Maybe this is how it starts - Sarah Adler - E-Book
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Maybe this is how it starts E-Book

Sarah Adler

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Beschreibung

»Voller Humor und Herz.« TAYLOR JENKINS REID

Romantikerin Millie hat eine Mission: Sie will die Frau finden, in die sich ihre ältere beste Freundin vor fast achtzig Jahren verliebte. Doch eine Computerpanne legt den Flugverkehr lahm, und so muss sie wohl oder übel mit Hollis Hollenbeck im Auto mitfahren, einem zynischen Schriftsteller, der die ewige Liebe für ein Märchen hält. Auf ihrer langen Reise quer durch die USA stellt Millie fest, dass Hollis ihre Gesellschaft mehr genießt, als er zugibt. Denn obwohl er Romantik angeblich für Unsinn hält, tut er alles für den Erfolg ihrer Suche. Und je näher sie ihrem Ziel kommen, desto mehr ahnt Millie, dass es bei dieser Reise vielleicht auch um ihre eigene Liebesgeschichte geht.

Witzig, prickelnd, romantisch: Enemies-to-Lovers-Romance für Leser:innen von Lynn Painter und Christina Lauren

»Die perfekte RomCom! Ein absoluter Genuss.« CARLEY FORTUNE

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Seitenzahl: 466

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungTrigger-Warnung12Key West, Florida – November 194434Key West, Florida – Dezember 19445678Key West, Florida – Dezember 1944910Key West, Florida – Silvester 1944/45111213Key West, Florida – März 194514Key West, Florida – Juli 1945151617Chicago, Illinois – September 19501819Chicago, Illinois – August 19522021Washington, District of Columbia – Oktober 19532223242526Washington, District of Columbia – Januar 2021Danksagung

Über dieses Buch

Romantikerin Millie hat eine Mission: Sie will die Frau finden, in die sich ihre ältere beste Freundin vor fast achtzig Jahren verliebte. Doch eine Computerpanne legt den Flugverkehr lahm, und so muss sie wohl oder übel mit Hollis Hollenbeck im Auto mitfahren, einem zynischen Schriftsteller, der die ewige Liebe für ein Märchen hält. Auf ihrer langen Reise quer durch die USA stellt Millie fest, dass Hollis ihre Gesellschaft mehr genießt, als er zugibt. Denn obwohl er Romantik angeblich für Unsinn hält, tut er alles für den Erfolg ihrer Suche. Und je näher sie ihrem Ziel kommen, desto mehr ahnt Millie, dass es bei dieser Reise vielleicht auch um ihre eigene Liebesgeschichte geht.

Über die Autorin

Sarah Adler schreibt romantische Komödien über liebenswert schräge Charaktere, die ihr Happy End finden. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in Maryland und verbringt viel zu viel Zeit damit, ihre freche Katze davon abzuhalten, die Küchenschränke zu öffnen.

S A R A H A D L E R

ROMAN

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch vonAntonia Zauner

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der englischen Originalausgabe:

»Mrs. Nash’s Ashes«

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2023 by Sarah Adler

Published in agreement with the author, c/o BAROR INTERNATIONAL, INC., Armonk, New York, U.S.A.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright © 2025 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln, Deutschland

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten. Die Verwendung des Werkes oder Teilen davon zum Training künstlicher Intelligenz-Technologien oder -Systeme ist untersagt.

Textredaktion: Sarah Christoph, Lektorat Blattgold, Essen

Umschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

unter Verwendung eines Motivs von © shutterstock: Ildar Galeev

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-7521-2

luebbe.de

lesejury.de

Für Houston.Du hattest recht, das hier war es.

Obwohl dieses Buch ein Happy End hat und es auf dem Weg dorthin hoffentlich viel zu lachen gibt, werden die folgenden Dinge erwähnt, besprochen oder angedeutet: ableistische Sprache, Tod, einschließlich dem Tod von Elternteilen (in der Vergangenheit, und nur kurz erwähnt), historische Homophobie, die Objektifizierung von Mädchen und Frauen, toxische Beziehungen. Sollte irgendetwas davon ein möglicherweise sensibles Thema für euch sein, lest dieses Buch bitte mit Vorsicht.

1

Rose McIntyre Nash starb im Alter von achtundneunzig Jahren friedlich im Schlaf, und nun trage ich stets einen Teil von ihr bei mir, wo immer ich auch hingehe. Ich meine das nicht im übertragenen Sinne. Sie befindet sich in einer kleinen Holzschatulle, die ich gerade in diesem Moment in meinem Rucksack mit mir herumschleppe. Natürlich nicht alles von ihr. Geoffrey Nash hätte niemals seine ganze Großmutter an das seltsame Mädchen abgetreten, das in ihrem Gästezimmer wohnte. Aber Geoffrey war so freundlich, mir drei Teelöffel ihrer Asche zu überlassen (auch hier: nicht im übertragenen Sinne, er portionierte sie mit einem Messlöffel aus der Küche). Es war vermutlich nicht die Bitte, die er erwartet hatte, als er mich fragte, ob ich gerne ein Erinnerungsstück hätte, aber es schien ihm nichts auszumachen. Ich glaube, er war vor allem erleichtert, dass ich nichts von ihrem radioaktiven Fiesta-Geschirr mit hohem Sammlerwert wollte.

