Männer, die die Welt verbrennen - Christian Stöcker - E-Book

Männer, die die Welt verbrennen E-Book

Christian Stöcker

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Beschreibung

Warum wir den Kampf gegen gewissenlose Geldmacher, egomane Staatslenker und verlogene Propagandisten gewinnen müssen Die Welt steckt in der Endphase eines Kulturkampfs: Gier gegen Gerechtigkeit, Zerstörung gegen Nachhaltigkeit, Zynismus gegen Empathie. Nichts zeigt dies deutlicher als die Reaktionen auf die Klimakatastrophe: Hier jene, die versuchen, das Schlimmste zu verhindern, dort jene, die alles tun, um aus dem Verbrennen fossiler Stoffe Profit zu ziehen. Jahrzehntelang haben Ultrareiche sowie Unternehmen, die mit CO₂-Produktion gut verdienen, mit skrupelloser Desinformation Zweifel daran gesät, dass wir Menschen mit unserer Sucht nach fossilen Brennstoffen die Erde aufheizen. Nicht zufällig sind die Hauptprofiteure der Klimazerstörung Leute, die mit demokratischen Werten und Menschenrechten wenig am Hut haben ‒ oft geht die Begeisterung für fossile Brennstoffe und die Ablehnung von Klimaschutz einher mit reaktionären Positionen. Das Kartell der Verbrenner vereint Leute wie Mohammed bin Salman, Wladimir Putin, Rupert Murdoch, Donald Trump und Mathias Döpfner, flankiert von Akteurinnen wie Sahra Wagenknecht. In vielen politischen Diskursen und militärischen Konflikten der Gegenwart geht es letztlich um CO₂ – und um sehr viel Geld. Christian Stöcker zeigt: Es kommt jetzt darauf an, dass wir für unsere Kinder die Welt retten vor den Verbrennern und Verblendern, Lügnern und Kleptokraten, die von Öl und Gas profitieren. Und er liefert uns die Argumente, mit denen wir im öffentlichen und privaten Streit klar machen können, warum das fossile Zeitalter am Ende ist und die Zukunft in den erneuerbaren Energien liegt.

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Männer, die die Welt verbrennen

Christian Stöcker, geboren 1973 in Würzburg, wurde 2003 in Würzburg im Fach Kognitive Psychologie promoviert. 2016 wurde er als Professor für Digitale Kommunikation an die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg berufen, wo er u.a. die Fragen der Wechselwirkung von digitaler Medientechnologie, Journalismus und Öffentlichkeit untersucht. Ab 2005 war er bei Spiegel Online in den Ressorts „Wissenschaft und Netzwelt“ tätig, von 2011 bis 2016 leitete er dort das Ressort Netzwelt, heute hat er bei Spiegel Online weiterhin eine wöchentliche Kolumne

Das fossile Zeitalter ist am Ende – so viel ist inzwischen klar. Zugleich steckt die Welt in der Endphase eines Kulturkampfs: Gier gegen Gerechtigkeit, Zerstörung gegen Nachhaltigkeit, Zynismus gegen Empathie. Nichts zeigt dies deutlicher als die Reaktionen auf die Klimakatastrophe: Die einen versuchen, das Schlimmste zu verhindern, die anderen tun alles, um aus dem Verbrennen fossiler Stoffe weiterhin Profit zu ziehen. Und nicht zufällig gehen die Begeisterung für diese Brennstoffe und die Ableh-nung von Klimaschutz einher mit reaktionären Positionen: Das Kartell der Verbrenner vereint Leute wie Mohammed bin Salman, Wladimir Putin, Rupert Murdoch, Donald Trump und Mathias Döpfner, flankiert von Akteurinnen wie Sahra Wagenknecht. In vielen politischen Diskursen und militärischen Konflikten der Gegenwart geht es letztlich um CO2 – und um sehr viel Geld.Christian Stöcker zeigt: Noch haben wir die Chance, die Katastrophe zu verhindern. Doch dafür müssen wir endlich die bestehenden technischen Möglichkeiten nutzen und den Weltverbrennern das Handwerk legen.

Christian Stöcker

Männer, die die Welt verbrennen

Der entscheidende Kampf um die Zukunft der Menschheit

Ullstein

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© 2024 Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinAlle Rechte vorbehaltenWir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.Lektorat: Jan Martin OgiermannUmschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, HamburgUmschlagmotiv: © 2018 GE_4530/ShutterstockAutorenfoto: © Dinny StöckerE-Book powered by pepyrusISBN: 978-3-8437-3164-5

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

1   Die globale Allianz der Verbrenner

2   Die Profiteure der Katastrophe

3   Die Industrie hängt am Zeugverbrennen

4   Die Maschinerie der Leugner und Verzögerer

5   Stammesidentität und Petro-Maskulinität

6   Böse Männer, gute Geschäfte

7   Murdochs Reich

8   Die deutschen Verzögerer und ihre Methoden

9   Das Zeitalter des Lichts hat begonnen, das des Feuers muss enden

Fakten auf einen Blick

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1   Die globale Allianz der Verbrenner

Widmung

Für Lisa, Clara und Anna

1   Die globale Allianz der Verbrenner

Zu Beginn eine Warnung: Für Leserinnen und Leser, die sich mit der Klimakrise und ihren Ursachen noch nicht allzu intensiv befasst haben, klingen Teile dieses Buches womöglich wie frei erfundene Verschwörungstheorien. Das ist aber ein falscher Eindruck. Es handelt sich bei allem, was auf den kommenden Seiten berichtet wird, um belegbare Fakten.

Dass manche davon nach Verschwörungserzählung klingen, liegt an dem allzu großen Erfolg der Kräfte, die bislang verhinderten, dass wir der größten Krise in der Geschichte der Menschheit wirksam begegnen. So durchschlagend war ihre Einflussnahme, dass wir ihre Manipulationen oft gar nicht mehr als solche wahrnehmen, ihre Propaganda für einen ganz normalen Teil des öffentlichen Diskurses halten. Wer aber darauf hinweist, dass sich unter dem scheinbar Offensichtlichen etwas anderes, Gefährlicheres verbirgt, wirkt schnell wie ein Verschwörungsideologe.

Wir leben in einer Welt, in der eine vergleichsweise kleine Gruppe von Personen, Unternehmen, Institutionen große Macht ausübt – allen voran die Öl-, Gas- und Kohlebranche, aber auch diesen Branchen gewogene, mit ihnen finanziell verbundene, von ihnen finanzierte oder korrumpierte Medienunternehmer, Politikerinnen und Politiker, Lobbyisten, Wissenschaftler, Agenturen, Anwaltskanzleien, Thinktanks und Stiftungen, Medienschaffende, Prominente, Industrieverbände und einige wenige extrem reiche Menschen. Sehenden Auges facht diese Gruppe eine Katastrophe an, ohne dass wir, die große Mehrheit, uns dagegen wehren. Obwohl wir genau wissen, was wir tun müssten, um diese Katastrophe doch noch zu verhindern oder wenigstens abzumildern.

Es handelt sich trotzdem nicht um eine globale Verschwörung im engeren Sinne, jedenfalls nicht so, wie solche Dinge in Verschwörungstheorien meist dargestellt werden: mit konspirativen Treffen eines innersten Kreises, der hinter den Kulissen die Geschicke der Welt lenkt. Es ist eher ein Netzwerk aus real existierenden Verschwörungen, die durch gemeinsame Interessen und Ziele verbunden sind. Diese Interessen und Ziele stehen im Widerspruch zum gesicherten, gesunden Fortbestand der menschlichen Zivilisation.

Die meisten, die an diesem Netzwerk beteiligt sind, sind Männer. Daher der Titel dieses Buches, der dem einen oder der anderen polemisch vorkommen mag. Dabei ist auch der Titel keine Polemik, sondern eine nüchterne Tatsachenbeschreibung: Es gibt auf der Welt Männer, sogar ziemlich viele, die bereit sind, ihrem aktuellen Profit, ihrer persönlichen Macht die Zukunft der gesamten Menschheit unterzuordnen. Und sie sind bis heute sehr erfolgreich bei ihrem fatalen Tun.

