Marcus - Tribun Roms. Schicksal an Mosel und Rhein. - Michael Kuhn - E-Book

Marcus - Tribun Roms. Schicksal an Mosel und Rhein. E-Book

Michael Kuhn

4,9
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 356 n.Chr. Wo die "Pax Romana" Jahrhunderte lang Sicherheit und Wohlstand garantiert hatte, herrschen Chaos und Auflösung. Seit vier Jahren setzten fränkische und alemannische Scharen über den Rhein, haben die Grenzarmeen zerschlagen und Köln, die Kapitale am Rhein, erobert. Um der Lage Herr zu werden, hat der Imperator Constantius II. seinen Vetter Julian als Stellvertreter und Cäsar des Westens an den Brennpunkt des Geschehens entsandt. Marcus Junius Maximus, jüngst zum Tribun ernannt, steht vor der Bewährungsprobe seines Lebens. Dunkle Schicksalsmächte und ein erbarmungsloser Feind treiben ihn durch die Provinzen an Rhein und Mosel. Angegriffen von fränkischen Plünderern führt er seine Truppen durch den Hunsrück an den Rhein. Dort muß sich seine Liebe zur schönen Alemannin Bissula gegen alle Widerstände beweisen und er sieht sich unversehens in den großen politischen Skandal jener Tage, der Ursupation des Silvanus, verwickelt. Große Geschichte wird in seinem Beisein geschrieben, als Cäsar Julian zu seinem Siegeszug antritt und die Grenze am Rhein ein letztes Mal für das Imperium zurückgewinnt. An den Roman schließt der Teil "Spurensuche" an, in dem der Leser eingeladen wird, die Handlungsorte der Geschichte aufzusuchen und sich ein Bild der römischen Provinzen im Nordwesten des Imperiums zu machen. Der Autor überzeugt mit einem hohen Grad an historischem Sachverstand und einer lebendigen Sprache, die seine Werke zu einem Lesevergnügen machen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 724

Bewertungen
4,9 (16 Bewertungen)
14
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ammianus-Verlag

Das römische Germanien im Vierten Jahrhundert

Antunacum – Andernach

Aquae Mattiacorum – Wiesbaden

Aquis – Aachen

Beda – Bitburg

Belgica – Euskirchen-Billig

Belginum – Morbach-Wederath

Bingium – Bingen

Bodobrica – Boppard

Bonna – Bonn

Burungum – Haus Bürgel (Monheim)

Colonia – Köln

Confluentes – Koblenz

Coriovallum – Heerlen (NL)

Dumnissus – Kirchberg

Durnomagus – Dormagen

Gelduba – Krefeld-Gellep

Icorigium – Jünkerath

Juliacum – Jülich

Megina – Mayen

Mogontiacum – Mainz

Novaesium – Neuss

Noviomagus – Neumagen

Rigomagus – Remagen

Tolbiacum – Zülpich

Treveris – Trier

Tricensima – Xanten

Varnenum – Aachen-Kornelimünster

Villa Mons Argentarius – Römervilla, Ahrweiler

Logana – Lahn

Mosella – Mosel

Rhenus – Rhein

Idar – Idarwald, Hunsrück

Montes Taunensium – Taunus

Silva Arduenna – Eifel

Der Autor

Michael Kuhn M.A., Jahrgang 1955, studierte in Aachen Geschichte und Politische Wissenschaften. Im Anschluss war er in unterschiedlichen historischen Projekten involviert und organisierte in eigenen Unternehmen geschichtliche Events. Zurzeit arbeitet er neben seiner Tätigkeit als Autor in der Archöologie.

Das Anliegen, bei seinen Mitmenschen Interesse und Verständnis für die faszinierende Welt der Geschichte zu wecken, durchzieht seine bisherige Vita wie ein roter Faden.

So steht der vorliegende Band am Beginn einer Buchreihe, die den Leser mit Spannung und Information auf eine Zeitreise in die aufregendsten Epochen unserer Vergangenheit mitnimmt.

Zurzeit schreibt Michael Kúhn an der Fortsetzung der abenteurerlichen Lebensgeschichte des römischen Offiziers Marcus Junius Maximus.

Michael Kuhn

Marcus - Tribun Roms

Band II

Impressum

Zweite Auflage 2012

Copyright©by Michael Kuhn Ammianus Verlag Aachen Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, Tonträger jeder Art, fotomechanische Wiedergabe und auszugsweisen Nachdruck sind vorbehalten.Soweit durch Hinweis oder Verlinkung auf andere Websites zusätzliche Informationen zugänglich gemacht werden, erfolgt hiermit der Hinweis darauf, dass keine Inhaltskontrolle stattfindet und jegliche Haftung für den Inhalt dieser Seiten ausgeschlossen ist. Umschlagsgestaltung und Kartenerstellung: Thomas Kuhn Zeichnungen: Hannelore Kuhn Fotos: Michael Kuhn, Dr. Sibylle Friedrich, Berthold StaudtE-Book-Gestaltung: Michael Mingers

Ebook-ISBN: 9783945025147

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich all denen Dank sagen, die an der Entstehung des Buches ihren Anteil hatten.

Thomas Kuhn bearbeitete das Fotomaterial, erstellte die Karten und gab dem Cover seine künstlerische Gestalt. Hannolore Kuhn erstellte die Zeichnungen zum Buch.

Heike Breimes, Sabine und Torsten Goesch, Kerstin Juchem, Hannelore Kuhn, Rainer Schulz, Tanja Baumgart, Katja Salewski, Tatjana Heuss, Lars Neger, Peter Henrich und Ines Groh­mann wurden nicht müde, durch wiederholtes Lesen viel zum Gelingen des Buches beizutragen.

Danken möchte ich zum Schluss all denen, die mich wissenschaftlich beraten und mit wertvollem Material zur Provinzialrömischen Geschichte unterstützt haben:

Dr. Peter Henrich, Geschäftsführer der Deutschen Limeskommission, Bad Homburg

Dr. Rosemarie Cordie, Archäologiepark Belginum, Morbach-Wederath

Dr. Marion Witteyer, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie Mainz

Dr. Sebastian Ristow, Köln, für Informationen zum spätantiken Köln

Dr. Hubertus Ritzdorf, Museum Römervilla, Ahrweiler

Dr. Hans-Jürgen Sarholz, Kur- und Stadtmuseum Bad Ems

Dr. Cliff A. Jost, Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie, Aussenstelle Koblenz

Dr. Cornelius Ulbert, für Informationen zum römischen Bonn

Jörg Busch, Geschäftsführer Vulkanpark GmbH, Koblenz

Kurt Kleemann, Römisches Museum Remagen

Frank Brünninghaus, Direktion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Direktion Landesarchäologie, Aussenstelle Koblenz zur Grabung in Andernach

Dr. Annekathrin Kordel, Projektleiterin „Straße der Römer“, Trier

Ines Grohmann M.A., Köln, für Informationen zum römischen Dormagen

Michael Hohmeier, Monheim, für Informationen zum Haus Bürgel

Vom VAT in Mayen Dr. Holger Schaaff, Dr. Angelika Hunold, Antonia Glauben M.A., Dr. Stefan Wenzel, Dr. Lutz Grunwald und Dr. Sabine Rick

Mein besonderer Dank gilt Dr. Sibylle Friedrich, VAT Mayen, für ihre allgemeine Unterstützung, der Stellung von Fotomaterial und Informationen über das römische Remagen

Berthold Staudt, Morbach, für die Überlassung von Fotomaterial

Sollte ich jemanden an dieser Stelle nicht bedacht haben, so bitte ich dieses zu entschuldigen.

Für Ines und Kerstin

Dramatis Personae

Marcus Junius Maximus– römischer Tribun und Herr der Villa Vineta

Bissula– eine Alemannin aus dem Taunus

Ulf– ein fränkischer Krieger

Flavius Claudius Julianus* – der Caesar des Westens und spätere Kaiser

Sextus Pomponius– Offizier der kaiserlichen Leibwache

Charietto* – Tribun fränkischer Abstammung und Anführer einer Spezialeinheit

Severus* – Magister Equitum, Reitergeneral

Germanus– Reiteroffizier alemannischer Abstammung, Bissulas Vetter

Rufus– Soldat mit fränkischer Wurzeln

Sextus Balbus– Centurio aus Divodurum

Gaius Aelius Viatorinus– Kommandant der Festung Noviomagus. Verschwörer

Ursicinus* – Magister Militum, General. Verschwörer

Martinus* – christlicher Tribun. Verschwörer

Ammianus Marcellinus* – Geschichtsschreiber. Verschwörer

Silvanus* – Statthalter der Germania Secunda, selbsternannter Kaiser. Ermordet

Serena– Römerin, Witwe des Silvanus

Clodius– Sohn des Silvanus, acht Jahre

Hariobaud– Anführer der alemannischen Bukinobaten

Makrian* – alemannischer Teilkönig, Herr über den Dünsberg

Rando* – alemannischer Häuptling

Hatto– Dorfvorsteher eines fränkischen Dorfes an der Lahn

Veleda– Priesterin und Seherin an der Lahn

Bauto– Teilkönig der Rheinfranken

Barbatio* – Magister Peditum, General und designierter Statthalter Niedergermaniens

Gaius Verus– Wirt der Taverne „Zum glücklichen Ubier“ in der Colonia

Regulus– Beauftrageter des Statthalters von Mogontiacum

Drusilla– riesterin der Mater Magna in Mogontiacum

Galerius– Verwalter der Villa Vineta, Freund von Marcus

Flavia– junge Alemannin in der Villa Vineta

* Historische Persönlichkeiten

Prolog

Es geschah im 18. Jahr der Herrschaft des Imperators Constantius II., als die Provinzen im Nordwesten des Imperiums unter dem Ansturm von Franken und Alemannen zu zerbrechen drohten.

