Madame Beaumarie und der Winter in der Provence - Ingrid Walther - E-Book

Madame Beaumarie und der Winter in der Provence E-Book

Ingrid Walther

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Beschreibung

Florence Beaumarie möchte mit ihrem charmanten Freund Charles Florentin entspannte Tage in dessen Landhaus im idyllischen Saignon im Luberon verbringen. Die ehemalige Pariser Kommissarin hofft auf stille Stunden vor dem Kamin, Wanderungen über winterliche Lavendelfelder und die Gelegenheit, ihre Beziehung zu Charles auszuloten. Doch schon am Tag ihrer Anreise wird eine junge Frau vor dem Polizeikommissariat von Avignon erschossen. So schnell ist es mit der Idylle vorbei. Die resolute Madame Beaumarie nimmt die Ermittlungen auf und stößt auf einige Überraschungen …

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Ingrid Walther

Madame Beaumarie und der Winter in der Provence

Kriminalroman

Impressum

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist rein zufällig. Von den Schauplätzen des Romans sind einige der Fantasie der Autorin entsprungen, andere sind ganz real. Es bleibt den Lesern und Leserinnen überlassen, den Unterschied herauszufinden.

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Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © Marina VN / shutterstock

ISBN 978-3-8392-7398-2

Teil 1 Adventzauber

1

»Das Kaufhaus Bon Marché in Paris ist das älteste und beste Kaufhaus der Welt!«

Diesen Satz hatte Florence Beaumarie ihre Tante Odette im Laufe ihrer Kindheit wohl mehr als 100 Mal sagen hören. Ihre Großmutter väterlicherseits, die sie nicht mehr gekannt hatte, hatte in diesem Kaufhaus gearbeitet – und dann die Tante!

Jetzt war Florence selbst schon Großmutter. Vor gut einem halben Jahr war sie, eine hochangesehene Mitarbeiterin im Kommissariat des 5. Arrondissements in Paris, in Pension gegangen. Gelegenheit, mit ihrer Enkelin ins Bon Marché zu gehen, hatte sie aber noch keine gehabt. Florences Sohn Michel lebte in China, und ihre chinesische Schwiegertochter schien genauso wenig Lust auf eine Reise nach Europa zu haben wie sie auf eine Reise nach Asien.

Als Florence ein kleines Mädchen war, hatte sie ihre Tante Odette angehimmelt. So sehr, dass die eigene Mutter beinahe eifersüchtig geworden wäre. Die kinderlose Tante war im Kaufhaus Bon Marché ausgerechnet die Chefin der Abteilung für Kindermoden gewesen. Das war auch der Grund, weshalb Florence zweimal im Jahr an der Hand ihrer Mutter in dieses glitzernde Märchenschloss spazierte, um Tante Odette zu besuchen, welche die schönste und gepflegteste Dame war, die sie kannte. Wie sie mit ihren eleganten, blassen Händen die entzückendsten – und für Florences Mutter unerschwinglichen – Kleidchen auf eine unnachahmliche Weise faltete und in gläserne Schaukästen legte, hatte die kleine Florence jedes Mal tief beeindruckt. Dass die anderen Angestellten der Kinderabteilung von ihrer Chefin jedoch alles andere als angetan waren, hatte sie dabei nicht mitbekommen. Florence hatte bereits mit ihrer Tätigkeit im Polizeikommissariat begonnen, als sie erfuhr, dass Tante Odette von heute auf morgen ihren Job aufgegeben hatte, aus Gesundheitsgründen, wie sie der Familie mitteilte. Ein paar Wochen später hatte allerdings eine der Mitarbeiterinnen, und gleichzeitig eine Kundin im Blumengeschäft von Florences Mutter, ganz etwas anderes zu berichten gewusst. Seit Jahren hatten sich regelmäßig die Untergebenen der Tante an oberster Stelle über deren tyrannische und boshafte Art beschwert, und schließlich sei das Fass zum Überlaufen gekommen und die Tante gekündigt worden. Sie hatte einem kleinen Mädchen, das es gewagt hatte, ein von ihr soeben sorgfältig zusammengefaltetes Kleidchen zu berühren, eine Ohrfeige verpasst.

Ach, Tante, dachte Florence jetzt, als sie an einem milden Vormittag im Dezember den kleinen Park vor dem Bon Marché durchquerte. Du hast es dir und deiner Umgebung mit deinem übertriebenen Ordnungssinn wirklich nicht leicht gemacht. Aus der bewunderten Tante war im Laufe der Jahrzehnte eine tyrannische Alte geworden, die insbesondere ihrem Onkel August das Leben schwer gemacht hatte. Was Tante Odette wohl heute zu diesem Konsumtempel sagen würde? Die früheren Abteilungen des Kaufhauses mit ihren hölzernen Ladentischen und den raumhohen Regalen samt verschiebbaren Leitern, in denen man von Nägeln und Putzeimern bis hin zu den großartigsten Ballroben alles kaufen konnte, waren von sogenannten luxuriösen Department Stores abgelöst worden, die hauptsächlich auf Schmuck, Kosmetik und Bekleidung in den allerhöchsten Preiskategorien spezialisiert waren.

Heutzutage falle wahrscheinlich sogar ich hier unangenehm auf, weil ich keine Sachen von Dior oder Chanel trage, überlegte Florence, während sie in einem gläsernen Lift in den dritten Stock des Kaufhauses hinauf schwebte und die Weihnachtsdekorationen betrachtete. Die waren aufwendig und raffiniert, besaßen jedoch nichts mehr vom Charme und Glanz des  Bon Marché von anno dazumal. Hier würde sie wohl kaum ein Geschenk für ihren Freund Charles Florentin finden, der sie für die Weihnachtsfeiertage in sein Landhaus ins malerische Saignon in der Provence eingeladen hatte. Sie wusste noch nicht, ob sie diese Einladung annehmen sollte. Erst vorgestern Abend hatte er sie angerufen und ihr mitgeteilt, dass seine Tochter Chantal, eine Musikerin, über Weihnachten ein Engagement in Wien habe, und er sich über Florences Gesellschaft freuen würde. Florence hatte sich Bedenkzeit erbeten. Sie war sich noch immer nicht im Klaren über ihre Beziehung zu diesem attraktiven älteren Herrn aus Avignon, den sie erst vor knapp einem halben Jahr kennengelernt hatte. Es konnte jedenfalls nicht schaden, sich so nebenbei nach einem Geschenk für ihn umzuschauen.

Wenigstens die Abteilung für Papier- und Schreibwaren, die sie nun betrat, befand sich noch immer an ihrem alten Platz. Wie jedes Jahr hatte sich diese auch heuer wieder in eine glitzernde Welt mit endlosen Regalen voll mit Weihnachtskitsch und Christbaumschmuck verwandelt. Florence ging davon aus, dass sie hier keine ihrer Bekannten antreffen würde. Die würden sich ihre vorweihnachtliche Stimmung lieber bei den mit beweglichen Bildern ausgestatteten Auslagen der Kaufhäuser Galerie Lafayette und Printemps abholen. Es wäre ihr auch ein wenig peinlich gewesen, ausgerechnet hier angetroffen zu werden. Der Besuch dieser Abteilung war ausschließlich ihrer Tante geschuldet, denn diese hatte hier im Dezember ihrer Maman alljährliche die neueste, mit weihnachtlichen Motiven bedruckten Stofftasche überreicht. Immerhin, diese Tradition der »Weihnachtstasche« hatte das Management bis heute beibehalten.

»Florence, was verschlägt denn dich ins Bon Marché?«

Florence, die gerade ihre Tasche bezahlte, erkannte die Stimme sofort. Dieser klangvolle Mezzosopran konnte nur zu Hélène Mordent, der Frau ihres ehemaligen Chefs gehören. Erstaunt drehte sie sich um.

»Was für eine Überraschung, Hélène«, antwortete sie »warte bitte, ich bin sofort bei dir.«

Zehn Minuten später saßen die beiden Frauen rauchend und in ihre Wintermäntel gehüllt vor dem Café Les Oiseaux mit Blick auf das Kaufhaus. Florence, die bereits vor mehr als 20 Jahren das Rauchen aufgegeben hatte, machte jedes Mal eine Ausnahme wenn sie mit Hélène zusammen war.

Nach einem kleinen Disput, den sie und Hélène einst miteinander hatten, hatte Florence ausnahmsweise eine Zigarette quasi als Friedenspfeife geraucht, und diesen Brauch hatten sie bei ihren selten stattfindenden Treffen beibehalten.

Warum sie denn so erstaunt gewesen sei, sie im Bon Marché anzutreffen, fragte Florence nun Hélène Mordent.