Die Ziele dieser Männer sind erschreckend simpel: Es geht darum, für möglichst lange Zeit möglichst viel Geld damit zu verdienen, fossile Brennstoffe aus der Erde zu extrahieren und zu verkaufen, um so noch reicher und mächtiger zu werden. Es klingt trivial, und das ist es auch. Die Welt zerfällt in zwei sehr ungleich große Teile: Auf der einen Seite die wenigen, die an fossilen Brennstoffen unmittelbar oder mittelbar verdienen, auf der anderen Seite all jene, die das nicht tun, aber unter den Folgen der Klimakrise am Ende mindestens ebenso sehr wie die Erstgenannten, wenn nicht noch viel mehr leiden und leiden werden.

Den Männern, die die Welt verbrennen, ging und geht es darum, gesellschaftliche und ökonomische Rahmenbedingungen zu schaffen oder zu erhalten, die ihrem Ziel dienlich sind. Auch das sorgt für die vermeintliche Ähnlichkeit zur Verschwörungserzählung: Es gibt wirklich eine einzige, noch dazu sehr einfache Erklärung für sehr viele unterschiedliche Vorgänge, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun zu haben scheinen. Betrachtet man die Welt durch diese Brille, erscheinen viele scheinbar schwer verständliche Konflikte und Vorgänge in einem anderen, helleren Licht. Es geht dabei immer um sehr viel Geld, und damit natürlich auch um Macht. Allein die fünf größten börsennotierten Erdölproduzenten der Welt, die Unternehmen ExxonMobil (USA), Shell (früher Niederlande, seit 2022 Großbritannien), Chevron (USA), Total (Frankreich) und BP (Großbritannien), machten im Jahr 2022, trotz Coronapandemie, zusammen 200 Milliarden Dollar Gewinn – nicht Umsatz!1 Sie erreichten damit einen historischen Rekord, und das, obwohl 2022 die katastrophalen Auswirkungen der Erderhitzung bereits weltweit zu besichtigen waren. Trotz aller Reduktionsziele, aller Klimakonferenzen und -abkommen, aller Sonntagsreden. Und selbst diese 200 Milliarden Dollar Gewinn sind nur ein Bruchteil des Geldes, das 2022 mit Öl und Gas verdient wurde, denn die größten Profiteure der heraufziehenden Katastrophe sind nicht etwa börsennotierte Unternehmen, sondern Nationalstaaten. Die meisten davon sind Diktaturen oder Autokratien.

Die wahren Erlöse, die Öl und Gas seit vielen Jahrzehnten einbringen, hat der Energie- und Umweltökonom Aviel Verbruggen für eine Studie errechnet, die 2022 in der Fachzeitschrift International Journal of Sustainable Energy Planning and Management veröffentlicht wurde.2 Es handelt sich also nicht um eine Meinungsäußerung, sondern um eine wissenschaftliche Arbeit, die ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat. Auch die Datenquelle sollte selbst unter den innigsten Freunden der Marktwirtschaft über jeden Verdacht erhaben sein: Verbruggen wertete Daten der Weltbank aus. Auf dieser Basis kam er zu dem Ergebnis, dass die Summe, die seit 1970 mit Öl und Gas pro Jahr im Durchschnitt verdient wurde, inflationsbereinigt etwa eine Billion US-Dollar betrug. Das entspricht etwa drei Milliarden Dollar pro Tag. Noch einmal als Merksatz: Die Öl- und Gasbranche hat seit 1970 etwa drei Milliarden Dollar pro Tag Gewinn – nicht Umsatz! – gemacht. Jeden Tag, sieben Tage die Woche, seit über 50 Jahren.

Insgesamt hätten die Staaten und Firmen, die Öl und Gas fördern, von 1970 bis 2020 über 51 Billionen Dollar Profit gemacht, so Verbruggen. Gut 86 Prozent dieser 51 Billionen Dollar »Profit ohne Anstrengung«, wie Verbruggen das formuliert, entfielen auf Gewinne aus dem Verkauf von Öl, die restlichen knapp 14 Prozent auf Gas. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands im Jahr 2022 betrug umgerechnet gut vier Billionen Dollar.

Er sei selbst überrascht gewesen, als er die Zahlen ermittelt hatte, sagte Verbruggen dem britischen Guardian: »Das ist eine riesige Menge Geld. Man kann mit diesem Geld jeden Politiker, jedes System kaufen, und ich glaube, das ist auch passiert. Es schützt die Produzenten von politischer Einflussnahme, die ihre Aktivitäten beschränken könnte.«3 Auch das klingt wieder ein bisschen nach Verschwörung. Viele belegbare Tatsachen zeigen jedoch, dass Verbruggen recht hat. Anders wäre auch kaum zu erklären, dass die Welt gerade in eine globale Katastrophe hineinmarschiert, obwohl längst bekannt ist, was zu tun wäre, um diese Katastrophe abzuwenden.

Die völlig ungenierte und unsanktionierte Rücksichtslosigkeit, mit der die Branche bis heute agieren kann, illustriert hervorragend ein aktuelles Beispiel: Die 28. Weltklimakonferenz, dem Protokoll gemäß schlicht »Conference of the Parties« (COP28) genannt, fand ab Ende November 2023 in Dubai statt, einem der Vereinigten Arabischen Emirate (UAE). Die UAE sind der siebtgrößte Ölproduzent der Welt und verfügen über die weltweit fünftgrößten Gasreserven. Praktisch der gesamte Reichtum des Landes, ja der ganzen Region basiert auf dem Verkauf von Kohlenwasserstoffen. Die Pro-Kopf-Emissionen in den UAE liegen mit fast 22 Tonnen CO₂ pro Jahr in der globalen Spitzengruppe, nur in fünf anderen, bevölkerungsmäßig wie die UAE eher kleinen Staaten sind sie noch höher.4 In Deutschland lagen die Pro-Kopf-Emissionen im selben Jahr (2021) bei gut acht Tonnen.

Doch damit nicht genug: Der Präsident der COP28, Sultan Ahmed Al Jaber, ist nicht nur der dortige Minister für technologischen Fortschritt, sondern auch der Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc. Dem Guardian sagte er im Oktober 2023: »Der Klimawandel ist unser gemeinsamer Feind, wir müssen ihn gemeinsam bekämpfen.«5 Als die Reporterin ihn auf die dazu im Widerspruch stehende Tatsache ansprach, dass Adnoc gerade seine Ölproduktion ausweitete, antwortete er, scheinbar verwirrt: »Das ist ein absolutes Missverständnis. Wir weiten nicht die Produktion aus, sondern die Produktionskapazität. Wir fügen 600 000 Barrel Kapazität hinzu, die nur dann produziert werden, wenn der Markt sie braucht.«

Später wiederholte er einen jahrzehntealten Taschenspielertrick der Fossilbranchen: »Es ist der Konsument, der zu den steigenden CO₂-Emissionen beiträgt, nicht der Produzent.« Die Verantwortung für die herannahende Klimakatastrophe von sich und dem eigenen Profitstreben auf die Kundschaft abzuwälzen ist bei Ölfirmen und Petrostaaten seit etwa zwanzig Jahren eine beliebte Methode – eine von vielen. Richtig ist: Die Tatsache, dass die Welt weiterhin von Öl und Gas abhängt, ist maßgeblich den Umtrieben von Al Jabers eigener Branche zu verdanken. Das unterschlug er in den Gesprächen mit dem Guardian selbstverständlich. Ölfunktionäre lassen sich bis heute in etwa so leicht festnageln wie ein Pudding.

