Maria Schweidler, die Bernsteinhexe - Wilhelm Meinhold - E-Book

Maria Schweidler, die Bernsteinhexe E-Book

Wilhelm Meinhold

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Beschreibung

Dieses eBook: "Maria Schweidler, die Bernsteinhexe" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Das Brandschatzen der kaiserlichen Truppen während des Dreißigjährigen Kriegs bringt Leid und Elend über die Menschen auf der Insel Usedom. Der Koserower Pfarrer Abraham Schweidler und seine Tochter Maria versuchen die Not zu lindern, indem sie den von Maria im Streckelsberg gefundenen Bernstein verkaufen, und von dem Geld Brot für die hungernden Koserower erwerben. Maria wird vom Amtshauptmann Appelmann begehrt und bedrängt, die 15-Jährige weist ihn jedoch ab. Appelmann benutzt - um sie sich doch noch gefügig zu machen - daraufhin den für die Dorfbewohner unerklärlichen Geldbesitz Marias als Grund, sie der Hexerei zu bezichtigen, und unter den Ritualen der Hexenverfolgung Folter und Qualen erleiden zu lassen. Am 30. August 1630 wird sie auf den Scheiterhaufen geführt, doch Graf Rüdiger von Nienkerken befreit sie aus ihrer Not... Wilhelm Meinhold (1797-1851) war ein deutscher Schriftsteller, Doktor der Theologie und Pfarrer.

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Wilhelm Meinhold

Maria Schweidler, die Bernsteinhexe

e-artnow, 2018 Kontakt: [email protected] ISBN 978-80-268-8339-5

Inhaltsverzeichnis

Vorrede
Einleitung
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29

Vorrede

Inhaltsverzeichnis

Indem ich dem Publikum hiermit diesen tiefrührenden und fast romanartigen Hexenprozeß übergebe, den ich wohl nicht mit Unrecht auf dem vorstehenden Titelblatte den interessantesten aller bis jetzt bekannten genannt habe, erteile ich zuvörderst über die Geschichte des Manuskriptes die folgende Auskunft:

In Koserow auf der Insel Usedom, auf meiner vorigen Pfarre und derselben, welcher unser ehrwürdiger Verfasser vor länger als zweihundert Jahren vorstand, befand sich unter einem Chorgestühl der dortigen Kirche und fast zu ebener Erde eine Art Nische, in welcher ich zwar schon öfter einige Skripturen liegen gesehen, die ich jedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit und der Dunkelheit des Ortes für verlesene Gesangbücher hielt, wie denn in der Tat auch deren eine Menge hier umherlag. Eines Tages jedoch, als ich, mit Unterricht in der Kirche beschäftigt, ein Papierzeichen in dem Katechismus eines Knaben suchte und es nicht sogleich finden konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähriger Küster unter jenes Chorgestühl und kehrte mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Gesicht gekommen war und aus dem er ohne weiteres einen geeigneten Papierstreifen riß und ihn mir überreichte. Ich griff sogleich nach dem Buche und weiß nicht, ob ich schon nach wenigen Minuten erstaunter oder entrüsteter über meinen köstlichen Fund war. Das in Schweinsleder gebundene Manuskript war nicht bloß vorne und hinten defekt, sondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere Blätter gerissen. Ich fuhr den Alten an wie nie in meinem Leben; er entschuldigte sich aber dahin, daß einer meiner Vorgänger ihm das Manuskript zum Zerreißen gegeben, da es hier seit Menschengedenken umhergelegen und er öfter in Papier-Verlegenheit gewesen sei, beim Umwickeln der Altarlichte und so weiter. Der greise, halbblinde Pastor hätte es für alte Kirchenrechnungen gehalten, die doch nicht mehr zu gebrauchen seien. (Und in der Tat kommen im Original einige Rechnungen vor, die wohl beim ersten Anblick zu diesem Irrtum verleiten konnten, und außerdem ist die Handschrift schwer zu lesen und an einigen Stellen vergilbt und verrottet.)

Kaum zu Hause angekommen, machte ich mich über meinen Fund her, und nachdem ich mit vieler Mühe mich ein- und durchgelesen, regten mich die darin mitgeteilten Sachen mächtig an.

Ich fühlte bald das Bedürfnis, mich über die Art und Weise dieser Hexenprozesse, über das Verfahren, ja über die ganze Periode, in welche diese Erscheinungen fallen, näher aufzuklären. Doch je mehr dieser bewunderungswürdigen Geschichten ich las, je mehr wurde ich verwirrt, und weder der triviale Bekker (»Die bezauberte Welt«) noch der vorsichtigere Horst (»Zauberbibliothek«) und andere Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte, konnten meine Verwirrung heben, sondern dienten nur dazu, sie zu vermehren.

Es geht nicht bloß ein so tiefer dämonischer Zug durch die meisten dieser Schaudergeschichten, daß den aufmerksamen Leser Grausen und Entsetzen anwandelt, sondern die ewigen und unveränderlichen Gesetze der menschlichen Empfindungs- und Handlungsweise werden auch oft auf eine so gewaltsame Weise unterbrochen, daß der Verstand im eigentlichen Sinne des Wortes stillesteht; wie denn zum Beispiel in einem der Originalprozesse, die ein juristischer Freund in unserer Provinz aufgestöbert, sich die Relation findet, daß eine Mutter, nachdem sie bereits die Folter überstanden, das heilige Abendmahl genossen und im Begriff ist, den Scheiterhaufen zu besteigen, so sehr alles mütterliche Gefühl beiseite setzt, daß sie ihre einzige, zärtlich geliebte Tochter, ein Mädchen von fünfzehn Jahren, gegen welche niemand einen Verdacht hegt, sich in ihrem Gewissen gedrungen fühlt gleichfalls als Hexe anzuklagen, um, wie sie sagt, ihre arme Seele zu retten. Das Gericht, mit Recht erstaunt über diesen vielleicht nie wieder vorgekommenen Fall, ließ ihren Gesundheitszustand von Predigern und Ärzten untersuchen, deren Originalzeugnisse den Akten noch beiliegen und durchaus günstig lauten. Die unglückliche Tochter, welche merkwürdigerweise Elisabeth Hegel hieß, wurde infolge dieser mütterlichen Aussage denn auch wirklich hingerichtet.

