Luisa - Flugzeuge und Sternschnuppen - Marina C. Herrmann - E-Book

Luisa - Flugzeuge und Sternschnuppen E-Book

Marina C. Herrmann

4,8

Beschreibung

Mit dem neuen Job und der Trennung von seiner Freundin hat für Markus ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Während seiner neuen Arbeit begegnet er immer wieder einer jungen Frau, Luisa. Mit der Zeit lernen sie sich besser kennen und beginnen eine Beziehung. Für Markus könnte das Leben nicht besser laufen. Doch so länger das Paar zusammen ist, desto stärker verändert sich Luisas Verhalten. Sie trifft ohne Markus Entscheidungen, ändert ihre Stimmung innerhalb von Sekunden und das Paar gerät immer öfter in einen Streit. Eines Tages offenbart Luisa ihrem Freund, warum sie sich so stark verändert hat und warum sich nun auch für ihn alles ändern wird. Denn nichts wird mehr so schön sein, wie es einmal war...

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Für Dorothea Angelika Maria Silling,

weil ich weiß, dass es ihr sehr gut

gefallen hätte, auch wenn sie es

selbst nicht mehr miterleben kann.

SHE WILL BE LOVED

Musik & Text: Adam Levine, James B. Valentine

© Universal Music – Careers, February Twenty Second Music, Universal Music – MGB Songs, Valentine Valentine / Musik Edition Discoton GmbH (Universal Music Publishing Group)

YOU'RE NOT ALONE

Musik & Text: Adam R. Young

© Universal Music Corp., Ocean City Park / Universal/MCA Music Publishing GmbH

AIRPLANES

Musik & Text: Bobby Ray Simmons Jr., Alexander Junior Grant, Justin Scott Franks, Jeremy Dussolliet, Timothy Paul Sommers

© Songs of Universal, Inc, Ham Squad Music / Universal/MCA Publishing GmbH, J Franks Publishing, Artist Publishing Group West, Kinetics & One Love, Tim Sommers Music, WB Music Corp. / Christine Dominguez Music, Warner Tamerlane Publishing Corp. Mit freundlicher Genehmigung von / Courtesy of: Neue Welt Musikverlag GmbH & Co. KG – a Warner/Chappell Music company

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Teil 1: Wie alles begann …

Teil 2: … wie alles endet?

Teil 3: … wie alles endet!

Epilog

Prolog

Markus

Wenn ich an Luisa denke, dann denke ich als Erstes an ihren Kopf. Aber nicht an das Aussehen ihres Kopfes, nicht an seine längliche Form, die zum Kinn spitz zulief, sondern an das, was in diesem Kopf vor sich ging, ihre Träume, ihre Gedanken. Luisa war ein nachdenklicher Mensch. Ich habe mich oft gefragt, woran sie wohl denkt, habe aber fast nie nachgefragt. Sie mochte es nicht, wenn man sie aus ihren Träumen riss. Luisa malte sich manchmal aus, wie ihr Leben hätte sein können, wenn auch nur ein winzig kleines Detail anders gekommen wäre. Oft fand sie ihre Vorstellungen schöner als die Realität. Manchmal versteckte sie sich hinter dieser Fassade. Sie mochte es einfach, zu denken. Sie war nicht kompliziert, nur anders.

Jetzt sitze ich hier in dem leeren Zimmer. Alles um mich herum ist leer, der Schrank, die Schubladen, das Bett. Nur in der Vase stehen noch ein paar Blumen, doch die verwelken bereits, auch sie sind schon fast leer. Auch ich bin leer, zumindest fühle ich mich leer, als wäre kein Tropfen Glück mehr in mir, als wäre alles ausgesaugt.

Wenn ich könnte, würde ich die Zeit zurückdrehen. In meinen Händen halte ich den schmalen, silbernen Ring mit dem kleinen Diamanten und die Musik läuft im Hintergrund immer und immer weiter …

Teil 1

Wie alles begann …

Markus, Samstag, 5. Mai

Meine Hand fuhr schnell unter der Bettdecke hervor und schlug auf den Wecker. Es war ein Reflex, ich war wach, er hatte gar nicht geklingelt. Ich lugte unter der Decke hervor, 10:13 Uhr, Zeit aufzustehen. Ich wollte nicht und blieb noch liegen. Meine Hand glitt von dem Wecker, wobei dieser hörbar auf den Boden fiel. Ein kurzer Blick, ob er noch ganz war, dann wieder zurück ins Bett fallen lassen. Ich drückte mein Gesicht tief in das Kissen. Ich hatte noch nie in meinem ganzen Leben solche Kopfschmerzen gehabt wie jetzt, nun ja, ich hatte auch noch nie so viel Alkohol getrunken wie in der vergangenen Nacht.

Ich versuchte mich an irgendetwas zu erinnern. Ich wusste noch, dass ich auf der Party eines guten Freundes gewesen war, und zwar mit Jessica. Wir hatten beide ziemlich viel getrunken, ich hatte mein Limit definitiv überschritten. Ein kleiner, eigentlich völlig belangloser Streit, das genaue Thema wusste ich nicht mehr, es hatte irgendetwas mit ihren Eltern zu tun, wie immer, wenn wir uns stritten. Wir hatten uns lange nicht mehr gestritten, da wir uns lange nicht mehr gesehen hatten. Sie war für drei Monate auf einer medizinischen Weiterbildung in Afrika gewesen. Nun war sie wieder da und unser alltäglicher Streit begann von Neuem.

