11,99 €
In mindestens zwei seiner Werke beschreibt Lukian von Samosata (geb. um 120 und gest. um 180) Visionen, Bilder und Geschehen, die gewiss keine direkte Entsprechung in den Gegebenheiten des 2. Jahrhunderts finden. Der Mond, Jupiter oder die Sonne sind in Reichweite, mit einem Boot oder den starken Flügeln eines Adlers und eines Geiers erreichbar. Die antiken Texte sind auch nach fast zweitausend Jahren erstaunlich und verwunderlich, keineswegs überholt, und haben Erwin Fahrni zu einer literarischen Auseinandersetzung mit ihnen beflügelt. In "Lukian. Ruft – Ein Epos" vermischen sich die räumlichen und zeitlichen Dimensionen. Der Raum ist grenzenlos, die Zeit steht still oder rast wie verrückt davon. Die einzelnen Texte lösen sich von den Vorlagen, die Handlung ist zwar im ersten und zweiten Buch noch nachvollziehbar (die Lukian-Erzählerfigur geht durch die gleichen Stationen wie in der antiken Storia), die textliche Ordnung hat ein Grundmuster, alles verliert jedoch den roten Faden im dritten Buch, in dem vom epischen Fluss nur einzelne Pfützen übrig bleiben, Geronnenes aus Schriften Lukians und früheren und neueren Texten Erwin Fahrnis, zufällig sechzig. Die beiden Teile zuvor umfassen die gleiche Anzahl an Strophen. So rundet sich das Werk scheinbar – insgesamt dreimal sechzig neunversige Strophen bzw. ungleich geformte Abschnitte; die Quersumme von hundertachtzig ergibt neun: Neun ist im Werk die immer wieder auftauchende, rätselhafte Wunderzahl. Ob sie etwas bedeutet oder ob es reine Spielerei ist, bleibe hier ungeklärt. Doch abgerundet ist am Ende nichts. Die Texte des dritten Buches müssen ihre Ordnung erst noch finden, aussichtslos ist wahrscheinlich, einen Zusammenhang herzustellen. Sicher ist dagegen: Die weiterhin angedeuteten Expeditionen ins All, ins Irgendwo, ins Irgendwann oder doch ins zeitlich wie örtlich Reale und Begrenzte, sind keine Irrfahrten eines Träumenden; denn es ist die Welt, die aus den Fugen geraten ist, und mit ihr hat sich das Individuum in seine Atome aufgelöst, die täglich aufs Neue lose Verbindungen eingehen; sei es als Lukian, Menippus, Robert, Thomas, Marcel oder als Schreiber – oder alle miteinander.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 63
Veröffentlichungsjahr: 2024
Erwin Fahrni
Lukian. Ruft – Ein Epos
In mindestens zwei seiner Werke beschreibt Lukian von Samosata (geb. um 120 und gest. um 180) Visionen, Bilder und Geschehen, die gewiss keine direkte Entsprechung in den Gegebenheiten des 2. Jahrhunderts finden. Der Mond, Jupiter oder die Sonne sind in Reichweite, mit einem Boot oder den starken Flügeln eines Adlers und eines Geiers erreichbar. Die antiken Texte sind auch nach fast zweitausend Jahren erstaunlich und verwunderlich, keineswegs überholt, und haben Erwin Fahrni zu einer literarischen Auseinandersetzung mit ihnen beflügelt.
In Lukian. Ruft – Ein Epos vermischen sich die räumlichen und zeitlichen Dimensionen. Der Raum ist grenzenlos, die Zeit steht still oder rast wie verrückt davon. Die einzelnen Texte lösen sich von den antiken Vorlagen, wenn auch die Handlung im ersten und zweiten Buch noch nachvollziehbar ist und mehr oder weniger der Storia des antiken Autors folgt. Alles verliert jedoch den roten Faden im dritten Buch, in dem vom epischen Fluss nur einzelne Pfützen übrigbleiben, Geronnenes aus Schriften Lukians und früheren und neueren Texten Erwin Fahrnis.
Erwin Fahrni, 1952 in Wyssachen (Kanton Bern / Schweiz) geboren, studierte Geschichte und Germanistik in Bern und Wien.