Schon Monate vor der Konferenz hatte der Guardian enthüllt, dass das Personal des staatlichen Ölkonzerns Adnoc auf E-Mails der COP28-Delegationen zugriff, was naturgemäß für Empörung sorgte6. Wenige Wochen vor Tagungsbeginn deckte die französische Nachrichtenagentur AFP zudem auf, dass die Unternehmensberatung McKinsey für die Konferenzleitung ein »Energieübergangsnarrativ« entwickelt hatte7. Dieses »reduziert den Ölverbrauch bis 2050 nur um 50 Prozent und ruft dazu auf, jedes Jahr bis zu diesem Zeitpunkt weitere Billionen in die Erschließung neuer Öl- und Gasvorkommen zu investieren«. McKinsey erbrachte die Beratungsleistungen dem AFP-Bericht zufolge »pro bono«, also ohne Honorar. Das stimmt nicht ganz, denn McKinsey wird von jenen bezahlt, die an der Erderhitzung viele Billionen Dollar verdienen: Zu McKinseys Kunden gehören AFP zufolge ExxonMobil, Saudi Aramco, BP und Shell. Auf der McKinsey-Webseite war kurz vor diesen Enthüllungen ein langes, völlig unkritisches Interview mit ExxonMobil-Chef Darren Woods erschienen. Woods erklärte darin stolz, er habe allen Bestrebungen widerstanden, auch in Sonnen- und Windenergie einzusteigen, und wolle stattdessen weiter ausschließlich in die Erschließung fossiler Brennstoffe investieren: »Wir bleiben bei dem vor Anker, was wir am besten können.«8

Während der COP28 wurde ein Brief des Chefs der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC) an die Mitgliedsstaaten des Ölkartells öffentlich, der sie dazu aufforderte, bei den Verhandlungen »proaktiv jeden Text oder jede Formulierung abzulehnen, die auf Energiequellen, also fossile Brennstoffe, statt auf Emissionen abzielt«9. Vor Ort in Dubai nahm sich dieser Aufgabe dann laut der New York Times vor allem Saudia-Arabien an, der größte Ölproduzent der Welt. Bis zuletzt stemmte sich die saudische Delegation demnach gegen jede Formulierung, die fossile Brennstoffe auch nur erwähnte. Saudi-Arabien versuchte offenbar sogar zu verhindern, dass das COP-Abschlussdokument einen Aufruf enthielt, die Kapazitäten für die Erzeugung erneuerbarer Energien bis 2030 zu verdreifachen10. Beide Versuche scheiterten schließlich, was eine Art historischen Wendepunkt markiert: Bislang war es den Ölstaaten, dank des schon 1992 von Saudi-Arabien durchgesetzten Konsensprinzips der COP-Tagungen, stets gelungen, das Offensichtliche aus den Abschlusstexten herauszuhalten: dass die Welt weg muss von Öl und Gas.

Noch im Oktober 2023, als die Internationale Energieagentur IEA die – halbwegs – gute Nachricht verkündet hatte, dass die Nachfrage nach Öl und Gas um das Jahr 2030 ihren Prognosen zufolge ihren Gipfelpunkt erreichen werde, widersprach die OPEC geradezu erbost.11 Solche »Narrative« würden das Energiesystem in die Gefahr bringen, »spektakulär zu scheitern«, so der OPEC-Generalsekretär Haitham Al Ghais. Er warnte vor »Energiechaos von einem potenziell nie dagewesenen Ausmaß, mit schlimmen Konsequenzen für Volkswirtschaften und Milliarden Menschen überall auf der Welt«. Nein, der Mann sprach nicht von den katastrophalen Auswirkungen der von seiner Branche maßgeblich zu verantwortenden Klimakrise, er sprach von der Gefahr für das Geschäftsmodell seiner Branche. Die OPEC erklärte auch – diese Phrase wird uns in diesem Buch sinngemäß noch häufiger in derart pervertierter Deutung begegnen –, der veränderte Blick auf Öl und Gas sei »ideologisch getrieben statt faktenbasiert«. Das ist eine atemberaubende Verdrehung der Tatsachen, denn die Fakten sind glasklar: Öl, Gas und Kohle tragen die Menschheit einer apokalyptischen Zukunft entgegen. »Ideologie« dagegen hat dazu geführt, dass die fossilen Branchen damit so lange durchgekommen sind.

Es ist längst klar belegt, wie insbesondere die Öl- und Gasbranche, aber auch deutsche Kohlekonzerne wie RWE und LEAG den öffentlichen Diskurs massiv manipulierten, um ihre Geschäfte weiter ungestört betreiben zu können. Sie lügen, betrügen, verschleiern – seit Jahrzehnten. Die Welt weiß längst, dass CO₂-Emissionen die Atmosphäre aufheizen, doch insbesondere US-Konzerne finanzierten mit Hunderten von Millionen, wenn nicht Milliarden Dollar über viele Jahre eine oft sehr aggressive Kampagne, um diese Tatsache zu verschleiern. Sie ließen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler attackieren, drängten Politiker aus dem Amt, etablierten das Narrativ, dass es sich bei friedlichem Klimaprotest um »Terror« handele, verheimlichten Daten, simulierten breite Unterstützung, kauften Studien und vermeintlich unabhängige Fürsprecher. Dass sie damit inzwischen aufgehört hätten, ist ein Irrtum – lediglich die Strategien haben sie geändert. Bis heute ist in Sachen Klima-, Antriebs- und Energietechnik eine bemerkenswerte Menge an Desinformation im Umlauf. Und es ist klar, wem diese Desinformation nützt.

Bis heute gelingt es den Profiteuren der Klimakrise, nicht nur atemberaubende Gewinne mit der fortschreitenden Zerstörung unserer Lebensgrundlagen zu machen, sie bekommen dafür auch noch gewaltige Mengen an Steuergeldern. Das sagen nicht irgendwelche Öko-Aktivistinnen, sondern Fachleute vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Zitat aus einem IWF-Bericht: »Die Subventionen für fossile Brennstoffe lagen im Jahr 2022 bei sieben Billionen Dollar oder 7,1 Prozent des (Welt-)Bruttoinlandsprodukts.«12 Der Großteil dieser Subventionen, 82 Prozent, sei »implizit«, weil gewaltige Umweltschäden vor allem durch Luftverschmutzung und die Erderwärmung nicht eingepreist und konsumbasierte Steuern nicht erhoben würden. Die IWF-Autoren weisen sogar darauf hin, dass sie für diese nicht eingepreisten Schäden einen im Vergleich zu aktuellen Forschungsergebnissen eher niedrigen Wert angesetzt haben. Und selbst dann, wenn man nur die verbleibenden 18 Prozent »expliziten« Subventionen betrachtet, sind das immer noch 1,26 Billionen, also 1260 Milliarden Dollar Subventionen für die Erhitzung des Planeten. In einem einzigen Jahr. Viele Regierungen lenken den Markt also weiterhin in die falsche Richtung, mit gigantischen Summen, die in die Taschen derer fließen, die an der Zerstörung verdienen.

Meine Vermutung ist, dass den meisten Leserinnen und Lesern diese Ausmaße nicht geläufig sind, selbst dann nicht, wenn sie sich sehr für das Thema Klimakrise interessieren. Das hat seine Gründe. Obwohl die Fakten seit langer Zeit auf dem Tisch liegen, ist es den Profiteuren der Katastrophe gelungen, weite Teile der Menschheit einzulullen und abzulenken. Deshalb passiert selbst in demokratischen Gesellschaften bei Weitem nicht genug, um die Katastrophe abzubremsen oder gar aufzuhalten. Wenn die Aktionen von Klimaaktivistinnen und -aktivisten manchmal übertrieben oder nicht zielführend und sie selbst verzweifelt wirken, dann hat das immer auch damit zu tun: Weil sie das Ausmaß der Bedrohung und auch das Ausmaß der Desinformation begriffen haben, wissen sie sich nicht mehr anders zu helfen, als mit allem, was ihnen einfällt, wieder und wieder auf all das hinzuweisen. Dabei sollte das angesichts der längst deutlich sichtbaren, mit Riesenschritten herannahenden Katastrophe längst überflüssig sein.

Mittlerweile ist der Sommer auf der Nordhalbkugel immer Desastersaison. Es gibt jetzt jeden Sommer so viele Naturkatastrophen, dass man leicht den Überblick verliert. Bei der Ahrtal-Katastrophe, die im Jahr 2021 mindestens 135 Menschen tötete, fielen 100 bis 200 Liter pro Quadratmeter binnen zwei bis drei Tagen. In der griechischen Ebene von Thessalien fielen im September 2023, dem global mit Abstand heißesten September in der Geschichte der Wetteraufzeichnungen, mancherorts binnen 18 Stunden über 750 Liter Regen pro Quadratmeter.13 Das sind etwa vier Badewannen voll – pro Quadratmeter. »Stellen Sie sich den extremsten Wolkenbruch vor, den Sie je erlebt haben, der normalerweise vielleicht 20 Minuten dauern würde. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass es genauso stark regnet, aber ohne Unterbrechung, einen ganzen Tag lang.« So beschrieb die auf Wassertechnik spezialisierte Ingenieurwissenschaftlerin Ioanna Stamataki von der University of Greenwich das Ereignis14. Die Bilder aus Thessalien sahen apokalyptisch aus: Manche Ortschaften standen bis zu den Dachkanten unter Wasser. Mindestens 15 Menschen starben. Und das wurde schon als Erfolg gewertet, denn die offenbar gut funktionierenden Warnsysteme verhinderten weit größere Opferzahlen.