Allmählich bekam ich keine Luft mehr und hob den Kopf. Ich drehte mich zur Seite, die andere Hälfte des Bettes war unberührt. Jessica war also nicht mit zu mir nach Hause gekommen. Der Streit musste wohl doch schlimmer gewesen sein.

Eigentlich interessierte es mich gar nicht, ich liebte sie sowieso nicht mehr. Die drei Monate ohne sie waren wie Urlaub gewesen. Ich hatte mich wirklich selten so gut erholt.

Ich quälte mich langsam aus dem Bett und rieb mir den Kopf. Ich taumelte ein paar kleine Schritte und bückte mich nach dem Wecker. Mein Blut schoss mir in den ohnehin schon pochenden Kopf. Als der Wecker wieder an seinem Platz stand, hörte ich, wie jemand das Haus betrat. Es war eine Frau, ich erkannte es am Klackern der Absätze auf den Fliesen im Flur und in der Küche. Die Schritte kamen näher, ich wartete. Jede noch so kleine Bewegung tat weh. Jessica betrat den Raum, in der Hand hielt sie einen großen Koffer. »Keine Sorge, ich bin gleich wieder weg, ich packe nur meine Sachen«, sagte sie knapp.

»Ich mache mir keine Sorgen, von mir aus kannst du gehen.«

»Du bist ja ein sehr mitfühlender Mensch, typisch Mann. Nie kann man es euch recht machen. Du hattest deine Chance, mehrfach, jetzt bin ich weg, du brauchst gar nicht zu versuchen, mich aufzuhalten!« Sie wurde mit jedem Wort lauter, ging von Raum zu Raum und warf ihre Sachen in den Koffer. Es waren nicht viele Teile. Sie hatte nie viel bei mir zu Hause gehabt, obwohl wir seit drei Jahren zusammen waren.

»Ich habe nicht vor, dich aufzuhalten. Geh ruhig«, brummte ich schließlich.

»Dir scheint wirklich alles egal zu sein, oder? Du bist so ein Arschloch, Markus. Ich will dich nie wiedersehen, du hast mich wirklich nicht verdient.« Sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Traurig war sie aber wahrscheinlich nicht, einfach nur wütend und enttäuscht. Sie schloss den Koffer und sah mich mit verschränkten Armen an.

Ich wusste genau, dass sie wollte, dass ich irgendetwas sagte. Ich rollte mit den Augen: »Okay, es war nicht alles zwischen uns perfekt. Und egal, wann wir uns sehen, fangen wir immer nur an zu streiten. Es tut mir leid, dass du drei Monate darauf gewartet hast, mich wiederzusehen und ich schon mit dir abgeschlossen hatte. Ich weiß nicht, was du jetzt von mir hören willst, aber ich kann dir nichts weiter sagen als dass du jemanden finden wirst, der dich glücklicher macht, als ich es jemals gekonnt hätte.«

Sie nickte nur und sah mir direkt in die Augen: »Das war es dann?«

»Das war es dann«, flüsterte ich und senkte den Kopf. Ob ich ihrem Blick ausweichen wollte oder ob mir einfach nur schlecht von dem vielen Alkohol war, wusste ich nicht genau.

Sie nickte erneut und verließ das Haus.

Unsere Liebe war endgültig erloschen. Ich liebte sie nicht mehr, also hätte ich mich eigentlich in irgendeiner Art und Weise befreit fühlen müssen. Doch ich kam mir selbst ein wenig fremd vor. Mein Magen krampfte sich zusammen. Ich stolperte ins Badezimmer und entleerte meinen gesamten Mageninhalt in die Toilettenschüssel. Ich hatte mich schon mehrfach aufgrund von zu viel Alkohol übergeben, aber die letzte Nacht schien definitiv alles zu toppen.

Nachdem ich eine Weile später ein Aspirin eingeworfen hatte, ging ich ins Badezimmer. Ich duschte und zog mir frische Kleidung an. Als ich gerade das Zimmer verlassen wollte, sah ich noch einmal in den Spiegel. Mit Jessica hatte ich jetzt endgültig abgeschlossen, warum also nicht auch mit dem Äußeren, das ich nur wegen ihr angenommen hatte? Sie hatte es immer gemocht, dass ich einen leichten Bart hatte. Doch nun entschied ich mich zu einer kompletten Rasur. Das sah gleich viel besser aus, mein Kinn wurde nun mehr betont. Eine neue Frisur könnte auch nicht schaden, dachte ich und beschloss, nachher auf jeden Fall zum Friseur zu gehen. Sport könnte ich ebenfalls wieder mehr machen, ich hatte mich in der Beziehung mit Jessica wirklich vernachlässigt. Doch das hatte nun ein Ende.

Wieder im Schlafzimmer angekommen, sah ich mich um. Der Fußboden hatte schon länger keinen Staubsauger gesehen und die Wände keinen Staubwedel, überall lagen meine Sachen auf dem Boden verstreut. Hier eine Hose, da ein Heft und weiter hinten eine CD. Ich sollte aufräumen. Es würde eine Weile dauern, aber es war möglich. Ich holte einen großen Müllsack und warf erst einmal alles, was ich nicht mehr brauchte, hinein. Dann fing ich an, meine Kleidung einzusammeln und zur Waschmaschine zu tragen. Ich stellte sie an und ging zurück in mein Zimmer. Die restlichen Sachen sortierte ich dahin, wo sie hingehörten. Als endlich alles an seinem Platz war, saugte ich Staub und wischte alles durch.