Mit Donner und Hagel hatte ein Spätsommertag im September sein Ende gefunden. Eiskörner groß wie Schleudergeschosse aus Blei waren auf die Provinzhauptstadt am Rhenus herab gefallen und hatten unter ihrem Aufprall manchen Dachziegel zersplittern lassen. Bruchstücke aus rotem Ton, von den Bäumen hinunter gefegte Blätter und Klumpen aus schmelzendem Eis bedeckten Straßen und Plätze der Colonia, die sich spärlich mit Menschen füllten. Voller Angst blickten sie zum Himmel, ob sich der Zorn der Götter ausgetobt hatte.

Es ging auf die neunte Abendstunde zu, und im Dämmerlicht der einbrechenden Nacht peitschte eine Sturmbö über Stadt und Fluss, dass sich die Wogen des Rhenus mit Schaumkronen bedeckten. Die im Hafen vor Anker vertäuten Kähne und Lastschiffe krachten gegen die Holzbohlen des Uferkais.

Im Windschatten eines Mauervorsprungs neben dem mittleren Rhenustor, unweit des Tempels des Mars, rückten zehn Männer eng zusammen, um dem Toben des Sturmes keine Angriffsfläche zu bieten. Wenn sie sich bewegten, konnte man unter ihren eng um die Körper gewickelten Mänteln die Spitzen von Speeren und Lanzen aufblinken sehen. Gebannt starrten sie auf eine dreißig Schritt entfernte Pforte, die an dieser Stelle den Zugang zur Aula Regia und dem dahinter liegenden Prätorium ermöglichte.

„Viatorinus, läuft es ab wie besprochen?“, dräute die Stimme eines dunkelbärtigen Hünen mit kurz geschnittenem Schwarzhaar. Unter seinem rostroten Soldatenmantel, den eine schwere Goldfibel an der Schulter schloss, kamen der Griff einer Spatha und die Eisenringe eines Kettenpanzers zum Vorschein. Die Narbe eines Schwerthiebes entstellte die rechte Wange des Ursicinus, der als Magister Peditum et Equitum den Oberbefehl über die Truppen des Bewegungsheeres der gallischen und germanischen Provinzen auf sich vereinigte. Ein Mann ohne Rücksichten, der sich durch Loyalität, Tapferkeit und List vom einfachen Legionär bis an die Spitze der römischen Armee empor gekämpft hatte.

„Wie besprochen“, drehte der Angesprochene dem Ursicinus das Gesicht zu und funkelte aus schwarzen Augen seinen Vorgesetzten in stummer Aufbegehrung an.

Das dunkle Haupthaar des Viatorinus, Kommandant der Festung Noviomagus, durchzogen erste graue Strähnen. Zusammen mit den buschigen Brauen und den energischen Linien um Kinn und Mund verliehen sie dem Offizier ein verwegenes Aussehen. Unterstützt durch den geraden Schwung der Nase, den hohen Wangenknochen und einer breitschultrigen Statur, war er das Idealbild eines Römers, wie es in den Tagen eines Hadrian oder Marc Aurel die Künstler in Marmor meißelten.

„Wenn sich Ulf, der Führer der Palastgarde, an die Absprache hält, muss er in wenigen Augenblicken aus der Pforte heraus treten, um den Lohn für seinen Verrat entgegen zu nehmen.“ Zur Unterstreichung seiner Worte zog Viatorinus einen Lederbeutel unter dem Umhang hervor, der prall gefüllt schien. Durch die Bewegung stießen die Münzen im Innern aneinander, und ein leicht gedämpftes Klirren ließ auf Gold und Silber schließen.

„Steck das weg, und du Martinus, lass das bleiben“, fauchte Ursicinus einen anderen Mann an, der an einer kleinen Eisenlampe eine Fackel entzünden wollte.

„Wir müssen nicht früher als nötig auf uns aufmerksam machen“.

Eingeschüchtert ließ Martinus, ein untersetzter, junger Tribun mit gelocktem Blondhaar und jungenhaften Gesichtszügen die Fackel sinken und schloss die Öffnung der Handlampe, so dass kein Lichtstrahl in den Abend dringen konnte.

Der Blick des Ursicinus wanderte über die Gruppe und blieb am schmalgesichtigen Antlitz eines düster wirkenden Syrers hängen, der nervös an seiner Unterlippe kaute.

„Achte auf jede Einzelheit, Ammianus“, raunte er dem kleinen Mann zu, der mit einem Nicken zustimmte. „Der Imperator erwartet einen detaillierten Bericht über alles, was hier geschieht. Jedes Detail, hörst du, absolut jedes. Du weißt, wie misstrauisch Constantius sein kann!“

Ein Lächeln huschte über die Gesichtszüge des Syrers, während er die an einem Lederriemen über der Schulter hängenden Tasche berührte, die seine Schreibutensilien enthielt.

Tat er gut daran, seine Männer so kurz zu halten? Ein bitterer Zug umspielte die Gesichtszüge des Magister Militum, als er sich räusperte und auf das Straßenpflaster zu seinen Füßen spuckte.

Sie waren hier, um zu töten, und dabei durfte nichts geschehen, was das Unternehmen gefährden konnte.

In seinem Kopf ging er noch einmal alles durch, was ihn an diesen Ort geführt hatte. Er war zu Constantius nach Mediolanum befohlen worden, der ihn mit wächsernem Antlitz empfing. Er erfuhr, dass sich Silvanus, Magister Militum und Statthalter der Germania Secunda, in der Colonia zum Imperator erhoben hatte.

„Töte Silvanus“, hatte Constantius ihm zugeraunt, als befürchtete er, in seinem eigenen Palast belauscht zu werden.

Er hatte darauf seine besten Männer nach Mogontiacum befohlen und sich mit ihnen vor einer Woche getroffen. Dann waren sie, getarnt als offizielle Gesandtschaft des Constantius, mit einem Schnellruderer in die Provinzhauptstadt Niedergermaniens gefahren. Silvanus war auf die Posse einer vertraglichen Regelung der Angelegenheit herein gefallen und hatte ihn und seine Männer mit Freundlichkeit empfangen, während er fieberhaft nach einer Möglichkeit suchte, den Befehl des Constantius auszuführen.

Viatorinus hatte sich in der Zwischenzeit in einer Taverne bei Wein und Bier an Ulf, den Befehlshaber der Leibwache, herangemacht und dessen Schwachstelle gefunden. Der Hitzkopf hasste seinen Herrn, und es war ein leichtes gewesen, ihn mit Gold zu bestechen.

Was ging es ihn an, dass gemunkelt wurde, Ulf sei ein Neffe des Silvanus und in dessen Frau Serena verliebt.

Ein Lächeln umspielte die Lippen des Magisters, der den Statthalter Roms am Rhenus immer gehasst hatte. Der Mann war ein Emporkömmling, ein halber Franke, dessen Vater zu den Legionen übergelaufen war und in Gallien Karriere gemacht hatte. Den Makel seiner Herkunft hatte Silvanus durch seine Heirat mit der kapriziösen Römerin Serena zu überdecken versucht, die ihn nur seines Geldes und seiner gesellschaftlichen Stellung wegen erhört hatte. Ihre Familie hatte in den Wirren um die Nachfolge des großen Constantinus auf die falsche Seite gesetzt und Ansehen und Vermögen verspielt.

Serena, die ihrem Gatten, wann immer sich die Möglichkeit bot, Hörner aufsetzte, blieb nicht der einzige Fehler des Silvanus. Eine Intrige am Kaiserhof gegen seine Person, die er mit ein wenig Verstand und Geduld hätte ausräumen können, trieb ihn voller Panik zu dem verhängnisvollen Entschluss, genau das zu tun, was man ihm unterstellte. 28 Tage waren es her, dass er sich hier, in der Aula Regia, den Purpur eines Imperators umlegen ließ.

Wieder streifte sein Blick die Männer, die mit ihm gekommen waren, den Nebenbuhler und Konkurrenten auszuschalten. Gute Offiziere und zuverlässige Mannschaften, ausnahmslos Protectores Domestici, Gardesoldaten des Imperators. Nur Martinus bereitete ihm Sorgen. Der junge Tribun war tüchtig, wurde aber zu oft von Skrupeln über sein Tun und Handeln als Soldat und Offizier befallen. Ursicinus hatte nichts gegen Christen, denn es gab gute Soldaten unter ihnen, aber im Fall von Martinus verhielt es sich anders: Seit seinem Übertritt zum Gott der Nächstenliebe und Barmherzigkeit hatte er begonnen, seine Pflichten zu vernachlässigen.

„Es geht los“, wurde Ursicinus von Ammianus in seinem Gedankengang unterbrochen, der mit der Rechten auf die Pforte wies, die sich einen Spalt geöffnet hatte. Ein Lichtstrahl drang in die Dunkelheit hinaus. Die Tür schwang auf und im Lichtkegel wurde der Schatten eines Mannes sichtbar, der gleich darauf auf das Straßenpflaster hinaus trat. Mittelgroß und in Waffen musterte der Mann rechts und links die Umgebung, bis er die Gruppe am Rhenustor erblickte und vorsichtig einige Schritte näher kam.

„Das ist Ulf“, sagte Viatorinus, ohne seinen Blick von der Gestalt zu wenden, die vor ihnen verharrte.

„Geh zu ihm und bring ihn her“, klang die Stimme des Ursicinus seltsam gepresst.

Gespannt verfolgten die Männer, wie Viatorinus zu dem Franken ging, kurz mit ihm sprach und mit Ulf zurückkehrte.

Wenige Schritte vor Ursicinus blieb Ulf stehen und legte eine Hand an den Griff seiner Spatha. Das dunkle Haupthaar fiel dem gerade zwanzigjährigen Franken ins Gesicht und verdeckte zum Teil eine große Narbe, die sich über Stirn und Wange zog. Misstrauisch funkelten seine stechend dunklen Augen den Magister Militum an.