Oje, ich muss wie eine Verrückte klingen. Das bin ich nicht, versprochen. Ich weiß, das ist exakt, was eine Verrückte sagen würde, aber ich bin wirklich nur ein ziemlich normaler Mensch, der zufällig mit einer kleinen Menge menschlicher Überreste in der Tasche nach Key West reist.

Ich gehe das alles völlig falsch an. Ich sollte lieber am Anfang beginnen.

Als mein Freund Josh und ich in das Appartement 1A zogen, lebte Mrs. Nash bereits seit beinahe siebzig Jahren in Appartement 1B. Mieterschutz sei Dank bezahlte sie deshalb so um die fünf Dollar für ihre Zweizimmerwohnung zwischen Dupont und Logan Circles. Und wir freundeten uns schnell an, weil ich einfach entzückend bin, und sie auch. Und als dann Geoffrey und der Rest seiner erweiterten Familie begannen, Theater zu machen, weil sie allein lebte, während zur gleichen Zeit meine Beziehung mit Josh in die Brüche ging, zog ich bei Mrs. Nash ein. Es war perfekt: Geoffrey ließ mich praktisch für umsonst dort wohnen, und im Gegenzug putzte ich, machte Besorgungen, begleitete Mrs. Nash zu ihren Arztterminen und kümmerte mich ganz allgemein um die Bedürfnisse seiner Großmutter. Was Mrs. Nash jedoch vor allem brauchte, war eine Freundin, und diese Rolle übernahm ich nur zu gerne, denn das war, was auch ich in erster Linie brauchte.

Eines schönen Tages vor etwa drei Monaten lag ich im Wohnzimmer auf dem Perserteppich mit einem Buch über den Krieg 1812, das ich für die Arbeit lesen musste, und Mrs. Nash saß mit geschlossenen Augen in ihrem abgewetzten Lieblingssessel, während das Sonnenlicht auf ihren pummeligen kleinen Körper fiel wie eine Decke. Es sah aus, als würde sie ein Nickerchen machen, doch mit einem Mal öffneten sich ihre kornblumenblauen Augen, und sie setzte sich auf.

Millie, sagte sie mit einer Dringlichkeit in der Stimme, die mir kurz Angst machte. Ich war erleichtert – wenn auch vorübergehend verwirrt –, als sie fortfuhr: Ich würde dir gerne von der Liebe meines Lebens erzählen. Wir haben uns während des Kriegs kennengelernt. Sie hieß Elsie.

Wie dem auch sei, dies ist die ultrakurze Version der Ereignisse, die dazu geführt haben, dass ich jetzt mit ein paar Gramm von Mrs. Nash in meinem Rucksack im Schneidersitz auf dem Fußboden des National Airport sitze und darauf warte, einen Flieger nach Miami zu besteigen. Natürlich gehört noch etwas mehr zu der Geschichte, aber im Moment bin ich ein wenig zu abgelenkt, um sie ordentlich zu erzählen – ein Mann auf der anderen Seite des Wartebereichs schaut ständig in meine Richtung, wenn er denkt, dass ich nicht gucke. Als würde er überlegen, ob er mich vielleicht von irgendwoher kennt. Das ist nichts Neues. Manchmal werde ich immer noch erkannt, obwohl ich seit meinem vierzehnten Lebensjahr nicht mehr im TV zu sehen war. Und es ist auch nicht schlimm, wenn es passiert, denn ich bin so extrovertiert, wie man nur sein kann.

