Malou und der Puppenspieler - Joshua Parksteinhoff - E-Book

Malou und der Puppenspieler E-Book

Joshua Parksteinhoff

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Beschreibung

Malou und der Puppenspieler ist ein verrücktes, magisches Abenteuer, für alle, die an die Liebe glauben und diese Welt noch nicht aufgegeben haben. In einer unvergleichbaren Mischung eines Roadtrips und eines modernen Märchens begleitet der Leser das Mädchen Malou und ihre Freunde auf der Reise durch eine bunte und wilde Welt, die auf den Ruinen unserer Zivilisation errichtet wurde. Eine Welt voller Überraschungen, Fantasie und Inspiration. Malous Ziel ist es, den Puppenspieler zu stoppen. Dieser ist ein mächtiger Geist aus einer längst vergessenen Zeit, der sein dunkles Netz aus Lügen und falschen Versprechen um den Verstand der Menschen gelegt hat. Um erfolgreich zu sein, muss Malou nicht nur ihre Angst überwinden und an ihre Träume glauben, sondern auch lernen, dass Hass nur mit Liebe geheilt werden kann. Mit seinem einzigartigen Erzählstil präsentiert Parksteinhoff eine komplexe und spannende Geschichte mit mehreren Handlungssträngen in einer verblüffend einfachen und verständlichen Weise. So ist das Buch nicht nur ein großer Genuss für den erwachsenen Leser und für Jugendliche ab 12 Jahre, sondern auch ein Appell für mehr Mitgefühl und Verständnis. "Ich glaube, dass unsere Welt vor großen Herausforderungen steht und wir diese nur gemeinsam lösen können. Dabei bin ich überzeugt, dass Bücher die Kraft haben, unser Mindset zu verändern. Deshalb schreibe ich." Joshua Parksteinhoff

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 305

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Malou und der Puppenspieler

WIDMUNG

Malou und der Puppenspieler

JOSHUA PARKSTEINHOFF

© 2021 Joshua Parksteinhoff

Coverdesign von: Zoé Keleti (blueberrybeach.com)

Herausgegeben von: Blueberry Beach (blueberrybeach.com)

Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer

Verlagslabel: Blueberry Beach

ISBN Softcover: 978-3-347-50514-8

ISBN Hardcover: 978-3-347-50515-5

ISBN E-Book: 978-3-347-50516-2

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland.

Inhalt

• Die Königin ist in Gefahr

„Der schönste Tag ist immer heute! Ich will Schokoladenkuchen und Erdbeereis zum Frühstück essen. Ich will die ganze Welt bunt anmalen, all die kalten Anzugträger und die ständigen Nein-Sager in Seifenblasen davon fliegen lassen. Ich will machen, was mir gefällt.“

Laut singend fliege ich durch die Nacht. Unter mir tanzen die Wellen des Ozeans dazu und über mir leuchten die Sterne am Himmel.

In der Hand halte ich vier große Luftballons. Es ist windig und ich komme gut voran. Weit entfernt sehe ich die Lichter von Shai lu Rá, die Stadt in den Wolken. Es ist eine ganz besondere Nacht, das kann ich spüren.

Malou lag in ihrem Bett im Zirkuswagen und wusste, dass sie träumte. Ihr Verstand war dabei völlig klar und die Erlebnisse genauso real, wie die Geschehnisse in der wirklichen Welt.

Draußen auf der Veranda spielte ihr Vater Valentin Klavier und Sergej sang ein wunderschönes Lied aus einem russischen Märchen. Ihre Mutter Kamilla tanzte dazu mit Bobi Tranquilla auf dem Tisch. Sie tranken Drachenbeerenwein und waren glücklich.

Dann rief eine Elster in der Nacht. Ein warmer Windzug zog an den bunten Lampions über den Tisch und ließ die Windspiele leise klirren. Eine Welle stieß gegen den Zirkuswagen, so dass dieser leicht schwankte. Noch wusste Malou es nicht, aber ein Abenteuer hatte begonnen, aufregender und gefährlicher, als alles, was sie bisher erlebt hatte.

„Malou“, ruft eine Stimme neben mir.

Ich drehe mich zur Seite und sehe eine Elster auf mich zufliegen. Sie hält ein Seil in ihren Füßen.

„Die Königin will dich treffen, komm“, ruft sie, als sie über mich hinweg fliegt. Ohne zu zögern, lasse ich die Luftballons los und greife nach dem Seil.

„Wir müssen aufpassen, sie sind heute einfach überall“, ruft die Elster.

„Wer?”

Doch dann fliegen auch schon Gewehrkugeln durch die Luft. Hinter uns tauchen drei schwarze Propeller-Jagdflugzeuge auf.

„Die Männer des Kanzlers“, ruft die Elster. „Halte dich gut fest!“

Wir tauchen in eine Welle ein. Ich schließe meine Augen. Als ich sie wieder öffne, sind wir vor einem Brunnen auf einem großen Platz. Dieser ist von vielen Laternen hell beleuchtet und um uns herum flanieren bunte Gestalten.

Mein Kleid ist nass und mein Haar hängt mir tropfend im Gesicht. Vor mir steht eine schöne, junge Frau. Sie lacht. „Das war knapp“, sagt sie.

„Wo sind wir?“, frage ich.

„In Shai lu Rá.“

„Und wir sind aus dem Brunnen gekommen?“

„Ja.“

„Und du bist die Elster!“ Ich erkenne die junge Frau.

„Genau, Sáhi Tausendfeder, Freundin des Windes.“

„Und die Königin schickt dich?“

„Ja, sie will mit dir sprechen. In Budapest passieren merkwürdige Dinge.“ Sáhi nimmt meine Hand. „Komm, wir treffen einen Freund. Der wird uns helfen.“

Wir laufen über den Platz in eine breite Straße. Vor einem Café spielt eine Frau Harfe und ein Mann zeigt eine Seifenblasenshow. Eine der Blasen schwebt in unsere Richtung, an uns vorbei und in eine kleine Gasse hinein, welche ich vorher gar nicht gesehen hatte.