Die gewöhnliche Auffassung der neuesten Zeit, diese Erscheinungen aus dem Wesen des tierischen Magnetismus zu begreifen, reichen durchaus nicht hin. Wie will man zum Beispiel die tiefe dämonische Natur der alten Lise Kolken in dem vorliegenden Werke daraus ableiten, die unbegreiflich ist und es ganz erklärlich macht, daß der alte Pfarrer trotz des ihm mit seiner Tochter gespielten entsetzlichen Betruges so fest in seinem Glauben an das Hexenwesen wie in dem an das Evangelium bleibt.

Die früheren Jahrhunderte des Mittelalters wußten wenig oder nichts von Hexen. Das Verbrechen der Zauberei, wo es einmal vorkam, wurde milde bestraft, und Karl der Große ließ sie auf den Rat seiner Bischöfe so lange in gefänglicher Haft, bis sie aufrichtige Buße taten. Erst kurz vor der Reformation ließ Innocentius VIII. Ende 1489 den berüchtigten »Hexenhammer« (Malleus maleficarum) anfertigen, nach welchem nicht bloß in den ganzen katholischen, sondern merkwürdigerweise auch in der protestantischen Christenheit, die doch sonst alles Katholische verabscheute, und zwar mit solchem fanatischen Eifer inquiriert wurde, daß die Protestanten es weit den Katholiken an Grausamkeit zuvortaten, bis katholischerseits der edle Jesuit J. Spee und auf protestantischer, obgleich erst siebzig Jahre später, der treffliche Thomasius dem Unwesen allmählich Einhalt taten.

Nachdem ich mich auf das eifrigste mit dem Hexenwesen beschäftigt hatte, sah ich bald ein, daß unter allen diesen zum Teil so abenteuerlichen Geschichten keine einzige an lebendigem Interesse von meiner »Bernsteinhexe« übertroffen würde, und ich nahm mir vor, ihre Schicksale in die Gestalt einer Novelle zu bringen. Doch glücklicherweise sagte ich mir bald: aber wie? Ist Ihre Geschichte nicht schon an und für sich die interessanteste Novelle? Laß sie ganz in ihrer alten ursprünglichen Gestalt, laß fort daraus, was für den gegenwärtigen Leser von keinem Interesse mehr oder sonst allgemein bekannt ist; und wenn du auch den fehlenden Anfang und das fehlende Ende nicht wiederherstellen kannst, so siehe zu, ob der Zusammenhang es dir nicht möglich macht, die fehlenden Blätter aus der Mitte zu ergänzen, und fahre dann ganz in dem Ton und der Sprache deines alten Biographen fort, so daß wenigstens der Unterschied der Darstellung und die gemachten Einschiebsel nicht gerade ins Auge fallen.

Dies habe ich denn mit vieler Mühe und nach mancherlei vergeblichen Versuchen getan, verschweige aber, an welchen Orten es geschehen ist, um das historische Interesse der größten Anzahl meiner Leser nicht zu trüben.

Und somit übergebe ich denn dies vom Feuer des Himmels wie der Hölle glühende Werk dem geneigten Leser.

Meinhold

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

Unser Manuskript, in welchem die ansehnliche Zahl von sechs Kapiteln fehlt und welches auf den nächstvorhergegangenen Blättern unstreitig sich über den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges auf der Insel Usedom verbreitet hat, beginnt mit den Worten: »Kaiserliche gehauset« und fährt dann fort wie folgt:

... Koffer, Truhen, Schränke waren allesamt erbrochen und zerschlagen, auch mein Priesterhemd zerrissen, so daß ich in großen Ängsten und Nöten stande. Doch hatten sie mein armes Töchterlein nit gefunden, maßen ich sie in einem Stall, wo es dunkel war, verborgen, denn sonst, sorge ich, hätten sie mir noch mehr Herzeleid bereitet. Weil nun aber ich bittern Hunger litte, so schrieb an Se. Gestrengen, den Herrn Amtshauptmann Wittich von Appelmann auf Pudagla [Schloß auf Usedom, früher ein berühmtes Kloster], daß er mir zukommen ließe, was Se. fürstliche Gnaden Philippus Julius mir vom Kloster zu Pudagla beigeleget, als nämlich 30 Scheffel Gerste und 25 Mark Silbers, welche Se. Gestrengen mir aber bis nunmehro geweigert, denn er war ein fast hart und unmenschlicher Mann. – Aber er antwortete mir nit, und ich wäre schier verschmachtet, wenn Hinrich Seden nicht für mich im Kapsel gebetet [Almosen in der Kirchspielgemeinde eingesammelt]. Gott lohn's dem ehrlichen Kerl in der Ewigkeit. Er wurde dazumalen auch schon alt und hatte viel Plage von seinem bösen Weibe Lise Kolken, angesehen sie im gemeinen Geschrei war, daß sie lange mit Wittich Appelmann in Unzucht gelebet, welcher von jeher ein rechter Erzschalk und absonderlich ein hitziger Schurzenjäger gewest, denn so etwas gesegnet der Herre nicht. Selbiger Seden nun brachte mir 5 Brote, 2 Würste und eine Gans, item eine Seite Speck. Möchte ihn aber vor seiner Frauen schützen, welche die Hälfte hätte vor ihr behalten wollen, und da er sich geweigert, hätte sie ihn vermaledeiet und die Kopfgicht angewünschet, so daß er gleich ein Ziehen in der rechten Wangen verspüret, welches jetzunder fast hart und schwer geworden. Für solcher erschrecklichen Nachricht entsetzte ich mich, wie einem guten Seelenhirten geziemet, fragende, ob er vielleicht gläubete, daß sie im bösen Verkehr mit dem leidigen Satan stünde und hexen könnte? Aber er schwiege und zuckete mit den Achseln. Ließ mir also die alte Lise rufen, welche ein lang, dürr Mensch bei 60 Jahren war, mit Gluderaugen, so daß sie niemand nit gerade ins Antlitz schauete. Aber obwohl ich sie fleißig aus Gottes Wort vermahnete, gab sie doch keine Stimme, und als ich endlich sagete: »Willtu deinen Kerl wieder umböten [umzaubern] (denn ich sahe ihn auf der Straßen durch das Fenster allbereits als einen Unsinnigen rasen), oder willtu, daß ich's der Obrigkeit anzeige?«, gab sie endlich nach und versprache, daß es bald solle besser mit ihm werden (was auch geschach). Item bat sie, daß ich ihr wölle etwas Speck und Brot verehren, dieweil sie auch seit dreien Tagen kein ander Fleisch und Nahrung mehr zwischen den Zähnen gehabt denn ihre Zunge. Gab ihr mein Töchterlein also ein halb Brot und ein Stück Speck bei zween Händen Länge, was ihr aber nicht genugsam bedünkete, sondern mummelte zwischen den Zähnen. Worauf mein Töchterlein sagte: »Bistu nicht zufrieden, alter Hexensack, so packe dich und hilf erst deinem Kerl! Schaue, wie er das Haupt auf Zabels Zaun geleget und mit den Füßen vor Wehetage trampelt!« Worauf sie ginge, doch abermals zwischen den Zähnen mummelnde: »Ja, ich will ihm helfen und dir auch!«

