MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2) - Robert McCammon - E-Book

MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2) E-Book

Robert McCammon

4,6

Beschreibung

"… eine herausragende Geschichte, fesselnd und voller Spannung …" [Stephen King] Inhalt: Geht eine Hexe in Carolina um? Das zumindest glauben die Bewohner der kleinen Stadt Fount Royal. Ihr Name ist Rachel Howarth, eine Fremde - wunderschön und mutig. Kein Wunder, dass sie von manchen Einwohnern gehasst wird und den meisten zumindest suspekt vorkommt. Der fahrende Friedensrichter Isaac Woodward und sein scharfsinniger Gerichtsdiener Matthew Corbett sollen ihr den Hexenprozess machen. Die Beweise sind erdrückend: In ihrem Haus finden sich okkulte Hinweise, sie weigert sich, die Worte des Herrn zu sprechen, und Zeugen berichten von unaussprechlichen Dingen, die sie mit dem Leibhaftigen selbst begangen haben soll. Aber Matthew zweifelt an den Anschuldigungen. Gibt es so etwas wie Hexerei wirklich? Und wenn Rachel tatsächlich wie ein Dämon durch die Nacht fliegen kann, wieso hat sie sich dann nicht längst selbst aus dem Gefängnis befreit? In Fount Royal gehen noch weitaus rätselhaftere Dinge vor. Wer ermordete Rachels Ehemann? Wer wäre imstande, eine ganze Stadt zu paralysieren? Und wer würde davon profitieren, wenn die Hexe verbrannt würde? Es tobt tatsächlich ein Kampf zwischen Gott und Teufel, zwischen Gut und Böse in dieser Stadt, und selbst die Unschuldigen sind nicht länger sicher. Schon bald muss sich Matthew Corbett mit Herz und Hirn dem wahrhaftigen Bösen stellen, das in Fount Royal umgeht ...

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Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal

– Band 2 –

Robert McCammon

übersetzt von Nicole Lischewski

Copyright © 2002 by Robert McCammon Published by Arrangement with THE MCCAMMON CORPORATION

 

This Work was negotiated through Literary Agency Thomas Schlück GmbH, 30827 Garben Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Impressum

Deutsche Erstausgabe Originaltitel: SPEAKS THE NIGHTBIRD Copyright Gesamtausgabe © 2017 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Nicole Lischewski Lektorat: Johannes Laumann

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2017) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-231-5

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal - Band 2
Impressum
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Über den Autor

Kapitel 1

Matthew konnte das stürmische Meer tosen hören. Wellen schlugen gegen Inseln oder brachen sich auf Sandbänken vor dem Sumpf, durch den er sich jetzt mit großen Schwierigkeiten kämpfte. Vor ihm, fast schon außer Sichtweite, ging der mitternächtliche Herumschleicher: ein dunkler, sich bewegender Fleck in der Finsternis. Wäre da nicht der schwache orangefarbene Mond gewesen, dessen kümmerliches Licht eifersüchtig von den dahinjagenden Wolken gehortet wurde, hätte er ihn schon längst aus den Augen verloren.

Es war offensichtlich, dass der Mann nicht zum ersten Mal hier war, sondern vermutlich öfter herkam. Obwohl ihm keine Laterne den Weg leuchtete, ging er schnell und sicheren Fußes. Wegen des hüfthohen Sumpfgrases und Schlamms, der an den Schuhen saugte, war es schwierig und mühsam – aber Matthew schaffte es, ihm auf den Fersen zu bleiben.

Fount Royal hatten sie schon weit hinter sich gelassen. Matthew schätzte, dass sie sich mindestens eine Viertelmeile vom Wachturm entfernt hatten, an dem er dank einer Abkürzung durch das Kiefernwäldchen unbemerkt vorbeigekommen war. Falls der Wachmann nicht geschlafen hatte – was Matthew stark bezweifelte –, musste er zum Meer hinausgeschaut haben. Wer erwartete auch schon, dass sich mitten in der Nacht jemand aus der Stadt in diesen Morast wagen würde?

Der mitternächtliche Wanderer hatte ein klares Ziel vor Augen; eines, das seinen Füßen Flügel verlieh. Matthew hörte rechts von sich etwas im Gras rascheln. Es klang nach etwas Großem und Unheimlichem, sodass sich auch seine Schritte plötzlich beschleunigten. Im nächsten Moment jedoch erkannte er, dass der Sumpf sein schlimmster Feind war: Er marschierte in einen seichten Tümpel hinein, der seine Knie umfing und ihm fast die Beine unterm Leib wegzog. Seine Schuhe blieben auf dem Grund des Tümpels im Schlamm stecken, und es gelang Matthew nur mit äußerster Mühe, sich wieder zu befreien. Als er sich aus dem Wasser herausgekämpft hatte, bemerkte er, dass er die Gestalt, die er verfolgte, nicht mehr sehen konnte. Er ließ den Blick von rechts nach links und wieder zurück schweifen, doch inzwischen war es stockfinster geworden.

Immerhin wusste er, dass der Mann in ungefähr diese Richtung gegangen war. Er setzte sich wieder in Bewegung und passte besser auf, wohin er trat. Der Sumpf war wirklich ein tückischer Ort. Der mitternächtliche Herumschleicher musste schon oft hier gewesen sein, dass er so problemlos an all den Gefahren vorbeiging. Matthew nahm an, dass sich der Mann die sicherste Route aufgezeichnet und auswendig gelernt haben musste.

Nach drei oder vier weiteren Minuten konnte Matthew noch immer keine Bewegung in der Dunkelheit entdecken. Er warf einen Blick zurück und sah, dass sein Weg ihn um eine Landspitze herumgeführt hatte. Zwischen ihm und dem Wachturm, der jetzt wohl mehr als eine Meile entfernt war, lag ein schwarzer Waldstreifen aus Kiefern und Sumpfeichen. Vor ihm erstreckte sich nur noch mehr Sumpf. Er versuchte sich zu entscheiden, ob er umdrehen oder weitergehen sollte. Hier draußen war alles undurchdringlich schwarz und finster – was konnte er schon erreichen? Ein paar Schritte ging er trotzdem noch, und hielt dann an, um den Horizont zu betrachten. Mücken tanzten ihm um die Ohren, waren auf der Suche nach Blut. Im Schilf quakten Frösche. Von einem anderen Menschen war keine Spur zu sehen.

Warum trieb sich jemand hier herum? Zwischen Matthews Fußabdrücken und der Stadt Charles Town ließ sich in dieser trostlosen Wildnis kaum eine einzige zivilisierte Menschenseele finden. Was also wollte diese geheimnisvolle Gestalt hier?

Matthew schaute zu den Sternen empor. Der Himmel war so endlos und der Horizont so weit, dass man sich fürchten konnte. Das Meer war wie ein eigener, finsterer Kontinent. Als er so an diesem Küstenstreifen stand, die unerforschte Welt in seinem Rücken, wurde Matthew bange. Es war, als würden sein inneres Gleichgewicht und sein Platz auf dieser Erde von der endlosen Weite herausgefordert. Plötzlich verstand er, warum Menschen das Bedürfnis hatten, Dörfer und Städte zu bauen und sie mit Palisaden zu umringen: Es war nicht nur, um sich vor den Indianern und wilden Tieren zu schützen, sondern auch, um sich die Illusion von Kontrolle in einer Welt zu erhalten, die zu groß war, um gezähmt zu werden.

Dann wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Auf dem Meer blinkten zweimal zwei Lichter auf.

Matthew hatte gerade wieder nach Fount Royal zurückgehen wollen, aber jetzt blieb er wie angewurzelt stehen. Ein paar Sekunden verstrichen. Dann blinkten die beiden Lichter erneut.

Was als Nächstes passierte, brachte Matthews Herz fast zum Stocken. Keine fünfzig Meter von ihm entfernt tauchte eine helle Laterne auf, die in die Luft gehoben wurde. Die Laterne schwankte hin und her, und verschwand mit einem Mal. Matthew vermutete, dass der rätselhafte Mann sie unter seinem Mantel verbarg, und dass er sich zuvor hingekauert haben musste, um ein Streichholz und dann die Kerze anzuzünden. Oder dass er das unter seinem Mantel gemacht hatte. Wie auch immer – er hatte damit auf das Lichtsignal vom Meer geantwortet.

Vorsichtig duckte Matthew sich ins Sumpfgras, bis er gerade noch etwas sehen konnte. Er wollte näher ans Geschehen heran und begann, sich leise und wachsam auf die Stelle zuzubewegen, an der die Laterne aufgeleuchtet hatte. Ihm schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er, falls er in dieser geduckten Stellung auf eine Giftschlange treten sollte, in eine äußerst sensible Stelle gebissen werden würde. Er konnte sich dem Mann im dunklen Mantel bis auf dreißig Fuß nähern. Dann war er gezwungen anzuhalten, weil das hohe Gras dort aufhörte. Der Mann stand auf festem Sand, nur ein paar Meter von den schäumenden Wellen des Atlantiks entfernt. Er wartete auf irgendetwas. Sein Gesicht war dem Meer zugewandt, seine Laterne unter dem Mantel versteckt.

Auch Matthew wartete. Nach ungefähr zehn Minuten, während derer der Mann ungeduldig hin und her ging, ohne sich weit von seinem Standposten zu entfernen, konnte Matthew einen schemenhaften Umriss auf dem dunklen Meer ausmachen. Erst kurz bevor es das Ufer erreichte, erkannte Matthew, dass es sich um ein schwarz oder dunkelblau gestrichenes Ruderboot handelte. Drei Männer waren an Bord, alle in dunkle Sachen gekleidet. Zwei von ihnen sprangen in die Brandung und zogen das Boot an den Strand.

