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Privatdetektiv Maxim Volkov schwimmen gerade die Felle davon. Sein Lover, Anwalt Lukas Evers, hat ihn eiskalt abserviert und Aufträge bleiben aus. Und ausgerechnet Lukas ist es, der auf einmal mit einer prominenten Mandantin in sein Büro spaziert. Die Inhaberin des queeren Berliner Fernsehsenders Pride TV erhält kryptische Hassnachrichten. Maxim und sein Assistent Timmy sollen herausfinden, wer sie sendet und was sie bedeuten. Für Timmy, der eigentlich Geschichte studiert, ist Maxim die heimliche, große Liebe. Doch der steht nicht auf Jungs. Zumindest behauptet er das. Ihre teils illegalen Ermittlungen führen die beiden in einen Sportklub, zu einem verfallenen Landgut und zu einer angesehenen Professorin, die Extremismus erforscht. Doch rasch geraten sie selbst ins Visier jener Leute, deren Spuren sie aufnehmen. Dabei stellt sich Maxim endlich seinen wahren Gefühlen für Timmy. Sie werden leichtsinnig und beschwören damit eine Katastrophe herauf.
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Seitenzahl: 342
Veröffentlichungsjahr: 2025
Orlando Stein
© dead soft verlag, Mettingen 2025
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Querenbergstr. 26
D-49497 Mettingen
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Cover: Irene Repp
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LP-Art by Lutz Peter –stock.adobe.com
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1. Auflage
ISBN 978-3-96089-750-7
ISBN 978-3-96089-751-4 (ebook)
Privatdetektiv Maxim Volkov schwimmen gerade die Felle davon. Sein Lover, Anwalt Lukas Evers, hat ihn eiskalt abserviert und Aufträge bleiben aus. Und ausgerechnet Lukas ist es, der auf einmal mit einer prominenten Mandantin in sein Büro spaziert. Die Inhaberin des queeren Berliner Fernsehsenders Pride TV erhält kryptische Hassnachrichten.
Maxim und sein Assistent Timmy sollen herausfinden, wer sie sendet und was sie bedeuten.
Für Timmy, der eigentlich Geschichte studiert, ist Maxim die heimliche, große Liebe. Doch der steht nicht auf Jungs. Zumindest behauptet er das.
Ihre teils illegalen Ermittlungen führen die beiden in einen Sportklub, zu einem verfallenen Landgut und zu einer angesehenen Professorin, die Extremismus erforscht. Doch rasch geraten sie selbst ins Visier jener Leute, deren Spuren sie aufnehmen. Dabei stellt sich Maxim endlich seinen wahren Gefühlen für Timmy. Sie werden leichtsinnig und beschwören damit eine Katastrophe herauf.
Larissa Seekamp, Chefredakteurin und Inhaberin des Berliner Fernsehsenders Pride-TV, verabschiedet sich nach einem langen Tag von ihrer Crew und freut sich auf ein entspannendes Bad.
„Larissa, warte!“, ruft ihr Assistent Robin.
Sie bleibt stehen und dreht sich um.
„Das ist soeben reingekommen.“ Er winkt mit seinem Tablet. „Solltest du dir ansehen.“
Larissa geht zurück und Robin gibt ihr das Gerät.
„‚Wer der Volksgesundheit schadet, hat kein Recht auf irgendwas. Die Zeit läuft.‘“ Larissa sieht Robin an. „Woher kommt dieser Mist?“
„Jenny prüft es gerade. Aber ich denke, dass es wie alles, was wir in diese Richtung bekommen haben, nicht nachvollziehbar sein wird.“
Larissa denkt nach. „Das ist kein gewöhnlicher Hasskommentar à la fickt euch ihr Schwuchteln und Transen. Das klingt irgendwie nach einer neuen Qualität. Es ist schon der fünfte in dieser Art.“
Robin stutzt. „Du meinst … da steckt was Organisiertes dahinter?“
Larissa nickt und gibt ihm das Tablet zurück. „Ich rufe Lukas an.“ Sie zieht das Smartphone aus der Handtasche und sucht die Nummer ihres Anwalts.
„Hallo, Larissa. Schön dich zu hören.“
Larissa sieht den gutaussehenden Anwalt vor sich und lächelt. Lukas Evers verursacht ihr Herzklopfen. Im Grunde verursacht er jedem Herzklopfen. Leider steht er auf Kerle und sie ist keiner mehr. War nie einer.
„Guten Abend, Lukas. Es gibt da einen neuen Kommentar, der mir Kopfzerbrechen bereitet.“
„Ist er diesmal konkreter, damit die Polizei endlich etwas unternimmt?“
„Nein. Nicht konkreter. Aber in meinen Augen gefährlicher. Robin schickt ihn dir.“ Larissa nickt ihrem Assistenten zu.
„Unbedingt. Ich sehe ihn mir an. Was machst du heute Abend?“
„Ich brauche ein Bad und mein Bett.“
„Soll ich dich abholen und nachhause bringen?“
„Das ist lieb, Lukas. Aber ich bin kein Angsthase. Das wollen solche Leute doch nur. Dass wir klein werden, die Klappe halten und von der Bildfläche verschwinden.“
„Ich weiß, dass du mutig bist. Aber Übermut ist Dummheit. Verwechsle das nicht. Sei bitte vorsichtig, ja?“
„Bin ich. Ich rufe dich an, wenn ich zuhause bin.“
„Gut. Dann bis später. Lass dich wenigstens in die Tiefgarage begleiten. Versprich es mir!“
„Versprochen. Bis später.“ Larissa beendet das Gespräch. „Robin? Bringst du mich freundlicherweise nach unten?“
„Klar.“
Sie fahren schweigend mit dem Aufzug in die Tiefgarage. Larissa betrachtet Robin. Er scheint nervöser zu sein als sie.
„Hey“, sagt sie. „Wir lassen uns nicht einschüchtern.“
Robin zieht ein Pfefferspray aus seiner Hosentasche und lächelt schwach. „Ist eigentlich für Tiere. Hilft aber auch bei Menschen. Kann nicht schaden.“
Larissa stößt ihm kumpelhaft in die Seite und grinst.
Sie hatte ihren ganzen Einsatz und viel Geld in diesen Sender gesteckt und Arbeitsplätze geschaffen, an denen alle sein können, was sie sind, und wo man freundschaftlich miteinander umgeht. Als feste Größe der Berliner LGBT-Szene konnten Larissa und ihr Team mit Pride-TV in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein treues Publikum generieren. Kultur, Aktivismus, Vielfalt und Unterhaltung sind ihre Programmpunkte. Sie ist ein Liebling der Medien, wird zu zahlreichen Talkshows eingeladen und setzt sich kämpferisch für die Rechte von Queers ein. Dass ihre Arbeit von der Berliner Landesstelle für Gleichbehandlung unterstützt wird, ist ein großer Erfolg. Noch stolzer aber ist sie auf die Unterstützung ihres Vaters, eines Kunsthändlers und Sammlers. Sie würde sich ihr Werk nicht von Dumpfbacken kaputtmachen lassen.