„Wir folgen ihr“, ruft Sáhi.

Shai lu Ra war eine geheimnisvolle Stadt, wunderschön, gefährlich und voller Magie. Es gab keine Grenzen und du konntest Türen in versteckte Welten finden, soweit deine Vorstellungskraft dich trug.

Wir laufen durch die schmale Gasse hindurch. Die Häuser um uns herum sehen aus, wie in einem Märchenbuch. Schaurige Gestalten schauen aus dem Fenster und ein Schatten huscht über die Dächer.

Wir folgen der Seifenblase auf einen Hof. Hier flackern Kerzen und ein Mann mit einem langen Mantel und einem großen Hut spielt Mundharmonika. Er steht an eine Wolkenrikscha gelehnt.

Als er uns bemerkt, hört er auf zu spielen und schaut auf. „Sáhi“, sagt er freundlich. „Du bist zurück.“

„Ja, es kann losgehen.“

Wir klettern auf die Rikscha. Der Mann bläst einmal über seine Handfläche und die Kerzen erlöschen. Wir fahren durch die Nacht.

„Stell dir vor“, erzählt Sáhi mir, während Shai lu Ra an uns vorbei rauscht. „Irgendetwas stimmt überhaupt nicht. Die meisten Menschen sind müde und grau. Kaum noch jemand lacht, alle sind ständig müde und der Kanzler …“

In diesem Moment taucht neben uns ein summender Flugapparat auf.

„Eine Drohne“, ruft Sáhi alarmiert.

Der Rikschafahrer biegt scharf ab und fährt durch eine verlassene Straße. Die Drohne folgt uns, wie eine wütende Wespe. Sáhi holt eine kleine Fernbedienung aus der Tasche und drückt einen Knopf.

Die Drohne fängt an, wild durcheinander zu blinken und zu surren und fliegt gegen einen Laternenmast.

„Ein Störsender“, lacht Sáhi und steckt die Fernbedienung wieder in ihre Tasche. „Tino, ein guter Freund von mir hat ihn gebaut.“ Sie schaut mich ernst an. „Ohne ihn würd' es gar nicht mehr gehen. In Budapest wimmelt es plötzlich überall von diesen Drohnen.“

Wir biegen auf eine kleine, versteckte Pier zwischen den alten Häusern. Hier liegt ein Wolkenschiff in der Dunkelheit. Es ist wunderschön und als würde das Schiff leise singen, ertönt von irgendwo eine geheimnisvolle Musik.

Ein Schwarm Mondbienen flattert dazu vor den Fenstern der Kabine, welche hell erleuchtet sind, und legt so die ganze Pier in ein magisches Licht. „Danke“, rufen wir unserem Fahrer zu und laufen zum Wolkenschiff.

*

In der Kabine ist es gemütlich. Die Wände und der Fußboden sind aus Holz und die Sitze haben bequeme, rote Polster. Die Deckenlampen scheinen in einem warmen Licht und aus einem alten Plattenspieler läuft Jazzmusik.

Wir sind nicht alleine. An einem Fenster sitzt ein Elefant mit einem eleganten Hut und einem Anzug. Neben sich hat er eine schwarze Aktentasche auf den Sessel gelegt. In der Hand hält er ein Waffeleis. Er lächelt als er uns sieht.

An der Bar sitzt ein Mann. Sein schwarzes Haar hängt ihm über das Gesicht, darunter erkenne ich unheimliche Tätowierungen. Er raucht Pfeife und isst auch ein Waffeleis. Dabei unterhält er sich mit einem Clown, der hinter der Bar steht.

Als sie uns sehen, nickt der Mann uns freundlich zu und kommt uns der Clown entgegen. Er hat dunkle Haut und die roten Locken, die wild zu allen Seiten abstehen, sind sein eigenes Haar.

„Einen wunderschönen Abend meine Damen“, er lächelt und seine Augen funkeln, als er Sáhi sieht. „Leonardo ist mein Name. Clown, gestiefelter Kater, Zauberer, was immer ich will, wie es mir gerade gefällt. Was kann ich für euch tun?“

„Wir sind auf dem Weg nach Budapest. Die Königin erwartet uns“, meint Sáhi.

Leonardo lächelt. „Dann müsst ihr Sáhi und Malou sein. Wir haben nur auf euch gewartet.“ Er deutet auf eine gemütliche Sitzecke mit einem runden Tisch. „Setzt euch, wir fliegen sofort los.“

Wir folgen ihm zu dem Sofa.

„Ich bring euch gleich auch etwas Nicecream. Ich hab sie mit ganz viel Liebe gemacht“, sagt er noch und verschwindet wieder hinter der Bar.

„Stell dir vor“, sagt Sáhi, nachdem wir uns gesetzt haben. „Heute beginnt das Ballonrennen.“ Wir sind mittlerweile gestartet und essen das Waffeleis, das Leo uns gebracht hat. Es schmeckt köstlich.

Sáhi erzählt mir, dass sie mit ihrer Familie im letzten Jahr an dem Rennen teilgenommen hat. „Ich bin aber nur bis nach Moskau gekommen“, sagt sie und lacht. „Ich hab mich nämlich in eine Eistänzerin verliebt. Sie hat langes Haar und wunderschöne Augen. So blieb ich eine Weile dort. Moskau ist unglaublich.“

Sie fasst mich an der Schulter und schaut mich wieder ernst an. „Ich wollte dieses Jahr erneut an dem Ballonrennen teilnehmen. Tino hat extra einen neuen Ballon entworfen. Aber gestern haben sie den Ballon beschlagnahmt.“

„Was?“, frage ich.