Matthew wurde klar, dass das Ruderboot von einem größeren Schiff weiter draußen auf dem Meer gekommen sein musste. Ich habe den Spitzel der Spanier gefunden, dachte er.

»Seid gegrüßt!«, rief der Mann, der im Ruderboot geblieben war – und der sich alles andere als spanisch anhörte, sondern vielmehr so, als stammte er aus Gravesend, England. Er kletterte aus dem Boot auf den Sandstrand. »Wie geht's?«

Der nächtliche Wanderer aus Fount Royal antwortete mit so leiser Stimme, dass Matthew kein einziges Worte ausmachen konnte.

»Sieben diesmal«, meinte der Ruderbootpassagier. »Das sollte Euch reichen. Schafft sie raus!« Der Befehl richtete sich an die beiden anderen Männer, die nun etwas, das wie Holzeimer aussah, aus dem Boot zutage förderten. »Gleiche Stelle?«, fragte er den Mann aus Fount Royal, der daraufhin nickte. »Ihr seid ein richtiges Gewohnheitstier, was?«

Der Mann holte die Laterne aus seinem Mantel, und im gelben Kerzenschein konnte Matthew sein Profil erkennen. »Ich bin ein Mann mit guten Gewohnheiten«, erwiderte der Stadtverwalter Edward Winston streng. »Hört auf zu schwätzen – vergrabt das, und fertig!« Er senkte die Laterne, mit der er dem anderen Mann zu verstehen gegeben hatte, dass ihm nicht nach trödeln zumute war.

»Gemach, gemach!« Der Mann langte ins Boot und holte zwei Schaufeln heraus, mit denen er bis zu der Stelle den Strand überquerte, an der das hohe Sumpfgras begann. Kaum fünfzehn Fuß von Matthew entfernt, an einer Stelle, an der stachelige Sägepalmen wuchsen, blieb er stehen. »Hier wollt Ihr sie haben?«

»Das passt schon«, sagte Winston, der ihm gefolgt war.

»Bringt sie rüber!«, befahl der andere seinen Männern. »Und zwar flott, wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!« Die anscheinend versiegelten Eimer wurden an die Stelle bei den Palmen gebracht. Der Ruderbootpassagier gab den Männern die Schaufeln, die auch sogleich zum Einsatz kamen.

»Ich weiß, wo noch eine dritte Schaufel ist«, sagte Winston. »Ihr könntet sie benutzen, Mr. Rawlings.«

»Ich bin doch keine verdammte Rothaut!«, gab Rawlings scharf zurück. »Sondern ein Dieb!«

»Dem möchte ich widersprechen. Ihr seid ein Indianer, und Mr. Danforth ist Euer Häuptling. Ich würde Euch vorschlagen, dass Ihr für das Geld von ihm auch einen Handschlag leistet.«

»Die paar Münzen, Sir! Für diese Arbeit heute Nacht ist das äußerst wenig!«

»Je schneller alles vergraben ist, desto schneller könnt Ihr wieder gehen.«

»Wozu überhaupt was vergraben? Wer soll denn schon herkommen und das finden?«

»Sicher ist sicher. Stellt einen Eimer beiseite und vergrabt die anderen. Und zwar ohne Widerworte.«

Rawlings brummelte leise vor sich hin, griff in das Palmengestrüpp und zog eine Schaufel mit kurzem Stiel heraus, die dort versteckt gewesen war. Matthew sah, wie Rawlings im gleichen Rhythmus wie seine Männer zu graben begann. »Und wie ist das jetzt mit der Hexe?«, fragte er Winston während des Schaufelns. »Wann wird sie gehängt?«

»Gehängt wird sie nicht. Sie kommt auf den Scheiterhaufen. Ich denke, in den nächsten Tagen.«

»Damit seid Ihr dann auch fertig, was? Ihr und Danforth!«

»Kümmert Euch besser ums Schaufeln«, fuhr Winston ihn an. »Allzu tief muss es nicht sein, aber es muss gut zugeschüttet werden.«

»Ist ja gut! Macht weiter, Jungs! Wir wollen ja nicht mehr Zeit als nötig in diesem Teufelsland verbringen.«

Winston grunzte. »Ob hüben oder drüben – es ist doch alles Teufelsland, oder?« Er klatschte sich auf die linke Seite seines Halses und erschlug damit einen kleinen Blutsauger.

Es dauerte nicht lange, bis im Sand ein Loch entstand, in welches sechs der Eimer versenkt und gleich darauf zugeschaufelt wurden. Rawlings verstand sich gut darauf, so zu tun, als würde er schwer arbeiten: Sein Gesicht verzerrte sich, sein Atem ging in Stößen – aber angesichts der kleinen Menge Sand, die von seiner Schaufel bewegt wurde, hätte er genauso gut einen Löffel in der Hand halten können. Als die Eimer vergraben waren, trat Rawlings einen Schritt zurück, wischte sich mit dem Arm übers Gesicht und sagte: »Wunderbar, wunderbar!«, als würde er sich selbst zum vollendeten Werk beglückwünschen. Er stellte seine Schaufel zurück ins Versteck in den Palmen und grinste Winston breit an, der schweigend zugeschaut hatte. »Das war dann wohl die letzte Fuhre!«

»Ich denke, dass wir noch einen Monat lang weitermachen sollten«, sagte Winston.

Rawlings verging das Grinsen. »Wozu braucht Ihr denn noch mehr, wenn sie verbrannt wird?«

»Da wird es schon noch Gründe geben. Sagt Mr. Danforth, dass ich zur verabredeten Stunde hier sein werde.«

»Wie Ihr wünscht, Majestät!« Rawlings verbeugte sich übertrieben und die beiden anderen Männer lachten. »Sonst noch irgendwelche Botschaften, die wir dem Königreich übermitteln sollen?«

»Unsere Zusammenarbeit ist hiermit beendet«, sagte Winston kalt. Er hob den siebten Eimer am Drahtgriff an, der beiseitegestellt worden war, und drehte sich abrupt in Matthews Richtung um. Matthew duckte sich sofort und drückte sich ins Gras.

»Ich hab noch nie 'ne Hexenverbrennung gesehen!«, rief Rawlings Winston hinterher. »Seht zu, dass Ihr hingeht, damit Ihr mir alles erzählen könnt!«

Winston antwortete nicht. Er marschierte weiter. Erleichtert stellte Matthew fest, dass sich Winston zehn oder zwölf Fuß von ihm entfernt in westlicher Richtung davon bewegte. Schließlich war er mit seiner tiefgehaltenen Laterne an Matthew vorbei. Die Kerze würde er vermutlich schon lange löschen, bevor er sich dem Wachturm näherte, vermutete Matthew.

»Das arrogante Arschloch! Den kann ich mit dem kleinen Finger umlegen!«, prahlte Rawlings, nachdem Winston außer Hörweite war.

»Den kannst du mit deinem gottverdammten Atem umlegen!«, sagte einer der Männer. Der andere lachte.

»Da hast du recht! Also dann, lasst uns die elendige Nussschale wieder ins Wasser schieben! Gott sei Dank haben wir heute Nacht wenigstens den richtigen Wind!«

Matthew hob den Kopf und sah, wie die Männer zu ihrem Ruderboot gingen. Sie schoben es ins Wasser. Rawlings kletterte als erster an Bord, gefolgt von den beiden anderen. Dann wurden die Ruder angepackt – allerdings nicht von Rawlings – und das Boot bewegte sich durch die Brandung, bis es bald darauf von der Dunkelheit verschluckt wurde.

Matthew wusste, dass er vielleicht ein Anzeichen für ein größeres, vor Anker liegendes Schiff sehen würde, wenn er lange genug wartete. Vielleicht das Aufblitzen eines Streichholzes, mit dem eine Pfeife angesteckt wurde, oder ein vom Mondschein erfasstes Segel. Aber ihm fehlten sowohl die Zeit als auch die Motivation, um so lange zu warten. Ihm reichte das Wissen, dass ein Ruderboot für die Seefahrt ungeeignet war.

Er schaute in die Richtung, in die Winston verschwunden war: nach Fount Royal. Kaum, dass er sich versichert hatte, nun tatsächlich allein am Strand zu sein, ging Matthew aus der Defensive in die Offensive über. Er suchte die frisch umgegrabene Stelle, an der die Eimer verscharrt worden waren, und packte die versteckte Schaufel am Stiel – jedoch nicht, ohne sich erst an den Stechpalmen zu verletzen.

Die Eimer waren Winstons Anweisungen gemäß nicht tief vergraben. Matthew wollte lediglich einen einzigen haben. Der Eimer, den er auswählte, sah ganz normal aus. Der Deckel war mit Teer versiegelt, und Matthew schätzte, dass der Eimer um die sieben oder acht Pfund wog. Er buddelte das Loch wieder zu, stellte die Schaufel zurück in die Stechpalmen, und machte sich mit dem Eimer in der Hand auf den Weg zurück nach Fount Royal.