Kapitel 7

Inhaltsverzeichnis
Wie die Kaiserlichen mir alles übrige geraubet, auch die Kirchen erbrochen und die vasa sacra entwendet, item was sonsten fürgefallen

Nach etzlichen Tagen, als unsere Notdurft fast verzehret, fiel mir auch meine letzte Kuh umb (die andern hatten die Wülfe, wie oben bemeldet, allbereits zerrissen), nicht ohne sonderlichen Verdacht, daß die Lise ihr etwas angetan, angesehen sie den Tag vorhero noch wacker gefressen. Doch lasse ich das in seinen Würden, dieweil ich niemand nit verleumden mag; kann auch geschehen sein durch die Schickung des gerechten Gottes, dessen Zorn ich wohl verdienet hab. – Summa: Ich war wiederumb in großen Nöten, und mein Töchterlein Maria zerriß mir noch mehr das Herze durch ihr Seufzen, als das Geschreie anhub, daß abermals ein Trupp Kaiserlicher nach Ockeritze gekommen und noch greulicher denn die ersten gemarodieret, auch das halbe Dorf in Brand gestecket. Derohalben hielt ich mich nicht mehr sicher in meiner Hütten, sondern nachdem in einem brünstigen Gebet alles dem Herrn empfohlen, machte mich mit meinem Töchterlein und der alten Magd Ilsen auf in den Streckelberg [ein ansehnlicher Berg am Meere, nahe bei Koserow], wo ich allbereits ein Loch, einer Höhlen gleich und trefflich von Brommelbeeren verranket, uns ausersehen, wenn die Not uns verscheuchen söllte. Nahmen daher mit, was uns an Notdurft des Leibes geblieben, und rannten mit Seufzen und Weinen in den Wald, wohin uns aber bald die alten Greisen und das Weibsvolk mit den Kindern folgten, welche ein groß Hungergeschrei erhoben. Denn sie sahen, daß sich mein Töchterlein auf einen Stubben satzte und ein Stück Fleisch und Brot verzehrete, kamen also die kleinen Würmer mit ausgereckten Händeleins angelaufen und schrien: »Uck hebben, uck hebben!« [»Auch haben, auch haben!«] Wannenhero, da mich solch groß Leid billig jammerte, meinem Töchterlein nit wehrete, daß sie alles Brot und Fleisch, so vorrätig, unter die hungrigen Kindlein verteilete. Erst mußten sie aber dafür »Aller Augen« [Psalm 145, 15/16.] beten, über welche Wort ich dann eine tröstliche Ansprach an das Volk hielte, daß der Herr, welcher jetzunder ihre Kindlein gespeiset, auch Rat wissen würde, ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur nit müde werden, ihm zu vertrauen.

Aber söllich Trost währete nicht lange. Denn nachdem wir wohl an die zween Stunden in und um der Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe so kläglich an zu gehen. daß es einem jeglichen schier das Herze brach, angesehen auch dazwischen ein laut Schießen, item das Geschrei der Menschen und das Bellen der Hunde erschallete, so daß männiglich schließen kunnte, der Feind sei mitten im Dorfe. Hatte dannenhero genug mit den Weibern zu tüschen [beschwichtigen], daß sie nicht durch ihr unverständig Lamentieren dem grimmigen Feind unsern Schlupfwinkel verraten möchten, zumalen als es anfing schmokig zu riechen und alsobald auch die helle Flamme durch die Bäume glitzerte. Schickete derohalben den alten Paasch oben auf den Berg, daß er umbherlugen sollt, wie es stünde, hätte sich aber wohl zu wahren, daß man ihn nicht vom Dorfe erschaue, anerwogen es erst zu schummern begunnte. Solliches versprach er und kam alsbald auch mit der Botschaft zurücke, daß gegen 20 Reuter aus dem Dorfe gen Damerow gejagt wären, aber das halbe Dorf in roten Flammen stünd. Item erzählete er, daß durch seltsame Schickung Gottes sich sehr viel Gevögel in den Knirkbüschen [Wacholderbüsche] und anderswo sehen ließ, und meinete, wenn man sie nur fangen könnte, daß sie eine treffliche Speis vor uns abgeben würden. Stieg also selbsten auf den Berg, und nachdem ich alles so befunden, auch gewahr worden, daß durch des barmherzigen Gottes Hülf das Feuer im Dorfe nachgelassen, item daß auch mein Hüttlein wider mein Verdienst und Würdigkeit annoch stünde, stieg ich alsbald herunter, tröstete das Volk und sprach: »Der Herr hat uns ein Zeichen gegeben und will uns speisen wie einst das Volk Israel in der Wüsten, denn er hat uns eine treffliche Schar von Krammetsvögeln über die wüste Sehe gesendet, welche aus jedem Büschlein burren, so man ihm nahet. Wer will nun in das Dorf laufen und schneiden die Mähnhaare und den Schwanz von meiner gefallenen Kuh weg, so hinten auf der Wörte liegt?« (Denn Roßhaare hatte es im ganzen Dorf nicht, dieweil alle Roß vom Feinde längst genommen oder erstochen waren.) Aber es wollte sich niemand nit finden, angesehen die Angst noch größer war als der Hunger, als meine alte Ilse anhub: »So will ich schon gehen, denn ich fürchte mich nit, dieweil ich auf Gottes Wegen bin, gebet mir nur einen guten Stock.« Als ihr nun der alte Paasch seinen Stecken hingereichet, begunnte sie vor sich zu singen: »Gott, der Vater, wohn uns bei« und verlief sich bald in das Gebüsche.