Als endlich alles fertig war, war ich ziemlich zufrieden. Es war zwar ungewohnt, dass alles so sauber und ordentlich war, doch ich war zufrieden. Seit Langem hatte ich endlich mal wieder etwas für mich selber getan. Jessica war nicht mehr da und ein neuer Lebensabschnitt konnte beginnen.

Markus, Montag, 7. Mai

Ein letzter, schneller Blick in den Spiegel. Noch einmal durch die Haare streichen. Dann rasant aus dem Haus, es war schon viel zu spät. Die Arbeit rief und ich musste schleunigst los. Natürlich sprang gerade jetzt der Wagen nicht sofort an. Als ich es nach ein paar gescheiterten Versuchen endlich geschafft hatte, den Wagen ins Rollen zu bringen, verstieß ich gegen sämtliche Regeln des Straßenverkehrs. Ein paar entschuldigende Handbewegungen in Richtung anderer Verkehrsteilnehmer nützten natürlich nichts, aber ich hatte es nun mal eilig. Als ich endlich einparkte und ausstieg, wurde ich bereits erwartet. Alex lief unruhig vor dem Gebäude auf und ab.

»Wo warst du denn? Du weißt, dass ich nicht gut darin bin, Leute aufzuhalten«, fauchte Alex mich energisch an, als ich endlich vor ihm stand. Ich zuckte kaum merklich zusammen. Der kleine Mann mit der Lennon-Sonnenbrille, dem grauen Schal und der schwarzen Baskenmütze wurde oft unterschätzt. Mit ihm war wirklich nicht zu spaßen. Wenn er wollte, konnte er richtig zuschlagen. Mit Fäusten und mit Worten.

»Tut mir leid, ich habe verschlafen. Wird nicht wieder vorkommen, versprochen«, erklärte ich schnell und zwinkerte ihm zu.

»Das will ich für dich hoffen. Wie siehst du überhaupt aus? Warst du shoppen und beim Friseur?« Er verzog das Gesicht und zupfte an meiner Jacke herum.

»Ja, Jessica und ich haben uns endgültig getrennt. Dachte, es sei Zeit für eine Veränderung. Oder besser gesagt, es wurde Zeit, dass ich wieder ich werde.«

»Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass sie nichts für dich ist. Aber du wolltest ja nicht auf mich hören. Egal, du weißt schon, was für dich auf dem Spiel steht, oder?«

»Ja, weiß ich.«

»Wenn das heute nichts wird, kannst du endgültig einpacken, ich meine das ernst.«

»Was stehen wir hier dann so untätig herum? Lass uns Geschäfte machen.« Ich klopfte ihm auf die Schulter und betrat das große Gebäude.

Wir eilten die breite Eingangstreppe hoch. Als ob ich nicht sowieso schon zu spät wäre, hatten wir auch noch draußen viel zu viel Zeit verbracht. Nur noch ein paar Schritte und dann durch die schwere, dunkle Eichentür, schon war ich in meinem Atelier. Heute würden tatsächlich das erste Mal Interessenten hier sein. Kunst hatte mich schon immer fasziniert. Kunstmuseen waren quasi mein zweites Zuhause und meinen Urlaub verbrachte ich liebend gerne in Paris. Meine Gemälde waren noch nirgendwo ausgestellt worden, da sich einfach noch keine Käufer gefunden hatten. Ich war einfach noch nicht bekannt und hatte lediglich einen Blog mit 137 Followern. Ich wartete quasi auf meinen großen Durchbruch. Vielleicht würde er jetzt kommen …

»Markus? Weißt du eigentlich, was du gerade getan hast?«, fragte Alex, nachdem die Besprechung mit den Interessenten vorbei war.

»Ja.«

»Und weißt du, was ich jetzt denke?«

»Nein, was denn?« Man musste ihm manchmal wirklich jede Information aus der Nase ziehen.

»Du bist die geilste Sau, die mir je in meinem Leben begegnet ist!«, rief er und sprang mir lachend in die Arme. Ich hatte ihn noch nie so glücklich gesehen, aber es war auch für mich der wahrscheinlich glücklichste Moment der letzten Monate, wenn nicht sogar der letzten Jahre. Obwohl ich zu spät gekommen war, wichtige Informationen vergessen und nur irgendetwas von „moderner Kunst“ und „ganz speziellem Stil“ gefaselt hatte, schien es den Interessenten, dem Ehepaar Walters, so gut gefallen zu haben, dass sie eines meiner Gemälde sofort kauften, um es in ihrem Museum zu präsentieren. Es war zwar kein großes Museum, das „Museum der neuzeitlichen Kunst“ ein paar Städte weiter, aber es war besser als gar keines. Und einen Auftrag hatte ich ebenfalls bekommen. Ich solle doch bitte das Panorama eines Parks malen. Aber nicht irgendeines Parks, sondern des Parks am anderen Ende der Stadt. Hier hatten sich die Walters vor 25 Jahren kennengelernt.

»Ich hätte nie gedacht, dass ich es irgendwann mal schaffe, etwas zu verkaufen. Jetzt kann ich meinem Vater das Geld zurückzahlen, das ich mir die letzten Jahre immer wieder leihen musste, und es bleibt dennoch genug für mich übrig«, strahlte ich. »Ich muss dir wirklich danken. Erst dachte ich, dass du der schlechteste Manager bist, den man kriegen kann, aber wie es scheint, kannst du ja doch was.«

»Hey, natürlich bin ich gut. Du bist zwar die sechste Person, der ich bei der Vermarktung helfe, aber die erste, bei der es auch mal einen Käufer gibt.«

»Du bist so ein verrückter Idiot.« Ich klopfte ihm anerkennend auf die Schulter.