„Was ist mit der Leibwache?“, presste Ursicinus heraus, was Ulf nicht zu beeindrucken schien und sogar ein Grinsen abverlangte.

„Hat der große Heerführer Angst, in eine Falle gelockt zu werden?“ spottete er und trat einen Schritt heran.

Voller Zorn zog Ursicinus seine Spatha zur Hälfte aus der Scheide, stieß die Klinge aber augenblicklich wieder zurück.

„Wenn du uns betrügst, bist du sofort tot, Ulf“, drohte er dem Franken, der zurückwich und die Arme vor der Brust verschränkte.

„Wenn ich meinen Lohn erhalten habe, gebe ich ein Zeichen und ihr könnt das tun, weshalb ihr gekommen seid.“

„Gib ihm den Beutel“, wand sich Ursicinus an Viatorinus, „aber der Franke bleibt hier, bis die Wache abgezogen ist.“

Ulf nickte zustimmend, während er den Beutel in der Hand wog und Genugtuung seine Gesichtszüge erhellte. Er blickte zur Pforte, wo ein weiterer Schatten sichtbar wurde, welchem er mit der erhobenen Rechten ein Zeichen gab.

Der Schatten verschwand, aber wenige Augenblicke später verließ die Leibwache des verratenen Imperators das Gebäude.

„24, 25, 26“, zählte Viatorinus. „Das sind alle, Ursicinus, der Franke hat Wort gehalten.“

Voller Spannung beobachteten die Männer, wie die Soldaten der Leibwache an ihnen vorbeizogen und in der nächsten Querstrasse den Blicken entschwanden.

„Mit den Göttern und für den Imperator Constantius“, rief der Magister Militum und zog seine Spatha aus der Scheide, so dass die Klinge im Licht der angezündeten Fackeln aufblitzte.

„Eines noch“, versperrte Ulf dem Ursicinus den Weg. „Ihr habt versprochen, Serena, die Frau des Silvanus, und ihr Kind Clodius zu schonen.

„Silvanus wird sterben, seine Hure und das Balg mögen weiterleben“, schob er den Franken zur Seite und schritt in Richtung der offen stehenden Pforte.

Viatorinus, Ammianus und die übrigen Männer berührten schnell ein Amulett oder einen sonstigen Schutzzauber unter ihrer Rüstung, ließen die hinderlichen Mäntel fallen, zogen die Waffen und eilten hinter dem Magister her, während Martinus das Zeichen des Kreuzes schlug und ihnen mit einigem Abstand folgte.

Ulf wartete, bis die Männer in der Pforte verschwunden waren, warf einen letzten Blick auf den am Boden liegenden dunklen Haufen der Mäntel und eilte zum Rhenustor. Statt, wie abgesprochen an den Ort, an dem er seine Kameraden von der Leibgarde treffen sollte.

„Sie werden ohne das versprochene Geld auskommen müssen“, dachte er grimmig. Er stemmte sich gegen einen Flügel des Tores, der unter seinem Druck nachgab und knarrend aufschwang, wofür er vorher gesorgt hatte.

Ulf rannte an den grauen Klötzen der Lagerhallen vorbei auf den Schiffsanleger zu, wo ein locker vertäuter Kahn mit Rudern auf ihn wartete. Angekommen, warf er den schweren Beutel mit den Münzen, seine Waffen und den Mantel in das Boot, sprang hinterher und stieß das Gefährt vom hölzernen Hafenkai ab. Nur wenige Ruderschläge, dann erfasste ihn die Strömung und trieb ihn flussabwärts.

Er sah in der Ferne die erleuchteten Fenster von Regia und Prätorium, hinter denen sein verhasster Onkel gerade sein Leben unter den Klingen der Mörder lassen musste. Ulf spürte weder Scham noch Reue, sollten sich die Römer und alle ihre Freunde doch gegenseitig umbringen. Je mehr, desto besser. Einzig das Schicksal Serenas bereitete ihm Sorgen, und sein Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als er an die geliebte Frau dachte.

„Wird sie mich noch haben wollen, wenn das hier alles vorbei ist?“

Aber ihm blieb keine andere Wahl, als für eine Weile zu verschwinden. Silvanus hatte auch Freunde unter den Franken, die seinen Tod bedauern würden und vielleicht auf Rache sannen. Am besten wäre es, seinen Lohn an einem sicheren Ort zu verbergen und sich dann einer der Plünderungsbanden anzuschließen, die im Hinterland des Feindes operierten.

Inzwischen waren die Männer um Viatorinus einen Gang entlang geeilt, auf dessen Wänden das Licht der Fackeln bizarre Figuren tanzen ließ. Sie hatten mit Gewalt eine Türe aufgestoßen und standen nun mit gezogenen Waffen am Ende der großen Audienzhalle, die nur spärlich vom Licht weniger Öllampen erhellt wurde.

Im Nu hatte der ehemalige Statthalter und neue Imperator Silvanus die Gefahr erkannt, die von der Gruppe ausging, die in den Saal hinein strömte. Der dickliche, untersetzte Mann in den Fünfzigern, dem das schüttere, weiße Haar in die Stirn fiel, sah mit Entsetzen die gezückten Schwerter und die auf ihn gerichteten Speere und Arcoballisten.

Sofort schob er einen aus der ihn umgebenen Gruppe von Männern, die alle in weiße Togen oder protzige Dalmatiken gekleidet waren, in die Wurfbahn eines auf ihn geworfenen Mattiobardulus. Die Waffe zischte heran und fuhr dem Mann mit einem dumpfen Aufprall in die Brust. Blut spritzte auf, als der Höfling zu Boden ging und ohne einen Laut von sich zu geben, unter Zuckungen verschied.

Silvanus raffte seine blutbefleckte Toga und eilte durch die nächste Türe, die er mit einem Krachen hinter sich zuschlug, während sich einige seiner Höflinge beherzt der Gruppe der Attentäter in den Weg stellte. Es waren nur wenige Augenblicke, die sie für ihren Gebieter gewannen, bis sie alle abgeschlachtet waren. Verzweifelt nach einem Ausweg suchend und vergeblich nach seiner Leibgarde brüllend, hetzte der dem Tod geweihte Imperator durch die Gänge und Zimmerfluchten des angrenzenden Prätoriums. Außer Atem gelangte in seine Privatgemächer.

Serena, die der Lärm aufgeschreckt hatte, stand in der Mitte seines Arbeitsraumes und presste ihren gemeinsamen Sohn an sich, der voller Angst zu seiner Mutter geflüchtet war und sich in ihr Kleid krallte.

Silvanus gebot ihr mit einer Handbewegung zu Schweigen und verbarg sich hinter einem Vorhang in einer Nische, als die gegenüber liegende Türe aufgestoßen wurde und Männer mit Waffen in den Raum strömten.

Serena presste den Kopf des achtjährigen Jungen an ihre Brust, da er nicht sehen sollte, was jetzt geschehen würde und wies mit einer Bewegung ihres Kopfes auf die Stelle, an der ihr Mann sich verborgen hatte.

Einer der Männer riss den Vorhang zur Seite, während der Bol­- zen einer Arcoballista durch die Luft zischte. Ohne zu treffen knallte dieser gegen die Marmorverkleidung der Wand, eine fingerdicke Scharte hinterlassend. Ein anderer schlug mit seiner Spatha zu und traf den Imperator am linken Arm. Blut spritzte auf die Platten des hellen Marmorbodens, aber irgendwie gelang es Silvanus, in dem Durcheinander die Türe zu erreichen, heraus zu schlüpfen und die schwere Pforte hinter sich zu verriegeln. Gedämpft hörte er die wütenden Schreie der Eingeschlossenen, die mit allem, was sie in den Händen hielten, gegen die Türe schlugen.

Silvanus erreichte über einen weiten Flur das Eingangsportal des Prätoriums und hetzte in das Dunkel der Nacht hinaus, während die Tür seines Arbeitsraumes unter den Schlägen der Verfolger zerbarst und die Meute hinter ihm herjagte.

Er warf die hinderliche Toga mit den kaiserlichen Purpurstreifen auf das Straßenpflaster, presste den verletzen Arm an die Brust und jagte, nur noch mit Untertunika und einem Ledergürtel bekleidet, dem Cardo Maximus, der Hauptstraße zwischen Nord- und Südtor, entgegen. Im Licht einer Ölflamme, die in einem Bronzebecken vor einer Taverne trübes Licht verströmte, blitzte für einen Augenblick die Goldschnalle seines Gürtels auf. Das Abbild einer sich windenden Schlange, deren Augen aus Smaragden gearbeitet waren.

Die Schreie der Verfolger und ihre dumpfen Tritte auf dem Pflaster hinter sich, schlug Silvanus instinktiv an der nächsten Straßenkreuzung den Weg zur Bischofskirche ein, der parallel zum Cardo auf einen Rundturm der nördlichen Stadtmauer zulief. Selbst wenn Constantius seinen Tod befohlen hatte, würde der christlichste aller Kaiser es nicht dulden, dass er in einer Kirche getötet würde.

Schwerfällig wurde der Lauf des fetten Mannes, und die Verfolger gewannen an Boden, als er den Kirchenbau nahe des Nordtores vor sich sah. Er sah Licht im Innern und hastete nach rechts, am Kirchenschiff entlang. Sein Atem rasselte und das Blut rauschte pulsierend in seinen Ohren, als er endlich an der Umfassungsmauer vorbeigekommen war und neben der Front der Taufkapelle eine geöffnete Pforte fand. Kurz drehte er den Kopf nach seinen Verfolgern, die bis auf zwanzig Schritte herangekommen waren. Er zwang den versagenden Körper weiterzulaufen, stolperte zwei kleine Treppen empor, strauchelte kurz, fing sich und lief auf das Kirchenportal zu. Die Türflügel standen weit offen und Kerzenlicht und der Gesang von Gläubigen, die eine Messe feierten, drang aus dem massigen Gebäude nach außen.

