Mädchen können immer - Elisabeth Schmied - E-Book

Mädchen können immer E-Book

Elisabeth Schmied

4,9
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Nachdem die 15-jährige Judith zum ersten Mal Petting gemacht hat, ist sie völlig verwirrt. Generell hat sie ein Problem damit, auf ihren Bauch zu hören; sie verlässt sich viel lieber auf Daten und Fakten. Deshalb entwirft Judith einen anonymen Fragebogen, packt ihn voll mit all den Fragen über Jungs, Beziehungen und Sex, die sie sich noch nie zu stellen traute, und bringt ihn unter den Mädchen ihrer Schule in Umlauf. Schon bald ist der 'Sextest' Thema Nummer eins unter den Schülern, und die Schulleitung weiß nicht, ob sie nun bestrafen oder aufklären soll. Während Judith die Erkenntnisse aus dem Fragebogen in ihrem Liebesleben nicht gerade erfolgreich anwendet, bringt der Test die Vorzeigeschülerin Susi dazu, endlich mal etwas zu wagen. Eva, die experimentierfreudige Schwesternschülerin, hat nach dem Ausfüllen plötzlich Angst, eine Schlampe zu sein, und will es mal mit 'Gefühlen' probieren. Und Edisa, die aufbrausende Kroatin, merkt, wie schwierig es ist, Romantik und Emanzipation unter einen Hut zu bringen. In Form von Tagebucheinträgen, Aushängen am Schwarzen Brett und ausgefüllten Fragebögen erzählt Elisabeth Schmied eine spannende Geschichte über vier Mädchen, die ihren Weg zwischen Liebe, Sex und Selbstbestimmung finden müssen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 291

Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
17
1
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Elisabeth Schmied

MÄDCHEN KÖNNEN IMMER

Roman

TEIL 1

Die erste Schulwoche

Logbucheintrag von Zauner, Judith

Zeit: 14.09., 09:07 Uhr (Deutschstunde, Aufsatzthema: »Was ich diesen Sommer gemacht habe«) Ort: Klassenzimmer

Diesen Sommer hat mir das erste Mal jemand seinen Finger reingeschoben. Mist. Das kann ich nicht schreiben. Aber was schreibe ich sonst? Warum fällt mir nichts anderes ein als dieser Satz?

Wahrscheinlich bezeichnet er die einzige Signifikante des Sommers. Mehr ist nicht passiert.

Abgesehen von der Frage: »Bin ich auch nicht zu stürmig?« Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass er eindeutig »stürmIG« und nicht »stürmISCH« sagte. Das gehört auf jeden Fall auf die Minus-Seite. Ja, ich gebe es zu, ich habe bereits angefangen, für Bernd eine Plus/Minus-Liste zu machen. Der Anfang vom Ende.

Wenn ich mich recht entsinne, wollte ich eigentlich direkt danach schon mit ihm Schluss machen. Ich wollte bloß nicht, dass er denkt, es wäre wegen des Fingers. Vielleicht war es aber wirklich deswegen …

Nein, das war es nicht.

Ich war (bin) nur so verwirrt, seinetwegen.

Ich meine, sollte ich finden, dass er zu »stürmig« war? Oder sollte es mir gefallen, was er da machte? Und wenn ja, sollte ich ihn trotzdem stoppen? Oder lieber weitermachen lassen? Und was sollte ich in der Zwischenzeit tun? Und was sollte ich bloß antworten? Und all das musste ich auch noch in weniger als drei Sekunden entscheiden*.

Ich entschied mich also für »Nein, nein« als Antwort. Dann bin ich in seine U-Hose hinein und hab da ein bisschen herum…

* Mir ist vor Kurzem aufgefallen, dass jede Pause in einem Gespräch, die länger als drei Sekunden andauert, weitere Fragen des Gegenübers nach sich zieht, und mit weiteren Fragen zu dem Thema hätte ich nicht wirklich umgehen können …

Logbucheintrag von Zauner, Judith

Zeit: 14.09., 09:30 Uhr (2. Pause) Ort: Klassenzimmer

Frau Wollmuth, meine Deutschlehrerin, kam meinem Sitzplatz vorhin bedrohlich nahe, darum musste ich mein Logbuch schnell in der Schultasche verschwinden lassen und stattdessen diesen dämlichen Aufsatz schreiben. Ich entschied mich, nur über die ersten Tage meiner Sommerferien zu berichten, als ich Bernd noch nicht einmal so richtig kannte und die ich mit meiner Cousine im Freibad verbrachte. Ich hatte Mühe, mehr als einen Absatz zu schreiben.

Wir waren im Freibad.

Und haben gebadet.

Die Sonne schien.

Und alle interessanten Leute waren irgendwo im Urlaub in der Türkei oder in Italien. Also habe ich kurzerhand einen Badeunfall erfunden, bei dem ich beinahe ertrunken wäre, weil Bernd* mich unter Wasser getunkt hat.

Ich wurde dann von einem hübschen Rettungsschwimmer Mund-zu-Mund beatmet und mit einem Helikopter ins Krankenhaus gebracht, wo ich sieben Stunden operiert wurde und fünf Minuten klinisch tot war.

* Mist, so sehr ich mich auch bemühte, ich kriegte ihn einfach nicht aus dem Kopf  …

Ich glaube nicht, dass Frau Wollmuth mir die Geschichte abkaufen wird. Aber wer beginnt denn auch schon das Schuljahr gleich mit einem Aufsatz? Wo sind die Zeiten hin, als wir in der ersten Stunde nach den Ferien einen Film ansahen oder über mögliche Exkursionsziele abstimmten, die dann ohnehin wieder gestrichen wurden, weil die Schule ständig sparen muss? Und vor allem: Für wie alt hält uns Frau Wollmuth eigentlich? »Was ich diesen Sommer gemacht habe« – das ist doch Kinderkram! Und wir sind immerhin seit diesem Schuljahr in der Oberstufe!