„Ja, es ist alles total verrückt. Überall ist plötzlich Geheimpolizei und alles ist verboten. Freunde von mir sind über Nacht schon im Gefängnis verschwunden. Und die Königin? …“

In diesem Moment gibt es einen Knall. Die Tür von der Kabine wird aufgerissen und eine Gruppe bewaffneter Gestalten in schwarzen Uniformen kommen in die Kabine gestürmt.

Der Elefant mit dem Hut springt auf und klatscht in die Hände. Die Gestalten bleiben wie eingefroren stehen.

„Schnell!“, ruft Leonardo. Wir rennen zu einem Fenster und reißen es auf. Unter uns leuchten die Lichter der Stadt hell. Ich bleibe stehen. Der Elefant, der Mann mit den Tätowierungen im Gesicht und Leo springen ohne zu zögern in den Nachthimmel. Sie lachen und breiten ihre Arme aus. Sáhi dreht sich zu mir um.

„Folge deinem Herzen und hab keine Angst“, ruft sie und springt ebenfalls. Ich schaue mich um. Die Gestalten tauen langsam wieder auf. Ich schließe die Augen und springe.

*

Als Malou ihre Augen wieder öffnete, war sie in einem Park. Um sie herum wuchsen Palmen und Kakteen, riesige Mammutbäume erhoben ihre mächtigen Kronen in den Nachthimmel und überall blühten Blumen in allen Farben des Regenbogens.

Malou kannte den Park aus vielen Geschichten. Es war der Stadtgarten von Budapest. Hier stand auch das Schloss von Ameli, der Königin der Tausend Inseln.

Hinter den Palmen schienen die Lichter der Stadt. Malou sah ein Feuerwerk und wie hell beleuchtete Heißluftballons in den Himmel stiegen. Der Park lag aber in einem merkwürdigen Schatten und Malou hatte das unheimliche Gefühl, dass jemand nach ihr suchte.

Ich laufe hinter einen großen Baum und verstecke mich in seinem Schatten. In der Ferne kann ich Lichter sehen, die in meine Richtung kommen. Ich krabbel auf dem Boden in das nächste Gebüsch. Von hier kann ich gut auf den Weg schauen, der hier zwischen den Bäumen verläuft. Im Schein der Laterne erkenne ich eine Gruppe schwarzer Gestalten, die mit Taschenlampen den Park absuchen.

Als sie weiter gelaufen sind, rolle ich mich wieder aus dem Gebüsch. Plötzlich taucht neben mir ein summendes Objekt auf. Erst denke ich, dass es eine große Motte sei, doch es ist eine Drohne. Sie dröhnt laut und leuchtet auf mich.

Ich renne los. Von überall tauchen Taschenlampen auf. Ich kann das große Tor von dem Schloss schon sehen, als mir eine Gruppe von den schwarzen Gestalten den Weg versperrt. Sie tragen merkwürdige Uniformen und haben böse Gesichter. Ich bleibe stehen und schaue mich um. Ich bin umzingelt.

Plötzlich ertönt Musik. Es ist ein Klavier, aber es klingt wie ein ganzes Orchester mit tausend Stimmen, die dazu singen.

Die Gestalten schauen sich verwundert an. Sie wissen nicht, wie ihnen geschieht, aber zu der Musik müssen sie alle anfangen zu tanzen. Einige wehren sich dagegen und verlieren ihr Gleichgewicht. Aber anstatt auf den Boden zu fallen, bleiben sie merkwürdig verrenkt in der Luft stehen. Im Mondschein kann ich sehen, dass sie von dünnen, durchsichtigen Fäden gehalten werden, wie große Marionetten.

Der Rest von ihnen tanzt zwischen den Palmen und den Kakteen durch den Park. Auch der Drohne scheint die Musik nicht zu bekommen. Sie blinkt und piept und fällt schließlich rauchend auf den Boden.

Das große Tor wird geöffnet. Adrian Drachentraum, der Gemahl der Königin, steht dort lachend. „Hab keine Angst“, ruft er, „komm ins Schloss. Hier bist du sicher.“

Er nimmt meine Hand und wir gehen zusammen über den Hof in den Festsaal. Ich bin aufgeregt. Noch nie war ich im Schloss der Königin.

*

Der Festsaal ist hell beleuchtet, aber leer. Nur Ameli sitzt an einem Flügel in der Mitte des Raumes. Es ist das erste Mal, dass ich die Königin der Tausend Inseln treffe.

„Willkommen“, sagt sie, steht auf, und kommt auf uns zu. Obwohl sie jetzt nicht mehr am Flügel sitzt, bewegen sich noch immer die Tasten und die Musik hört nicht auf zu spielen.

Die Königin ist blass, aber wunderschön. „Ich freue mich, dass du hier bist.“ Sie umarmt mich. „Ich bin Ameli.“

Ameli war die dritte Königin der Tausend Inseln. Noch ganz jung war sie vor ein paar Jahren überraschend Raskael auf dem Thron gefolgt, nachdem dieser auf mysteriöser Weise verschwunden war. Nicht erst seitdem rankten sich Gerüchte um den Thron, dass dieser verflucht sei. Denn der erste König, Salán, war an einer rätselhaften Krankheit gestorben.

Ameli schaut mich lächelnd an: „Und wie heißt du?“

„Malou“, flüster ich schüchtern.

„Ein schöner Name. Hast du die Heißluftballons gesehen?“

Ich nicke.

„Heute startet das Rennen“, sagt sie. Wir gehen zusammen zu den großen Fenstern und schauen auf die Ballons, die hell beleuchtet in den Himmel steigen.

