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In dieser Fortsetzung zum Buch «Magic Kids - Das Erwachen des Grauens», geht der Kampf gegen die Monster weiter. «Ich habe viele Geheimnisse... Das liegt hauptsächlich daran, dass ich den Leuten eben nicht erzähle, woran ich denke, meine Liebe.» Nicht alle Kinder sind so unschuldig, wie man denken würde. Felix' dunkle Vergangenheit schimmert langsam durch, und die Narben, die schreckliche Ereignisse in früher Kindheit hinterlassen haben, werden sichtbar. Auch Leslie ist viel geheimnisvoller und mysteriöser, als sie auf den ersten Blick scheint. Und Nina entdeckt, dass der Unterschied zwischen Legenden und Realität nicht so klar ist, wie sie immer dachte. Derweil sind Jill, Amanda und Liumana an einem monsterverseuchten Ort und kommen Feuerleins Palast immer näher. Aber werden sie es jemals wieder heraus schaffen? Oder wird ihnen ihr lebensgefährlicher Auftrag zum Verhängnis?
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Seitenzahl: 535
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Seminilias Erfindung
Das grosse Geheimnis
Training
Elis Geschichte
Elis Garten
Legenden und Realität
Feuerleins Reich
Andolf Faudinum
Gerettet!
Felix’ Geheimnis
Alte Freunde
Nicos neues Lieblingsspiel
Monsterreich und Träume
Streitende Bücher – ähh, Quatsch...
Die Geschichte des Streites... oder so...
Felix’ grosses Geheimnis (enthüllt)
Das Löwenmädchen
Die Wahrheit über Feuerlein
Bye, bye Gemütlichkeit
Mysteriöser Wasserhahn
Ich kenne jemanden, den du nicht kennst...
Die alte Ruine
Der Bär
Geheimnisse
Freunde?
Der Sonnendieb
Die Geschichte der dunklen und hellen Hexen
Gedanken
Allein in der Wildnis
Solfurs Pläne
Zaus Kind
Die Macht der Vergangenheit
Mein Bruder
Der verrückte Professor
Figastrimas Schmuck
Der Monsterchef
Anhang
Dank
Über die Autorin
Hier sollte sie sicher sein. Seminilia hoffte, dass sie Recht hatte. Ihre Erfindung war tödlich und könnte die ganze Welt zerstören, wenn sie in die falschen Hände geriet. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Und nicht genug damit, dass ihre Erfindung tödlich war, sie war auch unzerstörbar. Seminilia begann, die mächtigsten Schutzzauber zu murmeln, die sie kannte. Oh bitte, grosser Herr, lass das genügend sein!
Seminilia war eine Sternenhexe, eine der letzten. Die Sternenhexen waren ein altes Geschlecht von sehr mächtigen Hexen, die ihre Magie meistens in der Nacht vollzogen. Aber nicht in der Dunkelheit. Sondern unter den wachsamen Blicken der Sterne. Am besten konnten sie in einer klaren Nacht mit vielen leuchtenden Sternen zaubern. In so einer Nacht hatte Seminilia die unglaublichste und gleichzeitig schlimmste Leistung, die jemals von einer Hexe vollbracht wurde, erbracht. Sie hatte nicht gedacht, dass es so gut funktionieren würde. Und sie hatte nie vorgehabt, ihre Erfindung so mächtig zu machen.
Angefangen hatte alles mit dem grossen Krieg gegen die anderen Hexen. Die Sommerhexen, die Wiedergeborenen, die unbesiegbaren Dreizehn und die funkelnden Hexen. Und eine neue Hexenorganisation, die jede Hexe, egal von welchem Hexengeschlecht, aufnahm: die glühenden Hexen. Alle stritten sich um den heiligen Platz, einen Steinkreis mit uralten Runen, die in jeden Stein eingraviert waren, auf dem sie alle ihre heiligen Rituale durchgeführt hatten. Bis die glühenden Hexen aufkamen, war alles gut. Doch dann wollten diese natürlich auch den Steinkreis benutzen. Vorhin war alles gut gelaufen; die Sommerhexen hexten hauptsächlich im Sommer, die Wiedergeborenen im Winter. Beide jeweils zur Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten stand. Im Frühling und im Herbst wechselten sich die beiden Hexengeschlechter ab. Das ging irgendwie gut. Die funkelnden Hexen zauberten am liebsten beim ersten Sonnenstrahl, am frühen Morgen. Die unbesiegbaren Dreizehn zauberten in der dreizehnten Stunde nach Sonnenaufgang. Und die Sternenhexen mitten in der Nacht.
Vielleicht wäre es sogar gut gegangen, wenn die glühenden Hexen in der Nacht gezaubert hätten. Vielleicht hätten sie sich mit den Sternenhexen einigen können, dass eine Organisation vor und eine nach Mitternacht zaubern würde, aber die glühenden Hexen brauchten den Tag. Ein grosser Krieg um den Steinkreis brach aus. Die Sternenhexen, die funkelnden Hexen und die unbesiegbaren Dreizehn, die in der Nacht oder am Rand des Tages zauberten, versuchten, zu schlichten. Aber irgendwie artete das dann aus. Am Schluss bekriegten sich alle Hexenstämme. Seminilia hatte sie eigentlich nie bekämpfen wollen. Schlussendlich, nach langen harten Kriegsjahren, entschied sie, eine Waffe zu erfinden, mit denen sie die anderen Hexenstämme dazu zwingen konnte, aufzuhören, sich zu bekriegen.
Doch sie hatte es ein bisschen zu gut gemeint. Die Waffe wurde mächtiger als erwartet. Seminilia wollte sie unzerstörbar machen, damit niemand den erzwungenen Frieden brechen könnte. Doch die Waffe besass die Macht, eine ausgewählte Spezies auf der ganzen Welt auszulöschen. Vielleicht könnte man sogar alles Leben auf der ganzen Welt damit auslöschen.
Als Seminilia das realisierte, versuchte sie, ihre Waffe zu zerstören. Doch sie hatte sie ja unzerstörbar gemacht, und sie konnte das nicht mehr rückgängig machen. Verzweifelt versuchte Seminilia deswegen, ihre Waffe wieder auseinanderzubauen, ihre Zauber rückgängig zu machen. Doch es half alles nichts; die Waffe war gänzlich unzerstörbar.
Deswegen fasste Seminilia den Entschluss, die Waffe zu verstecken und ihr Versteck mit mächtigen Zaubern zu schützen. Sie spielte mit dem Gedanken, sie vorher noch zu benutzen, um den Krieg zu beenden, aber sie wusste nicht, wozu ihre Erfindung fähig war und ob sie sie kontrollieren konnte. Also liess sie es bleiben.
In einer stark bewölkten Nacht schlich sie sich davon, setzte sich auf das schnellste Einhorn und ritt los. Sie ritt für zwei Tage, bis sie fand, was sie suchte; einen von starken Zaubern geschützten Ort, der der ersten, unsterblichen Hexe geweiht war. Seminilia hoffte, dass deren Magie die Waffe schützen würde.
Sie strich mit der Hand über den Boden, liess das Gras nachwachsen auf der kahlen Erde, die ihre grösste Leistung und ihren grössten Fehler bedeckte. Noch einmal wandte sie ihre mächtigsten Zauber an, schnitt sogar ein paar Haare aus der Mähne des Einhorns, das sie hierhergebracht hatte.
«Bitte bewache dies und vergib mir für mein törichtes Verhalten», bat sie. Dann stand sie auf, stieg auf ihr Einhorn und galoppierte davon, während ihr silbernes Haar im Wind wehte. Sie wollte diesen Ort so schnell wie möglich hinter sich lassen, ihre Waffe vergessen.
Nach einem langen Ritt stieg sie ab, um etwas zu trinken. In dem See, aus dem sie trank, spiegelten sich die Sterne. Auch Seminilias silberne Augen funkelten in ihrem Spiegelbild wie Sterne. Wie konnte ich so einen fatalen Fehler begehen? Ich dachte, ich tue etwas Gutes. Stattdessen habe ich etwas Schreckliches erschaffen. Sie stand wieder auf und stieg auf ihr Einhorn. Beim Ritt zurück nach Hause, dachte sie darüber nach, was ihre Waffe anrichten könnte, würde sie jemals gefunden werden. Hoffentlich wird sie nie gefunden.
Doch über Tausende von Jahren ändern sich die Umstände, und was einst sicher vergraben war, liegt offen, darauf wartend, gefunden zu werden…
Als Nico sich aus dem Bett rollte (naja, eigentlich vom Bett fiel, weil er zu weit an den Rand gerollt war), sah er, dass Felix schon wach auf seinem Bett sass und missmutig an seinen Haaren herumspielte – die über Nacht ziemlich gewachsen waren. Die Kinder waren ja schon einige Zeit lang in Elis Palast, aber bis jetzt hatten die Jungs noch kein ungewöhnlich schnelles Wachstum ihrer Haare zu vermelden gehabt. Bis jetzt. Denn Felix’ Haare reichten ihm schon bis zur Taille.
