Maddrax 400 - Oliver Fröhlich - E-Book

Maddrax 400 E-Book

Oliver Fröhlich

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Beschreibung

Dieser Roman markiert nicht nur den Beginn eines neuen, aufregenden Zyklus, sondern den größten und folgenreichsten Einschnitt der ganzen Serie! Begleiten Sie Matt und Aruula in ein Abenteuer, in dem über das Schicksal der ganzen Menschheit und der vom abstürzenden Mond bedrohten Erde entschieden wird. Noch nie ging es um so viel, noch nie waren Matthew Drax und Aruula so auf sich allein gestellt...

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Inhalt

Cover

Impressum

Hilfreiche Links

Transfer

Der große Maddrax-Rückblick

Leserseite

Cartoon

Vorschau

Zeittafel

Checkliste aller Maddrax-Publikationen

Preisrätsel

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Lektorat: Michael Schönenbröcher

Titelbild: Koveck und Néstor Taylor, Agentur Ortega

Autor: Oliver Fröhlich

E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-1158-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

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Serie

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Autor

Transfer

von Oliver Fröhlich

Was Matthew Drax vor sich sah, konnte unmöglich der Realität entsprechen. Nicht hier. Nicht im Zentrum des CERN, in der Nähe eines Wurmlochs, dessen strahlendes Licht ihn blendete.

„Bei Wudan“, hörte er Aruulas gedämpfte Stimme durch den Helm des Schutzanzugs. „Wie kommtdashierher?“

Matt hätte viel darum gegeben, selbst eine Antwort darauf zu bekommen. Er blinzelte, um die offensichtliche Illusion zu vertreiben – doch nichts änderte sich. Noch immer stand er im Herzen der Teilchenbeschleunigeranlage des CERN tief unter der Erde und starrte den Stratosphärenjet an, mit dem er einst auf diese postapokalyptische Erde gekommen war.

Als würden seine Beine ein Eigenleben entwickeln, führten sie ihn näher an das Objekt heran. Die Konturen wurden klarer, die Schatten verschwanden. So sehr er es sich im Interesse seiner geistigen Gesundheit auch wünschte, er hatte sich nicht getäuscht: Vor ihm stand sein Jet – in makellosem, fabrikneuen Zustand. Der kobaltblaue Rumpf, die Tragflächen, die durchsichtige Pilotenkanzel, nichts zeigte auch nur den Hauch einer Spur davon, dass er mit dieser Maschine nach einem Zeitsprung von mehr als einem halben Jahrtausend im Jahr 2516 in den italienischen Alpen abgestürzt war.

Unmöglich!, hallte es wieder durch seinen Kopf.

Erinnerungen stiegen in ihm hoch, als wäre seit jenem 8. Februar 2012 keine Zeit verstrichen, als habe er inklusive späterer Zeitsprünge nicht bereits dreißig Jahre auf dieser ihm fremden Erde verbracht, als sei sein Bewusstsein jahrzehntelang in der tiefsten Vergangenheit des Mars nicht mit dem des Hydree Gilam’esh verbunden gewesen.

Er sah sich selbst im Cockpit sitzen, hinter sich Professor Dr. Jacob Smythe. Mit über fünffacher Schallgeschwindigkeit rasten sie über Europa hinweg, um „Christopher-Floyd“ zu beobachten – jenen Kometen, der kurz davor stand, auf der Erde einzuschlagen. Er sah die dichte Wolkendecke unter sich, die rote Glutkuppel, die der mörderische Brocken vor sich herschob, als er in die Erdatmosphäre eintrat. Er spürte das plötzliche Vibrieren des Steuerknüppels, des gesamten Jets, das Dröhnen der Maschine. Er sah die Feuersäule, den rot glühenden Himmel, hörte Smythes hysterisches Geschrei, das Knistern in den Kopfhörern, sah den explodierenden Horizont beim Aufprall des Kometen.

Und wie sich mit einem Mal die Szenerie veränderte.