Diese neue Mail beschäftigt sie jedoch mehr als die früheren. Sie besitzt genug Drohpotenzial, obgleich sie keine konkrete Drohung enthält. Genau das irritiert Larissa. Da steckt keine Dumpfbacke dahinter.
Die beiden erreichen die Tiefgarage und die Aufzugstüren fahren zur Seite. Robin geht prophylaktisch mit dem Pfefferspray in Stellung.
Larissa verdreht die Augen. „Sei nicht albern. In Deutschland leben etwa eineinhalb Millionen queere Menschen. Wahrscheinlich mehr. Für sie arbeiten wir und lassen uns nicht von ein paar Spacken den Mund verbieten.“
In der Tiefgarage lässt Larissa ihren Blick schweifen. Sie ist mit Robin alleine. Ihr silbernes Beagle-Cabriolet steht mit offenem Verdeck an seinem Platz. Als sie am Morgen losgefahren war, hatte die Sonne geschienen.
„Mach dir einen schönen Abend mit deinem neuen Lover“, sagt sie zu Robin und zwinkert.
„Ich warte noch, bis du losfährst.“
„Danke.“ Larissa schlendert zum Fahrzeug, sieht hinein, schreit auf und macht einen Satz zurück.
Robin ist sofort bei ihr und beide starren auf den Fahrersitz. Dort liegt eine tote Ratte.
Seit Russland diesen Krieg mit der Ukraine angezettelt hat, stößt du mit einem Namen wie Maxim Volkov auf wenig Gegenliebe. Auch wenn du Deutscher bist und besser berlinern kannst als Irene, der die Imbissbude um die Ecke gehört, und die die besten Currywürste Charlottenburgs verkauft. Nein, man hält dich für einen persönlichen Spitzel Putins.
Na, vielen Dank auch.
Meine Familie übersiedelte irgendwann von Kasachstan nach Deutschland, hier wurde ich geboren und ja, ich stehe auf Männer. Was also habe ich bitteschön mit der Frustfresse Putin am Hut?
Keiner möchte gerade einen Privatdetektiv anheuern, der nach Russe riecht, ein Wolftattoo auf dem trainierten Bizeps hat und dann auch noch Volkov heißt, was so viel wie Wolf bedeutet.
Okay, das Tattoo war mal als Scherz gedacht.
Spaß beiseite. In dieser postfaktischen Zeit lieben es die Leute, unsäglichen Gedankenmüll in ihren Köpfen zusammenzumischen, selbst wenn er von Fakten abweicht.
Leute, schon mal was von Mülltrennung gehört? Die Welt ist eine einzige Klapsmühle geworden. Ehrlich wahr.
Putin ist also schuld, wenn ich jetzt pleitegehe. Seit Wochen ruft keiner mehr in meiner Detektei an. Nicht mal, um einen entlaufenen Hamster suchen zu lassen, nicht mal, um mir zu sagen, dass ich etwas Bescheuertes gewonnen habe, nicht mal, dass mein Enkel Geld braucht. Okay, dazu bin ich mit zweiunddreißig auch definitiv zu jung.
Ich hocke da, mit den Füßen auf dem Schreibtisch, habe wieder mit dem Rauchen angefangen und starre auf mein Smartphone oder auf die sündhaft teuren Sneaker. Alle fünf Minuten checke ich meine Mails. Aber da kommt nüscht. Ob ich mir jemals wieder so verdammt coole Sneaker werde leisten können?
Dabei hatte alles so gut angefangen.
Ich war schon als Junge in Batman verknallt, wollte die Welt vor dem Bösen retten und sah mich selbst als Robin an Batmans Seite. Klar, später auch im Bett. Schon sein Realname Bruce Wayne und sein markantes Aussehen verursachten mir einen präpubertären Ständer. Ich wollte also Detektiv werden.
Nach dem Abi studierte ich Kriminologie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, also Ursachen und Auswirkungen kriminellen Verhaltens in der Gesellschaft. Das interessierte mich, da ich selbst in einem sozialen Brennpunkt aufgewachsen war. Die praktischen Methoden der Ermittlungsarbeit erfuhr ich aus Büchern, da Kriminalistik nur an Polizeihochschulen unterrichtet wird. Bulle wollte ich aber nicht werden. Um das Studium zu finanzieren, arbeitete ich in einer Security-Firma. In dieser Zeit lernte ich in einer Gay-Bar den dreizehn Jahre älteren Anwalt Lukas Evers aus gutem Hause kennen. Er war so ungefähr mein Batman. Er, die einzige glaubwürdige Kopie des Schauspielers Luke Evans, wickelte mich mit Charme und Sex um den Finger und unterstützte meinen Traum, Privatdetektiv zu werden. Auch finanziell. Dank meiner Arbeit als Security und nicht zuletzt durch meine Jugendjahre in Neukölln, wo ich mir Respekt auch durch Prügeleien erkämpfte, besaß ich doch perfekte Voraussetzungen, um Privatdetektiv zu werden.
Oma vererbte mir ein bisschen Geld und ich mietete einen kleinen Laden in Charlottenburg an, in der Seelingstraße, im Erdgeschoss eines Gründerzeithauses neben einem Laden mit Second-Hand-Mode und einer Reinigung. Gegenüber liegt ein Café. Das Gebäude hat geschätzt seit dem Krieg keine neue Farbe mehr abbekommen. Schade, denn es könnte richtig was hermachen und hat schöne Wohnungen mit Stuckdecken. Aber wenn sie hier renovieren, kann sich das kein normaler Mensch mehr leisten.
Ich richtete den alten Verkaufsraum so schick wie möglich ein, ließ ein Schild anfertigen und das Schaufenster beschriften.
Detektei Volkov
Observation - Ermittlung - Überwachung - Begleitschutz
Über meine Website und Insta lief es gut. Man glaubt nicht, wie viele Leute fremdgehen, ihre Arbeitgeber bestehlen, sich krankschreiben lassen und dann woanders schwarzarbeiten. Andere fühlen sich verfolgt oder bedroht und fordern einen unauffälligen Begleitschutz an. Geschiedene Eltern engagieren mich, wenn sie glauben, dass die andere Seite dem Sorgerecht nicht nachkommt. Spannend sind auch Erbschaften, an die Bedingungen geknüpft werden, und ich herausfinden soll, ob die Erben sich auch dran halten. Das sind so meine Basics. Verbrecher jagen ist eher die Ausnahme. Einmal half ich durch einen privaten Personen-Suchauftrag der Polizei, einen Menschenhändler-Ring hochgehen zu lassen. Das war mein bisheriges Karriere-Highlight. Manchmal habe ich auch für Lukas’ Fälle recherchiert, oder er empfahl mich seinen Mandantinnen und Mandanten.