»Ehrlich gesagt, Florence, habe ich in diesem versnobten Konsumtempel wirklich nicht damit gerechnet, ausgerechnet dir zu begegnen. Hier verkehrt ja, abgesehen von einigen reichen Ausländern, nur die stockkonservative französische Bourgeoisie. Ich jedenfalls habe diese Art von Leuten, mit denen ich in meinem früheren Beruf als Sensalin viel zu tun hatte, seit meinem Rückzug ins Privatleben endgültig satt.«

»Aha und deshalb bist du ausgerechnet heute hier!«, antwortete Florence amüsiert. »Vielleicht hast du doch ein wenig Sehnsucht nach diesen Leuten?«

»Du hast mich erwischt, Florence«, antwortete Hélène mit gespielter Entrüstung. »Ich habe meine Gründe für den Ausflug in die Welt der Schönen und Reichen. Der erste ist politischer Natur, davon später. Der zweite allerdings pure Sentimentalität. Als Kind hat mich die Weihnachtsabteilung des Bon Marché immer sehr beglückt, und da wollte ich heute einmal kurz überprüfen, ob ich dieses Glücksgefühl noch nachempfinden kann.«

»Sie mal einer an, da haben wir ja etwas gemeinsam. Ich kann leider kein politisches Motiv für einen Besuch hier vorweisen. Die Familientradition und wohl auch etwas Sentimentalität haben mich heute hierher gebracht.«

Natürlich wollte Hélène nun mehr über diese Familientradition erfahren und so erzählte ihr Florence die Geschichte ihrer Tante Odette. Dabei blickte sie von Zeit zu Zeit verträumt zum Kaufhaus hinüber.

»Weißt du, Hélène«, meinte sie schließlich »von hier aus sieht das Bon Marché  so schön aus wie eh und je und man kann sich gar nicht vorstellen, dass jetzt im Inneren alles anders ist.«

Hélène Mordent seufzte.

»Genau, Florence. Die Zeiten haben sich eben geändert. Zur Zeit deiner Tante gab es noch recht passable Arbeitsbedingungen für die Angestellten des Kaufhauses. Die Familie, die das Kaufhaus gegründet hat, hatte eine soziale und fortschrittliche Ader. Die Arbeitsbedingungen für die Näherinnen und Spitzenklöpplerinnen, die in den Werkstätten der Zulieferer arbeiteten, waren jedoch schlimm. Leider ist das heute überhaupt nicht besser. Mich haben in letzter Zeit Zeitungsartikel erschüttert, die von den Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie berichten. Diese sind vielleicht noch katastrophaler als anno dazumal! Sogar Luxuslabels produzieren ihre Kleidung in Billiglohnländern! Ich sage dir, diese Waren werden mit dem Blut und den Tränen von Arbeitssklaven erzeugt!«

Den letzten Satz hatte sie mit einem für sie ungewöhnlichen Pathos gesprochen. Florence war erstaunt, aber bevor sie Hélène antworten konnte, fuhr diese fort.

»Weißt du, ich überlege allen Ernstes, eine Protestaktion zu starten, um auf diese Arbeitsbedingungen aufmerksam zu machen.« Jetzt sah sie Florence erwartungsvoll an.

»Du und Protestaktion, Hélène, das höre ich zum ersten Mal. Ich habe dich doch noch nie bei einer der Demos angetroffen, zu denen ich von Zeit zu Zeit gehe.«

»Da wirst du dich vielleicht noch wundern, Florence. Nur in der Welt herumreisen, reicht mir nicht. Du weißt doch, dass ich vorzeitig pensioniert wurde, weil unser Auktionshaus zugesperrt hat. Ordentlich abgefunden haben Sie mich ja. Jetzt will ich noch etwas Sinnvolles tun. Auf einer meiner letzten Reisen hat sich mein soziales Gewissen gemeldet. – Aber nun genug von mir. Sag mir lieber, was du zu Weihnachten vorhast.«

»Wenn ich das wüsste! Charles hat mich in sein Wochenendhaus in Saignon eingeladen! Ein bisschen spät, finde ich. Auf die Idee kam er nämlich erst, als er erfuhr, dass seine Tochter nicht mit ihm Weihnachten feiern würde.«

»Na und? Du weißt doch, wie die Männer sind! Nicht besonders großartig, wenn es darum geht, privat etwas zu planen. Wahrscheinlich ist ihm Weihnachten überhaupt erst eingefallen, als seine Tochter abgesagt hat. Der Mann hat Klasse, finde ich! Mich hat er wirklich beeindruckt, als ich ihn nach dem Gedenkkonzert für Lemercier kennengelernt habe.«

Florence hielt viel von Hélènes Urteil, und in Liebesangelegenheiten war sie vermutlich auch erfahrener als sie selbst. Während ihres Urlaubs in Avignon im letzten Sommer hatte Florence entscheidend zur Aufklärung des Mordes an dem berühmten Dirigenten Stephan Lemercier beigetragen, und zu dessen Gedenkkonzert in Paris waren sowohl Charles als auch Hélène und Honoré Mordent gekommen.

Florence wusste nicht, was sie Hélène antworten sollte. Nach diesem Konzert hatte sie mit Charles Florentin noch zwei bemerkenswert schöne Tage in Paris verbracht. Als er ihr aber nach seiner Abreise verliebte Briefe schrieb, hatte sie sich innerlich wieder zu distanzieren begonnen. Sie war sich über ihre Gefühle nicht im Klaren. Schuldgefühle, weil Charles durch sie im letzten Sommer in eine fürchterliche Lage geraten war, mischten sich mit einem seltsamen Gefühl der Sehnsucht nach ihm. Ihre persönliche Freiheit wollte sie bestimmt nicht aufgeben. Aber wäre das denn notwendig? Möglicherweise hatte sie so wie andere Frauen ihrer Generation eine etwas altmodische Vorstellung von der Beziehung zwischen Mann und Frau.

Hélène schien ihre Gedanken gelesen zu haben.

»Warum fährst du nicht einfach hin und quartierst dich, so wie im Sommer, in der Pension dieser Elena Gilbert ein? Dort hat es dir doch gefallen. Einen Mann wie Charles Florentin darf man sich nicht so einfach entgehen lassen. Ich hatte den Eindruck, dass er dir ohnedies aus der Hand frisst. Gestalte eure Beziehung zu deinen Bedingungen. Du bist eine so ungewöhnlich scharfsinnige Ermittlerin, Florence, aber was Männer betrifft, hast du noch einiges dazuzulernen.«

Florence musste lächeln. Hélène hatte natürlich wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen. Somit stand fest, wo sie Weihnachten verbringen würde. Das Wochenendhaus von Charles befand sich in einer herrlichen Gegend. Im Sommer war sie so sehr mit den Recherchen zu einem Mord beschäftigt gewesen, dass sie gar keine Zeit gefunden hatte, sich dort in Ruhe umzusehen.

»Es tut mir leid«, sagte Hélène »ich muss los! Mein lieber Mann erwartet mich zum Lunch im Les Deux Magots. Wir haben nämlich heute etwas zu feiern. Was, das verrate ich dir vielleicht ein anderes Mal.«

Schon am übernächsten Tag las Florence eine interessante Nachricht in den Tageszeitungen. Eine Unbekannte hatte am Tag zuvor Unmengen von bunten Etiketten vom obersten Stock des Kaufhauses Bon Marché bis ins Parterre hinunter schweben lassen. Diese waren mit einem grellroten Schriftzug bedruckt:

Kauft nichts von Chenil, Deor, Almeni und Neki! Diese Kleider wurden mit dem Blut und den Tränen von Arbeitssklaven erzeugt!

Der Unbekannten war es gelungen, die Etiketten in einer edlen Einkaufstasche in das Kaufhaus zu schmuggeln und nach dieser Aktion wieder unbemerkt unterzutauchen.

Florence musste nicht ihren scharfen Verstand bemühen, um sich vorstellen zu können, wer diese Dame gewesen war. Eine derartige Formulierung hatte sie vorgestern auch schon gehört. »Alle Achtung, Hélène«, murmelte sie, während sie gerade ihr Déjeuner in ihrem Lieblingsbistro verzehrte, »das hätte ich dir nun doch nicht zugetraut. Hoffentlich hast du da keine Dummheit gemacht.« Sie überlegte kurz, ob sie Hélène anrufen sollte, ließ es dann aber bleiben. Hélène würde schon wissen, was sie tat. Sie war bestimmt nicht daran interessiert, von einer ehemaligen Mitarbeiterin ihres Mannes Ratschläge entgegenzunehmen.

2

Zwei Tage vor Weihnachten saß Florence im Schnellzug nach Avignon und blätterte in einer Tageszeitung. Ein Foto auf der vorletzten Seite des sonst recht uninteressanten Blattes erregte ihre Aufmerksamkeit. Drei elegante Pariserinnen mittleren Alters präsentierten sich einer Kamera und zeigten auf bunte Etiketten, die an ihren Mänteln befestigt waren. In einem kurzen Interview bekundeten sie ihre Solidarität mit der Unbekannten aus dem Kaufhaus Bon Marché. »Sie hat unser Gewissen wach gerüttelt«, sagte eine von ihnen. »Wir nehmen diese Botschaft ernst und kaufen ab jetzt nur mehr fair produzierte Bekleidung.« Florence ertappte sich dabei, wie sie ihrer Freundin Hélène Beifall klatschte. Sie war überzeugt davon, dass diese hinter dem Vorfall stand.

Florence hatte sich in der Zwischenzeit noch genauer über die Zustände in den Textilfabriken in Bangladesch und anderen Ländern der Dritten Welt informiert und war schockiert gewesen. Sie selbst hatte sich diesbezüglich wenig vorzuwerfen.