Die Todesangst verlieh ihm noch einmal letzte Kräfte, und er quälte sich weiter, bis er vor der Kirchenschwelle stand. Noch ein, zwei Schritte, und er war gerettet.

„Nein“, schrie Martinus in die Nacht hinein, als er sah, wie einer aus der Gruppe seine Arcoballista auf den Flüchtenden anlegte, der gerade die Kirchenpforte erreicht hatte. „Um Gottes willen, das ist das Haus des Herrn. Tu es nicht.“

Es war töricht von Silvanus, sich auf den Ausruf des Martinus hin umzuwenden. Es war nur der Augenblick, den man für einen Wimpernschlag benötigt, aber er genügte. Mit einem hässlichen Krachen durchschlug der Bolzen die Brust des Silvanus und durchbohrte das Herz. Zu Tode getroffen stürzte der Imperator, der nur 28 Tage herrschen durfte, rücklings auf die Kirchenschwelle. Weder hörte er die Schreie der entsetzten Gläubigen, die nach allen Seiten auseinander stoben, noch spürte er die Speer- und Schwerterklingen der Mörder, die sich in seinen Leib bohrten.

Bewegungslos und stumm umstanden die Attentäter den zerfetzten Leichnam des Silvanus, bis Ursicinus sich herabbeugte und den Gürtel mit der blutbesudelten Goldschnalle aufhakte. Tückisch blitzten die grünen Smaragdaugen der sich windenden Schlange auf, als er den Gürtel an sich zog und Martinus zuwarf.

„Bring das Serena, damit du überhaupt zu etwas nütze bist. Fast hättest du es mit deinem albernen Geplärre verdorben. Nur einen Schritt zur Seite, anstatt sich umzuschauen, und wir hätten vor der Kirchentüre Halt machen müssen.“

Tränen der Scham und Reue rannen Martinus die Wangen herab, als er mit dem Gürtel in der Hand zum Prätorium zurückeilte. „Dieser Mord“, fuhr es ihm durch den Kopf, “wird er mich die Seligkeit und das Paradies kosten?“

Marsch der Tausend

Mein Name ist Marcus Junius Maximus, geboren auf dem väterlichen Weingut in der Nähe der Kaiserstadt Treveris im 14. Jahr der Herrschaft des großen Constantinus. Im Alter von neunzehn Jahren hatte ich meinen Dienst bei der ruhmreichen XXX. Legion in Tricensima angetreten, wurde in den Grenzkriegen mehrfach ausgezeichnet und zum ranghöchsten Centurio meiner Einheit befördert. Als Tribun und Freund des göttlichen Imperators Julian, dessen früher Tod ein neues Zeitalter verhinderte, war ich maßgeblich an dem blutigen Sieg über Franken und Alemannen und der Rückgewinnung der verlorenen germanischen Provinzen beteiligt.

Im ersten Teil meiner Erinnerungen schilderte ich, wie ich beim Fall der Festung Gelduba nur mit knapper Not dem Tod entging, in Aquis gesundete, dort meine geliebte Bissula kennen lernte und mich unter der Führung meines treuen Freundes Galerius durch die Silva Arduenna nach Hause durchschlug. Aber der Krieg war mir in die Heimat gefolgt und ich musste meinen Besitz gegen plündernde Barbaren behaupten. Siegreich im Kampf gegen die Eindringlinge wurde ich vom Statthalter zum Tribun befördert und mit dem Posten des stellvertretenden Vicarius der Festung Noviomagus betraut.

In Treveris führte mich das Schicksal mit meinem Todfeind, dem Franken Ulf zusammen, der mich an meinem goldenen Reif erkannt hatte. Dieser Armreif in Form einer sich windenden Schlange war mir als Kriegsbeute in einem Grenzgefecht zugefallen, bei dem sein Besitzer, der Vater Ulfs, gefallen war. Ich sollte erst später erfahren, dass sich ein mysteriöses Geheimnis an das Schmuckstück knüpfte und mich in Vorgänge verstrickte, die für mein weiteres Schicksal von entscheidender Bedeutung werden sollten. Ich ließ damals den jungen Ulf, der am Kampf teilgenommen hatte, aus Mitleid entkommen. Es sollte mir nicht gedankt werden. Seit unserem Wiedersehen stellte er mir nach und nur mit Glück und Geschick entging ich seiner Rache bis zu dem Zeitpunkt, als ich gezwungen war, mit ihm um den Schlangenreif auf dem Tempelberg zu Tabernae zu kämpfen. Ich siegte und wähnte meinen Todfeind in der Unterwelt, da er schwer verwundet in den Fluten der Mosella versunken war.

Jetzt setze ich meinen Bericht fort. Ich hatte mich von den Strapazen meiner Rückkehr an die Mosella erholt und meinen Posten in der Festung Noviomagus an der Seite meines Freundes und Waffengefährten Viatorinus angetreten. Nur wenige Wochen dauerte mein Dienst, als ein Befehl des göttlichen Julian alle verfügbaren Einheiten des Heeres nach Mogontiacum rief, um noch in diesem Jahr die Colonia, die Provinzhauptstadt der Germania Secunda, zurückzugewinnen.

Es war wenige Tage nach den Kalenden des August und die Sonne brannte aus einem wolkenlosen Himmel auf uns herab, wenn das Blätterdach der Bäume zurück trat und der Wald sich lichtete.

Um die achte Morgenstunde war unsere Marschkolonne von Noviomagus aufgebrochen und hatte gegen die Mittagszeit die Anhöhen des Idar erklommen. Wie ein riesiges Reptil hatte sich der Heereszug die Kehre der Straße empor gewunden, an deren Scheitelpunkt der Blick ins Tal fiel. Ein letztes Mal ragten am Ufer der Mosella die Spitzen der Türme, Dächer und Mauern der Festung aus dem Bodennebel, der auf den Fluten des Flusses lag.

Hoch zu Ross war ich als einer der Ersten mit der Vorhut aufgebrochen und war aus der Marschkolonne ausgeschert, um Viatorinus und Charietto zu mir aufschließen zu lassen.

Viatorinus, meinem Freund und Kampfgefährten aus alten Tagen, unterstanden als Vicarius der Festung Noviomagus die treverischen Kontingente unseres Heereszuges, während Charietto, dem schlachtenerprobten Haudegen und Anführer der legendären Wölfe als ranghöchster Tribun, der Oberbefehl übertragen worden war. Mir, als frisch ernanntem Tribun und Stellvertreter des Viatorinus, oblag die Aufgabe, Marschgeschwindigkeit und Zusammenhalt der Abteilungen zu koordinieren.

Ich hatte mein Pferd kurz hinter der Straßengabelung halten lassen, an der sich die Wege aus Treveris und Noviomagus trafen, um von dort vereint nach Mogontiacum zu führen. Um die Schmerzen im Rücken zu lindern, lehnte ich mich weit in den lederbespannten Holzsattel mit den charakteristisch hochgezogenen Enden zurück und lauschte den Geräuschen des Krieges.

Die Luft war erfüllt von dem leichten Grollen, das der schlurfende Schritt von hunderten genagelten Soldatenstiefeln, das Mahlen und Rollen der Lastkarren und das Klappern der Pferdehufe auf dem Kiesbelag der breiten Reichsstraße erzeugten.

Nicht in Paradeformation, aber doch im Verband der jeweiligen Einheit, zogen die Truppenteile an mir vorüber. Auf die Abteilungen aus Noviomagus und Divodurum folgte Kavallerie aus Beda, die ihre Pferde fluchend am Zügel führten. Die Tiere hatte der Anstieg erschöpft und mussten erst an größere Marschleistungen gewöhnt werden. Dahinter stapften die Wölfe des Charietto, erkennbar an dem Wolfskopf auf den Schilden und der individuellen Bewaffnung der Soldaten. Bis auf wenige Ausnahmen waren es Franken, Alemannen und Angehörige anderer Stämme jenseits des Rhenus. Sie kämpften mit dem, was sie am besten beherrschten. Ich sah die Franzisca, das gefürchtete Schlachtbeil der Franken, die lange Spatha der Alemannen und den Sax, das Kurzschwert der Stämme von der Küste des Nordmeeres, das im Nahkampf grässliche Wunden schlug. Charietto, jenseits des Rhenus als Franke geboren, hatte aus diesen Männern eine schlagfertige Truppe gebildet, die sich in den Wäldern im Kampf gegen Marodeure und Plünderer einen legendären Ruf erworben hatte.

Zwischen diesen Truppenteilen hatte ich die Wagen des Trosses verteilt, damit sie nicht den Anschluss verloren und leichte Beute versprengter germanischer Raubscharen wurden, welche immer noch in den Wäldern operieren sollten. Erst vorgestern waren einige Landvillen bei Dumnissus überfallen und niedergebrannt worden.

Vor- und Nachhut unseres Heeres bildeten wiederum Kavallerietrupps, die aus Icorigium und Treveris zu uns gestoßen waren.

Die Gesichter der Männer, die schwer an ihren Waffen und ihrer Ausrüstung trugen, waren gerötet und es wurde Zeit, dass wir den Vicus Belginum, das Marschziel des ersten Tages erreichten.