Vor eineinhalb Jahren hat er mich von heute auf morgen abserviert und aus seiner Designerwohnung am Kollwitzplatz komplimentiert. Wegen Carlos, einem spanischen Unterhosenmodel. So ein geleckter Versace-Bubi. Ich meine, dass Lukas immer wieder mal Abwechslung suchte, okay. Seine Libido reicht für halb Berlin. Außerdem führten wir eine offene Beziehung. Er hat verdammt viel für mich getan. Aber ein Rausschmiss?
Finde mal über Nacht eine Wohnung in dieser Stadt!
Mein Glück war Ronny, ein Automechaniker. Er nahm mich kurzfristig bei sich auf und okay, wir haben seitdem auch Sex, wenn Ronny mal nach einem Mann ist. Natürlich darf das keiner wissen. Er hat ’ne feste Freundin. Ist seine Sache und ich komme nicht aus der Übung. Ich dachte lange, offen schwul sein ist die Herausforderung. Inzwischen bin ich froh, dass ich nur schwul bin.
Ich verhandelte mit der Hausbesitzerin, einer reizenden alten Dame, die meinem Charme erlag. Ich ließ ein Bad einbauen und wohne seitdem in den beiden Hinterzimmern des Ladens. Nicht ganz legal, wegen Nutzungsänderung und so was. Aber im Haus interessiert das keinen. Sind alle sehr nett und finden es aufregend, einen Privatdetektiv als Nachbarn zu haben.
Die Fenster meiner beiden Zimmer gehen nach hinten raus, zu einer kleinen Grünanlage. Darunter gibt es eine Tiefgarage. Da steht mein geleaster BMW.
Bat-Mobil-Wayne, sagt Timmy, mein junger Freund und Assistent.
In der fensterlosen Teeküche, neben der Profi-Kaffeemaschine, die mir Lukas damals zum Einzug geschenkt hatte, stapeln sich Pizzakartons, weil ich ums Verrecken nicht kochen kann und ehrlich gesagt auch keinen Bock dazu habe. Ansonsten gibt es ein großes Zimmer mit breitem Bett für ruhige Nächte oder, eher seltener, einen One-Night-Stand. Viele glauben, Männer wie ich vögeln sich durchs Leben. Funfact eins – Nein. Funfact zwei – Versace-Bubi Carlos hat Lukas nach einem Jahr den Laufpass gegeben. War vielleicht ’ne Nummer intelligenter als ich.
Mich aus Lukas’ Abhängigkeit freizustrampeln, ist noch immer ein hartes Stück Arbeit. Inzwischen ruft er ab und zu wieder an, aber ich gehe nicht ran. Seine Midlifecrisis interessiert mich nicht. Soll er seine Wunden woanders lecken. Seit Lukas habe ich keinen Bock mehr auf was Festes und nun sind da auch noch Affenpocken, die einem die Lust auf Spontansex versauen.
Im kleineren Zimmer hängt ein Boxsack von der Decke, es gibt eine Hantelbank und eine Yogamatte zum Trainieren. Mehr brauche ich nicht, um in Form zu bleiben. Außerdem gehe ich regelmäßig mit Timmy joggen, wenn es die Zeit erlaubt. Im Schlosspark oder am Lietzensee.
So weit, so gut … Nein, nicht gut, denn mein Bankkonto schrumpft und die Leute, die auf dem Gehweg vorbeilaufen, gucken argwöhnisch durch die Schaufensterscheibe, als sei ich eine Filiale der russischen Botschaft, in der Nowitschok gemischt wird oder sie sehen eine Briefkastenfirma irgendwelcher Mafiosi. Ich hab schon Jalousien anbringen lassen. Neulich sprühte eine halbwüchsige, pickelige pseudoautonome Rotznase ein Z ans Schaufenster und rief, geh doch nach Moskau, du Arschrusse.
Da bin ich rausgerannt, hab ihm die Farbdose abgenommen, ihn festgehalten und auf sein T-Shirt No Brain gesprüht. Kurz darauf bekam ich eine Anzeige wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung. Dass ich selbst beleidigt worden bin und den Bullen einen Menschenhändlerring vor die Füße gelegt und damit meine Rechtsauffassung hinreichend belegt hatte, war meine Rettung.
Ich sitze also da, draußen regnet es und ich hänge meiner glorreichen Vergangenheit nach. Super Stimmung. Die Tür geht auf und ich reiße den Kopf herum. Kundschaft?
Nee … sind nur Timmy und seine Oma Erika.
„Na, mein Junge, wie läuft dett Jeschäft?“ Erika Kluske trägt einen Teller mit Kuchen zum Besprechungstisch.
Die Endsechzigerin wohnt mit Timmy über mir und beide haben mich irgendwie adoptiert. Timmy lebt eigentlich schon immer bei seiner Oma. Die Mutter starb kurz nach seiner Geburt und der Vater kam bei einem Arbeitsunfall auf einer Bohrinsel in der Nordsee ums Leben. Erika und ihr Enkel verstehen sich prima.
Timmy unterstützt mich, wenn ich Verstärkung brauche und himmelt mich an, als sei ich Batman. Na ja, so ändern sich die Perspektiven eben im Lauf eines Lebens.
Im Grunde stehe ich auf Männer wie Batman, Luke Evans oder seinem deutschen Pendant Lukas Evers in Anzug und Krawatte. Zwanzigjährige Jungs wie Timmy, mit Frisuren aus Undercut und schnuckeligen Locken, gehörten bislang nicht zu meinem Beuteschema. Aber vielleicht muss man sich im Leben immer wieder neu erfinden, um nicht abgehängt zu werden. In allen Bereichen.
Süß ist er jedenfalls, der Timmy, mit der Stupsnase und den frechen Sommersprossen. Man meint nicht, dass er schon vier Semester Alte Geschichte hinter sich hat. Alte Geschichte, Römer und so. Alter! Kaum zu glauben, dass das heute noch jemanden interessiert.
Timmy ist pfiffig und eine verdammt gute Hilfe beim Ermitteln. Ich mag ihn wirklich sehr und sah in ihm lange den kleinen Bruder. Inzwischen ist er erwachsen und sein Charme verunsichert mich zusehends. Wir kippeln uns ständig. Nur zum Spaß, versteht sich.
Erika und Timmy sind jedenfalls gerade meine einzigen Verbündeten hier in der Straße und so wie es aussieht, auch in ganz Berlin.
„Laden läuft beschissen“, sage ich und ziehe angefressen den Rotz in der Nase hoch.
„Wenns dir schlecht geht, iss Kuchen“, sagt Timmy.
Ich lächle. „Ihr seid die Besten.“
Timmy schnüffelt. „Solltest mal lüften, Maxim. Hier riechts nach Zigaretten, Pizzen und … Mann.“
Ich kratze mich verlegen am Kopf. „Wäre auch blöd, wenn es hier nach Frau riechen würde, oder?“
Timmy kichert.