Der Komet verschwand, genauso wie das Feuer. Stattdessen trudelte Matt mit dem Jet durch einen stahlblauen Himmel, Schneegipfeln und Gletscherhängen entgegen. Im allerletzten Moment gelang es ihm, den Absturz in eine Notlandung zu verwandeln.

Dass er auf eine ihm damals nicht erklärbare Art und Weise über fünfhundert Jahre in die Zukunft geflogen war, hatte er erst später begriffen.

„Jemand von meinem Volk muss es hierher geschafft haben“, riss Aruulas Stimme ihn aus der Erinnerung. „Aber warum? Und wer? Wie konnte er wissen, dass ich hier auftauchen würde?“

Matt wandte sich zur Seite und schaute seine Begleiterin an. In dem Schutzanzug, der sie vor der Strahlung bewahrte, sah sie verloren und unsicher aus. Hinter ihr flackerte und glitzerte das Wurmloch wie ein faustgroßer Diamant – das Ergebnis eines Experiments mit Antimaterie in den Monaten vor dem Einschlag „Christopher-Floyds“.1)

Er hatte gehofft, nie wieder an diesen Ort zurückkehren zu müssen. Aber die Suche nach Xaana und der Plan der Schwarzen Philosophen, mithilfe des Wurmlochs den Stadtstaat Agartha im Himalaja zu vernichten, hatten ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Wie meinst du das?“, fragte er.

Sie reckte das Schwert, das sie in ihrer Rechten trug – den Handschuh hatte sie ausgezogen und unter einen Riemen des Anzugs gesteckt –, in Richtung des Jets. „Weil dieser Jemand sonst nicht ausgerechnet das hergebracht hätte.“

„Keine Ahnung, was du mir sagen willst“, gestand Matt. Allerdings dachte er auch nicht länger darüber nach. Zu sehr beschäftigten ihn die eigenen Gedanken. „Könnte Smythe damit zu tun haben? Vielleicht hat er den Jet restauriert und ins CERN geschafft, um … um …“

Er wusste selbst, dass er Unsinn redete, aber seine Vernunft versuchte verzweifelt, sich an einer Erklärung festzuklammern, egal, wie weit hergeholt sie erscheinen mochte. Hauptsache, dieses verdammte Gefühl, den Verstand zu verlieren, verschwand endlich.

Stattdessen wurde es noch verstärkt, als Aruula fragte: „Ein Jet? Welcher Jet?“

Matt glaubte, jemand zöge ihm den Boden unter den Füßen weg. Also doch nur eine Illusion? „Du … du siehst ihn nicht?“, fragte er.

„Nein.“ Aruulas Blick wanderte von ihm zum Jet und wieder zurück. „Heißt das, du siehst dort ein Flugzeug?“

Am liebsten hätte er verneint, aber er nickte.

„Merkwürdig“, sagte sie. „Ich sehe ein Reiseboot, wie wir es bei den Dreizehn Inseln verwendet haben.“

Matt wusste nicht, ob er vor Erleichterung lachen sollte. „Die Strahlung des Wurmlochs!“, stieß er hervor. „Die Anzüge schützen uns zwar körperlich, aber offenbar wirkt sie auf unseren Verstand. Wir müssen von hier verschwinden.“

Ohne herauszufinden, was mit Xaana geschehen ist? Der Gedanke weckte Widerwillen in ihm.

Dann fiel ihm etwas auf. Er sah dort ein Flugzeug, Aruula ein Boot – beides Transportmittel, die eine Rolle in ihrem früheren Leben gespielt hatten. Die ihnen vertraut waren.

„Okay“, sagte er. „Visionenvergleich. Ich sehe eine Leiter, die zum Cockpit führt. Und du?“

„Einen Steg hoch zur Reling.“

Matt trat ein paar Schritte vor. Es gab einen ganz einfachen Weg, festzustellen, ob es wirklich nur ein Trugbild war. Er streckte den Arm aus und … berührte den Holm der Leiter. Sie war materiell, kein Spuk!