Ich frage mich, ob sie versehentlich die Themen durcheinandergebracht hat und irgendwelche armen Erstklässler jetzt eine Erörterung zum Thema »Zwischenmenschliche Beziehungen im Medienzeitalter« schreiben müssen.

Mist, jetzt muss ich schon wieder an Bernd denken. Ist das ein Symptom dafür, dass er mir etwas bedeutet? Oder soll ich wirklich Schluss machen? Jetzt hilft also doch nur die Evaluierung aka die Plus/Minus-Liste:

Bernd +/ −:

− Er spricht immer wieder ziemlich schlecht deutsch – was total okay wäre, wenn er ein Ausländer wäre. Doch das ist er nicht.

+ Er schaut dabei immer sehr süß drein und sieht gut aus.

− Er hat mich schon einmal bewusst angelogen. (Er hat behauptet, er gehe zur Abendschule, obwohl das gar nicht stimmt, weil er findet, ich sei so elitär … Hä?)

+ Er hat einen guten Musikgeschmack und spielt E-Gitarre.

− Ich habe in seinem Zimmer noch kein einziges Buch entdeckt.

+ Er macht eine Lehre in einem Chemielabor und Chemie ist eines meiner Lieblingsfächer.

− Seine Arbeit interessiert ihn nicht.

+ Ich weiß noch, dass ich ihn unbedingt haben wollte, und ich hätte niemals gedacht, dass ich eine Chance bei ihm habe.

− Wenn ich ihn nicht gerade küsse, weiß ich manchmal nicht, worüber ich mit ihm reden soll*.

Ich will auf keinen Fall über den Finger mit ihm reden.

Die Sache ist jetzt neun Tage her und ich habe dafür gesorgt, dass wir seitdem nie wieder alleine waren. Die beiden Male, die wir uns danach getroffen haben, waren in der Öffentlichkeit, also im Café Zeitsprung und im Metalkeller, inmitten unserer Freunde. Dafür musste ich zwar öfter als üblich auf die Toilette gehen, aber ich habe es geschafft.

Moment, ich habe noch einen Punkt für die Liste …

− Seit der Sache mit dem Finger der »stürmig«-Frage ist mir seine Anwesenheit sehr unangenehm**.

Gut. Dann ist die Entscheidung gefallen.

Ich werde Schluss machen.

*Ergebnis der Plus/Minus-Liste: –5/+4. Hmmmm.

**neues Ergebnis der Plus /Minus-Liste: −6/+4. Doppel-Hmmmm.

Logbucheintrag von Zauner, Judith

Zeit: 14.09., 10:25 Uhr (große Pause) Ort: Lesearena in der Bibliothek

Habe Bernd angerufen und wollte Schluss machen. Aber per Telefon ist das letztklassig. Habe mich stattdessen verabredet. Dummerweise hat er heute Nachmittag keine Zeit und morgen auch nicht. Wir können uns erst am Freitag sehen.

Zumindest kann ich bis dahin üben, was ich sagen will …

Lieber Bernd. Das wird nichts mit uns zweien.

Lieber Bernd. Du warst mir doch zu schnell.

Nein, Moment, dann sagt er bestimmt, wir könnten langsamer machen und ich bräuchte es nur zu sagen.

Ich könnte sagen, dass wir nichts gemeinsam haben.

Soll ich jetzt wirklich zwei Tage lang warten, bis ich ihm das sage? Was ist, wenn er mich in der Zwischenzeit auf Facebook anchattet oder etwas kommentiert? Soll ich so tun, als würde ich das nicht sehen? Außerdem hat Bernd, seit wir uns nicht mehr so oft sehen (also seit der Sache mit dem Finger), angefangen, mir beinahe täglich eine MMS zu schicken. Soll ich darauf gar nicht antworten?

Vielleicht schreibe ich doch eine SMS, oder besser eine SmSMS – eine Schluss-mach-SMS. Okay, nüchtern betrachtet ist das nicht der Zeitpunkt, um blöde Witze zu machen.

Logbucheintrag von Zauner, Judith

Zeit: 14.09., 10:30 Uhr (immer noch große Pause) Ort: immer noch Lesearena

Ich hab’s getan. Und beschlossen, mich bei unseren gemeinsamen Freunden eine Weile nicht blicken zu lassen. Mist. Ich hoffe, er empfindet das jetzt nicht doch als letztklassig. Aber zwei Tage lang zu warten und ihm am Freitag gegenüberzutreten, während er mich mit seinem süßen Hundeblick ansieht – das hätte ich niemals durchgehalten. Dann hätte er bestimmt auch noch darüber reden wollen und wissen wollen wieso. Ich meine, hätte ich ihm die Liste vorlesen sollen, oder was? Und was wäre die Alternative gewesen? Meinen Freund betrügen, bis er drauf kommt und mit mir Schluss macht, nur weil ich mich nicht traue, ihm zu sagen, was Sache ist, wie meine beste Freundin Melanie es praktiziert?

Nein, nein. Das Pflaster kurz und schmerzlos runterzureißen ist besser. Und schriftlich ist immer besser als mündlich. Ich meine, wenn ich ihm tatsächlich gegenübergestanden hätte, hätte ich ihm nie so überlegt und fundiert erklären können, warum es wirklich aus ist*.

Mist. Ich glaube, die SmSMS war tatsächlich letztklassig.