Ein erheblicher Teil ihrer Garderobe wurde im kleinen Modeatelier ihrer Nachbarin Sarah Laurent produziert, deren handwerkliches Können und Kreativität nichts zu wünschen übrig ließen. Den Rest erwarb sie in kleinen Boutiquen im Marais, in denen sie seit Jahren Stammkundin war. Es war ihr immer wichtig gewesen, gut angezogen zu sein, aber sie hatte weder Zeit noch Lust für ausgedehnte Einkaufsbummel und mied Großkaufhäuser.

Jetzt musste sie an ihre erste Zugfahrt nach Avignon denken, die vor einem halben Jahr stattgefunden hatte und bei der sie die Bekanntschaft von Chantal Florentin, der Tochter von Charles, gemacht hatte. Die ihr unbekannte junge Musikerin hatte sie damals nämlich auf ihre schicke Jacke angesprochen, und daraus hatte sich ein Gespräch entwickelt, das letztendlich zur Bekanntschaft zwischen Charles und Florence geführt hatte.

Diesmal war ihr Zugabteil recht leer geblieben, und die ruhige und angenehme Bahnfahrt neigte sich bereits ihrem Ende zu.

Florences ursprünglicher Plan, in Saignon in der charmanten Pension von Madame Elena Gilbert zu nächtigen, hatte sich leider nicht in die Tat umsetzen lassen, da deren Haus zu Weihnachten bereits ausgebucht gewesen war. So hatte sie doch die Einladung von Charles angenommen, bis zum Neujahrstag in seinem Wochenenddomizil zu nächtigen. Wie er ihr via Telefon beteuert hatte, gab es dort mehr als ein Zimmer, in das sie sich in Ruhe zurückziehen konnte. Eingedenk ihres Gesprächs mit Hélène hatte sie dennoch ein Zeichen ihrer Unabhängigkeit setzen wollen und sich einen eigenen Wagen gemietet. Sie war eine gute Autofahrerin, hatte zwar in Paris nie ein Auto besessen, jedoch früh ihren Führerschein gemacht und viele Fahrten am Steuer von Dienstwägen absolviert.

Als sie am Bahnhof von Avignon ihren Mietwagen abholte, herrschte dichter Nebel. In dem Kiosk, in dem sich ihr Autoverleih befand, war sie die einzige Kundin. Die Formalitäten waren rasch erledigt, und bald darauf hatte sie in ihrem kleinen Toyota auch schon die mächtigen Stadtmauern von Avignon erreicht. Dort geriet sie jedoch in einen Stau. Nur ein Fahrstreifen war befahrbar, und es ging im Schritttempo voran. Als ihr Wagen endgültig zum Stehen kam, sah sie, dass sie sich auf der Höhe des Gebäudes der Police National befand.

Der Anblick dieses lang gestreckten, reizlosen Bauwerks war ihr vertraut. Sie hatte es im letzten Sommer kennengelernt und einer ihrer früheren und von ihr sehr geschätzten Arbeitskollegen aus Paris, Antoine Lambert, war hier der Chef. Hatte es einen Autounfall gegeben? Nein, danach sah es nicht aus. Kein Autowrack, keine Feuerwehr, auch keine Rettungsfahrzeuge, dafür eine Phalanx von Polizisten sowie Personen in weißer Schutzkleidung, die sich schemenhaft im Nebel bewegten. Mehr konnte sie nicht erkennen, doch ihr geschultes Auge ordnete das Geschehen als Schauplatz eines Verbrechens ein.

Soeben wurde von zwei Beamten wieder ein weiterer Fahrstreifen freigegeben, und einer von ihnen bedeutete ihr weiterzufahren. Sie beschloss, nach vorne zu blicken und sich nicht länger mit dem zu befassen, was hier möglicherweise geschehen war.

Nach einigen Kreuzungen und Abzweigungen zeigte ihr Navi an, dass sie sich auf der D900 befand, die in die kleine Stadt Apt führte. An deren nördlichen Rand befand sich der Gebirgszug des Luberon, zu dem auch Saignon, das Ziel ihrer Reise, gehörte. Florence freute sich auf diesen malerischen Ort. Gleich einer Festung thronte er hoch über Apt, das ihr im Vergleich dazu wie die hübsche, aber schlichte und pragmatische Schwester einer stolzen Prinzessin erschien.

Hier am Land hatte sich der Nebel fast zur Gänze verflüchtigt, und befreit brauste sie los. Es herrschte wenig Verkehr, und schneller als gedacht war sie in Apt. Am Eingang des Städtchens entdeckte sie einen freien Parkplatz und einer spontanen Eingebung folgend, fuhr sie hinein. Sie hatte Lust auf einen Bummel durch die Provinzstadt, denn bei ihrem letzten Aufenthalt hatte sie außer dem Krankenhaus wenig davon gesehen.

In der Stadt ging es zu dieser nachmittäglichen Stunde überraschend lebhaft zu. Die Menschen machten Weihnachtseinkäufe. Eine schmale Straße, den Fußgängern vorbehalten, schlängelte sich mitten durch das Städtchen. Florence war keine fünf Minuten unterwegs, als auch schon ein bekanntes Gesicht vor ihr auftauchte. Es war Elena Gilbert, die Vermieterin der Künstlerpension in Saignon, in der sie schon einmal genächtigt hatte und in der diesmal kein Zimmer mehr frei gewesen war. Elena Gilbert war eine aparte Erscheinung. Schlank und mittelgroß fiel sie auch jetzt wieder durch ihre extravagante Kleidung und ihr kohlrabenschwarzes Haar auf, das ihr in einem asymmetrischen Zopf über die Schulter hing und diesmal von einigen rotgoldenen Strähnen durchzogen war.

»Ah, Madame Beaumarie«, beim Anblick von Florence hatte diese sofort eine schuldbewusste Miene aufgesetzt, »ich freue mich ja so, Sie wiederzusehen. Sie müssen mir glauben, dass ich Sie wirklich gerne als Gast bei mir gehabt hätte.«

Florence erinnerte sich noch gut an das entsetzte Gesicht von Elena, als sie im vergangenen Sommer direkt vor deren Haustür von der Polizei abgeführt worden war.

»Danke, dass Sie das sagen, Madame Gilbert. Meine Abreise hatte sich ja damals einigermaßen ungewöhnlich gestaltet, und ich muss mich noch nachträglich für die Aufregung entschuldigen, die ich bei Ihnen verursacht habe.«

»Sie müssen sich nicht entschuldigen, Madame. Sie sind eine Heldin! Ich weiß doch mittlerweile, worum es damals ging. Wenn sie jetzt für ein paar Tage in Saignon sind, müssen Sie mich unbedingt einmal besuchen. Ich war wirklich geschockt, als Sie damals im Polizeiwagen nach Avignon gefahren wurden. Wissen Sie, dort, wo ich herkomme, habe ich auch einmal Bekanntschaft mit der Polizei gemacht, und das hat letztendlich dazu geführt, dass ich meine Heimat verlassen musste. Ich kann heute noch kaum darüber sprechen.«

Sie seufzte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Das ist aber jetzt wirklich nicht der richtige Ort für so ein Thema. Sind Sie vielleicht auch auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken? Ich könnte Ihnen ein Geschäft zeigen, das eine Bekannte vor einem Jahr hier eröffnet hat. Sie verkauft ausschließlich Sachen von kleinen heimischen Handwerksbetrieben und hat wirklich einen besonderen Geschmack. Ich war gerade dort. Heute ist sie selbst im Geschäft, weil ihre Verkäuferin erkrankt ist.«

»Warum nicht? Vielleicht entdecke ich ja doch noch ein Geschenk für Charles. Ich habe noch nichts gefunden. Notfalls bringe ich ihm eine Flasche Muscat Beaumes de Venice mit, den ich selbst gerne mag.«

»Im Fall von Charles würde ich Ihnen zu Whisky raten, Madame Beaumarie. Zu dieser Jahreszeit ist es für ihn das Schönste, mit einem Glas Whisky und einem Buch vor seinem Kamin zu sitzen. Er hat sein Lieblingsgetränk gerne rauchig. Darf ich Ihnen einen Tipp geben?«

Als Florence nickte, fuhr sie fort: »Sie könnten ihm eine Flasche Lagavulin Single Malt mitbringen, denn den leistet er sich nur selten. Er kann ein wenig knausrig sein, wenn es um ihn selbst geht.«

Auf die Frage von Florence, ob man den hier in Apt kaufen könne, deutete Elena Gilbert in eine Seitengasse.

»Gleich hier in dieser Gasse ist das Geschäft von Eloise Bonnet, und an deren Ende gibt es einen Platz, auf dem sich eine exzellent ausgestattete Vinothek befindet. Sie gehört Raimond, und der hat auch ein schönes Whisky-Sortiment. Wenn es Ihnen passt, begleite ich Sie noch bis zum Geschäft von Eloise. Dann muss ich schnell zurück nach Saignon. Ich erwarte eine größere Gruppe von Gästen aus Deutschland. Seit die Journalistin eines bekannten deutschen Magazins mein Haus als ›Geheimtipp‹ beschrieben hat, rennen mir die Deutschen die Türe ein.«

»Dann machen Sie ja bestimmt gute Geschäfte.«

»Na ja, wie man es nimmt. Unser Hauptinteresse ist doch die Galerie im Erdgeschoss, und die wird von diesen Leuten nur bestaunt, aber kaufen tun sie nichts. Diese Deutschen erwarten sich Wunder von meiner Pension, haben aber ständig etwas zu bemängeln. Ab dem neuen Jahr wird dieser Teil unseres Betriebes wieder geschlossen, und dann werden hier nur mehr einige ausgewählte Gäste und Künstler wohnen. Sie können im Übrigen jederzeit gerne meinen Garten aufsuchen!«

Schon war sie verschwunden und hatte offensichtlich vergessen, dass sie Florence noch das Geschäft ihrer Bekannten zeigen wollte. Das war ohnedies leicht zu finden. De belles Choses hieß es und auf einer kleinen Plakette an der Tür war auch der von Elena genannte Name der Inhaberin eingraviert: »Eloise Bonnet«.