Nico kicherte: «Sieht echt ungewohnt aus. Aber eigentlich stehen dir lange Haare. Du siehst einfach wie ein Mädchen aus.» – «Na, damit kann ich leben», lächelte Felix, «solange sie nicht so lang werden wie Elis …» Die beiden Jungen prusteten los, als sie sich vorstellten, wie Felix mit so langen Haaren aussehen würde. «Da würdest du die ganze Zeit drauf rumtrampeln», kicherte Nico, «schliesslich bist du nicht Eli, deren Haare um sie herumwirbeln. Eigentlich ein Wunder, dass die Haare sich nicht in den Kleidern verfangen, die sie manchmal zum Spass trägt!» – «Die Kleider verschwinden viel zu schnell wieder, da haben die Haare gar keine Chance, sich zu verfangen», erklärte Felix grinsend.
«Was ist eigentlich so lustig bei euch?», fragte Leslie, die die Türe ohne Vorwarnung geöffnet hatte, und nun misstrauisch ins Zimmer hinein äugte. «Habt ihr gestern Kichererbsen gegessen?» Dann sah sie Felix’ Haare. «Ach du heilige… Ich habe bis jetzt nicht richtig an die Geschichte mit dem beschleunigten Wachstum der Haare geglaubt… aber das ist jetzt wohl der Beweis. Felix, du siehst aus wie ein Mädchen.» Felix grinste: «Das hat Nico mir auch schon gesagt. Ich glaube, ich brauche einen Spiegel. Ich möchte sehen, ob ich wirklich wie ein Mädchen aussehe und vor allem, wie ich als Mädchen aussehe.»
«Du willst einen Spiegel?», erklang nun eine Stimme aus dem Hintergrund, «hier, bitteschön.» Dann verwandelte sich die hintere Wand des Zimmers plötzlich in einen riesigen Spiegel. Felix drehte den Kopf und beäugte sich im Spiegel: «So sehe ich also als Mädchen aus. Es ist zwar nicht so, dass ich das schon immer einmal wissen wollte, aber… jetzt weiss ich es sowieso. Danke, Eli.» Eli lachte: «Bitte, gern geschehen! Du siehst übrigens mega süss aus! Und ich glaube, ich hol jetzt mal die anderen Mädchen. Das wird lustig!» Mit diesen Worten lief sie aus dem Zimmer.
Nach einer Weile hörten sie Olivias Stimme: «Was müssen wir unbedingt sehen? Haben die Jungs wieder was angestellt?» – «Also erstens ist diese Behauptung unfair, weil Nico derjenige ist, der gerne Blödsinn macht, und zweitens hab wohl eher ich was angestellt, oder mein Palast – aber ehrlich gesagt, es sieht supersüss aus!», erklärte Elis Stimme. – «Jetzt will ich es aber echt sehen!», rief Olivia ungeduldig und stürmte ins Zimmer. Sie sah sich um, und ihr Blick blieb – verständlicherweise – an Felix hängen. «Felix! Meine Fresse… was zum Geier ist mit deinen Haaren passiert???» – «Der Zauber von meinem Schloss», grinste Eli, «sieht er nicht süss aus?» – «Ich würde sagen total!», lächelte Luna. Nina grinste: «Sieht auf jeden Fall besser aus, als es bei Nico aussehen würde! Obwohl… es sähe vielleicht auch niedlich aus. Aber harmlos. Und das ist er nun definitiv nicht!» – «Nö, bin ich nicht», erklärte Nico munter. «Aber das ist jetzt doch wurscht. Ich hab Hunger!» – «Ich auch. Gehen wir frühstücken», bestimmte Eli fröhlich.
Zum Frühstück gab es alles, was man sich wünschen konnte; es gab Cornflakes, Müsli, Joghurt, Milch, Käse, Brot und Brotaufstriche, Eier, Speck, Früchte und vieles, vieles mehr. Überhaupt war das Essen in Elis Palast reichhaltig und einfach himmlisch. Nico hätte es nicht gewundert, wenn er mindestens fünf Kilogramm zugenommen hätte, seitdem er hier in Elis Palast war. Auch Luna, Nina und Olivia langten tüchtig zu – schliesslich sollte man sich vollfressen, solange man konnte; wenn sie dann erst einmal wieder draussen in der normalen Welt waren, würden sie sich irgendwie durchschlagen müssen, und so leckeres Essen würden sie sowieso nicht bekommen. Daran schienen Leslie und Felix nicht zu denken, denn sie waren sehr zurückhaltend, was das Essen anging. Sie assen vermutlich so viel, wie ein normaler Mensch unter normalen Umständen essen würde, oder sogar weniger, aber Nico sah absolut nicht ein, wieso. Es herrschten keine normalen Umstände und sie konnten froh sein, wenn sie sich überhaupt richtig vollfressen konnten. Das war zumindest seine Meinung.
Während dem Essen schaute Eli immer abwechselnd Luna und Felix an. «Ist was?», fragte Luna verwirrt. Eli grinste: «Nein, ich hab nur grad bemerkt, dass ihr beide euch sehr ähnelt. Das bemerkt man vor allem jetzt, wo Felix wie ein Mädchen aussieht…» Felix verzog gespielt genervt das Gesicht: «Na super. Heisst das, falls wir jemals wieder Menschen sehen, werden sie mich für ein Mädchen halten?» Die Frage war sinnlos, da er die Antwort ziemlich sicher schon wusste. – «Wenn du deine Haare nicht schneidest, ja», antwortete Eli grinsend, während sie sich mit Rührei vollstopfte. In Felix’ Gesicht sah man keinen Hinweis, ob er vorhatte, seine Haare zu schneiden, oder nicht. Nico hätte an seiner Stelle sofort nach einer Schere verlangt, aber Felix schien grössere Probleme als das zu haben – er schien überhaupt immer grössere Probleme als ihre momentane Situation zu haben, was Nico das Gefühl von Gefahr vermittelte. Nico fragte sich, ob dem wirklich so war, oder ob es nur eine Art Ausstrahlung war, dass Felix etwas wichtigeres zu schaffen machte. Allerdings glaubte Nico, dass es zumindest jetzt gerade mehr war – in brenzligen Situationen konnte man es leicht vergessen, aber jetzt war dieses Gefühl, als ob etwas nicht gut wäre, permanent da. Und das regte ihn auf.
Nach dem Essen beantwortete sich Nicos ungestellte Frage, was denn mit Felix los sei: «Eine Frage», begann Felix. «Hast du in deinem Palast auch einen Ort, wo wir trainieren können? Wir können ja nicht bis in alle Ewigkeit hier bleiben und sollten mehr oder weniger kämpfen können, wenn wir wieder aus deinem Palast hinaus müssen.» Damit hatte er das ausgesprochen, was wohl alle leise bei sich gedacht hatten. Nur hatte Nico definitiv nicht ans trainieren gedacht, sondern, dass er nicht ewig hier faulenzen konnte. Aber aus dem Faulenzen wurde wohl nichts. Er grunzte unzufrieden: «Na super! Ich dachte, es sei Lunas Job, die Spielverderberin zu sein, uns zur Vernunft zu rufen.» Eli lächelte wissend. «Und Eli weiss etwas, das sie uns verheimlicht», kommentierte Nico entnervt. – «Was musst du auch alles sehen? Aber gut, ich sag dir, was ich weiss – seit gerade eben. Komm mit», befahl Eli.
Nico lief ihr unsicher nach, er traute dem Braten nicht. Dass Eli so schnell einwilligte, ihm eine Erklärung zu geben, war verdächtig. Eli schien wieder einmal seine Gedanken gelesen zu haben: «Nun, es betrifft dich auch. Ausserdem musst du es irgendwann sowieso erfahren. Und ich will deiner Mutter nicht die Befriedigung überlassen, alle überrascht zu haben. Aber das ist ein sehr grosses Geheimnis.» – «Jetzt hör doch auf mit der Geheimniskrämerei und sag endlich, was meine Mama verschweigt!», verlangte Nico ungeduldig. Eli seufzte: «Du bist ja fast so ungeduldig wie ich! Aber gut. Nur eines noch: Du musst schwören, dass du es niemandem, wirklich nie-man-dem sagst, bis der richtige Moment kommt. Du wirst es merken, wenn er da ist. Ach ja, und noch ein Zweites: Du wirst Felix dann mit anderen Augen sehen. Aber das musst du verstecken, okay? Versprichst du mir das?» – «Ja, ich werde nix verraten und mir nix anmerken lassen», versprach Nico.
Eli lächelte zufrieden. Sie führte ihn durch einige Gänge, die komplett aus Gold zu bestehen schienen, abgesehen von den flauschigen weinroten Teppichen am Boden. Elis Palast war glamourös, daran bestand kein Zweifel. Aber hier waren Edelsteine in die goldenen Muster an Wänden und Decke eingelassen, und kunstvoll verzierte goldene Säulen rahmten, Nicos Meinung nach unnötigerweise, den Gang – die Decke wurde von massiven Wänden gestützt, es brauchte doch wohl nicht auch noch diese Säulen!
Sie kamen zu einem Fenster und Nico blieb einen Moment stehen. Das Fenster gab den Blick frei in einen Innenhof, den Nico noch nie gesehen hatte. Der Boden war von Marmorwegen durchzogen, und es hatte überall kleine Springbrunnen. In der Mitte des Platzes thronte ein gewaltiger Marmorbrunnen, der mit Gold und Silber verziert war und blitzsauber in der Sonne glänzte. Überall, wo noch freier Boden war, wuchsen die schönsten Blumen. «Wer kümmert sich um all das?», fragte Nico erstaunt. – «Mein Palast», antwortete Eli. «Jetzt komm weiter, wenn du hören willst, was ich dir zu sagen habe.»
