Manipulation - Alexander Fischer - E-Book

Manipulation E-Book

Alexander Fischer

0,0
19,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In seinem glasklar geschriebenen Buch widmet sich Alexander Fischer einem faszinierenden Phänomen, das in seiner alltäglichen Bedeutung kaum zu überschätzen ist: der Manipulation. Diese wird von ihm zunächst begrifflich gefasst, dann handlungstheoretisch eingebettet und schließlich in ihren konkreten psychologischen Erscheinungsformen untersucht. Fischer schließt mit dem Entwurf einer Ethik der Manipulation, die das Phänomen durch eine kritische Betrachtung der paradigmatischen Trias von Rationalität, Freiheit und Würde neu zu sehen lehrt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 421

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



3Alexander Fischer

Manipulation

Zur Theorie und Ethik einer Form der Beeinflussung

Suhrkamp

6Inhalt

Vorwort

1. Das Phänomen der Manipulation: Definitionsversuch

Vorbemerkungen: Manipulation theoretisch

Grundsätzliches zur Definitionsfindung

Zur Genese des Begriffs

Manipulation als spezifische Form der Beeinflussung – erster Definitionsteil

Ist die Manipulation notwendigerweise undurchsichtig und täuschend?

Dient die Manipulation notwendigerweise negativen Zwecken?

Unterläuft die Manipulation notwendigerweise die Rationalität der Betroffenen?

Das Pleasurable-Ends-Modell der Manipulation – zweiter Definitionsteil

Warum Menschen handeln – und was sie zur Handlung bringt

Die Stärken des Pleasurable-Ends-Modells

2. Die philosophisch-anthropologischen und psychologischen Hintergründe der Manipulation

Vorbemerkungen: Manipulation praktisch

Kurz zur Einbindung der Psychologie

Das Wesen Mensch: animal rationale – et affectivum

Ideengeschichtlicher Problemaufriss: Die Entwicklung der Rationalität als menschliche differentia specifica

Von der Philosophie zur Psychologie: Empirische Dimensionen der Rationalität und Irrationalität

Zwischenfazit – Rationalität und Irrationalität im Verbund und die Konsequenzen für unser Freiheitsverständnis

Die Routen der manipulativen Beeinflussung

Manipulative Mechanismen und Psychologie

Grundsätzliche Bedingungen

Sozialpsychologische Mechanismen

Manipulative Mechanismen und politische Psychologie

Symbole als Mittel der Manipulation

3. Grundlegung zu einer Ethik der Manipulation

Vorbemerkungen: Manipulation ethisch

Probleme der klassischen ethischen Ansätze und einer situationsethischen Vorgehensweise

Deontologische Ansätze

Tugendethische Ansätze

Konsequentialistische Ansätze

Situationsethische Ansätze

Machtbalancierende Beziehungsgefüge

Beziehungen

Machtbalancen

Prinzipienethik und Minimalmoral als Pfeiler einer Ethik der Manipulation

Prinzipienethik als Vermittlung von Theorie und Praxis

Minimalmoral als universale ethische Grundlage

Das Kernprinzip der Minimalmoral

Respekt

Eine nähere Betrachtung des Respekts

Eine nähere Betrachtung der zu respektierenden Bedürfnisse

Abschließende Anmerkungen zum Respekt als Fundamentalprinzip

Zwischenfazit – Ethische Standards und ein Fragenkatalog

4. Fallbeurteilungen: Die Manipulation und ausgewählte Anwendungen

Rückkehr zu Othello und 1984 als Protoanalysen illegitimer Manipulationen

»Mehr Eifersucht, als Vernunft kurieren kann«: Die Manipulation Othellos durch Jago in Shakespeares Othello

»Menschliche Tonspuren«: Der Manipulationsstaat in Orwells 1984

Viel Lärm um nichts und zwei Policies Friedrichs des Großen und Parmentiers als Protoanalysen legitimer Manipulation

»In Noten diskutieren«: Die Manipulation Beatrice’ und Benedikts in Shakespeares Viel Lärm um nichts

»Man bestahl ihn; dieß freute ihn außerordentlich«: Die manipulative Durchsetzung zweier Ernährungspolicies durch Friedrich den Großen und Parmentier

Schluss

Literaturverzeichnis

Danksagung

9Affenhorde ©2012 von Michael Stöhr 〈www.stoehrkunst.de〉

11The conscious and intelligent manipulation of the organized habits and opinions of the masses is an important element in democratic society. Those who manipulate this unseen mechanism of society constitute an invisible government which is the true ruling power of our country. […] We are governed, our minds are molded, our tastes formed, our ideas suggested, largely by men we have never heard of. This is a logical result of the way in which our democratic society is organized. Vast numbers of human beings must cooperate in this manner if they are to live together as a smoothly functioning society. […] In almost every act of our daily lives, whether in the sphere of politics or business, in our social conduct or our ethical thinking, we are dominated by the relatively small number of persons […] who understand the mental processes and social patterns of the masses. It is they who pull the wires which control the public mind.

Edward L. Bernays, Propaganda

If some great power would agree to make me always think what is true and do what is right, on condition of being some sort of a clock and wound up every morning before I got out of bed, I should close up instantly with the offer.

Thomas Henry Huxley, Materialism and Idealism

13Vorwort

Wir beeinflussen einander stetig und in vielfältiger Weise. Hierbei gibt es einerseits ethisch eher unproblematische Formen der Beeinflussung – etwa wenn wir jemanden in rational argumentierender Art von etwas überzeugen wollen –, andererseits aber auch solche, die wir sofort als problematisch identifizieren: Gewalt, Erpressung, Nötigung oder Drohung, allgemeiner gesagt: Formen, die uns gewaltsam zu etwas bringen, uns letztlich zu etwas zwingen. Als problematisch gelten diese Formen in der Regel, weil sie uns in unserer Freiheit einschränken und auf eine Weise behandeln, die wir für grundsätzlich falsch halten und die oft nicht nur unseren Körper, sondern auch unsere Würde verletzen. Historisch lag der Fokus ethischer Untersuchungen auf diesen Formen der Beeinflussung. Doch wie steht es um Beeinflussungsweisen, die sich weder primär der Rationalität bedienen[1] noch auch Zwang oder Gewalt ausüben? 14Es gibt Formen der Beeinflussung, die sich weitgehend unbewusste Mechanismen zunutze machen und mittels unserer Affekte[2] zu wirken vermögen. Eine dieser Formen ist die Manipulation.

Manipulation finden wir in vielen Bereichen – in der Werbung, der Politik und in Partnerschaften oder sonstigen Beziehungen. Die Assoziationen, die dabei alltäglich mit dem Begriff einhergehen, lassen so manchen erschaudern. Verschiedene unethische Behandlungsweisen und ein defizitäres Menschenbild scheinen damit verbunden. Dieses defizitäre Bild des Menschen ist ganz ähnlich dem des Psychologen B. F. Skinner, einem der Väter des Behaviorismus, der in den frühen 1970er Jahren mit seinen Vorschlägen der Manipulation, so fürchteten seine Widersacher, Tür und Tor öffnete. Skinner wagte es, in seinem Buch Beyond Freedom and Dignity die These vorzubringen, dass nur mit der Verabschiedung der Konzepte von Freiheit[3] und Würde all die übergroß erscheinenden und 15vom Menschen verursachten Probleme in der Welt gelöst werden könnten.[4] Seine Erkenntnisse sollten dafür weiterentwickelt und es sollte eine neue »Verhaltenstechnologie« kreiert werden. Zur endgültigen Lösung unserer Probleme müsse man über Freiheit und Würde hinausgehen, da unsere kulturellen Konzepte von Freiheit und Würde nicht viel mit einem »wissenschaftlichen« Verständnis des Menschen zu tun hätten. Nach dem geforderten Schritt ließen sich dann andere Mittel für dessen Lenkung in Erwägung ziehen, da es das rational geleitete, freiheitlich agierende und aus diesen Fähigkeiten heraus so würdevolle Wesen Mensch eben gar nicht gäbe. Wir hätten uns – polemisch gesprochen – bloß in ein Traumbild unserer selbst verguckt[5] und seien letztlich doch vielmehr eine von der Macht der Affekte und Automatismen eingenommene Horde Affen (zudem noch im Angesicht einer dunklen Wolke des Unbewussten, auch wenn dieses für Skinner eigentlich keine Rolle spielt). Gut, wir seien zwar etwas elaborierter als unsere noch haarigeren Kollegen, aber darauf dürfe der Mensch sich nicht viel einbilden – was er aber dennoch seit jeher tut. Ernest Gellner stellt Jahrzehnte später fest, dass der Traum von der dominanten Rationalität als menschlicher Wesenheit in unserer sogenannten westlichen Kultur lang und mit einiger Sorgfalt gepflegt wurde. Die Philosophie, selbst »im wesentlichen Theorie der Rationalität«,[6] habe von Be16ginn an am rationalen, freien und würdevollen Menschen gebaut, die Aufklärung diese Existenz zementiert und den Schlussstein von Freiheit und Würde, den die Autonomie ermöglichende Rationalität darstellt, als regelrechten »life-style« etabliert, an den eigentlich alle unserer heutigen Strukturen (politisch, wissenschaftlich, privat – und natürlich nicht zuletzt ökonomisch) angepasst seien.[7] Nach Skinner ist genau dieser life-style die Wurzel der gefährlichen modernen Situation, aus der nur ein Weg führt: Die Ersetzung der Konzeption rationaler Akteure durch das »wissenschaftliche« Verständnis des Menschen als biologisch und psychologisch aufschlüsselbarem Organismus voller Irrationalitäten (das heißt nicht zwingend den Gesetzen der Rationalität folgend, auch wenn dies unter Umständen auch wiederum rational sein kann), also Affekten und Automatismen, der verlässlich auf Beeinflussungen reagiert und so effizient zu seinem eigenen Besten manipuliert werden kann.[8] Dies sei eine logische Konsequenz der Feststellung, dass Individuen eben schlicht nie die Architekten ihrer eigenen Schicksale seien.[9]