Ich nahm den Bügelhelm vom Kopf und hängte ihn am Stirnriemen über das hochgezogene Vorderteil des Sattels, worauf mir kühl eine sachte Brise über Gesicht und feuchtes Haupthaar strich. Als ich den Kopf in den Nacken legte, um mir mit der Linken den Schweiß weg zu wischen, streifte das von der Sonne erwärmte Metall meines Armreifes meine Stirn. Ich ließ den Arm sinken. Grell leuchteten die Smaragdaugen im hellen Gold des Schmuckstücks auf, nachdem ich es mit meinem Halstuch vom Staub der Straße befreit hatte. Seit meinem Zweikampf mit dem Franken Ulf hatte das Amulett in Gestalt einer sich um den Arm windenden Schlange in einem verschlossenen Holzkasten meines Dienstzimmers geruht.

Beinahe wäre ich heute Morgen ohne den Glücksbringer der letzten Jahre aufgebrochen. Ich saß schon im Sattel, als mich ein Gefühl von Unruhe und einer Leere an meinem linken Handgelenk daran erinnerte, den Armreif nicht angelegt zu haben. Zurückzueilen, den Kasten zu öffnen, den Schlangenreif um den Unterarm zu winden und mein Pferd wieder zu besteigen war das Werk weniger Augenblicke. Sofort hatte sich die innere Unruhe gelegt, als das Metall der Schlange mein Handgelenk kühlte.

„Was trägst du denn da am Arm?“, riss mich die Stimme des Viatorinus in die Realität des Marsches zurück.

„Meinen Glückbringer der vergangenen Jahre, den ich fast in Noviomagus vergessen hätte“, antwortete ich dem Freund, der die Augen nicht von meinem Armreif lösen konnte.

„Wo hast du das her?“ Die Schärfe in der Stimme des Viatorinus und sein erschrockener Blick befremdeten mich. So kannte ich den Freund nicht, der Vorgesetzte und Untergebene stets mit Respekt und Höflichkeit behandelte.

„Warum interessiert dich das?“ antwortete ich mit einer Gegenfrage, mich wundernd, dass Viatorinus beim Anblick meines Amuletts die Fassung zu verlieren schien.

„Ich dachte…“, begann Viatorinus seine Entgegnung, die er mit einem „es ist nichts“ unterbrach und mit der Hand auf Charietto wies, der die vor ihm marschierenden Wölfe mit seinem Rappen zur Straßenmitte abdrängte und auf uns zuhielt.

„Was ist denn mit euch los“, polterte er in seiner jovialen Art, als er sein Pferd neben uns zum Stehen brachte. Sein Gesicht, das wegen der vielen Narben an einen zerpflügten Acker erinnerte, glänzte vor Tatendrang und Zufriedenheit, als er seinen Blick von uns weg auf die lange Reihe der Marschierenden warf, deren Spitze hinter einer Kurve wieder in das Grün des Waldes eintauchte.

„Was für ein Anblick. Wisst ihr eigentlich, wie ich mich danach gesehnt habe? Ich habe ihn so satt, diesen schmutzigen Krieg in den Wäldern. Immer zu spät zu kommen und hinter irgendwelchen Banden herzuhetzen, die gerade eine Landvilla zerstört und die Bewohner massakriert haben. Meine Leute haben mehr Freunde als Feinde begraben. Den Göttern und Julian sei Dank, dass es damit jetzt vorbei ist.“

Er griff in seine Satteltasche, der er einen Weinkrug entnahm, setzte das Gefäß an die Lippen und nahm einen tiefen Zug, ehe er ihn an Viatorinus weiterreichte.

Während Viatorinus trank, blickte ich kurz in das mit Bartstoppeln besetzte Antlitz des Charietto, der mich und meinen Freund Galerius vor wenigen Monaten aus den Händen der Franken befreit hatte.

„Dem Mars sei Dank, bist du damals in der Silva Arduenna nicht zu spät gekommen. Hast du damals auch schon so früh getrunken und uns nur mit Glück gefunden?“

Verdutzt schaute Viatorinus mich an, als könnte er nicht glauben, wie ich mit unserem Befehlshaber sprach.

„So kenne ich meinen Römer“, dröhnte Charietto, dem das Lachen aus den stahlblauen Augen brach. Er schnäuzte seine Knollennase und hieb mir mit der Rechten auf die Schulter, dass mein Pferd voller Schrecken einen Satz zur Seite machte. Ich rieb mir die getroffene Stelle und trieb mein Pferd zurück an die Seite der Gefährten.

„Hast du dir wehgetan?“, strahlte mich der Hüne wohlwollend an.

„Glaubst du, dass wir ohne Schwierigkeiten nach Mogontiacum kommen?“, gab ich dem Gespräch eine andere Wendung.

„Ich hoffe es“, antwortete Charietto mit ungewohnter Ernsthaftigkeit. Eben noch der joviale Haudegen und Liebling der Mannschaften, sprach jetzt der Stratege und Befehlshaber.

„Wir sind mit 1000 Mann aufgebrochen, von denen nur die Hälfte im Gefecht gestanden hat.“

„Für meine Männer aus Noviomagus verbürge ich mich“ fiel ihm Viatorinus ins Wort, der erleichtert schien, dass das Gespräch diese Wendung genommen hatte.

„Für meine Wölfe und die Reiter aus Beda und Icorigium gilt das Gleiche“ nahm Charietto den Einwurf des Viatorinus auf. „Aber für die Einheiten aus Treveris und Divodurum würde ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Das sind keine Comitatenses, Elitesoldaten des Bewegungsheeres, sondern eine bessere Bürgerwehr oder Wach- und Paradesoldaten, die außer ihrem guten Willen wenig mitbringen, was uns weiterhilft. Ich fürchte, dass sie bei der ersten Feindberührung das Weite suchen.

Es ist eure Aufgabe“, steigerte Charietto seine Stimme, „aus ihnen bis Mogontiacum brauchbare Legionäre zu machen. Es war gut von dir, Marcus, die Einheiten so aufzuteilen, dass sie bei Gefahr nicht auf sich alleine gestellt sind.“

Er verschattete seine Augen mit der Rechten und musterte aufmerksam die Umgebung. „Wer weiß, was hinter den Bäumen und Büschen dieser Wälder auf uns wartet.“

„Sie kommen, Ulf, es geht los“, raunte der blonde Hüne im silbernen Kettenpanzer und stülpte einen vergoldeten Spangenhelm über das schulterlange Lockenhaar.

„Endlich“, murmelte der Angesprochene und verzog das Gesicht vor Schmerz, als er sich in den Sattel schwang. „Ich dachte, sie kommen gar nicht mehr, Makrian.“

Die kurze Anstrengung hatte die Narbe in seinem Gesicht rot anschwellen lassen, und er presste die Hand an die Brust, wo der Dolch des Römers vor Wochen eingedrungen war.

Vier Wochen waren vergangen, seit versprengte Franken ihn aus den Fluten der Mosella gezogen hatten. Stunden hatte er, angeklammert an einen Baumstamm, um sein Leben gekämpft, bis ein gütiges Geschick eine Sandbank schickte und er die Besinnung verlor. Als er aufwachte, umstanden ihn zwei Dutzend abgerissene Männer in fränkischer Tracht:

„Viel hat er nicht bei sich“, vernahm er den Anführer der Gruppe, der einige Münzen in der Hand wog. „Werft ihn in den Fluss zurück.“

„Wartet“, hielt ein anderer die Männer zurück. „Es ist ein Franke. Seht her, die Kleidung und das Messer.“

„Das hat nichts zu sagen“, erwiderte der Anführer. „So ein Messer kann jeder haben.“

„Fragen wir ihn“, mischte sich ein dritter ein.

Sie schleppten ihn das Ufer hoch und lehnten ihn mit dem Rücken an einen Baumstumpf, dass Ulf laut aufstöhnte.

„Armer Kerl“, murmelte ein anderer und starrte auf seine blutverschmierte Hand. „Er hat tiefe Wunden in Brust und Oberarm und in seiner Schulter steckt ein Bolzen.“

„Franke oder nicht Franke“, ergriff der Anführer wieder das Wort. „Der ist hin.“

„Wer bist du?“, fragte der, der den Anführer zurück gehalten hatte.

„Ulf“, ächzte der Mann aus dem Fluss. „Wenn ihr mein Leben rettet, werde ich euch reich belohnen.“

Mitleid und Gier gewannen die Oberhand. Ulfs Wunden wurden versorgt, bis er nach einigen Tagen das Schlimmste überstanden hatte und langsam wieder zu Kräften kam.

Ulf schloss sich der Gruppe an, und als der Anführer den versprochenen Lohn einforderte, zog Ulf sein Messer und stach es dem Mann in den Bauch. Es dauerte Stunden, bis er qualvoll verendete.

Die führungslose Gruppe im fremden Land unterwarf sich von diesem Tag an dem eisernen Willen des Neuen. Sie überfielen Landvillen und Händler in der Abgeschiedenheit des Bergwaldes und es verging kein Tag, an dem die Gruppe nicht durch kleine Plünderertrupps verstärkt wurde. Schließlich befehligte Ulf eine Streitmacht von über siebzig zu allem entschlossenen Kriegern. Eine Woche war es jetzt her, dass der Alemanne Makrian mit dreißig Männern zu ihnen gestoßen war. Sie waren aus den Bergen des Taunus aufgebrochen, um in den gallischen Provinzen zu rauben.

Am Morgen hatten Späher gemeldet, dass eine große Marschkolonne, ein Heer von ungefähr 1000 Legionären und Reitern, von Noviomagus kommend die Höhen des Idar hinauf steige. Mit den Wagen des Trosses kam die Beute, auf die man seit Tagen wartete, direkt auf sie zu. Waffen, Kleidung und die mit Münzen gefüllten Kassetten der Zahlmeister.

Kurz hatte sich Ulf mit Makrian beraten. Es müsste gelingen, die Wagen auszurauben, wenn die Abteilungen der Römer nur kurz aufgehalten und gebunden wurden. Sie glaubten, unerfahrene Rekruten und ungeübte Milizverbände vor sich zu haben, die zur Verstärkung Julians nach Mogontiacum aufgebrochen waren.