In der Regel spielt sich das folgendermaßen ab: Sie kommen auf mich zu und sagen »Hey, bist du nicht das Mädchen aus dieser Show?« Und dann antworte ich: »Wenn Sie diese geringfügig problematische Kindersendung aus den frühen 2000ern meinen, in der es um eine zeitreisende Rothaarige und ihren mies gerenderten CGI-Echsen-Begleiter ging, dann ja. Das bin ich. Millicent Watts-Cohen, auch bekannt als Penelope Stuart aus Penelope in die Vergangenheit.« Dann sagen sie ein wenig verlegen: »Ah ja, stimmt. Die Sendung war super, und Sie waren toll.« Aber ich weiß, dass sie lügen, denn die Sendung war fürchterlich. Das Geschichtswissen, das sie vermittelte, war im besten Fall ungenau, oft aber einfach nur haarsträubend, die Spezialeffekte waren kacke, und mein Talent für die Schauspielerei beschränkte sich auf ein hübsches Gesicht und ein gutes Gedächtnis. Manchmal erwähnen sie eine Penelope-Folge, die angeblich ihre Lieblingsfolge war, aber es ist entweder eine Kombination aus zweien oder mehreren, oder gleich eine ganz andere Show. Und in der Regel stimme ich einem Selfie zu, wenn sie sagen »O mein Gott, mein Freund/Bruder/Partner/Wellensittich glaubt mir das nie!«, weil sie dann wenigstens nicht ein paar Minuten später heimlich unvorteilhafte Fotos von mir schießen, wie ich in einen Corn Dog beiße. Und es hält mir die Klatschzeitungen vom Leib, die zweimal im Jahr mutmaßen, ich sei gestorben, weil ich zu viel Klebstoff geschnüffelt hätte.

Möglicherweise ist der Typ wirklich ein Fan. Er scheint etwa in meinem Alter zu sein, und Leute in ihren Dreißigern sind genau die richtige demografische Gruppe dafür. Aber irgendetwas an der Art, wie er mich ansieht, fühlt sich vertraut an. Als würde er mich vielleicht doch aus dem echten Leben kennen.

Und vielleicht kenne ich ihn auch? Aber mir fällt nicht ein, woher. Waren wir an der gleichen Schule? Nicht aus meinem Master-Studiengang – ich habe so ein lächerlich kleines Orchideenfach studiert –, aber vielleicht sind wir uns während des Bachelors über den Weg gelaufen? Ich gehe gerade im Kopf die diversen Unterrichtsräume durch, in denen ich über die Jahre gesessen habe, in der Hoffnung, dass meine Erinnerung ihn in einem davon verortet, als die Stimme eines Mannes mich beim Kramen in meinem Gehirn unterbricht.

»Hey, bist du nicht …?«

Ich drehe mich um und sehe mich einem fast schon pervers muskelbepackten Typen in einem Tanktop gegenüber, eine gewagte Wahl an einem bewölkten Tag, an dem die Temperaturen in und um DC nur etwas über 15 Grad liegen. Sein zerzaustes, sonnengebleichtes Haar ragt unter den Rändern eines Nationals-Caps mit flachem Schirm hervor, auf dem immer noch der metallisch schimmernde Sticker klebt. Seine Bizepse haben die Größe und Farbe von Honigschinken. Er trägt eine Sonnenbrille – in einem geschlossenen Raum. So stelle ich mir das Resultat vor, wenn ein Beach Bum und ein Lax Bro ein dreißigjähriges Baby hätten.

Schon als ich mich erhebe, klebt sich mein Fantreffen-Lächeln wie von selbst auf mein Gesicht. »Penelope Stuart aus Penelope in die Vergangenheit«, sage ich. »Das bin ich. Millicent Watts-Cohen.«

»Woah, ja, dachte ich’s mir doch. Das ist so krass. Ich kann es gar nicht erwarten, meinem Kumpel Todd davon zu erzählen. Das glaubt der mir nie.« Er zieht sein Handy raus und hebt es hoch. »Kann ich ein Selfie haben?«

»Ja, klar«, antworte ich.

Wir lehnen uns aneinander, und er hält das Handy in einem abwärts geneigten Winkel, damit wir beide auf das Bild passen. Bei so viel Nähe macht meine Nase die unangenehme Bekanntschaft mit einem Geruch nach Bier und viel zu viel Körperspray mit Moschusnoten. Selbst als er nach ein paar Bildern das Handy zurück in die Tasche seiner Shorts schiebt, grinst er noch. »Todd und ich haben uns damals jede Folge von Penelope in die Vergangenheit ungefähr eine Million Mal angesehen.«

»Das ist toll. Es freut mich immer zu hören, dass jemandem die Show gefallen hat«, sage ich.

»Ha, nein, die Show war ziemlicher Müll, sorry.«

Mein Lächeln ermattet angesichts dieser überraschenden Wende. Nicht, dass ich beleidigt wäre (ich bin schließlich ganz seiner Meinung), aber diese Worte sind nicht Teil des üblichen Skripts für diese Interaktion.

»Du warst das heißeste Mädchen in unserem Alter, das wir je gesehen hatten. Vor allem in der Folge, als deine Familie Urlaub in Mexiko gemacht hat. Du weißt schon, die, in der du zurück zu den Azteken gereist bist? Du hattest diesen winzigen gelben Bikini an, und deine, du weißt schon …« Tu es nicht, denke ich. Tu es nicht. Aber er hebt die Hände an seinen Oberkörper, legt sie auf nicht vorhandene Brüste und imitiert dann mit Gesten, wie sie in Zeitlupe wippen. »… als du wegrennen musstest, um nicht als Menschenopfer zu enden.« Er lacht und stößt mich mit einem Ellenbogen an. »Ha, ja. Du weißt, was ich meine. Du weißt es.«

O Gott.