Hierzwischen vermahnete ich nun das Volk, alsbald Hand anzulegen, kleine Rütlein zu den Dohnen zu schneiteln und Beeren zu suchen, dieweil es Mondschein ware und allwärts viel Gänseflieder, auch Ebereschen auf dem Berge stunden. Die kleinen Kindlein aber hütete ich mit meiner Marien, dieweil die Gegend nicht sicher für Wülfen war. Hatten derohalben ein lustig Feuer angemacht, umb welches wir uns setzten und dem kleinen Volk die Gebot verhöreten, als es hinter uns knisterte und knasterte und mein Töchterlein mit den Worten: »Proh dolor, hostis!«1 auf- und in die Höhlen sprang. Aber es waren nur die rüstigen Kerls, so im Dorfe verblieben und nun kamen, uns Botschaft zu bringen, wie es alldorten stünde. Dahero rief ihr gleich zu: »Emergas, amici!« [»Komm nur wieder hervor, es sind Freunde!«], wo sie denn auch mit großen Freuden wieder herfürsprang und bei uns zum Feuer niedersaß. Alsobald verzählete nun mein Fürsteher Hinrich Seden, was derweilen fürgefallen und wie er nur durch sein Weib Lise Kolken sein Leben geborgen. Jürgen Flatow, Chim Burse, Clas Peer und Chim Seideritz aber wären erschlagen, und läge letzterer recht auf dem Kirchsteig. Zwölf Katen hätten die grimmigen Mordbrenner in Asche geleget, und wär es nit ihre Schuld, daß nicht das ganze Dorf draufgegangen, angesehen der Wind ihnen nicht gepasset. Hätten zum Hohn und Gespötte die Glocken dazu geläutet, ob niemand kommen wöllt und löschen, und als er und die drei andern jungen Kerle herfürgesprungen, hätten sie die Musketen auf sie angedrückt, aber mit des großen Gotts Hülfe niemand nit getroffen. Darauf wären seine Gesellen über die Zäune gesprungen, ihn aber hätten sie erwischet und schon das Gewehr über ihm ausgerecket, als sein Weib Lise Kolken mit eim andern Trupp aus der Kirchen herfürgetreten und ihnen gewinket, daß er Ruhe gehabt. Lene Hebers aber hätten sie in ihrem Wochenbett erstochen, das Kindlein gespießet und über Clas Peers Zaun in den Nessel geworfen, wo es annoch gelegen, als sie abgelaufen. Wäre jetzunder im ganzen Dorf derohalben keine lebendige Seele mehr und noch schwerer ein Bissel Brots, so daß, wenn den Herren nit ihre Not jammerte, sie alle des elendiglichen Hungertodes würden sterben müssen. (Da sage nun einer, das wöllen Christenmenschen sein!)

Fragte nunmehro, als er schwiege (mit wieviel Seufzen jedoch, kann man leichtlich schließen), nach meiner Hütten, wovon sie aber nichts wußten, als daß sie annoch stünde. Ich dankete dannenhero dem Herrn mit einem stillen Seufzerlein, und alsobald den alten Seden fragend, was sein Weib in der Kirchen gemachet, hätte ich schier vergehen mügen für großen Schmerz, als ich hörete, daß die Lotterbuben, als sie heraußergetreten, die beiden Kelche nebst den Patenen in Händen getragen. Fuhr dahero die alte Lise fast heftig an, welche nun auch angeschlichen kam durch das Buschwerk, worauf sie aber trotziglich zur Antwort gab, daß das fremde Volk sie gezwungen, die Kirche aufzuschließen, da ihr Kerl ja sich in den Zaun verkrochen und niemand anders nit dagewesen. Selbige wären sogleich für den Altar getreten, und da ein Stein nicht wohl gefuget (was aber eine Erzlüge war), hätten sie alsobald angefangen, mit ihren Schwertern zu graben, bis sie auch die Kelche und Patenen gefunden. Könnte auch sein, daß ein anderer ihnen den Fleck verraten. Möchte dahero ihr nicht immer die Schuld beilegen und sie also heftig anschnauzen.

