Mausetot - Sofie Seidl - E-Book

Mausetot E-Book

Sofie Seidl

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Beschreibung

Eine Tote in der Wittelsbacher Gruft der Michaelskirche reißt den schwulen Münchner Ratten-Sherlock Maxi aus seinen Träumen. Eigentlich im siebten Beziehungshimmel, muss sich der Experte für "Foreign Affairs" erneut den Gefahren der Menschenwelt aussetzen. Im Auftrag des selbsternannten "Bruder Bartholomäus" vom Frauendom, Münchens ältester Ratte, folgt er heimlich den Spuren der menschlichen Oberkommissarin Lisi Moosgruber. Nächtliche Besuche im Polizeipräsidium, seine Leidenschaft für Fleischpflanzerlsemmeln und Franz-Josef, der berüchtigtste Kater der Landeshauptstadt, machen Maxis Mission lebensgefährlich. Die Wahrheit muss am Ende teuer erkauft werden - vielleicht zu teuer … In seinem zweiten Fall geht Maxi aufs Ganze.

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Die Autorin wurde im Herzen von München geboren, flanierte mit ihrer Oma täglich durch die Münchner Innenstadt und schrieb mit 8 ihre ersten Kurzgeschichten. Nach dem Abitur schloss sie zunächst eine zweijährige Ausbildung als Zeitungsjournalistin ab und studierte anschließend Sozialpädagogik. Sofie Seidl arbeitete acht Jahre als Journalistin, Pressereferentin und Lektorin und betreute 15 Jahre lang benachteiligte Jugendliche. Mit 48 Jahren begann sie Romane zu schreiben. „Mausetot“ ist nach „Rattenscharf“ der zweite Roman unter dem Pseudonym Sofie Seidl mit Maxi, dem liebenswert-genialen Münchner Rattensherlock

FÜR DIE RATTEN DIESER WELT:

IHR SEID GERISSEN

IHR SEID LIEBENSWERT

IHR SEID TAFF

ECHTE ÜBERLEBENSPROFIS HALT

– SO WIE WIR

Inhalt

Mäusehochzeit

Mord im Mausoleum

Von Menschen und Mäusen

Solo für Maus

Jede Menge Mäuse

Maus in der Falle

Der Mäuse Flüsterer

Wie Katz und Maus

Maus auf Turkey

Games of Mice

PC Maus in Aktion

Maus am Mutmaßen

Wilde Maus in Fahrt

Dein Maus und Helfer

Mäusezirkus in bleu

Die Maus machts

Da beißt die Maus kein Faden ab

Maxi Mäuse Cop

Maxi spielt Mäuschen

Kommissar Mausgruber

Mit den Waffen einer Maus

Münchner Mäuse Meute

Maus Al Dente

Die Sendung mit der Maus

Aus die Maus

Maus im Eimer

Die Maus im Frauen Haus

Sherlock Mouse

Maus in der Mangel

Epilog

München Innenstadt – © OpenStreetMap-Mitwirkende

http://www.openstreetmap.org/copyright

Karte unter CC BY-SA 2.0 lizensiert

1 Mäusehochzeit

„EIN GOTTESHAUS IST ENTWEIHT WORDEN!“, deklamiert Bruder Bartholomäus in einem Ton, als wolle er die nahende Apokalypse verkünden. Es folgt eine lange Pause, während der er mich entrüstet anstiert.

Ganz so, als ob ich an all dem Schuld wäre!

Unbehaglich tripple ich von einer Hinterpfote auf die andere und fühle mich tatsächlich ein bisschen schlecht.

Obwohl ich gar nichts getan hab!!

Gerade will ich in verbale Abwehrstellung gehen, da fällt mir ein, mit wem ich hier rede: Bruder Bartholomäus, auf eine düstere Art würdevoller Bewohner der Krypta unter unserem Münchner Frauendom. Vermutlich wünscht er sich vor allem Respekt und derzeit ein kleines bisschen Verständnis für das seiner Ansicht nach schreckliche Vergehen.

Worin auch immer es bestehen mag.

Ich muss den eingerosteten Dialog wohl mit ein bisschen Mitgefühl schmieren, sonst stehen wir hier bis zum Sankt Nimmerleinstag.

„Was für ein verwerfliches Übel wurde denn in diesem heiligen Hause begangen, dass es Dich so in Rage bringt?“

Sofort wird mir klar, dass ich diesmal zu weit gegangen bin. Die Gesichtszüge von Bartholomäus, dem gläubigen Bruder, verziehen sich zu einem gänzlich unheiligen Ausdruck.

Seelenqual? Nein. Zorn! Nackte Wut!