* Zugegeben, ich bin mir nicht sicher, ob der Text meiner SMS wirklich soooo fundiert war: »Lieber Bernd. Ich möchte dir die Verabredung mit mir ersparen, denn ich hätte mich ohnehin bloß mit dir getroffen, um Schluss zu machen. Nach reiflicher Überlegung bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass wir viel zu wenig gemeinsam haben und ich einfach nicht verliebt in dich bin. Ich hoffe, du bist mir nicht böse. lg J«

Logbucheintrag von Zauner, Judith

Zeit: 14.09., 10:35 Uhr (immer noch große Pause) Ort: in der Aula, da in der Lesearena das Essen und Trinken verboten ist, damit man keine Bibliotheksbücher ankleckert – was aber völlig sinnfrei ist, denn ich darf Bibliotheksbücher in die Aula mitnehmen und dort so viel essen und trinken und dabei lesen, wie ich will …

Frau Wollmuth geht gerade an mir vorbei und ich lächle sie an. Sie wirft mir einen Blick zu, als wäre meine Oma gestorben. Was hat sie bloß? Eine schlechte Note kann es nicht sein, nicht in der ersten Schulwoche. Jetzt kommt sie auch noch direkt auf mich zu. So langsam mache ich mir Sorgen.

Eben stand sie vor mir und meinte: »Wenn du über irgendetwas reden möchtest …«

Ich war bloß verwirrt.

Doch dann sagte sie: »Das muss ja sehr traumatisch gewesen sein.«

Hmmm, sie hat mir die Sache mit dem Badeunfall wohl doch geglaubt.

SUSI'S DIARY

Liebes Tagebuch, ich bin’s, Susi. Hihi. Ich glaub, das muss ich nicht hier hineinschreiben. Auf der anderen Seite: Stell dir mal vor, ich finde einen Tagebucheintrag hier drin, der nicht von mir stammt … Am besten in meiner Handschrift. Und er erzählt von Dingen, die eine andere Person getan und gesagt hat. Und dann merke ich, dass alle Leute um mich herum so tun, als hätte ich diese Dinge getan und gesagt. Argghh...

Jetzt grusele ich mich gerade. Das ist gerade so, als würde diese andere Person dann Stück für Stück mein Leben an sich reißen …

Vielleicht könnte ich diesen Jemand aber dann auch an meiner Stelle zum Sexualkundeunterricht schicken …

Ja, du hast richtig gehört (oder gelesen), liebes Tagebuch. Das Desaster geht dieses Jahr weiter!

Gleich am zweiten Schultag platzte die Bombe mitten im Biologieunterricht: »Wegen der vielen ungeklärten Fragen letztes Jahr und wegen des großen Erfolgs widmen wir uns auch in diesem Schuljahr wieder dem Thema Sex.«

Ich glaube ja, dass sich unsere Biolehrerin, Frau Schuster, einfach nur bei den anderen Schülern einschmeicheln will. Bei denen, die sonst nie mitarbeiten und die nur bei diesem einen Thema was zu sagen haben.

Ich musste noch nicht einmal bis zehn zählen, kannst du dir das vorstellen? Nicht einmal bis zehn, da kam schon der erste Kommentar.

Sebastian (Natürlich Sebastian, wer sonst!) rief quer durchs ganze Klassenzimmer: »Na, Susi, haben wir noch immer nicht alle Fragen geklärt?«

Und wieder holte mich die ganze demütigende Szene vom letzten Jahr ein.

Ich starrte einfach nur auf meinen Rucksack, der zwischen meinen Füßen stand, und versuchte, jeden Augenkontakt zu meiden. Zum Glück habe ich auch dieses Schuljahr wieder einen Platz ganz vorne neben der Wand ergattert. Es sind nicht viele Blicke, denen ich ausweichen muss, solange ich mich nicht umdrehe – sie brennen mir bloß Löcher in den Rücken.

Es folgten ein paar weitere gemeine Wortmeldungen, aber ich tat so, als hätte ich sie nicht gehört. Das mache ich immer so – mir nichts anmerken lassen, die Beleidigungen einfach ignorieren. Dann haben die nicht gewonnen.

Jedenfalls begann ich, in meinem Bankfach zu kramen – typische Übersprungshandlung. Aber ich bin mir nicht sicher, ob das die anderen nicht noch mehr anstachelt, mich zu demütigen. Oder ob es dann so wirkt wie: Susi lässt alles mit sich machen. Susi hat keinen Stolz.

Vielleicht weiß ich auch einfach nicht, wie man sich rächt. Oder wehrt.

Endlich rief Frau Schuster zur Ruhe.

Ich habe gerade zurückgeblättert und Einträge gefunden, in denen ich für Sebastian geschwärmt habe. Wenn ich nur daran denke, schäme ich mich vor mir selbst.

Noch mehr schäme ich mich allerdings für den Versuch, mich meiner Mutter in Sachen Sex anzuvertrauen. Großer Fehler. Sehr großer Fehler.

Dabei hat meine Mutter immer so getan, als wäre sie total entspannt, was dieses Thema angeht. Aber als ich ihr vom Biounterricht erzählte und davon, was ich gesagt und was ich gefragt hatte, da merkte ich, dass sie rot wurde.

Ich glaube, es ist ihr einfach nur peinlich, mit mir über Sex zu reden.

Womöglich wurde ich deshalb durch ein Buch aufgeklärt. Wie du und deine Geschwister auf die Welt gekommen seid war der Titel. Erst vor Kurzem fragte ich Nadja, ob Mama ihr das Buch damals auch gegeben hätte, und sie schüttelte den Kopf. Mama hatte mit ihr »das Gespräch«. Mit Nadja zu reden ist ihr also offensichtlich nicht zu peinlich. Dann muss es wohl an mir liegen, oder?

Wer weiß, eventuell hilft es, wenn ich das Buch vor dem Sexualkundeunterricht noch einmal lese, auch wenn es für Kinder geschrieben ist. Hihihi.

Das wird eine Katastrophe.

Notizen von Edisa Ivanovic, 12. September

Das Schuljahr hat noch nicht einmal begonnen, richtig, sozusagen, und schon ist das Erste passiert, was mich auf die Palme jagt.