Hierzwischen kamen nun auch die alten Greisen und Weiber mit trefflich vielen Beeren an, item meine alte Magd mit dem Kuhschwanz und den Mähnhaaren, welche verzählete, daß das ganze Haus umbgewühlet, die Fenster zerschlagen, die Bücher und Skripturen auf der Straßen in den Kot getreten und die Türen aus den Hespen gehoben wären. Solliches aber war mir ein geringer Leid denn die Kelche, dahero nur das Volk vermahnete, Biegel und Schneere zu machen, umb am nächsten Morgen mit des barmherzigen Gotts Hülfe unser Jagdwerk zu vollführen. Klöbete dahero selber die Rütlein bis um Mitternacht, und da wir eine ansehnliche Zahl gefertiget, ließ ich den alten Hinrich Seden den Abendsegen beten, den wir alle kniende anhöreten, worauf ich endiglichen noch ein Gebet tat und das Volk sodann vermahnete, die Männer apart und die Weiber auch apart sich für der Kälte (dieweil es schon im Monat Septembri war und fast frisch von der Seekante herwehete) in dem Buschwerk zu verkriechen. Ich selbsten stieg aber mit meinem Töchterlein und der Magd in die Höhlen, hatte aber noch nicht lange geschlummert, als ich den alten Seden fast heftig wimmern hörete, weil ihn die Kolik überfallen, wie er klagte. Stand dahero wieder auf und gab ihm mein Lager und setzte mich wieder zum Feuer und schneitelte Dohnen, bis ich ein halb Stündlein entschlief und der Morgen anbrach, worauf es besser mit ihm worden war und ich nun auch alsobald mich aufmachte und das Volk zum Morgensegen weckte. Dieses Mal tät ihn der alte Paasch, kunnte aber nit recht hineinkommen, weshalb ich ihm aushelfen mußte. Hatt' er ihn vergessen, oder tat's die Angst, das lasse ich ungesagt. Summa. Nachdem wir all recht inniglichen gebetet, schritten wir alsofort zum Werk, keilten die Dohnen in die Bäume und umbhingen sie mit Beeren, unterdessen mein Töchterlein die Kinder hütete und Brummelbeeren vor sie zum Frühstück suchete. – Nun soll man aber wissen, daß wir quer durch den Busch gen den Weg nach Ückeritze hin keileten, und da merke nun männiglich wieder die sonderbare Gnadenschickung des barmherzigen Gotts. Denn als ich mit dem Beil in der Hand (es war Seden sein Beil, so er in der Frühe aus dem Dorfe geholet) in bemeldeten Weg trate, nehm ich auf der Erden ein Brot wahr bei eines Armes Länge, worauf ein Rabe pickete und welches sonder Zweifel ein kaiserlicher Reuter tags vorhero aus seinem Schnappsack verloren, dieweil noch frische Roßtrappen im Sande dabeistunden. Knöpfe mir es also heimlich über den Wanst, so daß niemand nichtes merkete, obschon bemeldeter Paasch dicht hinter mir schritt, item alle andern in nicht gar guter Ferne ihm folgeten. Als wir nun so die Dohnen bestellet in großer Frühe, hatte es schon gegen die liebe Mittagszeit eine so große Menge Vögel darinnen, daß Käthe Berow, welche mir zur Seiten schritt, als ich sie abbande, dieselben in ihrem Schurzfleck fast nit zu lassen wußte und auf dem andern Ende der alte Pagels auch nit viel weniger aus seinem Brustlatz und Rocktaschen herfürlangte. Mein Töchterlein setzte sich also mit dem andern Frauenvolk hin, das Gevögel zu rupfen, und da es an Salz gebrach (denn dessen hatten die meisten von uns lange nicht mehr gekostet), vermahnete sie ein paar Männer, zur Sehe zu steigen und in einem Grapen, so noch von Staffer Zuter geborgen war, ein wenig gesalzen Wasser zu holen, was sie auch täten. In solchem Wasser tunketen wir nunmehro die Vöglein und brieten sie darauf bei einem großen Feuer, wobei uns allen schon von dem süßen Geruch das Maul zu wässere begunnte, da wir so lange keiner Speisen nicht gekostet.

Sage dahero, als alles fertig und das Volk sich auf der Erden gelagert hat: »Nun schauet. wie der Herr sein Volk Israel in der Wüsten noch immerdar mit frischen Wachteln speiset; sollt er nun ein übriges tun und uns auch ein Stücklein Mannabrot vom Himmel senden, was meinet ihr, würdet ihr dann jemalen müde werden zu glauben und nit vielmehr alle Not, Trübsal, Durst und Hunger williglich tragen, so er euch förder nach seinem gnädigen Willen auferlegen söllte?« Worauf sie alle antworteten und sprachen: »Ja, sicherlich!« Ego: »Wöllt ihr mir das wahrhaftiglichen versprechen?« Worauf sie wiederumb sageten: »Ja, das wollen wir!« Da zog ich mit Tränen das Brot von meinem Wanst herfür, hub es hoch in die Höhe und rufete: »Nun schau, du armes, gläubiges Häuflein, welch ein süßes Mannabrot dein treuer Erlöser dir durch mich gesendet!« Worauf alles schrie, ächzete, weinete, auch die kleinen Kinder abermals herbeisprangen und die Händelein ausrecketen, indem sie schrien: »Kiekt Brot, kiekt Brot!« Da ich aber vor Wehmut selbsten nit beten kunnte, ließ ich Paasch sein klein Mägdlein das Gratias beten, in währender Zeit meine Maria das Brot zerschnitt und einem jeglichen sein Teil reichete. Und nun langeten wir allesamt freudig zu dem lieben Gottesmahl in der Wüsten.

Hierzwischen mußte nun aber erzählen, wie ich das liebe Mannabrot gefunden, wobei nit versäumte, sie abermals zu vermahnen, daß sie wöllten das große Wunderzeichen sich zu Herzen gehen lassen, so der barmherzige Gott, wie weiland an dem Propheten Elias, an ihnen auch getan, angesehen, wie ein Rab in der großen Hungersnot demselbigen das Brot in der Wüsten zugeführet, der Herr auch mir dieses Brot durch einen Raben zugeführet, daß ich es finden gemüßt, da ich ihm sonst wohl in meiner Trübsal vorbeigeschritten und es nimmer gesehen hätte.

