre Nase in die Karteikästen steckte, um die benötigten Karteikarten herauszusuchen. Als Dr. Beier hereinkam, fand er zwei emsig arbeitende junge Mitarbeiterinnen vor.

Aber die Worte der Freundin gingen Lisa nicht aus dem Sinn. War sie wirklich dabei, am Leben vorbeizulaufen? Sie war gerade 24 Jahre alt und hatte sich bisher um ihre Zukunft keine Gedanken gemacht. Irgendwann einmal wollte sie heiraten und eine Familie gründen, aber es eilte ihr nicht damit. Der Beruf machte ihr Freude, und ihr selbst verdientes Geld reichte aus, um ihren Lebensunterhalt davon zu bestreiten. In diesem Jahr hatte sie erstmals für den Sommer eine größere Reise geplant. War das denn alles nichts? Wenn sie Jessica hörte, dann gab es nichts Wichtigeres, als möglichst viele Männer kennenzulernen, um unter mehreren wählen zu können.

Ach, Lisa hatte andere Vorstellungen von Freundschaft und Liebe. Sie glaubte auch nicht, dass man viele Männer kennenlernen müsste, um den Einen und Einzigen zu finden. Dass es ihn gab, davon war Lisa überzeugt. Und dieser Eine würde eines Tages ihren Weg kreuzen, nicht, weil sie ihn suchte, und auch nicht, weil er sich eine Partnerin wünschte, sondern ganz einfach, weil sie füreinander bestimmt waren. Sie musste nur geduldig auf ihn warten. Sie wusste, dass sie ihn erkennen würde … am Blick seiner Augen, an seinem Lächeln und an seiner Stimme. Sie wusste auch, dass sie ihn nicht im Lärm der Großstadt und auch nicht in der Hektik des Berufes oder in oberflächlichen Vergnügen finden würde. Und darum schlug sie auch alle Einladungen ihrer Freundin Jessica aus.

Aber wie sollte sie der Kollegin den Grund für ihre Absagen erklären? Jessica würde sie für verrückt und weltfremd halten.

»Schwester Lisa!«, ertönte die Stimme ihres Chefs. »Sie haben mir die falschen Karteikarten herausgelegt. Ich brauche die Karten von Herrn Krämer und Frau Schubert. Sie gaben mir aber die Karten von Frau Kaufmann und Herrn Wagner.«

Lisa wurde abwechselnd rot und blass.

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Beier«, stammelte sie. »Ich weiß nicht, wie mir das passieren konnte. Es soll nicht wieder vorkommen.«

Kopfschüttelnd schaute der Arzt hinter seiner sonst so zuverlässigen Angestellten her. Was war nur in Schwester Lisa gefahren? Sie sah blass aus und wirkte unkonzentriert. Sie wurde doch nicht etwa krank? Oder sollte sie Liebeskummer haben? Er hatte bisher nie bemerkt, dass Lisa von einem jungen Mann angerufen oder nach Dienstschluss abgeholt worden war. Aber stille Wasser sind tief. Es war sehr gut möglich, dass seine Mitarbeiterin ihr Privatleben gut zu verbergen wusste. Dr. Beier wollte sie nicht verlieren, nicht an einen anderen Arbeitgeber, aber auch nicht an einen Freund. Er hatte sich an sie gewöhnt, sie war zuverlässig und pflichtbewusst.

*

Aufatmend schloss Lisa am Abend die Tür zu ihrem kleinen privaten Reich auf. Die Arbeit war ihr heute schwergefallen, immer wieder musste sie an Jessicas Worte denken. Musste sie wirklich ihr Leben ändern, wenn sie einen guten Freund finden wollte? Auf Jessica hatten gleich drei Typen gewartet, die sie nach Dienstschluss abholen wollten.

»Komm doch mit uns, Lisa!«, rief Jessica ihr übermütig zu. »Wir gehen eine Pizza essen und anschließend ins Kino, vielleicht auch noch in eine Disco.«

»Heute nicht«, hatte Lisa abgelehnt. »Es passt sicher ein anderes Mal.«

»Auch gut!«, lachte Jessica und hängte sich bei einem der »Typen« ein.