Ich will schon entschuldigend stammeln, dass ich ihn nicht verarschen wollte, dass die Worte mir einfach so in den Sinn gekommen sind, als Bartl im Stakkato durch zusammengebissene Zähne hervorpresst:

„Ei-ne-Men-schen-frau-liegt-tot-in-der-Wit-tels-ba-cher-Gruft-der Mi-cha-els-kir-che! Und-sie-ist-nicht-auf-na-tür-li-che-Wei-se-ge-stor-ben!“

Über diese erstaunliche Nachricht vergesse ich sogar, erleichtert zu sein.

„Unsere Michaelskirche? Groß, mitten in der Fußgängerzone?“, frage ich, bevor ich mich daran hindern kann.

Als sich ein infernalisches Donnerwetter in Bruder B.s Miene zusammenbraut, der ich die Frage ablesen kann, „Wie-vie-le-Wittelsbacher-Grüfte-GIBT-es-Deiner-Meinung-nach-in-München!!?“ (tatsächlich befindet sich noch eine in der Theatinerkirche, wie ich später recherchiert habe), versichere ich hastig:

„Ich schau mir das unverzüglich an, Bart… – Bruder Bartholomäus!“

„Dieser Frevel wird nicht ungerochen bleiben!“, ruf ich ihm im Weglaufen über die Schulter zu und gebe Fersengeld.

Ich kanns einfach nicht lassen.

Jetzt muss ich mich erstmal vorstellen: Ich bin Maxi. Im Clan Marienhof hinter unserem wunderschönen Münchner Rathaus bin ich der Sonderbeauftragte für „Foreign Affairs“: Mein Job ist es, das Verhältnis zu Euch Menschen zu verbessern, weshalb ich hier live aus meinem Leben berichte.

Alles hat damit angefangen, dass ich mein Austauschjahr in England verbracht hab, beim ISL Clan unter der International School of London. Dort hab ich heimlich Euren Unterricht belauscht. Deshalb kann ich lesen, (eher schlecht als recht) schreiben, ausreichend Englisch und ein bisserl Computer. Außerdem hab ich eine milde Sucht nach Fleischpflanzerlsemmeln.

Ach ja, übrigens, ich bin eine Ratte. Rattus norvegicus aus der Überfamilie der Mäuseartigen, Unterfamilie der Altweltmäuse, um genau zu sein. 45cm von der Nasen- bis zur Schwanzspitze, also mittelgroß für eine Wanderratte.

Aber lasst uns jetzt an den Anfang der Geschichte zurückkehren, an eine Stelle nur eine halbe Stunde vor meinem Besuch beim Bartl, als meine Welt noch völlig stressfrei und in Ordnung war.

Ich war gerade in Kammer 1 unseres Wohnkessels unter dem Marienhof – 91 Tiere, 3 Kammern plus ein Vorratsraum – damit beschäftigt, mit Sven, meinem Liebsten, für unsere bevorstehende Band-Halte-Zeremonie zu üben. Wir haben uns während der Aufklärung meines letzten Mordfalls kennengelernt, veröffentlicht unter dem Titel „Rattenscharf“ von meiner Sekretärin Sofie Seidl. Und jetzt sind wir dabei, es offiziell zu machen. Nachdem wir uns vor Kurzem beide ein paar romantische kleine Piercings haben stechen lassen …

Schwul sein wird bei uns Ratten eben recht relaxt gesehen, nicht so krampfig wie bei Euch Menschen.

„Ihr müsst Euch spiegelbildlich drehen, sonst kommt Ihr in der Mitte nicht zusammen! Sonst bleibt das Band zwischen Euch, anstatt Euch beide einzuhüllen, wie es sein soll!“

Mittlerweile klingt selbst meine für ihre Engelsgeduld bekannte beste Freundin Sirkit leicht genervt. Prompt folgt Svens und mein synchrones Gekicher.

„Ich hab ja Verständnis dafür, dass Ihr verknallt seid, aber wir üben das jetzt schon zum 20sten Mal, Himmel noch eins!“, schimpft sie.

Stimmt nicht. Es waren höchstens 10-mal …

Ich kann Sirkit ja verstehen. Unser Geturtel, gepaart mit grenzdebiler Tollpatschigkeit, ist für Außenstehende sicher schwer zu ertragen. Aber Sven und ich schweben nun mal auf Wolke sieben, seit wir uns entschlossen haben, das Band zu halten.

Nach einem weiteren missglückten Dreh-Versuch streckt die aus Indien stammende Sirkit die Waffen.