Skinner wirft hier wichtige Aspekte auf, die für die Diskussion im Folgenden interessant sind. Allerdings ist sein anthropologisch-psychologischer Gegenentwurf selbst hochproblematisch und kann letztlich die Komplexität des Wesens Mensch (wie auf der Gegenseite auch gängige Rational-Choice-Modelle) lediglich ungenügend erfassen und daher nur bedingt Licht ins Dunkel des Ablaufs unseres Handelns bringen. Die Betrachtung umfassenderer Modelle wird für ein angemesseneres Verständnis des Menschen im weiteren Verlauf dieses Buches unbedingt nötig sein, doch für den Moment können uns die von ihm aufgeworfenen Fragen als Ausgangspunkt dienen. Schließlich votiert Skinner vor dem Hintergrund seiner modifizierten Vorstellung des Menschen dafür, diesen weder rational überzeugend (das sei zu ineffizient) noch gewalttätig (das wiederrum sei zu brutal) dazu zu bringen, so zu handeln, wie 17es die Gesellschaft braucht und es für sein eigenes Wohl gut ist. Manipulation wäre hierfür ein probates Mittel[10] – aber auch ein wünschenswertes?

Das bleibt zunächst zumindest unklar; mancher mag sich unverzüglich an George Orwells Dystopie 1984 und Vorwürfe von möglicherweise täuschender Absicht, fatalen Konsequenzen und respektloser, paternalistischer Bevormundung erinnert fühlen. Schließlich rechtfertigt auch Orwells Figur O’Brien die Politik seiner Partei, die beständigen Manipulationen, Zwänge und Drohungen, gegenüber dem Protagonisten Winston so:

Er wußte im voraus, was O’Brien sagen würde. Daß die Partei nicht selbstsüchtig nach der Macht strebte, sondern nur zum Wohle der Mehrheit. Daß sie nach der Macht griff, weil die Menschen in der Masse schwache, feige Kreaturen waren, die weder Freiheit ertragen noch der Wahrheit ins Gesicht blicken konnten und deswegen von anderen, die stärker waren als sie, beherrscht und systematisch betrogen werden mußten. Daß die Menschheit die Wahl zwischen Freiheit und Glück hatte und daß, für die Masse der Menschheit, Glück besser sei. Daß die Partei die ewige Beschützerin der Schwachen war […].[11]

In 1984 zeichnet Orwell also genau das von Skinners Gegnern gefürchtete Horrorszenario. Menschen sind hier zerbrechliche, ängstliche, schwache und damit allzeit manipulierbare Kreaturen, die jede Würde verloren haben und keine echten Freiheiten mehr besitzen können oder, schlimmer noch, aufgrund der im Laufe der Zeit verkümmerten rationalen Handlungsleitung und mangels funktionierender Selbstwahrnehmung überhaupt nicht mehr zur Freiheit fähig sind. Die Probleme, die Skinners Opponenten hatten, sind von zweifacher Art: Sie hielten die Aufgabe so wesentlicher Werte wie der Freiheit und Würde für gefährlich, denn dies würde (1) dazu führen, dass sich ethisch problematische Methoden wie die Manipulation problemlos etablieren könnten und (2) die Menschen dann eben nicht mehr wie rationale, freie und würdevolle Wesen behandelt würden.[12] Solcherlei Vorwürfe beschreiben den 18Kern eines Unbehagens gegenüber Beeinflussungsmethoden wie der Manipulation, die sich abseits der lichten Rationalität bewege, Freiheit einschränke und Würde unterminiere. Doch es bleibt unklar, ob diese Vorwürfe tatsächlich haltbar sind.

Dies wird nicht nur zur Frage, wenn wir uns die Vagheit des Begriffes »Manipulation« vergegenwärtigen, sondern auch, wenn wir die im Hintergrund befindlichen Prämissen der Vorwürfe betrachten. Was durch Skinners Forschungen markiert wird und im Phänomen der Manipulation kulminiert, ist kein Kampf zweier Kulturen, sondern zweier Menschenbilder, auf denen auch wesentliche gestalterische Impulse für unsere Zivilisation fußen: Wir finden den rationalen, freien Menschen, dessen Würde hierin wurzelt, auf der einen und das manipulierbare Wesen, irrational, unfrei und geradezu tierisch, auf der anderen Seite. Zunächst stemmten sich die Verteidiger der Rationalität wirkungsvoll gegen die Forderung, den Menschen und die Gesellschaft psychologisch zu lenken. Skinner selbst legte keine starken moralischen Argumente zur Verfolgung seiner Vision vor (wahrscheinlich hielt er sie eben für rein wissenschaftlich), sondern schrieb den Roman Walden Two, der, vielleicht selbst manipulativ, seine Leserschaft zu Befürwortern seiner schönen neuen Welt machen sollte.[13] Der Kampf zwischen Verteidigern von Rationalität, Freiheit und Würde und denjenigen, die sie aufgeben oder zumindest neu konzipieren wollen, war damit aber nicht beendet – und so bleibt auch die Diskussion um die Manipulation weiter am Leben.

In jüngerer Vergangenheit finden sich (im weitesten Sinne) Nachfolger Skinners, die zumindest Teilen seiner Ideen weiter anhängen. So erweitert beispielsweise die relativ neue Disziplin der Verhaltensökonomie tatsächlich, wie von Skinner selbst gefordert, seine Erkenntnisse und entwickelt Ansätze, die unter anderem gesellschaftliche Probleme lösen sollen, indem man sich die Beeinflussbarkeit des Menschen, seine Irrationalitäten und seine Sensibilität für manche Stimuli zunutze macht. Berühmt geworden sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse Daniel Kahnemans und Amos Tverskys, die mit ihrem Konzept kognitiver Verzerrungen und der Unterscheidung zweier Systeme, also (1) dem schnellen, 19instinktiven und emotionalen und (2) dem langsamen, logischen und rationalen System, immensen Einfluss auf Disziplinen wie unter anderem die Psychologie, Ökonomie und Politologie hatten.[14] Während die Rationalität hier meist noch eine große Rolle spielt, arbeitet der Sozialpsychologe Jonathan Haidt gar an der Verabschiedung der Rationalität als dominanter menschlicher Eigenschaft und beschreibt sie als bloße Wahnvorstellung (die zum 20Beispiel nicht Kern unserer Moral und auch nicht unserer Würde sein kann). Auch heißt es bei ihm, dass die Verehrung unserer Rationalität selbst die Illustration dieser langlebigsten Wahnvorstellungen in der westlichen Geschichte sei.[15] Dazu sieht uns Dan Ariely in seinem ersten Bestseller als so regelmäßig und systematisch irrational handelnd, dass sogar das Ziel der Psychologie erhalten bleibt, Vorhersagen treffen zu können.[16] Cass Sunstein und Richard Thaler schlagen dann in ihrem Buch Nudge vor, mittels »Entscheidungsarchitekturen« die von Kahneman, Tversky, Haidt, Ariely und Co. ermittelten kognitiven Schwächen von Zielpersonen auszunutzen, um sicherzustellen, dass diese die gewünschte Entscheidung (wiederum zu ihrem Besten) treffen – womit sie, so könnte man zugespitzt behaupten, einer »Verhaltenstechnologie« im Skinner’schen Sinne zuarbeiten.[17] Obwohl es vielerlei Einwändegegen Skinners Thesen gab, ist sein Einfluss also ungebrochen; er gilt als einer der wichtigsten Psychologen aller Zeiten. Auch heute werden Erkenntnisse darüber, wie Menschen lenkbar sind, (durchaus modern) mit traumhaften Verkaufszahlen, Auftritten vor großem Publikum und politischen Positionen belohnt: Haidt ist Bestsellerautor, Thaler trat im Hollywoodfilm The Big Short auf, um die von der Finanzwelt ausgenutzten menschlichen Schwächen vor der Finanzkrise 2007 zu erklären, Sunstein wurde Berater des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama im Weißen Haus, und die Regierung in Großbritannien gründete eine »nudge unit«, wie auch andere Regierungen (inklusive der deutschen unter Kanzlerin Angela Merkel) Verhaltensforscher und Psychologen in ihren Beraterstab aufnahmen,[18] die die Anatomie der Gesellschaft und 21psychologische Erkenntnisse für das Durchsetzen von Policies berücksichtigen.[19] Was zu Skinners Zeiten noch zu einem größeren Aufschrei führte, ist mittlerweile mitunter salonfähig und hat Einfluss auf höchsten politischen Ebenen – man denke nur an die Strategie des Lagers um den republikanischen Präsidentschaftskandidaten im US-Wahlkampf 2016, die mit ihrer affektiv und »postfaktisch«[20] ausgerichteten Art und Weise Donald J. Trump zumindest zum Teil zum Sieg verholfen haben mag.[21]