Der Rückweg gestaltete sich nicht leichter als der Hinweg. Matthew schoss plötzlich der Gedanke durch den Kopf, dass die Türen von Bidwells Herrenhaus höchstwahrscheinlich verriegelt waren. Er würde klopfen müssen, um von seinem Gastgeber hereingelassen zu werden – aber wollte er, dass ihn dort jemand mit dem Eimer in der Hand sah? Was auch immer Winston vorhaben mochte, Matthew wollte ihm keinerlei Hinweise dafür geben, dass sein Spielchen aufgeflogen war. Bidwells Haushälterin vertraute er zwar bis zu einem gewissen Grad, aber auf wen außer Mrs. Nettles konnte er sich in dieser verdammten Stadt sonst noch verlassen?

Er hatte eine Idee; allerdings würde das bedeuten, einer Person ganz und gar zu vertrauen – oder vielmehr zwei Personen, wenn man die Frau des Sklaven Goode dazuzählte. Matthew wollte unbedingt wissen, was in dem Eimer war, und Goode hatte in seiner Sklavenhütte vermutlich irgendeinen Gegenstand, mit dem sich der Eimer öffnen lassen würde.

Erleichtert kehrte Matthew dem Sumpf den Rücken zu, schlich durch das Kiefernwäldchen am Wachturm vorbei, und stand bald darauf vor John Goodes Tür. Er klopfte so leise wie möglich an, doch das Geräusch kam ihm so laut vor, dass er meinte, das gesamte Sklavenquartier aufgeweckt zu haben. Zu seinem Verdruss musste er noch ein zweites Mal und lauter klopfen, bis endlich ein Licht hinter dem über die Fensteröffnung gespannten Öltuch zu sehen war.

Die Tür wurde geöffnet. Eine Kerze, über der Goodes verschlafenes Gesicht erschien, wurde hinausgestreckt. Er hatte für den nächtlichen Störenfried unfreundliche Worte parat gehabt, aber als er sah, dass ein Weißer geklopft hatte und dann erkannte, wer es war, nahm er sich zusammen. »Oh … ja, Sir?«

»Ich habe etwas, das ich mir anschauen muss.« Matthew hielt den Eimer hoch. »Darf ich hereinkommen?«

Natürlich wurde ihm der Eintritt nicht verwehrt. »Was ist los?«, fragte May von der Schlafstelle, als Goode mit Matthew in die Hütte zurückkehrte und die Tür schloss.

»Geht dich nichts an, Weib«, sagte ihr Mann, der am brennenden Docht seiner Kerze eine zweite ansteckte. »Schlaf weiter.« Sie rollte sich auf die andere Seite und zog die verschlissene Decke bis unters Kinn hoch.

Goode stellte die beiden Kerzen auf den Tisch, und Matthew den Eimer dazwischen. »Ich bin gerade einem Gentleman in den Sumpf hinaus gefolgt«, erklärte Matthew. »Ich will dazu nicht allzu viel sagen, nur, dass er dort noch mehr von diesen Eimern vergraben hat. Ich will wissen, was drin ist.«

Goode fuhr mit den Fingern über den versiegelten Deckel. Er hob den Eimer an, sodass das Kerzenlicht auf den Boden des Behälters fiel: Der Buchstabe K, und darunter die Buchstaben CT, waren in das Holz gebrannt.

»Die Brandzeichen des Handwerkers«, sagte er. »Muss wohl von einem Fassbinder in Charles Town kommen.« Er sah sich suchend nach Werkzeug um und nahm ein stabiles Messer in die Hand. Während Matthew gespannt zuschaute, begann er, den Teer vom Deckelrand abzulösen. Als er die Versiegelung ausreichend gebrochen hatte, steckte Goode die Messerschneide unter den Deckel und drückte ihn hoch. Der Deckel bewegte sich, Goode nahm ihn ab.

Noch bevor die Männer einen Blick in den Eimer werfen konnten, machte sich ein starker Gestank bemerkbar.

»Puh«, stieß Goode aus und rümpfte die Nase. Matthew erinnerte der scharfe Geruch an Schwefel mit einer Mischung aus Kiefernöl und frischem Teer. Der Inhalt des Eimers sah wie dickflüssige schwarze Farbe aus.

»Wenn ich mir kurz mal das Messer borgen kann?«, fragte Matthew und rührte damit in der stinkenden Brühe herum. Gelbe Schwefelstreifen trieben empor. Er begann zu ahnen, was er da vor sich hatte – etwas äußerst Unschönes. »Hast du einen Topf, in den wir etwas davon füllen können? Und auch einen Löffel?«

Goode brachte ihm eine eiserne Pfanne und einen Holzlöffel. Matthew gab einen einzigen Löffel voll des Zeugs in die Pfanne, gerade genug, um den Boden zu bedecken. »Na dann«, sagte er. »Jetzt wollen wir doch mal sehen, was wir hier haben.« Er nahm eine der Kerzen und senkte die Flamme in die Pfanne hinunter.

Als der Docht die schwarze Flüssigkeit berührte, fing sie Feuer. Die Flamme brannte mit bläulichem Licht und so heiß, dass Matthew und Goode einen Schritt zurücktreten mussten. Es zischte und knackte, als sich die verschiedenen Zutaten der Brühe entzündeten. Matthew nahm die Pfanne und stellte sie auf die Feuerstelle, damit der Qualm hinausziehen konnte. Obwohl sie nur eine so geringe Menge angezündet hatten, wurde seine Hand sehr heiß.

»Das hat der Teufel selbst gebraut, was?«, fragte Goode.

»Nein, das wird von Menschen hergestellt«, gab Matthew zurück. »Vielleicht von teuflisch veranlagten Chemikern. Es heißt Griechisches Feuer und wird schon seit vielen Jahrhunderten im Seekrieg benutzt. Die Griechen haben daraus Brandbomben gemacht, die sie mit Katapulten verschossen haben.«

»Die Griechen? Was erzählt Ihr da? Äh – Verzeihung, Sir.«

»Schon gut. Ich denke, es ist offensichtlich, wofür das hier benutzt wird. Unser Sumpfwanderer begeistert sich für Feuer.«

»Sir?«

»Unser Gentleman«, sagte Matthew und betrachtete die Flammen, die immer noch hell in der Pfanne loderten, »sieht gern Häuser brennen. Mit diesen Chemikalien kann er selbst nasses Holz anstecken. Ich schätze, dass er die Wände und den Boden damit anstreicht und es an mehreren Punkten in Brand steckt. Die Feuerwehr kommt dann unvermeidlich zu spät.«

»Ihr wollt damit sagen …« Goode erkannte, wovon Matthew redete. »Der Mann hat damit Häuser angesteckt?«

»Genau. Zuletzt die Schule.« Matthew stellte die Pfanne in die Asche der Feuerstelle. »Warum er das tut, weiß ich nicht. Aber die Tatsache, dass dieser Eimer in Charles Town hergestellt wurde und auf dem Seeweg hierhergelangte, wirft kein gutes Licht auf seine Loyalität.«

»Auf dem Seeweg?« Goode starrte Matthew an. »Ihr wisst, wer der Mann ist, nicht wahr?«

»Ja, aber ich bin nicht bereit, seinen Namen zu verraten.« Matthew ging an den Tisch zurück und drückte den Deckel wieder fest auf den Eimer. »Ich habe eine Bitte. Kannst du das für ein paar Tage hier verstecken?«

Ängstlich betrachtete Goode den Eimer. »Der wird uns doch nicht in die Luft jagen, oder?«

»Nein, ohne den Kontakt mit einer Flamme brennt das nicht. Lass einfach den Deckel drauf und halte den Eimer vom Feuer fern. Wickle ihn vielleicht in ein Tuch ein und behandle ihn mit genauso viel Vorsicht wie deine Geige.«

»Ja, Sir«, sagte Goode unsicher. »Nur ist noch nie wer von Geigenmusik in die Luft geflogen, glaube ich.«

Matthew ging zur Tür. »Und erzähle niemandem davon. Ich bin nie hier gewesen, verstehst du?«

Goode hatte beide Kerzen in der Hand, um sie so weit wie möglich von dem Eimer zu entfernen. »Ja, Sir. Ähm … Ihr werdet aber wiederkommen, um das abzuholen, oder?«

»Das werde ich. Ich nehme an, dass ich den Eimer schon sehr bald brauchen werde.« Aber nicht, bevor er herausfand, warum genau Edward Winston die Stadt, die sein Arbeitgeber gegründet hatte, niederbrennen wollte, hätte er hinzufügen können.

»Je eher, desto besser«, sagte Goode, der schon nach einem Stück Sackleinen suchte, das er um den unliebsamen Eimer wickeln konnte.

Matthew verließ Goodes Hütte und marschierte zum Herrenhaus, das nicht weit vom Sklavenquartier entfernt aber dennoch eine ganz andere Welt war. Er war sich bewusst, dass er so schnell wie möglich Schlafen gehen sollte, da es am Morgen viel zu tun geben würde. Aber er wusste auch, dass es schwierig sein würde, in den paar verbleibenden Stunden Dunkelheit noch zu schlafen – denn sein Kopf würde in dem Bemühen, diese neuesten Enthüllungen zu verstehen, unermüdlich arbeiten. Die Gelüste des Schmiedes Seth Hamilton für seine Stute waren vergessen. Die Verbrechen von Edward Winston waren wesentlich ernster, denn der hatte mehrfache Brandstiftung begangen und Bidwell und allen anderen gegenüber die in Flammen aufgegangenen Häuser Rachels Pakt mit dem Teufel zugeschrieben.

Matthew hatte vor, notfalls die Türglocke zu läuten, um ins Haus gelassen zu werden. Aber noch bevor er in Reichweite des Glockenstrangs kam, änderte er seinen Kurs und stand schon bald wieder am grasbewachsenen Ufer des Quellsees. Er setzte sich hin, zog die Knie ans Kinn, und starrte auf das stille Wasser. Seine Gedanken überschlugen sich mit Fragen nach dem, was vor sich ging, und dem, was sich zutragen mochte.