Als sie in den Verkaufsraum eintrat, sah sie, dass sie die einzige Kundin war. Die Wände waren weiß gekalkt, die Regale aus hellem Holz. Alles sehr schlicht, aber dennoch einladend. Unter den Dingen, die hier ausgestellt waren, gab es kaum etwas, das ihr nicht gefallen hätte. Aber auch nichts, was sie wirklich dringend brauchte.

»Alles, was Sie hier sehen, ist unter regionalen und fairen Bedingungen produziert«, erklärte ihr die Geschäftsinhaberin, eine elegante Frau in mittleren Jahren. Sie trug ein buntes, exotisch anmutendes Kleid, das ihre schlanke Taille betonte. Darüber eine rote Strickjacke aus feinem Mohair. Die auffallend dichten dunkelbraunen Haare wurden von einem roten Haarreif aus der Stirn gehalten. Eine hohe Stirn, ein schmales Gesicht und ein rot geschminkter Mund, bei dem sich Florence nicht sicher war, ob sie ihn als eher verdrossen oder trotzig bezeichnen würde.

Beim Eingang entdeckte Florence ein Regal mit den obligaten Lavendelprodukten. In dieser Gegend kam wohl kein Geschenk- oder Souvenirladen ohne dieses Markenzeichen des Luberon aus. Ähnlich verhielt es sich mit den herrlich duftenden, von Hand fabrizierten Seifen, ebenfalls ein beliebtes Produkt der Provence, die hier nach Farben geordnet in mit Seidenpapier ausgeschlagenen Schachteln gleich daneben präsentiert wurden.

»Das ist eine echte Savon de Marseille«, erklärte die Geschäftsfrau. »Sie kommt aus einer kleinen Savonerie, die sich auf der Insel Ratonneau vor Marseille befindet. Es gibt ja massenhaft Seifen in der Provence zu kaufen, aber nur wenige, die nach altem Originalrezept mit ausschließlich natürlichen und allerbesten Zutaten hergestellt werden.« Sie nahm ein Stück aus der Schachtel und hielt es Florence unter die Nase. »Mein Lieblingsduft, Zitrone! Es gibt für mich keine bessere Seife.«

Florence, der man mit einem falschen Duft schnell die Laune verderben konnte, war beeindruckt. Dieser Duft war faszinierend. Hell, freundlich, beglückend und dennoch unaufdringlich und nach ihrem Geschmack noch besser zur Gegend passend als der Duft von Lavendel. Das wäre vielleicht ein Mitbringsel für Hélène Mordent, überlegte sie, aber das muss ich nicht gleich am ersten Tag kaufen! Vielleicht komme ich ja eines Tages sogar noch auf diese Insel, auf der die Seife hergestellt wird.

Während sie noch überlegte, fiel ihr Blick auf eine Gruppe kleiner mit Lackfarben bemalten Tonfiguren. Ein bezauberndes kleines Orchester von Elfen und Feen! Auch eine pausbäckige, Trompete blasende Figur war darunter. Die Seife war vorerst vergessen. Nun war es keine Frage mehr, welches Geschenk Charles zu Weihnachten bekommen würde. Sie hatte ihm zwar nie verraten, dass sie seine Tochter Chantal insgeheim gerne als »die Elfe« bezeichnet hatte, aber diese Figur hatte Ähnlichkeit mit der jungen Trompeterin und würde hervorragend auf seinen Kaminsims passen – so er einen hatte. Die Geschäftsinhaberin hätte Florence gerne das ganz Orchester verkauft, musste sich jedoch damit begnügen, dass ihre Kundin nur eine Figur nahm. Als Florence sie bat, ihren Kauf als Weihnachtsgeschenk einzupacken, bedauerte sie. Das Geschenkpapier sei ihr ausgegangen.

Sie nahm das Figürchen. »Darf ich es in Zeitungspapier einwickeln? Ich habe gerade nichts anderes, und es soll ja nicht zerbrechen.«

Florence nickte und hielt bald darauf eine kleine braune Papiertüte mit der in Zeitungspapier eingewickelten Figur in den Händen. Irgendwie fand sie das unpassend für diese schöne Figur. Als sie den durchaus stolzen Preis bezahlt hatte, fiel ihr noch einmal die Seife ein, denn deren Duft hatte inzwischen eine feine Spur der Erinnerung in ihrem Gehirn hinterlassen.

»Wie hieß die Insel, auf der die Seife produziert wird?«, fragte sie.

»Ile de Ratonneau.« Der Ton, den die Verkäuferin jetzt anschlug, war gereizt. »Kaufen können Sie sie aber nur bei mir. Ich habe einen Exklusivvertrag mit der Savonerie.«

»Ich werde es mir überlegen«, sagte Florence. Ihre Kauflust war weg. Sie würde noch den Whisky besorgen und dann schnellstens zu Charles fahren.

Als sie 20 Minuten später die steile, gewundene Straße nach Saignon hinauffuhr, begann es bereits zu dämmern. Die locker verteilten Büsche und Bäume links und rechts der Straße hatten die Gestalt von Gespenstern angenommen. Vereinzelt war ein steinernes Haus zu sehen, in dem die ersten Lichter angingen. Unten in Apt der Trubel, hier auf dem Weg nach oben eine ganz andere Atmosphäre, fast als würde sich ein Fenster in längst vergangene Zeiten öffnen. Als sie in Apt weggefahren war, hatte sie Charles Florentin per SMS von ihrer baldigen Ankunft verständigt. Und da war er auch schon! Im Schein einer Straßenlampe erwartete er sie auf dem beinahe leeren Parkplatz neben der Kirche des Ortes. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie ihn für den Weihnachtsmann gehalten. Er trug eine rote Daunenjacke und hatte sich einen kurzen weißen Bart wachsen lassen.

Er musste lachen, als sie ihn darauf ansprach: »Du hast mit deiner Vermutung gar nicht so unrecht. Seit einigen Jahren muss ich hier bei den Kindern einer befreundeten Familie als Père Noël antreten. Sie fanden, dass ich mit meinem Aussehen und wohl auch Alter der richtige Kandidat für diesen Job bin. Ich hasse Bärte aus Watte, deshalb lasse ich mir im Winter immer einen wachsen. Sollte er dir allerdings nicht gefallen, Florence, muss er in drei Tagen wieder ab.«

Florence war dankbar für dieses Thema. So waren sie ungezwungen ins Gespräch gekommen, auf eine kumpelhafte Weise, mit der sie gut umgehen konnte.

Nach einer kurzen Umarmung nahm er ihr den Koffer ab und reicht ihr den Arm. Sie hakte sich bei ihm ein. Bildete sie es sich ein oder roch er ein wenig nach Whisky?

Er war jedenfalls bester Laune. »Ich liebe Weihnachten hier oben. Es ist nicht viel los, und so ist es genau richtig. Das Wetter ist meist angenehm mild, und im Haus ist es besonders gemütlich.«

Tatsächlich begegnete ihnen keine Menschenseele, als sie den Ort durchschritten. An den Häusern angebrachte Laternen warfen lange Schatten in die engen Gassen. Auch hier ein Gefühl, als wäre man in einem früheren Jahrhundert gelandet. Es hätte Florence nicht überrascht, wenn ein Nachtwächter mit langem Mantel und Hellebarde aufgetaucht wäre.

Charles hatte sein altes, drei Stockwerke hohes Haus von seiner Mutter geerbt. Im Erdgeschoss befanden sich ein großzügiger Flur, ein Abstellraum und eine Bibliothek. Er war Inhaber eines Buchantiquariats in Avignon und hatte Florence einmal erklärt, dass seine Leidenschaft für Bücher weit über das Berufliche hinausging und deshalb schon immer in seinen Behausungen Bücherregale wucherten. »Ideal ist es hier für die Bücher nicht«, sagte er jetzt, als sie einen kurzen Blick in die Bibliothek warfen. »Ich muss ständig lüften und auf die richtige Raumtemperatur achten, aber schwere Bücherkisten über enge Treppen nach oben zu schleppen ist auch kein Vergnügen.«

»Jedenfalls werde ich hier für die Weihnachtsfeiertage bestimmt die passende Lektüre finden«, sagte Florence und blickte neugierig in den im Dämmerlicht liegenden Raum.