Dieses Jahr zur Abwechslung nichts von den Lehrern. Habe ich mich etwa schon gewöhnt daran, dass sie uns behandeln, als würden wir nichts wissen von der Welt?!

Also: Während die neuen Lehrer sich vorstellten bei uns und die alten versuchten, sich in unsere Gedächtnisse zu rufen wieder, dämmerte mir, dass dieses Jahr – genauso wie das letzte – unbedeutend sein würde. Ich weiß nicht, worauf ich wartete. Auf irgendeine Herausforderung, auf irgendetwas, das interessanter war, als die Pause mit meinem Freund Roland zu verbringen auf dem »geheimen« Raucherplatz, obwohl ich gar nicht rauche.

Natürlich, im Grunde konnte fast nichts damit konkurrieren, gemeinsam zu sein mit Roland. Aber dann hätte ich es bitte schön gerne 45 Minuten lang gemacht und nicht immer nur fünf Minuten zwischen den Schulstunden. Und einmal ganz ehrlich, in der Schule arbeiten 48 Lehrer, schafft es denn niemand, zustande zu bringen irgendetwas Besseres, als uns zu behandeln wie unmündige Kinder?

Während ich nachdachte darüber, eröffnete unser Klassenlehrer Herr Brauer uns, dass acht Schülerinnen aus der Schwesternschule mit unserer Spanischgruppe gemeinsam unterrichtet werden. Die Schwesternschule befindet sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite und war mir egal bisher. Die Jungs fingen zu johlen an sofort und dreckige Schwesternschülerinnen-Witze zu machen. Ich selbst finde Schuluniformen auch ganz sexy, aber nicht, wenn sie getragen werden von den langweiligen Mädchen aus der Schwesternschule.

Irgendwie ging mir das Bild der Schuluniformen nicht mehr aus dem Kopf und ich malte mir aus, mir eine zuzulegen, um Roland vielleicht zu überraschen damit am Wochenende. Ich hatte ein Lächeln auf den Lippen, als ich mich auf den Weg zum Raucherplatz aufmachte nach dem Läuten – vorbei am Vertretungsplan und dem Schwarzen Brett, vorbei an der Bibliothek und der Lesearena, vorbei am Kaffeeautomaten – und ich ging vorbei tatsächlich, mehrere Schritte. Erst als ich angekommen war an der Treppe, setzte sich das Bild zusammen in meinem Kopf. Da lehnt doch eine dieser Schwesternschülerinnen mit einer Kaffeetasse in der Hand und flirtet mit meinem Roland!

Ihre Hüfte war gegen den Automaten gelehnt, ein Bein hatte sie angezogen, ganz leicht, ihre Oberarme drückten zusammen ihr Dekolleté. Und sie musste etwas gesagt haben, was ganz besonders witzig war, denn sie lachte und er lachte und er beugte sich dabei nach vorne richtig schön, um ihr in den Ausschnitt zu sehen.

Ich konnte es nicht glauben!

Ich wollte am liebsten hinstapfen und ihr eine Ohrfeige geben. Oder noch besser, ihm eine Ohrfeige geben. Nein, einen Kinnhaken. Nicht so etwas Mädchenhaftes. Etwas, was ihn umhaute. Ich merkte, wie ich aufeinanderpresste meine Zähne. (Ich muss dringend damit aufhören, denn meine Plombe am linken Backenzahn lockert sich schon zum dritten Mal wieder vom vielen Zähneknirschen.) Meine Fäuste ballten sich und ich lief schon auf sie zu – da packte mich jemand am Arm plötzlich.

Alles, was ich dachte, war: Ich möchte jetzt nicht in deiner Haut stecken. Und wer war es natürlich: Ivica, der schon wieder raushängen ließ den großen Bruder und der absolut nicht weiß, wann es Zeit ist, auf mich aufzupassen und wann nicht. Er sagte: »Willst du rüberkommen wie die kroatische Prolotussi?« Mir war egal, wie ich rüberkam. Ich wollte, dass meine Faust zu Roland rüberkommt. Aber mein Bruder ließ nicht los, sagte nur: »Willst du, dass die Schlampe da Macht hat über dich? Zum Direktor gehen kann und du bekommst schon wieder Ärger?«

»Was meinst du mit ›schon wieder‹?«, fragte ich ihn.

Natürlich wusste ich, was er meinte mit »schon wieder«. Aber wirklich. Er tut immer so, als sei es meine Schuld. Als hätte ich gesucht den Streit. Dabei habe ich mich nur eingesetzt für Gleichberechtigung.

Das machte mich noch wütender. Aber er hatte recht natürlich und deshalb ließ ich das mit der Faust und tötete Roland und die Schwesternschülerin bloß mit meinem Blick, als ich rüberging zu ihnen.

Meine Augen waren gerichtet auf ihren Rock. Unmöglich, dass die das in der Schwesternschule zuließen, dass der so kurz war.

Direkt bevor ich ankam, bevor sie mich sehen und ich noch unbeobachtet einen letzten Blick auf sie werfen konnte, wurde mir bewusst, das Mädchen war tatsächlich sexy und noch ein bisschen Luft wich hinaus aus mir.

Egal, tief einatmen. Dann stellte ich mich hin. Roland war ertappt. Ich lächelte – aber messerscharf – und stellte mich bei ihr vor. Dann sagte ich: »Das trifft sich ja so gut, dass ich dich kennenlerne. Ich wollte gerade eine Schwesternschülerin suchen und fragen, wo man sich ausleihen kann diese Kostüme, weil ich wollte meinen Freund damit überraschen am Wochenende.«

Sie lachte. Ein Glucksen dabei. Sie schielte zu Roland rüber.

Ich habe nicht gesagt zu ihr, dass er mein Freund ist.

Ich merkte, Roland konnte nicht einschätzen die Situation. Er schaute zu ihr, zu mir. Dachte er vielleicht, dass er mit uns beiden …? Na warte!