Den 15 Todesopfern – und gigantischen wirtschaftlichen Schäden – in Griechenland standen viele Tausend Tote in Libyen gegenüber, wohin Sturm »Daniel« von Griechenland aus weitergezogen war. Vermutlich starben dort weit über 10 000 Menschen, die meisten davon in der Stadt Derna, die eigentlich von Dämmen vor solchen Fluten aus dem nahe gelegenen Gebirge geschützt werden sollte.15 Aber diese Dämme waren wohl marode und zudem für ein anderes, vergangenes klimatisches Zeitalter gebaut: In Derna fielen früher im ganzen Monat September im Durchschnitt etwa eineinhalb Liter Regen pro Quadratmeter. »Daniel« aber brachte in wenigen Stunden 414 Liter pro Quadratmeter, also fast 300-mal so viel.16 Wie viele Opfer »Daniel« tatsächlich forderte, wird man womöglich nie erfahren, denn in Libyen herrschen seit vielen Jahren Chaos und Bürgerkrieg.

Die Extremwetterereignisse in Libyen und Griechenland waren nur zwei von Dutzenden, die sich allein im Sommer 2023 rund um den Globus ereigneten. Es gab katastrophale Überschwemmungen auch in Slowenien, Österreich, Bulgarien, Spanien, Schweden, Norwegen, Brasilien, Guatemala, Mexiko, dem Nordosten der USA und auch auf der anderen Seite des Pazifiks, in Hongkong und Taiwan. Ein Gastbeitrag des Klimaforschers Zeke Hausfather für die New York Times aus dem Herbst 2023 beginnt mit einer Aufzählung von kaum übersetzbaren Adjektiven, die alle das gleiche bedeuten: unerhört, verblüffend, verrückt – »Staggering. Unnerving. Mind-boggling. Absolutely gobsmackingly bananas.«17 Hausfather fährt fort: »Da die globalen Temperaturen in den letzten Monaten immer wieder Rekorde gebrochen und gefährliche neue Höchstwerte erreicht haben, gehen meinen Klimaforschungskollegen und mir langsam die Adjektive aus, um zu beschreiben, was wir jetzt sehen.« Der September sei 0,5 Grad Celsius wärmer gewesen als der bis dahin geltende Temperaturrekord, Juli und August etwa 0,3 Grad wärmer.« Mittlerweile ist klar, dass 2023 mit einer 1,48 Grad Celsius höheren Durchschnittstemperatur als jener vor der Industrialisierung das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen und damit auch das »heißeste Jahr der Menschheitsgeschichte« war, wie Science berichtete.18 Dabei spielten natürliche Wettervariationen, insbesondere das Wetterphänomen El Niño, auch eine Rolle, außerdem der Rückgang der Luftverschmutzung etwa durch weniger schwefelhaltige Schiffsabgase, aber: »Die globalen Rekordtemperaturen, die wir in diesem Jahr erlebt haben, wären ohne die bisherige Erwärmung um etwa 1,3 Grad Celsius, die auf den Ausstoß von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen aus menschlichen Quellen zurückzuführen ist, nicht möglich gewesen«, so Hausfather.

Völlig überraschend war all das nicht. Es passiert in etwa das, was Klimaforscherinnen und -forscher seit Langem vorhersagen – nur noch viel schneller. Daran zeigt sich zudem, dass der Weltklimarat IPCC genau das Gegenteil dessen tut, was seine Kritiker ihm stets vorwerfen: Er ist alles andere als »alarmistisch«, sondern in seinen Prognosen immer sehr zurückhaltend und konservativ. Im vierten IPCC-Sachstandsbericht von 2007 steht auf Seite 12 folgender Satz, wie üblich vorsichtig formuliert: »Es ist zu erwarten, dass eine veränderte Häufigkeit und Intensität von Extremwetterereignissen, zusammen mit einem Anstieg des Meeresspiegels, hauptsächlich nachteilige Auswirkungen auf natürliche und menschengemachte Systeme haben werden.«19 In einer Tabelle führen die beteiligten Fachleute auf, was sie schon damals erwarteten, wenn die Temperaturen weiter steigen. Für Europa zum Beispiel: »höhere Wahrscheinlichkeit für plötzliche Flutwellen im Inland«, »Rückgang der Gletscher«, »großflächiger Verlust von Spezies«, »hohe Temperaturen und Dürren«, »Gesundheitsrisiken durch Hitzewellen und häufigere Brände«. All das erleben wir jetzt. Was die Klimaforschung vorhergesagt hat, tritt ein. Das spricht für die Qualität der Prognosen, aber gegen unsere Fähigkeit, aus den Prognosen die richtigen Konsequenzen zu ziehen.

Und wir stehen erst am Anfang der Klimakrise. Klimabedingte Katastrophen vernichten schon jetzt Jahr für Jahr Milliardenwerte und töten mindestens Tausende, vermutlich eher Zehntausende von Menschen und ein Vielfaches an Tieren. Aber vorerst wird es immer schlimmer werden: tödliche Hitzewellen, Monsterstürme, Dürrekatastrophen, Wasserknappheit hier, Extremregen dort und in der Folge Hungersnöte, absterbende Korallenriffe, zerstörte Ökosysteme auch an Land, massenhaftes Artensterben, gigantische Waldbrände, Erdrutsche, durch auftauenden Permafrost bedingte Bergstürze, schmelzendes Polareis, steigender Meeresspiegel …

Viele Branchen mit vielen Millionen Arbeitsplätzen sind schon jetzt dem Nieder- oder Untergang geweiht: Ski-, Strand- und Tauchtourismus an vielen Orten etwa, in manchen Gegenden auch die Landwirtschaft. Teile Südeuropas werden sich in absehbarer Zeit in Wüsten- oder Steppenlandschaften verwandeln,20 Teile Afrikas, Asiens,21 Indiens22 und auch Nordamerikas23 könnten unbewohnbar werden. Die Wanderungsbewegungen der Gegenwart, von denen sich industrialisierte, reiche Regionen wie Nordamerika oder Europa schon heute überfordert fühlen, werden sich im Vergleich zu dem, was bevorsteht, winzig ausnehmen.

Es ist wichtig, all das im Hinterkopf zu haben, wenn man sich mit den Profiteuren der Katastrophe und ihren Methoden beschäftigt. Erst dann werden der atemberaubende Zynismus und die Rücksichts- und Skrupellosigkeit deutlich, mit denen sie jahrzehntelang vorgegangen sind und weiterhin vorgehen.

Eins steht zweifelsfrei fest: Die Öl- und Gasvorräte, über die all die börsennotierten und staatseigenen Unternehmen noch verfügen, übersteigen um ein Vielfaches das Restbudget, das wir noch an CO₂ in die Atmosphäre blasen können, um die Erwärmung im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten unter 1,5 oder auch nur unter 2 Grad zu halten. Sowohl die Staaten, denen diese Vorräte gehören, als auch die Investoren, deren Geld in diesen Konzernen steckt, müssen daher dringend dazu gebracht werden, das CO₂ im Boden zu lassen. Es gilt, gewaltige Mengen fiktiven Geldes zu vernichten, um die realen menschlichen Lebensgrundlagen zu erhalten.

Im Moment ist davon wenig bis nichts zu sehen. Im Gegenteil, die größten Öl- und Gasfirmen des Planeten planen Investitionen in Höhe von über 850 Milliarden Euro, um weitere Quellen zu erschließen.24 Im Oktober 2023 kaufte binnen weniger Wochen zuerst Exxon eine auf Fracking spezialisierte Ölfirma für 60 Milliarden Dollar, anschließend Chevron eine weitere für 53 Milliarden.25 Die Ölfirmen rechnen mit weiterhin guten Geschäften, auf Jahrzehnte hinaus. Auch Finanzinvestoren und Banken stecken fleißig Geld in die Zerstörung der Biosphäre. UN-Generalsekretär António Guterres hat einmal gesagt: »Neue Investitionen in Exploration und Förderinfrastruktur für fossile Brennstoffe sind Wahnsinn.«26 Das ist, objektiv betrachtet, absolut korrekt. Und gleichzeitig ist es, objektiv betrachtet, genau das, was passiert.