Es ist nicht so, dass mir bislang nicht klar gewesen wäre, dass mein ungelenker vierzehnjähriger Körper die Hauptrolle in den sexuellen Fantasien einiger Teenager spielte. Aber die meisten lassen diesen Mist im Internet, wo man anonym die ekligsten Sachen sagen kann, ohne die betreffende Person direkt damit zu konfrontieren. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich keine Social-Media-Accounts habe. Ich habe bereits vor sehr langer Zeit gelernt, dass ich die Welt nicht daran hindern kann, mich zu objektifizieren, aber ich kann mich bewusst entscheiden, mein Gehirn vor dem Schlimmsten abzuschirmen. Zum Glück (und vielleicht überraschenderweise) ist dies das erste Mal seit Jahren, dass jemand so direkt ist. Aber so sehr ich diesem Arschloch die Meinung sagen will, ich bin mit offenem Mund erstarrt, was er leider als Einladung versteht.

»Wow. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft ich damals von dir in diesem gelben Bikini geträumt habe.« Er lacht erneut. Mein ganzes Gesicht wird heiß in einer schrecklichen Kombination aus Scham und Wut. »Du siehst übrigens immer noch gut aus.« Er hebt die Sonnenbrille und lässt den Blick über meinen Körper schweifen, wie es der Juror einer Hunde-Show bei einem stinknormalen Pudel tun würde, kurz bevor er sich sein Gebiss ansieht. »Echt gut.«

Eine warme Hand legt sich auf meine Schulter, und ich zucke zusammen, ehe mir klar wird, dass diese Berührung von hinten kommt. Von jemandem, der bislang weder den vergangenen noch den gegenwärtigen Zustand meiner Titten kommentiert hat, und der mir daher in dieser Unterhaltung sehr willkommen ist.

»Da bist du ja«, sagt eine Stimme, während die Hand von meiner Schulter meinen Arm hinuntergleitet und dabei eine seltsam tröstliche Hitze auf meiner Haut zurücklässt. »Ich weiß, du meintest, du hättest die Details unseres Hotels in meine Tasche gepackt, aber ich kann sie nicht finden, und ich brauche die Telefonnummer. Kannst du mitkommen und nachschauen?«

Ich sehe meinen Retter an, der mir jetzt meinen kleinen Lederrucksack reicht und die Hand auf den Griff meines Rollkoffers legt. Es ist der Typ von vorhin, den ich irgendwie kenne, ohne zu wissen, woher. Aber jetzt, aus der Nähe, kann ich ihn genauer erkennen: dunkles, schokoladenbraunes Haar, das auf diese modische Weise zerzaust ist, bei der man nicht sagen kann, ob es sich dabei um Absicht handelt oder ob er wirklich gerade erst aus dem Bett gefallen ist, leicht gebräunte Haut und volle Lippen, die mit diesen Stoppeln umgeben sind, die immer da zu sein scheinen, jedoch keinerlei Anstalten machen, sich zum Bart zu entwickeln. Und diese Augen würde ich in einer Million Jahren nicht vergessen – eines blaugrau, das andere cognacbraun, beide hinter einer runden Hornbrille. Den Blick dieser verschiedenfarbigen Augen habe ich definitiv schon einmal auf mir gespürt.

»Ja, klar.« Ich presse meinen Rucksack – und Mrs. Nash – an meine Brust und murmle dem Fan ein schnelles »War schön, dich kennenzulernen« zu, obwohl es ganz und gar nicht schön war.

»Hey Mann, tut mir leid, dass ich euch unterbrochen habe«, ruft mein neuer Freund noch, während er mich wegführt. Dann, als könnte er sich nicht helfen, schiebt er noch schnell nach: »Und vielleicht könntest du dir auch etwas Anstand zulegen.«

Die Erinnerung fügt sich zusammen wie die Aufnahme eines Puzzles im Zeitraffer. Der frische Lufthauch des späten Septembers in meinem Gesicht, der die Tränen kühlt, die mir über die Wangen kullern. Das Stimmengewirr im Inneren eines Restaurants, das dem Rauschen des Stadtverkehrs weicht, als ich hinaus in die Nacht eile. Die Stimme eines Mannes – die Stimme dieses Mannes –, die sich aus der Dunkelheit meldet: Hey, alles in Ordnung?