Das wollte Nico, also folgte er Eli weiter durch den Palast. Bald kamen sie in eine goldene Halle. Die Wände und die Decke waren golden, der Boden bestand aus Marmor. Die eleganten Marmorsäulen wirkten hier kein bisschen überflüssig. Sie bildeten einen Gang in der Halle, einen Gang, der zu einem grossen goldenen Thron führte. «Mein Thron», stellte Eli vor. Nico schaute auf den Boden im Gang. Natürlich lag dort ein roter Teppich.
Eli schritt durch den Gang, und Nico folgte ihr. An den Wänden sah er Gemälde von irgendwelchen Leuten. Bei genauerem Hinschauen bemerkte er, dass sie nicht an der Wand hingen, sondern in die Wand hineingearbeitet waren. Als Bilderrahmen waren Edelsteine in die Wände gesetzt worden. Die Rahmen rechts bestanden aus Rubinen und funkelten blutrot. Die smaragdgrünen Bilderrahmen links bestanden – oh Wunder – aus Smaragden. Die Personen auf den Bildern trugen seltsame Frisuren. «Meine Urahnen», stellte Eli vor. «Links die von Allmens, rechts die Mandragorians. Zusammen haben sie diesen Palast erschaffen. Aber diese Geschichte erzähl ich dir ein anderes Mal.»
Sie ging weiter. Als sie am Ende der Halle ankam, stieg sie die goldenen Treppenstufen hoch und setzte sich auf ihren Thron. Der war mit rotem Samt bekleidet und sah äusserst bequem aus.
Eli grinste. «Willst du es immer noch wissen?» – «Natürlich!», antwortete Nico. «Ich bin doch nicht den ganzen Weg gekommen, um mir diesen Thronsaal anzuschauen.» – «Nicht?», fragte Eli. «Schade. Es hätte sich gelohnt und ich hätte dir diesen Quatsch nicht erzählen müssen.» Nico stöhnte. «Jetzt laber nicht so lange, rück endlich damit raus, du Quatschtante!» – «Jajaja», grummelte Eli. Dann setzte sie zu einer langen Erklärung an.
Olivia fragte sich, wo Eli und Nico so lange blieben. Da kam plötzlich ein Buch angeschwebt und winkte ihnen mit den Seiten, dass sie ihm folgen sollten. Nina schnappte lachend nach dem Buch. «He! Ich will dich lesen!» Das Buch schien auch zu lachen. Dann schwebte es davon, und Nina lief ihm lachend hinterher. Leslie grinste, während Luna Nina hinterherlief. Felix schüttelte schmunzelnd den Kopf, dann rief er den Mädchen hinterher: «Und eure Waffen lasst ihr hier? Ist das sinnvoll?» – «Was soll ich denn tun?», fragte Nina. «Das Buch fliegt sonst davon!» Just in dem Moment blieb das Buch in der Luft stehen, machte kehrt und flog zurück. «Ich denke nicht, dass das Buch irgendwohin fliegt, solange wir unsere Waffen nicht haben», vermutete Leslie.
Also gingen sie ihre Waffen holen. Dann liefen sie dem Buch hinterher, das sie zu einer Art Trainingsgelände im Freien führte. Dort überlegten sie, wie sie üben sollten. Felix klinkte sich aus der Diskussion aus, da er sowieso zielen üben wollte und dafür keine Partnerin brauchte. Die Mädchen überlegten nicht lange; Luna und Nina wollten zusammen üben und zwar mit den Nullilula-Dolchen, die ihnen Jill und Amanda bei dem Zauber, wo Felix die Überlebenden aus dem Labor, die in Reichweite waren, rief, mitgebracht hatten. Und Olivia und Leslie gefiel die Vorstellung, zusammen zu kämpfen.
Nach zwei Stunden kam Nico. Er betrachtete Felix und Luna mit einem seltsamen Blick, dann jammerte er, dass er mit niemandem üben konnte. Das stimmte, denn er war besser als die Mädchen, und für ihn wäre es langweilig, gegen sie zu kämpfen. Eli schlug vor, dass er den Mädchen Tipps geben könnte. Aber es war ein halbherziger Vorschlag, da sie schon zu wissen schien, wie Nico darauf reagieren würde. «Na, einfach herumlatschen lass ich dich nicht», stellte Eli klar. «Am Schluss kriegst du noch einen von Felix’ Pfeilen ab. Und wenn du im Palast herumnervst, gelangst du am Schluss noch in eine meiner Welten und machst meine Figuren sauer. Und dann beschweren die sich bei mir. Hmm, ich könnte schon ein paar Monster auf dich hetzen, aber wenn du die kaputt machst, bringst du mir alles durcheinander. Aber was könntest du machen?»
Dann hellte sich ihr Gesicht auf. «Okay, hast du übrigens schon gehört, dass die Monster nur mit Pfeilen und Wurfmessern schiessen, wenn sie überhaupt schiessen? Und, dass du diese mit dem Schwert abwehren kannst?» Nico schüttelte überrascht den Kopf. «Gut, dann gebe ich dir jetzt ein Laserschwert, das aber nix schneidet, sondern nur Elektroschocks auslöst. Ausserdem hol ich ein paar von diesen bescheuerten Kampfrobotern – in so einem Geschichtenpalast lässt sich solcher Quatsch nicht vermeiden –, die auch nur mit Elektroschocks schiessen.»
Sie zeigte auf eine Stelle, wo ein paar Kampfroboter auftauchten. Dann hielt sie plötzlich ein Elektroschockschwert in der Hand, welches sie Nico gab. Zum Schluss beschwor sie noch ein Paar Kopfhörer herauf und erklärte: «Hier gibt dir eine Stimme Anweisungen, wie du das Zeugs am besten abwehrst.» Dann setzte sie Nico die Kopfhörer auf. Der aktivierte das Elektroschockschwert, und Eli wandte sich den Mädchen zu: «Passt ihr auf, dass er keinen Blödsinn macht?», bat sie. «Ich muss dem angeblichen Besitzer dieser Kampfroboter klarmachen, dass das nicht seine Kampfroboter sind, sondern meine. Er rastet nämlich aus, weil ich seine Kampfroboter gestohlen habe.» Sie verdrehte die Augen, dann war sie weg.
Nina grinste: «Geiler Palast, aber die ganzen Leute, die ständig irgendwas wollen, müssen sie wahnsinnig machen.» – «Bestimmt keine leichte Aufgabe», pflichtete ihr Luna bei. – «Für sie schon», mischte sich Nico ein, der sie offenbar auch durch die Kopfhörer hörte. «Immerhin ist sie sehr mächtig. Wenn ihr etwas nicht passt, kriegt sie einen Wutanfall, und dann haben die Leute einen Heidenrespekt vor ihr. Stellt euch mal vor, wenn die einen Wutanfall hat!»
Er wandte sich wieder den Robotern zu. Nun grinste Olivia: «Wo er Recht hat, hat er Recht.» – «Vielleicht sollten wir nicht so über Eli reden. Immerhin ist das ihr Palast, und sie ist mächtiger als wir alle zusammen», gab Luna zu bedenken. «Ach was», widersprach Olivia unbekümmert. Dann rief sie: «Eli, du hast ein zu wildes Temperament!» – «Das sagst ausgerechnet du!», antwortete Elis Stimme. «Und jetzt halt die Klappe, ich muss diesen Typen hier zusammenstauchen, und wenn du immer reinschwatzt, kann ich mich nicht konzentrieren!» Olivia grinste wieder. «Seht ihr? Und grössere Konsequenzen wird es nicht haben», versicherte sie.
«Wolltet ihr nicht kämpfen?», mischte sich Nico ein, während er mit dem Schwert herumfuchtelte und versuchte, die Schüsse abzuwehren, am Schluss jedoch bloss auswich. «Ich weiss, dass das nicht abwehren ist, aber du musst mir halt bessere Anweisungen geben!», knurrte er seine Kopfhörer an. Leslie schmunzelte. Als sie wieder kämpften, bemerkte sie: «Von der Geduld her könnte Nico glatt dein kleiner Bruder sein! Aber… ich habe eine Frage an dich…» An ihrer Stimme hörte Olivia, dass es Leslie wusste, dass Olivia bei diesem Thema nicht wohl wäre. «Ja?», fragte sie unbehaglich.
«Es geht um Felix», begann Leslie zögerlich. «Du magst ihn sehr gern, nicht wahr?» Leslie sprach es nicht aus, aber Olivia wurde sofort klar, dass sie von ihrer Verliebtheit wusste. Panik stieg in ihr auf. Oh, verdammt! «Weiss er es?» Bitte, bitte nicht!, flehte sie in Gedanken. Sie hatte sich doch alle Mühe gegeben, es vor den anderen geheim zu halten! Sie wusste nicht, was sie tun sollte, wenn er es wusste, es war ihr total peinlich, obwohl sie doch auch nichts dafür konnte. Leslie zögerte. «Ich weiss es nicht», erklärte sie schliesslich. «Aber wenn er es wüsste… was wäre so schlimm daran?» – «Ich weiss es nicht», murmelte Olivia. «Warum muss das so verdammt kompliziert sein? Ich hatte meine Gefühle, mein Leben unter Kontrolle, bis dieser beschissene Waldbrand kam und alles durcheinander brachte!», schimpfte sie. In dem Moment schrie Nico auf: «Eli, mach die Elektroschocks weniger stark! Willst du mich umbringen?» – «Nein, natürlich nicht», antwortete Eli und tauchte neben Nico auf, «aber sie sind schon auf der niedrigsten Stufe.» Nico grummelte irgendetwas Unverständliches und vermutlich nicht sehr Schmeichelhaftes.