Eine Bewegung über sich ließ ihn den Kopf heben. Vor seinen Augen öffnete sich die Cockpithaube!

„Eine Einladung?“, murmelte er. „Aber von wem?“

Aruula zuckte zusammen. „Oh! Sieh doch. Wudans Auge ist an der Reling aufgetaucht und winkt mir zu. Ich soll an Bord kommen.“ Sie schob sich an Matt vorbei und stieg die Leiter hinauf.

„Warte!“, rief er ihr nach. Sie wusste doch, dass die greise Seherin vom Volk der Dreizehn Inseln längst tot war. Glaubte sie, ihr Geist wäre ihr erschienen? „Es ist gefährlich!“

Vermutlich hatten Xaana und Smythe denselben Weg genommen, und dies war somit auch der Grund für ihr Verschwinden. Im Hinterkopf hörte er eine leise Stimme, die ihn warnte, dass Aruula und ihm das gleiche Schicksal widerfahren würde, wenn sie die Einladung annahmen. Dass sie verschollen blieben.

Dieser Preis, nur um herauszufinden, was mit den beiden geschehen war, um ihre Neugier zu stillen, war viel zu hoch und …

Matt schrak aus seinen Gedanken auf – und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass er bereits die oberste Sprosse der Leiter erreicht hatte. Irgendwie war es ihm sogar gelungen, Aruula zu überholen, was umso deutlicher zeigte, dass es sich nicht wirklich um eine Leiter handelte.

Wir werden gelenkt!, fuhr es ihm durch den Kopf. Er ballte die behandschuhten Hände zu Fäusten. Ich muss widerstehen!

Aruula schlug ihm gegen das Bein. „Na los, weiter! Wir dürfen Wudan nicht warten lassen.“

„Du hast recht.“

Nein! Hat sie nicht. Das ist eine Falle. Wir müssen widerste-

Im Pilotensitz kam er zu sich, in dem Augenblick, als Aruula auf den Sitz hinter ihm glitt und sich die Cockpithaube schloss.

„Raus hier!“, rief er. „Schnell!“

Er stemmte die flachen Hände gegen das Glas, presste dagegen, wollte die Haube aufstemmen. Es gelang nicht.

„Die Segel werden gehisst, wie von selbst!“, sagte Aruula.

Matt fuhr herum. Er sah keine Segel, sondern das Aufflammen der Turbinen.

Die Triebwerke heulten auf und der Jet setzte sich in Bewegung. Die erste Sekunde nur langsam, dann schoss er nach vorne. Auf das Wurmloch zu. Die plötzliche Kraft presste Matt in den Sitz, raubte ihm den Atem.

Das Wurmloch wuchs vom Durchmesser einer Männerfaust auf die Größe eines Garagentors an.

Oder wir schrumpfen, schoss es Matt durch den Kopf. Wir müssen raus hier! Sofort! Zugleich war ihm bewusst, dass es kein Entkommen mehr gab.

Das unerklärliche Phänomen pulsierte, schien sich ihnen entgegen zu strecken, umfasste den Jet – und verschlang ihn.

Sein Kopf schmerzte, ihm pochten die Schläfen. Es fühlte sich an, als würden sich glühende Klingen von innen durch die Augäpfel bohren. Sein Atem ging rasselnd.

Matt mühte sich, die Augen zu öffnen, schrie auf und schloss sie sofort wieder, als ein grelles Blau ihn blendete.

Den nächsten Versuch ging er vorsichtiger an. Langsam öffnete er die Lider nur einen Spalt weit und wartete, bis er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte.

„Wo sind wir?“, erklang Aruulas Stimme hinter ihm.

Er drehte sich um, so gut es ging. Da erst fiel ihm auf, dass er in einer unbequemen starren Schale saß. Eine von zwei Sitzgelegenheiten in einer länglichen Kapsel. Die zweite direkt hinter ihm belegte die in einen kupferfarbenen Schutzanzug gekleidete Aruula.

Einen Schutzanzug? Auch er trug einen. Aber warum?