Schließlich streckte er sich lang aus. Auf dem Rücken im Gras liegend sah er zu den Sternen auf, die zwischen den dahinjagenden Wolken zu sehen waren. Sein letzter Gedanke, bevor er einschlief, galt Rachel in ihrer dunklen Zelle. Rachel, deren Leben von dem abhing, was er in den nächsten Stunden tat.

Rachel.

Kapitel 2

Der Chor krähender Hähne klang wie Triumphgeschrei. Matthew schlug die Augen auf und sah rosiges Licht. Der Himmel über ihm war hellrosa gefärbt und mit Wolken getüpfelt, deren Ränder lilafarben strahlten. Er setzte sich auf und atmete tief die süße Luft ein. Endlich war ein Morgen angebrochen, der sich tatsächlich wie ein Tag im Mai anfühlte.

Jemand läutete eine Glocke. Eine zweite, heller klingende Glocke stimmte in das Geläut ein. Matthew stand auf. Er hörte weiter unten an der Harmoniestraße einen Mann freudig rufen, und dann sah Matthew den vielleicht schönsten Anblick seines Lebens: Die Sonne, ein goldener Feuerball, ging über dem Meer auf. Die Sonne schien wie am ersten Tag der Schöpfung, und ihr bloßes Licht hatte die Macht, die Erde zu erwecken. Matthew wandte sein Gesicht dem Sonnenschein zu, und eine dritte Glocke begann zu läuten. In einer der Eichen, die an der Quelle wuchsen, fingen zwei Vögel an zu singen. Über dem Gras hingen noch Nebelschwaden, aber im Vergleich zu den riesigen Gewitterwolken, die so lange den Himmel beherrscht hatten, waren sie geradezu bedauernswert und vor allem kurzlebig. Matthew atmete tief ein, als hätte er vergessen, wie Frühlingsluft roch – und das hatte er auch. Dies war nicht der nasse, abgestandene Gestank der Sümpfe, sondern eine frische, laue Brise, die einen Neuanfang versprach.

Wenn es jemals einen Morgen gegeben hatte, an dem Satan in die Flucht geschlagen werden konnte, dann war es dieser. Matthew reckte die Arme in die Höhe, um seine verkrampften Rückenmuskeln zu lockern. Draußen im Gras zu schlummern war trotzdem schöner als im Gefängnis zu schlafen. Er sah, wie das Sonnenlicht über Fount Royals Dächern, Höfen und Feldern stärker wurde und der Nebel sich verzog. Es konnte natürlich gut sein, dass das schöne Wetter nur diesen Tag anhalten und danach wieder Regen kommen würde, aber er wagte zu glauben, dass zumindest die Naturelemente Fount Royal endlich freundlich gesinnt waren.

Er hatte an diesem Morgen mit dem Gründer und Herrscher der Stadt zu reden. Matthew kehrte dem Quellsee den Rücken zu und ging zum Herrenhaus zurück, dessen Fensterläden bereits geöffnet waren, um die frische Luft hereinzulassen. Er merkte, dass die Haustür nicht verriegelt war, und da er sich nicht als bloßen Besucher sah, trat er ohne zu läuten ein und lief die Treppe hoch, um nach dem Richter zu schauen.

Obwohl entweder Mrs. Nettles oder eines der Sklavenmädchen bereits die Fensterläden seines Zimmers geöffnet hatte, schlief Woodward noch. Matthew trat ans Bett und betrachtete den Richter. Woodwards Mund stand halb offen; seine Atemzüge klangen wie das Rasseln eines verrosteten Mechanismus, der kurz vor dem Stillstand war. Auf dem Kopfkissen waren braune Blutflecken zu sehen – Dr. Shields Lanzette hatte letzte Nacht wieder zugestochen. Der Aderlass war inzwischen zu einem allabendlichen Ritual geworden. Woodwards nackte Brust war mit einer scharf riechenden Kompresse bedeckt, die Oberlippe und grün verkrusteten Nasenlöcher glänzten fettig. Auf dem Nachttisch zeugten drei niedergebrannte Kerzen davon, dass Woodward letzte Nacht versucht hatte, die Protokolle des Hexenprozesses durchzulesen. Die Papiere waren vom Bett gefallen und lagen auf dem Boden.

Matthew machte sich daran, die Papiere aufzuheben. Er legte sie in der richtigen Reihenfolge zusammen und packte den Stapel dann wieder in das Holzkästchen. Leider hatten die Seiten, die Matthew zuvor mit in sein Zimmer genommen und dort gelesen hatte, keine neuen Erkenntnisse gebracht. Er starrte Woodwards Gesicht an, die gelbliche Haut, die sich über den Schädel spannte, die violetten Augenlider, unter denen die Rundungen der Augäpfel zu sehen waren. Zu beiden Seiten von Woodwards Nase lag ein zartes Netz winziger roter Äderchen. Der Richter schien dünner geworden zu sein, seit Matthew ihn am Abend zuvor das letzte Mal gesehen hatte; wobei das auch am Licht liegen konnte. Er wirkte stark gealtert, die Falten in seinem Gesicht durch seine Leiden tiefer. Die Haut war blasser, und die Altersflecken auf seinem Schädel wirkten dunkler als zuvor. Er sah jetzt äußerst gebrechlich aus. Es machte Matthew Angst, den Richter in diesem Zustand zu sehen, aber er konnte den Blick nicht von ihm abwenden.

Es war nicht das erste Mal, dass er ein vom Tod gezeichnetes Gesicht sah. Er erkannte, wie es um den Richter stand. Woodwards Haut hatte sich zusammengezogen, der Totenkopf darunter lag wie zum Durchbruch bereit. Panische Angst durchfuhr Matthew und drehte ihm den Magen um. Er hätte Woodward am liebsten wachgerüttelt, ihn aus dem Bett und auf die Beine gezerrt, ihn zum Sprechen und Tanzen gebracht – alles, ihn nur nicht dieser Krankheit erliegen lassen. Aber der Richter brauchte Ruhe. Er musste lange und tief schlafen, die Heilsalben und den Aderlass wirken lassen. Und die frische Luft und der Sonnenschein gaben ja Anlass zur Hoffnung! Ja, das Beste war, den Richter schlafen zu lassen, bis er aufwachte, egal wie lange das sein mochte, und auf die Heilkräfte der Natur zu vertrauen.

Sanft berührte Matthew Woodwards Hand – und sprang sofort einen Schritt zurück. Denn obwohl die Hand des Richters warm war, fühlte sich die Haut beunruhigend feucht und wächsern an. Woodward stöhnte leise, seine Augenlider zuckten, aber er wachte nicht auf. Matthew ging rückwärts zur Tür. Die Angst wollte ihn nicht loslassen. Leise verließ er das Zimmer und schlich in den Flur hinaus.

Er folgte dem Geräusch von auf Teller kratzendem Besteck nach unten und fand Bidwell am gedeckten Esstisch vor. Der Herrscher der Stadt machte sich über ein aus Maisfladen, Bratkartoffeln und Knochengelee bestehendes Frühstück her. »Aha, hier ist ja unser Gerichtsdiener an diesem wunderschönen Morgen Gottes!«, sagte Bidwell und stopfte sich mehr Essen in den Mund. Er trug einen pfaublauen Anzug, ein mit Rüschen besetztes Hemd, und eine seiner am üppigsten frisierten, lockigsten Perücken.

Mit einem Becher Apfelbier spülte er das Essen die Kehle hinunter und deutete mit dem Kopf auf den Platz am Tisch, der für Matthew gedeckt worden war. »Setzt Euch und esst!«

Matthew nahm die Einladung an. Bidwell schob ihm einen Teller mit Maisfladen hin, von denen Matthew zwei mit dem Messer aufspießte. Der Teller mit dem Knochengelee folgte.

»Mrs. Nettles hat mir gesagt, dass Ihr nicht in Eurem Zimmer wart, als sie klopfte.« Bidwell aß, während er sprach, und verlor dabei ein paar halbgekaute Brösel aus dem Mund. »Wo seid Ihr denn gewesen?«

»Draußen«, antwortete Matthew.

»Draußen«, sagte Bidwell sarkastisch. »Dass Ihr draußen wart, weiß ich wohl. Aber wo und warum?«

»Ich bin hinausgegangen, als ich sah, dass die Schule brannte. Und dann bin ich den Rest der Nacht draußen geblieben.«

»Aha. Drum seht Ihr so schlecht aus!« Bidwell wollte gerade eine Kartoffel mit dem Messer aufspießen, hielt aber mitten in der Luft inne. »Moment mal.« Er verengte die Augen. »Was für einen Unfug habt Ihr getrieben?«

»Unfug? Ihr vermutet gleich das Schlimmste, wie mir scheint.«

»Das mag Euch so scheinen, aber ich weiß es. In wessen Stall habt Ihr Euch dieses Mal herumgetrieben?«

Matthew schaute ihm in die Augen. »Ich bin natürlich wieder in den Stall des Schmieds gegangen.«

Ein tödliches Schweigen entstand. Dann lachte Bidwell auf. Sein Messer versenkte sich in der Kartoffel. Er nahm sie vom Teller und schob Matthew den Rest der gebratenen Erdäpfel hin. »Na, Ihr seid heute aber voller Witze, was? Ich weiß ja, dass Ihr jung und ein Narr seid, aber närrisch genug, um wieder in Hazeltons Stall zu gehen, seid Ihr nicht! Nein, Sir! Der Mann würde sich Euch vorknöpfen!«

»Nur, wenn ich eine Stute wäre«, sagte Matthew leise und biss in einen Maisfladen.