„Käffchen gefällig, Freunde?“
„So ’n Latte Matschato nehm ick“, sagt Erika. „Aber nur wenn die Tasse sauber ist.“ Sie lächelt verschmitzt.
„Hallo? Bei mir kannste vom Fußboden essen.“
„Würd ich mich nicht drauf einlassen, Oma.“
Ich strecke Timmy die Zunge heraus. „Dann setzt euch doch schon mal. Kaffee kommt gleich.“
„Für mich einen Cappuccino“, sagt Timmy.
„Stets zu Diensten.“ Ich gehe nach hinten, lasse einen Matschato, den Cappu und einen Espresso aus der Maschine. Das Ganze balanciere ich zurück.
„Ick hab zumindest ’nen kleinen Auftrag für dich. Mohrle ist mal wieder ausgebüchst, als wir gerade aus der Wohnung sind. Jemand hat die Tür nach hintenraus nicht zugemacht.“
„Mohrle darf man nicht mehr sagen, Oma. Wegen Rassismus und so. Zehn kleine Lalala is nich mehr.“
„So heißt er schon, seit ick ihn hab und er hört druff. Menschenskind, wie soll ick ihn den sonst nennen?“
„Nenn ihn doch Molle.“ Timmy schnaubt amüsiert. „Wie das Bierglas. Bei mir klappt das. Er ist schon alt und hört nicht mehr so genau.“
„Euer Molle kann nicht weit sein“, sage ich grinsend. „Bei dem Wetter schon gar nicht. Ham wer gleich.“
Ich gehe nach hinten, öffne die Tür zum Flur, begebe mich in den kleinen Hof zur Grünanlage und pfeife. „He, Molle, alter Schwede. Pizzaaaa!“
Ich raschele mit einem Pizzakarton, es klappert zwischen den Mülltonnen, der schwarze Kater stiefelt zu mir und reibt sich an meinen Beinen. Hat ehrlich gesagt auch schon länger keiner mehr gemacht.
Ich hebe ihn hoch, trage ihn in die Teeküche, schnappe mir den Rest von der gestrigen Pizza Tonno und kehre mit dem Kater ins Büro zurück. Versprechungen machen und nicht einhalten … da kommst du bei Katzen nicht weit.
Erika strahlt. „Du bist ein Meisterdetektiv.“
„Ist mein zweiter Vorname.“ Ich grinse wie ein Versicherungsvertreter.
„Dein dritter ist Selbstüberschätzung.“ Timmy lacht sich den Arsch ab und ich drohe ihm mit der Faust.
Ich lasse den Kater runter und füttere ihn. „Steht voll auf Pizza.“
Wir lachen, schlürfen Kaffee, essen Kuchen und tratschen. Mit Erika, Timmy, Molle und dem frischen Rosinenkuchen sieht die Welt gleich viel besser aus.
Mein Smartphone surrt und ich werfe einen Blick auf das Display. Es zeigt eine so vertraute wie verhasste Nummer. Ich ignoriere das Surren.
Erika und Timmy sehen mich an.
„Willst du nicht rangehen?“, fragt Timmy. „Ist vielleicht ein Auftrag.“
„Nee. Ist Lukas. Der will mich nur wieder weichklopfen.“
„Wehe!“, droht Timmy. „Wenn du dich noch mal auf ihn einlässt, sind wir geschiedene Leute. Der hat deine Aufmerksamkeit nicht verdient.“
Süß, wie Timmy sich aufregt.
Das Phone verstummt und ich sehe, dass Lukas auf die Mailbox spricht. In mir breitet sich eine Hitzewelle aus und meine Schläfen pulsieren. Ich schnappe das Handy und nehme das Gespräch doch noch an.
„Lass mich endlich in Ruhe“, schnauze ich ins Mikro. „Ficke wen du willst, aber ich bin raus, nach allem. Kapiert?“
„Hallo, Maxim. Ich habe einen Auftrag für dich.“
Lukas’ Coolness raubt mir den Atem und ich schnappe stumm nach Luft. Sein sexy Timbre fährt mir noch immer in die Eier. Sexuelle Abhängigkeit ist so schlimm wie jede andere Sucht. Ich bin auf Entzug und habe schon Muskelkater im Arm.
„So. Einen Auftrag? Ist das deine neue Masche, mich wieder rumzukriegen? Verdammt, ich bin nicht dein Escort.“
Meine Wangen glühen vor Wut.
„Vielleicht kannste es ja mal damit probieren, falls alle Stricke reißen“, spottet Timmy.
Ich schneide ihm eine Grimasse.
„Maxim, bitte. Ich weiß genau, dass du den Auftrag brauchst.“
„Ach ja?“ Ich blase die Backen auf und sehe hilflos zu meinen Besuchern.
Timmy macht ein Stop-The-Call-Zeichen, indem er eine Hand senkrecht hält und die andere horizontal darauflegt. Die beiden starren mich fragend an und ich zucke mit den Schultern.
„Es ist ein Fall für dich, Maxim, glaube mir. Ich bin in einer Stunde mit meiner Mandantin bei dir. Ciao.“
Noch ehe ich antworten kann, hat er schon aufgelegt. Wie immer bestimmt Herr Anwalt die Bedingungen und es kotzt mich an, dass ich seinen Auftrag tatsächlich brauche.
„Blöder Wichser“, zische ich.
„Na, na, na“, sagt Erika.
„Er hat angeblich einen Auftrag für mich.“
„Was für einen Auftrag?“, fragt Timmy mit zusammengekniffenen Augen. Er konnte Lukas noch nie leiden.
„Keine Ahnung. Er will in einer Stunde mit einer Mandantin hier sein.“
Timmy kennt meine chaotische Beziehung zu Lukas und er weiß genau, was gerade in mir abgeht.
„Ich schmeiße ihn samt dieser Tussi raus“, versichere ich.
„Das tust du verdammt noch mal nicht“, entgegnet Timmy.
Ich stutze. „Bin ich sein Hampelmann?“
„Nein. Aber wir brauchen jeden Auftrag, Maxim.“
Ich sehe Timmy an. Hat er gerade wir gesagt?
Timmy steht auf. „Wir müssen deine Bude aufräumen.“
„Wir?“
„Bin ich dein Assistent oder nicht?“
Ich betrachte ihn mit seinen weiten Joggshorts und dem ausgeleierten T-Shirt. „Ja, das bist du. Und mein bester Freund.“
Timmy strahlt und nimmt Molle auf den Arm. „Bin gleich wieder da. Zieh mir nur was anderes an. Komm, Oma.“
„Der Junge freut sich so, wenn er dir helfen kann, Maxim. Er braucht immer ’n bisschen Geld. Weeste doch.“
Der Junge freut sich, wenn er meine Bizepse anhimmeln und mir auf den Hosenlatz gucken kann.
Aber das denke ich nur und lächle. Was ist daran auszusetzen?