„Ich habe keine Ahnung“, sagte er und beantwortete damit sowohl Aruulas als auch seine eigene Frage.

Die Luke der Kapsel stand offen. Matt blickte nach oben und sah einen wolkenlosen blauen Himmel mit einem Stich ins Violette. Mehr war nicht zu erkennen, denn von der Hülle des patronenähnlichen Gefährts stiegen Dampfschwaden auf, die ihnen die Sicht raubten.

„Was ist passiert?“, fragte Aruula.

„Ich … kann mich nicht erinnern.“

Vorsichtig streckte Matt die Hand nach dem Kapselrand aus. Das Material wirkte wie Metall, war aber von unzähligen Poren durchzogen. Wie Haut.

Kurz bevor er es berührte, zuckte er zurück.

„Nicht anfassen!“, rief er Aruula zu. „Es ist eiskalt.“

Er betrachtete die behandschuhten Finger. Wollten sich seine Begleiterin und er so gegen die Kälte schützen?

Eine erste Erinnerung blitzte in ihm auf.

Das Wurmloch!

Gleich darauf eine zweite.

CERN.

Natürlich! Sie mussten durch das Wurmloch gereist sein. Irgendwie. Bilder des Stratosphärenjets taumelten durch sein Gedächtnis.

Er stemmte sich an den Rändern der Sitzschale hoch, achtete darauf, das kalte organische Metall nicht zu berühren, und versuchte die Dampfschwaden mit Blicken zu durchdringen. Aussichtslos – im wahrsten Sinne des Wortes.

Eines bewies der Himmel über ihnen: Sie befanden sich nicht mehr im CERN. Aber wo dann?

„Es riecht nach Gewürzen“, sagte Aruula.

Matt drehte sich zu ihr um. Sie hatte den Helm abgenommen.

„Bist du wahnsinnig?“, fuhr er sie an. „Die Strahlung …“

„… ist verschwunden“, fiel sie ihm ins Wort. „Genau wie der Rest der Anlage und das Wurmloch selbst.“

Er atmete tief durch und verzichtete darauf, ihr zu erklären, dass der Ausgang der Passage, die sie offenbar genommen hatten, ein weiteres Wurmloch darstellen musste. Erstens wollte er keinen Streit mit ihr – und zweitens hätte er mit seiner Behauptung unrecht gehabt, wie alleine die Tatsache bewies, dass Aruula noch lebte. Hatte sich der Durchgang hinter ihnen geschlossen?

Zögerlich nahm Matt ebenfalls den Helm ab.

Es roch würzig, auch wenn er den Duft nicht benennen konnte. Kümmel? Curry? Oregano? Eine Mischung aus allem?

Er glaubte das Zirpen, Scharren und Sirren von Insekten zu vernehmen, obwohl es sich irgendwie … fremdartig anhörte. Das Atmen fiel ihm schwerer als gewohnt. Die Luft schien dünn und sauerstoffarm zu sein.

Wohin zum Teufel hatte es sie verschlagen? Ins Gebirge? Nach Agartha? Nein, dafür war es zu warm. Merkwürdig, dass er das spürte, wo der Rumpf der Kapsel doch so eine Eiseskälte verströmte.

„Wir müssen aussteigen“, sagte er. „Herausfinden, wo wir sind.“

Im gleichen Augenblick ertönte ein leises Knistern. Dann ein Knacken, gefolgt von einem sanften Rauschen.

„Was ist das?“, fragte Matt.

„Das Ding löst sich auf!“, rief Aruula.

Er sah nach unten. Von der Kapselhülle rieselte grober Staub wie Rost – oder Humus.

„Raus hier!“, rief er zum wiederholten Mal. Er wollte sich hochstemmen und an den Kanten abstützen, egal, wie kalt dieses Pseudometall war. Die Handschuhe würden ihn hoffentlich schützen.

Die Kanten zerfielen unter seinem Gewicht zu Pulver. Er sackte zurück in die Sitzschale, die sich ebenfalls in einer Staubwolke auflöste.