Die Betrachtung von Beeinflussungsformen wie der Manipulation erscheint also umso dringlicher, schließlich lässt sich ihre Beurteilung vielleicht so zusammenfassen: Früher wurde sie gefürchtet, heute gilt sie fast schon als normal. Doch sollten wir weiter fürchten oder mit den Schultern zucken? Geht es um die Beeinflussung des Menschen, stehen weiter vor allem Zwangsmechanismen im Fokus der ethischen Diskussion. Subtile Formen wie die der Manipulation werden dagegen viel weniger diskutiert.[22] Doch gerade die schiere Präsenz, die sich ständig erweiternde Forschungsliteratur, die zur Expansion des Wissens über effiziente Beeinflussungsmöglichkeiten führt, sowie die neuen Formen der Kommunikation zum Beispiel mittels sozialer Netzwerke und Massenmedien sollten uns zur genaueren Betrachtung von Beeinflussungsmechanismen anregen. Denn obwohl die Manipulation präsent ist, bleibt sie 22begrifflich und ethisch unklar. Begrifflich muss sie von rationaler Überzeugung, Zwang und Gewalt abgegrenzt werden. Zudem bleibt für ein umfassenderes Verständnis handlungstheoretisch und psychologisch zu klären, was ihr Mechanismus ist. Dies ist die erste große Frage des vorliegenden Buches:

(1) Was ist Manipulation, und wie genau funktioniert sie?

Im Anschluss an die Klärung des Phänomens bleibt dann die Frage nach ihrem moralischen Status:

(2) Ist etwas an der Manipulation, das sie prinzipiell unethisch macht, oder kann sie auch legitim sein – und wenn ja, in welcher Form?

Damit sind die Hauptfragen dieses Buches ausgewiesen, die in den folgenden Kapiteln angegangen werden:

In Kapitel 1 wird es zunächst darum gehen, das nebulöse Konzept der Manipulation zu definieren. Hierfür soll in gebotener Kürze auf die Philosophien von Aristoteles und Thomas von Aquin zurückgegriffen werden, um ein Modell der Manipulation zu entwickeln, das in einen handlungstheoretischen Kontext eingebettet werden kann. Manipulation, so wird vorgeschlagen werden, ist als gezielte Einflussnahme mittels unserer Affekte zu verstehen, bei der aktiv die Anziehungskraft von bestimmten Zwecken oder ein Handlungskontext so modifiziert werden, dass Zwecke in einem affektiven Sinne angenehmer oder unangenehmer erscheinen, womit wiederum die Wahrscheinlichkeit ihrer Wahl und einer entsprechenden Handlung erhöht oder gesenkt wird. Der Manipulation gelingt es, obwohl sie nicht primär unser rationales Wesen anspricht, jemanden bei seiner Wahl so zu beeinflussen, dass diese dennoch als freie Wahl erscheint.

In Kapitel 2 werden dann auf der Grundlage dieses Modells philosophisch-anthropologische und psychologische Betrachtungen unserer Wesenheit von Rationalität und Affektleitung hinzugezogen, mittels derer die theoretische Vorstellung von Manipulation konkreter ausbuchstabiert und an empirische Erkenntnisse rückgebunden werden kann. Dafür wird zunächst Gellners oben genannte These plausibel gemacht, indem die Entwicklung des Konnex von Rationalität und damit verbundener Freiheit und Würde nach23vollzogen wird. Sodann ermöglichen uns praktische Ergebnisse der jüngeren Psychologie ein modifiziertes Verständnis des Menschen, das eine Form von begrenzter Rationalität in den Mittelpunkt stellt und auch der Komplexität der Kommunikationssituation Rechnung tragen will. Von diesem Verständnis aus können beispielsweise mit Robert B. Cialdini die psychologischen Ansatzpunkte der Manipulation illustriert werden. In diesem Zusammenhang wird auch die bereits von Skinner gestellte Frage nach der Reichweite unserer Freiheit neu aufgeworfen. Wenngleich sie nicht erschöpfend beantwortet werden kann, lässt sich doch verstehen, wie die im vorgestellten Manipulationsmodell integrierte Freiheit der Wahl bestehen bleibt und eine als rational und autonom wahrgenommene Begründung, als eine Art Fiktion verstanden werden kann. Entscheidungsprozesse in Bezug auf Handlungen sind viel weniger rational, als es klassische populäre Entscheidungstheorien wie zum Beispiel Rational-Choice-Ansätze beschreiben; sie sind vielmehr individuell-narrativ (und zum Teil schlicht unbewusst). Demgemäß sortieren wir unsere Entscheidungen konsistent und kohärent in ein Verständnis unseres Lebens und unsere Affektpalette ein – ein Narrativ gewissermaßen, in dem wir selbst zugleich Erzähler und Protagonist sind und in ständiger Sortier- und Einordnungsbewegung Rationalität, Affekte und damit verbundene Erfahrungen, Gewohnheiten sowie situative und kontextuelle Umstände in ihrem Wechselspiel einzupassen und zu synchronisieren versuchen (was natürlich auch Auswirkungen auf die Kommunikationssituation hat – sowohl auf Kommunikator- als auch auf Rezipientenseite –, in der Manipulation stattfindet). So lässt sich eine Dissonanz, also ein unangenehmer affektiver Spannungszustand, verhindern und überhaupt das gute Gefühl von Kontrolle und richtiger Ordnung herstellen. Welche Konsequenzen ergeben sich aber für die Ethik, wenn die Autonomie in unserem Freiheitskonzept nur eine Fiktion im Narrativ unseres eigenen Lebens darstellt? Der Konnex von Rationalität, Freiheit und Würde wird so zumindest diskutabel. Was das für eine Ethik der Manipulation genauer bedeutet, wird in der zweiten Hälfte des Buches untersucht.

In Kapitel 3 ist eine ethische Grundlegung anvisiert, die im Sinne einer Respektsethik an den moralischen Prinzipien klassischer ethischer Theorien partizipiert, aber zugleich aufzeigt, warum diese Theorien die Beantwortung der Frage nach dem moralischen 24Status der Manipulation nur schwerlich zu leisten vermögen. Die Bedenken dieser Theorien ernst nehmend, soll ein modifizierter ethischer Blick auf die Manipulation geworfen werden, der den dortigen Problemstellungen so gut wie möglich aus dem Weg geht. Wer ein Recht auf rational geleitete Freiheitlichkeit als Grundvoraussetzung für unsere Würde erachtet, für den kommen Manipulationen nicht infrage. Doch in Anlehnung an G. E. M. Anscombe lässt sich sagen, dass es keine angemessene Ethik geben kann, wenn sie nicht auf der Grundlage eines angemessenen Verständnisses des Menschen entwickelt wird.[23] In Bezug auf die Manipulation und ihre Ethik heißt das, dass anthropologische und psychologische Erkenntnisse einzubeziehen sind. Mit den gewonnenen Einsichten soll die Frage nach dem moralischen Status der Manipulation neu gestellt werden. Hierfür wird die Manipulation mit Norbert Elias als Machtmittel identifiziert, das gemäß seinem Wesen als sozialer Mechanismus in Beziehungen eingesetzt wird, die uns mittels dort bestehender Bedürfnisse und Erwartungen bereits erste Hinweise auf legitime und illegitime Manipulationen geben. Anhand einer Minimalmoral wird mit dem Prinzip Respekt eine Grundlage für die Beurteilung der Manipulation entworfen, die in einen für die Bewertung einzelner Manipulationsfälle geeigneten Fragenkatalog mündet.