Gegen Mittag bekam Olivia langsam Hunger. Den anderen schien es gleich zu gehen. Schliesslich kam Eli heraus, wischte mit der Hand durch die Luft, woraufhin ein gedeckter Tisch vor ihr auftauchte. Nico, der gerade die Kopfhörer abnahm, starrte sehnsüchtig auf ihre Hand: «Sowas will ich auch können!» Eli lächelte. «Immerhin kannst du kämpfen. Und du kannst darauf zählen, dass deine Mutter dich aus jeder wirklich misslichen Lage rettet, denn sie ist ja so ziemlich überall.» – «Wenn diese idiotischen Menschen so weitermachen, ist sie das definitiv nicht mehr», grummelte Nico wütend. – «Du scheinst gern mal zu vergessen, dass du eigentlich selber auch ein Mensch bist», bemerkte Eli amüsiert. «Jaaa, ich meine diese umweltzerstörenden Menschen», korrigierte sich Nico entnervt.
Eli grinste und bedeutete den Kindern, sich an den Tisch zu setzen. «Bevor ihr mir noch verhungert, solltet ihr etwas essen. Und nachher zeigt ihr mir mal, ob ihr Fortschritte gemacht habt, okay?» – «Also, meine Fortschritte kann ich dir sagen», nuschelte Nico, während er sich Essen in den Mund schob. Nachdem er geschluckt hatte, fuhr er fort: «Elektroschocks abgekriegt. Ich will nicht weitermachen. Das tut sauweh!» Eli lächelte hinterhältig. «Oh, ich glaube doch, dass du weitermachen willst. Sonst langweilst du dich wohl zu Tode.» – «Besser, als wenn die Kampfroboter mich mit dem Elektroquatsch zu Tode schiessen.» – «Mir ist langsam langweilig», meldete sich Felix zu Wort. «Es ist einfach langweilig, auf irgendwelche Zielscheiben zu schiessen.» – «Zeig mir nachher mal, was du kannst. Vielleicht hab ich eine Beschäftigung für euch beide, Jungs», erklärte Eli grinsend.
Felix legte den Kopf schief und sah Eli misstrauisch an. «Ich weiss nicht, ob mir dieser Vorschlag gefallen wird.» – «Na, momentan hast du wohl ein ganz anderes Problem», murmelte Eli. «Du musst diese Mähne unter Kontrolle bringen. Wie oft haben sich die Pfeile heute Morgen in deinen Haaren verfangen, als du sie aus dem Köcher ziehen wolltest?» Felix überlegte kurz. «Elf Mal.» – «Eben. Das ist elf Mal zu viel. Sowas darf dir in einer Schlacht niemals passieren! Du musst die Haare aus dem Weg binden. Mach am besten einfach einen normalen Zopf.» – «Das kann ich doch nicht!», stöhnte Felix. «Ich musste mich noch nie mit langen Haaren herumschlagen!»
Eli kicherte. «Jetzt musst du es. Und du solltest wirklich erst mal versuchen, sie unter Kontrolle zu bringen. Komm, ich zeig dir nach dem Essen, wie du dir selber einen Zopf machst. Du, Nico, kannst entweder noch etwas weiterüben oder zuschauen.» – «Ich schaue lieber den Mädchen zu und gebe Tipps», murmelte Nico. – «Das kannst du natürlich auch tun. Aber ich weiss nicht, wie begeistert die Mädchen sein werden, wenn du ihnen die ganze Zeit reinschwatzt», gab Eli zu bedenken. – «Mir doch wurscht, sie sollen froh sein, dass sie überhaupt Tipps bekommen!», grummelte Nico.
Nach dem Essen nahm Eli Felix beiseite, in den Palast, während die Mädchen und Nico wieder hinaus gingen. Olivia nervte sich allerdings, als Nico sich die ganze Zeit einmischte. Dass ein jüngerer Junge ihr erklärte, was sie machen sollte, passte ihr nicht. Auf jeden Fall nicht, wenn dieser Junge Nico war. «Nein, du Huhn», motzte Nico wieder einmal, «wenn du das in einer Schlacht machst, spiesst dich ein Monster auf!» – «Wie denn bitteschön?», fauchte Olivia entnervt. – «So», grummelte Nico und piekste sie mit seinem Schwert.
«Du nervst mich mit deiner Besserwisserei!», knurrte Olivia. – «Und du nervst mit deiner Uneinsichtigkeit!», fauchte Nico.
Langsam reichte es Olivia. Sie schlug Nico das Schwert aus der Hand und stürzte sich auf ihn. Nico, der nicht damit gerechnet hatte, war einen Moment zu verblüfft, um zu reagieren, kratze sie dann aber im Gesicht beim Versuch, sie wegzustossen. Das machte Olivia noch wütender, und sie schlug zu. Nico hatte damit aber offenbar schon gerechnet, denn er wehrte ihren Schlag ab und legte die Hände um ihren Hals. So schaffte er es, sie von sich wegzudrücken. Aber Olivia packte seine Handgelenke und verschnaufte kurz, während er versuchte, sich loszureissen. Olivia war stärker, aber Nico hatte keine Scheu, ein Mädchen zu verletzen, weshalb er sie so stark in den rechten Arm kickte, dass Olivia sich wunderte, dass der Arm nicht gebrochen war. Dafür brach sie jetzt Nico die Nase; sie traf ihn mit dem Ellbogen ins Gesicht und hörte ein übles Knacken. im nächsten Moment fing Nicos Nase heftig zu bluten an.
Olivia dachte, dass die Prügelei nun vorbei war, aber sie schien gerade erst anzufangen. Denn Nico drehte sich nun um und versuchte, Olivia am Boden zu halten. Aber er war zu leicht und sie war zu stark, also prügelten sie sich weiter. Olivia hörte vage die anderen Mädchen im Hintergrund schreien, dass sie aufhören sollten, aber Olivia dachte nicht daran. Sie hatte sich noch nie mit einem Jungen geprügelt, der jünger war als sie, und es passte ihr gar nicht, dass Nico nicht aufgeben wollte. Einmal versuchte ein Mädchen, Olivia festzuhalten, aber Olivia stiess sie weg.
Gegen Abend kam Eli mit Felix im Schlepptau. «Oh Mann, ich hätte mir ja denken können, dass das mit euch beiden nicht gut kommt!», seufzte sie. «Ihr seid beide zu stur und zu ungeduldig!» – «Wo wart ihr die ganze Zeit?», fragte Leslie vorwurfsvoll. – «Ach, Felix hat mich mit Fragen gelöchert», erklärte Eli. «Und dann kam auch noch dieses blöde Buch…» – «Was für ein Buch?», fragte Nina interessiert. – «Irgend so ein Buch über Mutter Natur und… Zau, das irgendwas von Respekt und Macht faselte», erklärte Felix grinsend. «Eli hat sich mit dem Buch gestritten.» – «Ja, dieses blöde Buch behauptet immer, ich solle Natur und Zau mit mehr Respekt behandeln und will nicht einsehen, dass es den beiden so sogar lieber ist, als wenn ich sie mit Respekt behandle, weil so die Konversationen viel unbeschwerter sind!», regte sich Eli auf. «Und immer wenn ich es umschreiben will – das könnte ich rein theoretisch, es ist ja mein Buch und ich bin die Geschichtenkönigin –, verschwindet das doofe Buch und versteckt sich sonst wo. Einmal hat sich Achilles beschwert, dass ihm das Buch mitten in der Schlacht auf den Kopf gefallen ist! Dieses Buch macht nur Ärger!»
Felix grinste, dann kniete er sich nieder und sah Olivia und Nico forschend an. Sein Gesicht wurde ernster: «Na toll. Hättet ihr euch nicht etwas sanfter prügeln können?» – «Sag das ihr!», blubberte Nico, während er versuchte, die Blutung aus seiner Nase und der Bisswunde an seinem Oberarm zu stoppen. Felix seufzte und stupste Nicos Nase mit dem Finger an. Nico schrie vor Schmerz auf und Olivia fragte sich, was das sollte. Felix wusste ja wohl, dass es wehtun würde. Aber warum machte er es dann? Plötzlich fiel ihr auf, dass die Blutung nachgelassen hatte und dass die Schwellung zurückgegangen war. Felix hatte inzwischen auch die Bisswunde und das verstauchte Handgelenk geheilt und nahm nun Olivia in Augenschein. Sie hatte eine üble Platzwunde an der Stirn, blutige Kratzer an der Wange und einen verstauchten oder gebrochenen Knöchel. Als Felix die Verletzungen berührte, zuckte sie unwillkürlich zusammen, weil jegliche Berührung wehtat. Und weil es sie ausserdem immer noch elektrisierte, wenn Felix sie berührte. «Tut mir leid, ich kann nicht berührungslos heilen», entschuldigte sich dieser. – «Hör gefälligst auf, dich zu entschuldigen, Felix!», knurrte Olivia. «Immerhin hast du uns gerade geheilt!» Felix lächelte: «Nun, ich kann euch heilen, aber das vergossene Blut bring ich nicht weg. Ihr solltet euch mal waschen!» – «Wo denn?», fragte Nico, während er sich mit dem Ärmel das Blut vom Gesicht wischte. Olivia, die von Silugana gehört hatte, was es mit diesem braunen Einteiler auf sich hatte, beneidete Nico darum. Denn ihre Kleider waren mit Blutflecken übersät.
