Malus Magische Reise und Geronimos Geheimer Wunsch - Thomas vom Hofe-Schneider - E-Book

Malus Magische Reise und Geronimos Geheimer Wunsch E-Book

Thomas vom Hofe-Schneider

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Beschreibung

Malu, ein besonders ängstlicher Stern, reist mit einem speziellen Auftrag zur Erde. Sie muss dem turnbegeisterten Außenseiter Geronimo helfen, gegen den Widerstand seines statusorientierten Vaters Artist zu werden. Auch ein rätselhaftes Wesen aus dem Weltall will Malus Mission und Geronimos Wunsch um jeden Preis vereiteln. Nur wenn die beiden beginnen, einander zu vertrauen, können sie die Widerstände überwinden und ihre Ziele erreichen.

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Seitenzahl: 188

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhaltsverzeichnis

1. Kapitel „Ich weiß nur, dass das Licht für jede Aufgabe den richtigen Stern wählt ...“

2. Kapitel „Dann begriff er es, schloss die Augen und kostete den Moment ganz aus.“

3. Kapitel „Es geht darum, genug Mut aufzubringen und trotz der Furcht auf die Reise zu gehen.“

4. Kapitel „Vielleicht gibt es da oben einen Stern, der nur für mich strahlt. Ein Stern, der mir den Weg leuchten kann.“

5. Kapitel „Wo bin ich?“, flüsterte Malu und schaute sich um.

6. Kapitel „Manchmal wünschte er sich, Mathe wäre so wie Turnen.“

7. Kapitel Und was, wenn es hunderte Städte mit unendlichen vielen Menschen gab?

8. Kapitel „Bitte nur diese Nacht. Morgen suche ich mir ein anderes Zuhause.“

9. Kapitel „Hast du noch nie einen Besen benutzt?“

10. Kapitel „Wenn wir kein Haus finden, können wir dann eines bauen?“

11. Kapitel „Er entzifferte den Buchstaben M. Den anderen Buchstaben hatte die Zeit ausradiert.“

12. Kapitel „Kein schlechter Platz, um sich ein wenig auszuruhen.“

13. Kapitel „Lass dir nie von jemanden vorschreiben, was möglich ist oder was du schaffen kannst.“

14. Kapitel „Hast du denn keinen richtigen Namen?“

„Ich kann mich nicht mehr an ihn erinnern. Es ist schon einige Jahrhunderte her, dass mich jemand damit angesprochen hat.“

15. Kapitel „Du berührst mein Herz mit deinem Licht.“

16. Kapitel: „Ich bin mir sicher, dass du viel mehr kannst, als du gerade glaubst.“

17. Kapitel „Wir finden einen Weg. Glaub mir.“

18. Kapitel „Was zum Geier wollten Ben und die Kröte hier?“

19. Kapitel „Ich verstehe nicht, was das hier zu suchen hat.“

20. Kapitel „Sie wussten es von Anfang an.“

21. Kapitel „Viele Schattenwächter werden kommen und viele Sterne. Der Krieg um die Freiheit der Menschen wird von Neuem beginnen.“

22. Kapitel „Was er dir auch einflüstert: Gib deinen Traum nicht auf.“

23. Kapitel „Es gibt einen Grund, warum das Licht gerade dich hierher geschickt hat.“

24. Kapitel „Als Jugendlicher hatte ich selbst einen großen Traum.“

25. Kapitel „Talent ist wichtig, aber wenn ihr herausragende Artisten und Akrobatinnen werden wollt, braucht ihr die Entschlossenheit, stetig dafür zu trainieren.“

26. Kapitel „Du hast die Wahl, Malu.“

Danksagung

Ich danke Annika Bühnemann, Jil Aimée Bayer, Marieke Kühne und Michaela Diesch für das Coaching während der Entstehung des Buches.

Ich danke Nancy Schmidt-Bartlick für die vielen wertvollen Hinweise zur Artistik und Akrobatik. Danke auch an Jacqueline Wiehl für die gute Zusammenarbeit beim Entwurf des Covers. Und ich danke Anke Höhl-Kayser für die guten Tipps im Rahmen des Lektorats.