Instinktiv hielt er den Atem an, um den Staub nicht in die Lungen zu bekommen. Während er durch die Kapsel hindurchstürzte, als bestünde sie aus trockenem Sand, hatte er damit Erfolg. Als er jedoch auf dem harten Boden aufprallte, schnappte er wie von selbst nach Luft.

Hastig sprang er auf, ignorierte die Schmerzen im Steißbein, hustete, spuckte die Rostflocken aus, hetzte aus der Staubwolke – und blieb wie angewurzelt stehen.

„Das gibt’s doch nicht!“, entfuhr es ihm.

Nein, die Landschaft, die er da vor sich sah, war gewiss nicht Agartha. Genau genommen glich sie nichts, was er bisher je gesehen hatte. Und an Skurrilitäten gab es auf der postapokalyptischen Erde eine ganze Menge.

Er und Aruula waren in einer Bodensenke gelandet. Aus dem rostroten Boden wuchsen vereinzelte schilfartige Grasbüschel, die träge hin und her wogten, obwohl kein spürbarer Wind wehte. Dünne grüne Stränge schlängelten sich durch den Untergrund wie ein Aderngeflecht. Ob die Erde an diesen Stellen einfach nur eine andere Farbe aufwies oder ob sich tatsächlich knapp unter der Oberfläche ein Wurzelnetz erstreckte, konnte Matt nicht sagen.

Er stieg die Anhöhe empor und erreichte nach wenigen Schritten den Rand der Senke. Abermals verschlug es ihm den Atem. Dort in einiger Entfernung standen baumhohe Pilze, die ihre Schirme dem Himmel entgegen streckten. Aus den Lamellen rieselte Staub, der im Licht der Sonne funkelte und glitzerte.

Und noch weiter entfernt trieben in der dünnen Luft riesige, gleichsam pilzähnliche Gebilde mit weiten Schirmen, von denen anstatt Stämmen dicke pendelnde Fasern nach unten hingen. Wie Tentakel oder gewaltige Nesselfäden von Quallen.

Zwischen zweien dieser Quallenpilze segelte ein … Fisch? Matt konnte es nicht deutlicher benennen, aber das Wesen wirkte mit seinen abgespreizten Stacheln wie ein Feuerfisch, nur flacher und mit breiten Schwingen.

Gelegentlich blitzten die Dornen auf, vermutlich ebenfalls Reflexionen der Sonne.

Matt drehte sich zu Aruula um, die hinter ihm den Hang hochstieg. Und erst jetzt sah er in der Gegenrichtung etwas im purpurstichigen Blau des Himmels, das ihn restlos davon überzeugte, dass dies ein gänzlich fremder Ort war.

Ein gewaltiger Planet hing dort oben, umgeben von einem Ringsystem und mehreren Monden.

Wie der Saturn, schoss es ihm durch den Kopf. Wir sind auf einem fremden Planeten! Nein – auf dem Mond eines fremden Planeten!

„Mein Schwert ist weg!“, schimpfte Aruula. Offenbar hatte sie das Unfassbare noch gar nicht realisiert und kümmerte sich zuerst um das aus ihrer Sicht Wesentliche: ihre Waffe.

Unwillkürlich tastete Matt nach seiner Laserpistole. Auch sie war verschwunden! Mit neuem Schrecken griff er in die Tasche, in der er die Bleiröhre mit dem Transporttuch der Schwarzen Philosophen verstaut hatte – aber auch sie war nicht mehr da.

Hatten ihre Waffen und die Röhre den Transfer auf diesen fremden Planeten nicht mitgemacht? Oder hatte man sie ihnen abgenommen, bevor sie das Bewusstsein zurückerlangt hatten? Falls Letzteres zutraf, wer war dann „man“? Weit und breit war niemand zu sehen.

„Was ist das für eine Gegend?“, fragte Aruula endlich.