Ich habe den Schlüssel zu Maxims Büro und benutze meistens die hintere Türe im Hausflur. Schon beim Betreten der Hinterräume steigt mir Maxims vertrauter Duft in die Nase. Eine Mischung aus Pizza, Dönertüten, seinem markanten Deo und abgestandener Masturbation. So kann es nur bei einem männlichen Single riechen und ehrlich, ich mag es.
Ich kenne Maxim, seit er vor fünf Jahren die Detektei unter uns eröffnet hat. Da war ich fünfzehn und wir mochten uns auf Anhieb. Manchmal trifft man ja auf Leute und hat das Gefühl, sie schon immer zu kennen. Im Gegensatz zu seinem damaligen Lover Lukas. Lukas’ Motto: Ich weiß, dass ich toll bin, und du weißt es auch. Genau in der Reihenfolge.
Wie kann man nur mit so einem Menschen zusammenleben?
Maxim dagegen war für mich eine Begegnung. Er hat Antennen für Leute und wusste sofort, was mit mir los war. Er beendete meine Battle mit mir selbst und machte mir klar, dass ich schwul war, bin und bleiben werde. Gay? Yay!
Sein Büro ist einrichtungstechnisch richtig cool. Die Wände sind weiß gestrichen. An einer hängt ein einziger, großer Comic-Druck im Stil von Roy Lichtenstein. Er zeigt den fliegenden Batman über Gotham City, der einen bewusstlosen Robin beschützend in den Armen hält. Maxim ist voll der Freak.
Es gibt einen weißen Besprechungstisch mit sechs Drehstühlen. Die Sitze sind aus Kunststoffschalen, jede in einer Regenbogenfarbe. Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Lila. Unter dem Batman-Druck steht ein halbhoher Aktenschrank, davor ein Schreibtisch.
Ich höre Maxim im Schlafzimmer hantieren.
„Hey!“, rufe ich.
„Hey!“ Maxim kommt aus dem Schlafzimmer, zieht sich dabei ein frisches T-Shirt über den Kopf.
Ich bekomme Schnappatmung und meine Lenden zucken. „Kannst du bitte einen Notarzt rufen? Ich falle jeden Augenblick in Ohnmacht.“
Maxim grinst. „Ich fang dich schon auf.“
Ich atme tief ein, streiche mir das Haar aus der Stirn und lächle. „Wo fangen wir an?“
Maxims Shirt spannt über der Brust und seine Nippelchen zeichnen sich darunter ab.
Er kratzt sich hilflos am Kopf. „Staubsaugen und so. Volles Programm eben.“
„Okay, Maxim. Du bringst erst mal den Müll raus und spülst ab. Ich kümmere mich ums Büro.“
Maxim nickt brav. „Timmy?“
„Ja?“
„Danke.“ Er umarmt mich, lässt mich schnell wieder frei und deutet skeptisch auf mein weites Lieblings-T-Shirt.
Es ist weiß und darauf steht in Neon-Pink Cheers, Queers.
„Hey! Ist frisch gewaschen. Problem damit?“
„Nee. Warum versteckst du dich immer hinter weiten Klamotten?“
„Tu ich nicht.“
Er guckt mich an und zieht die Augenbrauen dabei hoch.
„Weil ich keine Figur habe“, gestehe ich.
„Erstens, du hast eine Figur. Zweitens, du wirkst eben eher … jungenhaft. Drittens, in ein paar Jahren bist du froh, dass du jünger aussiehst.“ Er zwinkert. „Ich mag dich so, wie du bist. Das weißt du.“
„War das ein Antrag?“
„Vielleicht. Ich befürchte nur, dass du es mit deinem Outing ein bisschen übertreibst und mit dem T-Shirt irgendwann mal eine in die Fresse bekommst.“
Süß, wenn sich Maxim Sorgen um mich macht.
Ich grinse. „Erstens hast du mich doch so weit gebracht. Zweitens, ich hab ja dich.“
„Als Großer-Bruder-Ersatz, oder wie?“
„Suchs dir aus.“
Wir hängen uns voll rein. Am Ende übertüncht Maxim den kalten Zigarettenduft mit einem idiotischen Raumspray. Lavendel, Rose oder so was Künstliches.
„Ehrlich, Maxim? Es stinkt schlimmer als vorher. Außerdem ist der Duft tausendmal schwuler als mein T-Shirt.“
Er kratzt sich am Kopf. „Meinste echt?“
Ich nicke.
„Frauen lieben doch so was.“
„Wie viele Frauen kennst du?“
Maxim blickt an die Decke, beißt sich nachdenklich auf die Unterlippe und zuckt dann mit den Schultern.
„Dein Frauenbild ist ziemlich eindimensional, Maxim. Solltest du mal dran arbeiten.“
Er reißt die Tür zur Straße auf und wedelt mit den Armen den Duft raus, was so gut wie keine Wirkung hat. Es regnet und schwülwarme Augustluft kriecht in den Raum.
„Bin schon froh, wenn ich mein eindimensionales Männerbild loswerde. Sag mal, Timmy, was hältst du von einer Klimaanlage? Ich meine … die Sommer werden immer heißer.“
„Was hältst du davon, öfter mal die Fenster aufzumachen? Ist besser fürs Klima hier drinnen und auf der Welt.“
„Und billiger.“ Maxim grinst.
In der Tür erscheint ein Regenschirm mit Kerl im eleganten Dreiteiler. Lukas Evers, der geilste Anwalt der Stadt.
An seiner Seite befindet sich eine blonde Frau in Maxims Alter. Sie trägt ein leichtes Sommerkleid und Sandalen, die Nägel sind lackiert, ihre Haare hat sie hochgesteckt.
Maxim schnaubt und ballt die Fäuste.
„Ganz ruhig“, flüstere ich. „Du bist schon groß und gemeinsam schaffen wir das.“
Das hat Oma früher immer zu mir gesagt, wenn ich nicht weiterwusste.
Plötzlich erkenne ich die Frau. „Heilige Scheiße! Das ist doch Larissa Seekamp.“
„Du meinst … das Schlachtschiff der LGBTQIA+-Bewegung?“
„Kennst du sonst noch eines?“
Lukas klappt den Schirm zusammen, er und Larissa gucken uns an und ihre Blicke bleiben auf Cheers, Queers hängen.
Larissa Seekamp lächelt. „Cooles Shirt. Hi. Larissa Seekamp.“ Sie streckt uns ihre Hand entgegen.
Ich lasse Maxim den Vortritt.
„Maxim Volkov. Das ist mein Assistent Timmy Kluske.“
Ich mag es, wenn er mich sonennt.
„Hallo“, sagt Lukas.
Wir nicken nur und ignorieren die ausgestreckte Hand.
Maxim, weil er ihn sonst entweder verprügeln oder ihm die Hose aufreißen wird. Oder beides. Wahrscheinlich gleichzeitig. Sex ’n Crime. Hab ich nie kapiert und unterstütze Maxim, damit er nicht wieder schwach wird und in sein altes, devotes Rollenbild zurückfällt. Denn das ließe meine Chancen, mit ihm vielleicht irgendwann doch mal was anzufangen, komplett gegen die Wand fahren.