1.Kapitel

„Ich weiß nur, dass das Licht für jede Aufgabe den richtigen Stern wählt ...“

Malu spürte, wie eisige Kälte durch die kuscheligen Kristalle ihrer Wolke aus kosmischem Staub drang – eine Kälte, die Energie aus ihrem Körper saugte. Die Kristalle vibrierten, als ob ein galaktischer Sturm über sie hinwegfegen würde. Instinktiv presste sie ihren Körper tiefer in die Schlafkuhle.

„Bald wirst du dein Strahlen verlieren und zu Sternenstaub zerfallen, kleiner Stern“, flüsterte eine heisere Stimme.

Malu wälzte sich auf die andere Seite der Wolke.

„Bald werdet ihr alle nur noch Sternenstaub sein.“ Das Wesen kicherte so böse, dass Malu innerlich erschauerte.

Tiefe Angst überfiel sie. Sie zitterte, öffnete die Augen und richtete sich ruckartig auf. Im Augenwinkel glaubte, sie einen schwarzen Schatten in Richtung des Weltraumplateaus rasen zu sehen. Er verschwand in der unendlichen Weite des Universums und mit ihm die Kälte.

„War das ein Traum?“, flüsterte sie in die Stille.

„Ich fürchte nicht“, antwortete eine tiefe Stimme direkt hinter ihr.

Sie zuckte zusammen und drehte sich um. Es war Urion. „Was fällt dir ein, mich so zu erschrecken? Das macht man nicht!“

Urions kugelförmiger Energiekörper färbte sich dunkel. Etwas, das Malu noch nie bei ihm gesehen hatte. „Was ist los?“

„Ich kenne diese Kälte. Hat das Wesen etwas gesagt?“ Er klang besorgt.

„Das Ding hat gedroht, dass ich und alle anderen Sterne sich bald in Sternenstaub auflösen werden.“

„Mh. Wie klang die Stimme?“

„Heiser und schrill.“

„Ein Schattenwächter.“

Malus Licht begann stärker zu pulsieren. „E-ein Schattenwächter? Hier in Strahlkraft?“

Urion nickte.

„Wie kann das sein? Wir müssen sofort das immerwährende Licht alarmieren!“

„Es weiß schon längst Bescheid. Es ist doch zu jeder Zeit überall. Komm, lass uns ein Stück schweben.“

Sie spürte Widerwillen, als sie von der Wolke auf den hellen Lichtstrahl hinunterglitt, der zum Weltraumplateau führte. Sie hasste es, sich von ihrem angestammten Platz am Himmel zu entfernen. Die riesige graue, aus Meteoritengestein geformte Plattform war von ihrer Wolke gut zu sehen, aber lag so weit entfernt, dass sie sich noch nie dorthin getraut hatte.

Urion steuerte direkt darauf zu.

„Willst du wirklich dahin schweben? In die Richtung ist der Schattenwächter geflohen.“

„Er ist längst weg. Und was soll er auch alleine gegen all die Sterne hier ausrichten?“

Malu nickte und schwebte an seine Seite. Sie musterte Urion heimlich. Er war mindestens fünf Mal so alt wie sie und bestimmt doppelt so groß. Außerdem hatte er sich als Stern bereits bewährt, denn das immerwährende Licht der Weisheit hatte ihn schon auf eine Reise geschickt.

Sie erreichten das Weltraumplateau.

„Ist dein erstes Mal hier, nicht wahr?“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Du flimmerst. Ist es Neugier oder Furcht?“

„Natürlich Neugier“, antwortete Malu schnell. Sie wollte nicht zugeben, dass sie sich bisher nie getraut hatte, sich so weit von ihrer Wolke zu entfernen.

Urion schwebte an den Rand des Plateaus und stoppte. „Setz dich neben mich. Ich will dir eine Geschichte erzählen, damit du verstehst, warum wir Sterne unsere Aufgaben erfüllen müssen.“

Vorsichtig folgte sie ihm und ließ sich dicht neben ihm nieder. Vor ihnen breitete sich die unendliche Weite des Weltraums mit ihren unzähligen Himmelskörpern aus. Sie leuchteten vor dem schwarz-blauen Horizont in den unterschiedlichsten Farben: von Orange über Türkis und Lila bis Grün, und manche hatten sogar mehrere Farben.