Hollis Hollenbeck. Einer von Joshs schicken Literatenfreunden vom College, über die mein Ex zwar ständig sprach und mit denen er sich andauernd verglich, ohne sie mir jedoch jemals richtig vorzustellen und mich mehr als ein kurzes Hallo auf einer Party mit ihnen wechseln zu lassen. Hollis lehnte in jener schrecklichen Nacht vor acht Monaten an der Mauer neben dem Eingang des Restaurants, und das Licht der altmodischen Laterne über ihm betonte die unterschiedlichen Augenfarben.

Jetzt führt Hollis mich zu einer Stuhlreihe vor einer Glaswand, hinter der gerade in der Ferne ein Flugzeug die Startbahn entlangschießt. Seine blaue Reisetasche wartet vor dem Sitz, den er verlassen hat, um mich zu retten. Ich überlege, ob ich einen Witz reißen soll, dass er wohl die ganzen Warnungen der letzten zwanzig Jahre nicht gehört hat, sein Gepäck nicht unbeaufsichtigt zu lassen, doch stattdessen sage ich: »Danke. Das wurde langsam ziemlich … widerlich.« Natürlich bin ich ihm dankbar für sein Eingreifen. Aber gleichzeitig ist da dieses winzige schamvolle Ziehen in meinem Bauch, als hätte ein Teil von mir das Gefühl, dass es irgendwie meine Schuld ist, was der Typ gesagt hat. Dass ich es irgendwie unterbinden oder verhindern oder in der Lage hätte sein sollen, mich ohne Hollis’ Hilfe aus der Situation zu befreien.

»Langsam? Der Typ ist weit über widerlich hinausgeschossen und war auf direktem Weg zu abstoßend.« Sein Gesichtsausdruck ist beinahe komisch, wie seine Mundwinkel sich zu einem perfekt symmetrischen Bogen nach unten ziehen. Wie auf einer Postkarte von St. Louis mit dem Gateway Arch.

»Hey, wir kennen uns, oder?«, sage ich.

Er hebt fragend die buschigen Augenbrauen. »Tun wir das?«

»Du kennst doch Josh Yaeger, oder?« Irgendwie bleibt mein Lächeln munter und unberührt von dem Namen, der gerade aus meinem Mund kommt.

»Ja. Und du … kennst Josh auch.«

Es klingt nicht wie »Wow, unangenehme Situation. Du warst drei Jahre mit meinem Kumpel zusammen und wärst mittlerweile vermutlich mit ihm verlobt, wenn er nicht dein Vertrauen gebrochen hätte.« Es ist mehr ein: »Ich kann nur raten, dass du mich über ihn kennst, aber ich habe wirklich keinen Schimmer, wer du bist.« Vielleicht hat er mich also gar nicht angestarrt, weil er sich an mich erinnerte.

»Äh ja. Wir waren eine Weile zusammen«, sage ich.

»Okay.«

»Letztes Jahr im September … auf der Release Party für Joshs Buch, in diesem Restaurant in Georgetown. Du hast mich nach Hause gefahren«, erkläre ich, in der Hoffnung, dass das seiner Erinnerung auf die Sprünge hilft. »Also schulde ich dir vermutlich auch dafür ein Dankeschön.«

»Oh. Haben wir …?« Er wackelt mit dem Finger zwischen uns hin und her.

»Was? Nein. Du bist nicht mal mit nach oben gekommen. Du hast nur gewartet, bis ich sicher in meiner Wohnung war.«

»Dann irrst du dich. Das klingt nicht nach mir.«

Ich habe keine Ahnung, was für ein Spielchen er hier gerade treibt, warum er sich so gegen meinen positiven Eindruck von ihm wehrt. »Also wenn man nach dem Bisschen geht, das ich über dich weiß, dann klingt, einer Frau aus einer unangenehmen Situation zu helfen, verdammt nach dir.«

»Auf keinen Fall.« Er schüttelt den Kopf. »Ich tue nie etwas aus der Güte meines Herzens heraus.«

»Was war das vor einer Minute dann?«

»Purer Opportunismus. Wenn ich mir die feuchten Träume von diesem Typen noch eine Minute länger hätte anhören müssen, dann hätte ich im Strahl gekotzt und das ganze Terminal überschwemmt.«

Bei dem Bild muss ich lachen, aber sein Ausdruck bleibt ernst. »Egal«, sage ich. »Wie dem auch sei, ich möchte dir irgendwie danken, sowohl für heute als auch für jene Nacht.«

Augenblicklich bereue ich, wie offen dieses Angebot ist, denn seine Augenbrauen wandern schon wieder nach oben, doch schließlich schüttelt er den Kopf. »Das ist nicht nötig. Wie gesagt, ich habe das für mich getan. Und ich will ja nicht unhöflich sein, aber ich habe das gemacht, um eine Unterhaltung zu beenden, nicht um in eine neue hineingezogen zu werden. Wenn du mich also entschuldigen würdest …«

Hollis navigiert um seine Tasche herum und lässt sich in seinen Sitz sinken. Er zieht einen schwarzen Kugelschreiber und ein kleines rotes Spiralnotizbuch aus dem vordersten Fach seines Gepäcks. Die Art, wie er sich auf das konzentriert, was er jetzt auf die Seiten kritzelt, sagt mir, dass er nicht die Absicht hat, mir weiter seine Aufmerksamkeit zu schenken. Und das ist okay für mich, weil er doch irgendwie ein Arschloch ist.