„Mir reichts für heute, Jungs. Ich muss mich mal wieder um meinen Kleinsten kümmern, der weiß wahrscheinlich schon nicht mehr, wie Mami aussieht! Die Feier findet ja erst in ein paar Tagen statt, da habt Ihr noch genügend Zeit, diese schwierige Aufgabe zu meistern ...“

Sprichts und trippelt hastig in Richtung Kammer 2 unseres Wohnkessels davon.

„Svene-Mäuseschnäuzchen, lass uns das nochmal alleine üben. Volle Konzentration, bitte! Ich will, dass bei unserem Fest alles perfekt klappt!“, ruf ich meinem Schatz mit einem Lächeln unter den Schnurrhaaren zu und nehm mein Band-Ende mit der Schnauze wieder auf.

„Diesmal machen wirs richtig, Maxilino-Supermaus“, ruft Sven zurück, aber sein schelmisches Grinsen straft seine Worte Lügen. Bei jeder Drehung schwelge ich im Anblick von Svens silbernem Fell mit den feinen dunklen Tigerstreifen und bemerke das Aufblitzen seiner schönen honigbraunen Augen. Kein Wunder, dass unsere Probe nie hinhaut! Als wir uns der gemeinsamen Mitte nähern – natürlich wieder von der falschen Seite – und ein weiterer Kicheranfall droht, reißt uns eine wohlbekannte Stimme rüde aus unserem gemeinsamen Traum.

„Maxi, Maaxi, Maaaxiii!!“ brüllt es aus dem Verbindungsgang zu Kammer 2. Ich kann mir gerade noch meine Vorderpfoten auf die Ohren klatschen, da seh ich einen hellgrauen Schemen auf mich zurasen. Ein Wortschwall ergießt sich über mich, bevor ich es durch verbale Abwehr schaffe, den Neuankömmling soweit einzubremsen, dass ich meine Ohren ohne Hörsturzrisiko wieder freigeben kann. Endlich zum Stillstand gekommen, hat der Schemen die Konturen von Marktschreier angenommen, der Inforatte unseres Clans.

Uns Ratten gibt es weltweit in 570 verschiedenen Formen und wir leben in Clans von circa fünf bis 200 Mitgliedern. Als megasoziale Wesen helfen wir uns selbstverständlich auch clanübergreifend. Wir Münchner Exemplare aus der Weltstadt mit Herz sowieso …

Marktschreier fungiert als Bote zu den Inforatten der nächstgelegenen Clans. Jede von denen verständigt wiederum die Inforatten von deren umliegenden Clans usw. Ist eine Nachrichtenlawine mit annähernd Lichtgeschwindigkeit. Mit seinem superschrillen Organ und dem straßenpflastergrauen Tarnfell eignet sich der Marktl perfekt für seinen Job.

„Maxi! Schnauf … du musst sofort zu Bartholomäus kommen … uff – Leiche!!!“, keucht Marktschreier geräuschvoll.

„Was?“, frage ich – zugegeben nicht sehr intelligent.

Passend dazu starre ich den Marktl mit einem dümmlichen Gesichtsausdruck an.

Als Marktschreier gefühlte 20 Minuten später wieder zu Atem kommt, erfahre ich endlich, was Sache ist.

„Der Bartholomäus will, dass du sofort kommst! Sie haben eine tote Frau gefunden!“

Spontan schießen mir verschiedene mögliche Bemerkungen durch den Kopf.

„Was, schon wieder eine Leiche?“, oder „Seit wann schert sich der Bartl um weltliche Angelegenheiten?“, oder „Was zum Teufel geht mich das an, ich habe ein Band zu halten!“

Tatsächlich sage ich nichts von all dem. Weil mir nämlich die Aussicht auf einen neuen Ermittlungsauftrag irgendwie gefällt. Weil ich bei aller inniger Liebe für Sven schon ganz gern wieder mal einen aufregenden Einsatz hätte und weil es mich freuen würde, Oberkommissarin Lisi Moosgruber von der Menschenpolizei wiederzusehen.

„Ahm, Svehnerättchen … hättest Du was dagegen, wenn ich … Du weißt, wenn der Bartl sich so aufregt, beruhigt er sich von selber nicht mehr und …“

„Ist schon gut, Maxlrättchen. Du musst Dich nicht entschuldigen – schließlich kannst Du nichts für die Unterbrechung. Und im Moment kriegen wir das mit dem Bandhalten ja anscheinend eh nicht gebacken.“

„Du bist ein riesengroßer Schatz! Ich bin bald wieder zurück.“

Mit diesen Worten drücke ich Sven einen dicken Schmatz auf die Backe und düse los.