»Was?«

»Ich sagte … dass ich mich besser in Acht nehme. Vor Hazelton, meine ich.«

»Jawohl. Das ist das Klügste, das Ihr bisher von Euch gegeben habt!« Bidwell aß weiter, als würde es am nächsten Tag nichts mehr geben. »Und Euer Rücken. Wie geht es dem?«

»Tut noch etwas weh. Aber es geht.«

»Na dann, esst auf. Ein voller Bauch lässt alle Schmerzen verschwinden. Das hat mein Vater immer gesagt, als ich so alt war wie Ihr. Allerdings habe ich in Eurem Alter schon längst vierzehn Stunden am Tag im Hafen gearbeitet, und wenn ich mir eine Birne klauen konnte, war ich glücklich wie ein Lord.« Er verstummte, um einen Schluck zu trinken. »Habt Ihr jemals in Eurem Leben einen ganzen Tag lang gearbeitet?«

»Körperlich gearbeitet, meint Ihr?«

»Was für Arbeit gibt es denn sonst für einen jungen Mann? Natürlich körperlich! Habt Ihr jemals schweißgebadet versucht, einen Stapel schwere Kisten um zwanzig Fuß zu versetzen, weil der Bastard, der das Sagen hat, damit droht, dass es sonst was setzt? Habt Ihr schon mal an einem Seil gezogen, bis Euch die Hände geblutet und die Schultern geknackt haben, bis Ihr wie ein Säugling geheult habt – aber wusstet, dass Ihr weiter ziehen müsst? Habt Ihr jemals auf den Knien ein Schiffsdeck mit der Scheuerbürste geschrubbt und es gleich darauf noch mal geschrubbt, weil dieser Bastard, der das Sagen hat, draufgespuckt hat? Na? Habt Ihr das?«

»Nein«, entgegnete Matthew.

»Tja!« Bidwell nickte grinsend. »Ich aber. Und zwar oft! Und ich bin verdammt stolz darauf! Wisst Ihr, warum? Weil es mich zum Mann gemacht hat. Und wisst Ihr, wer der Bastard gewesen ist, der das Sagen hatte? Mein Vater. Jawohl, mein Vater; Gott hab ihn selig.« Er spießte mit solcher Wucht eine Kartoffel auf, dass Matthew für einen Moment dachte, das Messer würde auch den Teller und den Tisch durchstechen. Bidwells Zähne knirschten, als er kaute.

»Euer Vater klingt sehr streng«, sagte Matthew.

»Mein Vater«, gab Bidwell zurück, »hat sich genau wie ich aus dem Straßenschmutz Londons hochgearbeitet. Meine erste Erinnerung an ihn ist der Geruch des Flusses. Und er hat alle Docks und alle Schiffe gekannt. Er hat als Schauermann angefangen, aber er besaß ein Talent für die Holzarbeit und konnte Schiffsrümpfe so gut wie die besten Schiffsbauer flicken. So hat alles angefangen: hier ein Schiff, da ein Schiff. Dann immer mehr, bis er sein eigenes Trockendock besaß. Ja, er ist streng gewesen – aber er war sich selbst gegenüber genauso hart.«

»Dann habt Ihr Euer Unternehmen also von ihm geerbt?«

»Geerbt?« Bidwell warf ihm einen verächtlichen Blick zu. »Ich habe von ihm nichts als Elend geerbt! Als mein Vater sich ein Wrack zum Ausschlachten ansah – etwas, das er bestimmt schon ein dutzend Mal getan hatte –, sind ein paar verrottete Bretter unter seinen Füßen weggebrochen und er ist in die Tiefe gestürzt. Das hat ihm die Knie zertrümmert. Dann hat der Wundbrand eingesetzt, und um ihn nicht daran sterben zu lassen, hat der Arzt beide Beine amputiert. Ich war damals neunzehn Jahre alt und auf einmal nicht nur für meinen invaliden Vater verantwortlich, sondern auch für meine Mutter und meine beiden jüngeren Schwestern, von denen eine so kränklich war, dass sie wie ein Skelett aussah. Tja, und dann habe ich schnell gemerkt, dass mein Vater ein sehr schlechter Buchhalter war. Die Unterlagen über das Einkommen und die Schulden waren ein einziges Durcheinander, soweit sie überhaupt zu finden waren. Dann kamen die Gläubiger. Die nahmen an, dass die Werft nun verkauft werden würde, weil mein Vater ja bettlägerig geworden war.«

»Aber Ihr habt sie nicht verkauft?«, fragte Matthew.

»Oh, ich habe sie verkauft. An den Meistbietenden. Mir blieb ja keine Wahl, so wie die Geschäftsunterlagen aussahen. Mein Vater hat wie ein Tiger gewütet. Er hat mich einen Idioten und einen Schwächling genannt, und geschworen, dass er mich bis an sein Lebensende und in den Tod hinein hassen würde, weil ich sein Unternehmen zerstört hatte.« Bidwell verstummte kurz, um einen Schluck zu trinken. »Aber ich habe alle Schulden bezahlt und die Rechnungen beglichen. Ich habe dafür gesorgt, dass wir was zu Essen und meine Schwester Arzneimittel hatte. Und dann habe ich gesehen, dass noch ein bisschen Geld übrig war. Ein kleines Schiffszimmermannunternehmen suchte nach Investoren, um zu expandieren. Ich beschloss, jeden Shilling, den ich besaß, zu investieren, damit ich Einfluss auf die geschäftlichen Entscheidungen haben konnte. Unser Name war natürlich schon bekannt. Die größte Schwierigkeit, vor der ich zuerst stand, war, noch mehr Geld aufzutreiben. Das habe ich dann besorgt, indem ich alles Mögliche gearbeitet und auch mal beim Kartenspiel geblufft habe. Als Nächstes musste ich die Geschäftspartner loswerden, die keine Zukunftsvision hatten. Jene, die sich von Vorsicht leiten ließen und nie wagten, zu gewinnen, weil sie Angst vor dem Verlieren hatten.«

Bidwell kaute mit halbgeschlossenen Augen das Knochengelee. »Leider stand der Name einer dieser Männer über der Tür angeschlagen. Er sah immer nur die kleinen Details, während ich ein Bild vom Ganzen hatte. Er dachte an Schiffsschreinerei, während ich Schiffbau vor Augen hatte. Und so wusste ich, dass er zwar noch das Ruder in den Händen hielt, die Zukunft aber mir gehörte. Er war dreißig Jahre älter als ich und hatte das Unternehmen gegründet und aufgebaut. Ich habe mich dann darauf konzentriert, Aufträge einzuholen, von denen ich wusste, dass er sie nicht billigte. Ich habe Gewinn- und Verlustrechnungen aufgestellt, sowie Kostenvoranschläge, in die ich das letzte Brett und den letzten Nagel einkalkuliert hatte. Die habe ich bei einer Versammlung mit unseren Handwerkern vorgelegt. Ich habe die Männer gefragt, ob sie unter meiner Führung den Sprung in eine großartige Zukunft wagen oder sich lieber wie gehabt unter Mr. Kellingworth abmühen wollten. Zwei waren dafür, mich rauszuwerfen. Die andern vier – darunter der Bauzeichner – entschieden sich, die neuen Aufträge anzunehmen.«

»Und Mr. Kellingworth?«, fragte Matthew mit hochgezogenen Augenbrauen. »Der hatte doch sicher auch etwas dazu zu sagen?«

»Der war zuerst so wütend, dass er kein Wort herausbrachte. Und dann … ich glaube, dass er erleichtert war, weil er die Verantwortung nicht tragen wollte. Er sehnte sich nach einem ruhigen Leben, in dem er sich keine Sorgen um geschäftliches Versagen machen musste.« Bidwell nickte. »Ja, ich glaube, dass er schon lange nach einem Ausweg aus dem Unternehmen gesucht hatte und nur auf einen Schubs wartete. Den habe ich ihm gegeben – und dazu eine sehr anständige Abfindung und prozentuale Beteiligung an späteren Gewinnen, die sich natürlich im Laufe der Zeit senkte. Aber jetzt stand mein Name über der Tür – mein Name und sonst keiner. Damit hat für mich alles angefangen.«

»Ich nehme an, dass Euer Vater stolz auf Euch war.«

Bidwell sagte eine Weile nichts, sondern starrte verbissen ins Leere. »Eines der ersten Dinge, die ich von meinen Gewinnen kaufte, waren zwei Prothesen«, sagte er. »Die besten Holzbeine, die es in England zu kaufen gab. Ich hab sie ihm gebracht. Er hat sie sich angeschaut. Ich habe ihm gesagt, dass er damit wieder laufen lernen konnte. Ich habe gesagt, dass ich jemanden einstellen würde, der es ihm beibringt.« Langsam leckte sich Bidwell über die Oberlippe. »Er hat gesagt … dass er sie sich nicht anschnallen würde, selbst wenn es ein Paar echte Beine wäre, die wieder anwachsen würden. Er hat gesagt, dass ich damit zur Hölle gehen sollte, denn dort werden alle Verräter eines Tages brennen.« Bidwell atmete tief ein und langsam wieder aus. »Das waren die letzten Worte, die er zu mir gesagt hat.«