Ich stehe da und sehe mich nach einem Ort um, an den ich mich verziehen und Hollis in Ruhe lassen kann, ohne dass der gruselige Typ es als Einladung versteht, unsere Unterhaltung fortzusetzen. Um den kleinen Tresen scharen sich gut zwölf Mitarbeiter der Airline (was mir ehrlich gesagt etwas übertrieben vorkommt, aber was weiß ich schon?). Wenn ich mich in ihre Nähe setze, gehe ich vielleicht im Getümmel unter …

Hollis seufzt tief und blickt zu mir auf. Ich blicke zurück. Er bewegt seine Augen wiederholt von mir zu dem Sitzplatz neben ihm und gibt mir wortlos zu verstehen, dass ich mich hinsetzen und ihm nicht weiter auf die Nerven gehen soll.

Ich muss zugeben, dass es kein wirklicher Verlust ist, weiterhin in Hollis’ genervter kleiner Schutzblase zu verweilen. Vor allem jetzt, da ich neben ihm sitze und feststelle, dass er wirklich gut riecht. Beruhigend. Als würde man mit seinem Lieblingsbuch und einer Tasse Earl Grey in einem abgewetzten Ledersessel sitzen, während Regen gegen die Fensterscheiben prasselt. Aber als Geruch.

»Wobei, Zimtschnecken«, sagt er plötzlich.

»Was?«

Ich will ihm gerade mitteilen, dass Zimtschnecken zwar sehr lecker sind, aber nicht ganz zu der Stimmung dieser Szene passen, als er sagt: »Ich akzeptiere deinen Dank in Form von Zimtschnecken.« Hollis nickt in Richtung des Cinnabon-Stands bei unserem Gate.

»Du willst, dass ich dir eine Zimtschnecke kaufe?«

»Ja. Nein – zwei Zimtschnecken.« Als ich die Augenbraue hebe, sagt er: »Hey, du hast gesagt, ich hätte dir zweimal geholfen. Also: Zwei Zimtschnecken, und wir sind quitt.«

Ich verdrehe die Augen, doch da ist wieder ein Lächeln auf meinen Lippen. Ich weiß nicht, ob ein Dessert pro guter Tat der korrekte Wechselkurs ist, aber wenn Hollis sich auf diese Weise gewürdigt fühlt, dann soll er Zimtschnecken bekommen. Außerdem kaufe ich ihm diese Opportunisten-Nummer nicht ab. Ich möchte wetten, insgeheim ist er selbst eine Zimtschnecke, er verbirgt es merkwürdigerweise nur unter einer dicken Schicht aus … verbranntem Toast.

Nachdem ich meinen Einkauf getätigt und den Verkäufer nach dem Namen des Künstlers gefragt habe, der ihm sein extrem cooles Meerjungfrauen-Tattoo gestochen hat – für den Fall, dass ich irgendwann über meine Furcht vor Nadeln hinwegkomme –, kehre ich mit einem Riesenstapel Servietten und einer Cinnabon-Schachtel in jeder Hand zurück. Er sitzt immer noch vor den Glaswänden und hat den Gesichtsausdruck von jemandem, der niemals Hmpf sagen würde, es aber ständig denkt. »Hier, bitte schön«, sage ich und halte ihm die beiden Boxen hin. »Danke noch mal.«

Aber er nimmt lediglich die Gabel und eine Zimtschnecke entgegen, sodass die andere bei mir verbleibt.

»Was ist mit der …«

»Ich esse nicht gern allein«, sagt er und winkt träge mit der Gabel in Richtung des Sitzplatzes neben ihm. »Setz dich.«

»Ähm. Danke.« Ich lasse mich in den Stuhl sinken, dann springe ich wieder auf. »Oh, aber ich habe nur eine …«

Hollis reicht mir die schwarze Plastikgabel, steht auf und stellt die Schachtel auf seinem Sitz ab. Eine Minute später kommt er mit einer zweiten Gabel zurück und lässt sich wieder nieder.

Erneut bin ich vollkommen fasziniert von den Gegensätzen seiner Persönlichkeit. Er ist nicht sehr freundlich, und gleichzeitig ist er verdammt nett.