„Also. Wie konnte der Schattenwächter bis hierher vordringen?“

„Über die Galaxienspirale.“ Urion deutete mit einem Lichtstrahl auf eine Anhäufung heller Lichter nicht weit entfernt. „Sie bringt uns in die entlegensten Winkel des Universums und von dort auch wieder zurück. Bisher hat es noch kein Schattenwächter gewagt, nach Strahlkraft zu kommen. Sie wissen, dass hier das Licht herrscht und die mutigsten Sterne wohnen. Dass er gekommen ist, ist kein gutes Zeichen.“

„Was bedeutet es denn?“

„Lass mich dir die Geschichte vom Licht und der Finsternis erzählen. Vor langer Zeit herrschten das Licht und die Finsternis gleichberechtigt über das Universum. Doch dann erwachte Machtgier in der Finsternis. Sie erschuf die Schattenwächter und schickte sie zu allen Planeten aus, um den Bewohnern der Welten Angst zu machen und ihrem Willen zu unterwerfen. Auf diese Weise kann die Finsternis über sie herrschen. Du hast ja gerade selbst erfahren, wie furchterregend die Begegnung mit so einem Schattenwächter sein kann. Doch das Licht durchschaute den Plan und erschuf Helfer, die das genaue Gegenteil der Schattenwächter sind. Es hauchte den Sternen in Strahlkraft Leben ein und schickte sie ebenfalls zu den Planeten. Die Sterne machen den Bewohnern Mut und helfen ihnen, ihre Träume zu verwirklichen.“

Malu bemerkte, dass sich Urions Energiekörper aufhellte, während er die Geschichte erzählte. Sie war ebenso furchterregende wie hoffnungsvoll.

„Und dadurch schützen wir die Lebewesen vor der Angst, die die Schattenwächter ihnen einflüstern, und erhalten ihnen ihre Freiheit.“

Malu nickte.

Urion wurde ernst. „Das Eindringen des Schattenwächters in Strahlkraft kann nur eines bedeuten: Die Finsternis ist stärker geworden und fordert das Licht zum finalen Kampf heraus. Aber das Licht wird mehr Sterne zu Planeten schicken, um den Bewohnern zu helfen.“

Der Gedanke, dass das immerwährende Licht der Weisheit vielleicht auch sie bald losschicken könnte, ließ Malus Licht flackern. Sie wollte weder die kuscheligen Kristalle ihrer Wolke verlassen noch zu irgendeinem unbekannten Planeten aufbrechen und wer weiß was für eine Aufgabe erfüllen. Vor allem nicht, wenn sie dort mit einem Schattenwächter kämpfen sollte. Die Begegnung eben hatte ihr gereicht. „Müssen denn wirklich alle Sterne, die in Strahlkraft wohnen, eine Aufgabe auf einem fremden Planeten erfüllen?“

„Nur uns hat das Licht Leben eingehaucht, damit wir die Bewohner der vielen Planeten unterstützen können. Jeder Stern in Strahlkraft muss wenigstens einen Auftrag ausführen.“

Malu betete, dass das immerwährende Licht der Weisheit sie noch lange verschonen würde.

„Als ich ein junger unerfahrener Stern war, konnte ich es kaum erwarten, auf Reisen zu gehen“, berichtete Urion. „Endlich wegkommen von meinem angestammten Platz am Himmel und das Universum entdecken, meine Aufgabe erfüllen und ein vollwertiger Stern werden.“

„Klingt spannend.“ Malu überlegte fieberhaft, ob es nicht irgendeine Möglichkeit gab, die Reise aufzuschieben. „Stimmt es wirklich, dass ein Stern sein Strahlen verliert, und sich in Sternenstaub auflöst, wenn er seine Aufgabe nicht vollendet?“ Sie schaute Urion erwartungsvoll an.

Er räusperte sich „Das kommt nur sehr selten vor.“ Seine Stimme klang dumpf und nachdenklich.

„Also stimmt es?“

„Mach dir darüber mal keinen Kopf.“ Er berührte sie behutsam mit einem Energiestrahl.

„Was ist, wenn ich die Aufgabe überhaupt nicht mag?“

Urion leuchtete sanft. „Sobald das Licht dich getroffen hat, wirst du dir keine Gedanken mehr darüber machen, ob du deinen Auftrag magst oder nicht. Du wirst wissen, dass du es tun musst.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Ich weiß, du musst es erleben. Komm, ich bring dich zurück zu deiner Wolke.“

Sie machten sich auf den Rückweg.