In Kapitel 4 werden darauf folgend das etablierte Modell von Manipulation, die psychologischen Klassifikationen der konkreten Mittel und der ethische Fragenkatalog zur Anwendung gebracht. Um in die Vielfalt der Möglichkeit manipulativer Beeinflussungen eine Schneise zu schlagen, sollen klare Beispiele herangezogen werden. Hier gebe ich Beispielen aus der Literatur (und zwei realhistorisch angebundenen Legenden) den Vorzug, die ich als Experimentallabor und Schaubühne des menschlichen Handelns und wirklichen Lebens verstehe. So lässt sich der Unordnung tagesaktueller Beispiele (und der dazu oft nicht verifizierbaren Berichterstattung) aus dem Weg gehen und doch das Verständnis der Manipulation im Rahmen der zwischenmenschlichen Praxis erhöhen. William Shakespeares Othello und George Orwells 1984 bieten dabei Beispiele illegitimer Manipulationen, während Shakespeares Viel Lärm um nichts und die Umsetzungen zweier sich ähnelnder 25Ernährungspolicies Friedrichs des Großen und Antoine Augustin Parmentiers als Beispiele legitimer Manipulationen herausgestellt werden sollen.

Am Ende des Textes soll also ein Verständnis der Manipulation als einer gezielten Beeinflussungsform stehen, die uns mittels unserer Affekte zu dennoch freiheitlichen Handlungen bringen kann, indem die Anziehungskraft von bestimmten Zwecken oder ein Handlungskontext so modifiziert werden, dass Zwecke angenehmer bzw. unangenehmer erscheinen. Mit diesem Modell der Manipulation geht ein Verständnis des Menschen einher, das mit Hilfe philosophisch-anthropologischer Diskussionen und einiger empirischer Ergebnisse der Psychologie als begrenzt rational zu fassen ist. Dies hat Konsequenzen für die Ethik und damit auch für die Bewertung der Manipulation: Der Konnex von Rationalität, Freiheit und Würde erweist sich als fragwürdig, weshalb die Ethik nachjustiert werden muss. Ob die Manipulation legitim oder illegitim ist, kann nicht mehr mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet werden, die ethische Diagnose lautet vielmehr: Es kommt drauf an. Auf was es ankommt, ist die Beachtung des minimalmoralischen Kernprinzips, also des Respekts, sowie der Einbezug kontextueller Umstände, die sich aus der Gestalt der Manipulation als immer in zwischenmenschlichen Beziehungen stattfindender Akt besser verstehen lassen. Doch bevor es so weit ist, müssen wir zunächst begreifen, was Manipulation überhaupt ist und wie sie funktioniert.

261. Das Phänomen der Manipulation: Definitionsversuch

Well, maybe it is, and maybe it ain’t.

All I know, is, it suits Tom Sawyer.

Oh come, now, you don’t mean to let on that you LIKE it? The brush continued to move.

Like it? Well, I don’t see why I oughtn’t to like it. Does a boy get a chance to whitewash a fence everyday?

Mark Twain, Tom Sawyer

Vorbemerkungen: Manipulation theoretisch[1]

In der bisherigen Diskussion wurde der Fokus bei der Untersuchung von Methoden der Einflussnahme zumeist auf rationale Überzeugungsversuche oder Gewalt- bzw. Zwangsmechanismen gelegt. Viel weniger Aufmerksamkeit erfuhren dagegen subtilere und wegen ihrer Subtilität vielleicht besonders durchdringende und allgegenwärtige Typen von Einflussnahmen, die viel unmittelbarer in uns wirken können als ein rationales Argument – wie die Manipulation, die im Folgenden Gegenstand unserer Betrachtungen sein wird. Sprechen wir von Manipulation, scheint sofort klar, wovon die Rede ist: Es geht um ein undurchschaubares, gerissenes Erreichen egoistischer Zwecke[2] eines Manipulators zum Nachteil 27des Manipulierten.[3] So bestimmen auch Hellmuth Benesch und Walther Schmandt das Phänomen Manipulation im Rahmen einer in den 1970er Jahren im öffentlichen Fernsehen ausgestrahlten Sendereihe:

Manipulation ist zu Recht gefürchtet. Sie gilt als ein Mittel, andere Menschen in verheerender Weise zu etwas zu zwingen, was sie in dieser oder jener Form so eigentlich gar nicht wollen oder wünschen. Wir sind heute sehr viel empfindlicher solchen Zwängen gegenüber geworden. […] Es kommt [bei Manipulation] auf die verdeckte, verheimlichte, indirekte Zielsetzung an, die den Betroffenen hintergeht, die ihm etwas vormacht, um ihn um so sicherer in die Fänge zu bekommen. Somit prellt Manipulation meist den Betroffenen, zeitigt für ihn Nachteile […]. Mit Manipulation zwingt man jemanden zu einem bestimmten Verhalten, indem sie eine Situation schafft, durch die der Betroffene nicht anders kann, als genau wie vorgesehen zu handeln. […] [Sie ist eine] psychische Fesselung.[4]

Manipulation ist dieser Auffassung zufolge also etwas, das gefürchtet werden muss, Dinge verschleiert und Menschen heimlich zu Handlungen zwingt, sie »in die Fänge« bekommen, psychisch fesseln möchte, um sie gezielt nachteilig zu behandeln. In diesem Sinne wird der Begriff »Manipulation« meist in der Alltagssprache und 28zum Teil auch in wissenschaftlichen Diskursen verwendet.[5] Ein genaueres Nachdenken über Manipulation lässt dieses Verständnis jedoch (wie wir im weiteren Verlauf des Textes sehen werden) fraglich erscheinen, zumindest in Hinblick auf bestimmte, ethisch »färbende« Komponenten wie die nachteilige Behandlung des Manipulierten, die Undurchsichtigkeit der Manipulation und die rational unterminierende Art dieser Beeinflussungsform – denn eins wird umgehend deutlich: der Begriff ist normativ immens aufgeladen. Eine systematische Untersuchung begrifflicher Art aber, so beklagt Joel Rudinow schon 1978, ist trotz oder gerade wegen der Selbstverständlichkeit des unscharfen, aufgeladenen Wortgebrauchs weitestgehend ausgeblieben.[6]

Sehen wir uns zunächst noch ein paar Beispiele an. Politiker (oder vielmehr deren Mitarbeiter) entwickeln Strategien, mittels derer Handlungen der Bürger gezielt beeinflusst werden sollen. Wir kennen Wahlkämpfe, die weniger aktiv und rational über Inhalte als vielmehr passiv und affektiv über Außendarstellungen und Symbolnutzung von Kandidaten funktionieren, damit diese und ihre Agenda uns sympathisch und brauchbar erscheinen (Barack Obama, Donald J. Trump, Vladimir Putin, aber auch Angela Merkel sind hierfür gute Beispiele) – und wenn uns die Kandidaten nicht passen, erscheint uns dies als offensichtliche Manipulation. Genauso kennen wir Verkaufsstrategien, mit denen uns der Kauf bestimmter (nutzloser oder überteuerter) Produkte in den Einkaufszentren und Supermärkten nahegelegt wird, indem eine bestimmte Umgebung geschaffen wird, die mittels Wohlfühlatmosphäre unseren Kaufwillen unterstützt und uns so das Geld aus der Tasche zieht. Hier kann man von in größerem Stil organisierter und auf spezifische Kontexte (nicht bloß auf eine individuelle, interpersonale Interaktion) bezogener Manipulation sprechen. Noch alltäglicher ist die interpersonale Manipulation. Ein Blick in die Weltliteratur offenbart uns eine Fülle an Beispielen, deren berühm29testes vielleicht aus Shakespeares Othello stammt: Jago gilt gemeinhin als wahrer Meister der Manipulation, der für seine egoistischen Ziele die Gefühlsleben seiner Opfer wie Gärten bestellt:

Nicht in deiner Macht? Quark! Es liegt nur an uns selber, ob wir so sind oder so. Unser Körper ist unser Gemüsegarten, und unser Wille ist darin der Gärtner; und ob wir jetzt Steckrüben oder Sellerie anpflanzen, oder Sauerampfer und Taubnesseln züchten, ob wir’s mit einer Pflanze bewenden lassen oder uns viele Pflänzchen ranholen – ob wir ihn aus Faulheit brachliegen lassen oder mit Fleiß beackern – na, die Macht dazu und die gestaltende Kraft haben wir in unserm freien Willen.[…].[7]

Die gestaltende Kraft aber, die Macht, liegt bei Jago. Gekonnt spielt er mit Roderigos basalem Bedürfnis nach Liebe, aber auch dessen affektiven Anlagen zu Eifersucht und Unbeherrschtheit. Die Blindheit, die Willenlosigkeit, die Roderigo in seiner Liebe zu Desdemona erleidet, wird von Jago genutzt, indem er gezielt die Hoffnung auf Desdemonas Liebe schürt und Roderigo so uneingeschränkt loyal macht.