„Auf jeden Fall nicht Kansas.“ Eine blödsinnige Antwort, zumal die Barbarin den „Zauberer von Oz“ gar nicht kannte und die Anspielung somit nicht verstand. Aber ihm fiel nichts Besseres ein. Der Anblick des Ringplaneten und seiner Monde war zu bizarr, um einen logischen Gedanken zu fassen. Er fragte sich, ob er vielleicht träumte.

Er deutete hinter Aruula und sie drehte sich um. Ein Laut der Überraschung und des Schrecks kam über ihre Lippen. „Was … was ist das am Himmel?“

„Ein Planet in einem fremden Sonnensystem“, versuchte Matt ihr zu erklären. „Wir scheinen uns auf einem seiner Monde zu befinden.“ Starker Tobak für jemanden, der nicht einmal das Prinzip der Raumfahrt kannte.

„Wir haben also die Erde verlassen?“ Aruulas nüchterne Frage zeigte, dass sie es anscheinend besser wegsteckte als er.

Er nickte. „Offenbar sind wir durch das Wurmloch gereist und hier herausgekommen.“ Auch wenn das physikalisch eigentlich unmöglich ist, fügte er in Gedanken hinzu. Jedenfalls nicht mit irdischer Technik.

„Das Boot und Wudans Wille haben uns hergeführt“, sagte Aruula im Brustton der Überzeugung.

Fast hätte Matt aufgelacht, aber das wäre nicht gut bei ihr angekommen. Wudan! Es gab Dinge, die konnte man nicht mit dem Eingreifen irgendwelcher Gottheiten erklären, auch wenn das vieles vereinfachte. Interstellare Reisen gehörten dazu.

Er suchte noch nach einer passenden Antwort, da klang ein schriller animalischer Schrei auf. Er fuhr herum und blickte hoch zum Himmel.

Der Feuerfischvogel hatte sie entdeckt und flog auf sie zu. Er hatte das Maul weit aufgesperrt, was einen beängstigenden Blick auf mehrere Reihen dolchspitzer Zähne erlaubte.

„Runter!“ Matt ließ den Helm und sich selbst fallen. Aruula tat es ihm gleich.

Der Angreifer schoss nur wenige Meter über sie hinweg, ein Vieh von der Größe eines Kleinwagens. Es stank nach faulen Eiern, Aas und Sellerie.

Unbewusst tastete Matt zur Hüfte nach der Laserpistole, doch sie war und blieb verschwunden.

„Such dir eine Waffe!“, rief er Aruula zu. Eine überflüssige Aufforderung: Sie hob gerade einen langen Ast vom Boden auf.

Matthew rappelte sich auf. Wo war der fliegende Killerfisch?

„Hinter dir!“

Matt fuhr herum. Das Monstrum hielt im Sturzflug direkt auf ihn zu. Seine kalten Fischaugen fixierten ihn.

Der Mann aus der Vergangenheit riss die Arme hoch und sprang zur Seite. Im letzten Moment entging er den spitzen Zähnen – nicht jedoch den Stacheln und Schwingen. Wie Rohrstöcke klatschten ihm drei oder vier der Stränge auf Unterarm und Handrücken. Das brachte ihn zum Straucheln und ließ ihn über die eigenen Füße stolpern.

Die Wucht der Stachelhiebe drang durch Schutzanzug und Handschuh. Matt stöhnte auf. Tränen schossen ihm in die Augen, verschleierten seinen Blick.

Trotz des Schmerzes suchte er den Grund nach einer Behelfswaffe ab. Er bekam einen faustgroßen Stein zu fassen und riss ihn hoch.

Aruula tauchte neben ihm auf, packte ihn an der rechten Hand – was das geprellte Gelenk mit einem neuerlichen Schmerz quittierte – und half ihm hoch. „Schnell!“, rief sie. „Das Vieh kommt gleich zurück!“

Matt suchte den Himmel ab. Schnell entdeckte er den Fischvogel, der einen Kreis zog und sich zum nächsten Angriff bereit machte.