»Ich bin Millicent«, sage ich, weil mir klar wird, dass er sich vermutlich nicht an meinen Namen erinnert. »Die meisten nennen mich Millie.«

»Millicent. Okay.« Er versenkt die Gabel in seiner Zimtschnecke. »Ich bin Hollis. Hollis Hollenbeck.«

»Ich weiß.«

Er hebt die Gabel mit einem riesigen Bissen, der hauptsächlich aus Zuckerguss besteht. »Prost«, sagt er und sucht kaum Blickkontakt, ehe er ihn sich in den Mund schiebt. Für jemanden, der so mürrisch ist, ist er unheimlich niedlich.

Wir schweigen, während wir essen. Wenn man das gelegentliche zufriedene Summen von Hollis nicht mitrechnet. Dann bittet er mich um eine Serviette, und ich nehme das zum Anlass, eine Unterhaltung anzustoßen.

»Du bist also unterwegs nach Miami?«, frage ich.

»Jep«, antwortet er um einen Mundvoll Zimtschnecke.

»Geschäftlich oder zum Vergnügen?«

»Beides.« Ich denke, dass ich wohl nicht mehr aus ihm herausbekommen werde, aber nachdem er aufgehört hat zu kauen, fährt er fort: »Ich habe meinem Agenten versprochen, ihm bis zum Ende des kommenden Monats eine fertige Rohfassung meines neuen Projekts zu liefern, aber, äh, in letzter Zeit scheine ich nicht wirklich Worte aufs Papier bringen zu können. Also hoffe ich, dass eine Woche … Entspannung mit einer, äh, Freundin mir helfen wird, aus dem Loch zu kommen. Sie hat mir in der Vergangenheit schon sehr … beim Entspannen geholfen.«

Ich entschlüssle seine »Äh«s und Sprechpausen, bis sie einen Sinn ergeben. »Du hast eine Verabredung zum Sex in Miami?«

»So würde ich es nicht ausdrücken.« Er sieht mich kurz an, ehe er sich wieder seiner Zimtschnecke widmet. »Aber ja.«

»Und du denkst, dass du so deine Schreibblockade loswirst?«

Er lässt die Gabel sinken und schenkt mir jetzt zum ersten Mal, seit wir uns gesetzt haben, seine volle Aufmerksamkeit. Ich komme in den Genuss eines Blickkontakts, der lange genug andauert, um festzustellen, dass das cognacfarbene Auge nicht ganz braun ist, sondern nur so um die 80 Prozent. Ganz oben rechts ist etwas Blau, wie Meer, das auf Sand trifft.

»Es ist keine Blockade«, sagt Hollis. »Nur … eine kleine Verstopfung. Nichts, was eine Woche mit einer atemberaubenden Frau in einem Häuschen am Meer nicht lockern könnte.«

»Dann hoffe ich, es ist … zufriedenstellend?«

»Danke«, sagt er und nimmt einen weiteren Bissen. Er hält inne, schließt die Augen und genießt mehr, als irgendjemand Flughafen-Essen genießen sollte. Dann öffnen sich seine Augen hinter der Brille. Der Moment der Ekstase ist scheinbar vorbei. »Was ist mit dir? Was hast du in Miami vor?«

»Nicht viel. Ich bleibe nur eine Nacht und fahre dann gleich am Morgen weiter nach Key West.«

»Urlaub?«

»Nicht wirklich. Ich bin mit einer Freundin unterwegs«, sage ich.

Hollis sieht sich im Terminal um, als suchte er nach meiner Reisegefährtin. »Trefft ihr euch dort?«

»Nein, nein, Mrs. Nash ist tot und in meinem Rucksack.« Der Teil von mir, dem hätte klar sein sollen, wie seltsam das klingt, hat wohl gerade Mittagspause. Na ja, was soll’s, jetzt ist es raus.

Er erstickt beinahe an seinem nächsten Bissen. Vielleicht hätte ich ihm eine Flasche Wasser dazukaufen sollen. »Äh. Mein … Beileid?«

»Danke. Ich bringe drei Teelöffel ihrer Asche nach Key West, um sie mit ihrer großen Liebe wiederzuvereinigen. Damit sie das Happy End bekommt, das sie verdient.«

»Klar. Ich verlasse mein Haus auch nie ohne meine Geldbörse, meinen Schlüssel, mein Handy und ein Beutelchen Leichenbrand.« Ich blicke zu ihm hinüber und sehe, dass sein Ausdruck so trocken ist wie sein Tonfall.