»Das wirst du ganz bestimmt, und diesmal wirst du es in Saignon geruhsam haben, das schwöre ich dir! Wir werden uns oben im Kamin ein Feuer machen und angenehme Stunden verbringen.«

Als sie darauf nicht sofort reagierte, fügte er hinzu: »Aber vielleicht bist du ja gar nicht der Typ für Träumereien an französischen Kaminen, sondern hättest Lust, etwas zu unternehmen. Auch damit kann ich gerne dienen, wenn es dabei nicht allzu aufregend wird.«

»Mir ist alles recht, Charles. Ich freue mich jedenfalls auf ruhige Tage und brauche bestimmt keine Abenteuer.«

Wenig später saßen sie im Salon im obersten Stock vor einem imposanten gemauerten Kamin. Mit drei großen Holzscheiten hatte Charles dem verglimmenden Feuer neue Nahrung gegeben und sich dann tatsächlich eine Pfeife angezündet. Statt in altmodischen Lehnstühlen saßen sie in bequemen Campingsesseln, die wohl im Sommer auf der Terrasse standen, zwischen ihnen ein kleines Tischchen mit Whiskygläsern. Charles hatte den Lagavulin Single Malt freudig in Empfang genommen. »Macht es dir was aus, wenn ich uns diese Köstlichkeit gleich heute zum Aperitif serviere?« Florence hatte lachend den Kopf geschüttelt. Natürlich machte es ihr nichts aus. Ein paar Schlückchen würden auch zu ihrer Entspannung beitragen.

Zuvor hatte er sie in ihr Zimmer im ersten Stock geführt. Ein großzügig bemessener Raum mit einem altmodischen Doppelbett, einer großen Kommode, einem geblümten Sofa nebst zwei Fauteuils und einem ovalen Tisch mit vier Sesseln. Die Bilder an den Wänden waren Zeugen vergangener Zeiten, teils Landschaften, teils Familienporträts. Später sollte sie erfahren, dass hier früher die Küche gewesen war. Eigentlich war das Haus ein altes Bauernhaus, und direkt unter ihrem Zimmer hatte sich einmal der Schafstall befunden. Als Charles’ Mutter das Haus, in dem sie geboren und aufgewachsen war, von seiner Großmutter geerbt hatte, hatte sie sich von seinem Vater bereits wieder getrennt und war mit einem Ingenieur aus Paris verheiratet. Der konstruierte nicht nur Brücken, sondern hatte auch dieses Haus umgebaut. Die Dachterrasse kam dazu, und Küche und Salon wurden ganz nach oben verlegt.

Warum finde ich das alles durchaus bezaubernd und bin dennoch irritiert?, fragte sich Florence gerade. Die Szene vor dem Kamin hätte wahrscheinlich auch aus einem Kriminalroman von Agatha Christie oder Dorothy Sayers stammen können, nur dass es hier keine Toten und bestimmt auch keinen Grund gab zu befürchten, dass sich das noch ändern würde. Wie hatte Hélène Mordent in Paris zu ihr gesagt? »Stolpere mir bitte nicht wieder über eine Leiche!« Wenn sie mich hier so sehen würde, würde sie genau das jetzt von mir erwarten, dachte Florence. Wie Miss Marple am Beginn eines Kriminalromans! Na gut, Hélène hatte sie ja auch oft genug in einer derartigen Rolle erlebt, ständig mit einem Mordfall beschäftigt und jedes Mal davon besessen, diesen aufzuklären.

Gerade jetzt hatte sie aber genug von dieser Rolle. Man sollte sich ihrer dereinst nicht nur als wandelndes Klischee erinnern.

Sie schüttelte den Kopf um ihre Irritation loszuwerden. Es musste doch möglich sein, es sich ohne Hintergedanken einfach nur gutgehen zu lassen.

Charles registrierte ihre Bewegung und wandte ihr sein von Whisky und Kaminfeuer gerötetes Gesicht zu.

»Was beschäftigt dich, Florence?«, fragte er und lieferte gleich darauf selbst eine Erklärung. »Vermutlich ist dir nicht ganz wohl dabei, hier einem alten Junggesellen ausgeliefert zu sein, zusammen mit dem Chaos, das ihn umgibt!«

Aha, dachte Florence. Fishing for Compliments, sprach es jedoch nicht aus. Es stimmte schon, es herrschte hier eine gewisse bohemehafte Unordnung, aber die würde sie nur in ihrer eigenen Wohnung stören. Hier gefiel es ihr.

»Ganz und gar nicht«, sagte sie deshalb lächelnd, dachte sich jedoch, dass an seiner Aussage auch etwas dran war. Auf fremdem Territorium hatte sie sich noch nie so gut entspannen können wie bei sich zu Hause. Jetzt war sie aber nun einmal hier, und es wäre vielleicht keine schlechte Idee, ihrem kritischen Verstand eine kleine Verschnaufpause zu gönnen und die Situation zu nehmen, wie sie war.

Charles hatte wirklich noch eine andere Antwort verdient. »Ich finde es hier ausgesprochen schön, Charles. Das Haus ist ein Juwel und hat eine besondere Atmosphäre, die gerade zu dieser Jahreszeit perfekt passt. Und auch zu dir, wie mir scheint.«

Charles nickte nur und sank entspannt in seinen Lehnsessel zurück.

»Danke, Florence«, sagte er, »das hört man natürlich gerne.«

Sie war aber noch nicht ganz fertig.

»Bitte verstehe aber auch, dass ich noch ein wenig Zeit brauche, mich zu akklimatisieren. So viel Idylle auf einem Fleck ist auch gewöhnungsbedürftig.«

3

»Ich dachte mir, du wirst nach der langen Reise bestimmt hungrig sein.«

Zum Abendessen überraschte Charles mit einem »Tian à la provençal«, und zwar eine winterliche Version mit Kürbis und servierte dazu er frisches Baguette und ein kleines Steak mit einem Zweig Thymian.

»Oh nein, ich stehe nicht andauernd in der Küche«, sagte er nachdem Florence ihn begeistert auf seine Kochkünste angesprochen hatte. »Ich esse nur gerne und habe aus der Not eine Tugend gemacht. So habe ich mir ein überschaubares Repertoire an Speisen erarbeitet. Alles Rezepte, die mir bei Freunden besonders gut geschmeckt haben und die ich ihnen abgeluchst habe. Sogar bei einigen Restaurantköchen ist mir das gelungen. Den Thymian habe ich gestern oben am Luberon gepflückt. Wenn du willst, zeige ich dir, wo. Da herrscht eine wunderbare Stille, und man hat großartige Ausblicke.«

Florence hatte tatsächlich Lust und war auf einmal sehr neugierig darauf, diese lichten Wälder, in denen unterschiedliche Kiefern und Eichen wuchsen und durch die sie im Sommer mit dem Auto gefahren waren, zu Fuß zu erkunden. Als sie ihn nach den Pflanzen und Tieren fragte, die es dort gab, zeigte er sich äußerst kundig und gab so ausführliche Erklärungen ab, dass sie über seinen beständigen Redefluss einnickte.

»Wie wäre es, Florence«, schlug er ihr deshalb vor, »wenn du jetzt ins Bett gehen würdest. Kein Wunder, dass du nach diesem langen Reisetag bei meinem Gelaber eingeschlafen bist.«

»Kommt nicht infrage, Charles«, sie sprang sofort auf, »so früh gehe ich grundsätzlich nicht ins Bett. Ich räume jetzt das Geschirr in die Spülmaschine. Du hast heute schon genug für mich getan.«

»Da muss ich dich enttäuschen, Florence.« Er sah sie belustigt an. »Ein solches Gerät besitze ich nicht!«

»Ach ja, das habe ich ganz vergessen. Sie sind ja ganz schön altmodisch, Monsieur«, scherzte sie, »vielleicht sollte ich Ihnen zu Weihnachten eine schenken.«

»Merci beaucoup, meine Liebe, so etwas brauche ich nicht. Geschirr abwaschen ist etwas, was ich sehr gerne mache. Eine meditative Tätigkeit, die dem Büchermenschen zu etwas zusätzlicher Bewegung verhilft. Wenn du noch nicht ins Bett gehen willst, dann setz dich stattdessen vor den Fernsehapparat. Ich habe am Vormittag gelesen, dass heute der erste Teil des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach übertragen wird. Eine angeblich besonders gelungene, schon über 30 Jahre alte Aufführung aus einer kleinen Kirche in Autriche, dirigiert vom Barockspezialisten Nicolaus Harnoncourt übrigens. Ich nehme an, deine Leidenschaft für barocke Klänge ist ungetrübt?«

»Oh ja, das würde mir gefallen«, antwortete Florence, »Monsieur Harnoncourt ist ein großartiger Dirigent.«

Schon hatte Charles die Fernbedienung in der Hand und rückte Florence einen Sessel vor dem altmodischen Fernseher zurecht, der sich genau zwischen Küche und Salon befand.

Als er einschaltete, erschien jedoch auf dem Bildschirm statt dem festlichen Inneren einer Kirche eine Straßenszene mit Blaulicht und Polizeiaufgebot.

»Hoppala«, sagte Charles, »das ist unser regionales TV, das ich zuletzt geschaut habe. Ich schalte gleich um.«

»Warte mal, Charles«, sagte sie »das interessiert mich jetzt doch. Das scheint ein Bericht über jenen Vorfall zu sein, wegen dem ich in Avignon in den Stau geraten bin.«

Charles, der seinen Teller bereits abgestellt hatte, hielt gehorsam inne und sah sich gemeinsam mit Florence den Bericht an.