Durch das immer schnellere Wachstum der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität sowie andere Faktoren wächst parallel aber das Risiko für die Öl- und Gasbranche, dass sich ihre Investitionsgüter in stranded assets, also in abzuschreibende Investitionsgüter verwandeln. Eine Studie, die schon 2021 in Nature Energy erschien, enthält die Schlussfolgerung, dass diese Entwicklung bis 2036 Investitionsgüter »zwischen sieben und elf Billionen US-Dollar« betreffen könne – nur auf Basis der bestehenden Klimaziele diverser Staaten.27 Und seitdem ist noch einiges passiert (mehr dazu später). Längst kippen auch die Märkte nach und nach weg von fossilen Brennstoffen, trotz der Billionensubventionen für Roh-CO₂. Deshalb führen die Profiteure der Katastrophe einen zunehmend aggressiven Abwehrkampf gegen die weiterhin meist reichlich harmlosen Versuche von Politik und Zivilgesellschaft, ihren (selbst-)zerstörerischen Geschäftsmodellen per Regulierung langsam den Boden zu entziehen.

Wir wissen sehr genau, was zu tun ist. Und es ist sogar viel billiger als das, was wir jetzt tun. Dass wir Energieversorgung und Transport nicht viel schneller umstellen, ist ein mit viel Geld und Desinformation herbeilobbyierter Erfolg der Männer, die die Welt verbrennen. Und so steigen die Emissionen vorerst weiter, statt zu sinken. Wir könnten die richtigen Schlüsse ziehen – doch scheitern dabei oft noch immer, individuell und institutionell. Selbst jetzt, wo die Vorboten der Katastrophe längst auch in Europa angekommen sind.

Ablenkung ist hier ein zentraler Begriff, denn er erklärt ein weiteres Faktum, das vielen Menschen bis heute nicht richtig präsent zu sein scheint: Ein gewaltiger Teil der politischen Debatten, die den Alltag demokratischer Gesellschaften in Industrienationen bestimmen, sind reine Ablenkungsmanöver. Das gilt beispielsweise für den sogenannten Kulturkampf, der den Fossilbranchen in den USA als perfektes Werkzeug dient. Längst hat er auch europäische Gesellschaften erreicht. Es ist ein simpler Taschenspielertrick: Man gaukelt dem Publikum vor, seine Freiheit, seine Souveränität, seine Lebensweise, seine Ideale seien von etwas in Wahrheit Harmlosem bedroht, während die wahre, reale, physische Bedrohung konsequent ausgeblendet, ignoriert, verharmlost wird. Angst vor gesellschaftlichem Fortschritt, vor Migration, vor alternativen Lebensentwürfen wird instrumentalisiert, um Parteien an der Macht zu halten, die tun, was die Fossilbranchen wünschen: möglichst wenig. An jeder Gegenmaßnahme wird permanenter Zweifel gesät. Physikalisch sinnvolle Lösungen (etwa Elektroautautos oder Wärmepumpen) werden infrage gestellt, physikalisch unsinnige (etwa »E-Fuels« für Autos oder Heizen mit Wasserstoff) beworben, um Zeit zu gewinnen – und damit noch mehr Geld. Dieses Zweifelsäen ist mittlerweile die mächtigste Waffe derer, die weiter am Untergang verdienen möchten.

An diesem seit Jahrzehnten laufenden Ablenkungsmanöver sind auf den ersten Blick sehr unterschiedliche Akteure beteiligt – und einige wenige Akteurinnen. Viele Freunde fossiler Brennstoffe sind sich auch in anderen Fragen bemerkenswert einig. Was etwa den Umgang mit Homosexuellen, mit Transmenschen, was die Haltung zu Frauenrechten oder Antidiskriminierung angeht, fänden Wladimir Putin, Mohammed bin Salman, Rupert Murdoch und viele US-Republikaner mühelos Gemeinsamkeiten. Weil die alte, fossil angetriebene, männerdominierte Welt mit ihren Machtstrukturen bedroht scheint, können sich die reaktionären Profiteure fossiler Brennstoffe auch leicht auf reaktionäre Positionen in gesellschaftlichen Fragen verständigen.

Diese »Achse des Öls« markiert die zentrale Konfliktlinie des 21. Jahrhunderts. Die Frage »Auf welcher Seite stehst du?« betrifft in Wahrheit längst nicht mehr primär rechts oder links, konservativ oder progressiv – auch wenn insbesondere die Rechte weiterhin so tut, als sei das der Fall. Es geht um die Frage: Stehst du auf der Seite des Überlebens oder willst du am Untergang verdienen?

Gerade Europa muss sich schnell, entschlossen und demonstrativ auf die einzig richtige Seite stellen. Bislang wird das von einer ganzen Reihe von Akteuren aktiv und planvoll verhindert, auch innerhalb mehrerer demokratischer Parteien in Deutschland. Denn es geht in Wahrheit, wie gesagt, nicht um politische Ideologien, es geht um die Verteidigung fossiler Geschäftsmodelle. Da sind sich – zumindest an der Oberfläche – so unterschiedliche Akteure wie der FDP-Politiker Frank Schäffler und viele andere in seiner Partei, Springer-Chef Mathias Döpfner, Exkanzler Gerhard Schröder von der SPD, CDU-Politiker wie Friedrich Merz und Jens Spahn und sogar die ehemalige Linke Sahra Wagenknecht auf einmal einig.

Die nationale wie die internationale Allianz der Verbrenner hat die Menschheit jahrzehntelang mit viel Aufwand in die Irre geführt, manipuliert, belogen. Jetzt, da ihre Geschäftsmodelle in akuter Gefahr sind, werden die Lügen und Ablenkungsmanöver schriller, härter, aggressiver. Wollen wir eine lebenswerte Erde behalten, müssen wir uns wehren, und zwar sehr schnell. Viele haben sich mitschuldig gemacht, Politiker, Manager und Journalisten zum Beispiel: einige, weil sie das Problem nicht sehen wollten, Ausreden fanden, sich erst einmal mit etwas anderem zu beschäftigen, sich ihren eigenen kognitiven Abwehrmechanismen hingaben, statt die Dringlichkeit zu akzeptieren; andere, weil sie lieber noch ein bisschen mehr Geld verdienen oder »Shareholder Value« erzeugen wollten.

Es ist in diesem Zeitalter der Verschwörungserzählungen besonders schwer, all das einzugestehen: dass es einer eher kleinen Gruppe, die aus reinem Eigennutz und extremer Kurzsichtigkeit heraus handelt, gelungen ist, einen relevanten Teil der Bevölkerung der westlichen Demokratien massiv und über Jahrzehnte hinweg in die Irre zu führen. Und dass sehr viele bereit waren, sich einlullen zu lassen oder zumindest die so erreichte Verzögerung ohne allzu großen Widerstand hinzunehmen. Wenn Monsterstürme, mörderische Hitzewellen, Dürreperioden und sterbende Ökosysteme aber erst einmal so allgegenwärtig geworden sind, dass auch die hartnäckigsten Klimawandelleugner nicht umhinkommen, die Realität der menschgemachten Erderhitzung zu akzeptieren, wird es zu spät sein. Es gibt bei der Veränderung des Systems Erde klar definierte Kipppunkte. Und wenn die überschritten werden, gibt es kein Zurück mehr.28

Die Katastrophe abzuwenden erfordert eine gewaltige globale Anstrengung. An ihrem Ende wird eine lebenswertere Welt stehen. Aber bis es so weit ist, werden viele Menschen rund um den Globus die notwendige Veränderung als das Problem, nicht als die Lösung wahrnehmen. Und sei es nur, weil sie das wahre Problem immer noch nicht sehen oder sehen wollen. All das hat, so bitter es ist, vor allem mit einem zu tun: Geld.