Felix führte die beiden zu einem Fluss, während die anderen Mädchen mit Eli redeten. Nico hielt den Kopf ins Wasser und rubbelte sich mit den Händen das Blut aus dem Gesicht. Dann sah er auf. «Hat jemand von euch eine Ahnung, wie ich das Blut aus den Haaren kriegen sollte? Ich will nämlich keine roten Haare.» – «Ganz einfach», grinste Olivia und schubste ihn ins Wasser. Felix kniete auch am Flussufer und wusch das Blut von seinen Fingern. Als er überrascht aufsah, konnte Olivia nicht anders und schubste ihn auch hinein. «He!», beschwerte er sich. «Ich habe dir doch gar nichts getan!» – «Bis jetzt noch nicht», grinste Nico. «Schreit das nicht nach Rache?»
Bevor Olivia kapiert hatte, was er meinte, waren die Jungs schon aus dem Wasser gekrochen und hatten sie hineingeschubst. Als Olivia prustend auftauchte, packte sie sofort Nicos Knöchel und zog ihn wieder ins Wasser. Felix brachte sich lieber in Sicherheit. «Feigling!», schrie Olivia. «Hey, ich habe eben kein Blut in den Haaren, also muss ich auch nicht baden!», verteidigte sich Felix lachend, während er seine Haare auswrang.
Nico seufzte. «Selbst wenn er Blut in den Haaren hätte, würde man’s nicht sehen», murmelte er an Olivia gewandt. Dann wandte er sich an Felix: «Glückspilz!» – «Wieso?», fragte Luna, die hinter Felix aufgetaucht war. – «Weil er braune Haare hat», erklärte Nico, «da würde man das Blut nicht sehen.» – «Blut?», fragte Luna sichtlich verwirrt. «Ach, die beiden fragen sich, wie sie das Blut aus ihren Haaren heraus bekommen sollen», erklärte Felix. «Aber nach dieser Rechnung hätte Leslie von uns allen am meisten Glück mit ihren schwarzen Haaren.»
Leslie lachte. «Man sieht Dreck in meinen Haaren wirklich schlechter als in euren. Ich bin ganz zufrieden mit meinen Haaren, ich brauche keine anderen. Schon gar nicht blonde. Am Schluss stellen mir noch irgendwelche Typen nach!» Sie sprach das Wort Typen voller Verachtung aus. Nina seufzte: «Diese Situation kenne ich leider zu gut. Aber mit solchen Idioten wird man fertig – ich mag meine Haare auch so, wie sie sind.» – «Ach, jetzt sind wir wieder beim Thema Haare», bemerkte Nico. «Hatten wir das heute nicht schon mal?», fragte er mit Seitenblick auf Felix. – «Erinnere mich nicht daran», seufzte dieser. «Es war schon ein ziemlicher Schock, mit irgendwelchem Zeugs im Gesicht aufzuwachen und festzustellen, dass das meine Haare sind…»
Nico lachte. «Das kann ich mir vorstellen! Ich hab das zwar nie erlebt und keine Ahnung, wie es sich anfühlt, wenn man mit Haaren im Gesicht aufwacht, aber ich kann mir vorstellen, was das für ein Schock war. Aber Eli hatte uns doch gewarnt!» –
«Sie hat uns vielleicht gewarnt… aber glaubst du, daran habe ich am Morgen im Halbschlaf gedacht, als ich merkte, wie lange meine Haare waren?», fragte Felix.
Eli wuschelte ihm durch die Haare. «Ich konnte nicht mehr tun, als dich zu warnen. Und es sieht wirklich total süss aus!» Felix errötete. «Könntet ihr so etwas bitte nicht sagen?» – «Er will es einfach nicht hören», kommentierte Nico, die Hand in seinen Haaren. «Ist das Blut weg?» Eli lachte: «Versuchs mal hiermit.» Sie hielt plötzlich eine Bürste in der Hand, die sie mit Sicherheit vorher noch nicht in der Hand gehabt hatte, und warf sie Nico zu. Nico sah sie zuerst verwirrt an, dann fiel ihm offenbar auf, dass die Bürste genau die gleiche Farbe wie sein Jumper hatte, und er machte grosse Augen. «Das ist also diese Bürste?» – «Ja, das ist sie», bestätigte Eli. «Und ja, du hast gerade deinen magischen Jumper an und die Bürste in der Hand, aber komm mir bloss nicht auf dumme Ideen, du bist immer noch auf meinem Gelände und ich kann nicht nur blödsinnig oder sinnlos herumzaubern. Leg dich nicht mit mir an!» Ob das eine Warnung, eine Drohung oder was auch immer sein sollte, es klang nicht gerade furchterregend, weil Eli fast gelangweilt klang.
«Keine Sorge», beruhigte Nico sie, «so blöd bin ich nicht. Aber da ist noch ein Problem; ich komm mit dieser Bürste niemals durch meine Haare, die sind viel zu verfilzt!» Eli lächelte: «Das ist der Grund, warum ich diese Bürste liebe: Du musst verknüpftes Haar nur einmal mit ihr berühren, und sie entwirrt es von selbst, ohne ein einziges Haar auszureissen. Also, dass sie die Haare nicht ausreisst, hat dir Silugana schon erzählt. Aber ja, sie entwirrt von selber.» – «Wow, das ist ja ganz schön praktisch!», staunte Olivia, nahm Nico die Bürste aus der Hand und fing an, ihre Haare durchzubürsten. – «He!», beschwerte er sich, aber Olivia war das wurscht – sie bürstete seelenruhig ihre Haare aus, dann gab sie Nico die Bürste zurück. – «Du hast Recht, Olivia», lächelte Eli, «es ist wirklich praktisch. Ausserdem bleiben die Haare nach einmal Bürsten eine Woche lang komplett gekämmt und wie frisch gewaschen, ganz egal, was du damit machst. Wenn ich diese Bürste nicht hätte… naja, dann sähen meine Haare ganz leicht anders aus…»
Nico hatte sich inzwischen um seine Haare gekümmert und warf Eli die Bürste wieder zu. «Du hast nicht zufälligerweise irgendwo einen magischen Föhn, der die Haare ganz schnell trocknet?» Olivia lachte: «Na, ich glaube, das wäre etwas zu viel verlangt.» – «Nee, es wäre zu viel verlangt, dass ich meine Haare eine Ewigkeit föhnen müsste, wenn sie nass sind», widersprach Eli. «Ja, ich hab so einen Föhn.»
Leslie sah zu, wie Olivia sich die Haare fertig föhnte. Bei Nico hatte es gereicht, den Föhn einmal über den Kopf zu halten, Olivia musste ihre Haare in ganzer Länge einmal unter dem Föhn durchziehen. Felix’ Haare waren bei Elis Berührung komplett getrocknet, also hatte er den Föhn nicht nötig. Leslie sah Nico an: «Wie schaffst du es eigentlich, dass deine Haare auch unverfilzt aufstehen? Dafür sind sie doch etwas zu lang.» – «Frag meine Haare», antwortete Nico. «Ich hab keine Ahnung, wie die das machen.» – «Das ist, weil er zu dichte Haare hat», erklärte Eli. «Lieber zu dicht als zu dünn», murmelte Nico.
Eli sah die Kinder an. «Ihr habt alle Glück, niemand von euch hat wirklich dünne Haare. Obwohl… dünne Haare sind meist einfacher zu zähmen.» – «Mal anderes Thema», begann Nico, «bin ich der Einzige hier mit braunen Augen?» – «Offenbar bist du von allen, die ihr bisher getroffen habt, der einzige Mensch mit braunen Augen – Silugana ist kein Mensch. Obwohl… du bist eigentlich noch weniger ein Mensch als ich – ich wurde wenigstens als Mensch geboren.»
Nico starrte sie ungläubig an: «Du warst mal ein Mensch?» – «Ich bin eigentlich immer noch ein Mensch. Einfach mächtiger. Und wenn du dich als Mensch bezeichnest, bin ich erst recht ein Mensch!» – «Wie alt bist du eigentlich?», fragte Felix. – «Ähh, ich bin eigentlich dreizehn, also ich wurde mit dreizehn unsterblich, und mein Körper ist auch nicht älter.» – «Aber dein Kopf scheint zehn Jahre jünger zu sein, auf jeden Fall nach deinem Verhalten manchmal», warf Nico ein. Eli packte ihn an den Haaren: «Das sagst du schon, bevor du mich bei einem Wutanfall gesehen hast? Du Quatschkopf! Naja, ich muss zugeben, das ist schon möglich.» – «Aua!», jammerte Nico. «Lass meine Haare los!» – «Wenn’s denn sein muss…», grummelte Eli und liess los.