„Wenn nur Charietto und seine Wölfe nicht dabei sind“, murmelte Ulf vor sich hin.

„Hast du mit diesem Charietto nicht eine Rechnung offen?“, nahm Makrian die Bemerkung des Anführers auf.

„Ja“, knurrte der Franke. „Er hat seine Männer hinter mir hergehetzt, um diesen verfluchten Römer zu schützen. Den Bolzen im Rücken habe ich ihnen zu verdanken. Das werden sie teuer bezahlen. Wenn ich einen von ihnen erwische, ziehe ich ihm die Haut in Streifen vom Fleisch. Aber das kann warten. Wir brauchen Beute, um unsere Bestände aufzufüllen und die Männer bei Laune zu halten.

Ist alles vorbereitet?“

„Ja“, bestätigte der Alemanne. „Die Baumsperren sind fertig und die Männer liegen mit gespannten Bögen und Arcoballisten an ihren Plätzen.“

„Gut“, lächelte Ulf und sein Gesicht verzog sich vor Grimm. „Wenn die Wagen auf unserer Höhe sind, gebe ich das Zeichen und ihr schließt sie ein. Die Sarmaten, die wir gestern aufgegriffen haben, können die Wagen entladen, während du die Römer an den Baumsperren aufhältst. Es ist alles eine Frage der Zeit. Zehn Minuten reichen vollkommen aus. Tyr und Wodan werden mit uns sein. Ich habe gelobt, ihnen zu Ehren zwei Gefangene zu schlachten, wenn wir siegen.“

Alleine blieb Ulf zurück, der sich noch nicht am Kampf beteiligen konnte. Zu schwer waren die Wunden gewesen, die er empfangen hatte. Er würde sich dieses Mal noch mit der Leitung des Geschehens begnügen müssen.

Wieder verzog sich sein vernarbtes Gesicht zu einer Grimasse, als die Geschehnisse der letzten Jahre an seinem inneren Auge vorbeizogen.

Nach dem Tod seines Vaters, den der Römer auf dem Gewissen hatte, der jetzt den geraubten Schlangenreif trug, war er als Waise zu einem Verwandten, dem Sohn des Bruders seines Großvaters, in die Colonia abgeschoben worden. Als Verräter am Volk seiner Vorfahren hatte es dieser Silvanus zum Statthalter der verhassten Römer gebracht. Der hatte ihn nur kurz angeschaut, ihn in seine Leibwache gesteckt und sofort vergessen. Zum Mann gereift, wäre er längst zu seinem Volk zurückgekehrt, wenn da nicht Serena, die junge Frau des Silvanus, gewesen wäre.

Ulfs Herz zog sich zusammen, als das Bild der schönen Römerin in ihm aufstieg. Zuerst hatten sie nur Blicke getauscht, er, der arme Verwandte des Statthalters aus den Wäldern des freien Germaniens und sie, die stolze Römerin aus altem Geschlecht. Einsam und verlassen hatte sie sich gefühlt, seit ihr Vater sie zur Heirat mit dem reichen Emporkömmling gezwungen hatte. Mit Grauen hatte sie Ulf offenbart, wie Silvanus sie in der Nacht der Hochzeit gewaltsam genommen und einen Sohn mit ihr gezeugt hatte. Clodius, ein stilles Kind, das von seiner Mutter nicht geliebt wurde und die ihm ständig aus dem Weg gegangen war. Dann kam jene Nacht, in der Serena in sein Quartier kam und sie sich bis zum Morgengrauen liebten. Er verfiel ihr und gemeinsam schmiedeten sie Pläne, den verhassten Oheim und Gatten zu beseitigen, um ein Leben in Freiheit zu führen.

Ihre Stunde kam, als Silvanus den Fehler beging, sich gegen Constantius zu erheben und zum Imperator ausrufen zu lassen. Ein lächerliches und von Anbeginn an ein zum Scheitern verurteiltes Unternehmen. In einem Andrang von Verbundenheit hatte ihn sein Onkel, der nichts von seinem Verhältnis mit Serena ahnte, zum Führer der nunmehr kaiserlichen Leibgarde ernannt. Ohne Begeisterung versah er seinen Dienst, bis der Magister Militum Ursicinus zu Verhandlungen in die Colonia kam, und er eines Nachts in einer Taverne von einem Tribun namens Viatorinus angesprochen wurde. Der bot ihm Geld, und sie machten einen Plan, den Imperator Silvanus zu ermorden. Die Tat gelang, als der Oheim, von seiner Leibwache verlassen, den Häschern hilflos ausgeliefert war.

Er war jetzt frei, aber das Schicksal schien sich gegen ihn verschworen zu haben. Serena hatte er seit jenem Tag nicht wieder gesehen, weil er mit seinem Blutgeld verschwinden musste. Silvanus hatte auch Anhänger und Freunde unter den Franken, die seinen Tod rächen würden.

Wie war es Serena ergangen? Sie hatten verabredet, sich nach Ablauf eines Jahres wieder zu sehen, wenn die Aufregung sich gelegt haben würde. Aber die Colonia war inzwischen fränkisch geworden und keiner, den er seitdem über Serena befragt hatte, wusste etwas zu berichten. War sie in ihr Elternhaus bei Lugdunum zurückgekehrt, oder war sie in den Wirren der Eroberung zu Grunde gegangen? Nein, nicht Serena! Sie wusste sich immer zu helfen. Hatte sie das Vermögen ihres Mannes für sich und den Sohn retten können oder hatte man es ihr genommen? Würde sie ihn noch lieben oder war er nur ihr Werkzeug der Rache gewesen? Nein, er würde sie wieder sehen, und dann würden sie mit dem Geld des Silvanus das Leben führen, von dem sie immer geträumt hatten.

Er vergrub seinen Verräterlohn an einem geheimen Ort und ging in die Einsamkeit der Wälder der Silva Arduenna, wo er sich einer Bande fränkischer Plünderer anschloss. Ihr Anführer, ein ehemaliger Freund aus Kindertagen, betrog ihn um seinen Beuteanteil und als es darüber zum Streit kam, erschlug er dessen Bruder und Stellvertreter in einer abgelegenen Kalkbrennerei. Er wollte überleben, wechselte die Seiten und schloss sich Charietto und seinen Männern an, die er zum Schlupfwinkel seiner ehemaligen Kameraden führte. Er hielt sich abseits, als diese niedergemetzelt wurden und wartete in der Festung Beda deren schmähliches Ende ab.

Und wieder spielte das Schicksal ein böses Spiel mit ihm. Charietto befreite bei der Vernichtung seiner ehemaligen Bande einen Römer, der ihnen nach seiner Flucht in die Hände gefallen war. Er traf auf diesen Mann, einen Centurio namens Marcus, im Haus des Wolfes. Augenblicklich erkannte er an dem Armreif des Centurios den Legionär wieder, der mit dem Kleinod in der Hand neben der Leiche seines Vaters gekniet hatte. Charietto schützte den Mörder und von jenem Tag an verfolgte Ulf diesen Marcus, dessen Tod zu rächen er an der Leiche seines Vaters geschworen hatte. Mehrmals hätte er sein Ziel fast erreicht, aber der Römer hatte Glück. Endlich standen sie sich auf dem Gipfel des Tempelberges zu Tabernae gegenüber. Der Feigling bot den Armreif für sein Leben, faselte etwas von gemeinsamen Vorfahren und wieder half dem Römer ein ungerechter Gott. Der Stahl des Mörders drang ihm in Arm und Brust und er musste fliehen, gehetzt von den Männern des Charietto, die auf seiner Fährte waren. Er hatte das rettende Ufer der Mosella schon vor sich, als ihn der Bolzen einer Arcoballista im Rücken traf und er in den Fluten des Stromes versank. Das letzte, woran er sich noch erinnern konnte war, dass er die Äste eines vorbei treibenden Stammes fasste, ehe ihn die Ohnmacht ereilte und er auf einer Sandbank angespült wurde.

Tod und Verderben diesem Römer, wenn sich ihre Wege noch einmal kreuzen sollten.

Lauter dröhnte das Stampfen der vorbeiziehenden Kolonnen in den Ohren des Franken, die er als zitternde Schatten zwischen dem Grün des Unterholzes wahrnahm. Als sich das Rollen der Trosswagen darunter mischte, hob er den Arm, um das Zeichen zum Angriff zu geben.

Gerade wollte Viatorinus den Weinkrug an mich weiterreichen, als vorne, dort wo die Abteilung aus Treveris in den Wald eingetaucht war, ein brechendes Bersten in den Sommerhimmel stieg, dem ein Brüllen aus hunderten Kehlen folgte.

„Überfall“, dröhnte die Stimme des Charietto, der sich sofort gefasst und seinem Pferd die Sporen in die Seite gerammt hatte. Der Gaul bäumte sich wiehernd auf und schoss so schnell voran, dass sich die vor uns marschierenden Legionäre mit einem Sprung in den Straßengraben retten mussten. Wie ein Schiff bei hohem Seegang pflügte Charietto durch die Masse der Wölfe und rief nach der Kavallerie aus Beda, die mit Donnern die Straße herabfegte, von der sich die Marschierenden zu beiden Seiten in Sicherheit brachten.

„Was ist da los, Tribun?“, rief mir ein Centenarius zu, der an der Spitze seiner Reiter heranpreschte. Ich erkannte den untersetzten Mann mit der bronzenen Haut der Südländer. Titus Venator, Kommandeur der Ala Constantina aus der Festung Beda, mit dem ich bei Longus die Plünderer der Villa Urbana des Senators Tiberinus aufgerieben hatte.

„Ich weiß es nicht, Titus, irgendeine Sauerei“, schrie ich, den Helmriemen schließend und die Spatha ziehend.