2   Die Profiteure der Katastrophe

Es gibt auf der Welt, grob gesagt, sechs Arten von Unternehmen.

Die erste Kategorie verdient ihr Geld unmittelbar mit der Bereitstellung von Treibhausgasen im Rohzustand. Das ist die Öl-, Gas- und Kohlebranche. Dieses Geschäft war bis zum Aufstieg der Silicon-Valley-Giganten das profitabelste überhaupt. Im Jahr 1980 waren sechs der zehn wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt Ölkonzerne. Eines davon blieb bis heute in den Top Ten, meistens in den Top fünf, und stand jahrelang, ab 2004, mit weitem Abstand an der Spitze: ExxonMobil. Der einsamen Spitzenposition machte der Börsengang des chinesischen Ölkonzerns PetroChina im Jahr 2008 ein Ende. Eine Weile lieferten sich der chinesische Staatskonzern und das US-Konglomerat ExxonMobil ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Die Börsen wetteten also auch, als schon längst klar war, dass fossile Brennstoffe verheerende Schäden anrichten, weiterhin massiv auf Öl und Gas. Erst 2017 fiel ExxonMobil erstmals aus den Top Ten, PetroChina schon 2015. Unterdessen richteten sich die Tech-Riesen Apple, Microsoft, Google, Amazon, Facebook sowie Tencent und Alibaba aus China dort häuslich ein.29 Das Gesamtbild änderte sich ein weiteres Mal, als der saudische Staatskonzern Saudi Aramco 2019 an die Börse ging. Als erstes Unternehmen überhaupt erreichte es eine Marktkapitalisierung von über zwei Billionen Euro – vorübergehend.30 Im Herbst 2023 ist das wertvollste Unternehmen der Welt wieder Apple, Tech-Konzerne dominieren die Top Ten – aber Saudi Aramco findet sich verlässlich in den Top Five.31

Öl war und ist ein unglaublich profitables Geschäft. Es hat Präsidenten ins Amt gehievt und gestürzt, Kriege und Revolutionen ausgelöst und viele Menschen sehr reich und sehr mächtig gemacht. Die Fossilindustrien, ihre Anteilseigner, Manager und Nutznießer wünschen, dass das so bleibt. Aber ihr Profit steht nun einmal im Widerspruch zu den Interessen der gesamten Menschheit: »Ein Drittel der Ölreserven, die Hälfte der Gasreserven und 80 Prozent der derzeit bekannten Kohlereserven sollten von 2010 bis 2050 ungenutzt bleiben, um das 2-Grad-Ziel einzuhalten«, heißt es in einer 2015 in Nature publizierten Studie.32

Zur zweiten Kategorie gehören Unternehmen, deren Produkte CO₂ aus Roh-CO₂ freisetzen: Die Automobil- und die Flugzeugbranche, Firmen, die Öl- oder Gasheizungen bauen, aber auch Unternehmen, die Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerke errichten und betreiben. Zwischen diesen Unternehmen und denen der ersten Kategorie gibt es den großen Unterschied, dass Produkte der Kategorie zwei auch ohne Treibhausgase funktionieren oder sich ersetzen lassen. Man kann Fahrzeuge ohne Verbrennungsmotor bauen, Flugzeuge, die elektrisch oder mit CO₂-neutralem Brennstoff fliegen. Wärmepumpen ersetzen Gaskessel, Windkraftanlagen und Solarmodule ersetzen Kohle- und Gaskraftwerke. Die Unternehmen dieser Kategorie können sich also umstellen. Eine Ölfirma dagegen, die kein Öl mehr fördert, verdient auch kein Geld mehr.

Die dritte Kategorie bilden Unternehmen, deren Geschäftsmodelle zwar derzeit, aber nicht prinzipiell die permanente, massenhafte Freisetzung von Treibhausgasen erfordern. Meist vor allem deshalb, weil sie für ihr Geschäft immer noch auf die Produkte der Vertreter der zweiten und damit auch der ersten Kategorie angewiesen sind: Logistikunternehmen zum Beispiel, deren Transportmittel aktuell überwiegend mit Verbrennungsmotoren ausgestattet sind. Oder Baustoffhersteller: Die Zementherstellung verursacht derzeit etwa acht Prozent aller globalen CO₂-Emissionen.33 Man könnte den Baustoff aber auch, mit Aufwand und Technik, CO₂-neutral oder gar CO₂-negativ produzieren.

Zu dieser Kategorie drei gehört auch die Landwirtschaft, wobei diese einen seltsamen Zwischenstatus einnimmt. Viehzucht, insbesondere von Rindern, ist derzeit nicht ohne die Freisetzung des sehr schädlichen Treibhausgases Methan möglich. Auch die Futtermittelproduktion erzeugt große Mengen Treibhausgase, unter anderem bei der Herstellung von nitrathaltigem Dünger, für den große Mengen fossiler Brennstoffe verbraucht werden. Die Stahlbranche schließlich betreibt Hochöfen mit Kohle und verursacht so jede Menge Emissionen. Man könnte sie auch mit Wasserstoff betreiben, der wiederum aus erneuerbaren Quellen stammt. Nur kostet das eben erst einmal Geld. Dieses Grundproblem betrifft auch Kategorie zwei – es ginge auch anders, aber das wäre unter den aktuellen Marktbedingungen vorerst teurer.

Kategorie vier ist vermutlich die größte. Ihr gehören alle Unternehmen an, deren Geschäftsmodelle ohne die Dienste der Kategorien zwei und drei derzeit nicht auskommen. Das liegt daran, dass fast die gesamte Weltwirtschaft zumindest mittelbar von fossilen Brennstoffen, von Stahl und Zement abhängt. Keine Fluggesellschaft, kein Supermarkt, kein Schwimmbad, kein Fußballklub und keine Eisdiele kann heute wirklich klimaneutral wirtschaften.

Kategorie fünf ist noch immer winzig. Sie umfasst Unternehmen, die derzeit zertifiziert CO₂-neutral wirtschaften.34 Das funktioniert im heutigen globalen Kontext allerdings nur, indem sie CO₂-Ausgleichszertifikate kaufen. Und an deren Nachhaltigkeit und Aussagekraft bestehen berechtigte Zweifel:35 Der Deal »Ihr lasst eure Wälder stehen, und wir geben euch dafür Geld« scheint oft nicht recht zu funktionieren. Zum Beispiel, weil eine Regierung in zehn Jahren sich womöglich nicht mehr an die Zusagen der Regierung von heute gebunden fühlt und den Wald einfach trotzdem abholzen lässt. Zudem dauert es extrem lang, bis in Bäumen gebundenes CO₂ tatsächlich einen messbaren Einfluss auf die Atmosphäre hat. Zitat aus einem spendenfinanzierten Investigativartikel zum Thema »Carbon Credits« von der Journalistin Lisa Song: »CO₂-Ausgleichszertifikate sind wie die nachsichtigste Kreditkarte der Welt: Die Käufer bekommen alle Vorteile sofort, es dauert aber ein Jahrhundert, bis die Schulden vollständig zurückgezahlt sind.«36 Viele CO₂-Credits sind schlicht ungedeckte Schecks. Oft machen politische Veränderungen oder sogar Kriege die Deals im Nachhinein obsolet. Fest steht: CO₂-Vermeidung schlägt im Zweifel alle anderen Methoden. Aber CO₂-Vermeidung ist eben schlecht für die Geschäfte der Fossilbranchen.

Vermutlich noch kleiner als Kategorie fünf ist Kategorie sechs. Sie umfasst Unternehmen mit einer tatsächlich negativen CO₂-Bilanz. Dazu dürften manche Forstbetriebe gehören sowie Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien, die tatsächlich fast oder ganz auf CO₂-neutrale Stromerzeugung setzen und dem Gesamtsystem damit helfen, CO₂ einzusparen. Von dieser Sorte brauchen wir mehr. Viel mehr.

Das größte Potenzial, etwas zu verändern, hätten derzeit Unternehmen der Kategorie zwei und drei, worunter die der Kategorie eins leiden würden: Wenn die Energieversorgung umgestellt würde und Transport, Produktion sowie Dienstleistungen CO₂-neutral würden, wäre schon sehr viel gewonnen. Diese Veränderung ist unausweichlich, wenn der Planet bewohnbar bleiben soll. Der Markt wird sie aber nicht herbeiführen, solange CO₂-Erzeugung viel zu wenig kostet.