Urion konnte ja denken, was er wollte. Aber ob sie ihre Aufgaben schaffen würde, wusste er nicht. Malu wollte auf keinen Fall als Sternenstaub enden! Vielleicht gab es ja eine Möglichkeit, dem immerwährenden Licht der Weisheit zu entkommen. „Wie findet das Licht eigentlich den richtigen Stern für eine Aufgabe?“

„Ich weiß nur, dass das Licht für jede Aufgabe den passenden Stern wählt, dass es gleichzeitig überall und nirgendwo und immer am richtigen Ort zur richtigen Zeit ist. Aber wie es das alles macht, das weiß ich nicht.“

Wie konnte man denn überall und nirgendwo gleichzeitig sein und dann immer am richtigen Ort? Sie musterte Urion aus dem Augenwinkel. Er war uralt, wahrscheinlich der älteste Nachbarstern, den man haben konnte. Sein Funkeln schimmerte manchmal schon matt und milchig. Vielleicht beeinträchtigte das Alter auch seinen Verstand.

Sie passierten die Wolken einiger Nachbarsterne, grüßten sie freundlich und erreichten schließlich Malus Wolke.

„Bis zum nächsten Mal.“ Urion winkte ihr zum Abschied. Dann drehte er sich um und glitt über den Weg zu seinem angestammten Platz am Himmel.

Malu kuschelte sich in die flauschig weichen Staubkristalle der Wolke und versuchte eine gemütliche Kuhle hinein zu drücken, aber es gelang ihr nicht. Sie wälzte sich von der einen zur anderen Seite. Ihre Gedanken rasten wie ein Asteroidenschwarm umher. Gab es nicht irgendeine Möglichkeit, sich vor dem Licht zu verstecken? Es konnte nicht immer überall gleichzeitig sein. So ein Blödsinn! Sie schaute zu ihren Nachbarsternen.

Hell und stolz strahlten sie in das tiefe Schwarz des Universums. Ihr Funkeln konnte man wohl bis in die entferntesten Ecken des Weltraums sehen.

„Moment mal“, flüsterte sie. „Was wäre, wenn ich im Meer der Sterne untergehe? Ich könnte doch etwas unauffälliger leuchten als der Rest. Vielleicht sieht mich das immerwährende Licht der Weisheit dann nicht.“

Das war eine brillante Idee! Sie konzentrierte sich auf ihr Licht und dimmte es ein wenig. Komisch fühlte sich das an, als ob sie bewusst einen Teil ihrer Kraft abgegeben hätte. Aber wenn das Licht sie so übersah und sie um die Aufgabe herumkam, war es das wert. Malu gähnte und seufzte zufrieden. Die Kristalle fühlten sich auf einmal wieder kuschelig weich an. Sie ließ ihren Körper in sie hinein sinken und wie von selbst entstand eine Kuhle. Dann döste sie ein.

„Brrrrrrrr.“ Plötzlich begann ihre Wolke zu beben. Malu schoss schlagartig hoch und versuchte herauszufinden, was los war. Die Kristalle fingen an zu klirren, als ob die Wolke jeden Augenblick auseinander bersten würden. Panisch schaute sie sich um. Sie wurde heftig durchgeschüttelt. Alles bebte, dröhnte und donnerte, als befände sie sich mitten in einem Sonnensturm. Sie sah ein grelles Blitzen in der Ferne aufflackern und ein Licht auf sich zu rasen. Es zog einen langen Schweif aus Feuer und Funken hinter sich her. Es kam näher und näher. Gleich würde es sie treffen.

2. Kapitel

„Dann begriff er es, schloss die Augen und kostete den Moment ganz aus.“

„Patz.“ Etwas traf Geronimo am Hinterkopf. Er drehte sich um. Ben setzte sein schäbigstes Lächeln auf. Er hatte die Kapuze des schwarzen Pullis über die blonden Haare gezogen und schaute ihn finster aus dunkelbraunen Augen an. Zwischen Daumen und Zeigefinger hatte er einen Gummi gespannt, mit dem er sorgsam gefaltete Papiermunition auf Geronimo abschoss. Der Typ hatte keine Skrupel. Nicht mal, dass Geronimo neben Frau Ledermüller saß, hielt ihn ab. Ben gab Lukas High-Five.