Gemeinsam jagten wir der Stelle zu, wo das Gebrüll anschwoll und eine Staubwolke die Sicht versperrte. Aus dem Dunst kamen uns Männer entgegen, denen Angst und Panik in den Augen stand. Die meisten hatten einen Teil ihrer Ausrüstung und Bewaffnung weggeworfen und einige pressten ihre Halstücher oder andere Stofffetzen auf Arme, Beine oder Oberkörper, unter denen das Blut hervorquoll.

Charietto hatte Recht gehabt. Mit diesen Männern, denen der Anblick ihrer verletzten Kameraden den letzten Rest an Verstand und Disziplin raubte, war nicht zu rechnen.

Dann ging es nicht mehr weiter, weil ein Wall umgestürzter Bäume die Straße versperrte, hinter dem ein Tosen aus Waffenklirren und Gebrüll zu uns herüberbrandete.

Mitten im Gewirr umgestürzter Stämme und belaubter Äste erblickte ich Charietto und andere beherzte Männer, die mit Schwertern und Äxten eine Gasse durch das Chaos schlugen.

„Runter von den Pferden, die nützen hier nichts“, brüllte Charietto uns an und wies auf eine Stelle neben der Straße. „Umgeht die Sperre durch den Wald und greift an, sonst geht der ganze Tross zu Pluto!“

Ich sprang vom Pferd, riss den Rundschild aus seiner Sattelhalterung und stieß einen Mann zur Seite, dessen Gesichtsausdruck ich ansah, dass er sich in die Kniehosen gemacht hatte.

„Roma victor“ gellte es neben mir und ein Reiter krachte in das Unterholz, als er über eine Wurzel stolperte.

„Roma victor“ hörte ich die Stimme meines Freundes Viatorinus und sah vor mir einige Gestalten in Kitteln und Langhosen aufspringen und vor uns die Flucht ergreifen.

Instinktiv duckte ich mich hinter meinen Rundschild und hörte einen Pfeil vorbei zischen, während ein zweiter gegen das Lindenholz der Schutzwaffe knallte und die Lederbespannung zerreißend, zitternd stecken blieb.

Angst und Panik griffen nach mir, die ich sofort niederkämpfte, indem ich Luft in die Lungen presste und stoßweise entweichen ließ. Verzagtheit und Furcht sind die größten Gefahren im Gefecht, weil sie ein Reagieren auf die Gefahr unmöglich machen. Ich presste die Zähne aufeinander und spürte, wie Gelassenheit und Selbstvertrauen die Oberhand gewannen.

Dann waren wir um die Sperre herum, und ich blickte auf das Chaos umgeworfener Wagen und kämpfender Männer. Meine Sinne waren auf das äußerste angespannt, weshalb sich mir alle Einzelheiten sofort einbrannten. Getroffene Zugtiere zuckten, grässlich brüllend, mit ihren Beinen in der Luft. Tote und herumkriechende Verwundete deckten den Boden, während sich eine Gruppe überlebender Legionäre und Trossknechte an der Baumsperre zusammenballte und sich der Feinde mit allem erwehrte, was sie in den Händen hatten.

Die Angreifer hatten ihr Haupthaar seitlich am Kopf zum Suebenknoten zusammengebunden. Ihre mit blauen und roten Farben bemalten Gesichter glichen Fratzen, die aus der Unterwelt herauf gestiegen waren, um die Lebenden zu sich zu holen. Ich sah die schreckliche Franzisca wirbeln, Schwertklingen aufblitzen und hörte Wurfspieße durch die Luft zischen.

Keine hundert Schritte entfernt sah ich eine zweite Barrikade die Straße versperren, so dass auch von dieser Seite keine schnelle Hilfe erfolgen konnte. Eine tödliche Falle für die Wagen des Trosses. Das waren erfahrene Krieger unter straffer Führung, die diesen Hinterhalt gelegt hatten und keine Jungmannschaft tatendurstiger Plünderer.

Kaum hatten wir den Schutz des Unterholzes verlassen, wurden wir von allen Seiten angefallen und gerieten in die Defensive.

Mit einem Schrei brach mein Nebenmann zusammen, dem ein Mattiobarbulus durch die Brust gefahren war, dessen Dreiecksspitze weit aus dem Rücken des Getroffenen herausragte. Er stolperte einige Schritte nach vorne, bis ihn der Schlag einer Franzisca den Kammhelm spaltete und endgültig zu Fall brachte. Blut und Hirnflüssigkeit spritzten mir in die Augen, die ich sofort mit der Schwerthand auswischte, ohne dem Feind eine Blöße zu bieten.

Der Lärm des Kampfes verebbte in meinem Kopf und kalte Gelassenheit griff nach mir, so dass ich das weitere Geschehen wie die langsame Abfolge einzelner Bilder erlebte. Endlos viel Zeit schien zu vergehen, als ein Feind, der Bemalung und Tracht nach ein Franke, auf mich eindrang und mit der Franzisca zum Schlag ausholte. Nur ich war von dieser Trägheit nicht ergriffen und meine Spatha bohrte sich in die offen stehende Deckung zwischen Schild und erhobenem Schlagarm. Ich spürte die Klinge in das Fleisch seiner Brust dringen, riss sie heraus und trat dem Mann gegen das Knie, so dass er sofort zusammenbrach und mit verdrehten Augen in den Himmel starrte.

Er hatte keine Chance gehabt und sein Nebenmann, dem ich mich augenblicklich zuwandte, wich mit Panik im Blick zurück, stolperte über einen auf der Erde liegenden Toten und wurde von einem Legionär mit einer Lanze durchbohrt, die ihn am Waldboden festnagelte. Gellend schrie er auf, den Lanzenschaft mit beiden Händen vor dem Unterleib umklammernd, bis sie plötzlich entspannten und das Schreien aufhörte.

Vor mir ertönten aus Richtung der gegenüber liegenden Baumsperre laute Schreie, als der Umgehungsversuch der Vorhut im Wald aufgehalten wurde. Trotzdem ließ der Druck der Feinde nach, weil immer mehr abgesessene Reiter unsere Reihen verstärkten, und es konnte nicht mehr lange dauern, bis die Sperre durchschlagen und sich die Wölfe des Charietto auf den Feind werfen würden.

Da sah ich diesen Hünen direkt vor mir. Er überragte mich um Kopfeshöhe und trug als einziger Angreifer einen mit Edelsteinen verzierten Spangenhelm und ein Kettenhemd aus versilberten Eisenringen. Er brüllte mir etwas zu, was ich nicht verstand, schwang sein Schwert, dass der Stahl singend durch die Luft schnitt und kam mit wehenden Locken, die unter seinem Kopfschutz hervor quollen, auf mich zu. Ich wusste, dass es schwer werden würde, zog, seinen Anprall erwartend, den Schild fest an den Körper und hielt meine Spatha in Hüfthöhe, um sofort zustechen zu können.

Aber der blonde Riese mit den stechenden, blaugrauen Augen verhielt im Schritt, als das Holz in meinem Rücken prasselte und sich die ersten Wölfe auf die Freifläche hinter der Barrikade ergossen.

Aus den Augenwinkeln sah ich einen Reiter von hinten auf meinen Gegner zupreschen, der ein zweites Tier am Zügel mit sich führte. Er rief dem Riesen etwas zu, der sich umwandte, in den Sattel des Pferdes schwang und in den Schutz des Waldes galoppierte. Einen Augenblick sah ich in das Gesicht des Reiters und fühlte mein Herz einen Schlag aussetzen.

Das durfte nicht sein. Ein Blick wie ein Eishauch streifte mich aus dunklen Augen und rot flammte eine Narbe im Gesicht des Mannes, die sich über Stirn und Wangen seines zerstörten Gesichtes zog. Seltsam verkrümmt, als hätte er starke Schmerzen und könnte sich nur mit Mühe im Sattel halten, saß der Mann auf seinem Pferd.

Es war Ulf, Ulf der Franke, den ich tot wähnte und den die Unterwelt ausgespieen hatte, mir das Leben zu nehmen.

Der Blick des Franken wanderte zu Viatorinus, der an meine Seite getreten war und ein Erkennen huschte über sein Gesicht. Laut brüllte er auf, drohte mit der erhobenen Faust in unsere Richtung, wendete sein Pferd und folgte dem Hünen in den Schutz des Waldes.

Einen Moment war mir, als sollten meine Knie nachgeben und die Welt um mich herum versinken. Ein Stoß in die Seite brachte mich wieder zur Besinnung.

„Marcus, sie plündern die Wagen“, schrie Viatorinus mich an und wies auf die Schritt für Schritt zurückweichenden Angreifer. Im Schutz ihrer Schildfront zerrten mehr als zwanzig Germanen Proviant, Werkzeuge und Waffen von den Ladeflächen der Karren und verschwanden mit ihrer Beute im Wald.

Mit dröhnender Stimme sammelte Charietto, der durch die Barrikade zu uns stieß, alle greifbaren Männer, die in aller Hast von Viatorinus zu einem Angriffskeil formiert wurden.

Ein Schrei aus hundert Kehlen und wir stürzten uns auf den Feind, der vor der Wucht unserer Attacke im Halbkreis an den Waldrand zurückwich.

Aber es sollte nicht mehr zum Handgemenge kommen, weil uns eine aus dem Halbdunkel des Waldes abgefeuerte Salve von Pfeilen und Wurfspeeren hinter die Schilde in Deckung zwang, welche es den Germanen ermöglichte, sich in den Schutz des Unterholzes zu flüchten. Nur ein paar Nachzügler wurden niedergemacht oder gefangen genommen, wenn sie klug genug waren, ihre Waffen fort zu werfen und die Hände zu heben.