Eine Sprecherin des Regionalsenders meldete, dass heute gegen 14 Uhr etwa 50 Meter vom Polizeikommissariat entfernt auf eine junge Frau geschossen worden war. Es habe zu dieser Zeit dichter Nebel geherrscht. Alles sei blitzschnell abgelaufen, und es gäbe nur wenige und widersprüchliche Zeugenaussagen. Es seien aber Schüsse zu hören gewesen, und kurz darauf habe ein junges Paar eine Frau entdeckt, die in ihrem eigenen Blut am Gehsteig lag und lebensgefährlich verletzt war. Die Polizei war naturgemäß schnell zur Stelle und hatte sofort Arzt und Rettung verständigt, da die Frau noch am Leben gewesen sei. Sie sei in die Intensivstation des Krankenhauses gebracht worden, wo sie jetzt noch liege und nach wie vor in Lebensgefahr schwebe. Die Straße sei für längere Zeit gesperrt und ein mehrere Kilometer langer Stau die Folge gewesen. Etwaige weitere Zeugen der Bluttat würden noch gesucht und dringend ersucht, sich bei der Polizei melden.

Als der Bericht beendet war, schaltete Charles auf Arte um, aber das Konzert hatte noch nicht begonnen. Er stellte den Ton leiser.

»Was für eine schreckliche Geschichte! Da hat ja Kommissar Lambert ausgerechnet vor Weihnachten einen Fall direkt vor seine Haustür serviert bekommen. Man kann ihm nur wünschen, dass er ihn bald aufklären kann. Und der Frau, dass sie die Tat überlebt. Du hast mir ja gar nichts davon erzählt, dass du dich schon wieder rein zufällig am Ort eines Verbrechens befunden hast.«

»Was hätte ich dir auch erzählen können? Ich bin im Stau gesteckt, und im Nebel habe ich nichts erkennen können. Hoffentlich überlebt die Frau. Das wäre auch Lambert zu wünschen.«

»Dann hast du ja eigentlich Glück gehabt, Florence, dass du nicht schon wieder Tatzeugin geworden bist.«

»Allerdings, Charles. Wenn ich daran denke, was Hélène Mordent vor meiner Abreise zu mir gesagt hat: ›Stolpere mir nicht wieder über eine Leiche.‹ Wenn ich etwas früher dort gewesen wäre, wäre mir das vielleicht tatsächlich passiert.«

»Und mit unserem Weihnachtsfrieden hier wäre es vorbei gewesen. Gott sei Dank bist du ohne Zwischenfälle in Saignon gelandet, und da die Frau am Leben ist, gibt es glücklicherweise auch keine Leiche.«

»Du hast recht, Charles. Die Sache ist tragisch, geht uns aber nichts an. Dabei fällt mir ein, dass ich dir noch nichts von der Essenseinladung der Lamberts berichtet habe. Antoine hat mich vor meiner Abreise in Paris angerufen. Ich habe ihm erzählt, dass ich zu Weihnachten im Süden bin. Er und seine Frau haben uns für den kommenden Samstag zum Abendessen in ihre Wohnung eingeladen. Du bist ausdrücklich mit eingeladen. Ich fürchte, das habe ich dir noch nicht gesagt. Könntest du da überhaupt?«

»Nein, das hast du mir noch nicht gesagt, und ja, im Prinzip könnte ich. Aber werden da die beiden ehemaligen Kollegen aus dem Pariser Kommissariat nicht ständig über diesen neuen Kriminalfall sprechen? Dann komme ich lieber nicht mit, denn von solchen Themen habe ich vorerst genug.«

»Das kann ich verstehen, Charles. Ich bin mir sicher, dass seine Frau Durya mit dir gemeinsame Sache machen und das zu verhindern wissen wird. Das ist im Übrigen auch in meinem Interesse.«

»Dann ist es ja gut, dann begleite ich dich gerne. Einem Bürger von Avignon schadet es ja grundsätzlich nicht, wenn er gute Kontakte zur Polizei pflegt. Seine Frau heißt also Durya. Ein schöner und irgendwie exotischer Name. Ist sie eine gebürtige Französin?«

»Ja, das ist sie. Geboren in Biarritz, wie sie mir erzählt hat. Ihre Eltern stammen aus Algerien. Durya Lambert hat einen Abschluss in Philosophie und hat anschließend noch eine Ausbildung zur Sozialarbeiterin gemacht. Sie leitet jetzt das Frauenhaus in deiner Heimatstadt.«

»Ah. Ich glaube, dann weiß ich, wer sie ist. Wie ich dir schon erzählt habe, habe ich ein paar kleine Ehrenämter in Avignon inne, und mit der Leiterin des Frauenhauses bin ich vor nicht allzu langer Zeit anlässlich eines Empfanges bei der Bürgermeisterin ins Gespräch gekommen. Eine interessante Frau. Ihren Namen muss ich allerdings in dem Trubel überhört haben. Sie hat Spenden für die Einrichtung von Wohngemeinschaften gesammelt, in welche die Frauen nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus einziehen können. Die Lamberts sind ein interessantes Paar. Er der Polizeichef, sie die Leiterin einer Zufluchtsstätte für Frauen. Da ergeben sich sicher Kooperationsmöglichkeiten.«

»Das ist nicht auszuschließen, Charles. Jedenfalls wirst du dich mit ihr gut verstehen.«

Genau in diesem Moment erschien auf dem Bildschirm das Bild eines barocken Altarraumes, dessen schwarz-goldene Pracht von zwei riesigen, von zahllosen Lichtern bestückten Weihnachtsbäumen beinahe ins Unendliche gesteigert wurde. Gleich darauf erschallte das »Jauchzet, frohlocket«, der Auftakt zu Bachs Weihnachtsoratorium, das jeden Liebhaber klassischer Musik unmittelbar in eine festliche Stimmung katapultiert. Florence sank mit glänzenden Augen in ihren gepolsterten Sessel zurück, und alle fragenden und zweifelnden Gedanken waren für die nächste Stunde ausgelöscht.

Auch Charles hatte sich einen Sessel herangezogen, und als er nach einiger Zeit seine Hand wie zufällig auf ihr Knie gleiten ließ, lächelte sie ihn versonnen an und rückte ein wenig näher an ihn heran.

Als das Konzert zu Ende war, blieben sie noch eine Weile so sitzen, bis sie den Bann brachen.

»Das war eine ausgezeichnete Idee, Charles. Ich hätte jetzt nichts gegen ein weiteres Schlückchen deines guten Weines, und dann wird es Zeit für mich, ins Bett zu gehen.«

Als er gleich darauf mit dem gefüllten Weinglas wiederkehrte, hatte sie es sich anders überlegt.

»Eigentlich will ich jetzt doch keinen Wein mehr, mein Lieber, eigentlich will ich dich.«

Sie wusste selbst nicht genau, was in sie gefahren war. Später dachte sie sich, dass die Zeit des Vorspiels für sie beide schon lange genug angedauert hatte. Die Musik hatte natürlich ihren Teil dazu beigetragen. Das Jauchzen und Frohlocken hatte die Tür zu ihren Gefühlen weit aufgemacht und gemeinsam mit dem Wein den Verstand ein wenig ausgeschaltet. Wortlos hatte Charles das Weinglas abgestellt, seine Arme weit geöffnet und sie mit einem so liebevollen Blick bedacht, dass sie sicher sein konnte, genau das Richtige getan zu haben.

Es wurde für beide eine schöne Nacht in dem großen Bett ihres Schlafzimmers, in dem sich vermutlich schon Generationen von Paaren geliebt hatten.

Am nächsten Tag hatte sie kein anderes Bedürfnis außer das, mit Charles zusammen zu sein, und da das Wetter angenehm mild war, fuhren sie hinauf auf das Hochplateau. Er wusste viel über die Geschichte dieser einzigartigen Gegend zu erzählen und zeigte ihr einige der sogenannten Bories, kleine, aus Natursteinen gebaute Hütten, die in alten Zeiten den Bauern als Unterschlupf und Lagerstätten gedient hatten und oft derart reizvoll in die Landschaft eingefügt waren, dass sie kleinen Kunstwerken glichen. Unterhalb, im stillen Tal von Buoux, gab es ein kleines Restaurant, das für seine wunderbaren Hors d’œuvres bekannt war. Sie wollten dort essen, mussten jedoch zu ihrem Bedauern feststellen, dass es geschlossen hatte. Dies tat jedoch ihrer Hochstimmung keinen Abbruch. Sie fuhren weiter in den Ort Bonnieux und verweilten auf diese Weise noch länger in luftiger Höhe. Dort genossen sie bei einem kleinen Imbiss ihren Kaffee und den weiten Blick über das Land. Auf der Heimfahrt besorgten sie sich in einem Geschäft in Apt eine schon fertige Lasagne, denn sie hatten keine Lust zum Kochen.

Als sie dann nach Einbruch der Dämmerung wieder mit ihrem Whisky vor dem Kamin saßen, fand Florence dies überhaupt nicht mehr sonderbar oder irritierend. Sie hatte nämlich beschlossen, das Neue, das ihr das Leben im Moment bot, einfach nur zu genießen.