2021 erschien von ihm bei tredition Herausgehen am Tage – Umformungen, eine lyrische Bearbeitung des Ägyptischen Totenbuchs.
Erwin Fahrni
Lukian. Ruft – Ein Epos
Für C.
© 2024 Erwin Fahrni
Umschlaggestaltung unter Verwendung der Illustration Dreams von Aubrey Beardsley.
In: Lucian of Samosata (1892): Lucians's True History. Translated by Francis Hickes, illustrated by William Strang, J.B. Clark and Aubrey Beardsley, with an introduction by Charles Whibley. London (A.H. Bullen, 18 Cecil Court), S. 99
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
978-3-384-07413-3 (Paperback)
978-3-384-07414-0 (Hardcover)
978-3-384-07415-7 (E-Book)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5 22926 Ahrensburg, Deutschland.
Es ist leicht zu schwimmen, wenn einem der Kopf hochgehalten wird.
Lukian von Samosata
Erstes Buch
I
Ich schließe das Fenster, Lukian –
Ruft:
Dass du zu Wasser werden könntest, ist
Nichts Unbegreifliches, da du
Wässeriger Natur bist.
Auch zu einem Baume, wäre denkbar. Warum
Sollte die Verwandlung in einen Löwen unglaublich sein. Oder
Die Fahrt zum Mond. Wer schreibt,
Muss nicht gesehen, gehört oder gerochen haben.
II
Von ferne, im Schädel, wird geflüstert, bald geschrien,
Dann gewimmert. Wort gesellt sich zu Wort,
Geschehen und Welten bildend.
Der Quell, sprudelnd, gluckernd, sprenkelnd,
Sich ergießt, in einen Strom sich formend.
Alles möchte der Schreiber
Schreibend erfassen, er lügt, kritzelt Verse
Über Dinge, die kaum wirklich und möglich sind.
Wer da Lust hat, glaube, öffne ein Auge und Ohr.
III
Ich schiffe mich bei den beiden Säulen im Westen
Ein und steuere mit gutem, zugigem Ostwind in den Ozean.
Von Vorwitz getrieben, wissen wollend, was jenseits der Grenzen
Sei, wer jenseits wohne im unbekannten Land.
Viel Nahrung und Vorrat an süßem Wasser an Bord, neunzig
Gefährten mir zugesellt, so gesinnt und wissenshungrig wie ich.
Man riet mir zu Waffen, auch zu einem geschickten Steuermann.
Der schnelle Segler, in Stand gestellt, bereit
Für die lange Fahrt.
IV
In sanfter, gemäßigter Bewegung vorwärtstreibend
Am ersten Tag. Das Land noch zur Seite sichtbar. Allein
Mit Anbruch des folgenden Tages braust der Wind, die See
Geht höher, der Himmel hüllt sich in Dunkel, uns nicht möglich,
Die Segel einzuziehen. Dem Wind übergeben, treiben wir in
Furchtbarsten Stürmen neunundachtzig Tage umher.
Am neunzigsten bricht die Sonne durch die Wolken, und wir
Sehen eine hohe, dichtbewaldete Insel vor uns, um welche
Liebliche Wogen ihr Spiel lockend lüstern treiben.
William Strang: After the Tempest
V
Wir landen, steigen aus und legen uns zur Erde nieder,
Uns für einige Stunden ausruhend.
Aus süßlichen Träumen erwacht, stehen wir auf, wählen
Dreißig aus unserer Mitte zur Bewachung des Schiffes, die
Andern streben landeinwärts, die
Insel genauer untersuchend. Bereits nach kurzer Zeit werden wir
Einer ehernen Säule ansichtig, auf der mit rostigen Buchstaben
Geschrieben steht: Bis hierher sind sie gekommen.
Daneben Fußspuren, eine größere und eine kleinere.
Joseph Benwell Clark: Adoration
VI
Weiter gehen wir bis zu einem Fluss, einem Strom von Wein,
Der Schiffe hätte tragen können. Wir folgen
Ihm bis zur Quelle, einem Weinberg voll tropfender Reben,
Die Rinnsale Bäche bildend, vereinigend sich zur breiten Flut.
Berauscht von den Weinfischen, die wir
Gegessen, durchwaten wir den Strom an einer seichten Stelle und
Stoßen auf Rebstöcke mit festem Stamm,
Denen pralle Mädchenkörper entsprießen, von Weinranken
Umflort. Uns grüßend nähern sich die Mädchen.
