Mathematik - Horst Ferdinand - E-Book

Mathematik E-Book

Horst Ferdinand

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  • Herausgeber: Salis Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Der erfolgreiche Musikmanager Hollinger fährt spätnachts seinen Wagen an einen Unfall in einem abgelegenen Waldstück. Keine große Sache, der Vielfahrer hat schon einiges erlebt. Doch dann erkennt Hollinger den schwerverletzten Lenker des verunfallten Wagens. Es ist Otto Rahm, damals genannt König Ottokar, der ihn in der Kindheit bis aufs Blut geplagt und gereizt hat. Hollinger hat nicht vergessen. Und es kommt ihm eine teuflische Idee.

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Seitenzahl: 49

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Horst Ferdinand

Mathematik

Inhalt

Mathematik

ZUM AUTOR

»Das war unsere neueste Ausgabe von Aufsteiger, mit meinem heutigen Gast Herbert Hollinger, einem der erfolgreichsten Musikmanager im deutschsprachigen Raum. Nächste Woche begrüße ich Zarella Sweet, die kleinste professionelle Pornodarstellerin Österreichs. Und glauben Sie mir, verehrtes Publikum, die knapp eins fünfzig große Dame hat so einiges zu erzählen! Ich hoffe, Sie sind wieder mit dabei, nächsten Dienstag, einundzwanzig Uhr, Aufsteiger mit mir, Ihrem Sebastian Witt. Machen Sie’s gut!«

»Kamera – Achtung – Schwenk; und jetzt – raus.«

Die Sendung ist zu Ende und Hollinger froh, als die Schweinwerfer erlöschen. Er schwitzt unter der dicken Schicht Studioschminke und hat eine trockene Kehle. Witt, der Moderator, den er schmierig und verschlagen findet, schüttelt ihm die Hand. Hollinger hat das Gefühl, es schwimme ein feuchtkalter Fisch zwischen seinen Fingern. Unauffällig wischt er sich die Handfläche an seiner Hose trocken. Witt sagt etwas, doch im plötzlichen Lärm des Studioumbaus kann Hollinger ihn nicht verstehen. Trotzdem nickt er mehrmals, zeigt Witt den hochgereckten rechten Daumen, klopft ihm sogar lächelnd auf die Schulter. Hollinger ist es gewohnt, Menschen, die er verachtet, jovial und freundlich zu behandeln. Das ist sein Job.

Der Wagen schlingert leicht nach links. Otto Rahm schreckt hoch, packt das Lenkrad fester und steuert dagegen.

»Otto!«

Verdammt, er hat gehofft, Elisabeth würde zu tief schlafen, um etwas zu bemerken. Doch eigentlich weiß er es besser, denn seine Frau ist eine unangenehm nervöse Beifahrerin. Obwohl ich in den achtzehn Jahren unserer Ehe noch nicht einen Unfall hatte, denkt Rahm grimmig. Es war eines der wenigen Dinge, die er an ihr nicht leiden konnte. Aber eine Zweiundfünfzigjährige würde sich wohl nicht mehr ändern. Er selbst war sechsundfünfzig und würde sich ganz bestimmt nicht mehr ändern. Das Leben sei Veränderung, sagen die Leute. Otto Rahm und seine Frau Elisabeth, geborene Brunner, waren kein geeignetes Beispiel für diese Theorie.

»Otto, so kannst du nicht mehr weiterfahren! Du bringst uns beide noch ins Grab! Wir müssen eine Pause einlegen, du solltest etwas schlafen. Sieh das doch bitte endlich ein!«

Er mag ihre Stimme auch dann, wenn sie wütend klingt. Und als sie ihm jetzt mit ihren langen Fingern zärtlich durch seine mittlerweile ausgedünnte Lockenpracht streichelt, seufzt er kurz und spürt es wieder. Das flauschige, rosarote Gefühl. Sich nach mehr als achtzehn Jahren noch immer gern zu haben. Elisabeth ist die Liebe seines Lebens - und er nichts ohne sie. Er wäre lieber tot, als auch nur eine Woche ohne seinen Sonnenschein zu verbringen. Er räuspert sich.

»Also gut, mein Sonnenschein, du hast ja recht. Ich suche uns einen Parkplatz, und dort schlafe ich zwei Stunden. Dann fahren wir weiter. Okay?«

Er dreht den Kopf für einen Moment nach rechts, ihr blasses Gesicht leuchtet im Dunkel des Wageninneren. Er mag ihre Blässe, er findet es sexy. So wie diese Schwarzhaarige aus The Addams Family. Es ärgert ihn, dass er sich jetzt nicht an den Namen erinnern kann. Als Halbwüchsiger hat er jede Folge der Serie gesehen und die Schwarzhaarige begeistert in seine schwitzig-feuchten Träume eingebaut. Und es ärgert ihn, dass Elisabeth nachtblind ist. Weswegen sie ihn nicht am Steuer ablösen kann.

Aber seine Ehefrau findet wie immer die richtigen Worte: »Danke, Schatz, dass du auf mich hörst. Wir werden sicher bald einen Parkplatz finden. Und der Schlaf wird dir guttun! Wir sind auf jeden Fall rechtzeitig zu Hause.«

Nach wie vor streichen ihre schlanken Finger durch sein Haar. Rahm fühlt einen Schauer den Rücken hinablaufen. Ich liebe sie, denkt er, ich liebe sie so sehr. Er lächelt sie an.

»Gerne doch, mein Sonnenschein, du hast ja recht.«

Elisabeth lässt sich zurück in den Sitz gleiten und schließt die Augen. Rahm beginnt zu pfeifen. Es ist die Melodie von The House Of The Rising Sun.

Hollinger sitzt in der Suite, die ihm die Produktionsfirma reserviert hat. Vor ihm liegen Handspiegel, Plastikkarte, ein silbernes Röhrchen und die Reste von einem Gramm Koks. Es ist gutes Zeug, nicht der Dreck, der auf den Straßen verkauft wird. Er fühlt sich unternehmungslustig und frisch. Und aufgewühlt. Auch wenn er die Sendung nicht leiden kann, die Redaktion arbeitet sehr professionell, das muss er doch zugeben. Er ist noch immer beeindruckt davon, was alles sie aus seiner Kindheit und Jugend ausgegraben haben. Besonders aus seiner Jugend. Und ganz besonders über die Jahre im Gymnasium, bevor er dort hochkant rausgeflogen ist. Damals, als er noch manchmal gestottert hat. Die »schlimme Zeit«, wie er es selbst nennt. Hollinger spürt seine schweißnassen Achselhöhlen auskühlen. Ein unangenehmes Gefühl. Genauso wie die Erinnerungen an das Gymnasium. Und vor allem an das letzte Jahr - und an den König, dieses Arschloch. Diese Eiterbeule, dieser Auswurf, dieser elende Wichser. Hollinger lacht laut auf. Es sind inzwischen mehr als zwanzig Jahre vergangen, und noch immer verspürt er diesen brennenden Hass. Was hat er sich nicht alles für ausgeklügelte Foltermethoden für diese Drecksau ausgedacht, damals, als pickliger und stotternder Klassenkasper der 3c. Hitze steigt in ihm auf, und es ist nicht nur das Kokain. Viele Jahre seines Lebens hat er davon geträumt, den König leiden zu sehen. Hat er davon geträumt, sich zu rächen für dessen Demütigungen. Hollinger zuckt mit den Achseln und steht auf. Er will etwas erleben. Nicht hier im Hotelzimmer versauern. Er ist nicht müde und hat noch ein zweites Briefchen bei sich. Er beschließt, erst mal duschen zu gehen. Danach würde man weitersehen.