Sie meinte: »Ach, da kann ich schon helfen, aber die muss man umschneidern …« Na klar. Das hatte sie gemacht mit ihrem Rock so.

Sie war gerade dabei, mir ihre Uniform anzubieten (tatsächlich nett), als ich sie unterbrach. »Nein, danke. Da fällt mir ein, mein Freund ist ein Arschloch, und er hat es nicht verdient, überrascht zu werden, sondern bekommt einen Tritt.«

Sie war ganz verwirrt. Die arme kleine Schwesternschülerin. Es ging ihr nicht in den Kopf, wovon ich redete.

Aber ich konnte nicht mehr weiterreden. Ich wünschte, meine Beleidigung wäre gewesen ärger. Ich hätte ihn mehr entmännlichen müssen und ihr zeigen, wie niedrig sie sinkt, wenn sie sich macht zum Sexobjekt so sehr. (Und es ist etwas anderes, das zu tun mit seinem Freund beim Sex – aber das wird Roland jetzt wohl nicht mehr herausfinden, einige Zeit lang zumindest.)

Natürlich lief er mir nach. Meinte: »Warte, warte. Es war nichts, blabla.«

Ich drehte mich nicht mehr um nach ihm.

Ich ging zurück in mein Klassenzimmer. Und dort bin ich jetzt auch. Er darf mir nicht nachgehen. Die Schwelle des Klassenzimmers ist eine fast so starke Grenze wie für den Vampir die Kirche oder eigentlich wie für den Vampir, der nicht eingeladen ist, die Tür. In der Schule ist es normal inzwischen, dass klassenfremde Personen hinausbefördert werden auf den Gang sofort, außer sie haben für ihren Besuch einen offiziellen Grund. Ansonsten können sie einen nur ausrufen lassen. Aber da kann Roland lang rufen heute. Ich gehe nicht zu ihm hin.

EVA HIER

Mittwoch, der 7. 9., während einer völlig sinnlosen und langweiligen Unterrichtsstunde, ganz normaler Schwesternschulenalltag also

Mein glTb (Mein ganz liebes Tagebuch), ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal hier hineinschreibe, aber: YEAH, die Schule hat begonnen!

Ich habe gerade auf Facebook Donkey-Kong Revenge gespielt (ich konnte unserer Klassenlehrerin verklickern, dass mein neues Smartphone kein Telefon, sondern ein Taschenrechner ist, und musste es nicht abgeben), da ist der Pinguin plötzlich in unsere Klasse gekommen. Der Pinguin ist Schwester Basilla, die Direktorin und Oberschwester des Klostervereins hier …

Jedenfalls hat uns der Pinguin gesteckt, dass unsere Spanischlehrerin, Señora Ursula Kleinbach, in Mutterschutz gegangen ist und sie uns deshalb nicht mehr unterrichten wird. Der Pinguin machte dabei ein recht besorgtes Gesicht. Wahrscheinlich stellte sie sich, so wie wir uns alle, die Frage: Wer hatte Sex mit Uschi Kleinbach? Führte die verwitterte Spanischlehrerin etwa ein Doppelleben? Oder war es doch eine unbefleckte Empfängnis? In jedem Fall: Es grenzte an ein Wunder.

Aber diese Schicksalsfügung, dass selbst Frauen wie Ursula Kleinbach schwanger wurden, ist es nicht, was mich so in Aufregung versetzt. Es ist vielmehr die Tatsache, dass unser Spanischunterricht aus Mangel an Ersatzlehrerinnen mit dem unserer Nachbarschule zusammengelegt wird.

Und das bedeutet: Ab Montag spazieren acht 16-jährige uniformierte Schwesternschülerinnen mehrmals die Woche über die Straße in das gegenüberliegende Schulgebäude, um Spanischunterricht mit den Mädchen und JUNGS des Waldnerstraßen-Gymnasiums zu haben. Endlich Typen in der Klasse!

Ich schätze mal, daran dachte auch der Pinguin. Vom Direktorat aus sieht man nämlich direkt auf den Raucherplatz der Waldnerstraßen-Schüler. Und auf dem wird nicht nur geraucht, sondern auch Händchen gehalten und sogar (huch!) geknutscht.

Leider weiß ich das nur zu gut – nicht, weil ich dort schon mal geknutscht hätte, sondern weil ich den Ausblick schon mehrmals »genießen« durfte. Letztes Jahr wurde ich nämlich ziemlich oft ins Pinguinzimmer zitiert …

EVA HIER

Sonntag, der 11. 9., kürze gerade meinen Rock für die erste Spanischstunde morgen …

Mein glTb, aus meinen iPod-Boxen dröhnt Daughtry – sexy Sänger, aber fürchterlicher Songtext über einen Typen, der einem Mädchen nachläuft, sich immer wieder abservieren lässt und zurückgekrochen kommt – erbärmlich, echt. Das macht den Sänger gleich um minus drei Biere hässlicher. Rocker sind nichts für mich, die sind viel zu sentimental. Obwohl Hip-Hopper auch oft nicht besser sind. Ich meine, Jason Derulo ist ja auch nicht gerade cool, nur weil er selbst daran glaubt.

Der Rock ist nun 15 Zentimeter kürzer und passt jetzt ohne Probleme unter den, den ich in der Schwesternschule trage. Die Gangaufsicht in unserer Schule ist nämlich spezialisiert auf das Abschätzen von Rocksaum-Erde-Distanz. Wenn man sich hinkniet, darf der Rock nur 1,5 Zentimeter vom Boden entfernt sein, sonst wird man zum Pinguin geschickt. Letztes Jahr wurde ich so oft kontrolliert, dass ich mittlerweile schon eine Hornhaut auf den Knien habe.

Schwarzes Brett und Vertretungsplan der Oberstufe, Gymnasium Wels Waldnerstrasse

AUFRUF ZUR SOZIALEN KOMPETENZ

Liebe Oberstufenschülerinnen und -schüler!