»Das wird gefälligst richtig gefeiert. Wir treffen uns heute Abend um 20 Uhr in der Bar hier gegenüber.« Er deutete aus dem Fenster auf das kleine verruchte Häuschen, das eingequetscht zwischen einem mehrstöckigen Modehaus und einem riesigen Kino stand. Es war wohl der ungewöhnlichste Ort für eine Bar, jedoch immer gut besucht. Die Leute mochten es, abends nach einem Kinobesuch noch einen trinken zu gehen, oder wie ich, nachdem ich mal wieder stundenlang im Atelier gesessen hatte und nichts dabei herausgekommen war.

Ich kannte diese Bar wirklich nur zu gut. Sie war immerhin direkt gegenüber von meinem Arbeitsplatz. Wer würde sie dann nicht öfter aufsuchen? Diese Bar war auch der Grund, warum ich öfter mal ein Blackout hatte.

Am Abend saßen Alex und ich also zusammen auf den Barhockern und stießen an. Der Barkeeper kannte mich und wusste, dass ich bisher nie etwas Großes mit meiner Kunst erreicht hatte. Da es heute jedoch diesen Erfolg gab, bekamen wir einen Drink von ihm spendiert. Sehr großzügig von ihm. Ansonsten war es eher ruhig. Alex hatte zwar davon gesprochen, dass dieser erste Erfolg „richtig gefeiert“ werden müsse, aber ich kannte ihn ja. Es war ein einfaches Zusammensitzen von besten Freunden. Hin und wieder wurden ein paar Worte gewechselt, aber die meiste Zeit stießen wir an. Je mehr wir tranken, desto mehr redeten wir auch, es dauerte nur eine Weile.

Um kurz vor zwölf verabschiedete sich Alex und bezahlte seine restlichen Getränke, die nicht aufs Haus gegangen waren. Ich trank mein Bier in einem großen Zug aus, zahlte ebenfalls und stand auf. Als ich mich umdrehte, stieß ich mit einer jungen Frau zusammen, die daraufhin ihr Getränk verschüttete. »Oh mein Gott, das tut mir so leid. Kann ich Ihnen irgendwie helfen? Warten Sie, ich mache das schon …«, entschuldigte ich mich und nahm eine Serviette, um den Fleck auf ihrem T-Shirt zu entfernen.

Sie lachte nur. »Ist schon in Ordnung, kann ja mal vorkommen.« Sie trat einen Schritt zurück, immer noch lachend.

Ich drehte mich zu dem Barkeeper um. »Hey, kannst du ihr ein neues Getränk geben? Ich bezahle das.«

Er nickte und nahm das Geld mit einem Schmunzeln entgegen. »Da gebe ich dir einen aus und dann bezahlst du jemandem ein Getränk, das viel teurer als deines ist.« Er stellte das Glas auf den Tresen.

Die junge Frau nahm es entgegen. »Danke, das hätte aber wirklich nicht sein müssen. Sie sind echt nett, aber ich muss weiter. Meine Leute warten auf mich.« Damit verabschiedete sie sich immer noch leicht kichernd und verschwand in einer Ecke zwischen ein paar anderen Frauen.

Markus, Dienstag, 8. Mai

Bleistifte, Papier, Radiergummi, Anspitzer, Pinsel, Farben und eine Unterlage. Ich zählte noch einmal durch, ob ich wirklich alles dabeihatte. Heute würde der Auftrag beginnen. Ich wollte mich dazu in den Park setzen und mir erst einmal einen kleinen Überblick verschaffen. Dann würde ich verschiedene Skizzen anfertigen und diese variieren und optimieren. Allerdings nicht viel, da ich die Gegend ja so originalgetreu wie möglich darstellen sollte. Ich musste quasi einfach nur ein Foto von dem Park machen, ein Foto aus Pinselstrichen.

Fünfzehn Minuten später parkte ich am Rande des Parks. Hier verharrte ich eine Weile und sah ihn mir einfach von außen an. Es war noch nie vorkommen, dass ich freiwillig hierhergekommen war. Ich war kein „Park-Gänger“. Ich war einfach ein typischer Stadtmensch. Die Natur mag schön sein, aber ich sah keinen Grund, im Park herumzuwandern. Wenn ich jemanden an meiner Seite hätte, vielleicht, aber doch nicht alleine.

Ich ging den Sandweg hoch und lief immer weiter in den Park hinein. Ich hatte nicht gewusst, dass er so groß war. Je weiter ich lief, desto weniger Autos hörte ich und desto frischer wurde die Luft. Auf einer Parkbank breitete ich meine Sachen aus. »Wenn man von der Parkbank neben der großen Eiche in die Mitte des Parks schaut, kann man zwei Kirschbäume sehen«, so hatten es die Auftraggeber beschrieben. »Genau zwischen diesen beiden Kirschbäumen haben wir uns kennengelernt.«

Ich sah mich um. Hier neben der Bank stand die große Eiche und gegenüber von der Bank, auf der anderen Seite des Weges, konnte ich die beiden Kirschbäume sehen. Sie standen eng nebeneinander und dennoch hatten sie eine gewisse Distanz. Ihre Baumkronen überschnitten sich und sahen dabei aus, als wären sie eine Einheit. Es war ein harmonisches Bild.