Zum ersten Mal gefiel Lisa die kleine Wohnung nicht, die ihr bisher immer als Zuflucht und Heim erschienen war. Dabei hatte sich seit heute Morgen eigentlich nichts geändert. Sie bewohnte ein großes helles Wohnzimmer, in dem sie auch schlief. Der freundliche Eindruck wurde noch durch die hellen Holzmöbel, die weißen Wollteppiche und die großen Blumenfenster unterstrichen. Aber heute hatte sie keine Augen dafür. Sie war allein hier, heute, morgen und übermorgen und vielleicht auch noch im nächsten Jahr. Und schließlich würde sie noch als alte Jungfer enden, wie Jessica ihr so liebenswürdig prophezeit hatte.

Sie verbrachte den Abend damit, ein Buch zu lesen. Zuletzt wusste sie nicht einmal, was sie gelesen hatte. Nur der Schluss gefiel ihr. Die beiden Liebenden hatten nichts Besseres zu tun, als einander schamlos zu betrügen und sich im Streit voneinander zu trennen. Lisa fand diesen Ausgang überaus tröstlich. Da ging es ihr doch besser! Ehe sie ein solches Schicksal erduldete, wollte sie lieber solo durchs Leben gehen. Mit diesem Gedanken schlief sie endlich ein.

Lisa Heimann wohnte in der Waltherstraße, nicht weit von der Münchener Theresienwiese. Jeden Morgen stieg sie im Goetheplatz in die U-Bahn ein, die sie in schneller Fahrt in den Norden der Stadt brachte, wo Dr. Beier seine Praxis in der Danziger Straße betrieb. Um dort rechtzeitig kurz vor acht Uhr zu sein, musste sie am Goetheplatz die U-Bahn um 7.32 Uhr nehmen. Dann war sie pünktlich um 7.48 Uhr an ihrem Ziel, der U-Bahnstation Dietlindenstraße. Von hier waren es nur wenige Minuten zu Fuß bis zu Dr. Beiers Praxis.

Lisa erledigte diese Wege fast mechanisch. Sogar die Fahrgäste waren täglich dieselben. Sie alle hatten müde, verschlafene Gesichter. Manche schauten immerhin schon mal in die Morgenzeitung hinein, andere gähnten ganz unverhohlen. Lisa nahm immer denselben Wagen.

Sie kannte die Haltestellen schon auswendig: Goetheplatz – Sendlinger Tor – Marienplatz – Odeonsplatz – Universität – Giselastraße – Münchner Freiheit – Dietlindenstraße. Und immer stiegen dieselben Leute an einer bestimmten Haltestelle ein, andere an ihrer üblichen Haltestelle aus. Es war alles wie immer. Wie langweilig das eigentlich war, fiel Lisa zum ersten Mal auf, als die U-Bahn an diesem Vormittag in der Giselastraße hielt. Zum ersten Mal fiel ihr Blick auf den Zug, der im Nebengleis hielt und in die Richtung fuhr, aus der sie kam. Seltsam, dass ihr dieser Zug noch nie zuvor aufgefallen war, obwohl er ihrer Bahn doch ganz nah war. Wäre das Fenster zu öffnen gewesen, hätten sich die Mitfahrer beider Züge mit Handschlag begrüßen können.

Wer wohl drüben stadteinwärts fuhr? Sie schaute zum Fahrgast hinüber, der ihr am nächsten war, und blickte geradewegs in zwei strahlende blaue Augen hinein. Ein junger Mann sah sie voller Bewunderung an und lächelte. Verwirrt lächelte sie zurück. Doch ehe sie noch weitere Möglichkeiten der Verständigung gefunden hatten, waren die beiden Züge abgefahren, jeder in seiner Richtung. Geblieben war ihnen nur die Erinnerung an eine flüchtige Begegnung, die gar nichts bedeutete oder auch viel.

Lisa jedenfalls konnte den Blick des Fremden nicht vergessen. Den ganzen Tag verbrachte sie in einem seltsamen Traumzustand. War dies der Mann, den sie immer erwartet hatte, der eine und einzige? Er musste es wohl sein, denn jedes Mal, wenn sie an ihre unerwartete Begegnung dachte, errötete sie, und ihr Herz klopfte.

Ob es ihm ähnlich ging wie ihr? Ob er in diesem kurzen Augenblick, der ihnen beschieden gewesen war, in ihr die Frau seiner Träume erkannt hatte? Sein Lächeln hatte sie betört, das erkannte Lisa. Wie schade, dass die Züge sofort weitergefahren waren. Ein Stromausfall hätte ihr Glück vollkommen machen können. Aber leider geschah so etwas ja nie, wenn man es brauchte.