Ein bisschen hab ich den Verdacht, dass er ganz froh über die Unterbrechung ist, weil ihm das Gelegenheit gibt, sein Schnäuzchen in die Frühlingssonne dieses herrlichen Maitages zu strecken und anschließend ungestört auf unserem supermodernen Mini-iPad seinen Roman weiterzulesen.

Äh, eigentlich ist es gar nicht unser iPad, wir verwahren es nur. Es … ist mir vor einiger Zeit von einer Parkbank, ääh, direkt vor die Füße gefallen – ja, so kann man sagen. Aber das ist eine ganz andere Geschichte, die ich Euch eh schon erzählt hab.

Jedenfalls ist es bei uns Ratten so: Wenn einer was findet, benutzen es alle. Naja und mit dem iPad hat sich seit dem letzten Mordfall einiges in unserem Clan verändert. Viele, vor allem die jungen Ratten, wollen jetzt damit Bücher lesen oder Filme schauen. Weil wir unter dem Marienhof, gleich hinterm Rathaus, residieren, funktioniert im Bau das sogenannte „Weh-Lahn“. Seit einiger Zeit leitet meine Schwester Kathi deshalb begeistert eine Unterrichtsgruppe „Lesen und Schreiben auf Mensch“. Die Methusalems um Großonkel Xaver hingegen warnen vor dem „Katzenwerk“, das Unglück über uns alle bringen wird …

Marktschreiers alarmierende Meldung war also der Grund für meinen Besuch bei der einzigen solo lebenden Ratte Münchens: „Bruder Bartholomäus“. Für mich (und alle anderen) schlicht „der Bartl“. Selbsternannter Diener des HERRN. Auch sein einziger Diener unter uns Ratten, um ehrlich zu sein, denn wir neigen nicht zum Religiösen.

Aber wir lieben die Natur und achten sie und unsere Artgenossen, ebenso wie alle anderen Lebewesen (abgesehen vielleicht von Hunden).

2 Mord im Mausoleum

Jetzt rase ich also durch die trockenen Teile der Kanalisation vorbei an den Wohnkesseln der Clans Kaufinger 2 und Sport Scheck in Richtung Michaelikirche und schlüpfe durch schmale Gänge hinein in die Fürstengruft unter dem Gotteshaus.

Mit einem Schlag werde ich abgebremst. Was mich so abrupt stoppt, ist die Atmosphäre in der Grabkammer. Die Zeit steht still an diesem Ort. Er wirkt wie luftdicht vom Leben abgeschlossen. Der relativ kleine Raum mit den schmutzig weißen Wänden und den vielen düsteren schweren schmucklosen Metallsärgen in allen Größen, die eng aneinander gereiht dastehen wie in einem Warenlager, hat etwas sehr Deprimierendes, Unpersönliches an sich. Besonders schlimm finde ich die ganz kleinen Särge.

Wir Ratten haben nichts gegen den Tod an sich – unserer Meinung nach gehört er zum großen Kreislauf, ein toter Körper gibt wieder neues Leben für andere. Meiner Meinung nach eine sehr tröstliche Vorstellung.

Aber dieser Raum schlägt dir deine eigene Vergänglichkeit mit dem Vorschlaghammer ins Gesicht. Wenn nicht einmal von großen Königen am Ende mehr bleibt als ein düsterer Kasten mit ein paar Verzierungen drauf …

Nur ein Sarg ist ein Stück größer als die anderen und mit einer Krone verziert. An seinem Fuß liegen sogar ein paar Blumen. Wem der wohl gehört?

Mal ehrlich, zum wiederholten Mal frage ich mich, was manchmal in Euch Menschen so vorgeht. Nicht genug damit, dass Ihr Euren Dahingeschiedenen riesige unterirdische Wohnkessel anlegt – für jeden einzelnen eine eigene Kammer, wohlgemerkt – was für eine megamäßige Platzverschwendung! Ihr geht auch noch immer wieder dorthin, um sie Euch nochmal anzuschauen! Wie abgefahren ist das denn?!

Grauslig, wenn Ihr mich fragt!

Ich glaub bereits zu spüren, dass die düstere Atmosphäre mir meine Lebensenergie absaugt wie bei diesen Computerspielen auf dem iPad.

Als mein Blick auf die Tote fällt, denke ich einen überdrehten Moment lang, dass sie tatsächlich an der gruftigen Aura gestorben ist. Dann schüttle ich mich kurz aber heftig und konzentriere mich wieder auf meinen Job.