Nach ungefähr einer Stunde war ich mit den ersten kleinen Skizzen fertig, den sogenannten Daumennagelskizzen. Mit ein paar von ihnen war ich wirklich zufrieden, bei anderen hingegen fragte ich mich jetzt schon, warum ich sie überhaupt angefertigt hatte, da ich gleich wusste, dass ich sie nicht verwenden würde. Ein paar Notizen neben den Skizzen konnten nicht schaden. Dann begann ich mit der Farbe zu spielen, um den richtigen Farbton zu ermitteln. Es sollte immerhin so originalgetreu wie möglich werden. Mit einem Grünton war ich besonders zufrieden. Es war ein recht dunkles Grün, aber dennoch kräftig und strahlend. Es gefiel mir, also entschied ich mich, es aus der Entfernung zu betrachten. Das Bild lehnte ich an die Rückenlehne der Bank, dann stellte ich mich auf die andere Seite des Weges und sah mir meine Skizzen an. Aus dieser Entfernung sahen sie zum Teil einfach aus wie Kritzeleien von einem Kleinkind, jedoch war die Farbe gut. Ich verglich sie noch einmal mit dem Naturton und dreht mich zu den Kirschbäumen um. Meine Mundwinkel zuckten einmal leicht nach oben. Als ich mich wieder umdrehte, um zur Bank zurückzugehen, stieß ich mit einer jungen Frau zusammen. Der Pinsel, den ich immer noch in der Hand hielt, glitt mir aus der Hand und hinterließ einen dicken, grünen Klecks auf ihrer grauen Jacke.

»Machen Sie das eigentlich mit Absicht oder sind Sie immer so ein Tollpatsch?« Da war es wieder, das Lachen aus der Bar. Es war tatsächlich die Frau von gestern.

»Das tut mir wirklich leid. Oh Mann, ist das peinlich. Sonst passiert mir so etwas nicht. Ich werde die Jacke natürlich für Sie reinigen lassen«, stotterte ich überrascht.

»Machen Sie sich nicht die Mühe. Ich besitze eine Waschmaschine.« Sie zwinkerte und ging weiter.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und ließ sie schlicht und einfach gehen. Wenn sie keine Hilfe von mir wollte, war das eben so. Nicht mein Problem.

Markus, Mittwoch, 9. Mai

Heute war ich immer noch mit den Skizzen beschäftigt. Als die grüne Farbe getrocknet war, sah sie jedoch nicht mehr so schön aus wie am Tag zuvor. Deshalb begann ich mit neuen Farbstudien. Ich war wieder zur selben Uhrzeit im Park. Einmal erwischte ich mich dabei, wie ich den Park absuchte in der Hoffnung, dass die Frau wieder auftauchen würde. Doch sie kam nicht.

Markus, Donnerstag, 10. Mai

Die Farbstudien waren immer noch nicht ganz fertig, da ich einfach nicht den richtigen Grünton traf. Deshalb schob ich diesen Teil der Arbeit erst einmal nach hinten. Stattdessen brachte ich die Skizzen auf ein größeres Format. Das war nun schon eine Art Panorama.

Nach zwei Stunden kam die junge Frau wieder vorbei. Ich lächelte, als sie an mir vorbeiging. »Heute mal keine Flecken«, rief ich ihr zu.

»Na also, geht doch«, erwiderte sie freundlich, ging aber dennoch ihres Weges. Ich beschäftigte mich weiter mit meiner Arbeit.

Markus, Freitag, 11. Mai

Auch heute kam die Frau wieder vorbei. Vorher hatte ich mich mehrmals dabei ertappt, wie ich nach ihr Ausschau hielt. Ich ging sogar ein Stück des Weges auf und ab. Ich wollte sie sehen, dennoch sagte ich nichts, als sie an mir vorbeilief. Sie sagte auch nichts, jedoch warf sie einen Blick auf meine Skizzen und Farbstudien und lächelte.

Markus, Dienstag, 15. Mai

Mit meiner Arbeit kam ich nicht wirklich weiter. Ich fand einfach nicht den richtigen Grünton. Die Skizzen und Notizen waren fertig. Ich war nun dabei, die gesammelten Ideen genauer zu optimieren und hatte schon drei größere Panorama-Skizzen von den Kirschbäumen.

Nach guten zwei Stunden kam die Frau vorbei wie auch an den letzten Tagen, bis auf Sonntag. Auch heute sagte keiner etwas. Sie warf nur wieder einen Blick auf meine Arbeit und lächelte wie jeden Tag.

Markus, Donnerstag, 17. Mai

Gestern war sie nicht da. Wahrscheinlich ging sie wegen ihrer Arbeit jeden Tag, außer mittwochs und sonntags, durch den Park. Sie interessierte mich allmählich wirklich. Jedoch sagte ich nichts. Sie sagte ja auch nichts.

»Ich finde das wirklich gut, mach weiter so«, meinte Alex anerkennend, als er meine Skizzen und Studien sah.

»Danke, ich bin nur nicht mit dem Farbton zufrieden«, erwiderte ich.

Er verzog das Gesicht. »Ich weiß nicht, wie der reale Baum aussieht, aber ich finde es gut so. Du schaffst das, das weiß ich … Was ist das eigentlich für eine Skizze?« Er deutete auf eine kleine Zeichnung am Rande des Blattes. Sie war in Schwarz-Weiß gehalten und zeigte eine junge Frau.

»Ach, das … das ist nur nebenbei passiert … als ich gerade keine Idee mehr für die Bäume hatte«, log ich. Was sollte ich auch sonst sagen? Hey, Alex, das ist eine klasse Frau. Ich schütte zwar öfters etwas über sie, aber ich mag sie … Nein, fürs Erste würde ich nichts sagen. Irgendwann vielleicht, wenn ich Genaueres über sie wusste.