Insbesondere im Bereich der zwischenmenschlichen Zuneigung scheint es vielfältige Erscheinungsformen von Manipulation zu geben, die von einem Augenaufschlag über Komplimente und Insiderwitze bis zu handfester sexueller Verführung reichen.

Was genau nun aber ist Manipulation? Diese Frage stellt sich bei genauerem Hinsehen als schwieriger als erwartet heraus. Kurzum: Der Begriff »Manipulation« wird (historisch und bis heute) in einer solch vielfältigen Weise genutzt, dass die Grenzen des Konzepts verschwimmen (bzw. verschiedene Konzepte ineinanderfließen). In der Konsequenz verlieren sich wichtige Unterscheidungen, zum Beispiel zu den anderen Beeinflussungsformen wie Zwang, Täuschung, Nötigung etc., was nicht nur bei Benesch und Schmandt deutlich wird. Hinzu kommt, dass nicht nur undeutlich bleibt, welcher Mechanismus genau hinter Manipulation steckt, auch die ethische Färbung ist problematisch. Generell ist eine neutrale Art der Definition einer evaluativen vorzuziehen – allein schon um die Grundlage für eine vorurteilsfreie Betrachtung im Rahmen der Ethik und anderer Disziplinen möglich zu machen. Es scheint also (in unserem Fall) sinnvoll, als Erstes zu identifizieren, was Manipu30lation als Form der Einflussnahme mit einem hierfür spezifischen Wirkmechanismus überhaupt ausmacht, um im Anschluss daran ihren moralischen Status untersuchen zu können. Selbst wenn sich herausstellt, dass Manipulation ein moralisch aufgeladenes Konzept ist, sollte man methodisch zunächst so tun, als wenn dem nicht so wäre. Wenn wir nämlich die Manipulation deskriptiv betrachten, wird es uns möglich (anders als bei der Leitung durch Gemeinplätze und Intuitionen), objektive Faktoren in Situationen oder Handlungen zu identifizieren, die uns gute Gründe für ein moralisches Urteil zu liefern vermögen.[8]

Um also die Grundlagen für eine solche Analyse zu schaffen, soll, nach einer kurzen generellen Reflexion über das Definieren von Begriffen, eine etymologische Annäherung zunächst die Herausbildung der alltagssprachlichen Bedeutung beleuchten.[9] Es gilt sodann, im Sinne einer Überführung der alltagssprachlichen Verwendung in den wissenschaftlichen Diskurs, in der Auseinandersetzung mit bereits vorhandenen wissenschaftlichen Betrachtungen (die entweder einen zu weiten oder zu engen Begriff bilden) eine stipulative Definition des Begriffs »Manipulation« vorzulegen. So soll dem Ziel einer größeren Klarheit in der Verwendung des Begriffs, der gleichzeitig in interdisziplinärer Weise nutzbar sein kann, näher gekommen werden. Anders gesagt: Es geht darum, die Grundlage für ein kritisches Verständnis und die Bewertung von Manipulation zu schaffen, die fähig ist, verschiedene Disziplinen wie Ethik, Psychologie, Soziologie oder Politikwissenschaft einzubeziehen. Insbesondere soll dabei eine neue Interpretation des spezifischen Mechanismus der Manipulation vorgelegt werden, die, in der Handlungstheorie wurzelnd, einen Brückenschlag zu heutigen anthropologischen und psychologischen Erkenntnissen (Kapitel 2) ermöglicht und als Basis für die ethische Analyse des Phänomens (Kapitel 3) fungieren kann.

31Das Folgende soll sodann zeigen, dass

Manipulation als eine Form der Einflussnahme zu verstehen ist, die sich dadurch auszeichnet, dass der Manipulator jemanden eine Wahl treffen lässt, die dem Manipulierten trotz der zugrundeliegenden Manipulation dennoch als freie Wahl erscheint. Die Einflussnahme geschieht durch die aktive Veränderung der affektiven Anziehungskraft von bestimmten Zwecken oder die Modifikation eines Handlungskontextes, der so Zwecke in einem affektiven Sinne angenehmer/unangenehmer erscheinen lässt und damit die nahegelegte Wahl attraktiver/unattraktiver macht und ihre Wahrscheinlichkeit erhöht/verringert.

Manipulation wird hierfür als generelle Form der Beeinflussung bestimmt werden, die den Aspekt der Freiheitlichkeit integrieren kann. Im Anschluss daran werden Charakteristika, die durch die alltagssprachliche Verwendung und von anderen Autoren als notwendig ermittelt wurden, betrachtet und zum Teil verworfen: Manipulation muss weder als täuschende oder verschleierte noch als in ihrer Konsequenz negative Beeinflussungsform verstanden werden. Des Weiteren sollen Ansätze, die Manipulation als Einschränkung der freien und rationalen Handlungsleitung verstehen, zurückgewiesen werden. Um ein Missverständnis direkt auszuschließen: Die Einschränkung des freien und rationalen Handlungsvermögens, die Täuschung, die Verschleierung und die negativen Konsequenzen können Bestandteile manipulativer Handlungen sein, sind aber nicht hinreichend, um das Spezifische der Manipulation herauszustellen.[10] Diese Erklärungslücke soll mittels des Vorschlags eines spezifischen Mechanismus gefüllt werden. Auf Grundlage einer Handlungstheorie, die von Aristoteles erdacht und von Thomas von Aquin vertieft wurde, kann Manipulation als ein Mechanismus (von dreien) zur Induktion einer Handlung verstanden werden: 32Dieser Mechanismus funktioniert durch Erhöhung oder Verminderung der affektiv angebundenen Anziehungskraft eines Zwecks (und so auch einer Handlungsoption). Christian Illies und ich bezeichnen diese Bestimmung der Manipulation als Pleasurable-Ends-Modell.[11] Zum Ende des Kapitels soll abschließend deutlich werden, welche Stärken dieses Modell gegenüber den anderen existierenden Ansätzen aufweist, welche Anschlussmöglichkeiten sich für empirische Erkenntnisse der Psychologie eröffnen und inwiefern es eine brauchbare Grundlage für die anstehende ethische Analyse darstellen kann.

Bevor der Vorschlag für ein differenzierteres Verständnis von Manipulation ausgeführt werden soll, gilt es aber zunächst, in einer für diesen Rahmen gebotenen Kürze darüber nachzudenken, wie Definitionen generell und insbesondere in diesem Fall aufgestellt werden. Dies hat zum Ziel, zunächst methodisch den Definitionsvorgang nachvollziehbar zu machen, um anschließend auf der inhaltlichen Ebene nicht nur die Mehrdeutigkeit des Begriffs »Manipulation« zu vergegenwärtigen, sondern vor allem seine Vagheit so weit wie möglich aus dem Weg zu räumen.[12] Mir ist bewusst, dass ein Definitionsversuch eines solch schillernden Phänomens immer den Charakter eines Vorschlags hat.[13] Meines Erachtens gibt es jedoch keine andere Möglichkeit, rational mit der Welt und ihren Phänomenen umzugehen, als – im Rahmen offener und möglichst objektiver Betrachtung – einen Vorschlag für ein besseres Verständnis vorzulegen und als Diskussionsgrundlage zur Erweiterung unseres Verständnisses anzubieten.

33Grundsätzliches zur Definitionsfindung

Wie nun also definieren? Zunächst: Unter »Definieren« versteht man das Auseinanderlegen, das Erklären des Inhalts eines Begriffes. Ein »Begriff« ist sodann die Gesamtheit wesentlicher Merkmale einer gedanklichen Einheit, also ein geistiger, abstrakter Gehalt von etwas, der mit Hilfe analytischer Elemente bestimmt und gegebenfalls empirisch rückgebunden werden kann. Die Definition eines (wie in diesem Falle schon in der Alltagssprache vorhandenen) Begriffes lässt sich also zunächst wie das Entwirren eines Begriffsknäuels vorstellen, dem verschiedene Merkmale (oder, um im Bild zu bleiben, verschiedene Farben und Texturen) anhaften. So können die ihm zugesprochenen Einzelteile zunächst deutlich werden, um sie anschließend sortiert zu der Definition eines Begriffes zusammenzufügen.[14] Mit Raziel Abelson, dem zufolge Definitionen nicht zwingend mit dem faktischen Wortgebrauch zu tun haben müssen, sondern anzugeben haben, wie das jeweilige Wort (referentiell, syntaktisch und diskursiv) korrekt gebraucht wird, lassen sich die Bedingungen für diese erhellenden Definitionen beschreiben.[15] Mit Rudolf Carnaps Auffassung vom Definieren lässt sich Abelsons Vorhaben weiterführen. Ein »wenig exaktes, vor-wissenschaftliches Konzept« wird hierbei so präzisiert, dass die Verbindung zum Alltagsgebrauch nicht abreißt, aber ein so weit wie möglich geklärter und vor allem anschlussfähiger Begriff entsteht.[16] Mittels solcher Definitionsvorgänge kann einer bloß empirischen Linguistik entgegengetreten werden, die den Wortgebrauch als maßgeblich für eine Definition setzt, und ein exakterer Sprachgebrauch angestrebt werden.[17] Um diesem Ziel näher zu kommen und den Begriff damit theoretisch und interdisziplinär nutzbarer zu machen, gilt es im Folgenden, die wesentlichen pragmatischen Reglements des Defi34nierens zu beachten:[18] Ein Begriff sollte nicht nur die wesentlichen Merkmale umgrenzen, sondern auch aus seinem vortheoretischen Gebrauch heraus erklärbar sein. Gleichzeitig muss eine Verminderung der Vagheit stattfinden und eine diskursive Anschlussfähigkeit für eine weiterführende Diskussion gegeben sein.