Obwohl Matthew Bidwell nicht sonderlich mochte, fühlte er doch etwas mit ihm. »Das tut mir leid.«

»Leid?«, fuhr Bidwell ihn an. »Warum?« Er reckte sein mit Essen bekleckertes Kinn. »Es tut Euch leid, dass ich es zu etwas gebracht habe? Dass ich etwas aus mir gemacht habe? Leid, dass ich reich bin und dieses Haus und diese Stadt gebaut habe, und dass noch mehr gebaut werden wird? Dass Fount Royal ein Handelszentrum werden wird? Oder tut es Euch leid, dass endlich das Wetter umgeschlagen ist und dass sich meine Bürger entsprechend besser fühlen werden?« Er stach auf eine weitere Kartoffel ein und schob sie sich in den Mund. »Ich glaube«, sagte er mit vollem Mund, »dass die bevorstehende Verbrennung dieser verdammten Hexe das Einzige ist, was Euch leidtut – weil Ihr ihr nicht unter den Rock kommt!« Ihm kam ein böser Gedanke, der seine Augen glitzern ließ. »Aha! Vielleicht habt Ihr dort die Nacht verbracht! Wart Ihr bei ihr im Gefängnis? Ich würde das sofort glauben! Der Wanderprediger Jerusalem hat mir erzählt, wie Ihr ihn gestern geschlagen habt!« Er grinste finster. »Habt Ihr Euch mit der Backpfeife für den Prediger ein Schäferstündchen mit der Hexe verdient?«

Langsam legte Matthew sein Messer und seinen Löffel nieder. Ihm brannten die Wangen, aber er erwiderte kalt: »Der Prediger Jerusalem hat seine eigenen Interessen, was Rachel angeht. Glaubt, was Ihr wollt, aber vergesst bitte nicht, dass er Euch an der Nase herumführen kann.«

»Aber natürlich! Und sie kann Euch wohl nicht an der Nase herumführen? Hat sie Euch vielleicht als Siegel ihrer Zustimmung einen Kuss auf Eure Eier gedrückt? Ich kann sie mir gut vorstellen, wie sie vor den Stäben ihrer Zelle dicht vor Euch kniet! Was für ein Anblick!«

»Ich habe letzte Nacht einen herrlichen Anblick gesehen!«, sagte Matthew, der nun doch die Kontrolle verlor. »Als ich in den …« Er konnte sich die Worte gerade noch verbeißen. Fast hätte er Bidwell von den Eskapaden seines Stadtverwalters und den Eimern mit dem Griechischen Feuer erzählt, aber er wollte seine Entdeckung nicht unüberlegt verraten. Er senkte den Blick auf seinen Teller. Ein Muskel zuckte an seinem Kinn.

»Ich habe noch nie einen jungen Mann so voller Feuer und mit so viel Schwachsinn im Kopf kennengelernt wie Euch«, fuhr Bidwell fort. Er sprach nun in ruhigerem Ton, schien aber nicht zu ahnen, was Matthew fast gesagt hätte. »Wenn es nach Euch ginge, wäre meine Stadt ein wahrer Zufluchtsort für Hexen, nicht wahr? Ihr würdet sogar gegen die Wünsche Eures eigenen armen, kranken Herrn handeln, um die Frau vor dem Scheiterhaufen zu bewahren! Ich finde, Ihr solltet einem Kloster in Charles Town beitreten und ein Mönch werden, um Eure Seele zu retten. Entweder das, oder in ein Bordell gehen und die Mädels durchnehmen, bis Euch die Augen aus dem Kopf quellen.«

»Mr. Rawlings«, sagte Matthew mit gepresster Stimme.

»Was?«

»Mr. Rawlings«, wiederholte er und merkte, dass er nun einen Fuß in den unwegsamen Sumpf gesetzt hatte. »Kommt Euch der Name bekannt vor?«

»Nein. Sollte er?«

»Und Mr. Danforth«, sagte Matthew. »Kennt Ihr diesen Namen?«

Bidwell kratzte sich das Kinn. »Ja, kenne ich. Oliver Danforth ist der Hafenmeister von Charles Town. Ich hatte einige Schwierigkeiten mit ihm, dort meine Güter zu verschiffen. Was ist mit ihm?«

»Jemand hat seinen Namen erwähnt«, erklärte Matthew. »Ich hatte noch niemanden getroffen, der so heißt, und habe mich nur gefragt, wer das wohl ist.«

»Wer hat denn seinen Namen erwähnt?«

Matthew sah einen Irrgarten vor sich entstehen, aus dem er so schnell wie möglich hinausfinden musste. »Mr. Paine«, sagte er. »Das war noch, bevor ich zu meiner Gefängnisstrafe verurteilt wurde.«

»Ach, Nicholas?« Bidwell runzelte die Stirn. »Das ist komisch.«

»Ach ja?« Matthews Herz hämmerte.

»Ja. Nicholas kann Oliver Danforth nicht ausstehen. Die beiden haben sich wegen der Versorgungsgüter in die Haare gekriegt, und seitdem lasse ich Edward mit ihm reden. Nicholas geht zwar mit, aber nur, um Edward auf der Straße nach Charles Town zu beschützen. Edward ist ein wesentlich besserer Diplomat. Ich verstehe nicht, warum Nicholas sich mit Euch über Danforth unterhalten sollte.«

»Er hat sich nicht mit mir über ihn unterhalten. Ich habe nur den Namen gehört.«

»Ihr habt wohl große Ohren, was?« Bidwell grunzte und leerte seinen Krug. »Das hätte mir gleich klar sein sollen!«

»Mr. Winston scheint ein sehr geschätzter und verlässlicher Mann zu sein«, wagte Matthew zu sagen. »Arbeitet er schon lange für Euch?«

»Seit acht Jahren. Was sollen diese Fragen?«

»Ich bin nur neugierig.«

»Himmel Herrgott, beherrscht Eure Neugierde! Mir reicht's!« Er stand auf, um das Speisezimmer zu verlassen.

»Bitte habt noch eine Minute Geduld mit mir«, sagte Matthew und erhob sich ebenfalls. »Ich schwöre bei Gott, dass ich Euch nicht mehr mit Fragen belästigen werde, wenn Ihr mir nur noch ein paar beantworten könntet.«

»Warum? Was wollt Ihr über Edward wissen?«

»Nichts über Mr. Winston, sondern über den Quellsee.«

Bidwell sah aus, als wüsste er nicht, ob er lachen oder weinen sollte. »Über die Quelle? Habt Ihr jetzt völlig den Verstand verloren?«

»Über den Quellsee«, wiederholte Matthew mit fester Stimme. »Ich wüsste gern, wann und wie er entdeckt wurde.«

»Ihr meint das ernst, nicht wahr? Herr im Himmel, tatsächlich!« Bidwell wollte seiner Ungeduld Luft machen, aber er schien nicht mehr die Energie dazu zu haben. »Ich bin erschöpft«, gab er zu. »Ihr habt mich müde gemacht.«

»Bitte tut mir doch den Gefallen. Es ist so ein herrlicher Morgen«, sagte Matthew unbeirrbar. »Ich wiederhole mein Versprechen, Euch nicht wieder zu piesacken, wenn Ihr mir erzählt, wie Ihr diese Quelle gefunden habt.«

Bidwell lachte leise und schüttelte den Kopf. »Also gut. Ihr müsst wissen, dass es außer den vom König finanzierten Forschern auch Männer gibt, die private Forschungsreisen für Einzelpersonen oder Handelsgesellschaften unternehmen. Ich habe so jemanden angeheuert, mir einen bebaubaren Ort zu finden, der mindestens vierzig Meilen südlich von Charles Town entfernt ist und eine Süßwasserquelle besitzt. Ich habe betont, dass Zugang zum Meer wichtig ist, der Bauplatz aber nicht direkt am Meer liegen muss. Einen Sumpf kann ich trockenlegen, daher war sumpfiges Gebiet kein Ausschlusskriterium. Ich brauche viel Holz, und es soll eine Gegend sein, die sich gegen Piraten und Indianer verteidigen ließ. Als der passende Ort gefunden war – dieser Ort –, habe ich dem Königshof die Resultate und meine Zukunftspläne vorgelegt. Ich musste noch zwei Monate warten, und dann wurde mir gestattet, das Land zu kaufen.«

»Wurde die Genehmigung problemlos erteilt?«, fragte Matthew. »Oder hat jemand versucht, das zu verhindern?«

»In Charles Town hatte man von meinem Vorhaben erfahren. Eine Koalition aus bezahlten Schergen hat sich darüber hergemacht und versucht, den Kauf zu verhindern, aber denen war ich schon weit voraus. Ich hatte so viele Männer geschmiert, dass ich mir wie ein Ölkrug vorkam, und ich hatte das Schiff des Verwalters dieser Kolonie sogar umsonst mit Gold verziert, damit sich bei seinen Ausflügen auf der Thames die Leute nach ihm umdrehten.«

»Aber Ihr hattet die Gegend hier vor dem Kauf nicht besucht?«

»Nein, ich habe Aronzel Hearn vertraut. Das ist der Mann, den ich angeheuert hatte.« Bidwell holte seine Schnupftabakdose aus der Jackentasche und schnupfte laut. »Natürlich habe ich eine Karte gesehen. Ich musste ja nur wissen, dass die Gegend alles hatte, was ich brauchte.«

»Und die Quelle?«

»Was soll damit sein, junger Mann?« Um Bidwells Geduldsfaden war es ähnlich wie um ein Seil bestellt, das über zersplittertes Holz reibt: Er war kurz vor dem Reißen.