Durch das Treffen mit Alex kam ich sehr viel später in den Park. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich die Frau verpasst haben musste. Ich eilte dennoch in Richtung Parkbank, in der Hoffnung, ich würde sie noch treffen. Als ich die Bank sehen konnte, blieb ich abrupt stehen. Konnte das wirklich sein? Saß die Frau tatsächlich auf der Bank und sah sich suchend um? Ich ging zu ihr. »Hey, suchen Sie etwas?«, fragte ich.

Sie drehte sich zu mir um, stand auf und hielt mir einen Becher mit Kaffee hin. Ich nahm ihn dankend und verwirrt entgegen. »Im Mai kann es noch mal etwas kälter werden, da dachte ich, ich bringe Ihnen etwas zum Aufwärmen mit. Aber Sie waren nicht da, deshalb habe ich hier gewartet und jetzt sind Sie gekommen.«

»Wie aufmerksam von Ihnen, vielen Dank. Ja, ich war noch in einer Besprechung, deswegen bin ich heute später als sonst.«

»Macht ja nichts.« Sie hob ihren Becher, wir stießen an, als wäre es Alkohol, und tranken beide. »Ich muss jetzt eigentlich schon wieder weiter. Sehen wir uns morgen wieder? Im Café an der Ecke neben dem Schifffahrtsmuseum?«

»Natürlich, sehr gern. Das wäre wirklich schön.« Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte, ich war in diesem Moment einfach nur glücklich.

»Okay, dann also bis morgen. Ich glaube, wir können auch ruhig zum Du übergehen, meinen Sie nicht? So oft, wie wir uns jetzt schon begegnet sind.«

»Ja, das wäre sehr schön.« Meine Stimme versagte fast vor Freude und ich spürte, wie das Blut in meinen Kopf strömte. »Ich bin Markus Wick.«

»Ich bin Luisa Parker.«

Markus, Freitag, 18. Mai

Am nächsten Morgen wachte ich noch vor meinem Wecker auf, was wirklich selten geschah. Normalerweise weckte er mich und ich drehte mich noch einmal für ein paar Minuten um. Doch heute war es anders. Ich war sofort hellwach und ich hatte dieses Kribbeln im Bauch. Luisa! Warum war ausgerechnet sie mein erster Gedanke? War das Liebe? Nach einem kurzen Gespräch und einem Kaffee neben der Parkbank? Nein, es war sicherlich nur die Vorfreude, sie wiederzusehen, einfach, weil sie mich interessierte, weil sie anders war.

Ich setzte mich auf die Bettkante und reckte mich einmal, wobei einige meiner Knochen hörbar knackten. Ich stand auf, wobei ich mich noch einmal gähnend reckte. Luisa! Ich zuckte zusammen, als ich wieder an sie dachte und dieses Kribbeln spürte. Ich schüttelte mein Kopfkissen und meine Bettdecke auf, so wie ich es von meiner Mutter gelernt hatte. Doch heute gab ich mir ausnahmsweise mal richtig viel Mühe und strich noch einmal jede noch so kleine Falte mit meiner Handfläche glatt, als wollte ich irgendjemanden damit beeindrucken. Oh, sieh nur, wie toll ich Betten machen kann!

Erst jetzt warf ich einen kurzen Blick auf die Uhr. Es war 7:02 Uhr, ziemlich früh für mich. Aber ich würde die Zeit schon totschlagen. Ich schaltete zunächst die Weckfunktion meines Weckers aus, die auf 8:45 Uhr stand. Dann ging ich zum Fenster. Die ersten Sonnenstrahlen linsten durch die nicht ganz geschlossene Jalousie und spendeten ein wenig Licht. Ich zog die Jalousie hoch und öffnete das Fenster. Eine angenehme Brise kam mir entgegen und ich sog die frische Luft genussvoll und mit geschlossenen Augen ein. Es war ein wundervoller Start in den Tag.

Als ich mich wenig später im Badezimmer befand und mich nach einer ausgiebigen Dusche im Spiegel betrachtete, hatte ich unendlich viele Fragen im Kopf: Mag Luisa mich? Hat mein Äußeres sie eher beeindruckt oder vielleicht doch verschreckt? Soll ich abnehmen oder zunehmen? Soll ich mich rasieren oder mir einen Bart wachsen lassen?

Ich merkte plötzlich, dass ich Luisa mit Jessica gleichsetzte! Ich stellte mir immer weiter solche Fragen, während ich mich hin und her drehte und mich im Spiegel ansah. Doch war das nicht eigentlich alles egal? Verdammt, ich würde sie doch nur treffen und nicht gleich heiraten. Ich machte mir wegen dieses Mädchens viel zu viele Gedanken.

Ich seufzte und zog mich an. Noch ein Blick in den Spiegel. Sollte ich mich vielleicht doch noch einmal umziehen? Nein, es war gut so!

In der Küche warf ich einen Blick auf die Uhr. Ich hatte tatsächlich so viel Zeit im Badezimmer verbracht, dass es mittlerweile 8:30 Uhr war. Ich starrte weiter auf die Uhr, während ich mir Erdbeermarmelade auf meinen Toast schmierte. Eigentlich hatte ich keinen Hunger, da ich viel zu nervös wegen des Wiedersehens mit Luisa war. Doch ich zwang mich dazu, etwas zu essen. Ich spülte die letzten Bissen mit einer heißen Tasse Kaffee herunter.