Ein gutes Beispiel für diese Situation lieferte Carsten Spohr, Chef der Lufthansa, Anfang 2020. Spohr beklagte damals, dass so wenige Kunden seines Unternehmens freiwillig Ausgleichszahlungen für den CO₂-Ausstoß ihrer Flugreisen leisteten. »Ungefähr ein bis zwei Prozent der Kunden nutzen die günstigste Kompensationsmöglichkeit«, sagte er bei einer Veranstaltung, »die teurere Variante wird von so wenigen Kunden genutzt, die könnte ich alle per Handschlag begrüßen.«37 Um Spohrs Lamento mit Zahlen zu unterlegen: Die Lufthansa bot damals an, für einen Inlandsflug von Frankfurt nach Hamburg 45 Euro zusätzlich über die Plattform »Compensaid« zu bezahlen. Für einen Flug von Frankfurt nach New York wurden für »nachhaltigen Bio-Treibstoff« 360 Euro Mehrkosten in Rechnung gestellt. Die Lufthansa möchte also gern weniger CO₂ ausstoßen – aber sie möchte auch, dass ihre Kunden das finanzieren, privat, aus eigener Tasche und vor allem freiwillig. Auf die Idee, selbst für einen CO₂-Ausgleich zu sorgen und das den eigenen Anteilseignern in Rechnung zu stellen, kam Spohr nicht. Zudem setzt jedes Mal, wenn es um höhere Steuern für die Luftfahrt geht (beispielsweise eine Kerosinsteuer), bei der Lufthansa (wie bei allen anderen Airlines) ein großes Wehklagen ein. Spohr forderte folgerichtig, dass synthetische, CO₂-neutrale Treibstoffe entwickelt werden – aber finanzieren soll auch das der Steuerzahler, nicht die Branche, die diesen Treibstoff braucht.38

All das ist aus der Sicht eines Managers, dessen Unternehmen zur Kategorie drei gehört, zunächst durchaus rational. Schließlich steht seine Firma im internationalen Wettbewerb. Vergleichbar rational ist aber auch das Verhalten eines Flugpassagiers, der nicht als Einziger freiwillig 360 Euro mehr für ein Flugticket zahlen will als andere. Die Klimakrise lässt sich weder durch individuelle Tugendhaftigkeit noch durch freiwillige Selbstkasteiung einzelner Unternehmen lösen. Sie ist ein systemisches Problem. Trotzdem entlarvt Spohrs Klage über die mangelnde Zahlungsbereitschaft der Passagiere die Lebenslüge der Branchen aus Kategorie zwei und drei: Irgendwie wollen wir ja schon, dass der Planet nicht zugrunde geht, aber dafür sorgen sollen bitte unsere Kunden, aus eigenem Antrieb und auf eigene Kosten. Und bitte keine Regulierung durch den Staat, sondern Subventionen für neue Technologien!

Tatsächlich ist es weiterhin so: Die Profiteure der Katastrophe werden praktisch nicht zur Rechenschaft gezogen, und wenn doch, dann in viel zu geringem Ausmaß. Weiterhin werden fossile Geschäftsmodelle weltweit nicht in angemessener Weise verteuert, um sie noch schneller unattraktiv zu machen – stattdessen werden sie immer noch gepäppelt. Die Internationale Energieagentur IEA schätzte 2022, dass in diesem Jahr weit mehr als eine Billion US-Dollar in die Subventionierung fossiler Energieträger flossen.39 Doch selbst damit unterschätzt die IEA die tatsächlichen Subventionen massiv, wie schon erwähnt: Fachleute des Internationalen Währungsfonds haben für 2022 Gesamtsubventionen für fossile Brennstoffe in Höhe von sieben Billionen Dollar errechnet. Zu den Profiteuren dieser Subventionen gehört zum Beispiel die Lufthansa, denn Kerosin für Flugzeuge unterliegt immer noch keinem CO₂-Preis. Und das, obwohl der Flugverkehr für mehr als drei Prozent der jährlichen globalen Emissionen verantwortlich ist und durch weitere Effekte noch zusätzlich zur Klimakrise beiträgt – etwa, indem Flugzeuge in hohen atmosphärischen Schichten Wasserdampf hinterlassen, der ebenfalls eine Treibhauswirkung hat. Am Ende landen diese Subventionen auch in den Kassen der Ölbranche, die das Kerosin liefert.

Um sich zu vergegenwärtigen, dass diese Konstellation selbst aus der Perspektive liberaler Wirtschaftsfachleute ein »Marktversagen« darstellt, hilft eine Analogie. Stellen Sie sich vor, Sie hätten herausgefunden, dass im Stadtpark bei Ihnen in der Gegend ein Schatz vergraben ist. Sie heuern ein paar Arbeiter an, mieten einen Bagger und Kettensägen. Vorher beantragen Sie beim Arbeitsamt noch Lohnkostenförderung, immerhin ist das Ganze ja eine Art Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Ihr Trupp sperrt ein Areal im Park mit Flatterband ab und beginnt, Bäume zu fällen und Büsche mit Feuer zu roden, dann wird gebuddelt. Am dritten Tag der Ausgrabungen stößt ein Bauarbeiter mit seiner Schaufel auf die Schatzkiste. Nun verkaufen Sie die Goldmünzen, versteuern den Gewinn, bezahlen Arbeiter und Geräteverleih und freuen sich am gewaltigen Profit. Wenn sich jemand beschwert, dass Sie den Park verwüstet, ein riesiges Loch im Boden, verkohltes Unterholz und Dutzende gefällte Bäume hinterlassen haben, verweisen Sie darauf, dass Sie doch Arbeitsplätze geschaffen und Steuern gezahlt hätten. So verhalten sich die Firmen, die fossile Brennstoffe fördern und verkaufen, aber auch diverse andere Branchen seit Jahrzehnten. Sie graben Schätze aus, erzeugen gewaltige Schäden und überlassen diese dann der Allgemeinheit. Das Ganze wird von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern rund um den Globus bezuschusst.

Wie im Beispiel mit dem Schatz im Park gründen die gewaltigen Gewinne, die bei so etwas entstehen, auf einem einfachen Trick: Die Kosten, die die Freisetzung von CO₂ verursacht, werden externalisiert. Nicht die Verschmutzer, sondern wir alle kommen dafür auf. Und unsere Kinder und Enkel werden noch mehr dafür bezahlen. Solche »negativen Externalitäten« gelten in den Wirtschaftswissenschaften als eine Form des Marktversagens. Jemand richtet Schäden an, die Allgemeinheit kommt dafür auf, und die Folge ist: Adam Smiths »unsichtbare Hand des Marktes« regelt die Dinge eben nicht zum Besten. In dieser Situation sind wir auf dem Planeten Erde, seitdem wir wissen, dass CO₂ eine zunehmend dramatischere Klimaveränderung verursacht. Also seit mehr als vier Jahrzehnten.

All diese negativen Externalitäten sind Geschenke: an die Produzenten von Braun- und Steinkohle, Erdöl und Erdgas sowie die Hersteller und Betreiber von Verbrennungsmaschinen. Zur Erinnerung: Die Ölkonzerne und Petrostaaten haben seit 1970 im Schnitt drei Milliarden Dollar pro Tag verdient. Ein überwiegender Teil dieser gewaltigen Gewinne entfällt auf die letzten 20 Jahre, also auf eine Phase der Menschheitsgeschichte, in der wir längst wussten, dass dieses Geschäftsmodell, diese Form der Energiegewinnung, uns an den Abgrund trägt. Es gelang den Profiteuren dieser Entwicklung aber, bis heute einen fatalen Trend aufrechtzuerhalten: Die Emissionen fallen trotz der Erkenntnisse und der immer deutlicheren Zeichen der Klimaveränderung nicht, sondern sie steigen immer weiter an. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Erlösquellen der Fossilbranchen noch stärker sprudeln lassen.