Vor dem Abendessen war es dann aber doch an der Zeit für sie, in ihrem Zimmer ein paar Dinge zu erledigen. Der Koffer war noch immer nicht zur Gänze ausgepackt, und sie musste dringend das SMS ihres Sohnes beantworten. Der hatte schon gestern Weihnachtswünsche aus China geschickt und überraschend seinen Besuch in Paris für den kommenden März angekündigt. Außerdem musste sie Lambert anrufen, denn sie wollte ihm Bescheid geben, dass auch Charles Florentin seine Einladung angenommen hatte.

Während sie in dem großen Raum auf und ab ging, wählte sie Lamberts Nummer, aber er meldete sich nicht. Na gut, dann eben zuerst das SMS an Michel. Sie setzte sich in den Lehnstuhl am Fenster und öffnete noch einmal seine gestrige Botschaft. Ein ganz in kräftiges Rot gekleidetes Baby strahlte sie an und schien ihr zuzuzwinkern. »Es wird wirklich Zeit, dass wir uns kennenlernen, kleine Mai-Lin«, sagte sie zu dem Bild, und genau diese Worte tippte sie dann auch in ihr Handy,gefolgt von ihren Weihnachtswünschen an Michel und seine Familie. Geschafft! Was war sie nur für eine Großmutter, dass sie auf dieses Foto nicht umgehend reagiert hatte und ihren Sohn länger als einen Tag auf die Antwort warten ließ?

Sie kam nicht mehr dazu, über diese Frage nachzudenken, denn ihr Telefon meldete sich mit den ersten Takten des Winters von Vivaldi. Es war Lambert. Anständig von ihm, dass er sofort zurückrief! Während sie sich die Melodie ein zweites Mal anhörte, trat sie ans Fenster und blickte auf die von Scheinwerfern angestrahlten Felsen, die direkt vor ihrem Fenster in den Himmel hinauf ragten und an Filmkulissen erinnerten. Dann hob sie ab.

»Bonsoir, Florence! Sind Sie gut bei uns im Süden angekommen?«

»Ja, das bin ich, Antoine, es ist sehr angenehm und friedlich hier oben.«

»Dann bleiben Sie am besten, wo Sie sind, bei uns hier ist schon wieder der Teufel los.«

»Ach du liebe Güte! Dann ist es wohl besser, wenn wir Sie am 26. nicht besuchen kommen?«

»Oh nein. So war das nicht gemeint. Désolé. Wir freuen uns schon sehr auf den gemeinsamen Abend. Ich meinte nur, dass es hier in Avignon so knapp vor dem Fest wie üblich noch recht turbulent zugeht. Zumindest für die Polizei. Die Straßen sind verstopft. Die Menschen scheinen zu viel Alkohol zu trinken, meine Leute sind im Dauereinsatz.« Er seufzte, dann fügte er noch hinzu: »Und zu allem Überfluss gab es gestern auch noch ein Verbrechen beinahe direkt vor dem Polizeikommissariat.«

»Das habe ich allerdings bemerkt, als ich gestern Nachmittag dort in den Stau geraten bin, und davon, dass auf eine Frau geschossen wurde, habe ich aus dem Fernsehen erfahren. Wie geht es der jungen Frau? Wird sie überleben? Im gestrigen Fernsehbericht sprach man von schweren Verletzungen.«

»Sie ist heute an diesen schweren Verletzungen gestorben, Florence. Eine Tragödie! Wir ermitteln also in einem Mordfall.«

»Gibt es schon irgendwelche Hinweise, wer es gewesen sein könnte?«

»Eigentlich nicht, Florence. Aber ich möchte Sie wirklich nicht mit Details belästigen und ihren Weihnachtsfrieden stören.«

»Sie kennen meine Neugierde! Da ich von der Geschichte in keiner Weise betroffen bin, werde ich mich bestimmt nicht einmischen. Sie dürfen also meine Neugierde gerne befriedigen.«

»Ich fürchte, dass Sie das nicht mehr sagen werden, wenn Sie hören, dass der Mord möglicherweise nicht zufällig in der Nähe meines Kommissariats begangen wurde. Es könnte sein, dass man mich oder meine Frau in die Geschichte hineinziehen wollte.«

»Was heißt das jetzt, Antoine? Bitte, reden Sie!«

»Also gut. Ich mache es kurz. Die Ermordete ist eine junge Frau aus dem Frauenhaus, das Durya leitet. Sie heißt Alima Semana. Außerdem hat es ein Bekennerschreiben gegeben, das sich direkt an mich und meine Familie wendet. Der Inhalt ist höchst unerfreulich.«

Seine Stimme war immer leiser geworden, sodass Florence bereits ihr Handy auf Lautsprecher umgeschaltet hatte, um ihn besser zu hören. Aus dem erleuchteten Display tönte ihr jetzt nur mehr ein heiseres Flüstern entgegen.

»Es ist kurz, und ich lese es Ihnen vor. Hier steht: ›Die Hinrichtung einer Verräterin vor dem Polizeikommissariat möge der Frau des Polizeichefs als Warnung dienen. Tod den Kollaborateuren!‹ Gezeichnet mit ›ALNouveau‹. ALN in Großbuchstaben und dann ein ›ouveau‹ direkt drangehängt.«

»ALNouveau – Was soll das bedeuten, Antoine?«

»Ich weiß es nicht, Florence. Bis dato fällt uns dazu nur die algerische ALN ein. Das war der Name der nationalen Befreiungsarmee im Algerienkrieg. Das war in den 50er-Jahren und ist lange her. 1972 hat sie ihre Aktivitäten eingestellt. Von einer ALNouveau haben wir noch nie etwas gehört. Alima Semana stammt aber gar nicht aus Algerien, sondern aus dem Senegal. Also wo ist da der Zusammenhang?«

»Die Familie Ihrer Frau stammt ja aus Algerien, n’est-ce pas, Antoine?« Auch die Stimme von Florence war nun leiser geworden.

»Ja, Florence. Sie verstehen, warum ich mir Sorgen mache? Das Schreiben hat persönliche Konsequenzen für mich und meine Familie. Die Presse und die Öffentlichkeit wissen noch nichts davon. Ich muss aber bald die Information hinausgeben.«

»Und dann können Sie den Fall nicht mehr selbst weiterverfolgen, da Sie ein Betroffener sind, Antoine. Oh Gott, was für eine schlimme Geschichte! Weiß es Ihre Frau schon?«

»Ja, natürlich. Ich habe als Erstes mit ihr darüber gesprochen. Und wir machen uns Sorgen um unsere Tochter. Sie ist fast 14 und gerade bei einer Freundin. Aber ich muss Schluss machen. Ich kann am Telefon nicht mehr länger darüber sprechen.«

»Natürlich. Melden Sie sich, wenn Sie Hilfe brauchen. Ich will mich nicht einmischen oder gar ermitteln, aber ich kann doch mitdenken.«

»Ja, das können Sie, Florence. Ich kann Sie vielleicht wirklich brauchen. Samt Ihrem Verstand und Ihrer Intuition. Sozusagen als Coach. Warten wir einmal ab wie sich die Dinge entwickeln. Ich melde mich morgen wieder. Au revoir, Florence.«

Ein leises Klopfen an ihrer Tür, dann betrat Charles das Zimmer, um ihr mitzuteilen, dass die Lasagne fertig zum Verspeisen sei. Er bemerkte sofort ihre veränderte Stimmung und fragte, ob alles in Ordnung sei.

»Ja, ja, bei mir schon«, antwortete sie ihm noch in Gedanken an das soeben Gehörte.

»Und bei wem nicht?«, kam es von ihm zurück.

Sie erzählte ihm, was sie von Lambert erfahren hatte, und er überraschte sie damit, dass er ihr keinesfalls von einer Einmischung abriet, sondern der Meinung war, dass sie, falls nötig, Antoine Lambert und seiner Frau zur Seite stehen müsse.

4

»Ich brauche auf der Stelle ein frisches Croissant und einen Kaffee«, verkündete Florence, als sie am Morgen des Weihnachtsabends aufwachte und sah, dass Charles bereits in seinem dunkelroten Morgenmantel vor dem Fenster stand und in den dämmernden Tag hinausblickte. Sofort drehte er sich zu ihr um.

»Dann ist es wohl am besten, wir ziehen uns rasch an und gehen zu Monique frühstücken. Ihre Croissants sind wirklich gut – im Gegensatz zu ihrem Brot übrigens – und zu so früher Stunde gibt es dort bestimmt noch genügend Platz.«

Er kam noch einmal zum Bett zurück, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ das Zimmer. Er verlor kein Wort darüber, dass sie gestern Abend auf der Stelle eingeschlafen war. Auch wenn sie den Sex an ihrem ersten gemeinsamen Abend sehr genossen hatte, so hatte sie sich gestern ihrer alten Geheimwaffe bedient, mit der sie den wenigen Männern, die sie bisher in ihr Bett gelassen hatte, schon immer Grenzen zu zeigen wusste. Sie konnte nämlich augenblicklich einschlafen und schlief dann so tief und fest, dass es keine Chance mehr gab, sie wieder wachzubekommen. Diesmal hatte es Charles getroffen, und während sie sich anzog, fragte sie sich, warum sie sich so verhalten hatte.