Schon bevor ich die Tote näher in Augenschein nehme, rieche ich etwas an ihr, ganz klar. Es ist ein Geruchsgemisch und im ersten Moment fällt es selbst mir schwer, die unterschiedlichen Düfte einzuordnen. Schon, weil der scharfe Alkohol darin alle anderen Gerüche überdeckt. Puh! Jetzt erschnüffle ich noch Spuren von Schokolade. Und noch etwas, nur einen Hauch davon, aber ich weiß nicht, was es ist. Irgendwie scharf und „brummig“. Ich kanns nicht anders ausdrücken.

Jetzt lasse ich den Gesamteindruck von hier aus auf mich wirken. Alt und winzig liegt die unscheinbare, mausgraue Frau fast dekorativ auf dem kalten Steinboden. So, als wäre sie müde zu Boden geglitten und zwischen den bleigrauen Särgen einfach eingeschlafen. Wie in einer grotesken Schneewittchen-Parodie. Sie hat keine sichtbaren äußeren Verletzungen.

Auch ihr Gesicht sieht friedlich aus, sehr sogar. Richtig gelöst – fast wie erleichtert.

Wie bei dem ersten toten Menschen, den ich gefunden habe, gehe ich langsam und in kleinem aber gebührenden Abstand um die leblose Frau herum, beobachte und schnüffle genau. Ich würde sie auf etwa 84 schätzen, plus minus 2 Jahre. Bei recht alten Menschen bin ich mir da immer nicht so sicher. Jacke, Bluse und Rock sind ordentlich, fast einen Tick zu sauber (für einen Menschen!). Von guter Qualität, aber sehr stark abgetragen. Farbe: eine Zusammenstellung aus braun, beige und grau. Sicher war das alles mal modern – so vor rund 40 Jahren. Schätzungsweise ist die alte Frau seit ca. einer halben Stunde tot.

Die Hände der Verstorbenen sind fast zu groß für ihre schmächtige Gestalt, mit roter, rissiger Haut. Sie hat wohl zu Lebzeiten viel mit ihnen gearbeitet. Einen Finger ziert ein glatter schmaler Goldring ohne Stein. Ich hab gehört, dass das bei Euch Menschen sowas Ähnliches bedeutet wie bei uns das Band.

Plötzlich muss ich jetzt an Sven denken und in mir flammt heftige Sehnsucht auf. Was mach ich hier in dieser Totenkammer? Eigentlich sollte ich bei meinem Liebsten sein und mich gemeinsam mit ihm auf die bevorstehende Zeremonie freuen!

Dann aber siegt meine Neugier. Ich spüre, dass ich definitiv wissen will, was hier passiert ist. Warum nur? Weil „einmal Ermittler – immer Ermittler?“ Oder ist es die Anziehungskraft von Euch Menschen?

Egal. Ich richte meine Aufmerksamkeit wieder voll auf die Tote. Da fällt mir auf, dass die abgenutzte kleine Lederhandtasche der Frau leicht geöffnet und fast ganz unter ihrem Faltenrock verborgen am Boden liegt.

Ich frag mich, ob ich da jetzt nicht mal reinschaun sollte – natürlich nicht aus ordinärer Neugier, sondern weil mir das Detektivische inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Außerdem muss ich Bartl ja irgendwas sagen können!

Also schlüpfe ich supervorsichtig in die Handtasche, mit meinem Näschen voran. Will ja keine möglichen Spuren verwischen.

Sofort fällt mir auf, dass hier der Alk-Schoko-Irgendwas-Geruch viel stärker ist, besonders an einem kleinen Stück hauchdünnem rosa Papier. Ansonsten befinden sich in der Tasche ein Schlüsselbund, ein paar Taschentücher (zum Glück unbenutzt!), ein kleiner Geldbeutel mit drei rechteckigen Plastikkärtchen, wo einiges draufsteht und mit ein paar Scheinen und Münzen drin.

Als ich die Handtasche der Toten wieder verlassen habe, betrachte ich mir ihre Gestalt nochmal im Ganzen:

Sie hat keine sichtbaren äußerlichen Verletzungen. Ihre noch überraschend dichten stumpfgrauen Haare hat sie in kurzen, starren Wellen getragen, wie ich sie schon bei vielen älteren Damen beobachtet habe. Ihr Gesicht wirkt, von Nahem betrachtet, irgendwie streng, wenn man den relaxten Ausdruck einmal weglässt. An der Stelle zwischen den Augenbrauen hat sich eine tiefe Falte eingegraben. Ansonsten ist die Haut der Frau für ihr Alter ziemlich glatt, finde ich.

Plötzlich wird mir klar, was an dem Geruch nicht stimmt – mit einem Schock überkommt mich die Erleuchtung:

Gift!

Vermutlich keines, das Nase oder Geschmackssinn eines Menschen entdecken würden, aber für Ratten eindeutig wahrnehmbar.