Wenn wir nun den Begriff »Manipulation« definieren wollen, brauchen wir methodisch betrachtet einen Definitionsakt. Hierfür hält die Definitionslehre, wenngleich sie immer ein Stiefkind der Philosophie geblieben ist,[19] mehrere Optionen bereit.[20] In aller Kürze: Zunächst lässt sich mit Aristoteles zwischen den beiden großen Überbegriffen der Definitionslehre unterscheiden:[21] Definitionen sind entweder: a) Realdefinitionen, die eine Bestimmung des wirklichen Wesens einer zu erklärenden Sache versuchen – und oft mit einem Wahrheitsanspruch einhergehen. Im Rahmen von Realdefinitionen sind keine willkürlichen Festsetzungen eines Begriffs möglich, sie können sich als falsch erweisen und sind üblicherweise das, was wir in der Forschung finden und – ganz wie eine empirische Hypothese – auf ihre Richtigkeit überprüfen. Für den Begriff »Manipulation« kommt diese Form von Definition nicht infrage, schließlich haben wir es mit einem kategorialen Begriff zu tun, dessen Erscheinungsformen eine gewisse Flexibilität aufweisen – es bleibt also unklar, wie sich ein realdefinitorischer Begriff von »Manipulation«, der Behauptungen über die Beschaffenheit des Phänomens anstellt, sich an der Realität bewähren soll. Eine (quasi metaphysische) Wesenheit ist nicht zwingend auszumachen. Haben wir es nicht mit Realdefinitionen zu tun, handelt es sich in der Regel um b) Nominaldefinitionen, denen eine Bestimmung eines Begriffs, das heißt eine Begriffskonstruktion, eine Begriffszergliederung vorhergeht, um einen Begriff anschließend anhand anderer Begriffe schlicht festzusetzen beziehungsweise anzugeben, wie der fragli35che Begriff innerhalb einer Überlegung verwendet werden soll. Es handelt sich um einen eingeführten Begriff, der relativ willkürlich wählbar ist und durch die Festsetzung mit Komplexen von anderen Begriffen identifiziert wird. Er ist so per definitionem immer wahr. Nun zeigen sich die Übergänge von Nominal- und Realdefinitionen als fließend.[22] Indem Begriffe in neu gesetzter Weise Einzug in die Alltagssprache halten und vertrauter werden, entwickeln sie sich zu realdefinitorischen Begriffen. Beispielhaft lässt sich dies am Begriff »Fisch« erklären: Zunächst wurde hierunter ein ständig im Wasser lebendes Tier verstanden. Im Lauf der Zeit differenzierte sich der Begriff, zum Beispiel wurden Wale und Delfine hiervon ausgenommen. So wird unter »Fisch« in differenzierter Weise nun ein dauerhaft im Wasser lebendes Wirbeltier verstanden, das mittels Kiemen atmet. An »Fisch« mag sich die Konkurrenz und Unterschiedlichkeit wissenschaftlicher und alltagssprachlicher Verwendung zeigen – ein Sachverhalt, der auch für den Begriff »Manipulation« von Relevanz ist.

Zu einer Nominaldefinition gelangt man mittels eines stipulativen Definitionsaktes. Hierbei wird eine regulierende, regelgebende, vorschreibende Definition angestrebt, die allerdings den bisherigen Sprachgebrauch zur Grundlage hat. Damit ist unser Ziel formuliert. Es geht nicht um eine realdefinitorische Wesensbestimmung, die sich bis in metaphysische Höhen hochzuschrauben vermag, sondern vielmehr um die Analyse des historischen Gebrauchs eines Begriffes und eine davon ausgehende exaktere Festsetzung. Da mit »Manipulation« ein bestimmter Beeinflussungstyp bezeichnet werden soll, geht es konkret um einen Typenbegriff. Typenbegrif36fe sind vor allem in den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften relevant, in denen vielfach mit typenhaften Zuweisungen gearbeitet wird. Der Vorteil von Typenbegriffen liegt darin, dass sie sich gegen begriffliche Starrheit stemmen und so Intensitätsgrade von Eigenschaften bei den bezeichnenden Dingen zulassen und eine Einordnung und Abgrenzung von Phänomenen erlauben.[23] Zusammengefasst: Es soll eine Nominaldefinition mit Hilfe eines stipulativen Definitionsaktes vorgenommen werden, die schließlich zu einem handlichen Typenbegriff führt. Auch wenn die Vagheit eines Begriffes letztlich nicht ganz zu beseitigen ist, soll sie doch wenigstens verringert werden. Mittels einer stärkeren Systematisierung wird der Begriff so auch für unterschiedliche Disziplinen nutzbar gemacht.

Der Weg zu einer Definition von Manipulation führt nun zunächst kurz zum Ausgangspunkt der Genese des Begriffs[24] und der hieraus deutlich werdenden Uneindeutigkeit aktueller Lexika, Wörterbücher und des alltäglichen Sprachgebrauchs. Anschließend werden der begründete Ein- bzw. Ausschluss von bestimmten Merkmalen und ein erneutes Zusammensetzen des Begriffsknäuels in einem stipulativen Sinne vorgenommen.

Zur Genese des Begriffs

Was können wir für unser Vorhaben aus der Geschichte des Begriffs »Manipulation« lernen? Der Blick auf den historischen Werdegang ist nicht nur deswegen aufschlussreich, weil er das Unterfangen, den Manipulationsbegriff erneut zu untersuchen, rechtfertigen kann; er zeigt auch, wie der Begriff ursprünglich verstanden – und wie er nicht verstanden – wurde: dass er mit Akten von Verschleierung, Nachteilen für den Manipulierten, starrer Zweckgerichtetheit und Freiheitsberaubung assoziiert wurde. Gleichzeitig kann hieraus er37sichtlich werden, wie der Begriff heutzutage allgemein verwendet wird und warum er ethische Kontroversen auslöst.