Nachdem ich den Tisch abgeräumt und sauber gewischt hatte, setzte ich mich einen Raum weiter an meinen Schreibtisch. Eigentlich wollte ich ein wenig an den grünen Farben arbeiten, doch ich starrte die ganze Zeit verträumt aus dem Fenster und spielte mit einem Bleistift. Ich beobachtete die Menschen und Autos, die am Fenster vorbeikamen. Doch meine Gedanken wanderten immer wieder zurück zu Luisa, zu ihrem Lachen. Ich konnte einfach nichts daran ändern.

Die Bleistiftspitze pikste mich in den Finger und ich erwachte aus meinen Tagträumereien. Ich sah auf die Uhr, es war 10:37 Uhr. Hatte ich wirklich so viel Zeit damit verbracht, aus dem Fenster zu sehen? Ich stand auf, schloss es und schüttelte den Kopf. Dann fragte ich mich, wie mein Leben wohl sein würde, wenn ich ganz alleine und in meinem Haus eingeschlossen wäre. Eine schreckliche Vorstellung. Ich brauchte meine Familie, meine Freunde und meine Freiheit.

Einige Minuten später verließ ich das Haus. Natürlich warf ich dabei noch einen kurzen Blick in den kleinen Spiegel, der im Flur an der Wand hing – ich sah noch genauso aus wie vorhin.

Ich ging am Park vorbei in Richtung Schifffahrtsmuseum und Café. Vielleicht war Luisa schon da, auch wenn ich viel früher als die letzten Tage im Park war. Ich stieg die kleine Treppe zum Café hoch. Dabei konnte ich mir ein Grinsen nicht verkneifen. Mit jedem Schritt wurde ich nervöser. Endlich öffnete ich die kleine, verzierte Tür. Ich trat ein und obwohl so viele Leute hier waren, sah ich nur sie, wie sie einfach dasaß und ihre Fingernägel betrachtete. Ich war wie gelähmt und starrte sie an. Dies schien sie zu spüren, denn sie sah zu mir herüber, dabei lächelte sie. Ich ging zu ihr, wobei sich meine Beine sehr verkrampft anfühlten. »Hey«, quetschte ich hervor. Man hörte sofort, wie angespannt ich war.

»Hey«, sie lächelte erneut.

Ich setzte mich ihr gegenüber. Luisa studierte jede meiner Bewegungen, auch wie ich zitterte, als ich die Jacke auszog. »Du scheinst genauso nervös zu sein wie ich«, flüsterte sie mit ihrem wunderschönen Lächeln und berührte leicht mit warmen, weichen Fingerspitzen meinen Handrücken.

Markus

Als ihre Finger meine Hand berührten, durchfuhr mich Wärme und dennoch lief mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Ich spürte sofort, dass sie anders war, dass sie irgendetwas an sich hatte, was sie von allen anderen Frauen unterschied. Ich fühlte mich einfach zu ihr hingezogen. Wie sie mich mit dieser Geschmeidigkeit berührte, nahm ich ihr Äußeres eigentlich zum ersten Mal richtig wahr. Sie hatte mittelblonde Haare, die ihr in leichten Wellen bis zur Brust fielen. Im unteren Drittel wurden die Wellen stärker, dort waren die Haare schon fast kraus. Sie hatte stark ausgeprägte Schlüsselbeine und ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem gleichmäßigen Takt. Ihre Ohren linsten ganz leicht durch ihre Haare hindurch, ich sah sie kaum. Auf ihrer leicht nach oben geschwungenen Nase und ihren festen Wangenknochen entdeckte ich viele kleine, blasse Sommersprossen. Luisa hatte schmale, aber kräftige rote Lippen, die stets zu einem leichten Lächeln geschwungen schienen. Insgesamt schien alles an ihr geschwungen und harmonisch zu sein und überall konnte ich an ihr viele kleine feine Details entdecken.

»Wollen wir etwas bestellen?«, fragte ich, als ich meine andere Hand auf ihre legte, die somit zwischen meinen Händen lag. Sie nickte und wir riefen die Kellnerin.

Nach ein paar Minuten kam unsere Bestellung. Wir hatten beide einen hausgemachten Apfelkuchen mit Walnussstücken bestellt. Auf dem Kuchen lag eine große Vanilleeiskugel. Das Ganze war mit Schokoladensauce überzogen, die in dünnen Streifen über das Eis, den Kuchen und den Teller lief. Dazu bestellten wir uns jeder einen großen, heißen Kakao mit Sahne und Marshmallows.

Wir unterhielten uns über alle möglichen Dinge. Ich erfuhr von ihr, dass sie als tiermedizinische Fachangestellte tätig war. Sie liebe die Natur und gehe deswegen jeden Morgen durch den Park zur Arbeit, außer mittwochs und sonntags, da habe sie frei. Nachmittags, als wir uns immer im Park gesehen hätten, sei sie auf dem Weg nach Hause gewesen. Ihre Lieblingsfarbe sei Blau, Gelb hingegen möge sie nur, wenn es so strahle wie die Sonne. Als Kind habe sie einen Hund gehabt, Oliver, jedoch sei dieser schon vor ein paar Jahren gestorben. Deswegen habe sie diesen Beruf erlernt. Luisa sagte, sie möge Kunst sehr gerne, deswegen habe sie auch beim Anblick meiner Skizzen und Studien immer gelächelt.

»Ich finde einfach nicht den passenden Grünton für die Bäume. Es soll so originalgetreu wie nur möglich aussehen«, seufzte ich und sah aus dem Fenster. Der Himmel wurde dunkel, Wolken zogen auf, es sah stark nach einem Sturm aus.