„Mit dem Rennen feiern wir jedes Jahr das Ende der Eiszeit. Das ist jetzt schon 50 Jahre her.“

„Dass hat mein Opa mir auch erzählt“, meine ich. „Er war damals Straßenmusiker in Budapest. Es war so kalt, dass er Handschuhe brauchte, wenn er Klavier spielte.“

Ameli lacht. „Das kann ich mir gut vorstellen. Aber eines Tages war der Sommer wieder zurück. Es begann die größte Party, die Budapest je gesehen hatte. Sie dauerte drei Wochen und vier Tage. In dieser Zeit stiegen mehr als hundert Heißluftballons in den Himmel, um die Neuigkeit um die ganze Welt zu tragen. Das war der Start des ersten Rennens.“

„Und viele sagen, dass es nie wieder ein Rennen wie dieses gegeben hat“, meint Adrian. Er steht jetzt hinter Ameli und hat sie in die Arme genommen. „Gewonnen haben es damals Jessy Pusteblume und Lola Dunkelbunt.“

„Das sind meine Großeltern!“, rufe ich stolz.

„Du kommst also aus einer bekannten Familie“, sagt Ameli mit einem Lächeln.

Die Geschichte von dem Rennen ist mittlerweile eine Legende. Ich habe sie schon viele Male gehört und dabei jedes Mal anders. Nur das Ende ist immer das selbe: Jessy und Lola kommen als reiche und bekannte Leute von einer Reise zurück, die sie Hand und Hand mit nicht mehr als einem Blumenstrauß über den Dächern von Budapest begonnen haben.

Und hier ist nichts mehr so, wie sie es verlassen haben. Die gewaltigen Gletscher in dem Gebirge sind geschmolzen und das Karpatenbecken ist wieder zu einem Meer geworden.

Wie Blumen auf einer Frühlingswiese tauchen überall neue Inseln auf, eine fantastischer als die anderen. Das Königreich der 1000 Inseln ist geboren.

Adrian, Ameli und ich sagen alle eine Weile nichts und schauen auf die Ballons, die in den Himmel steigen.

Irgendwann meint Ameli: „Sicher hast du den Schatten über dem Stadtgarten bemerkt.“

„Ja“, sage ich leise.

„Merkwürdige Dinge passieren in Budapest. Es ist still geworden auf den Straßen. Die Farben verschwinden. Die meisten Menschen sind immer müde und kaum noch jemand lacht. Aber nicht nur hier, nein, im ganzen Königreich und darüber hinaus.“

„Das hat Sáhi mir auch schon erzählt.“

Ameli schaut mich sanft an. „Mach dir keine Sorgen. Wir haben uns schon etwas überlegt“, sagt sie. „Aber wir brauchen deine Hilfe. Der Kanzler hat den Park verriegelt und Adrian und ich sind Gefangene in unserem eigenen Schloss.”

In diesem Moment zerplatzt das Fenster und eine Krähe fliegt in den Raum. Sie breitet ihre Flügel aus und in nächsten Augenblick steht ein elegant gekleideter Mann neben uns. Zur Begrüßung zieht er seinen Hut und grinst gemein.

Ameli ruft etwas und macht eine schnelle Handbewegung. Der Mann wird nach hinten geschleudert. Sie nimmt mein Hand und wir wollen zur Tür laufen. Doch mit einem lauten Knall fliegt diese in unsere Richtung. Wir springen zur Seite und die Tür zerschmettert den Flügel.

Die Klaviermusik endet und ein lautes Dröhnen beginnt. Eine Art Truppentransporter fährt in den Saal. Vor ihm rennt ein junger Mann mit T-Shirt und Jeans. Doch im nächsten Augenblick ist es ein riesiger Wolf.

Er springt. Adrian huscht an uns vorbei, nimmt uns an die Hände und blitzschnell sind wir am Fenster. Der Wolf fliegt ins Leere, landet auf dem Boden und rutscht von dem Schwung weiter nach hinten.

Wir springen zusammen durch das zerbrochene Fenster auf den Schlosshof. Es gibt ein lautes Knacken, als würde ein Schalter umgelegt werden. Von allen Richtungen leuchten Scheinwerfer auf uns.

„Ihr seid umzingelt. Gebt auf, Widerstand ist zwecklos!“, tönt eine laute Stimme aus der Dunkelheit.

Ameli kniet sich vor mir nieder und schaut mich mit ruhigen Augen an. „Malou, du musst jetzt gehen“, sagt sie.

Dann werde ich wach.

***

• In den Gassen im Nirgendwo

Ein neuer Tag hatte begonnen. Ein Schwarm Schwalben flog über die Große Rutsche, um die Türme des Wasserschlosses herum, an dem halb versunkenen Riesenrad vorbei und landete schließlich auf dem Balkon des Zirkuswagens. Das war das Zuhause von Malou, mit welchem sie und ihre Familie um die ganze Welt reisten.

Ob der Zirkuswagen dabei ein Hausboot war, das auch Räder hatte, oder ein Wohnwagen, der auch schwimmen konnte, war jedem selbst überlassen.

Malous Mutter Kamilla hatte das wundersame Mobil vor langer Zeit in einem Pokerspiel mit dem berüchtigten Piraten und Schnapshändler Gelbbart gewonnen. Zuvor war der Wagen in dem Besitz des Straßenmusikers, Zauberers und Geheimagenten James Flowerbond gewesen und dieser hatte ihn wiederum von einem Zirkus bekommen. Doch hier verliert sich die Spur. Wie der Wagen zu dem Zirkus gekommen war und woher, das wusste niemand.

Jetzt schien die Morgensonne durch das große Fenster von Malous Zimmer und der Wind trug den Klang einer elektrischen Gitarre zu Malou.

Das Flying Elephant Festival hatte begonnen. Das war der Grund, warum Malou und ihre Eltern in diesem Sommer zu Besuch in der Großen Rutsche waren.

Auf das Festival hatte Malou schon seit Wochen gewartet. Es war legendär und sie hatte gehört, dass eine einzige Nacht auf dem Festival dich für immer verändern konnte.

Das Lied endete und Malou hörte die Leute klatschen und jubeln. Aber sie schienen so weit entfernt. Mit geschlossen Augen lag Malou im Bett und dachte an ihrem Traum.