Ist klar, dass sich die fette Kröte mit ihm freut, dachte Geronimo. Er schaute nach vorn und beschloss, die beiden zu ignorieren. Spätestens nach Treffer Nummer fünf wird ihnen langweilig und sie suchen sich ein anderes Opfer, hoffte er.

Der weiße Samtteppich in der Manege schimmerte im Scheinwerferlicht. Das Aroma verschiedener Parfumnoten mischte sich mit dem Duft von Zuckerwatte und Popcorn. Endlich war er im Zirkus. Sein Vater hatte ihm ausdrücklich verboten, hinzugehen. Das hätte auch für den Wandertag gegolten. Deshalb hatte Geronimo ihm den Informationszettel für die Eltern gar nicht erst gezeigt.

„Plopp.“ Diesmal hatten sie seinen Nacken erwischt. Gelächter ertönte hinter ihm. „Einfach nichts anmerken lassen“, flüsterte er sich selbst zu. Trommelwirbel dröhnte in seinen Ohren und gipfelte in einem donnernden Paukenschlag. Ein Mann trat vor den roten Samtvorhang ins Scheinwerferlicht. Die schwarze Samthose glänzte im Lichtkegel. Darüber trug er ein weißes Hemd mit grüner Fliege und eine rote Weste. An den Seiten des Zylinders quollen kräftige schwarze Locken hervor, die über die Ohren reichten und fast seine Augenbrauen berührten.

Dieser Auftritt flößte Geronimo Respekt ein und gleichzeitig strahlte der Mann Freundlichkeit und Milde aus.

„Herzlich willkommen im Zirkus Salmone“, dröhnte die kräftige tiefe Stimme aus den Lautsprechern.

Geronimo presste die Handflächen unter die Oberschenkel. Endlich ging es los!

„Mein Name ist Mario Salmone. Ich bin der Direktor des Zirkus Salmone und entführe euch, liebe Kinder, und Sie, meine verehrten Damen und Herren, in eine Welt voll anmutiger Akrobatik und atemberaubender Artistik.“ Er zog den Zylinder vom Kopf und verbeugte sich.

Beifall brandete auf. Geronimo klatschte begeistert mit.

„Wir beginnen mit dem Auftritt unserer bezaubernden und betörenden Cecile.“

Der Direktor verneigte sich und verschwand hinter dem Vorhang. Dezente Flötenmusik säuselte von der Orchestertribüne hinüber. Das Licht wechselte von Weiß zu Blau und Grün. Der Vorhang öffnete sich. Geronimo beobachtete, wie zwei vollkommen in Schwarz gekleidete Frauen einen runden, mannshohen, aus Zweigen geflochtenen Korb in die Mitte der Manege rollten. Sie richteten ihn auf und eilten zurück hinter den Vorhang. Das Licht der Scheinwerfer schwenkte auf den Korb. Eine einzelne Flöte begann, eine eindringliche, fast schon hypnotisierende Melodie zu spielen. Geronimo schloss die Augen und lauschte. Als ihm schummrig wurde, öffnete er sie wieder. Geschmeidig hob sich der Deckel vom Korb. Cecil schwang sich mit einer eleganten Bewegung auf den Rand. Ihr hautenges, schwarz-gelbes Kostüm erinnerte ihn an die Mangroven-Nachtbaumnatter, die er in einem Buch über Schlangen gesehen hatte. Graziös schlängelte sie sich am Rand des Korbs entlang, bis sie ihn einmal vollständig umrundet hatte. Dann richtete sie sich mit einer fließenden Bewegung auf. Drei Rückwärtssalti aus dem Stand folgten. Sie verharrte im Handstand.

Geronimo hielt den Atem an. Gebannt starrte er auf ihre Hände und ihren Körper. Cecile bewegte sich keinen Millimeter. Nun begann sie mit den Händen auf dem Korbrand entlang zu laufen, kam wieder auf die Füße und schlug zwei Räder hintereinander. Sie stand einen Moment lang reglos. Kein Laut war in der Manege zu hören. Dann holte sie Schwung und machte einen Rückwärtssalto.

Geronimo konnte es nicht fassen, dass jemand seinen Körper so beherrschte. Wie war es möglich, auf dem schmalen Rand des Korbs solche Kunststücke zu vollbringen?