«Du sagtest, du wurdest mit dreizehn unsterblich», hakte Leslie nach, «aber wie alt wärst du, wenn du nicht unsterblich wärst?» – «Tot», antwortete Eli gleichgültig. – «Tot? Das sagt nicht viel. Wie alt wärst du eigentlich? Aus welcher Zeit kommst du?», wollte Leslie wissen. – «Ich komm aus eurer Zeit, aber als ich mein Erbe antrat, wurde ich in die Zeit der Dinosaurier zurückkatapultiert und hab von meinem Palast aus die ganze Geschichte bis hier erlebt.» – «Meine Fresse, dann bist du wirklich alt!», rief Nico überrascht aus. – «Dein Erbe? Was ist mit deiner Familie?», fragte Nina nach.
«Also, zum Erbe: Vor langer, langer Zeit lebten die Familien von meinem Vater, die von Allmens, und meiner Mutter, die Mandragorians, glücklich zusammen. Es waren zwei uralte, mächtige Familien, die sich prima verstanden. Mit ihren gemeinsamen Zauberkräften erschufen sie diesen Palast. Als sie kapierten, wie mächtig dieser Palast war, wollten beide Familien den Palast für sich selber und sie zerstritten sich. Danach erst bemerkten sie, dass sie den Palast nur gemeinsam kontrollieren konnten. Aber sie blieben verfeindet, auch lange nachdem der Palast ihren Fingern entschlüpft und verschwunden war. Die Eltern erzählten ihren Kindern von der Fehde, aber nach und nach wurde sie vergessen, bis man nicht mal mehr den Namen der verfeindeten Familie wusste, geschweige denn, warum sie überhaupt Feinde waren. Aber die uralte Macht, die eine Hälfte der Macht, den Palast zu kontrollieren, schlummerte tief in jedem Familienmitglied und wurde unvermindert weitervererbt. Als sich meine Eltern kennenlernten, verliebten sie sich, ohne zu wissen, dass sie beide aus den beiden verfeindeten Familien stammten. Der grösste Teil beider Familien war ausgestorben, aber die beiden fanden sich. Sie hatten zwei Kinder, mich und meine jüngere Schwester. In uns floss das Blut beider Familien, die vereinigte Macht zweier uralter Familien in einem Mädchen. Und das gleich doppelt. Das hatte es noch nie gegeben. An meinem dreizehnten Geburtstag sah ich auf dem Heimweg von meiner Schule plötzlich einen Wegweiser zu einem bestimmten Geschichtenpalast, den sonst niemand sehen konnte. Ich wurde neugierig und folgte dem Wegweiser, bis ich zum Palast kam. Wenig später trafen auch die anderen drei – meine Eltern und meine Schwester – ein. Als wir in den Palast kamen, erklärte uns ein Buch, was Sache war, und, dass ich als das älteste Kind alles erbe. Ich konnte nicht als offizielles Kind erben, also vor meinem dreizehnten Geburtstag. Das Buch erklärte auch, dass wir dann alle unsterblich wären. Ich nahm natürlich an. Meine Familienmitglieder – meine Schwester, meine Eltern und die direkten Verwandten meiner Eltern – sind auch unsterblich und schwirren irgendwo in der Zeit herum. Sie können in jeder Zeit sein, einfach nicht vor der Entstehung der Erde oder in der Zukunft. Sie haben alle Spass. Zu Geburtstagen, Weihnachten und anderen Feiertagen rufe ich sie jeweils, weil sie in der Zeit herumhüpfen und so logischerweise das Zeitgefühl komplett verlieren. Hier vergeht die Zeit auch ganz komisch, aber ich hab ein Tagebuch, das sich von selber schreibt, und das trägt auch das Datum von selber ein. Also nein, ich hab Zigtausende von Tagebüchern, da ein Tagebuch nur für ein Jahr reicht und es bei den Dinos begann. Aber ich bin auf jeden Fall die Einzige meiner Familie, die halbwegs einen Überblick über Daten hat. Übrigens, was das Inder-Zeit-Herumhüpfen angeht, sie können nichts Grosses verändern, vielleicht mit berühmten Leuten reden, aber diese Leute vergessen sie nachher gleich wieder. In meiner Familie haben alle solche sich selbst schreibenden Tagebücher, damit nicht irgendwelches Wissen, das sie sammeln, verloren geht. Aber diese Tagebücher sind auch hier, weshalb ich eigentlich immer genau wissen könnte, wer wann und wo ist, aber meine Familie weiss es nur von sich selber und von mir, weil ich so gut wie immer hier bin – allerdings ist mein Palast so ziemlich unendlich, und ich kann alles auf der Welt sehen, wenn ich nur will, also wird mir hier nie langweilig. So, das war meine Geschichte. Noch Fragen?»
Einen Moment lang waren alle still und starrten Eli an. Nico fasste sich als Erster wieder: «Du hast uns nicht erzählt, wie alt du wärst, wenn du nie in diesen Palast gekommen wärst. Das wüsste ich gern.» – «Mein Geburtstag ist der dreiundzwanzigste Juni 4343. Zufrieden?» – «Das hast du erfunden!» – «Wieso? Kann ich nicht im Jahr mit der schönsten Zahl geboren worden sein? Ob ihr es glaubt oder nicht, wenn mein Leben normal verlaufen wäre, wäre ich erst vierzehn.» – «Nicht viel älter als die Zwillinge», bemerkte Leslie. – «Echt coole Zahl», murmelte Olivia. «Aber ich hab nie verstanden, warum wir nach dem Aussterben des letzten Einhorns rechnen. Ich hab am 28 März 4347 nach dem Aussterben des letzten Einhorns Geburtstag. Erstens klingt das bescheuert, zweitens ist es viel zu lang, drittens wissen wir nicht mal, wann das letzte Einhorn gestorben ist, sofern es je Einhörner gab. Und wieso das Aussterben EINES Einhorns? Ein Einhorn kann sterben. Die Einhörner allgemein können aussterben. Aber wie kann ein einziges Einhorn aussterben?» Eli lachte. «Das hab ich mich auch oft gefragt. Alle vier Punkte, die du erwähnt hast. Zum letzten: Es hat sich einfach so eingebürgert. Die Leute haben erst siebenunddreissig Jahre nach dem angeblichen Sterben des letzten Einhorns begonnen, zu zählen.»
Sie sprachen noch eine Weile über Einhörner, dann wechselte Nico abrupt das Thema: «Also, du hast mir von unserem Buch erzählt. Du weisst schon, das, das unsere Geschichte erzählt und dir nie antwortet. Können wir das vielleicht mal sehen?» – «Natürlich. Kommt mit.» Eli winkte den Kindern, ihr zu folgen. Sie führte sie durch einige Gänge, bis sie in einen Raum kamen, wo ungefähr ein Dutzend Bücher aufgeschlagen auf Tischen und Podesten herumlagen. Eli führte die Kinder zu einem Lesepult, worauf ein uralt wirkendes, fettes Buch lag, das gerade wieder eine Seite umblätterte. Um das Lesepult schwebten grüne Zeichen in der Luft – wie ein magischer Schutzschild.
Eli trat durch den «Schutzschild», und eine Stimme schrie: «He! Nicht ohne Passwort eintreten!» – «Halt die Klappe, du blödes Buch, ich bin’s doch!», knurrte Eli und verpasste dem Buch eine Ohrfeige – oder auf jeden Fall sollte es wohl als Ohrfeige gemeint sein, denn es sah so aus – nur, dass das Buch gar keine Ohren hatte. – «He!», beschwerte sich das Buch. «Jetzt hast du mir einige Seiten umgeblättert und mich total durcheinandergebracht, du dumme Nuss!» Und es fing an, seine Seiten neu zu ordnen.
«Ach, da seid ihr ja, meine Figuren!», rief es erfreut. «Mach mal Platz, Eli, ich möchte mir meine Figuren genauer ansehen.» – «Hmpf», grummelte Eli entnervt, dann horchte sie auf, und ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich: «Wenn ich dieses Buch in die Finger bekomme, reiss ich es in Stücke!» – «Was ist denn nun schon wieder passiert?», fragte Nico überrascht. – «Ach, Herkules hat sich gerade beschwert, dass man nicht mal in Ruhe Feinde abschlachten könne, ohne dass einem ein Buch auf den Kopf falle! Ich weiss genau, was das für ein Buch ist, und Herkules hat es bestätigt. Na, warte nur, du Scheissbuch!» Und dann verschwand sie.
«Ach, endlich ist sie weg!», freute sich das Buch. «Kommt mal näher, ich will euch genauer in Augenschein nehmen.» Leslie hatte ein etwas mulmiges Gefühl im Bauch, doch als sie Nina vortreten sah, trat sie auch vor und folgte Nina durch den «Schutzschild». «Ach, Nina und Leslie. Nina, ich weiss, du liebst Bücher. Du, Leslie… ich sehe noch nicht ganz klar, aber du wirst noch eine wichtige Rolle spielen. Aber davor sehe ich Dunkelheit – und zwar wortwörtlich. Aber darum geht es jetzt gar nicht. Hat Eli euch jetzt eigentlich Ninas letzte Bestimmung verraten?»
Nina starrte das Buch fragend an: «Ich hab eine Bestimmung? Was für eine? Und was ist mit letzte? Heisst das etwa… heisst das, ich sterbe nachher?», fragte sie und wurde blass. – «Ach, du hast es ihnen gar noch nicht erzählt, Nico?», fragte das Buch verwundert. Alle Blicke richteten sich auf Nico. Der errötete. «Ähh, ich hab’s vergessen…», murmelte er verlegen. «Wir alle – Luna, Nina und ich – haben eine Bestimmung – mindestens eine.