Es war für sie nicht ungewöhnlich, dass sie die Geschehnisse im Traum als ähnlich real wahrnahm, wie die Geschehnisse in der wirklichen Welt. Denn Malou war, wie ihre ganze Familie auch, ein Traumtänzer. So wurden von der arkanen Wissenschaft jene Seelen genannt, welche die Fähigkeit besaßen, in der Traumwelt auf Reisen zu gehen. Eine Meisterschaft dieser Fähigkeit erlaubte dem Reisenden sogar eine bewusst gesteuerte Imagination und den Zutritt zur Traumwelt auch im Zustand des Wachbewusstsein.

Malou hatte schon sehr häufig so genannte Lichtträume gehabt, aber dieses Mal war es noch viel bewusster als sonst gewesen, viel intensiver, länger, gefährlicher und aufregender.

Hatte sie nicht gerade noch die Königin getroffen? Bilder flackerten in ihrem Kopf, von Sáhi, von Shai lu Ra und von dem Überfall auf den Palast.

„Malou, bist du schon wach?“, hörte sie eine bekannte Stimme neben sich. Es war Noel, ihr Bruder. „Wir müssen zu Täsh!“

Noel war schon neun Jahre alt, liebte es zu surfen und hatte vor nichts Angst. Sein langes, blondes Haar tanzte in wilden Locken um seinen Kopf, er lachte viel und hatte wunderschöne blaue Augen.

Und Täsh? Sie war eine gute Freundin von Malous ganzer Familie. Sie hieß Täsh Eulensänger, war eine mächtige Zauberin, hatte eine Eule mit dem Namen Nachtfeder und wohnte auf der Buddhafly, eines der seltenen Wolkenschiffe, die es noch gab.

Gemeinsam zogen sie um die Welt und lebten mal hier und mal dort für eine Weile, bevor sie weiter zogen und sich irgendwo neu trafen. Dieses Mal hatten sie sich für das Festival verabredet.

Täsh machte nun also schon seit ein paar Wochen die Buddhafly bei Jessy und Lola im Garten fest. Diese hatten auf einer kleinen Insel, welche die reisende Schildkröte genannt wurde, ein verzaubertes Haus. Das war die Villa Löwenzahn.

*

Auf dem Weg dorthin erzählten Noel und Malou sich, was sie in der Nacht erlebt hatten.

„Alles fing auf meinem Surfbrett an“, begann Noel.

„Wie immer!“, lachte Malou.

Denn ihr Bruder verbrachte tatsächlich fast seine gesamte Zeit mit dem Surfen. Und dafür brauchte er nicht mal das Meer. In der Stadt fuhr er Skateboard, in den Bergen Snowboard, und wenn er nicht auf einem Brett stand, spielte er Trommel oder Gitarre. Dann war eben die Musik seine Welle.

„Und endete damit, dass ich mit Täsh nach Shai lu Ra flog“, schloss Noel seine Erzählung. Was dazwischen passiert war, war genauso aufregend und gefährlich, wie das, was Malou in der Nacht erlebt hatte.

„Obwohl“, sagte Noel mit einem geheimnisvollen Lächeln „eigentlich hat dort erst alles so richtig angefangen.“ Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Wir waren nämlich im Nirgendwo.“

„Im Nirgendwo?“, flüsterte Malou. Es war das berüchtigste Viertel in der Wolkenstadt. Hier konnte ein Bettler in einer Nacht zum König werden und ein Würfelwurf darüber entscheiden, ob du lebst oder stirbst. Es gab fahrende Läden, die gefangene Traumtiere anboten, Litfaßsäulen auf denen mit Plakaten für eine der vielen Magieschule geworben wurde und bunte Sticker, die zum allgemeinen Erwachen aufriefen, die für mehr Liebe demonstrierten und für ein Ende der Grausamkeit.

Es gab sonnige Plätze, auf denen Musik gespielt, gemalt und getanzt wurde, wo Zeit nicht existierte und du eins wurdes mit dem Weltenklang.

Es gab aber auch dunkle Hinterhöfe mit schwach beleuchteten Fenstern, die schauderhaft gefährlich schienen. Wo unheimliche Vögel auf dem Zaun am Eingang saßen und dir krächzend eine Warnung zuriefen.

„Wir sind am Leuchtturm direkt am Wolkenmeer gelandet. Täsh kennt eine ganze Menge Leute dort“, erzählte Noel weiter. „Noch am Steg wurden wir von einem Luftschifftaxi abgeholt. Das ist so ne Mischung zwischen einer Kutsche und einem Zeppelin. Darin saß ein kleiner Mann mit grauen Locken und einem breitem Gesicht. Er heißt Abdullah, der Meister der Wunder. Er ist total lustig und kann voll gut zaubern. Neben ihm lag ein Hundemädchen. Sie heißt Léni und sieht aus wie ein kleiner Wolf, nur dass sie schwarz und weiß ist. Sie ist total süß. Die beiden hatten sich vorher getroffen. Abdullah meinte, Léni hätte ihm das Leben gerettet.“

„Wie denn das?“

„Das weiß ich nicht. Abdullah wollte es mir erzählen, aber wir sind nicht dazu gekommen. Stell dir vor, Abdullah sagt, ein altes Gespenst ist wieder erwacht. Es ist ein mächtiger Geist, der die Menschen in einer Illusion fängt, wie Fliegen in einem Spinnennetz. Er nennt ihn den Puppenspieler.”

Malou schauderte es. Sie musste an die schwarzen Gestalten in der Nacht denken und wie sie alle an Fäden hingen.

„Bist du Ok?”, Noel strahlte sie an.

„Ja, ich glaube schon”, sagte Malou leise und lächelte.

„Also der Puppenspieler ist sehr gefährlich“, fuhr Noel fort. „Abdullah und Täsh wollten eine alte Zauberin, die Schwanenkönigin, treffen. Sie kann das Konzil der Welten einberufen.“

„Das Konzil der Welten?“, fragte Malou.