Gift – eingebettet in Schnaps und Schokolade.

3 Von Menschen und Mäusen

Ich halte ein kurzes Kontem, unsere übliche Schweigeminute aus Respekt vor Toten egal welcher Spezies. Weil es immer schade ist, wenn ein Lebewesen stirbt, zumal vor seiner Zeit.

Zurück in der Krypta der Frauenkirche rufe ich nach Bartl. Der Typ taucht normalerweise immer ohne Vorwarnung aus dem Nichts auf und schallt Dir seine sonore Stimme dann plötzlich von hinten direkt ins Ohr. Doch diesmal bin ich vorbereitet und erschrecke nur leicht als Bartl neben mir materialisiert.

„Die Tote in der Wittelsbacher Gruft ist eine alte Frau. Sie hat eine vergiftete Süßigkeit gegessen. Ich konnte keine Geruchsspuren einer anderen Person entdecken. Sehr wahrscheinlich hat die Frau also ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt“, füge ich mit dem heftigen Unbehagen, das eine solche Handlung bei uns Ratten erzeugt, hinzu.

Mein emotionales Bauchgrimmen ist jedoch offensichtlich nichts im Vergleich mit dem von Bruder Bartlholomäus.

„OHMEINGOTT! HIMMELHILF! OHMEINHERR!!

SÜNDE!!! SÜNDE!!!“

Während er diese Worte in die Welt hinausschreit, schlägt sich der Bartl die Vorderpfoten vors Gesicht, gleich mehrmals hintereinander, und lässt sie zwischendrin jedes Mal kurz sinken. Es sieht aus, als ob er sich reinwaschen will, es aber nicht schafft. Jetzt fällt er auf die Knie, hebt seine Arme über den Kopf und ruft: „VERGIB, HERR, VERGIB dieser armen SÜNDERIN und uns allen, die wir UNWÜRDIG sind …“ Der Rest geht in einer Art Wimmern unter.

Jetzt mach ich mir ernsthaft Sorgen. So außer sich hab ich den ehrwürdigen Rattenmann noch nie erlebt. Er gilt in der Münchner Rattenkommune als der älteste Vertreter unserer Spezies in der Landeshauptstadt.

Der wird mir jetzt doch keinen Herzkaschperl kriegen?!

Ich muss ihn irgendwie beruhigen!

„Lieber Bar… Pater Bartholomäus, Du darfst Dich nicht so aufregen, damit schadest Du Deiner Gesundheit und das würde der Herr sicherlich nicht wollen. Du sagst doch selbst, dass Er ein gnädiger Gott ist. Sicherlich ist Er auch bereit, einer armen Seele wie der alten Frau, die wohl keinen Ausweg mehr gesehen hat, zu verzeihen. Sie hatte ja auch ein Kettchen mit einem kleinen Kreuz umhängen, war also wohl gläubig.“ An Letzteres hab ich mich gerade erinnert.

„Gewiss ist er gnädig, unser HERR, aber wird er eine solch schwere Sünde verzeihen, noch dazu begangen in einer Kirche?!“

Der Bartl ist zwar immer noch sehr aufgeregt, aber doch schon deutlich ruhiger geworden, scheint mir. Jedenfalls sind seine Augen jetzt nicht mehr Blut unterlaufen und seine Stimme überschlägt sich nicht mehr. Weiter so, Maxi!

„Vielleicht trügt der Schein ja und diese alte Dame hat sich gar nicht selbst … vielleicht wurde sie ja …“.

Gerade ist mir in den Sinn gekommen, dass a) es tatsächlich möglicherweise auch ein Mord gewesen sein könnte und b) der Bartl dieses Verbrechen möglicherweise noch frevelhafter finden würde, zumal in (s)einer Kirche begangen!

Womit ich meinen Anfangserfolg in Sachen Deeskalierung in die Tonne treten kann!

Klasse Herr Superpsychologe!

Während ich fieberhaft überlege, wie ich aus dem verbalen Schlamassel wieder rauskomme, meldet sich der Bartl erneut zu Wort.

„Das ist in der Tat eine Möglichkeit, dass der Tod dieser Frau von einer anderen Person herbeigeführt wurde. Gewiss, auch das wäre ein schlimmer Verstoß gegen Gottes Gebote – aber nicht so … fürchterlich, so verachtenswert, wie sich selbst das Wertvollste zu nehmen, das uns der HERR gegeben hat, unser Leben.“

Jetzt fühle ich mich hin- und hergerissen. Einerseits empfinde ich das wie der Bartl: Unser Leben, ja das Leben aller Wesen ist unendlich kostbar und schützenswert. Andererseits denke ich mir, wenn die Arme nun wirklich nicht mehr weiter wusste und vielleicht ganz allein auf der Welt war.