Ein Stück weit folgten ihnen die Wölfe des Charietto in den Wald, wo sich noch einige verzweifelte Nahkämpfe abspielten. Dann mussten die Angreifer ihre Pferde erreicht haben, denn das dumpfe Rollen galoppierender Pferdehufe auf weichem Waldboden zeigte uns an, dass sich der Feind über Schneisen und Pfade absetzte. Wieder musste ich der Planung des Feindes meine Anerkennung zollen, der uns mit Erfolg ein Absatzgefecht geliefert hatte und mit der Beute entkommen war.

Während die Wölfe unverrichteter Dinge aus dem Wald zurückkehrten, begannen die Truppführer und Offiziere mit der Sichtung des angerichteten Schadens. Vereinzelt flackerte ein Schrei auf, wenn die Wölfe einen der schwer verwundeten Angreifer niederstießen.

Ich beteiligte mich nicht an der Bilanzierung des Überfalls, sondern zog mich in den Schatten einer Eiche am Waldrand zurück, an deren Stamm gelehnt ich die Ereignisse der letzten halben Stunde an mir vorüber ziehen ließ.

Ich schlug die Hände vors Gesicht und leichter Schwindel erfasste mich, als mein Herz zu rasen begann und das Blut rauschend durch die Ohren pulsierte. Intuitiv tastete meine Rechte nach dem Schlangenreif am linken Handgelenk, und der Aufruhr in meinem Innern legte sich, als ich die Kühle des Metalls fühlte und die Konturen des Fabeltieres abtastete.

„Was war geschehen, dass mein Todfeind von den Toten auferstanden war und mir Auge in Auge entgegentreten konnte? Hatte der Franke mehr als ein Leben?“

„Gut gemacht, Römer“ hörte ich die Stimme Chariettos, der mit Wohlwollen zu mir herabschaute.

„Es war Ulf. Ulf der Franke hat sie angeführt“ sprach ich mehr zu mir als zu meinem Kommandeur, der in die Hocke ging und mir in die Augen blickte.

„Das kann nicht sein. Rufus hat mir berichtet, dass er Ulf mit einem Bolzen im Rücken in der Mosella versinken sah.“

Voller Teilnahme im Blick, legte mir Charietto seine rechte Pranke auf die Schulter.

„Bist du sicher, dass du im Kampf nichts abbekommen hast?“

„Der Tribun hat Recht, es war Ulf“, erklang zu meiner Linken eine wohlbekannte Stimme. Ich blickte zur Seite und erkannte das vertraute Gesicht mit dem roten Haarschopf.

„Rufus“ presste ich heraus. „wie konnte das geschehen? Du hast mir doch in Tabernae versichert, dass der Franke tot sein muss.“

„Ich weiß es nicht, Tribun. Da muss sich ein Gott einen schlechten Scherz erlaubt haben. Mit Wunden in Brust und Oberarm und einem Bolzen aus zehn Schritten in den Rücken abgefeuert kann kein Sterblicher in einem reißenden Fluss überleben. Mir graut vor diesem Franken. Verzeih mir Tribun, ich wollte dich nicht enttäuschen.“

„Lass es gut sein, Rufus“, tröstete ich den Soldaten, der auf den Boden zu seinen Füßen starrte. „Du kannst nichts dafür, jeder hätte geglaubt, dass Ulf tot ist.“

Ein Blick voller Dank streifte mich aus dem gutmütigen Bauerngesicht des Soldaten, ehe er sich umdrehte und entfernte.

„Bei allen Göttern Roms und Germaniens, das ist nicht gut“ brummte Charietto vor sich hin. „Hätte ich ihm doch damals den Hals umgedreht, als er dich in meinem Haus in Treveris wegen des Schlangenreifs angriff. Wir haben ihn nicht zum letzten Mal gesehen“ richtete er sich auf und ging zu den zerstörten Wagen des Trosses.

Die Bilanz dieses ersten Gefechtes sah nicht gut aus. Wie zu befürchten, hatten die Fußsoldaten aus Treveris und Divodurum, die der Überfall getroffen hatte, dem Druck nicht standgehalten. Sie waren in Schrecken und Panik auseinander gestoben, und die Angreifer hatten unter ihnen und unter den Fuhrknechten des Trosses wie die Wölfe in einer Schafsherde gewütet. Den Großteil unserer Verluste hatten wir in dieser Phase des Kampfes zu beklagen. Erst das Eingreifen der Reiter aus Beda und der Männer des Charietto wendete das Geschehen zu unseren Gunsten. Trotzdem konnten wir nicht verhindern, dass die Fracht der eingeschlossenen Trosswagen verloren war und der Feind sich geordnet zurückziehen konnte. Der Verlust von drei Lastkarren, die nicht mehr zu gebrauchen waren, einiger Zugtiere und eines Teiles unseres Proviants war zu verschmerzen, da wir diese Dinge in Mogontiacum auffüllen konnten. Was schwerer wog, war der Verlust der Waffen, darunter mehrere Arcoballisten mit Geschossbolzen, die dem Feind einen weiteren Vorteil aus dem Hinterhalt verschafften.

Wir hatten sechsunddreißig Tote zu beklagen, darunter acht Trossknechte, zwei Reiter aus Beda und einer von Chariettos Wölfen. Ich kannte den jungen Legionär, den ich in Tabernae mit Rufus dem flüchtenden Ulf nachgeschickt hatte. Wäre Ulf damals nicht entkommen, würde der Mann noch leben.

Ulf, wie ein drohendes Unwetter legte sich dieser Name auf mein Gemüt. Hatte dieser Spuk nie ein Ende?

Ähnlich deprimierend las sich die Liste der 32 Verwundeten, von denen 8 so schwer verletzt waren, dass mit weiteren Todesfällen gerechnet werden musste. Wer von den anderen noch marschfähig war, musste sich in den nächsten Stunden erweisen.

Wir zählten auf dem Gefechtsfeld und im angrenzenden Wald achtzehn tote Angreifer, eingerechnet die Schwerverwundeten, die von den Wölfen niedergemacht worden waren. Die kleine Gruppe der sechs Gefangenen, darunter zwei kleinwüchsige, dunkelhaarige Männer, lagen gebunden neben einem Wagen des Trosses, der gerade mit einem Ersatzrad instand gesetzt wurde. Sie würden nach dem Verhör, das abends stattfinden sollte, die Wahl zwischen dem Tod und dem Eintritt in die Legion haben.

Wie stark die Angreifer waren, musste das Verhör klären, aber mehr als hundert Mann konnten es nicht gewesen sein, von denen noch die Verwundeten abgerechnet werden mussten, die sie in Sicherheit gebracht hatten.

Inzwischen hatte ich mich mühsam erhoben und an den Aufräumungsarbeiten beteiligt, indem ich Arbeitsgruppen einteilte.

Die Hauptlast trugen die Männer, die nicht am Kampfgeschehen beteiligt gewesen waren, während sich die anderen in den Gräben zu beiden Seiten der Straße niedergelassen hatten und mit dumpfen Blicken beim Ausheben der Gräber und dem Beiseiteschaffen der Barrikaden zusahen. Obwohl einzelne vor den Kameraden mit ihren Heldentaten prahlten, brüteten die meisten stumm vor sich hin, froh, dem Tod entronnen zu sein. Zum Schluss wurden die toten Zugtiere als willkommene zusätzliche Fleischration in Portionen zerlegt und auf die einzelnen Einheiten verteilt. Die zerstörten Wagen zerschlug man zu Brennholz, das auf einem ausgeraubten Karren gestapelt wurde, nachdem die Eisenteile und Metallbeschläge aus Messing und Bronze sorgsam entfernt worden waren.

Es war Nachmittag geworden, und die Sonne warf lange Schatten, als laute Befehle zum Aufbruch riefen. Die Männer erhoben sich aus den Straßengräben, nahmen ihre Marschposition ein und defilierten an den Gräbern ihrer Kameraden vorbei, erleichtert, nicht selber dort zu liegen. Dunkel hoben sich die Erdhügel der frisch verfüllten Gruben vom Waldboden jenseits des Straßenrandes ab.

Viatorinus hatte befohlen, die getöteten Angreifer nicht zu bestatten. Sollten doch Fliegen, Gewürm und die kleinen und großen Raubtiere des Waldes sich an ihrem Fleisch sättigen.

In den nächsten Stunden trottete ich auf meinem Reittier, allein mit mir und meinen Gedanken neben der Marschkolonne dahin. Wir hatten unser Ziel, den Vicus Belginum, fast erreicht, als Viatorinus sein Pferd an meine Seite lenkte und mich wortlos ein Stück des Weges begleitete.

„Marcus“, brach er endlich das Schweigen, „ich frage dich noch einmal, woher hast du diesen Schlangenreif?“

Nervös kaute mein Freund auf seiner Unterlippe und konnte den Blick nicht von meinem Armschmuck lösen.

„Er ist mir als Beute in einem Grenzgefecht bei Tricensima zugefallen.“

„Warum hast du mir nie davon erzählt“, verstärkte Viatorinus seine Bemühungen, mehr aus mir heraus zu bringen.

„Weil ich es nicht wollte, Viatorinus. Wegen dieses Armreifs hat mir ein Wahnsinniger, den ich tot glaubte, nach dem Leben getrachtet. Ich wollte nicht mehr an diese Geschichte erinnert werden und habe das Ding nicht mehr getragen. Ich habe dir doch von dem Verrückten erzählt, der in den Wäldern der Silva Arduenna einen Kameradenmord beging, zu Chariettos Wölfen überlief und mich in Treveris umbringen wollte.“

„Und warum trägst du ihn heute?“, ließ Viatorinus nicht locker.

„Ich weiß es nicht, weil es mich danach drängte. Er hat mir im Kampf immer Glück gebracht.“

Ein Stück weit ritten wir, jeder seinen Gedanken nachhängend, nebeneinander die Straße entlang.