„Das ist eine Versammlung von jedem, der den Ruf hört. Früher hat es häufiger stattgefunden und oft die Geschichte aller Welten beeinflusst. Abdullah glaubt, dass er damit den Puppenspieler stoppen kann.“

„Und Täsh will ihm dabei helfen?“

„Ja. Die beiden hatten ein geheimes Treffen mit der Schwanenkönigin vereinbart. Aber in Shai lu Ra wimmelt es nur so von feindlichen Agenten. Deswegen kann ich dir auch nicht sagen, wie Léni das Leben von Abdullah gerettet hat.“

Malou schaute ihren Bruder fragend an. Das hatte sie ja eigentlich wissen wollen. Aber wie hingen die beiden Sachen jetzt zusammen?

Noel lachte, als er das Gesicht seiner Schwester sah. „Also, Abdullah wollte mir gerade von Léni erzählen, als wir merkten, dass unsere Kutsche angehalten hatte. Wir schauten aus den Fenstern. Wir schwebten mitten in einer dunklen Häuserschlucht, zwischen alten Ruinen, tropfenden Wasserrohren und vergessenen Plakaten. Nebel umhüllte uns. Abdullah rief dem Fahrer zu, er sollte weiterfahren. Doch dieser lachte nur spöttisch und flog als Rabe davon.

Dann erschienen unheimliche Gestalten auf den Dächern. Sie trugen schwarze Uniformen mit einem goldenen Pfau und hatten riesige Langbögen.“

„Die Geheimpolizei“, rief Malou. „Doch hatten die irgendwo einen goldenen Pfau drauf?”, murmelte sie noch in Gedanken versunken.

„Keine Ahnung, wer die waren”, meinte Noel, „Abdullah winke ihnen zu und wollte gerade etwas rufen, als sie anfingen ihre Pfeile anzuzünden. Täsh griff meine Hand und rief einen Zauberspruch. Im Haus neben uns erschien ein Fenster, welches ich vorher nicht gesehen hatte. Wir sprangen, einer der Pfeile traf das Luftschiff und es gab eine große Explosion.“

Noel machte eine kurze Pause. Malou schaute ihn gespannt an. Also fuhr er fort: „Um uns herum war es dunkel. Durch das Fenster waren wir in einem düsteren Treppenhaus gelandet. Wir hörten ein höhnisches Lachen, das von allen Wände widerhallte.“

„Eine Falle“, rief Malou.

„Genau. Die unteren Stufen endeten in schwarzem Wasser und Dunkelheit. Über uns hing ein sternloser Himmel. Das Wasser fing an zu brodeln und lange Tentakel krochen langsam die Treppe hinauf. Wir liefen nach oben. Doch in der Finsternis über uns begann es zu donnern und blitzen und in Strömen zu regnen. Das Wasser lief in Sturzbächen die Stufen herab und wir hatten Mühe, nicht mitgerissen zu werden.

Täsh pfiff und durch ein anderes Fenster kam Nachtfeder geflogen. Abdullah klatschte einen Rhythmus und sang dazu. Und stell dir vor, es war ein Lied, zu dem man einfach tanzen musste.“

„So eins hab ich heute Nacht auch gehört“, sagte Malou mit einem Lächeln und dachte an das wunderschöne Klavierstück, das Ameli gespielt hatte.

„Das Lied war wie eine Welle“, fuhr Noel fort. „Nachtfeder und ich flogen erst die Stufen hinauf, durch dunkle Gänge, brachen durch Türen, überflogen schneebedeckte Wälder und Legionen aus Toten, die an dünnen Fäden hängen und in endlosen Kreisen marschieren. Wir flogen über Meere, über Kontinente immer weiter bis in den Sternenhimmel hinein.“ Noel machte eine Pause. „Dann bin ich aufgewacht.“

„Und was ist mit Abdullah, Léni und Täsh geschehen?“, fragte Malou.

„Keine Ahnung, das müssen wir jetzt herausfinden.“

***

• Pancake Party

„Du zeigst mir den Vogel und ich lass ihn frei“

Jessy Pusteblume

Nach zu wenig Schlaf wachte Sáhi in ihrem Bett in Budapest auf. Sie schaute durch das Dachfenster in den grauen Morgenhimmel. Noch immer regnete es in Strömen und der Wind pfiff durch die leeren Häuserschluchten.

Am Abend zuvor hatte es einen fürchterlichen Sturm gegeben. Der Start der Ballons war abgebrochen und auf ungewisse Zeit verschoben worden. Die Leute waren ängstlich bei Blitz und Donner nach Hause gerannt.

Mit einem Seufzer drehte Sáhi sich zur Seite und musste plötzlich lächeln. Neben ihrem Bett auf dem Tisch war auf dem Deckel der Pizzabox ein Strauß Blumen gemalt. Daneben lag ein Zettel. Die Blumen und der Zettel waren von Leonardo. Sie hatten sich gestern Nacht in der Fliegenden Fabrik von Tino wieder getroffen. Leonardo schrieb, dass er mochte, dass sie so süß wie Vanille roch, er sie gerne wiedersehen würde und wo sie ihn am Nachmittag treffen konnte.

was im Palast der Königin passiert war, wusste Sáhi noch nicht.

*

Auch in der Großen Rutsche wusste das niemand. Hier tanzten die Leute noch ausgelassen zu den Klängen von Bummelzug Neun, ein Beatdown Kollektiv aus Leipzig.

Damit du dir vorstellen kannst, was dabei abging, musst du wissen: Die Große Rutsche war einst ein Vergnügungspark gewesen. Dieser war mit dem Ende der Eiszeit im Meer versunken und auf den Hügeln um die versunkenen Attraktionen herum, hatte sich einer der angesagtesten Surfspots im Königreich der 1000 Insel entwickelt.