Als wir endiglichen unsern Bauch mit Notdurft gefüllet, hielte die Danksagung über Lukas 12, V. 24, wo der Herre spricht: »Nehmet wahr den Raben, sie säen nicht, sie ernten auch nit, sie haben auch keine Keller noch Scheunen, und Gott nähret sie doch. Wieviel aber seid ihr besser denn die Vögel?« – Aber unsere Sünden stunken vor dem Herrn. Denn da die alte Lise, wie ich bald in Erfahrung gebracht, ihre Vögel nit verzehret, weil sie ihr zu nüchtern fürkamen, sondern selbige in den Knirkbusch geworfen, ergrimmete sein Zorn über uns wie weiland über das Volk Israel, und wir hatten zur Nacht nur sieben Vögel auf den Schneeren, am andern Morgen aber nur zween. Auch kam kein Rab wieder, der uns Brot wiese. Darumb schalt ich die alte Lise und vermahnete das Volk, sollich gerechte Strafe des höchsten Gottes williglich auf sich zu nehmen, fleißig zu beten, in seinen verlassenen Hütten zurückzuwallen und zu sehen, ob der grundgütige Gott vielleicht auf der Sehe mehr bescheren möcht. Würde ihn auch in mein Gebet Tag und Nacht anrufen, doch noch eine Zeitlang mit meinem Töchterlein und der Magd in der Höhlen verbleiben und der Dohnen hüten, ob sich sein Zorn wenden möcht. Sollten mir inzwischen mein Pfarrhaus nach besten Kräften wieder zurichten, damit ich es bald wieder beziehen könnt, sintemalen die Kälte mir fast schwerfiele. Solliches gelobten sie auch zu tun und schieden mit Seufzen von dannen. Welch ein klein Häuflein! Fande nur noch bei 25 Köpfen, da deren doch sonsten über 80 gewest, alle andern hatte der Hunger, das Schwert und die Pestilenz2 gewürget. Blieb dahero noch mit meinem Gebet für Gott eine Zeitlang einsam und traurig in den Höhlen und sendete nur mein Töchterlein nebst der Magd mit zum Dorfe, daß sie sich umbsehen sollten, wie es in den Widemen [Pfarrhaus] stände, item die Schriften und Bücher wieder zusammenlegen, auch mir Kundschaft bringen, ob Hinze, der Zimmermann, den ich alsobald ins Dorf zurückgesendet, die Särge vor die elenden Leichname zusammengehämmert, daß ich sie des nächsten Tages begraben möchte. Darauf schritt ich zu den Dohnen, aber nur ein einig Vögelein war darinnen zu verspüren, woraus ich denn merkete, daß der Zorn Gottes noch nit vorüber. Traf jedoch einen schönen Brummelbeerenbusch, woran ich bei einer Metze Beeren pflückete, mit dem Vogel selbige in Staffer Zuter seinen Grapen tät, den der gute Kerl uns noch eine Frist gelassen, und zur Nachtkost auf ein Feuer setzete, wann mein Kind mit der Magd zurückkehren würd. Währete auch nicht lange, als sie durch den Busch brachen und von dem Greuel der Verwüstung erzähleten, so der leidige Satan unter Zulassung des gerechten Gottes im Dorf und in der Widemen angerichtet. Mein Töchterlein hatte noch ein paar Bücher zusammengelesen, die sie mit sich trug, vor andern einen Virgilium und eine griechische Bibel. Und als sie darauf verzählet, daß der Zimmermann erst morgen fertig würd, wir auch alsbald unsern Bauch zur Notdurft gestillet, mußte sie mir zur Stärkung meines Glaubens noch einmal den locum von den lieben Raben, Lukas am 12ten, aus dem Griechischen fürlesen, item den schönen locum parallelum, Matth. am 6ten, worauf die Magd den Abendsegen betete und wir uns nach der Höhlen zur Nachtruh begaben. Als ich nun am andern Morgen erwachte, als eben die liebe Sonne aus der Sehe herfürbrach und über den Berg schauete, hörete ich, daß mein arm hungrig Töchterlein schon vor der Höhlen stand und das schöne Liedlein von den Freuden des Paradieses rezitierte, so der heilige Augustinus gefertiget und ich ihr gelernet. Bei diesen Worten wurde ich selbsten weich, und als sie schwiegen fragte ich: »Was machst du da, mein Töchterlein?« Worauf sie mir zur Antwort gabe: »Ich esse, Vater!«, was mir erst recht die Tränen herfürtrieb, so daß ich anfing sie zu loben, daß sie die arme Seele speisen wöllt, da sie es nicht ihren armen Leib künnte. Hatte aber noch nit viel gesprochen, als sie aufschrie, daß ich das große Wunderwerk doch betrachten söllte, so sich aus der Sehe herfürtät und allbereits über der Höhlen hereinbrach. Denn siehe, eine Wolke, ganz wie ein Kreuz geformet, kam über uns und ließ dicke, schwere Tropfen (bei einer guten Erbsen groß und darüber) auf uns niederfallen, worauf sie alsbald hinter das Gehäge sank. Richtete mich dannenhero sogleich in die Höhe und rannte mit meinem Töchterlein flugs auf das Gebirge, ihr nachzuschauen. Sie zog gen das Achterwasser [ein Busen, den der Peenefluß in der Nähe bildet], wo sie sich weit auseinandertät und hinterwärts alsbald einen großen blauen Streifen formierete, welchen wunderlich die Sonne beschien, so daß er schier wie eine güldne Brücken anzuschauen war, wie mein Töchterlein sagte, auf welcher die lieben Engel tanzten. Fiel daher mit ihr sogleich auf die Knie und dankete dem Herrn, daß unser Kreuz fürüber gezogen; aber ach, unser Kreuz sollte erst anheben, wie man weiterlesen wird.