Sie war nicht einmal besonders müde gewesen. Nach dem Gespräch über die bedauerlichen Vorfälle in Avignon hatten sie ein einziges Gläschen Wein getrunken, noch ein wenig Musik gehört und dann beschlossen, zeitig ins Bett zu gehen. Wahrscheinlich war es die Selbstverständlichkeit gewesen, mit der er ihr ungebeten in ihr Zimmer gefolgt war, die sie irritiert hatte. War es aber nötig gewesen, ihm einfach die kalte Schulter zu zeigen? Andererseits konnte es auch nie schaden, die Grenzen einer Beziehung auf die eine oder andere Weise auszuloten.

Charles dürfte jedenfalls die Prüfung bestanden haben. Er wirkte keineswegs gekränkt, während sie die kurze Wegstrecke durch das noch menschenleere Dorf bis zur Bäckerei gingen.

Entgegen seiner Annahme herrschte in dem winzigen Lokal bereits lebhaftes Treiben. Die fünf Tischchen im Inneren waren alle besetzt, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich ihre Croissants einpacken zu lassen. Monique, die Besitzerin, erklärte, dass es sich dabei überwiegend um die deutschen Pensionsgäste der Madame Gilbert handle.

Als sie das Café verließen, wurde gerade der einzige Tisch frei, der auf der Empore vor dem Eingang stand. Trotz der morgendlichen Kühle um diese Jahreszeit konnte man draußen sitzen, und so ergriffen sie die Gelegenheit. Florence wickelte sich in eine der bereitliegenden Decken, während Charles im Lokal den Kaffee bestellte.

»Bonjour, Madame Beaumarie. Haben Sie in Apt noch ein Geschenk gefunden?«

Florence, noch einmal versunken in morgendliche Träumereien, bemerkte Elena Gilbert erst, als diese direkt vor ihr stand.

»Bonjour, Madame Gilbert.« Florence richtete sich auf. »Ja. Ja das habe ich und zwar, wie Sie mir geraten haben, im Geschäft Ihrer Freundin. Aber pssst, Charles darf noch nichts davon wissen.«

Elena Gilbert nickte. »Natürlich. Das freut mich! Eine richtige Freundin ist Eloise Bonnet allerdings nicht. Eher eine Bekannte und vor allem eine Kundin. Sie hat schon einige Kunstwerke bei mir gekauft und dürfte nicht unvermögend sein. Sie hat mir erzählt, dass sie auch noch Boutiquen in Lourmarin und in Marseille besitzt.«

»Als ich dort war, war ich die einzige Kundin, und Madame Bonnet schien enttäuscht zu sein, dass ich nicht mehr gekauft habe. Dann hatte sie kein Geschenkpapier. Irgendwie war sie ein wenig seltsam.«

»Sie ist schwer einzuschätzen. Manchmal bestens gelaunt, dann wieder kurz angebunden. Vorgestern eher letzteres. Ich war ja vor Ihnen bei ihr. Aber egal. Mich schätzt sie, und sie hat sehr schöne Waren!«

Charles kam wieder heraus, begrüßte Elena und beklagte sich über die drängelnden Deutschen im Geschäft. »Der Kaffee kommt gleich«, sagte er zu Florence.

»Warum frühstücken die Deutschen eigentlich hier bei Monique?«, wunderte Florence sich. »Ich weiß doch aus eigener Erfahrung, dass das Frühstück in Ihrer Pension exzellent ist, Madame Gilbert.«

»Die Deutschen haben bei mir tatsächlich schon gefrühstückt. Sie haben mir jedoch erklärt, dass sie jetzt noch ins Café gehen müssen, um etwas vom morgendlichen Flair des Dorflebens mitzubekommen.«

»Schwierige Gäste?«

»Ja und nein. Ich weiß, ich hab mich schon neulich über deutsche Gäste beklagt. Jetzt hat uns allerdings ein Herr aus Dortmund ein großes Gemälde abgekauft, und andere haben daraufhin ein paar kleinere Objekte erworben. Sie sind halt bei allem, was sie tun, perfektionistisch. Entweder alles oder nichts. Das da drinnen ist zum Beispiel eine Gruppe älterer Herrschaften, die eine langen Liste von Vorhaben abzuarbeiten hat. Sie wollen das ›typisch Französische‹ erkunden. Ich komme gerade von Madame Coline, bei der ich meine Frühstückseier geholt habe, alles bio. Einer meiner Gäste ist so ein Öko-Typ, und der fragt ständig, ob auch alles, was ich ihm serviere, aus artgerechter Haltung stammt. Ansonsten ist er ganz nett.«

Als ein junges Mädchen zwei Kaffeetassen und zwei Gläser mit Orangensaft auf das Tischchen stellte, verabschiedete sich Elena. Zu Charles sagte sie:

»Wunderbar, dass du Madame Florence mitgebracht hast. Ich muss jetzt los, aber wie wäre es mit einem Aperitif heute gegen 17 Uhr bei mir im Garten? Ich veranstalte für meine Gäste eine kleine vorweihnachtliche Feier. Die dauert höchstens eineinhalb Stunden und wird bestimmt sehr stimmungsvoll sein. Anschließend ziehen Pierre und ich uns zurück. Die weitere Gestaltung der Weihnachtsfeier für meine deutschen Gäste habe ich einer Agentur überlassen, und die hat ein spezielles Weihnachtsdinner in Apt organisiert. Wir vier können es uns also anschließend noch drinnen gemütlich machen.«

Florence und Charles nickten sich zu und nahmen Elenas Einladung dankend an. Gerade als sie gehen wollte, fiel ihr noch etwas ein.

»Ach übrigens, habt ihr es auch schon gehört? Kommandant Lambert in Avignon hat Probleme bekommen. Er und seine Frau sind in einem Bekennerschreiben bedroht worden.«

»Wo haben Sie das denn gehört?«, fragte Florence zurück.

»Heute, im Morgenradio. Eine schlimme Geschichte! Eine junge Frau aus Afrika wurde erschossen. Vor dem Kommissariat! Sie haben gesagt, dass ein Schreiben vorliegt, das seine Familie betrifft und sich auf diesen Mord bezieht. Mehr wurde nicht verlautbart. Er wird wohl nicht mehr unparteiisch ermitteln können.«

»Vermutlich nicht.« Florence wollte nicht auf das Thema eingehen, ehe sie wusste, was wirklich der offizielle Stand der Dinge war, aber Madame Gilbert schien auf einmal vergessen zu haben, dass sie es gerade eilig hatte, und setzte sich auf einen freien Sessel.

»Hat er nicht auch eine Tochter?«

»Ja«, sagte Florence. »Sie ist 13 Jahre alt.«

Jetzt nahm sich auch noch Charles des Themas an.

»Also, wie ich deinen Kommissar kennengelernt habe, Florence, wird er in so einem Fall bestimmt auf eigene Faust weiter ermitteln. Du hast mir doch erzählt, dass er schon in Paris ein besonders Hartnäckiger war. ›Spürnase‹ habt ihr ihn genannt, nicht nur wegen seiner Nase!«

Florence nickte.

Elena Gilberts Gedanken waren indessen bei der Tochter hängen geblieben.

»13 Jahre? Ein schwieriges Alter. Man ist da so damit beschäftigt, sich selbst zu finden, und leicht aus der Balance zu bringen. Wenn einen dann auch noch so etwas trifft. Mein Gott, ich hoffe, dem Mädchen passiert nichts. Es ist schrecklich, wenn man schon in so jungen Jahren die Härte des Lebens zu spüren bekommt.«

Die Betroffenheit, mit der sie dies äußerte, überraschte Florence, und sie erinnerte sich an die Bemerkung, die Elena Gilbert neulich bei ihrer kurzer Begegnung in Apt gemacht hatte. Dass sie ihr Heimatland nach einer Begegnung mit der Polizei verlassen hatte müssen. Gerne hätte sie mehr darüber gewusst, aber dies war wieder nicht der richtige Zeitpunkt für ein solches Gespräch. Statt auf Elena einzugehen, antwortete sie deshalb lieber auf die Bemerkung von Charles.

»Antoine Lambert wird seine Familie schon zu schützen wissen. Er ist ein äußerst fähiger Polizist und ein kluger und vernünftiger Mann. Wir wissen ja noch gar nicht, ob das Mädchen wirklich in Gefahr ist«, sagte sie.

Elena schien begriffen zu haben, dass Florence jetzt nicht darüber reden wollte. Sie gab sich einen Ruck und blickte zur ihrem Haus, das man von der Bäckerei aus gut sehen konnte.

»Ich glaube, man hält schon Ausschau nach mir. Das ist mein Öko-Typ.«

Ein schlanker, hochgewachsener Mann in grün-roter Sportkleidung war soeben vor die Tür ihrer Pension getreten und blickte suchend in alle Richtungen.

»Mon Dieu, der hat das Frühstück versäumt und wartet schon ungeduldig auf sein Frühstücksei. Ich muss los. Bis heute Nachmittag! Zieht euch bitte warm an. Im Garten ist es am Abend schon recht kühl!«

»So kenne ich sie gar nicht«, sagte Charles. »Für mich ist sie immer die tüchtige Geschäftsfrau und ein wenig auch die liebenswert verrückte Kreative, aber ihre mitfühlende Seite hat sie mir noch nicht gezeigt.«

»Hat sie dir jemals erzählt, wie und warum sie von Russland nach Frankreich gekommen ist?«