In seinen Anfängen wurde der Begriff »Manipulation« weder negativ konnotiert noch im Kontext einer Handlungsbeeinflussung verwendet. Das lateinische »manipulus« bedeutete »eine Handvoll« und bezeichnete entweder eine taktische Einheit im römischen Heerwesen oder war schlicht ein Quantitätsmaß in Bereichen wie der Pharmazie. Im Mittelalter bedeutet das lateinische »manipulare« übersetzt »handhaben« und »an der Hand führen« – bemerkenswerterweise gemeint als Hilfeleistung für Schwache. In der Neuzeit, genauer im 18.Jahrhundert, wird der Manipulationsbegriff im französischen Sprachgebrauch technisiert und als Bezeichnung für die Vorgehensweise von Destillateuren, Chemikern, Pharmazeuten und – hieraus spricht ein Verständnis der Kunstfertigkeit des Manipulierens – »de quelques autres artistes«, zu deutsch: »von einigen weiteren Künstlern«, gebraucht.[25] Die deutsche Begriffsverwendung, die Manipulation zuerst als heilsame Veränderung im medizinischen Sinne versteht (durch Magnetismus), wurzelt wahrscheinlich hier.[26] Das Grimm’sche Wörterbuch in seiner traditionellen Fassung und auch in seiner Neubearbeitung lässt zwar einen Artikel zur Manipulation vermissen, andere etymologische Wörterbücher legen dies jedoch nahe.[27] Die technisch-praktische Bedeutung hielt sich für eine lange Zeit – bis zum Ende des 19.Jahrhunderts:[28] Manipulation hieß jede Handhabung, für die »eine besondere kunst38gerechte Geschicklichkeit erforderlich ist«.[29] Durch die Behavioristen wie Iwan P. Pawlow, John B. Watson oder B. F. Skinner wurde der Begriff dann Anfang des 20.Jahrhunderts als Bezeichnung für die Kontrolle und Steuerung von anscheinend maschinenähnlich funktionierenden Menschen und deren Verhalten psychologisiert und in die wissenschaftliche Terminologie integriert;[30] in die Psychoanalyse ging er ebenfalls ein. In diesem Zusammenhang zählt Harry Harlow einen Manipulationstrieb beispielsweise zu den primären Bedürfnissen eines Menschen.[31] Vor diesem psychologisch orientierten Hintergrund kommt nun erstmals der Gedanke vom möglichen Missbrauch der psychologischen Erkenntnisse ins Spiel. Nur für wenige, etwa Harold D. Lasswell, ist die Manipulation noch 1936 eine ganz neutrale Technik zur politischen Herrschaftssicherung: »Eine Elite bewahrt ihre Vorherrschaft, indem sie Symbole manipuliert, die Versorgung kontrolliert und Gewalt einsetzt«, denn »das Schicksal einer Elite ist massiv davon abhängig, wie sie ihre Umwelt manipuliert«.[32] Dass Lasswell, Experte für Propaganda und Kommunikation innerhalb eines Staates, Manipulation als Machtmechanismus neutral bestimmt, sticht schon damals wegen seiner Seltenheit hervor. Insbesondere mit dem Auftreten und dem Niedergang des nationalsozialistischen Schreckensregimes werden manipulative Machtmechanismen immer kritischer gesehen. Eine negative Vereinnahmung und eine starke Moralisierung des Manipulationsbegriffs (und damit die stärkste Wurzel unserer heutigen Verwendungsweise) folgen so schließlich im Rahmen der Kritischen Theorie bzw. der durch den Neo-Marxismus angestoßenen Auseinandersetzung mit politischen Machtstrukturen. Herbert Marcuse sieht in der Manipulation den Zweck, »den Einzelnen mit der Lebensform auszusöhnen, die ihm von der Gesellschaft aufge39zwungen wird«, weshalb es kein Wunder sei, dass Klassenkämpfe im staatsmonopolistischen Kapitalismus ausblieben.[33] Diese Aussöhnung erfolgt Marcuse zufolge durch verschiedene Personen und Institutionen wie etwa Nachbarn, peer groups, die Medien und insbesondere die staatlichen Autoritäten, die soziale und politische Bedürfnisse in individuelle und libidinös angetriebene Bedürfnisse umwandeln.[34] Marcuse integriert hier also schon einige im Rahmen der Forschung ermittelte Beeinflussungsmechanismen. Theodor W. Adorno ist es schließlich, der manchen Menschen (ähnlich wie Harlow) eine manipulative Persönlichkeit zueignet: Dieser Typus Mensch betrachte – wie die Behavioristen um Skinner – alles und jeden als bloße Objekte, die maschinengleich manipuliert und eingestellt werden könnten.[35] Über diesen Weg wird die Manipulation vielleicht zu einem sozialen Phänomen und zum Inbegriff des Machtmissbrauchs oder, wie es Robert E. Goodin einige Jahre später nennen wird, zum »bösartigen Kern des Konzepts der Macht«.[36]

Es wird deutlich, dass die Manipulation als Typus der Beeinflussung ihre neutralen Wurzeln im Technischen hat und der Begriff zunächst starken Wandlungen unterlag. Lexika- und Wörterbucheinträge machen dies insofern deutlich, als das soziale Phänomen Manipulation (in nachrangigen Bedeutungen das technische) entweder (in einem Fall) als positiv ausgewiesen wird[37] oder aber dem Begriff negative Attribute beigestellt werden. Dann heißt es etwa, Manipulation sei »betrügerisch«, täuschend, würde »Menschen als […] Objekt betrachten«,[38] »gegen deren Willen« passieren, eine »Machenschaft, [ein] undurchsichtiger Kniff« sein[39] sowie ein »undurch40schaubares, geschicktes Vorgehen, mit dem sich jmd. einen Vorteil verschafft, etw. Begehrtes gewinnt« und Individuen in »eine bestimmte Richtung [ge]lenk[t], [ge]dräng[t] werden«.[40]

Wie erwähnt, gab es in der Vergangenheit nur selten Fälle, in denen Manipulation als positiv ausgewiesen wurde. In den letzten fünf Jahren gab es diesbezüglich jedoch einen interessanten Wandel. Zwar bleibt die Manipulation durchaus suspekt, wenn sie bewusst vollzogen wird, allerdings wird sie nicht mehr zwangsläufig mit Täuschung, egoistischen Zielen, Zwang und Gewalt assoziiert. Auf diese Weise wurde Raum auch für ein positives Verständnis geschaffen. Heutzutage scheint Manipulation so mitunter sogar nur eine von vielen Formen der Einflussnahme zu sein, alltäglich (nicht unbedingt allumfassend), wenngleich oft unsichtbar: »Auch wenn Manipulation vielleicht nicht ubiquitär ist, haben wir den Eindruck, dass sie eine Taktik ist, die sehr viel verbreiteter praktiziert wird, als wir es zugeben möchten.«[41] Der Eindruck, den Ronald K. Green und Edward J. Pawlak schildern, deckt sich nicht nur mit allgemeinen Einschätzungen (vor allem, dass wir es nicht gerne hören, dass die Manipulation ein beständiges Mittel ist), sondern auch mit der Beobachtung von bekannten Werbe- oder Politikstrategien, immer neuen Beeinflussungstaktiken sowie dem fortschreitenden Nachdenken über ebensolche. So sind zum Beispiel nudges als effizientes Mittel im Rahmen der Gestaltung von Entscheidungsarchitekturen bekannt geworden, die beeinflussen, wie wir entscheiden und handeln.[42] Vor dem Hintergrund solcher Erkenntnisse der bereits erwähnten Verhaltensökonomie oder der Sozialpsychologie erhalten Politiker wie Barack Obama, David Cameron oder Angela Merkel ganz selbstverständlich Ratschläge von entsprechend ausgebildeten Beratern, um ihre Politik effizienter zu gestalten. Obama selbst spricht mit Stolz vom US-amerikanischen »Vermögen, die Meinung der Welt zu formen«,[43] und unter dem 41Namen von Policystrategien ist Manipulation zu einem geschätzten Instrument geworden. Anders gesagt: Manipulation wird, trotz ihres suspekten Charakters, innerhalb unserer Kultur weitgehend als normal akzeptiert. Doch die Ethik und die Politikwissenschaften haben erst begonnen, sich diesem Phänomen zu widmen.

Beiden Verständnislinien ist nun gemeinsam, dass sie die normative Bewertung zum wesentlichen Bestandteil der Definition von Manipulation machen: Man sollte sich entweder tunlichst vor ihr hüten – oder sie ist harmlos. Manipulation wird so entweder assoziiert mit Akten, die – unmoralisch – täuschend, schädlich, zwingend, gar gewalttätig für egoistische Zwecke genutzt werden oder aber ganz normale und unbedenkliche Akte der interpersonalen oder politischen Kommunikation darstellen. Die angekündigte stipulative Definition soll dagegen den spezifischen Akt der manipulativen Beeinflussung beschreiben und es ermöglichen, zu einem differenzierten Verständnis von Manipulation zu gelangen. Um dies zu leisten und damit auch eine begriffliche Grundlage für interdisziplinäre Betrachtungen zu schaffen, müssen im Folgenden die mit Manipulation assoziierten, meist normative Urteile vorwegnehmenden Charakteristika einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.

Manipulation als spezifische Form der Beeinflussung – erster Definitionsteil

Die Vermischung von Beschreibung und (positiver wie negativer) Bewertung bedingt, dass Manipulation ein eher nebulöses Konzept geblieben ist. Hierfür gibt es drei Gründe: Erstens existiert kein etablierter Kanon von manipulativen Methoden. In der Betrachtung der Methoden haben wir es mit einem lebhaften Feld zu tun, an dem sich viele verschiedene Disziplinen wie Psychologie, Soziologie, Medienwissenschaft, Politikwissenschaft oder Philosophie beteiligen und immer wieder neue Ergebnisse zutage gefördert werden. Diese haben, auch mangels einheitlicher Theorierahmen und Begriffe, etwas Ungeordnetes an sich. Zweitens ist der exakte psychologische Mechanismus, der im Rahmen der Manipulation 42wirkt, nicht im Detail ausgemacht. Zwar gibt es hierzu Vorschläge im Rahmen theoretischer Erwägungen der Psychologie oder der Handlungstheorie,[44] doch eine Einigung darüber, wie Menschen dazu gebracht werden, etwas zu tun, ist nicht in Sicht – zumal diese Frage letztlich vielleicht mit psychologischen Prinzipien zwar im Ansatz beantwortet werden kann, im individuellen Fall dann aber doch extrem komplex ist. An diesen Sachverhalt schließen sich drittens ganz grundsätzliche psychologisch-anthropologische Debatten über das menschliche Wesen und Handeln an, Themenkomplexe, die nicht als geklärt angesehen werden können, was eine konsistente Beschreibung der Manipulation erschwert.[45] Anders gesagt: Manipulation ist zwar als Phänomen auszumachen – dieses bleibt jedoch vage.