„Wow“, sage ich. „Larissa Seekamp. Gibt das jetzt ’ne Homestory über queere Detektive?“
Sie lacht. „Kommt drauf an, worauf unser Fall hinausläuft. Wir können uns übrigens ruhig duzen. Ich bin nicht so formell.“
Wir nicken wieder.
„Tja …“ Lukas weiß nicht, wohin mit der Hand, dem Schirm und seinen Blicken. „Ungemütliches Wetter, nicht?“
Ich genieße seine Unsicherheit und deute zum Schirmständer. Er stellt ihn dort ab, schnüffelt und grinst dämlich. „Neuer Herrenduft?“
Arschloch.
„Nehmt doch Platz.“ Maxim weist mit einer Hand zum Besprechungstisch. „Espresso?“
Larissa grinst. „Wenn er besser ist als das Raumspray.“
Maxim wird knallrot und ich mag sie auf der Stelle.
„Es ist der beste in ganz Berlin“, sagt Lukas, als wäre er hier zuhause.
Diesmal balle ich die Fäuste und Maxim lächelt nur hilflos. Ich schwöre mir, ihn nie mit seinem Ex alleine zu lassen.
„Für mich mit Zucker, bitte“, sagt sexy Ex.
Maxim atmet tief ein und öffnet den Mund. Ich ahne, dass da nichts Nettes rauskommen will und verpasse ihm einen Stoß in die Seite. Wir brauchen Geld.
„Möchtest du auch einen Espresso … Maxilein?“ Ich säusle wie ein Schwachsinniger und schmachte ihn an.
„Gerne … Schatz.“ Maxim bohrt seine grünen Augen in mich und ich fühle mich sofort wie Mozzarella bei zweihundert Grad. Wir verstehen uns ohne Worte. Lukas soll spüren, dass das hier nicht mehr sein Revier ist.
Er glotzt auch ganz belämmert und ich verschwinde mit einem kecken Hüftschwung nach hinten.
Als ich zurückkomme und die Espressi serviere, sitzen sich die drei schon gegenüber. Maxim trommelt mit den Fingern auf die Tischplatte und wippt mit den Beinen. Lukas macht ihn immer noch nervös, das ist nicht zu übersehen, doch der ignoriert Maxim. Er packt mit eiskalter Geschäftigkeit ein Tablet und eine Mappe aus der Aktentasche. Das ist sein Spielchen. Er will quasi auf Knien angefleht werden, es jemandem zu besorgen.
Ich wünschte, ich würde bei Männern mit so banalen Handlungen ebenfalls weiche Knie auslösen. Aber irgendwie verursache ich wohl nichts anderes als das Gefühl, ein Kumpel zu sein. Maxims Kumpel, der aufpasst, damit er Lukas nie wieder anfleht, zum Beispiel.
„Es ist schwül hier“, sagt sexy Ex. „Darf ich mein Jackett ablegen?“
Wir nicken.
Lukas zieht das Jackett aus, hängt es über die Stuhllehne und krempelt die Ärmel hoch. Unter dem weißen, bodyfit Business-Hemd spannen sich die Muskeln. Ihm ist bewusst, dass er nicht nur toll ist, sondern auch real hot. Er trainiert, das sieht man sofort. Und dieser sexy Teufel weiß genau, dass wir es bemerken. Er schiebt den Stuhl ein Stück zurück und spreizt die Beine, sodass unsere Blicke auf seinen gewölbten Hosenlatz fallen müssen.
Ich setze mich neben Maxim, lehne mich an seine Schulter und lächle Lukas an. Wie ein Raubtier kurz vor dem Zugriff auf seine Beute. Offensichtlich spürt er instinktiv, dass ich ihm die Eier abschneiden werde, wenn er Maxim nicht in Ruhe lässt, denn er räuspert sich und schlägt die Beine übereinander wie eine verklemmte Jungfrau.
Yay! Diese Runde geht an mich.
„Was kann ich für euch tun?“, fragt Maxim erstaunlich sachlich.
Ich weiß, dass es ihn alle Überwindung kostet und bin stolz auf ihn.
Lukas blickt uns an. „Larissa und der Sender werden bedroht.“
„Und warum geht ihr nicht zur Polizei?“
„Weil wir außer einer anonymen Mail und einer toten Ratte keine Beweise haben“, antwortet Larissa.
Maxim hebt eine Augenbraue. „Tote Ratte?“
„Ja.“
„Kann ich sie mal sehen?“, frage ich.
Alle drei glotzen mich entgeistert an.
„Sie kann schließlich Hinweise auf ihre Herkunft geben.“
„Tut mir leid“, sagt Larissa. „Wir haben sie entsorgt.“
Ich seufze. „Echt blöd jetzt …“
„Aber ich hab sie fotografiert.“
Ich zeige Larissa einen erhobenen Daumen.
„Timmy ist ein Ass.“ Maxim wuschelt mir durchs Haar. Ich rutsche näher an ihn heran, lege meine Hand auf seinen Unterarm und spüre die blonden Härchen darauf.
Lukas räuspert sich erneut. „Ich wusste nicht, dass ihr … zusammen seid.“
Ich lächle boshaft und zucke mit den Schultern. Zwei zu Null für Timmy, den Rächer.
„Wir ergänzen uns …“, sagt Maxim geheimnisvoll und wir lächeln uns zu.
Eine Sekunde glaube ich, mehr da rauszuhören und ein erregender Schauder läuft über meinen Rücken. Aber alles ist nur eine Strategie gegen Lukas. Psychologische Kriegsführung.
„Larissa“, sagt Lukas. „Erkläre den beiden doch bitte die Sachlage.“
„Wir erhalten seit Längerem immer wieder Hasskommentare, aber ich habe sie nicht besonders ernst genommen. Die meisten kommen von irgendwelchen Idioten. Nun aber gibt es mehrere Mails. Meine ID-Frau hat herausbekommen, dass da ein Proxy-Server oder ein anonymer E-Mail-Dienst dranhängt und die Herkunft der Mails nicht nachvollziehbar ist.“
Evers zieht ein Papier aus der Mappe und legt es vor uns. „Das war die letzte Mail.“
Maxim und ich lesen: Wer der Volksgesundheit schadet, hat kein Recht auf irgendwas. Die Zeit läuft.
Wir sehen uns an.
„Klingt nach ultrakonservativ bis rechts“, sagt Maxim zu mir. „Was meinst du?“
Ich nicke. „Die Zeit läuft … das hört sich nach einem Ultimatum an.“
„Genau“, sagt Lukas. „Das gab es bei Pride-TV bisher nicht. Da die tote Ratte zeitgleich mit der E-Mail aufgetaucht ist, gehe ich von einem Zusammenhang aus.“
Ich überlege. „Du meinst, die tote Ratte ist der Hinweis auf ein zwielichtiges Vorhaben?“
Lukas nickt.