„Zu einem der Riesenpilze!“, rief Matt. „Wir müssen Deckung suchen.“

„Nein!“, widersprach Aruula. „Zu weit weg. Achtung, er kommt!“

Matts Finger schlossen sich fester um den Stein. Er spannte die Muskeln an, machte sich bereit. Aruula umklammerte den Ast mit beiden Händen.

Dann war das Wesen heran.

Matt holte aus und schleuderte ihm den Stein entgegen. Treffer! Das Wurfgeschoss schlug knapp oberhalb des aufgerissenen Mauls ein. Der Fischvogel kreischte, fauchte und krächzte.

Toll, jetzt hab ich ihn nur noch wütender gemacht.

Doch Matt irrte sich. Für einen Augenblick verlor der Angreifer die Orientierung.

Zeit genug für Aruula, eine Gegenattacke zu starten. Sie lief der Kreatur zwei Schritte entgegen, ließ sich fallen, kurz bevor sie ihn erreichte, wartete einen winzigen Moment, bis das Vieh knapp über sie hinwegflog, und stieß den Ast in die Höhe.

Der Behelfsspeer drang tief in das Bauchfleisch des Wesens ein.

Ein neuerliches Kreischen. Noch lauter und wütender als eben. Aber Matt glaubte, auch Schmerz darin zu hören.

Aruula ließ los. Das Wesen schoss davon, trug den Ast in der Wunde noch einige Meter mit, ehe der sich löste und zu Boden fiel.

„Meinst du, er gibt auf?“, fragte Matt.

Er hörte nicht mehr, ob ihm seine Gefährtin eine Antwort gab. Ein grelles Licht erfüllte plötzlich den Himmel, drang in Matts Innerstes und löschte es aus.

Kellanato Phyrst trat über das silberne Begrenzungsband, das Toxx von der Außenwelt trennte, und verharrte. Er schaute in den Himmel, wartete, ob er Anzeichen dafür entdeckte, dass sich Friedenswahrer in der Gegend aufhielten, und machte sich erst auf den Weg, als er sicher war, allein zu sein.

Oder so sicher zumindest, wie man sich bei den Herren von Toxx sein konnte. Denn nicht immer zeigten sie sich bereits aus der Ferne, wenn sie in das Leben der Stadtbewohner einzugreifen gedachten. Wesentlich häufiger schienen sie geradewegs aus dem Nichts aufzutauchen.

Zwar war es nicht verboten, Toxx zu verlassen und dem Stadtmoloch zumindest für ein paar Stunden den Rücken zu kehren – oder auch länger, wenn man sich unbedingt mit den Flammflossern anlegen wollte. Allerdings hießen die Friedenswahrer es nicht gut, wenn ein Städter Seweti-Beeren sammelte, die nur außerhalb von Toxx wuchsen, und sich damit den Bauch vollstopfte.

Und genau das hatte Kellanato Phyrst vor.

Er wartete noch ein paar Minuten, schlenderte scheinbar ziellos in der Nähe des Begrenzungsbands auf und ab und wandte sich schließlich der waldbedeckten Steigung zu.

Nach gut dreihundert Melakzar erreichte er den Waldrand.

Er lächelte grimmig. Seine Kinnbarteln vibrierten und summten das Lied der Verzweiflung.

Melakzar, wiederholte er im Geiste und versuchte, die Erinnerung wie den Eintrag in einem Lexikon festzuhalten. Die gebräuchlichste Entfernungsangabe meiner Heimat. Der fünfzigste Teil eines Konlakzars, was wiederum den millionsten Teil des Umfangs von Lebyyrajana darstellt.

Die Kinnbarteln brummten Trauer und Zorn, als er an den Planeten dachte, von dem es ihn nach Terminus verschlagen hatte, den Mond der Gestrandeten. Er stimmte den Gesang der Reisenden an.

Lebyyrajana, du Schönste unter allen Welten.

Bedauernswert ist jeder, der deine Pracht nie geschaut, der deinen Duft nie geatmet, der deine Lieder nie gehört.