Wie bereits angemerkt, ist klar, dass die vorgeschlagene stipulative Definition Vorschlagscharakter hat, da sie nicht auf eine metaphysische Dimension der Manipulation abstellt, sondern das Phänomen zum Teil auch in einem idealen typologischen Sinne zu greifen versucht. Wie also lautet nun der erste Teil der Definition (Bedingung 3 folgt später)? Gemeinsam mit Christian Illies schlage ich vor, dass ein Manipulator jemanden genau dann manipuliert, wenn

(1) der Manipulator die zu manipulierende Person in einer Weise handeln lässt, der gemäß sie der Manipulator – er tut dies bewusst oder unbewusst – handeln lassen möchte,[46]

43(2) der Manipulator die zu manipulierende Person nicht zwingt oder mit bloßen falschen Versprechungen dazu bringt, in der intendierten Weise zu handeln. Die manipulierte Person wählt freiheitlich die Handlung, was einschließt, dass sie auch hätte anders handeln können.

Mit Aristoteles gesprochen lässt sich Bedingung (1) als genus proximum identifizieren – Manipulation ist so als Typus der Einflussnahme auf menschliches Handeln zu verstehen. Bedingung (2) enthält sogleich den ersten Teil der differentia specifica, hier die Auslassung von bloßen falschen Versprechungen (wenngleich diese mitunter ein Teil von Manipulation sein mögen[47]), Zwang, Gewalt 44und einer dieser auch zum Teil entsprechenden Nötigung, sowie die Bedingung, dass die manipulierte Person weiter freiheitlich handelt. Dennoch fehlt für die Unterscheidung von anderen Beeinflussungsmechanismen, welche die beiden bisherigen Kriterien ebenfalls erfüllen (zum Beispiel die rationale Überzeugung), noch eine dritte Bedingung, die den exakten Mechanismus von Manipulation beschreibt. Diese soll als Kulminationspunkt nach einem Durchgang durch die bisherigen Beschreibungen von Manipulation und der mit dem Alltagsverständnis zum Teil kongruenten Charakteristika folgen. Anhand von Shakespeares Othello soll die Manipulation in ihrer negativ wahrgenommenen Form (die es auf dem Weg zur angestrebten neutralen Definition der Manipulation zunächst zu widerlegen gilt) illustriert werden, um gleichzeitig zu zeigen, dass dieses normativ wertende, negative Verständnis von Manipulation nicht exklusiv gilt. Erst in der ethischen Analyse wird dann mit dem »neutralisierten« Begriff zu schauen sein, inwiefern die Verurteilung oder Verharmlosung der Manipulation, wie wir sie heutzutage erleben, tragbar ist. Wenn wir Othello und das überlieferte negative Alltagsverständnis im Hinterkopf behalten, sind nun im Wesentlichen drei Fragen zu stellen:

(1) Ist die Manipulation notwendigerweise undurchsichtig und im Sinne einer Täuschung zu verstehen?

(2) Dient die Manipulation notwendigerweise negativen, die Ziele des Manipulierten verhindernden und die des Manipulators realisierenden Zwecken?

(3) Unterläuft die Manipulation notwendigerweise die Rationalität des Betroffenen?

45All diese Fragen lassen sich bei Othello mit einem klaren »Ja« beantworten. Dort sind zwar alle negativen Chartakteristika gegeben, allerdings dürften diese keine notwendigen Bedingungen von Manipulation sein, denn es lassen sich Gegenbeispiele finden. Schauen wir nun also genauer hin.

Ist die Manipulation notwendigerweise undurchsichtig und täuschend?

Grundsätzlich sind uns viele Beispiele von Manipulationen bekannt, die im Dunkeln ablaufen und über die Gegebenheiten täuschen. Othello, Roderigo, Cassio und Brabantio haben keine Ahnung davon, wie Jago sie manipuliert. Die Einflüsse, denen sie ausgesetzt sind, bleiben ihnen unbekannt und entfalten größtmögliche Wirkung. Jago zieht seine Fäden im Verborgenen. In dieser Art beschreibt Teun A. van Dijk – ganz im Sinne des Verständnisses der Kritischen Theorie – die Manipulation als »undurchsichtiges Instrument der Macht«.[48] Jago nutzt die Manipulation, um die Situation (und die Wahrnehmung der Realität seiner Opfer) zu kontrollieren, Akteure gegeneinander aufzubringen oder sich gefügig zu machen und zum Herrscher der Handlungen und Gedanken der Figuren zu werden, indem er mit ihren (positiven wie negativen) Affekten spielt. Er macht den gutgläubigen Othello eifersüchtig, erzeugt Liebeshoffnung und Hass in Roderigo und nutzt des erregbaren Brabantios Abneigung gegenüber Othello, um sein Bild von seiner Tochter zu korrumpieren. Jago selbst breitet diesen Plan vor den Lesern in folgenden Worten aus:

Schreck ihren Vater hoch,/Weck ihn, dann jag ihn, stör ihm seinen Spaß/Verschrei ihn durch die Stadt, hetz ihre Vettern auf,/Und plag ihn trotz des milden Klimas hier/Als wärt ihr Mücken: den Spaß zwar hat er trotzdem,/Doch träufelt ihm derart viel Ärger drauf,/Daß er ihm bitter wird.[49]

Indem er Brabantio aufscheuchen, ihn nervös und erregt machen möchte, seine Freude vergiften, die Verwandtschaft mit Desdemona mit Wut kontaminieren will, erwirkt sich Jago mittels der Bespie46lung des Gefühlslebens seines Opfers Handlungsmacht – und am besten ist dies möglich, wenn Brabantio sich in einer ihn verwundbar machenden ständigen Aufgeregtheit und Bedrücktheit befindet (und, so darf im Sinne Jagos hinzugefügt werden, es nicht mal bemerkt, dass dieser Zustand kreiert wird). Manipulation ist so eine Beeinflussung, »der sich die Rezipienten kaum bewusst sind oder deren Konsequenzen sie nicht einfach kontrollieren können«,[50] und ihr haften, in Goodins Worten, »besonders starke Konnotationen von Hinterhältigkeit«[51] an – Jago ist das beste Beispiel dafür. Ein als wesentlich postulierter Bestandteil der Manipulation ist so also der Wille zur Verschleierung dessen, was vonstattengeht – und auch der gezielte Einsatz fingierter (oder eben in bestimmter, nicht unbedingt lauterer Weise interpretierter) Gegebenheiten, sogar Lügen. Genauer: Die Manipulation sei bemüht, unbemerkt zu bleiben, ihre Methode im Dunkeln zu halten und gleichzeitig die Betroffenen über deren eigene Handlungsmotivationen zu täuschen – auch mit falschen Informationen. Um Missverständnisse zu vermeiden, soll kurz der Unterschied von Verschleierung und Täuschung thematisiert werden: Eine Verschleierung betrifft eine Unkenntlichmachung der Manipulation selbst, mit dem Ziel, Betroffenen nicht zu Bewusstsein kommen zu lassen, dass sie in just diesem Moment einer Manipulation unterliegen. Die Täuschung betrifft sodann den veränderten Denk- und Affektzustand der manipulierten Person: Diese handelt nach erfolgreicher Manipulation im Sinne einer Täuschung, nämlich anhand modifizierter Denkinhalte und/oder Affekte, die nicht dem entsprechen, was vor der Manipulation »gesetzt« war und auch nicht zwingend eine richtige Gegebenheit zum Inhalt hat. Robert Noggle hat diese Beschreibung von Manipulation zuerst etabliert.[52]

47Die Problematik dieser Definition von Manipulation, die sich an unserem alltäglichen Verständnis entlangbewegt, springt schnell ins Auge: Eine Charakterisierung der Manipulation als undurchsichtige, verstecke Art der Beeinflussung, die zu einer Täuschung des Manipulierten führt, ist derart weit, dass eine Unterscheidung von anderen nicht offengelegten Beeinflussungsformen unmöglich wird. Hierbei geht es vor allem um die Differenzierung von Manipulation, Täuschung und Lüge, die Noggle im Sinne eines zumindest möglichen Zusammenfallens noch auf einer Linie sehen will.[53] Zwar lässt sich mit Rudinow bemerken, dass die Manipulation eine Anlage »für Heimlichtuerei und Subtilität« besitzt und »dass eine ganze Menge Fälle von Manipulation […] Täuschung involvieren«.[54] Dennoch lässt sich sagen, dass dies keine notwendige Eigenschaft von Manipulation ist (und sie sich so auch nicht als differentia specifica eignet).[55] In der gleichen Richtung argumentieren viele der jüngeren Ansätze, unter ihnen auch diejenigen von Moti Gorin und Allen W. Wood.[56]