Hiermit möchte ich, euer Direktor, euch davon in Kenntnis setzen, dass dieses Schuljahr acht Schülerinnen aus unserer Nachbarschule, dem ORG der Franziskanerinnen (gemeinhin bekannt als Schwesternschule), zusammen mit der Spanischklasse von Frau Professor Panschur unterrichtet werden. Im Namen des gesamten Lehrkörpers möchte ich darum bitten, die Schülerinnen vorbehaltlos und mit offenen Armen zu empfangen. Nachdem es schwer genug war, die Direktorin des ORG von der Vorbildlichkeit unserer Schülerinnen und Schüler zu überzeugen, möchte ich wirklich, dass das Waldnerstraßen-Gymnasium einen rundum positiven Eindruck macht.

Euer Direktor:

Dr. Hubert Brambach

AUFRUF ZUR WAHRNEHMUNG DEMOKRATISCHER GRUNDRECHTE

Liebe Oberstufenschülerinnen und -schüler!

Hiermit möchte ich, euer Direktor, euch daran erinnern, dass es an der Schule seit nunmehr acht Jahren keine Schülerzeitung mehr gegeben hat. Das ist besonders schade, weil die Schülerinnen und Schüler damit auf die Wahrnehmung eines Grundrechts verzichten: das der FREIEN REDE.

Deshalb möchte ich folgenden Aufruf starten: Falls sich bis zu den Weihnachtsferien keine autonome Schülerzeitung entwickelt hat, wird die Redaktion des Newsletters, der an alle Lehrer, Eltern und Mitglieder des Fördervereins per E-Mail versandt wird, gerne Artikel von Schülern entgegennehmen. Nach Prüfung von Relevanz und Nachrichtenwert werden wir ausgewählte Artikel gerne in den Newsletter aufnehmen.

Euer Direktor:

Dr. Hubert Brambach

EVA HIER

Montag, der 12. 9., während des Spanischunterrichts in der Waldnerstraße

Mein glTb, Mann, diese Waldnerstraßen-Schülerinnen sind vielleicht eifersüchtig. Die tun gerade so, als hätten sie alle Jungs aus ihrer Schule vorreserviert. Dabei kenne ich zwei Drittel der Oberstufenschüler ohnehin vom Fortgehen. Mit mindestens fünf von ihnen hatte ich schon mal was – also ich bin keine Slut oder so, ich rede nur von Küssen … Okay, mit Tibor, der gerade mit mir in Spanisch sitzt – was für ein Zufall –, hatte ich letztes Frühjahr etwas mehr.

Aber für die Jungs, die mir nachlaufen, kann ich wirklich nichts. Tut mir leid, ihr Waldnerstraßen-Schülerinnen …

Was die eine da heute – aber das muss ich später schreiben. Gerade schaut so ein süßer Typ zu mir rüber, der aussieht wie Robert Pattinson. Ich werde sofort herausfinden, wie der heißt. Vorausgesetzt, meine Waldnerstraßen-Banknachbarin verrät es mir …

EVA HIER

Montag, der 12. 9., während des langweiligen restlichen Schultages

Mein glTb, gähn. Also, der heiße Typ heißt Ralph, war aber nach genauerem Hinsehen gar kein süßes Vampirmaterial, sondern vom Schönheitsgrad eher aus der Kategorie Zombie. Außerdem meinte Therese, meine Banknachbarin, dass der einen totalen Dachschaden habe, und es wirkte nicht, als ob sie das bloß sagte, um mich abzuschrecken, damit sie ihn für sich haben kann.

Die erste Stunde in der Waldnerstraße war alles in allem aber nicht schlecht. Habe tatsächlich mehrere hübsche Typen gesehen, mit einem wirklichen Hottie habe ich sogar gesprochen. Leider wurde ich dann von dessen Freundin angemacht. Das war vielleicht schräg. Zuerst war sie total freundlich, wirkte irgendwie lustig mit ihrem Akzent, stellte sich ganz förmlich vor und quatschte mich dann stundenlang wegen meiner Schuluniform voll, während ich gerade mit ihrem Boyfriend flirtete und nicht checkte, dass es ihrer ist.

Die spinnen, die Waldnerstraßen-Mädels, aber echt.

Auf jeden Fall hatten die beiden Zoff. Wer weiß, vielleicht ist ja bald Schluss, dann ist Roland (so heißt er) wieder Freiwild …

Notizen von Edisa Ivanovic, 16. September

Ich habe mich versöhnt mit Roland. Er hat mir geschworen, dass er nichts will von der Schwesternschülerin, und zuerst hat er auch geschworen, dass er überhaupt nicht geflirtet hat mit ihr. Daraufhin habe ich gemeint, er soll sich scheren zum Teufel. Natürlich hat er geflirtet mit ihr und wenn er lügt deswegen, dann lügt er auch sonst.

Dann hat er zugegeben, dass er geflirtet hat mit ihr, aber auch, dass er sich dabei mich in dem Kostüm, also der Schwesternschülerinnen-Uniform, vorgestellt hat. Damit hat er es jetzt besiegelt, dass ich sicher diese Uniform für ihn anziehe niemals. Sie wird mich auf ewig erinnern an seine Untreue – ja, flirten ist auch untreu sein, ein bisschen zumindest.