»Ich weiß, dass das Land kartografiert worden ist«, sagte Matthew. »Aber was war mit dem Quellsee? Hat Hearn ihn ausgelotet? Wie tief ist er, und woher kommt das Wasser?«

»Es kommt von … ich weiß nicht, woher. Von irgendwo.« Bidwell nahm eine zweite Prise Tabak. »Ich weiß, dass es da draußen in der Wildnis noch andere, kleinere Quellteiche gibt. Solomon Stiles hat sie auf seinen Jagdausflügen gesehen und auch davon getrunken. Ich nehme an, dass sie alle unterirdisch verbunden sind. Und was die Tiefe angeht …« Er verstummte, die Prise Schnupftabak kurz vor seiner Nase. »Das ist allerdings seltsam«, meinte er.

»Was ist seltsam?«

»Diese Fragen über den Quellsee. Ich entsinne mich, dass mir jemand anderes ähnliche Fragen gestellt hat.«

Matthews Spürsinn lief sofort heiß. »Und wer war das?«

»Ein Landvermesser, der hierher kam. Ein Jahr oder so, nachdem wir mit dem Aufbau begonnen hatten. Er hat die Straße von hier nach Charles Town kartografiert und wollte auch Fount Royal vermessen. Ich weiß noch, dass er sich für die Tiefe des Quellsees interessierte.«

»Und hat er ihn ausgelotet?«

»Hat er. Bevor er an unser Stadttor kam, war er von Indianern überfallen worden. Die Wilden hatten ihm all seine Instrumente gestohlen, weshalb ich Hazelton ein Seil mit einem Gewicht am Ende für ihn herstellen ließ. Ein Floß habe ich auch für ihn bauen lassen, damit er an mehreren Stellen messen konnte.«

»Aha«, sagte Matthew leise. Sein Mund war wie ausgetrocknet. »Ein Landvermesser ohne Vermessungsinstrumente. Wisst Ihr, ob er herausgefunden hat, wie tief der Quellsee ist?«

»Wenn ich mich recht entsinne, war die tiefste Stelle, die er fand, um die vierzig Fuß.«

»Und war dieser Landvermesser allein unterwegs?«

»Ja, er kam zu Pferde. Ich weiß noch, wie er zu mir sagte, dass er seine Instrumententasche den Wilden geopfert hat und dass er sich glücklich schätzte, seinen Skalp gerettet zu haben. Er hatte einen Vollbart. Den hätten sie ihm vielleicht auch abgezogen, denke ich.«

»Einen Vollbart«, sagte Matthew. »War er jung oder alt? Groß oder klein? Dick oder dünn?«

Bidwell starrte ihn ausdruckslos an. »Eure Gedanken sind so wirr wie die Wege einer Küchenschabe, nicht wahr? Wen schert das alles denn, verdammt noch mal?«

»Ich würde es wirklich gern wissen«, beharrte Matthew. »Wie groß war er denn?«

»Hm … ich glaube, größer als ich. Außer an den Bart kann ich mich nicht mehr an viel erinnern.«

»Welche Farbe hatte der Bart?«

»Ich glaube … dunkelbraun. Vielleicht mit etwas grau.« Er warf Matthew einen finsteren Blick zu. »Ihr erwartet doch wohl nicht, dass ich mich in allen Details an einen Mann erinnere, der hier vor vier Jahren vorbeikam, oder? Was sollen diese unsäglichen Fragen überhaupt?«

»Wo war er untergekommen?«, fragte Matthew, ohne auf Bidwells wachsende Empörung zu reagieren. »Hier im Haus?«

»Ich habe ihm ein Zimmer angeboten. Ich erinnere mich, dass er das ausgeschlagen und sich stattdessen ein Zelt geborgt hat. Darin hat er zwei oder auch drei Nächte geschlafen. Ich glaube, das war im September gewesen. Warm genug war es jedenfalls.«

»Lasst mich raten, wo er das Zelt aufgeschlagen hatte«, sagte Matthew. »War es neben dem Quellsee gewesen?«

»Kann schon sein. Und wenn?« Bidwell sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an. Schnupftabak klebte an seinen Nasenlöchern.

»Ich arbeite an einer Theorie«, gab Matthew zurück.

Bidwell kicherte. Es klang so atemlos und hoch wie das Lachen einer Frau. Bidwell bedeckte seinen Mund sofort mit der Hand und lief hochrot an. »Eine Theorie«, sagte er und hätte fast wieder gelacht. Er versuchte so sehr, sich das Lachen zu verkneifen, dass seine Wangen und der mit Kornbrot gefüllte Bauch bebten. »Bei Gott – wir müssen unsere tägliche Theorie haben, nicht wahr?«

»Lacht, wenn Ihr wollt. Aber beantwortet mir diese Frage: Für wen hat der Landvermesser gearbeitet?«

»Für wen? Ähm … Moment, ich habe eine Theorie!« Bidwell riss spöttisch die Augen auf. »Ich glaube, er muss für den Landrat gearbeitet haben! So eine Verwaltungsbehörde gibt es nämlich, wisst Ihr?«

»Er hat Euch also gesagt, dass er im Auftrag für diese Behörde unterwegs war?«

»Verdammt noch mal!«, schrie Bidwell. Ihm war endgültig die Geduld gerissen. »Mir reicht's!« Er stakste an Matthew vorbei und verließ das Esszimmer.

Matthew folgte ihm auf den Fersen. »Bitte, Sir!«, sagte er, als Bidwell auf die Treppe zuging. »Es ist wichtig! Hat der Landvermesser Euch seinen Namen genannt?«

»Pah!«, gab Bidwell zurück. »Ihr seid ja völlig verrückt!«

»Seinen Namen! Erinnert Ihr Euch nicht?«

Bidwell blieb stehen. Er merkte, dass er seinen Piesacker auf diese Art nicht loswurde. Wütend starrte er Matthew an. »Nein, ich erinnere mich nicht! Winston hat ihm die Stadt gezeigt! Fragt ihn und lasst mich in Ruhe! Ihr mit Euren Fragen würdet noch den Leibhaftigen in Person in die Flucht schlagen!« Er stieß dem jungen Mann den Zeigefinger vor die Brust. »Aber Ihr werdet mir diesen herrlichen Tag nicht ruinieren, oh nein! Dem Herrgott sei dank – die Sonne scheint, und sobald diese verdammte Hexe zu Asche wird, wächst auch meine Stadt wieder! Los, lauft nur zum Gefängnis und sagt ihr, dass Robert Bidwell noch nie versagt hat – noch nie! –, und auch nie ein Versager sein wird!«

Oben an der Treppe erschien plötzlich eine Gestalt. Matthew bemerkte sie zuerst, und sein erstauntes Gesicht veranlasste Bidwell, sich umdrehen.

Woodward stützte sich an der Wand ab. Seine Haut war fast so bleich wie sein breiverschmiertes Nachthemd. Sein fahles Gesicht glänzte verschwitzt und seine rotgeränderten Augen schauten schmerzerfüllt drein.

»Herr Richter!« Bidwell stieg die Treppe empor, um ihn zu stützen. »Ich dachte, Ihr würdet schlafen!«

»Habe ich auch«, krächzte Woodward, obwohl ihm das Sprechen schreckliche Schmerzen in der Kehle bereitete. »Aber wer kann bei dem Krach … schon schlafen?«

»Ich bitte um Verzeihung, Sir. Euer Gerichtsdiener hat mal wieder meine schlechten Manieren zum Vorschein gebracht.«

Der Richter starrte Matthew an, der mit einem Mal wusste, was den kranken Mann aus dem Bett getrieben hatte.

»Ich habe meine Überlegungen beendet«, sagte Woodward. »Komm und bereite Feder und Papier zu.«

»Ihr meint … Ihr wollt damit sagen …« Bidwell bekam vor Aufregung kaum die Worte heraus. »Ihr habt Euer Urteil gefällt?«

»Komm hoch, Matthew«, wiederholte Woodward und wandte sich dann an Bidwell. »Wenn Ihr mir bitte zurück ans Bett helfen könntet?«

Am liebsten hätte Bidwell den Richter hochgehoben und getragen, aber er konnte sich beherrschen. Matthew ging die Treppe hinauf und half dem Herrscher von Fount Royal, Woodward durch den Flur zurück in sein Zimmer zu geleiten. Nachdem Woodward sich wieder ins Bett gelegt und den Kopf ans blutgesprenkelte Kissen gelehnt hatte, sagte er: »Ich danke Euch, Mr. Bidwell. Ihr könnt nun gehen.«

»Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich gern noch bleiben und das Urteil hören.« Bidwell hatte die Tür bereits zugemacht und am Bett Posten bezogen.

»Ich habe etwas dagegen, Sir. Bis das Urteil der Beschuldigten verkündet ist«, Woodward hielt inne und schnappte nach Luft, »bleibt es Sache des Gerichts. Alles andere schickt sich nicht.«

»Ja, aber …«

»Geht«, sagte Woodward. »Eure Anwesenheit verzögert unsere Arbeit.« Er warf Matthew, der am Fußende des Betts stand, einen irritierten Blick zu. »Feder und Papier! Sofort!«

Matthew drehte sich um, um das Kästchen zu holen, in dem außer blanken Seiten Papier auch die Feder und das Tintenfass lagen.