Lebyyrajana, du Schönste unter allen Welten.

Mein Weg führt mich in die Ferne, ins triste Kahl des Firmaments. Doch mag mein Leib dich auch verlassen, meine Gedanken bleiben stets bei dir.

Lebyyrajana, du Schönste unter allen Welten.

Wohin das Schicksal mich auch leitet, welche weiten Gestade ich auch erreiche, niemals werde ich deine Herrlichkeit vergessen.

Kellanato Phyrst lachte auf. Was gäbe er darum, den Gesang der Reisenden Wahrheit werden zu lassen. Aber er wusste, dass es hoffnungslos war.

Er würde vergessen. So wie jeder in Toxx früher oder später vergaß, woher er stammte, wie er hieß oder was sein Leben vor der Ankunft in der Stadt ausgemacht hatte.

Wütend trat er nach einem Pilz, der am Rand des Halmwalds wuchs. Mit einem dumpfen Laut zerplatzte das Gewächs in einer Sporenwolke.

Phyrst wusste, dass er seinen Zorn in den Griff bekommen musste, wenn er nicht wollte, dass die Friedenswahrer auf ihn aufmerksam wurden. Aber er konnte nicht anders, als sich hin und wieder abzureagieren.

Er trat in den Wald, passierte eine Korallenwand, schob sich durch eine Reihe dicht gewachsener Schachtelhalme, überquerte eine pilzbewachsene Lichtung. Mit jedem Schritt ging er schneller. Die Gier nach den Seweti-Beeren ließ sich kaum noch bändigen.

Ein vierflügeliger Nektarrüssler setzte sich auf Phyrsts Unterarm. Obwohl das Insekt harmlos war, erschlug er es mit einer freien Hand.

Gleich habe ich es geschafft.

In seiner Vorfreude glaubte er, bereits das herbe Aroma der Beeren auf der Zunge zu schmecken und ihre heilvolle Wirkung zu spüren. Natürlich zögerte er mit ihrer Hilfe das Vergessen nur hinaus, denn aufhalten ließ es sich nicht. Trotzdem war das besser als nichts.

Wie lange saß er nun schon auf Terminus fest? Zwanzig Rotationen? Fünfzig? Daran konnte er sich genauso wenig erinnern wie an die genauen Umstände, die ihn an diesen fürchterlichen Ort verschlagen hatten.

Jemand hatte ihn entführt, so viel stand fest. Er entsann sich der Expedition, die er und Eveniana in die Schmorgrotten von Hedrysan unternommen hatten. Ein gefährlicher Vorstoß in die Tiefen von Lebyyrajana. Warum hatten sie sich nur darauf eingelassen? Er marterte sein Gedächtnis, bis es ihm wieder einfiel.

Das Erdbeben nach dem Zünden der Bombe. Die Strahlungswerte, die keinesfalls der Detonation geschuldet sein konnten. Ich habe mich mit Eveniana hinab begeben, um dieses Rätsel zu lösen.

Und dann? Was war dort unten geschehen?

Er sah sich und seine Begleiterin in klobigen Schutzanzügen einen schrägen Schacht hinabsteigen. Er erinnerte sich, dass sie die Explosionskaverne erreichten, dass sie die verbogenen Streben des Bombenpodests entdeckten, die herabgestürzten Felsbrocken, die schwarz glühenden Schmoradern im Gestein, das aus einem Spalt quellende Magma und den …

Den was?

In seinem Gedächtnis klaffte ein ebenso tiefer Spalt wie in der Explosionskaverne, doch aus ihm quoll kein flüssiges Gestein, sondern das Vergessen. Es breitete sich aus und verschlang alles, was ihm im Weg stand.

Kellanato Phyrst schüttelte sich. Die Kinnbarteln vibrierten und summten. Schlimm genug, dass sich die Erinnerung verflüchtigte. Als schlimmer aber empfand er, dass er sich dessen bewusst war und dass das Vergessen keinen Segen, sondern eine Last darstellte.