Kapitel 8

Inhaltsverzeichnis
Wie unsere Not immer größer wird, ich die alte Ilse mit einem andern Schreiben gen Pudagla sandte, und was mir daraus noch für ein größer Leid erfolget

Als ich des andern Tags mit gemeinem Geschrei des ganzen Dorfs die elenden Leichname beerdiget (Merke: Da wo die Linde [ist jetzt nicht mehr vorhanden] über die Mauer schattet, seind sie alle begraben), hörete ich mit vielen Seufzern, daß auch weder die Sehe noch das Achterwasser etwas hergeben gewöllt. Dies dauerte bei zehn Tagen, daß das arme Volk fast kein Fisches Auge nit kunnte fangen. Ging dahero auf das Feld und sanne, wie der Zorn des gerechten Gottes über uns zu wenden wär, dieweil der harte Winter vor der Tür und kein Korn, kein Fisch, kein Apfel, kein Fleisch nicht sowohl im Dorfe als im ganzen Kapsel mehr zu finden. Denn Gewilde hatte es zwar genugsam in der Koserowschen und Ückeritzer Heiden, aber der alte Heidenreuter Zabel Nehring war im verschienen Jahr an der Pestilenz gestorben und noch kein neuer daselbsten. Auch war im ganzen Kapsel, keine einzige Muskete oder Kraut dazu aufzufinden, sintemalen der Feind alles geraubet und zerbrochen. Wir mußten dahero alle Tage ansehen, wie Hirsche, Rehe, Hasen, Schweine et cetera uns fürbeisprangen, da wir sie doch lieber in unserm Magen gehabt, aber in unserer Unmacht sie nicht gewinnen kunnten. Und in Gruben wollten sie sich nicht fahen lassen. Doch hatte Claas Peer ein Rehe darin gefangen und mir auch ein Stück davon verehret, was ihm Gott lohnen wölle. Item an zahmen Vieh war fast gar nichts mehr im Kapsel fürhanden, auch kein Hund, weder eine Katze, welche das Volk in der großen Hungersnot zum Teile gegessen, zum Teile aber vorlängst geschlagen oder versäufet. Doch hatte der alte Bauer Paasch noch zwei Kühe, item soll in Ückeritze noch ein alter Mann ein Ferkelken gehabt haben, das war alles. Darumb lebete fast alles Volk von Brummel- und andern Waldbeeren, welche aber auch schon begunnten, selten zu werden, wie man leichtlich schließen mag. Auch hatte sich dabei allbereits ein Knabe bei 14 Jahren verlaufen (dem alten Labahn sein Junge) und nie nichts wieder von sich hören lassen, so daß ich schier befürchte, daß ihn die Wülfe gefressen.

Hieraus möge nun ein christlich Herze vor sich selbsten abnehmen, in was Gram und Trübsal ich meinen Stecken zur Hand genommen, angesehen mein Töchterlein für den leidigen Hunger wie ein Schatten verging, obschon ich selbsten, als ein alter Körper, durch die Gnade des barmherzigen Gottes noch keinen sonderbaren Abgang meiner Kräfte verspürete. Indeme ich nun so ginge, im Fortwähren zu dem Herrn wimmernd, gewahrete ich auf dem Wege gen Ückeritze, so ich eingeschlagen, einen Bettlersmann, der saß mit seinem Ränzel auf einem Stein und verzehrete ein Stücklein seltene Gottesgabe, verstehe ein Stücklein Brot. Ach, da liefen mir armen Mann die Backen so voll Wassers, daß ich mich erst bücken und es zur Erde mußte laufen lassen, ehe ich fragen kunnte: »Wer bistu und wo kommstu her, daß du Brot hast?« Worauf er antwortete, daß er ein armer Mann aus Bannemin sei, deme der Feind allens genommen, und da er erfahren, daß der Lieper Winkel [ein abgelegener Teil der Insel Usedom] fast lange Frieden gehabt, hätt er sich aufgemacht, daselbsten zu schnurren. »Nun«, sage ich darauf, »du armer Bettlersmann, so teile einem betrübten Diener Christi, der ärmer ist denn du, nur eine kleine Schnede [plattdeutsch: Schnitte] Brot für sein armes Töchterlein ab, denn du sollt wissen, ich bin ein Pfarrherr hier im Dorf, und mein Kind will sterben für Hunger. Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du mich nit gehen lässest, ohne dich mein zu erbarmen, wie man sich dein erbarmt hat.« Aber der Bettlersmann wollte mir nichts abteilen, sprechend, daß er selbsten ein Weib und vier Kinder hätte, die auch dem bittern Hungerstode zuwanketen, maßen die Not in Bannemin noch viel größer sei denn hier, wo wir doch Beeren hätten. Ob ich nit erfahren, daß vor wenig Tagen dort ein Weibsbild (die er auch nennete, hab es aber für Schrecken nicht gleich beachtet) ihr eigen Kind geschlachtet und für Hunger aufgezehret3? Könne mir dahero nicht helfen, und möchte ich selbsten nach dem Lieper Winkel gehen.