All diese Gewinne sind um Größenordnungen zu hoch, denn die Konzerne werden weiterhin nicht annähernd angemessen zur Kasse gebeten, um die durch ihre Geschäftsmodelle verursachten Schäden zu kompensieren. Ein konkretes Zahlenbeispiel aus dem Bereich Stromerzeugung: RWE verdiente nach eigenen Angaben mit der Braunkohleverstromung im Jahr 2018 drei Cent pro Kilowattstunde. Die Gesundheits- und Umweltschäden durch die gleiche Menge Braunkohlestrom schätzte das Umweltbundesamt zu dieser Zeit auf 19 Cent pro Kilowattstunde.40

Es lässt sich klar beziffern, wie viele Tonnen CO₂ bei der Verfeuerung von Steinkohle, Braunkohle, Heizöl oder Benzin freigesetzt werden, und jede Tonne CO₂ richtet gleich viel Schaden an. Das Umweltbundesamt ging im Jahr 2022 von Schäden im Gegenwert von 809 Euro pro Tonne Kohlendioxid aus.41 Also müsste eigentlich jede Tonne mit einer Steuer belegt werden, die diese Schäden – wenigstens teilweise – einpreist. Doch weder die CO₂-Preise für Emissionszertifikate am Markt noch die deutsche CO₂-Steuer bewegen sich auch nur annähernd in dieser notwendigen Größenordnung. Zitat aus dem gerade erwähnten Bericht des Umweltbundesamtes von 2023: »Im Jahr 2021 betrugen die Umweltkosten in den Bereichen Straßenverkehr, Strom- und Wärmeerzeugung mindestens 241 Milliarden Euro. Eine ambitionierte Umweltpolitik senkt diese Kosten und entlastet damit die Gesellschaft.« Letzteres geschieht aber nicht: Energie- und Stromsteuer zusammen erbrachten laut dem Finanzbericht des Bundesfinanzministeriums im Jahr 2022 zusammengerechnet etwa 43 Milliarden Euro.42 Die gesamten Steuereinnahmen des Jahres 2022 beliefen sich demnach auf gut 356 Milliarden Euro. Die Schäden, die fossile Geschäftsmodelle verursachen, entsprechen also etwa zwei Drittel der gesamten Steuereinnahmen unseres Landes.

Nach Ansicht von manchen soll der Markt das regeln, was er aber nicht tut. Der Handel mit CO₂-Zertifikaten funktioniert weiterhin unzureichend und umfasst auch weiterhin nicht alle Branchen und Sektoren – es gibt viel zu viele Schlupflöcher. CO₂-Erzeugung ist deutlich zu billig. Die Weltbank, nicht als ökoradikale Organisation bekannt, hat eine sogenannte High Level Expert Group eingesetzt, geleitet unter anderem von Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Diese Kommission kam schon 2017 zu dem Schluss, dass der Preis für eine Tonne CO₂, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, »mindestens 40 bis 80 US-Dollar je Tonne CO₂ bis 2020 und 50 bis 100 Dollar je Tonne CO₂ bis 2030« betragen müsse. Dazu sei allerdings ein »unterstützendes Politikumfeld« nötig.43

Das heißt, man müsste es beispielsweise klüger anstellen als Frankreich, das versuchte, mit Einnahmen aus seiner CO₂-Steuer Haushaltslöcher zu stopfen, statt sie in alternative Mobilität, erneuerbare Energien und sozialen Ausgleich zu investieren. Von den 34 Milliarden Euro, die Emmanuel Macrons CO₂-Steuer 2018 erlösen sollte, waren letztlich nur 7,2 Milliarden für Umweltschutzmaßnahmen vorgesehen.44 Natürlich kann dieses Modell nicht funktionieren, wenn am Ende die Ärmsten die größte Last tragen. In einer Demokratie kann man die notwendigen Änderungen nicht maßgeblich zulasten breiter Wählerschichten finanzieren, während man die eigentlichen Profiteure fossiler Geschäftsmodelle ungeschoren lässt. Die Behauptung »CO₂-Steuer erzeugt Gelbwesten«, in der Debatte um CO₂-Abgaben immer wieder vorgebracht, ist einfach falsch. Es geht auch anders: Man muss den Leuten das Geld eben auf anderem Weg zurückgeben, dann erzielt man die gewünschte Lenkungswirkung, ohne soziale Verwerfungen zu erzeugen. Das aber wäre ja Umverteilung – und das wollen die »Gelbwesten«-Warner in der Regel auch nicht.

Das Soziale ist aber gar nicht das zentrale Argument der Gegner einer CO₂-Steuer oder des Emissionshandels. Gerade Vertreter der Parteien, die sonst die Macht und Weisheit der Märkte feiern, sind gegen eine saubere marktwirtschaftliche Lösung in diesem Zuzsammenhang. In den USA wurde ein CO₂-Preis, der 2009 sogar schon das Repräsentantenhaus passiert hatte, am Ende doch stillschweigend beerdigt. Dafür gesorgt hatte vor allem der mächtigste Fossillobbyist, den die USA bislang hervorgebracht haben: Charles Koch.

Diverse europäische Länder zeigen, dass es auch anders geht. Die Schweiz und Liechtenstein hatten 2023 die höchsten CO₂-Steuersätze, 120,16 Euro pro Tonne, gefolgt von Schweden mit 115,34 und Norwegen mit 83,47 Euro.45 Die Schweden haben auf einem deutlich niedrigeren Niveau angefangen, aber eben schon 1991 – auch damals war ja schon klar, dass CO₂ die Atmosphäre erhitzt. Ein Fachmann für das schwedische Modell, der Göteborger Professor für Umweltwirtschaft Thomas Sterner, führt den gewaltigen Erfolg seines Landes – Schwedens Pro-Kopf-Emissionen sind die zweitniedrigsten aller EU-Staaten46 – nicht zuletzt auf einen wichtigen Umstand zurück: »Es gibt in Schweden keine nennenswerte Anti-Klima-Lobby.«47 In Deutschland gibt es sie offenbar schon. Und in den USA erst recht. Wir können die größten Profiteure der Katastrophe mittlerweile nämlich klar benennen: Es sind gar nicht nur Öl-, Gas- und Kohlekonzerne und mit ihnen verbundene Industrien (wie etwa die chemische), es sind auch deren Finanziers. Zehn Banken, Finanzdienstleister und Staaten besitzen einer wissenschaftlichen Publikation zufolge gemeinsam die Rechte an fast 50 Prozent aller fossilen Brennstoffvorräte in privatwirtschaftlicher Hand:48

Blackrock (US-Finanzdienstleister)

Vanguard (US-Finanzdienstleister)

Die indische Regierung

State Street (US-Finanzdienstleister)

Saudi-Arabien

Dimensional Fund Advisors (US-Finanzdienstleister)

Life Insurance Corporation (indische Versicherungsgruppe)

Norges Bank (Zentralbank Norwegens)

Fidelity Investments (US-Finanzdienstleister)

Capital Group (US-Finanzdienstleister)

Die Kapitalinteressen dieser Top Ten – und aller anderen auf der Liste, die sie anführen – stehen im Widerspruch zum Fortbestand der menschlichen Zivilisation. Dass die Buchstabenkombination »US« in dieser Liste sehr oft auftaucht, ist selbstverständlich kein Zufall – und es dürfte zwischen diesem Umstand und der Tatsache, dass in den USA der Supreme Court gerade dabei ist, elementarste Umweltregeln außer Kraft zu setzen, einen Zusammenhang geben.

Die Autoren der Studie stammen aus Kanada, Neuseeland und Frankreich. Einer davon, Alain Naef, arbeitet für die Banque de France, die französische Zentralbank. Die Studie enthält deshalb den Hinweis, dass sie »nicht die Meinungen der Banque de France oder des Eurosystems« repräsentiere. Dass Europa auf der Liste nur in Gestalt des Nicht-EU- und Nicht-Euro-Landes Norwegen auftaucht, ist aber ein Faktum. Dabei enthält die Studie nicht nur Tatsachen, sondern auch Meinungen. Diese hier zum Beispiel: »Es erscheint unwahrscheinlich, dass das Finanzsystem die transformativen Veränderungen mittragen wird, die notwendig sind, um auf die Klimakrise zu reagieren, wenn es nicht dazu gebracht wird.« Es sei nötig, Investoren zur Rechenschaft zu ziehen, wenn sie die nötige Transformation behinderten oder bremsten. Das ist nicht optional, es ist überlebenswichtig.