Er schloss langsam den Mund und schlug die Handflächen erst zögerlich, dann voller Begeisterung aneinander. Applaus donnerte von den Rängen in die Manege.

„Bravo!“ und „Unglaublich!“, johlten die Zuschauer.

„Mega gut!“, rief Geronimo Cecile zu.

Sie verbeugte sich in alle Richtungen, verschwand grazil im Korb und verschloss ihn wieder. Die beiden Frauen in Schwarz legten ihn auf die Seite und rollten ihn hinter den Vorhang zurück.

Mario Salmone betrat erneut die Manege. „Unser nächster Künstler ist niemand Geringeres als der weltberühmte Messerwerfer Marko Mansini. Seht, zu welcher Treffsicherheit und Virtuosität es ein Mensch durch jahrzehntelange Übung bringen kann.“

Die Trommler hämmerten auf ihre Instrumente ein. Ein Paukenschlag ließ das Zelt erzittern. Mario Salmone riss den Vorhang zur Seite und ein Koloss von einem Mann betrat die Manege.

Mansinis Kopf war kahlgeschoren. Das Licht spiegelte sich auf seiner Glatze. Er trug eine dunkelrote Hose, ein schwarzes Hemd und weiße Hosenträger.

Die Zuschauer und Zuschauerinnen begannen zu jubeln und zu johlen.

Geronimo starrte auf die Pranken des Mannes. Kraft hatte Mansini ohne Zweifel, aber würde er auch treffen können? Das musste der Messerwerfer erst beweisen.

Nun schoben Mansinis Assistenten eine große schwarze Holzwand, an der Luftballons befestigt waren, herein. Die Luftballons drehten sich wild im Kreis. Außerdem wurde ein Tisch, auf dem Messer mit feuerroten Griffen und silberglänzenden Klingen lagen, in die Manege gerollt. Mansini legte sich mit äußerster Ruhe und Sorgfalt zwölf Messer auf dem Tisch zurecht. Danach fixierte er die zwölf Luftballons, legte den Zeigefinger auf den Mund und schaute eindringlich zu den Rängen. Es wurde still. Die Härchen auf Geronimos Armen richteten sich auf. Er krallte sich mit den Händen an der Bank fest. Die Luft flimmerte förmlich vor Spannung.Mansini griff blitzschnell nach dem ersten Messer. Feuerte es ab. Treffer. Nahm pfeilschnell das zweite Messer. Warf es. Treffer. Nacheinander schleuderte er die restlichen zehn Messer. Die roten Griffe und die silbernen Klingen verschmolzen miteinander, so schnell warf er. Sie sahen beinahe aus wie feurige Pfeile und ließen keinen Ballon am Leben.

„Alle getroffen“, staunte Geronimo. Mansini war eine lebende Maschine – kein Zweifel.

„Wahnsinn“ brüllte der Zuschauer neben ihm.

Beifall brach aus. Geronimos Begeisterung entlud sich in wildem Klatschen, bis seine Hände brannten. Unter ihm bebte die Sitzbank vom Getrampel der Menge.

Mansini hob die Arme, verneigte sich nach allen Seiten und lief lässig zurück hinter den Vorhang, vor den nun wieder Mario Salmone trat.

„Nun, mein hochverehrtes Publikum, nähern wir uns dem Höhepunkt des Abends“, verkündete er. „Astan der Unglaubliche wird Ihnen ein Kunststück präsentieren, das Sie nicht einmal in Ihren kühnsten Träumen für möglich halten würden. Er wird mit Hilfe eines Sprungtuchs nicht fünf, sechs, sieben, acht oder neun, sondern zehn Vorwärtssalti hintereinander in der Luft vollführen.“

Geronimo ließ die Worte auf sich wirken, schaute zur Decke des Zelts und überlegte, wie hoch dieser Astan wohl springen musste, um das zu schaffen.

„Plop.“ Es zwickte an seinem Ohr. Mist. Sie hatten immer noch nicht aufgegeben. „Einfach nicht darauf einlassen“, sagte Geronimo leise und richtete seinen Blick auf den Direktor.