Luna, du kannst die wichtigsten Grenzen wieder aufbauen – was auch immer das heisst. Nina kann sich mit Eli in deren Fachsprache unterhalten, womit wohl Bücher gemeint sind, nicht, wie sie mit anderen Leuten umspringt, sonst wäre das eindeutig meine Bestimmung. Und ich… ich soll den Monsterchef umbringen. Fragt mich nicht wie, ich weiss nicht mal, wer er ist. Und nein, du stirbst nicht, Nina, es ist nur, dass du nicht nur eine Bestimmung hast, sondern zwei. Und nein, Eli hat uns noch nicht erzählt, was ihre letzte Bestimmung ist.»
Das Buch seufzte. «Na, das hätte ich mir ja denken können. Eli ist in diesem Punkt leider genauso vergesslich wie du, Nico. Also, deine letzte Bestimmung ist es…» In dem Moment tauchte Eli mit einem triumphierenden Schrei neben ihnen auf und schüttelte etwas in ihrer Hand. Leslie brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es ein Buch war.
Eli setzte sich auf einen Tisch, woraufhin ein Buch sich beschwerte: «He! Beweg deinen fetten Hintern von mir!». Eli grummelte genervt, dass ihr Hintern nicht fett sei, stand auf, schob das Buch weg, und setzte sich wieder. Das Buch schwebte beleidigt davon und liess sich neben einem anderen Buch nieder, worauf die beiden zu tuscheln begannen. Eli besah sich grinsend ihre Beute.
«Hab ich dich endlich, du Nervbuch. Du kannst nicht einfach meinen Helden auf den Kopf fallen! Am Schluss sterben sie noch, weil sie in der Schlacht abgelenkt werden, und ich kann es dann wieder ausbaden! Grummel! Aber jetzt hab ich dich. Ich sollte dir eigentlich jede Seite einzeln ausreissen, aber das wäre schade, weil du ein Buch bist, und Nina würde das wohl gar nicht gutheissen. Die hat zwar in meinem Palast nichts zu sagen, aber ich will nicht, dass sie noch einen schlechteren Eindruck von mir hat als eh schon. Nur… was mach ich jetzt mit dir? Hat irgendjemand eine Idee, was ich mit dem Buch machen soll?», fragte Eli an die Kinder gewandt.
Diese schüttelten den Kopf. Eli überlegte: «Hmm, ich könnte dich eigentlich mal mit Natur und Zau persönlich reden lassen, dann checkst du vielleicht, dass die gar keinen solchen Respekt von mir wollen! Gut, ich schick dich zu ihnen.» Sie machte eine Handbewegung, und das Buch war verschwunden.
Leslie schmunzelte. «Das ist auch eine Lösung. Dann ist es dir aus den Augen und ärgert dich nicht mehr.» – «Ganz genau!», grinste Eli. «Und wie ich dieses Buch kenne, wird es sich nicht einfach mit einem doch, sie darf mich so behandeln zufriedengeben und eine ganze Weile wegbleiben. Also hab ich Ruhe und Natur und Zau können selber schauen, wie sie mit ihrem Buch fertig werden.» Sie grinste süffisant.
«Wer ist eigentlich Zau?», stellte nun Felix die Frage, die wohl allen auf der Zunge lag. Eli lächelte. «Eine Urkraft. Er ist die Zerstörung und der Aufbau. Man kann ihn auch Anfang und Ende nennen. Aber wie Natur kann er menschliche Gestalt annehmen und mit uns reden, weshalb wir einen Namen für ihn brauchten – niemand hat Lust, ihn Aufbau und Zerstörung oder Zerstörung und Aufbau oder kurz Zerstörung / Aufbau oder dasselbe mit Anfang und Ende zu nennen. Also hatte jemand – keine Ahnung mehr, wer es war – die Idee, den Anfangslaut beider Wörter zu nehmen; Z für Zerstörung und Au für Aufbau. Und da Zau besser klingt als Auz, kamen wir überein, ihn Zau zu nennen.
Er stellte schon von Anfang an klar, dass Ae oder Ea nicht in Frage kämen. Ihm gefällt der Name übrigens sehr. Zau ist Naturs Bruder, was verwirrend ist. Ich glaube, das ist so, weil beide Mächte ungefähr gleichzeitig entstanden sind – in der Natur wurden Sachen zum Beispiel durch Blitze zerstört, und von der Natur wurde das Zerstörte wieder aufgebaut – also, es wuchs nach. Beide Urkräfte entstanden ungefähr zur gleichen Zeit, ergänzten sich gegenseitig und waren sich wohlgesinnt. Deshalb sind sie Geschwister. Komisch, ich weiss, aber diese Urkräfte sind sowieso komisch; Natur kann ganz allein Kinder bekommen, weil sie eine Sie ist, während Zau nur mit einer Frau, mit welcher er sich in menschlicher Gestalt paart, Kinder bekommen kann. Bis jetzt ist das nur ein einziges Mal vorgekommen. Livia Felizia muss wirklich etwas ganz Besonderes sein, denn sie hat es geschafft, Zau unbewusst zu verführen. Luna, dein wahrer Vater ist Zau.»
Luna glotzte sie ungläubig an, und auch für Nina und Nico schien das neu und ziemlich unglaublich zu sein. Nico warf Felix einen seltsamen Seitenblick zu, welchen dieser aber nicht bemerkte, und Nico schien sich beherrschen zu müssen, ihn nicht länger so anzustarren. Leslie wusste nicht so genau, was sie davon halten sollte und beschloss, diesen Blick einmal in Hinterkopf zu behalten. Luna fasste sich einigermassen schnell wieder: «Oookay… das ist ganz schön überraschend. Du musst mir mehr über Zau erzählen. Aber zuerst hab ich Hunger. Was ist eigentlich für Zeit?»
Eli sah auf eine Armbanduhr, die Leslie vorher noch gar nicht bemerkt hatte. Sie war sich nicht einmal sicher, ob die Armbanduhr vorher schon da gewesen war. Bei Eli war das gar kein so abwegiger Gedanke, es war durchaus möglich, dass die Uhr durch Magie an ihr Handgelenk gelangt war. «Es ist acht Uhr abends», verkündete Eli und unterbrach damit Leslies Gedanken. «Kein Wunder, dass ihr Hunger habt.» – «Woher genau willst du wissen, dass wir alle Hunger haben?», wunderte sich Leslie. Sie war Eli gegenüber misstrauisch, obwohl sie nicht wusste, warum. Aber da war so ein mulmiges Gefühl. Und Leslies Gefühle hatten sie noch nie betrogen. Ausserdem war sie vielen Leuten gegenüber misstrauisch. Aber wahrscheinlich hatte Eli das einfach so dahergesagt, und Leslies Misstrauen war unbegründet. Zu ihrer Überraschung antwortete ihr Nico: «Sie kann die Gedanken anderer lesen.» – «Aha.» Das war schockierend.
Eli winkte den Kindern, ihr zu folgen, und nicht viel später hatten alle einen vollen Bauch und gingen zu Bett. Die Mädchen redeten noch etwas über dies und das, liessen die Prügelei jedoch aus, da das ein langes Gespräch und vielleicht Streit gegeben hätte. Sie sollten ja eigentlich schlafen.
Am nächsten Morgen nach dem Frühstück fragte Olivia zu Leslies Überraschung, ob Nico ihr ein paar Schwertkampftricks zeigen könnte. Nico sah sie von der Seite misstrauisch an: «Ja, aber wehe du greifst mich nochmal an!» – «Du hast mich auch genervt! Ach ja, übrigens… du bist hoffentlich nicht traurig, Leslie? Es ist nicht böse gemeint, es ist nur…»
Leslie grinste: «Ich hatte ehrlich gesagt gehofft, dass ich einen Roboter bekomme, der mir ein paar spezielle Tricks zeigen kann… geht das, Eli?» Eli lächelte. «Natürlich geht das. Normales Schwert oder Elektroschock?» Leslie lächelte ebenfalls. «Gerne Elektroschock. Danke Eli.»
Damit Leslie ungestört üben konnte, führte Eli sie in einen Garten. Es war wunderschön dort, überall Blumen, Bäume und Sträucher mit essbaren Dingen, klare Bäche flossen überall. Aber es gab auch grosse, leere Wiesen, die sich prima fürs Schwertkampftraining eigneten. Eli zeigte Leslie, wo sie überall üben könnte, und Leslie entschied sich für eine Fläche, die leicht über den anderen Wiesen und direkt im Sonnenschein war.
«Das ist einer der schönsten Trainingsplätze in meinem Garten, super Wahl!», grinste Eli und liess Leslie mit dem Roboter allein. Es war anstrengend, aber Leslie machte wirklich Fortschritte. Es war auch schön gewesen, mit Olivia zu trainieren, aber der Roboter war einmal etwas ganz anderes. Dieses Training war deutlich intensiver, aber auch deutlich effektiver. Und Leslie freute sich, dass einmal keine anderen Menschen da waren, die sie störten. Sie genoss die Ruhe.