Ständig lagen bunt bemalte Hausboote am Strand. In den Nächten wurde am Feuer getanzt und gesungen. Dabei leuchteten das halb versunkene Riesenrad und das alte Wasserschloss in bunten Farben, während DJs aus der ganzen Welt auflegten.

Außerdem war das Wasserschloss der Sitz der freisten Magieakademie im ganzen Königreich. Jessy Pusteblume, Malous und Noels Opa, war ihr Leiter. „Du zeigst mir den Vogel und ich lass ihn frei“, hatte er einem Radiosender einmal sein Konzept erklärt. So tummelten sich auch noch eine ganze Schar verrückter Typen auf der kleinen Inselgruppe. Und es konnte gut passieren, dass die Große Rutsche nach einem fehlgeschlagenen Experiment für ein paar Tage in einem rosa Nebel lag, der nach Zuckerwatte roch, oder mitten in der Nacht eine Horde Waldfeen mit geklauten Lichterketten im Haar ein Konzert auf einem fliegenden Teppich gab.

Es war also eh schon immer ziemlich wild auf der Großen Rutsche. Doch jetzt begann auch noch das Festival. In der kleinen Strandvilla von Jessy und Lola fand gerade eine Pancake Party statt.

*

„So viele Leute sind hier“, staunt Noel.

Wir stehen in der Küche und schauen uns verwundert um. Auch ich kann es kaum glauben, wie viele bunte Gestalten bei Opa und Oma ausgelassen feiern.

„Es kann halt jeder kommen, der mag.“ Jessy muss laut rufen, damit wir ihn hören können, denn auf der Veranda rocken gerade die Moonflowers. Ansonsten ist er aber, wie immer, völlig entspannt. Fast sieht es so aus, als würde er eine Zirkusnummer vorführen, wie er zu der Musik tanzt, mit den vielen Pfannen gleichzeitig hantiert und die Pfannkuchen mit gekonnten Schwüngen durch die Luft fliegen lässt.

„Wow, jeder tanzt, lacht und isst Pancakes.“ Noel Augen funkelten.

„Ich will auch“, rufe ich.

Wir nehmen beide einen vollen Teller und tauchen in die Menge ein.

*

Als wir auf die Veranda kommen, winkt uns Täsh zu. Sie sitzt zusammen mit Mama in dem großen Strandkorb.

„Ihr ist also nichts passiert“, meine ich.

„Ja, sie scheint gut zu sein“, findet Noel auch.

Wir rennen zu den beiden. Mama macht Täsh gerade eine Tätowierung. Es ist ein Gekko mit Blumenfüßen.

Mamas Tätowierungen sind magisch. In der Traumwelt können sie zum Leben erwachen und dir helfen und dich beschützen. Ich will auch unbedingt eine Tätowierung von ihr haben. Wenn ich größer bin, bekomm ich eine. Das hat Mama versprochen.

Wir setzen uns zu den beiden. Unsere Pfannkuchen sind schon lange weg, aber zum Glück haben Mama und Täsh auch einen großen Teller vor dem Strandkorb auf dem Tisch stehen. Wir bedienen uns und schauen zu, wie der Gekko sich langsam mit Farbe füllt. Ich mag das Summen der Maschine und wie Mama mit jedem Nadelstich die kleine Eidechse ein bisschen mehr auf Täshs Haut zaubert.

Als sie fertig ist, schaltet Mama die Maschine aus.

„Wie habt ihr geschlafen?“, fragt sie.

„Gut“, antworte ich, „aber stellt euch vor, wir sind alle in großer Gefahr. Ich war bei Ameli und Adrian. Der Kanzler hält die beiden im Schloss gefangen und am Ende gab es sogar einen Überfall.”

„Was?” Damit haben die beiden nicht gerechnet.

Ich erzähle nochmal von vorne bis zum Ende, was ich in der Nacht erlebt habe.

„Puhh“, meint Kamilla. „Das klingt nicht gut. Und wir haben auch noch viele andere schlechte Neuigkeiten gehört.“

„Ja, letzte Nacht hat Ameli jeden ihrer Boten ausgesendet, um Hilfe zu holen“, beginnt Täsh. „Aber der Kanzler hat davon wohl irgendwie mitbekommen. Auf jeden Fall waren überall seine Schergen unterwegs. Viele gute Freunde wurden festgenommen oder konnten nur knapp entkommen.“

„Dann waren es auch Männer vom Kanzler, die uns angegriffen haben“, meint Noel und fragt nach einer kurzen Pause: „Was ist eigentlich mit Léni und Abdullah?“

Täsh lächelt. „Es geht ihnen gut. Stellt euch vor, der gemeine Krake in seiner düsteren Pfütze sieht von der Nähe eigentlich ganz nett aus. Ich glaube, er ist nur ein wenig einsam da unten. Außerdem tanzt er wirklich gerne.“ Sie grinst bei den Gedanken daran. „Wir hatten aber auch noch nach diesem finsteren Treppenhaus einige Schwierigkeiten, wieder zum Leuchtturm zu kommen. Und auf dem Rückweg zur Großen Rutsche wurde die Buddhafly angegriffen und schwer beschädigt. Da hatte ich wirklich großes Glück, dass Rio mich in letzter Sekunde gerettet hat.“

„Wer ist denn Rio?“, will ich wissen.

„Das ist ein alter Freund von mir. Er hat mir schon so oft geholfen, manchmal glaube ich, dass er eigentlich mein Schutzengel ist.“ Täsh lacht. „Ich kenne ihn schon wirklich lange. Er hat ein Wasserflugzeug, die Ara. Wegen einer Wette haben wir einmal versucht, damit in sieben Tagen um die Welt zu reisen.“ Täsh muss bei der Erinnerung an dieses verrückte Abenteuer den Kopf schütteln. „Aber das ist eine ganz andere Geschichte. Also, Abdullah und Léni sind noch in Shai lu Rá“, fährt sie fort. „Sie wollen die Schwanenkönigin finden, um das Konzil einzuberufen.“

„Und wir? Was machen wir jetzt?“, frage ich.