Aubrey Beardsley: "A Snare of Vintage"
VII
Betrunken und verwirrt ist, wer sich auf den Mund
Küssen lässt.
Die drei Gefährten, zur Begattung verführt, werden
Auf ewig mit den Mädchen vereint zu einem Gewächs,
Sprösslinge bildend und von Weinranken umwunden,
Bald Trauben tragend.
Schnell eilen wir Übrigen zu den Schiffen, den
Dort Wachenden berichtend, was wir gesehen und erlebt,
Erzählend von den Dreien, zu Rebstöcken geworden.
VIII
Einige Fässer mit süßem Wasser werden gefüllt,
Andere mit dem Wein aus dem Fluss. Wir übernachten in dessen
Nähe und lichten am nächsten Morgen, bei mäßigem Wind, die
Anker. Die Insel bereits nicht mehr in Sichtweite, zur Mittagszeit,
Überfällt eine Wasserhose das Schiff, das
Im Kreise herumwirbelnd, sich emporhebt,
In eine Höhe von siebenundsiebzig Meilen,
Und weiter hoch in den Lüften schwebend,
Frische Winde die Segel blähend, uns über die Wolken führet.
IX
Neun Tage und neun Nächte durch die Lüfte wir fliegen, am
Zehnten wir erblicken
Eine Art von Erde, kugelförmig, wie eine Insel, von
Hellglänzendem Licht erleuchtet.
Wir steuern auf sie zu, legen an und steigen an Land.
Wir entdecken: Bewohnt ist das Land
Und angebaut.
Nachts öffnet sich der Blick, tief unten, auf Städte, Flüsse, Meere,
Wälder. Wir vermuten, es muss unsere Erde sein.
X
Am nächsten Morgen, wir entschlossen, ins Land
Weiter vorzudringen, werden bald, Geierritter sind es,
Festgenommen, Männer – es fehlt ein ander Wort – sind es,
Reitend auf dreiköpf'gen Vogelriesen, Pferden gleich. Zum König
Des Landes werden wir gebracht, der, unsre Herkunft richtig
Vermutend, neugierig fragt, wie wir über den gewaltigen Luftraum
Heraufgekommen. Auf unsere berichtend Worte erzählt er seine
Geschichte, wie er, ehemals selbst Bewohner der Erde, im Schlafe
Entführt und versetzt, als König des Mondes herrsche.
XI
«Unbesorgt sollt ihr sein», also spricht er dann. «Wenn der Krieg
Beendet, führt ihr das glücklichste Leben. Noch
Sind wir bedrängt von den Ameisenrittern des Sonnenkönigs, der
Unsere Kolonie auf dem öden Morgenstern eigensüchtig nicht
Dulden will. Morgen rücken wir aus, zur entscheidenden
Schlacht. Habt ihr Lust, am Feldzug teilzunehmen, wohlan!
Jeder von euch werde mit einem Geier aus dem königlichen
Marstall und mit Waffen versorgt. Morgen rücken wir aus.»
«Gut», sage ich, «wir ziehen mit, wenn's dir genehm.»
XII
Tags darauf melden die Vorposten, ganz in der Nähe sei schon
Der Feind. Unser Heer ist bereit: Hunderttausend Mann, ohne die
Knechte, die Zimmerleute, die Schützen zu Fuß, die Hilfstruppen,
Achtzigtausend Geierritter und zwanzigtausend Krautflügler,
Vögel, deren Leib ganz von Lattichblättern bewachsen. Ihnen
Folgen die Hirsenschießer und Knoblauchstreiter. Vom Großen
Bär angelangt die Flohschützen und die Windrenner:
Die Flöhe so groß wie zwölf Elefanten, die Renner, getragen von
Aufgeblähten Mänteln, wie Schiffe mit Segeln vorwärtstreibend.
XIII
Angesagt von den Sternen über Kappadokien
Siebzigtausend Spatzeneicheln und fünfzigtausend Kranichreiter,
Die ich, ihrer nie ansichtig geworden, nicht näher beschreibe,
Wiewohl mir Wunder über sie zu Ohren gekommen. – –