Bidwell ging zur Tür, versuchte es aber noch ein letztes Mal. »Sagt mir nur, ob ich das Holz für einen Scheiterhaufen zusammentragen lassen soll.«

Bidwells beharrliche Missachtung aller Anstandsformen brachte Woodward dazu, die Augen zusammenkneifen. Dann schlug er sie wieder auf und sagte knapp: »Sir … Ihr könnt Matthew begleiten, wenn er der Beschuldigten mein Urteil verkündet. Und jetzt … lasst uns bitte allein.«

»Na gut. Ich gehe.«

»Und … Mr. Bidwell … bitte bleibt nicht draußen vor der Tür stehen.«

»Ich gebe Euch mein Wort als Gentleman. Ich werde unten warten.« Bidwell verließ das Zimmer und schloss die Tür.

Woodward starrte durchs Fenster in den goldenen, sonnendurchfluteten Morgen hinaus. Es wird ein schöner Tag werden, dachte er. Schöner, als er einen in über einem Monat erlebt hatte. »Datiere das Urteil«, befahl er Matthew, obwohl das kaum nötig war.

Matthew saß auf dem Hocker neben dem Bett und benutzte das Holzkästchen auf seinen Knien als einen improvisierten Schreibtisch. Er tunkte die Federspitze in die Tinte und schrieb oben auf das Papier: Siebzehnter Mai, im Jahre des Herrn 1699.

»Mach das Urteil bereit«, drängte Woodward ihn, den Blick auf die Welt vor dem Fenster gerichtet.

Matthew schrieb den Anfang, den er oft genug unter schwierigen Umständen verfasst hatte, um auch jetzt die richtigen Worte zu benutzen. Es dauerte nur einen kurzen Moment und ein wiederholtes Eintauchen der Feder: An diesem Tage befindet in der Siedlung Fount Royal, in der Carolina-Kolonie, der vom königlichen Hof ernannte Richter Isaac Temple Woodward die des Mordes und der Hexerei bezichtigte Angeklagte, eine als Rachel Howarth bekannte weibliche Bürgerin …

Er musste innehalten, um seine Hand auszuschütteln. »Schreib weiter«, sagte Woodward. »Es muss gemacht werden.«

Matthew hatte einen Geschmack wie von Asche im Mund. Er tauchte die Feder erneut ein und sprach jetzt die Worte, die er schrieb: »… der Anklage des Mordes an Reverend Burlton Grove …« Wieder zögerte er. Seine Feder schwebte über dem Papier, um das Urteil des Richters mitzuschreiben. Die Haut seines Gesichts schien sich unerträglich straff zusammengezogen zu haben, und sein Schädel brannte.

Plötzlich schnipste Woodward mit den Fingern. Matthew sah ihn fragend an, und als der Richter einen Finger auf die Lippen legte und dann zur Tür deutete, begriff Matthew, was er ihm bedeuten wollte. Leise legte Matthew seine Schreibutensilien und das Holzkästchen beiseite, erhob sich von seinem Hocker, ging zur Tür und öffnete sie schnell.

Bidwell befand sich auf ein Knie gestützt im Flur und wienerte sich geschäftig mit seinem pfaublauen Ärmel den Schuh. Er drehte den Kopf und sah Matthew mit hochgezogenen Augenbrauen an, als wollte er fragen, warum der Gerichtsdiener sich so leise aus dem Richterzimmer geschlichen hatte.

»Von wegen Gentleman!«, zischte Woodward leise.

»Ich dachte, Ihr wolltet unten warten«, erinnerte Matthew den Mann, der seinen Schuh nun zum Glänzen gebracht hatte und sich mit empörter Miene aufrichtete.

»Habe ich etwa gesagt, dass ich hinunter rennen werde? Ich habe gesehen, dass mein Schuh schmutzig ist!«

»Euer Versprechen ist schmutzig, Sir!«, sagte Woodward mit angesichts seiner geschwächten Kondition überraschend fester Stimme.

»Na gut! Dann gehe ich eben.« Bidwell rückte seine Perücke zurecht, die sich beim Aufrichten etwas verschoben hatte. »Könnt Ihr mir denn Vorwürfe machen, dass ich es wissen will? Ich habe so lange darauf gewartet!«

»Dann könnt Ihr auch noch etwas länger warten.« Woodward machte eine scheuchende Handbewegung. »Matthew, schließ die Tür.« Matthew setzte sich wieder, nahm das Kästchen auf die Knie und legte seine Schreibutensilien zurecht.

»Lies es noch mal vor«, sagte Woodward.

»Jawohl, Sir.« Matthew atmete tief ein. »… die des Mordes und der Hexerei bezichtigte Angeklagte, eine als Rachel Howarth bekannte weibliche Bürgerin, der Anklage des Mordes an Reverend Burlton Grove …«

»Schuldig«, kam die geflüsterte Antwort. »Mit einer Einschränkung: Dass die Angeklagte den Mord nicht selbst begangen hat … sondern ihn durch ihre Worte, Taten oder ihren Umgang veranlasst hat.«

»Sir!«, sagte Matthew, dem das Herz in der Brust hämmerte. »Bitte! Es gibt keinerlei Beweise, dass …«

»Ruhe!« Woodward stützte sich auf die Ellbogen und richtete sich etwas auf. Sein Gesicht war von einer Mischung aus Verärgerung, Enttäuschung und Schmerzen verzogen. »Ich dulde kein einziges deiner Widerworte mehr, hast du mich verstanden?« Er starrte Matthew in die Augen. »Schreibe den nächsten Punkt der Anklage auf.«

Matthew hätte die Feder hinwerfen und das Tintenfass umwerfen können, aber er tat es nicht. Er kannte seine Pflichten, auch wenn er mit der Entscheidung des Richters nicht einverstanden war. Er schluckte den bitteren Geschmack in seinem Mund hinunter, tunkte das elende Instrument blinder Verdammnis – seine Feder – in die Tinte und sprach vor, was er schrieb: »Ich befinde die besagte Angeklagte der Anklage des Mordes an Daniel Howarth …«

»Schuldig, mit einer Einschränkung. Der gleichen wie zuvor.« Woodward starrte Matthew wütend an, dessen Hand sich nicht bewegt hatte. »Ich würde das gern noch heute fertig bekommen.«

Matthew blieb keine andere Wahl, als das Urteil auszustellen. Es trieb ihm die Schamesröte in die Wangen. Jetzt wusste er natürlich, wie der nächste Entscheid ausfallen musste. »Ich befinde die besagte Angeklagte der Anklage der Hexerei …«

»Schuldig«, sagte Woodward schnell. Er schloss die Augen und lehnte seinen Kopf an das befleckte Kissen. Er atmete schwer. Matthew hörte, wie es tief in der Lunge des Richters rasselte. »Schreib die Einleitung des Urteils.«

Wie betäubt fuhr Matthew mit der Feder über das Papier. Kraft meines Amtes als kolonialer Richter verurteile ich die besagte Angeklagte Rachel Howarth … Er hielt inne und wartete.

Woodward öffnete die Augen und starrte zur Decke empor. Für einen Moment war der Gesang der Vögel im Frühlingslicht zu hören. »Der königlichen Gesetzgebung nach zum Tod auf dem Scheiterhaufen«, sagte Woodward. »Dieses Urteil soll am Montag, dem zweiundzwanzigsten Mai 1699, vollstreckt werden. Im Falle von Unbilden der Witterung am nächstmöglichen Datum.« Sein Blick schweifte zu Matthew hinüber, der sich nicht bewegt hatte. »Schreib das.«

Wieder war er nur stumpfes Fleisch, das die Feder führte. Irgendwie erschienen die Worte auf dem Papier.

»Gib es mir.« Woodward streckte die Hand aus und nahm das Dokument entgegen. Er kniff die Augen zusammen, las es beim Licht, das durch das Fenster strömte, und nickte dann zufrieden. »Die Feder, bitte.« Geistesgegenwärtig, oder vielmehr automatisch, tauchte Matthew die Feder in die Tinte und tupfte sie kurz ab, bevor er sie Woodward gab.

Woodward unterzeichnete mit seinem Namen, unter den er seinen Titel als kolonialer Richter schrieb. Normalerweise käme noch ein offizielles Siegel hinzu, aber das Siegel war wie seine restlichen Sachen dem schurkisch veranlagten Will Shawcombe zum Opfer gefallen. Dann reichte er die Urkunde und die Feder an Matthew zurück, der wusste, was von ihm erwartet wurde. Wie betäubt unterschrieb Matthew neben Woodwards Namen und fügte seinen Titel als Gerichtsdiener hinzu.

Damit war es vollbracht.

»Du kannst es der Angeklagten vorlesen«, sagte Woodward und vermied es, seinem Büttel ins Gesicht zu schauen, da er keine Zweifel hegte, was er dort sehen würde. »Und nimm Bidwell mit. Der soll es auch hören.«

Matthew wurde klar, dass es nichts nützte, das Unvermeidliche heraus zu zögern. Langsam stand er auf. Immer noch wie betäubt ging er zur Tür, das Urteil in der Hand.

»Matthew?«, sagte Woodward. »Auch wenn du mich für … herzlos und grausam hältst …« Er verstummte und schluckte dicken Eiter. »Es ist aber das angemessene Urteil. Die Hexe muss verbrannt werden … und zwar zum Wohle der Allgemeinheit.«

»Sie ist unschuldig«, brachte Matthew heraus. Er starrte zu Boden. »Noch kann ich nichts beweisen, aber ich habe vor, weiterhin …«

»Du machst dir etwas vor … und es ist an der Zeit, dass du damit aufhörst.«