„Was sagt die Polizei dazu?“, erkundigt sich Maxim.
Larissa verdreht die Augen. „Die sagen, wenn sie jedem Hasskommentar und jedem Tierkadaver nachgehen wollten, kämen sie zu gar nichts mehr. Sie brauchen konkrete Beweise, Verdachtsmomente oder Hintergründe.“
„Und die sollen Timmy und ich liefern?“
Lukas und Larissa nicken.
„Seid ihr mit dem Sender in letzter Zeit jemandem auf die Füße getreten?“
Lukas grinst.
„Was?“, fährt Maxim ihn an.
„Ich wusste, dass du den Fall übernehmen würdest.“
„Noch habe ich gar nichts übernommen“, knurrt Maxim und hält sich mit beiden Händen an der Tischplatte fest.
Gut, dass sie breit genug ist, damit er Lukas nicht an der Krawatte zu sich ziehen und erwürgen oder ihm das Hemd aufreißen kann.
„Ich trete ständig wem auf die Füße“, sagt Larissa lapidar.
„Aber nicht jeder legt dir eine tote Ratte vor die Tür“, entgegne ich.
„In mein Auto, um genau zu sein.“
Larissa erzählt, was passiert ist.
„Wer hat Zugang zur Tiefgarage und wer weiß, welches Auto du fährst?“, fragt Maxim.
„Unser Sender liegt in einem großen Bürogebäude mit unterschiedlichen Firmen. Die Adresse ist kein Geheimnis. Für uns sind mehrere Parkplätze reserviert. Wie für die anderen Firmen auch. Jeder, der dort parkt, kann mich sehen.“
„Also kommt jeder da rein.“
„Nein“, entgegnet Larissa. „Man muss eine Zugangsberechtigung haben.“
„Welcher Art?“
„Transponder.“
Ich beiße mir nachdenklich auf die Lippen. „Oder man schleicht einem Wagen nach, der gerade ein- oder ausfährt. Raus kommt man dann doch meist über eine Fluchttreppe. Oder?“
Lukas nickt anerkennend. „Ich staune, Timmy. Was studierst du?“
„Alte Geschichte. Daneben belege ich Kurse zur vergleichenden Geschichtswissenschaft und unterstütze ehrenamtlich Menschen dabei, sich aus sexueller Abhängigkeit zu befreien.“
Lukas starrt mich an und Larissa kichert. Maxim verschluckt sich am Espresso, hustet und ich reiche ihm gelassen ein Papiertaschentuch aus der Box, die auf dem Tisch steht.
Lukas lockert seine Krawatte. Schweißtröpfchen bilden sich auf seiner Stirn. Das schwarze Haar glänzt. Ob er es färbt? Er ist fünfundvierzig und in der Tat eine Bombe. Wenn er einen Raum betritt, spüren alle, dass er das Alpha-Tier ist. Nur mich beeindruckt das nicht. Ich meine, als Wichsvorlage ist er vielleicht ganz okay, aber er kann Maxim in Sachen emotionale Intelligenz und Empathie nicht das Wasser reichen. Das ist genau das, worauf ich stehe.
„Gibt es Überwachungskameras?“, fragt Maxim.
„Ja.“
„Habt ihr sie schon geprüft?“
„Natürlich“, sagt Lukas. „Laut dem Facility-Manager des Gebäudes fiel die Kamera am Tag mit der Ratte kurzzeitig aus.“
„Klingt nicht nach Zufall.“ Maxim kratzt sich im Nacken. Dabei spannt sich sein leicht gebräunter Bizeps.
Ich bemerke den Schweißfleck unter seiner Achsel, atme sein herbes Deo ein und seufze leise. Er sieht, wie mein Blick an ihm hängenbleibt und grinst selbstgefällig. Doch das ist nur eine Seite von Maxim Volkov. Er kann auch anders.
Zu meinem sechzehnten Geburtstag hat er mir einen Laptop geschenkt und zum Abi-Ball einen coolen Anzug. Oma und ich haben nicht viel Geld. Ich bekomme eine Waisenrente und Omas Rente ist auch nicht so üppig. Sie war früher Krankenschwester. Und Maxim schwelgt schließlich auch nicht in Reichtümern.
Da niemand auf dem Abi-Ball mit mir tanzen wollte, weil ich der Quotenschwule mit schwarz lackierten Daumennägeln war, hat Maxim die Sache in die Hand genommen. Das wurde die Show und alle haben gegafft wie Idioten. Ich und ein Mann wie Maxim. Da waren alle neidisch. Selbst die Jungs.
Als mein altes Handy kaputt ging, ich meine, das war eine Krücke, die den Namen Handy noch voll verdiente, da wollte Maxim mir ein Smartphone schenken. Ich habe gesagt: ich nehme es nur, wenn ich es abarbeiten kann. Er war einverstanden. Maxim gehört also zur Familie und ich würde alles für ihn tun.
„Ich bin mir sicher, dass da mehr dahintersteckt“, erklärt Larissa. „Deswegen möchte ich dich engagieren.“
Maxim betrachtet sie.
„Geld spielt vorerst keine Rolle“, sagt Lukas Lockvogel.
Gefährliche Ansage. Geld und Maxim, das ist so wie mit einem Eiswürfel im Drink. Er schmilzt zusehends, der Drink schmeckt köstlich und … weg isser.
„Mein Vater möchte, dass ich mich sicher fühle. Eigentlich möchte er sich selbst sicherer fühlen.“
„Er zahlt, was du in Rechnung stellst“, ergänzt Lukas. „Solange es nicht übertrieben ist. Wenn du erfolgreich bist, legt er noch was obendrauf.“
Maxim grinst plötzlich wie der Wolf, der eben das zarte Rotkäppchen auf die Speisekarte gesetzt hat. „Wie viel?“
Lukas nennt die Summe.
Diesmal verschlucke ich mich am Espresso und bekomme einen Hustenanfall.
Maxim beachtet mich nicht und beugt sich über den Tisch. Er lächelt, als verfüge er über eine Geheimwaffe. Wie Batman.
„Wir übernehmen den Fall.“
Dass Maxim wir sagt, finde ich so schön, wie unseren Tanz auf dem Abi-Ball. Nein, noch viel schöner.
„Seht euch die Unterlagen mal an, die wir mitgebracht haben. Falls Fragen auftauchen, meine private Mobilnummer hast du ja. Für dich bin ich Tag und Nacht erreichbar.“
Lukas lächelt mir ein wenig zu süffisant, besonders beim Wort Nacht und ich greife ein, bevor Maxim Dackelaugen bekommt und sein Kopfkino davongaloppiert.
„Ach, Larissa. Die tote Ratte nicht vergessen. Einfach an die E-Mail-Adresse der Detektei schicken.“
Lukas’ Lächeln verschwindet schlagartig.