Kamilla lächelt und greift nach einem weiteren Pancake. Doch der Teller ist leer.

„Wir hatten ja noch gar nicht gefrühstückt“, meint Noel und lächelt unschuldig.

Kamilla lacht. „Alles gut. Ihr holt einen weiteren Teller mit Pfannkuchen und dann erzähl ich euch unseren Plan.“

*

In der Küche stand nun Sid, der Schlagzeuger der Turtles, hinter dem Herd. Anders als Jessy, schien Sid aber kaum mit dem Ansturm fertig zu werden.

„Ich mach euch einen Teller. Kommt gleich wieder“, rief er Malou und Noel zu.

*

Die beiden gingen die Wendeltreppe hinauf auf das Dach. Als sie durch die Tür ins freie traten, war es, als hätten sie durch ein Portal eine andere Welt betreten.

Denn hier auf dem Dach begann Lolas Garten. Und dieser war viel, viel größer als er eigentlich sein konnte und dabei voller Wunder. Das Blumenfeld, welches das Haus auf drei Seiten umgab, schien vom Dach schier endlos. Wie ein Meer aus Farben, das bis zum Horizont reichte.

Schon häufig hatten Malou und Noel Spaziergänge in Lolas Garten gemacht, die am Ende den ganzen Tag dauerten und sie zu Orten führten, die sie zuvor noch nie gesehen hatten und danach auch nicht noch einmal sahen.

Versteckt in einem Palmenhain, von dem nur Lola wusste, wie man zu ihm gelang, lebte eine Gruppe zutraulicher Schattenaffen, die manchmal sogar auf die Veranda kamen.

Nachts zogen Schwärme von Mondbienen und leuchtende Schmetterlinge durch die großen Blätter der Farne und unter den unzähligen Singvögeln, die hier lebten, gab es sogar einen Kanarienvogel vom Fliegenden Palast.

Viele Male hatten Malou und Noel ihre Großeltern gefragt, wie das alles möglich sein konnte. Aber Jessy und Lola schauten sie immer nur mit großen Augen an und sagten: Das muss Magie sein, oder?

Jetzt liefen Malou und Noel das schräge Dach zum Wasser herunter. Hier zwischen zwei Palmen hing eine große Hängematte mit Meerblick. Du konntest die Musik von der Veranda zwar noch leise hören, doch die Luft war voll von Vogelgezwitscher. In der Hängematte saßen Bobi Tranquilla und Sergej. Sie tranken Saftcocktails und aßen Pancakes mit Kokos-Vanillesauce.

Bobi Tranquilla, war der vielleicht bekannteste Surfer im ganzen Königreich. Niemand hatte so viele Preise gewonnen wie er, obwohl ihm das völlig egal war. „Ich surfe für mich, mit allen, die mit mir surfen wollen. Und nicht gegen all die tausend anderen Surfer da draußen“, hatte er einmal in einem Interview gesagt.

Er war in der Großen Rutsche aufgewachsen. Und auch wenn er jetzt sehr berühmt war, lebte er hier noch immer in einer kleinen Bambushütte am Strand. In einem ehemaligen Wellenbad, welches zur Zeit des Vergnügungsparks eine große Attraktion gewesen war, hatte er seine Surfschule.

Sergej war ein russischer Aktionskünstler und seit einer Woche in der Großen Rutsche. Wie viele andere Künstler war er für das Flying Elephant Festival gekommen. Seit Tagen dekorierte er nun die Große Rutsche mit wunderschönen Kunstwerken aus Karton und Farbe.

Als die beiden Noel und Malou sahen, winkten sie ihnen fröhlich

zu.

„Gut, dass ihr gerade kommt“, rief Sergej. „Ihr müsst mir mal einen Gefallen tun.“

Er sprang aus der Hängematte und stellte sich in den Sand. Er atmete tief ein, streckte die Arme von sich und machte eine lustige Bewegung. „Was ist das?“

„Ein tanzender Dinosaurier“, rief Noel.

„Ha, siehst du“, meinte Sergej triumphierend zu Bobi. „Sie haben es sofort erkannt.“ Er ließ sich in den Sand fallen und streckte die Arme von sich. „Bobi hat mir gerade erzählt, dass sie am Ende des Festivals immer einen Elefanten fliegen lassen.“

„Ja, immer wenn John spielt“, meinte Noel.

„Wir können mit unser Liebe also einen Elefanten fliegen lassen“, meinte Sergej. „Wisst ihr, was das bedeutet?“

„Was denn?“

„Dass alles möglich ist.“

Dann saßen sie noch eine Weile zusammen am Strand, lachten viel und sprachen über die letzte Nacht. Auch Bobi hatte einen merkwürdigen Traum gehabt.

„Den erzähl ich euch gleich. Wir trinken noch eben unsere Cocktails aus, dann kommen wir auch zu den anderen auf die Veranda. Da besprechen wir alles“, meinte er schließlich.

*

Auf dem Weg zurück zur Küche treffen wir Oma , die gerade aus dem Blumenfeld kommt.

„Ich habe ein paar Kräuter gesammelt“, meint Lola, nachdem wir uns begrüßt haben. Dabei zeigt sie hinter sich. Für einen Augenblick kann ich einen Weg sehen, der sich durch das Blumenfeld schlängelt und zu einen Berg in den Wolken führt. Dann kommt ein Windstoß, und als würde ein Maler die noch frischen Farben wieder verwischen, verschwindet der Weg und der Berg zwischen den bunten Blumen.

Lola nimmt meine Hand und wir gehen alle zusammen zurück ins Haus.

Nun ist Jessy wieder in der Küche. Er freut sich, als er uns sieht. „Kommt, wir gehen zu den anderen. Valentin und John sind jetzt auch da.“ Er nimmt ein Tablet mit Pfannkuchen und wir gehen alle auf die Veranda.

*