Für solche Rede entsatzte ich mich, wie leicht zu erachten, da in unserer Not noch nichts davon vernommen, auch wenig oder gar kein Wanken ist von einem Dorf in das andere, und an Jerusalem gedenkend [wo nach Josephus dasselbe geschah] und schier verzweifelnd, daß uns der Herr heimsuchete wie weiland diese gottlose Stadt, wiewohl wir ihn nicht verraten noch gekreuziget, vergaß ich fast meiner Not und setzte meinen Stecken an, umb fürbaß zu gehen. Doch war ich kaum ein paar Ellen geschritten, als mir der Bettlersmann nachrief, daß ich stehen söllte. Wandte mich dahero wieder, als er mir mit einer guten Schnede Brot, so er aus seinem Quersack geholet, entgegentrat und sprach: »Da! Äwer bedet uck för mi, dat ick to Huse kame, denn wenn se unnerweges rücken, dat uck Brot hebbe, schleht mi min egen Broder dod, köhnt gi glöwen!4 Solliches versprach mit Freuden und kehrete flugs um, meinem Töchterlein den heiligen Christ zu bringen, so ich in meiner Rocktaschen verborgen. Doch siehe, als ich gegen die Straßen komme, so vom Wege nach Loddin führet (vorhero hatt ich es in meiner Betrübnis übersehen), trauete kaum meinen Augen, als ich alldorten mein Ackerstück, bei sieben Scheffeln groß, begatet [zur Saat vorbereitet, d. i. gepflügt und geeggt], besäet und bestandet antraf, so daß die liebe Roggensaat schon bei eines Fingers Länge lustig aus der Erden geschossen war. Konnte nicht anders gläuben, als daß der leidige Satan mir ein Blendwerk fürgespielet, doch wie ich mir auch die Augen riebe, es war Roggen und bliebe Roggen. Und weil den alten Paasch sein Stück so danebenstieß, imgleichen besäet und die Hälmlein zu gleicher Höhe mit den meinigen geschlossen waren, kunnte gar leicht bei mir abnehmen, daß der gute Kerl solliches getan, anerwogen die andern Stücken allesamt wüste lagen. Verziehe ihm dahero gerne, daß er den Morgensegen nit gewußt, und dem Herrn dankend vor so viel Liebe bei meinen Kapselkindern und ihn brünstiglich anflehend, er wölle mir Kraft und Glauben gewähren, bei ihnen nunmehro auch unverdrossen auszuhalten und alle Kümmernis und Trübsal, so er nach seinem grundgütigen Willen uns ferner auferlegen söllte, williglich zu tragen, lief ich mehr, denn ich ginge, in das Dorf zurücke und auf den alten Paasch seinen Hof, wo ich ihn antraf, daß er eben seine Kuh zuhauete, so er für grimmigem Hunger nunmehro auch geschlachtet. »Gott hilf dir«, sage ich, »du frommer Kerl, daß du mir meinen Acker begatet hast, wie soll ich dir's lohnen?« Aber der alte Mann gab zur Antwort: »Lat He dat man wesen, und bede He man för uns!« [»Laß Er das nur ruhen, und bete Er nur für uns!«] Und als ich solliches gerne zusagete und ihn fragete, wie er sein Korn für dem grimmigen Feind geborgen, verzählete er mir, daß er es in der Höhlen im Streckelberge heimlichen versteckt gehabt, nunmehro aber auch all sein Fürrat aufgezehret sei. Inzwischen schnitt er ein groß schön Stück Fleisch dem Tier aus der Lenden und sprach: »Da hett He uck wat, und wenn et all is, kann He noch eis kamen!« [»Da hat Er auch was, und wenn es verzehret ist, kann Er noch einmal kommen!«] Als ich nun mit vielen Danksagungen gehen wöllt, griff mich seine kleine Marie bei der Hand, ein Kindlein bei sieben Jahren, so im Steckelberge das Gratias gebetet, und wollt mit zu meiner Tochter nach der Schulen. Denn da, wie vorbemeldet, mein Kustos in der Pestzeit auch dieses Zeitliche gesegnet, muß sie die paar kleinen Kinder im Dorf informieren, welches aber seit lange unterblieben. Wollt es ihr dahero nicht weigern, obwohl ich gleich besorgete, daß mein Töchterlein das Brot mit ihr teilen würd, angesehen wie das Mägdlein sehr lieb hatte, da es ihre Pate war. Und so geschahe denn auch. Denn als das Kind sahe, daß ich das Brot herfürlangete, schrie es gleich für Freuden auf und begunnte, auf die Bank zu klettern. Daher bekam sie einen Teil von der Schnede, einen Teil unsere Magd, und den dritten Teil steckte mein Töchterlein in den Mund, da ich nichtes haben wollte, sondern sprach, ich verspüre keinen Hunger und wölle warten, bis sie das Fleisch gesotten, welches ich nunmehro auch auf die Bank warf. Da hätte man sehen sollen, welche Freude mein armes Kind empfund, zumalen ich ihr nun auch von dem Roggen verzählete. Sie fiel mir umb meinen Hals, weinete, schluchzete, hob alsdann das kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzte mit selbiger in der Stuben und rezitierete nach ihrer Weis dazu allerhand lateinische versus, so sie auswendig wußte. Nun wollte sie uns auch ein recht schön Abendbrot zurichten, da in einer Fleischtonnen, so die Kaiserlichen zerschlagen, noch ein wenig Salz auf dem Boden geblieben. Ließ sie also ihr Wesen treiben und kratzete etwas Ruß aus dem Schornstein, so ich mit Wasser vermengete, riß alsdann ein fast weißes Blatt aus dem Virgilio und schriebe an den Pastorem Liepensem, Ehre Abraham Tiburtius, daß er um Gottes willen sich wölle unsere Not zu Herzen gehen lassen und seine Kapselleute vermahnen, daß sie uns für dem grimmigem Hungertod schützen und mildtätiglich an Speise und Trank abteilen wöllten, was der grundgütige Gott ihnen gelassen, angesehen ein Bettlersmann mir verzählet, daß sie seit langer Zeit Friede für dem erschröcklichen Feind gehabt. – Wußte aber nit, womit ich den Brief verschließen söllte, als ich in der Kirchen noch ein wenig Wachs in einem hölzernen Altarleuchter funde, so die Kaiserlichen nicht wert geachtet, daß sie ihn aufhüben, und nur die messingschen mit sich geführt hatten. Mit solchem Brief mußten sich drei Kerls und der Fürsteher Hinrich Seden in ein Boot setzen und nach der Liepe aufmachen.

Eher noch stellte aber meiner alten Ilsen für, so aus der Liepe bürtig war, ob sie nit lieber wöllte mit in ihre Heimat ziehen, maßen sie sähe, wie es stünd, ich ihr auch vors erste keinen Witten an Lohn geben künnte. (Merke: Sie hatten sich ein schön Sümmlein ersparet, angesehen sie länger denn 20 Jahre bei mir in Dienst gewest, aber das Kriegsvolk hatte ihr allen abgenommen.) Aber ich kunnte sie nicht dazu bringen, sondern sie weinete bitterlich und bate, daß ich sie nur bei der guten Jungfer lassen söllte, so sie schon in der Wiegen gekennet. Wöllte gerne mit uns hungern, wenn es sein müßt, möchte sie nur nit verstoßen. Dahero ließ ich sie, und fuhren die andern allein ab.