»Du schaffst das, glaub mir. Wahrscheinlich wirst du es aus Versehen schaffen, wenn du gar nicht damit rechnest. So ist das im Leben. Es sind immer die unvorhergesehenen Dinge, die das ganze Leben verändern. Ob positiv oder negativ, kann man nie sagen, man muss einfach warten, wie es sich entwickelt.« Sie sprach mit einem leichten Zittern in der Stimme und sah ebenfalls aus dem Fenster. Auch sie schien das Unwetter zu erahnen.

»Was meinst du? Du klingst so … so ängstlich oder unsicher, ich weiß nicht genau.«

»Hast du das nicht auch manchmal? Dass du einfach Angst hast, ohne zu wissen, warum, weil es eigentlich keinen Grund dafür gibt? Man muss einfach auf positive oder negative Veränderungen warten. Man kann sich nicht vorher darauf einstellen, das meine ich. Sie kommen und gehen einfach. Ich muss jeden Tag mit solchen Situationen arbeiten und dennoch ist es jeden Tag eine neue Herausforderung.« Sie schlang ihre Arme um ihre Schultern, als würde sie sich selber umarmen, als wäre ihr kalt. Ihr Blick ging immer noch nach draußen und folgte den ersten Regentropfen, die zu Boden fielen.

»Du meinst also, du hast Angst vor plötzlichen Veränderungen? Das kann ich nur zu gut verstehen.« Ich beugte mich über den Tisch und nahm sachte ihre Hand.

Sie sah mich an, ihre Gesichtszüge entspannten sich. »Ja, das meine ich. Hast du das auch schon erlebt?«

Ich hörte an der Art, wie sie die Frage stellte, dass sie sich für die Antwort ehrlich interessierte, aber nicht zu neugierig rüberkommen wollte, da es ja eine recht persönliche Frage war.

»Meine Mutter starb, als ich 13 war. Sie ist mit dem Fahrrad eben zum Supermarkt um die Ecke gefahren, sie wollte nur ein paar Dinge besorgen. Der Markt war nicht mal einen Kilometer von zu Hause entfernt. Sie kam nicht zurück. Zuerst dachten wir, sie hätte vielleicht jemanden getroffen und würde sich länger unterhalten. Das kam manchmal vor, dann dauerte es eben länger. Doch dann stand die Polizei auf einmal vor der Tür und erklärte uns, dass sie mit einem Auto kollidiert wäre, das bei Rot über die Ampel gefahren sei«, erzählte ich und stockte dann, um einen Schluck Kakao zu trinken. Meine Kehle war plötzlich trocken. Luisa hielt eine meiner Hände in der ihren und streichelte sie beruhigend.

»Meine Mutter wurde dann ins Krankenhaus gebracht und lag dort drei Tage im Koma. Dann ist sie gestorben«, endete ich.

»Das ist ja schrecklich, das tut mir wirklich leid. Das muss eine harte Zeit für dich gewesen sein.« Sie schien ehrlich mitfühlend. Das war definitiv nicht gespielt, im Gegensatz zu Jessica damals.

»Ja, das war es auch. Der Schmerz geht nie weg … man gewöhnt sich nur daran. Aber so spielt eben das Leben, wie du schon sagtest. Niemand kann vorhersagen, ob es sich positiv oder negativ entwickelt, jeder muss es einfach nehmen, wie es ist, und das macht einem manchmal Angst.« Ich sah wieder aus dem Fenster. Mittlerweile hörten wir leichten Donner, dicke Regentropfen liefen an der Scheibe hinunter und bildeten ein vernetztes Muster.

»Wollen wir gehen?«, fragte Luisa, den Blick nicht von meiner Hand abwendend, die sie immer noch in ihrer barg.

Ich nickte. »Ja, lass uns gehen. Ich kann dir mein Atelier zeigen, wenn du möchtest. Es nicht weit von hier.«

»Ja, sehr gern«, sagte sie. Da war es wieder, dieses Lächeln.

Wir zahlten unseren Kuchen und unseren Kakao. Sie bestand darauf, ihre Sachen selber zu bezahlen, obwohl ich mehrmals anbot, die komplette Rechnung zu übernehmen. Dann verließen wir Hand in Hand das Café und traten in den strömenden Regen hinaus.

Markus

Wir liefen, so schnell es ging, in mein Atelier. Natürlich waren wir bis auf die Haut durchnässt, als wir dort ankamen. Ich schloss schnell auf und wir traten ein. Wir eilten die große Treppe hinauf und gingen durch die schwere Eichentür. Luisa und ich traten ein. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen und sah sich staunend und mit geöffnetem Mund um. »Wow … ich weiß gar nicht … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das hast du alles gemalt?« Sie drehte sich zu mir um. Sie war wirklich überrumpelt. »Ich hatte zwar mit schönen Bildern gerechnet, aber das übertrifft alles. Dass ein Mensch es in der heutigen Zeit noch schafft, so gut zu malen! Ich meine, fast alles geht mittlerweile technisch. Du bist einer der wenigen, die noch echte Handwerkskunst betreiben. Und dann auch noch so gut.«

»Danke, es freut mich, dass dir meine Bilder gefallen, aber sie sind nichts Besonderes. Es gibt immer einen, der besser ist«, winkte ich ab. Ich fühlte mich geschmeichelt. »Komm mit, ich zeige dir alle Bilder«, sagte ich und nahm ihre Hand.