„Mach ich sofort, Timmy. Ich sende auch meine private Mobilnummer mit. Wie lautet eure Mailadresse?“
Ich gebe sie ihr und sie tickert auf ihrem Phone herum.
Lukas wirft unterdessen einen Blick auf seine schwere Armbanduhr, das Tüpfelchen auf dem I seines Männerarmes. Er erhebt sich, packt das Tablet in die Tasche und wirft salopp das Jackett darüber. „Wir müssen leider los, Larissa. Ich habe noch einen Termin in der Kanzlei.“
Larissa, Maxim und ich stehen ebenfalls auf und wir verabschieden uns voneinander. Lukas nimmt seinen Regenschirm, sie verlassen das Büro und die Tür fällt hinter ihnen zu.
Wir stehen am Tisch und sehen den beiden nach.
Maxim lacht mit einem Mal, packt mich im Nacken und zieht mich an sich. „Ehrenamtlich Sexuell-Abhängige unterstützen, hm?“
Ich zucke mit den Schultern. „Mir ist nichts Cooleres eingefallen.“
„Das war verdammt cool, aber bitte, nenn mich nie wieder Maxilein … Schatz!“
Ich grinse. „Du kannst mich so oft Schatz nennen, wie du willst, aber befreie dich endlich von diesem Sexmonster. Was ist sein Geheimnis?“
„Er ist ein Raubtier und wittert genau, was sein Gegenüber will. Immer läuft alles nach seinen Regeln. Beim Sex, im Gericht, im Leben.“
„Und das gefällt dir?“
„Ich war einfach machtlos dagegen. Er ist ein Dom. Ein zu langer Blick … und du kommst unter die Räder.“
„Wieso hat das so lange mit euch gehalten?“
„Vielleicht weil ich Liebe und Sex durcheinandergebracht habe.“
„Er tut dir nicht gut“, sage ich.
Maxim guckt mich an. „Wir haben einen verdammten Auftrag, Timmy.“ Er packt mich und tanzt mit mir durchs Büro.
Ich spüre, dass er nicht weiter über Lukas reden möchte, lasse mich von seiner guten Laune anstecken und überlege. „Bei dem Honorar kannst du gleich mal meinen Stundenlohn erhöhen. Das Smartphone ist fast abgearbeitet und ich habe schließlich auch ein Privatleben.“
„Nicht übermütig werden.“ Maxim bleibt abrupt stehen und wuschelt mir schon wieder durchs Haar. „Noch haben wir keinen Cent, Schatz. Privatleben wurde also gerade gestrichen.“
„Dann ran an die Buletten, wie Oma sagen würde.“ Ich setze mich wieder hin und schlage Lukas’ Mappe auf. „Wo fangen wir an?“
Maxim holt seinen Laptop vom Schreibtisch und setzt sich neben mich. „Was hat Master Luke denn vorbereitet?“
Ich schnaube. „Da sind Kopien der ominösen Mails und ihre Herkunftadressen.“
Maxim rückt näher zu mir und wir sehen sie uns gemeinsam an.
Hört auf, unsere gesunde Jugend krankzumachen.
Wehrhaftigkeit statt Selbstverwirklichung.
Es gibt nur zwei biologische Geschlechter. Alles andere ist ein Fall für die Psychiatrie.
Und so weiter.
„Guck mal, Timmy, die Nachrichten kamen immer mittwochs, fast zur gleichen Zeit. So gegen 19:00 Uhr.“
Ich nicke und blättere weiter. „Hier ist eine Mail vom Facility-Manager an Larissa. Die Überwachungskameras fielen an dem Tag mit der Ratte, ebenfalls ein Mittwoch, zwischen 18:30 Uhr und 19:30 Uhr aus. Larissa sagte, sie sei gegen 19:30 in der Tiefgarage gewesen.“
Wir sehen uns an.
„Eine Spur … Schatz?“ Maxim zwinkert.
Ich grinse. „Vielleicht. Sag mal, ich hab von Transpondern nicht viel Ahnung. Sind sie personalisiert oder kann man einfach einen klauen und kommt dann überall hin?“
„Transponder stehen meist für eine gezielt verteilte Zugangsberechtigung“, erklärt Maxim fachmännisch. „Als ich noch bei dieser Security-Firma gejobbt habe, hatten wir auch so ein System. Nicht jeder kommt in einer Firma damit überall hin. Natürlich kann ein Transponder einer Person oder einer Mitarbeiter-ID zugeordnet werden. Wenn einer verloren geht, muss das sofort gemeldet werden. Dann kann man über ein Zugangskontrollsystem den verlorenen Transponder deaktivieren und er ist damit wertlos.“
Ich überlege. „Falls einer die Überwachungskameras manipuliert hat, müsste er also theoretisch eine Zugangsberechtigung zum Überwachungsraum haben. Und wenn er oder sie da rein ist, kann man dann im System nachverfolgen, wer es war?“
Maxim nickt. „Ich denke schon.“
„Wir müssen auch herausfinden, ob ein Transponder als verloren gemeldet wurde.“
Maxim strahlt mich an. „Guter Einstieg, Timmy.“ Er zieht mich überschwänglich an sich und küsst meine Stirn.
Mein Herz hämmert so gegen meine Brust, dass ich das Schlimmste befürchte. Gar nicht gut, wenn Maxim so was macht.
Er gibt mich frei und kontrolliert seine Mails. „Da ist Larissas Ratte und ihre Nummer.“
Maxim nimmt sein Phone und tippt die Zahlen ab.
„Hallo, Larissa. Maxim noch mal. Wir haben da eine Spur und müssen in euer Bürogebäude … Ja, am besten gleich. Wie lange ist euer Facility-Manager da? … Gut. Wir sind schon auf dem Weg.“
Auf der Fahrt zu Pride-TV betrachtet Timmy das Foto der toten Ratte auf dem Display seines Handys so interessiert, als verfolge er einen Actionfilm.
„Stehst du neuerdings auf so was?“ Ich biege vom Spandauer Damm auf die A100 Richtung Süden ab und beschleunige.
„Nee. Ist eklig. Aber da hat jemand geschludert.“
Ich werfe ihm einen Blick zu und er sieht mich an. Seine Sonnenbrille steckt im Haar.
„Die Ratte hat eine Tätowierung im Ohr.“
Ich pfeife anerkennend. „Du bist ein echtes Brain, Timmy. Hast schon wahnsinnig viel von mir gelernt.“
Timmy guckt mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
„Kannst du sie erkennen?“, frage ich, bevor er mir einen Spruch gibt.
„Ist ein bisschen unscharf, aber wer sich mit so was auskennt, kann uns vielleicht weiterhelfen.“
„Und wer kennt sich damit aus?“ Wieder gucke ich zu ihm.
Timmy grinst und tippt auf seinem Handy.
„Nun sag schon.“
„Es gibt da einen Medizinstudenten“, sagt er beiläufig.
„He! Du hast Geheimnisse vor mir?“
„Du etwa nicht? Wir sind nicht verheiratet, oder?“