Sollte man da nicht eher Mitleid haben, anstatt zu schimpfen?

„Du musst den wahren Grund aufdecken, Maxi!“, meldet sich Bartl jetzt unvermittelt wieder zu Wort.

„Du musst beweisen, dass … ob es ein Mord war. Ich brauche Gewissheit – vorher kann ich nicht mehr ruhig schlafen!

Maxi: Du musst wieder ermitteln!!“

Als ich bei meiner Rückkehr in den Bau Sven in Kammer 3 erblicke, bleibe ich schlagartig stehen. Wie er da so sitzt, mit seinem Näschen ins „Buch“ (iPad) vertieft, wirkt irgendwie anmutig und ernsthaft zugleich. Als Ehemaliger, also quasi Alumnus einer Universität kann mein aus Schweden ursprünglich als Praktikant nach München gekommener Süßer schon lange lesen. Meine Götterratte in spé entstammt nämlich dem UU Clan unter der „Uppsala Universitet“, dessen Mitglieder allesamt hochgebildet sind.

(Den Ausdruck „in spe“ kenn ich aus „Lateinische Redensarten und Geflügelte Worte“, einem einsemestrigen Wahlfach von Prof. Aster-Hicks.)

Sven ist ja sooo schlau! Er liest richtige Bücher, die er praktisch überall findet! Also, richtig findet, ähh …

Wisst Ihr Menschen eigentlich, wie viele Bücher Ihr so wegwerft oder auf Parkbänken liegen lasst! Unglaublich!

Auf einmal überschwemmt mich ein mächtiges Gefühl von Liebe und Stolz. Dieser schöne, intelligente, herzliche Mann soll mir gehören, meiner sein für immer und ewig – nach irdischen Maßstäben: „bis dass der Tod das Band zerreißt“.

Ich kann es kaum glauben und Tränen der Freude schießen mir in die Augen.

Plötzlich dreht Sven den Kopf und sieht mich direkt an, obwohl ich schwören könnte, dass ich nicht das kleinste Geräusch gemacht hab!

„Du bist zurück, Liebling!“

Jetzt erhellt ein Strahlen Svens Gesicht, das kann man gar nicht beschreiben. Er springt auf und läuft zu mir. Wir zelebrieren das rattentypische Begrüßungsritual des Schnauzewetzens, allerdings viel länger als üblich und viel inniger.

„Ich hab Dich vermisst“, flüstert Sven.

„Ich Dich auch“, hauche ich und es stimmt, wie mir gerade schmerzlich bewusst wird.

Eine ganze Weile liegen wir jetzt da, eng aneinander gekuschelt und schweigen, genießen unsere gegenseitige Wärme und Flauschigkeit. Dann erzähle ich Sven von meinen Erlebnissen. Als ich an der Stelle ankomme, an der Bartl mich beauftragt, den Tod der alten Frau aufzuklären, halte ich meinen Blick schuldbewusst auf den Boden gesenkt.

Ich kann Sven jetzt nicht in die Augen schauen.

Aber mein Liebster ist ein Engel. Anstatt mich mit der Frage zu löchern, was ich Bartl denn geantwortet habe und mir Vorwürfe zu machen, dass ich ihn in den letzten Tagen vor unserer Band-Halte-Zeremonie die meiste Zeit allein lassen werde, versucht er auch noch, mir mein schlechtes Gewissen zu nehmen.

„Mach Dir jetzt keine Gedanken wegen mir. Du musst diesen Auftrag übernehmen, Maxi. Nur Du kannst einen möglichen Mörder finden und aus dem Verkehr ziehen. Und wenn es Suizid war, kannst nur Du es beweisen. Deine Kommissarin braucht bestimmt wieder Deine Hilfe! Wir werden nach dem Bandhalten noch so viel Zeit für einander haben.

Nur Du bist die Ratte für Foreign Affairs.“

Bevor ich in Gang 5 verschwinde, werfe ich noch einmal ein herzliches Lächeln über die Schulter. Für den Bruchteil einer Sekunde lese ich Sorge in Svens Miene, dann lächelt er schnell breit und zuversichtlich.

Irgendwie geht es meinen Innereien jetzt nicht wirklich besser.

Draußen an der Oberfläche angekommen, muss ich mal ein bisserl nachdenken. Ich platziere mich unter einer der vielen Parkbänke auf dem Marienhof. Es ist mitten in der Nacht und von Euch Menschen sind kaum noch nüchterne Exemplare unterwegs. Und selbst die sehen von uns Kleintieren erfahrungsgemäß rein gar nix, außer, wir tanzen vor ihren Füßen Tango. Trotzdem bin ich immer vorsichtig und halt mich in irgendeiner Deckung – das liegt uns einfach im Blut.