Aber weil er mir Blumen gebracht hat und Schokolade, habe ich ihm verziehen. Er weiß, er muss sich bemühen, um mich wieder gut zu stimmen, und hat eine romantische Geste versucht. Und eigentlich bin ich ja auch romantisch total. Aber Roland hat so verstaubte Vorstellungen, was das betrifft. Ich meine, ehrlich – Blumen und Schokolade? Ich muss ihm erklären einfach, was ich verstehe darunter: Ich will, dass er etwas macht, was mich überrascht völlig. Etwas, von dem er weiß, dass es mir, und zwar wirklich mir, etwas bedeutet. Er muss mich nicht einladen zu einem »verzauberten Wochenende« in einem Spa. Das habe ich bekommen letztes Jahr zu unserem Jubiläum. Ich bin doch nicht 40 Jahre alt und will bestellen Romantik aus dem Katalog. Ich will viel lieber, dass er sich ausleiht von irgendjemandem den Hausschlüssel vom Wimpassinger Hochhaus und mit mir macht bei Vollmond dort oben ein Picknick – oder einfach nur anschaut die Sterne.

Ich will kein teures Swarovski-Kettchen zum Geburtstag, ich will lieber einen Flash-Mob, der mir tanzt ein Ständchen, oder dass er sich im Radio wünscht mein Lieblingslied – Freak on a Leash von Korn und Amy Lee.

Ich hätte mir für ihn auch ausgeborgt die Schwesternschülerinnen-Uniform.

Logbucheintrag von Zauner, Judith

Zeit: 17.09., 16:04 Uhr (Samstag) Ort: zu Hause

Seit ich mit Bernd Schluss gemacht habe, sind drei Tage vergangen. Und paradoxerweise hat sich immer noch keine Beziehungsende-»Trauer« bei mir eingestellt.

Was bisher allerdings geschehen ist:

1.Bernd hat 30 Minuten, nachdem er meine SmSMS bekommen hat, seinen Beziehungsstatus auf »Single« umgestellt.

2.Meine Facebook-Pinnwand war binnen Sekunden zugemüllt mit lauter Fragen, Kommentaren und »aufheiternden Worten«*.

3.Habe herausgefunden, dass man seine Startseite auf Facebook »aufräumen« kann, indem man ganz viel postet. Ich habe die letzten 72 Stunden damit verbracht, so viele stupide Facebook-Games, »interessante« Artikel und »lustige« Tiervideos zu verlinken, dass alles, was an Bernd erinnert, weit, weit nach unten gerutscht ist.

4.Ich fürchte, ich bin süchtig nach »lustigen« Tiervideos. Die einzige Möglichkeit, die mir einfällt, meine Sucht zu bewältigen, ist, mir ein Eichhörnchen zu kaufen, das Zitronen schälen kann, oder einen Wellensittich, den ich dann Beatboxen lehre.

Ich habe lange darüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich heute Abend unbedingt fortgehen sollte. Immerhin ist es der erste Samstag seit sechs Wochen, an dem ich wieder Single bin. Und traurig zu Hause zu sitzen war noch nie konstruktiv.

Außerdem habe ich den ganzen Sommer damit zugebracht, meine Eltern daran zu gewöhnen, dass ich jeden Samstag bis Mitternacht wegbleiben darf. Wenn ich den heutigen Samstag auslasse, könnte ihnen wieder einfallen, dass sie mich anfangs eigentlich nur »ausnahmsweise« so lange fortgehen ließen. Ich versuche, durch beständige Konditionierung meiner Eltern eine Norm daraus zu machen.

Doch die Wahrscheinlichkeit, dass mir Bernd oder zumindest seine Freunde über den Weg laufen, ist viel zu hoch, um hier in Kirchham fortzugehen. Ich sollte lieber nach Wels fahren. Im Eduardo oder dem English Pub sind außerdem alle Leute aus der Schule, und ich könnte mich dann auch endlich mal wieder mit Melanie treffen, die mich in der Waldnerstraße zurückgelassen hat, weil sie jetzt auf die Tourismusfachschule in Ebensee geht (ins Internat!!!).

*Wieso kriege ich diese Kommentare und nicht Bernd?

Logbucheintrag von Zauner, Judith

Zeit: 17.09., 17:34 UhrOrt: immer noch zu Hause

Wenn ich abergläubisch wäre, würde ich jetzt denken, der Abend stünde unter einem schlechten Stern. Aber rein statistisch gesehen ist es sehr wahrscheinlich, dass es nur besser werden kann:

1.Habe mit Melanie telefoniert. Sie bleibt dieses Wochenende im Internat, zum Eingewöhnen.

2.Meine Eltern fahren mich nicht nach Wels. Sie finden, ich solle mit dem Zug fahren, das würde ich in der Früh ja auch immer so machen, wenn ich zur Schule muss.

3.Der letzte Zug* nach Wels fährt in 25 Minuten los. Dann bin ich um 18:40 Uhr in Wels und muss mindestens zwei Stunden warten, bis ich irgendjemanden in irgendeinem Lokal treffen kann.

Wenigstens holt mich mein Papa ab. Obwohl, könnte es denn nicht umgekehrt sein? Könnte mich Papa nicht hinbringen und ich fahre mit dem ersten Zug um fünf Uhr früh nach Hause?

So, jetzt muss ich mich anziehen und so schminken, dass die Farbe stundenlang hält.

*Eigentlich »Züge«, denn ich muss zweimal umsteigen.

EVA HIER

Montag, der 19. 9., während einer öden Spanischstunde

Mein glTb, wir haben gerade mal die dritte Spanischstunde und der gemischte Unterricht hier zeigt sich schon von seiner ätzendsten Seite. Wirklich!

Frau Señora Panschur hat so viel Heißblütigkeit wie ein spanischer Gewächshaussalat, und ich muss Tagebuch schreiben, um nicht aus purer Ödnis abzunibbeln.

Aber es ist ja nicht so, als würde ich wegen des Unterrichts hierherkommen. Doch mit Typen gemeinsam in einer Klasse zu sitzen kann komischerweise ziemlich unsexy sein. Irgendwie sind alle völlig irrsinnig und ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass wir Schwesternschülerinnen da sind, oder ob das hier der Normalzustand ist.