Nach ein, zwei Stunden Üben wandte der Roboter einen fiesen Trick an: Er schaffte es, den Kampf so zu wenden, dass Leslie die Sonne in die Augen schien. Sie hatte nach ein paar Minuten voll vergeblichen Versuchen, den Kampf zu wenden, genug, und bat um eine Pause. Der Roboter gewährte ihr diese nur widerwillig, lenkte dann aber ein und schaltete sich vor Leslie ab – vermutlich hoffte er, mit der Sonne im Rücken weiterkämpfen zu können.
Leslie liess ihr Elektroschockschwert fallen und verschnaufte. Dann richtete sie sich gerade auf und schaute nach vorne. Weit und breit nichts zu sehen, ausser der vollen Pracht von Elis scheinbar endlosem Garten. Blumen in allen Farben zogen sich scheinbar über Kilometer hinweg in einem farbigen Teppich durch den Garten. Bäume waren schwer beladen mit den unglaublichsten, schönsten Früchten. Überall blühten Erdbeeren und Brombeeren, der einzige «Schandfleck» waren die Stacheln an den Brombeersträuchern. Aber ohne die Stacheln wäre es eine unnatürliche Schönheit gewesen. Der Garten sah trotzdem aus wie ein natürliches Schlaraffenland – ohne Fleisch und Süssigkeiten an den Bäumen.
Leslie war noch ganz in Gedanken versunken, als sie hinter sich eine Bewegung wahrnahm. Bevor sie sich umdrehen konnte, spürte sie einen stechenden Schmerz in Rücken und Bauch. Für einen Moment verschwamm ihr alles vor Augen. Leslie schaute hinunter zu der höllisch pochenden Stelle und sah zu ihrem Unglauben eine Schwertspitze in ihrem Bauch, die gerade wieder herausgezogen wurde.
Leslie stolperte und fiel zu Boden. Sie hörte noch vage eine wütende Stimme herumschreien, spürte noch dumpf, wie starke Hände sie packten, dann wurde alles schwarz.
Felix hatte gerade leichte Probleme mit seinen Haaren. Eli hatte ihm ihre Bürste ausgeliehen, und er war froh darum, denn beim Versuch, diese widerspenstige Mähne zu bändigen, brachte er sie nur noch mehr durcheinander und hätte sie mit einer normalen Bürste wohl nicht mehr durchbürsten können.
In dem Moment lief Luna vorbei: «Haarprobleme?» – «Ja», murmelte Felix verlegen. «Kannst du mir helfen?» – «Natürlich. Gib mal die Bürste.» Felix legte ihr die Bürste in die Hand, und sie bürstete nochmals sein Haar aus. «Oh Mann, diese Bürste ist so cool. Felix, ich will auch solche Haare wie du!» – «Die hast du doch. Die gleiche Farbe, gleich dicht, einfach… kürzer. Im Verhältnis. Was sich wirklich, wirklich seltsam anfühlt. Ich habe bald längere Haare als Nina – im Verhältnis.»
«Ach komm schon! Die sind wunderschön! Und überhaupt, warum hast du denn so lange Haare, wenn sie dich nerven?» – «Ehrlich gesagt weiss ich das nicht so genau. Es ist einmal etwas Neues. Ich hatte noch nie so lange Haare. Und… ich kann sie irgendwie nicht abschneiden. Es wäre schade darum.»
«Sehe ich genauso. So, ich habe dir jetzt einen normalen Zopf gemacht. Kommst du raus? Du kannst ja uns beim Schwertkampf zusehen, wenn dir langweilig ist. Oder… ich hab gehört, Eli hat Leslie ihren Garten gezeigt. Vielleicht lässt sie dich auch in ihren Garten…»
Das klang verlockend. Felix lief Luna hinterher, sah dann aber doch lieber Nico und Olivia zu, vor allem, weil sie sich ständig in die Haare gerieten, weil Olivia fand, Nico solle nicht so besserwisserisch tun. Nur stimmte diese Aussage nicht ganz mit ihrer Bitte überein, dass Nico ihr Tricks beibringen sollte.
Am Mittag assen alle, dann trainierten Luna und Nina weiter, und Olivia und Nico stritten sich. «Das gibt bestimmt wieder eine Prügelei!», murmelte Felix kopfschüttelnd. – «Ja, das könnte allerdings passieren», stimmte ihm Eli zu. «Das wird lustig. Denk von mir, was du willst, aber wenn die schon freiwillig einen Gladiatorenkampf veranstalten wollen, will ich ihnen den Spass nicht verderben.»
Felix lachte freudlos auf: «Du meinst wohl eher, du willst dir nicht den Spass verderben!» – «Ja, das wäre auch möglich. Aber wenn sie Freude haben, sollen sie sich halt prügeln. Nicht mein Problem, wenn die sich gegenseitig die Köpfe einschlagen.»
«Nein, meines», murmelte Felix unglücklich. «Weil ich sie dann schlussendlich wieder heilen kann. Und jetzt haben sie auch noch Schwerter. Wenn sie sich ernsthaft verletzen…» – «Dann sollen sie halt nicht so blöd sein, sich ernsthaft zu verletzen. Wenn sie sich prügeln wollen, dann ohne Waffen, sonst beschlagnahme ich diese.»
Just in dem Moment hörten sie Geschrei und sahen hinüber. Natürlich: Die Prügelei hatte begonnen. Die beiden lagen auf dem Boden und rauften sich, rissen sich an den Haaren, schlugen und kratzten sich blutig. Luna und Nina standen daneben und schienen nicht so recht zu wissen, ob sie eingreifen sollten. Eli stand auf. «Lasst sie, wenn sie Gladiatoren – ohne Waffen! – spielen wollen, sollen sie das halt tun. Ihre Waffen liegen ja ausser Reichweite. Nee, wer denkt ihr, gewinnt echt?» – «Hmm… ich kenne Nico zwar gut, aber Olivia wirkt ziemlich stark», überlegte Nina. – «Nun… ja, Olivia ist stark, aber Nico ist zäh und heimtückisch», murmelte Luna. «Also ich denke, Olivia gewinnt», vermutete Nina. – «Ich denke, Nico gewinnt», hielt Luna dagegen. – «Hmm, ich finde, bei beiden stehen die Chancen fifty-fifty», verkündete Eli ihre Meinung. Dann sahen alle drei Felix erwartungsvoll an. «Also ich denke, sie werden sich blutig schlagen, bis jemand bewusstlos wird, weil niemand aufgeben wird», verkündete er mit verzweifeltem Blick auf die beiden Streithähne. «Und ich kann sie dann nachher wieder heilen – das erwartet ihr doch von mir, oder?»
Die Mädchen sahen sich einen Moment lang an. Dann nickten sie. «Und für wen stehen die Chancen besser, zu gewinnen?», hakte Nina nach. – «Hmm… ich denke, das hängt von Glück ab», mutmasste Felix. «Wer wen zuerst gegen einen Stein schleudern kann oder so etwas. Aber ich fürchte, am Schluss verlieren sie vor lauter Erschöpfung noch beide gleichzeitig das Bewusstsein. Warum prügeln die sich eigentlich? Wenn sie sich schon prügeln wollen, könnten sie auch gleich Monster zusammenschlagen. Hey, ihr beide! Könnt ihr bitte mal kurz aufhören?»
Zu seiner Überraschung hörten sie tatsächlich auf und sahen ihn erwartungsvoll an. «Wenn ihr euch schon prügeln wollt, könnt ihr dann wenigstens versuchen, nicht allzu grosse Schäden anzurichten? Ich würde mir meine Kräfte lieber für eine Schlacht aufsparen.» – «Von mir aus», brummte Nico. Olivia nickte zustimmend, dann prügelten sie sich weiter. «Wollt ihr wetten?», fragte Eli. Luna und Nina nickten begeistert. «Gut. Also, ich hab hier eine Kette, durch die man mit mir kommunizieren kann, sogar in Nullilula oder so, auch überall, wo ich nicht hinsehen kann. Wer die Wette gewinnt, kriegt die Kette. Ich halte mich da raus, da ich erstens die Kette nicht selber gewinnen will und mich zweitens nicht entscheiden kann, für wen die Chancen besser stehen. Ich persönlich bin für Nico – also, ich werde ihn anfeuern, aber ich weiss nicht, ob er gewinnt –, weil ich ihn schon länger kenne, aber eigentlich sind mir beide sympathisch. Nur ist Olivia eher der Schlägertyp, während Nico einfach seine vorlaute Klappe nicht halten kann und immer überall seinen Senf dazugeben muss. Deshalb ist er mir noch sympathischer. Ich bin ja selber auch so schlimm.»
Luna und Nina lachten. «Wenigstens siehst du es ein», grinste Luna. «Okay, also ich wette auf Nico – wehe, du lässt Olivia gewinnen, Nico, dann schlage ich dich nachher eigenhändig nochmals zusammen! – Nina… wettest du auf Olivia?» – «Ja.» – «Gut, dann bleibst nur noch du, Felix. Auf wen wettest du?»
«Also ich glaube, ich bleibe dabei, dass sie am Schluss beide gleichzeitig in Ohnmacht fallen», antwortete Felix. Dann wandte er sich an Eli: «Du, Eli, kann ich dich etwas fragen?» – «Hmm?» – «Luna hat mir erzählt, dass du Leslie deinen Garten gezeigt hast, damit sie üben kann. Stimmt das?» – «Ja, das stimmt. Falls du fragen willst, ob du auch in meinen Garten kannst, gerne. Ich zeig dir gleich den Weg…»