Ich machs mir also bequem und denke darüber nach, welche Schritte ich als nächstes unternehmen muss. Als der Groschen fällt, gestatte mir kurz innezuhalten und mit den Pfoten meine samtschwarzen Äuglein zu bedecken.

Es wird mir nichts anderes übrigbleiben: Ich muss wieder mal ins Polizeipräsidium. Um in Lisis Büro den PC anzuwerfen und die Dateien zum neuen Todesfall zu lesen,

„Kreizdeifi no amoi!“

Ich kann mir all die notwendigen Infos einfach auf keine andere Art beschaffen: Die Daten der Toten, Namen von Verdächtigen, Wohnorte etc. pp. Vor allem brauch ich das Ergebnis der Obduktion, der Spurensicherung bzw. der KTU, der Kriminaltechnischen Untersuchung, wie wir Insider sagen …

Für den Besuch im Zentrum der Münchner Polizeigewalt ist es jetzt natürlich noch zu früh. Sie haben die Tote ja wahrscheinlich noch gar nicht gefunden. Aber ich hab diesmal schon einen Wissensvorsprung …

Die alte Dame hatte nämlich einen Ausweis bei sich – nichts anderes war nämlich eines der kleinen Plastikkärtchen, die ich in der Handtasche der Verstorbenen entdeckt hab. Also kenn ich jetzt nicht nur ihren Namen, sondern auch ihre Adresse …

Mein nächstes Ziel ist also die Maxburgstraße 1a, wo Marianne Kern zu Lebzeiten gewohnt hat. Ich werde die Wohnung noch vor der Polizei in Augenschein nehmen können!

Wie toll ist das denn!!

Ich platz gleich vor Stolz!

Peng und zrissn hatsn!

Ähem – jetzt muss ich mich mal wieder einkriegen. Sei ruhig und konzentriert, Maxi, ganz der Profi.

Das beste an Mariannes Adresse ist, dass ich sie zu Fuß erreichen kann. Und zwar ganzbald. Sie liegt nämlich fast direkt neben dem Polizeipräsidium.

Ich sprinte also in die Albertgasse und rase rechts um die Frauenkirche rum in die „Löwengrube“, an der das Präsidium liegt. Diese Straße ist durch die gleichnamigen Krimi-Kultserie aus den 90er Jahren welt-, äh, deutschland-, äh bayernweit bekannt. Jedenfalls flitze ich sie ganz entlang, bis sie in die Maxburgstraße übergeht.

Dann hau ich die Bremse rein und stehe vor einem grauen Mietshaus, derzeit „Mehrparteienhaus“ genannt. Warum überlegt Ihr Menschen Euch eigentlich für dasselbe Zeugs immer wieder neue Namen? Käme Unsereinem nie in den Sinn.

Das Haus Maxburgstraße 1a ist ziemlich schlicht, schlammbraun, hat mittelgroße Fenster, die in kleine, (einst) weiß umrandete Vierecke unterteilt und im Suterrah vergittert sind. Mit anderen Worten, es sieht insgesamt etwas heruntergekommen aus.

Äh, ehrlich gesagt, find ichs ziemlich scheußlich …

Freilich sind Gitter für Leute wie mich ein Witz. Bei den meisten könnte ich quer durchmarschieren. Trotzdem brauch ich noch eine ganze Weile, bis ich ein Fenster finde, das gekippt ist hinter dem Gitter. Weil wir Ratten geschickte Kletterer sind, bin ich dann im Nullkommanix in einem verstaubten kellerartigen Raum mit düsteren Holzregalen, auf denen abgegriffene Ordner stehen.

Über allem hängt der Odem des Vergessens.

Ach du meine Fresse, jetzt werd ich auch noch lyrisch.

Der Trip in die Gruft hat mir wohl stärker zugesetzt, als gedacht ...

4 Solo für Maus

Durch die windschiefe Kellertür raus- und das Treppenhaus raufzukommen ist null problemo. In Marianne Kerns Wohnung reinzukommen, schon eines. Die Wohnungstür ist zwar, wie die Haustreppe, aus dunklem altem Holz, aber dicht und ohne Löcher, da ist nix zu machen.

Bei näherer Betrachtung fällt mir dann ein Briefschlitz in der unteren Mitte der Tür auf. Die Klappe darauf ist leicht verbogen und schließt auf einer Seite nicht vollständig. Hmm. Wenn ich da hochspringe, mich an diesem