Vorhin wollte ich mir einen Radiergummi von Ralph ausborgen und er stammelte bloß »Äh-uh, ah …« wie ein zurückgebliebener Affe. Und danach haben er und sein Kumpel Klee versucht, sich gegenseitig mit Filzstift im Gesicht zu bemalen, bis Señora Panschur hereingekommen ist. Beide hatten hochrote Köpfe und Striche auf den Wangen und ihr Gesichtsausdruck war so unglaublich erbärmlich, als Panschur sie zum Direktor schickte … So unreif führen sich die Typen nicht mal nach zwei Uhr morgens im Eduardo auf.

Aber die Mädchen hier stehen ihnen in nichts nach. Als ich heute in die Waldnerstraße kam, fiel mir plötzlich auf, dass Therese, meine Waldnerstraßen-Banknachbarin, mich total von oben herab ansah und dann mit ein paar anderen Mädchen über mich herzog – die lachten mich tatsächlich aus!

Dabei war Therese in der ersten Stunde noch total nett zu mir gewesen. Sie hatte mir ja erzählt, dass Ralph Ralph heißt, und mich vor ihm gewarnt. Sie hatte mir nach unserer ersten gemeinsamen Spanischstunde sogar ihre Kaffeetasse geliehen! Die haben hier ihren Kaffeeautomaten nämlich so umgebaut, dass er keine Becher ausgibt und man seine eigene Tasse hineinstellen muss. Kurz: Therese hat sich absolut bilderbuchmäßig verhalten. Und eine Woche später fängt sie plötzlich an herumzubitchen? Ich fasse es nicht.

Und jetzt versucht sie doch tatsächlich, in mein Tagebuch reinzulesen … Na gut. Dann ist sie selbst schuld.

EVA HIER

nur ganz wenig später

Mein glTb, eben habe ich Therese mein Tagebuch rübergeschoben und gesagt: »Ich schreib gerade, dass du Ärmste gar keinen Busen hast …«

Ich weiß, ich bin gemein …

Aber ich kenne die Vorzeichen von Zickenfights. Und wenn man nicht früh genug zuschlägt, landet man schnell auf dem Boden. Noch dazu hat Therese ihre ganze Mädchenarmee hinter sich und ich habe niemanden, weil meine beste Freundin Ines nicht Spanisch, sondern Italienisch gewählt hat.

Logbucheintrag von Zauner, Judith

Zeit: 18.09., 11:35 Uhr (kurz vor dem Mittagessen, für mich eigentlich Frühstück) Ort: mein Zimmer

Ein … sehr überraschender Abend. Nachdem ich am Bahnhof in Wels angekommen war, machte ich mich sehr, sehr langsam auf den Weg in die Stadt. Ich blieb an jedem Schaufenster stehen, um Zeit totzuschlagen.* Aber weder die Auslagen im Papierwarenladen noch in einer Boutique konnten mich fesseln. Schließlich landete ich in einem Kaffeehaus, bestellte einen Kaffee, las in einem Buch, schminkte mich nach und machte mich dann ins Eduardo auf.

Ich hatte bis auf »Einen Cappuccino!« und »Zahlen bitte!« seit zwei Stunden nichts gesagt und die Vorstellung, mit jemandem zu reden, kam mir plötzlich eigenartig und fremd vor. Aber als ich das Eduardo betrat, merkte ich, dass das kein Problem sein würde. Nachdem ich wirklich bis ganz nach hinten gegangen war, stellte ich nämlich fest, dass ich NIEMANDEN kannte. Kein einziger Schüler aus der Waldnerstraße war da, was statistisch gesehen eigentlich unmöglich war.

Zum Glück gab es ja immer noch das English Pub eine Straße weiter. Aus irgendeinem Grund rechnete ich fest damit, dass sich dort alle Leute aus meiner Schule versammelt hatten. Aber nachdem ich die Tür aufgestoßen hatte, merkte ich sofort, dass ich mit meiner Vermutung falsch lag. Noch dazu war das Lokal so leer, dass ich mich weder unauffällig unter die Leute mischen noch an der Bar an einem Bier nippen und so tun konnte, als würde ich auf meine Freundin warten, die auf dem Klo ist.

Vielleicht hätte ich einfach wieder kehrtmachen und zurück ins Eduardo gehen sollen. Dort war es wesentlich dunkler, mit mehr Ecken und Winkeln, in die man sich verkriechen konnte. Aber eigenartigerweise hatte ich das Gefühl, dass ich noch mehr unangenehme Aufmerksamkeit auf mich ziehen würde, wenn ich jetzt wieder ginge. Es war, als würden alle wissen, dass ich alleine war:

Ohne Freund – weil ich mit dem ganz übel Schluss gemacht hatte.

Ohne Freundeskreis – weil der sich bestimmt mit meinem armen Exfreund solidarisiert hatte, Facebook-Beileidsbekundungen hin oder her.

Ohne beste Freundin – denn die verbrachte lieber ein Wochenende mit ihren neuen besten Freundinnen im Internat.

Und ich konnte nicht mal meine Eltern anrufen und sie bitten, mich abzuholen, denn das widersprach meinem Konditionierungsplan …

Ich entschloss mich, mir so wenig wie möglich anmerken zu lassen, so zu tun, als liefe alles nach Plan, und mich an die Bar zu setzen. Wer weiß, vielleicht wartete ich ja auf eine Freundin, die noch gar nicht da war, oder aber ich hatte ein Date und war früh dran.

Gerade als ich das dachte und einen großen Schluck von meinem Bier nahm, tippte mir jemand auf die Schulter. Man muss nur fest genug an etwas glauben, dann passiert es auch, dachte ich und drehte mich erwartungsvoll um. Doch meine Freude wurde sofort getrübt. Hinter mir stand ausgerechnet einer von Bernds besten Freunden: Jan.

Bernd war mit ihm früher immer auf Festivals gefahren, doch seit wir zusammen waren nicht mehr.**