Lisas verwirrter Zustand fiel ihrem Chef auf und auch ihrer Freundin Jessica Blume, der Laborantin.

»Was ist mit dir los?«, fragte Jessica. »Man könnte meinen, du seiest verliebt.«

Lisa errötete tief.

»Ich? Wieso? Wie kommst du darauf?«

Jessica lachte hell heraus.

»Das sieht doch ein Blinder ohne Laterne«, meinte sie. »Und einer erfahrenen Frau wie mir kannst du nichts vormachen. Jetzt weiß ich auch, warum du gestern Abend nicht mitgegangen bist. Du hattest etwas Besseres vor. Ich gönne ihn dir von Herzen, Lisa. Aber ein bisschen neugierig bin ich schon. Wie ist er denn?«

»Er hat die schönsten Augen, die ich kenne. Und sein Lächeln ist … umwerfend.«

»Hm«, machte Jessica erstaunt. »Mehr Informationen gibt es nicht über ihn? Wie heißt er denn? Was hat er für einen Beruf? Wie groß ist er? Ob er zärtlich ist und liebevoll, das brauche ich wohl nicht zu fragen. Ich sehe ja, wie glücklich du bist …«

Zum Glück wurde Lisa in diesem Moment von Dr. Beier gerettet, der ihr ein paar Fragen stellte und nicht versäumte, sie wegen einiger Fehler zu rügen. In anderen Fällen wäre Lisa sehr unglücklich deswegen gewesen, aber heute wurde sie damit vor weiteren Fragen Jessicas bewahrt.

Sie riss sich zusammen, um nicht neuen Anlass zur Klage zu geben. Nach dem Dienst erbot sie sich sogar, eine halbe Stunde länger zu arbeiten, um liegen gebliebene Akten aufzuarbeiten. In Wahrheit wollte sie nicht mit Jessica zusammen die Praxis verlassen.

»Schade!«, sagte diese denn auch. »Wir hätten ja auch etwas Gemeinsames unternehmen können, du und dein Freund und ich mit irgendeinem Typ. Zu mehreren ist es sowieso lustiger.«

»Das finde ich nicht unbedingt«, meinte Lisa. Sie sah mit Bangen einem derartigen Vierertreffen entgegen. Wie sollte sie den Fremden aus der U-Bahn dazu einladen?

»Ich hätte es mir denken können!«, kicherte Jessica in Lisas Überlegungen hinein. »Ihr seid noch im Stadium der ersten Verliebtheit. Da können Außenstehende nur stören.«

Wieder wurde Lisas Gesicht dunkelrot. Jessica deutete es auf ihre Weise. Aber sie verabschiedete sich endlich von der Freundin und überließ sie ihren Träumen. Lisa konnte den nächsten Morgen kaum erwarten.

Immer wieder malte sie sich ein Treffen mit ihm aus. Wie würde er sie ansprechen? Natürlich hatte er eine schöne dunkle Stimme, seine Worte waren liebenswürdig. Er verstand es, ihr Komplimente zu machen, die ihr schmeichelten. Doch dann verbot sie sich, länger über eine Zukunft nachzudenken, die noch in weiter Ferne lag. Im Augenblick stellte sich ihr nur die Frage, ob sie ihn morgen überhaupt wiedersehen würde. Es konnte so vieles passieren, was eine neue Begegnung unmöglich machte. Es genügte schon, dass einer der Züge drei oder vier Meter weiterfuhr als heute. Oder dass der Mann ihrer Träume eine Bahn früher oder später benutzte. Vielleicht war er ja auch ganz zufällig in diese Bahn geraten und würde nie, nie wiederkommen.

Mit Zittern und Zagen setzte sich Lisa am nächsten Morgen an den gewohnten Platz. Als die U-Bahn an der Giselastraße hielt, wagte sie kaum aufzuschauen. Doch als sie dann schüchtern nach drüben blickte, sah sie ihn wieder. Er lächelte noch herzlicher als gestern, und seine Augen strahlten sie förmlich an. Der kurze Augenblick tat ihr gut, er ließ ihr Herz höher schlagen und versetzte sie in eine ungewohnte Hochstimmung.

»Du hast ihn wiedergetroffen«, stellte Jessica fest.

»Woher weißt du das?«, fragte Lisa.

»Es stimmt also. Aber man braucht dich nur anzuschauen, um es zu erfahren. Es muss ja ein toller Mann sein.«

»Das ist er auch«, antwortete Lisa selbstbewusst.