Der trat zur Seite und der Vorhang öffnete sich. Ein junger Mann in einem goldglänzenden, langärmligen Shirt und schwarzer Stoffhose rannte in die Manege. Das Oberteil spannte über den muskulösen Armen und Schultern. Sein Haar war kurzgeschoren und seine Wangenknochen stachen so markant hervor, dass Geronimo sie sogar von hier oben sehen konnte. Astan wurde von fünfzehn Helferinnen und Helfern begleitet, die ein riesiges Sprungtuch entfalteten und spannten. Er stieg gelassen auf das Tuch und fing an zu springen und Schwung zu holen.

Geronimos Handflächen wurden feucht. Er wischte sie an der Hose ab, aber es half nichts. Als er schluckte, fühlte sich sein Hals an, als sei ein Stück Apfel darin stecken geblieben.

Mit jedem Sprung katapultierte sich Astan höher in die Luft. Seine Assistenten zogen und federten mit dem Tuch, was ihm zusätzlichen Schwung verlieh. Höher und höher stieg er empor.

Geronimo traute sich nicht zu atmen. Stille breitete sich auf den Plätzen aus. Nicht einmal das Knistern einer Popcorntüte war zu hören – nur das Geräusch des sich spannenden Sprungtuchs, wenn Astan es mit seinen Füßen berührte. Wieder ging er in die Knie, sprang empor und erreichte fast die Zeltdecke. Zaghafter Trommelwirbel setzte ein, und Geronimo bekam Gänsehaut auf den Armen. Astan sauste mit rasendem Tempo auf das Sprungtuch herab, holte Schwung, schoss nach oben, drehte sich nach vorn und wirbelte wie eine schwarz-goldene Kugel durch die Luft. Geronimo platzte fast vor Aufregung, bohrte die Fingernägel unwillkürlich in die Handflächen und ballte die Fäuste so heftig, dass seine Arme bebten.

„Sieben, acht, neun, zehn!“, zählte Mario Salmone mit.

Astan hatte es geschafft! Geronimo sprang auf, trampelte mit den Füßen und klatschte wie besessen. „Wahnsinn!“, schrie er, so laut er konnte, und „Unglaublich!“. Seine Stimme ging im frenetischen Klatschen der Masse unter. Eine Welle aus Glück schwemmte Geronimos Rücken und die Arme hinunter. Er lachte laut, konnte nicht aufhören zu klatschen, und rief immer wieder „Bravo!“. Dann stockte er und plumpste zurück in seinen Sitz. Er fühlte eine tiefe Sehnsucht in seinem Herz. „Das will ich auch können“, sagte er leise. „Genau das will ich auch machen: die Menschen mit meinen Kunststücken begeistern.“ Es wurde still in ihm. Ein unbekanntes Gefühl breitete sich in ihm aus. Er fand kein Wort dafür. Dann begriff er es, schloss die Augen und kostete den Moment ganz aus: Hier gehörte er hin, hier fühlte er sich zuhause.

Klatsch! Er spürte ein Brennen im Nacken.

„Na, biste eingepennt?“, hörte er Bens Stimme hinter sich. „Immer schön auf der Hut sein, Gero.“

3. Kapitel

„Es geht darum, genug Mut aufzubringen und trotz der Furcht auf die Reise zu gehen.“

Das Licht sauste direkt auf Malu zu. Kleine Energiestöße durchfuhren sie, so sehr fürchtete sie sich. Dann traf das Licht sie. Wärme, Stille, Leichtigkeit und Klarheit durchströmten sie. Eine sanfte und gleichzeitig kraftvolle Stimme sprach zu ihr: „Reise zur Erde! Hilf einem Jungen, seinen Lebenstraum zu verwirklichen.“

Das Licht schenkte ihr Wissen über die Erde und über die Menschen und ihre Lebensweise und auch über die Tiere und Pflanzen und was sie zum Leben brauchten. Es schenkte ihr die Gabe, sich mit ihrem inneren Licht zu verbinden, und das Wissen, wie sie sich vor den Schattenwächtern schützen konnte. Es verlieh Malu auch die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben. „Das Wichtigste aber“, raunte die Stimme, „ist die Kunst, Licht und Finsternis in den Menschen zu erkennen. Damit du findest, wen du suchst. Und vergiss nicht: Du trägst einen Teil meines Lichtes in dir und bist nie allein.“

Dann zog es weiter. Die Wärme und die Stille in Malu wichen überwältigender Müdigkeit. Immer tiefer sank sie in die Kristalle der Wolke und schlief schließlich ein.