»Das lässt mich in keinem guten Licht erscheinen, oder? Ich bin mir sicher, dass Josh alle möglichen Geschichten darüber erzählt hat, wie verschroben ich bin.«

»Oh, definitiv. Und er meinte, dass er deshalb Schluss gemacht hat.«

Josh behauptet also, dass er die Beziehung beendet hat. Ich wusste schon damals, als ich die Party verlassen habe, dass er das tun würde. Dass er derjenige war, der verletzt wurde, der arme Unschuldige, den ich vertrieben habe, weil ich zu schwierig und seltsam war. Aber zu wissen, dass jemand vermutlich hinter deinem Rücken Geschichten über dich erzählt, und zu hören, dass er es definitiv tut, sind zwei verschiedene Dinge. Dass Josh das Scheitern unserer Beziehung auf meine Persönlichkeit schiebt, statt zu seiner Tat zu stehen, sollte nicht wehtun, aber das tut es.

»Nicht, dass ich viel Wert auf irgendetwas lege, das Josh Yaeger von sich gibt«, fährt Hollis fort. »Nie ein größeres Arschloch kennengelernt. Er würde die Katze eines kleinen Mädchens überfahren und die Geschichte hinterher so erzählen, dass er als das wahre Opfer erscheint.«

»Das ist eine seltsame Art, über einen Freund zu reden«, sage ich, obwohl seine Worte mich mit der Hoffnung erfüllen, dass er mich durch seine eigene Brille und nicht die von Josh gefärbte sieht.

»Ich würde uns nicht unbedingt als Freunde bezeichnen. Wir sind eher …«

Ich erinnere mich, wie Josh immer über Hollis und seine Texte gesprochen hat. Nichts als ein überschätzter Gonzo-Journalist. Er wäre nicht mal in das MFA-Programm aufgenommen worden, wenn sein Vater kein bekannter Literaturwissenschaftler wäre.

»Frenemies?«

»Konkurrierende Bekannte«, gibt er zurück.

»Hmm. Hate Mates?«

Hollis zeigt mir erneut einen perfekt symmetrischen finsteren Gesichtsausdruck. Sein Mund sieht aus wie ein betrunkenes C, das vornübergekippt ist. »Was immer das Gegenteil von Redegewandtheit ist, Millicent, ich glaube, du bist es.«

Das war vermutlich als Beleidigung gedacht, aber aus irgendeinem Grund fühlt es sich an wie ein Kompliment. Etwas sagt mir, dass Hollis Hollenbeck mich wider Willen amüsant findet, und das ist meine liebste Art von Macht über einen anderen Menschen. Wie wäre es wohl, ihn zum Lächeln zu bringen? Wie würde das auf diesem attraktiven, aber versteinerten Gesicht überhaupt aussehen? Ich würde nur zu gerne herausfinden, was nötig ist, um dieses C auf seinen Rücken zu rollen, und zwar noch bevor wir diesen Flieger besteigen und getrennter Wege gehen.

Vielleicht sollte ich ihm einen Witz erzählen?

Ich versuche gerade, mich an die Pointe zu erinnern, die mir jemand letzte Woche im Bus erzählt hat, als mich plötzliche Unruhe ablenkt. Und sie herrscht nicht nur an einer Stelle. Überall im Terminal verleihen Menschen ihrem Unmut Ausdruck.

»Was ist los?«, frage ich Hollis.

»Ich bin mir nicht sicher«, sagt er und reckt den Hals, um besser sehen zu können. »Oh, verdammt. Der Flug wurde gestrichen.«

Warum sind die Leute, die auf andere Flüge warten, sauer, weil unser Flug gestrichen wurde? Oder wurde ihrer vielleicht auch gestrichen? Ich blicke über meine Schulter durch die Scheibe, ob draußen plötzlich das Wetter umgeschlagen hat, aber abgesehen von ein paar Pfützen von dem Gewitter letzte Nacht ist es ein trockener Maitag. »Warum?«, frage ich, als könnte Hollis mehr als ich wissen.

»Keine Ahnung«, antwortet er etwas gereizt, ohne den Blick von der Tafel mit Ankunfts- und Abflugzeiten zu lösen. »Aber es sieht aus, als … wären die meisten von ihnen gestrichen.«

Die Mitarbeiter, die sich zuvor um den Schalter bei unserem Gate versammelt hatten, haben sich jetzt verteilt und stehen wie Wachposten im Terminal, bereit für die Schlacht gegen eine Horde verärgerter Kunden – kein gutes Zeichen. »Guten Abend«, sagt eine Frau über die Lautsprecheranlage, gerade so hörbar über das Lärmen. »Das Passagier-Servicesystem, das von zahlreichen Airlines genutzt wird, ist gerade landesweit ausgefallen. Ihrer Sicherheit zuliebe setzen wir die betroffenen Flüge aus, bis das System wiederhergestellt ist. Für Erstattungen und Neubuchungen wenden Sie sich bitte an den Kundenservice Ihrer Fluggesellschaft.«

Ein weiterer Schwall verärgertes Raunen erfüllt den Terminal, während die Durchsage noch einmal wiederholt wird. Ohne von seinem Handy aufzublicken, wirft Hollis die leere Cinnabon-Schachtel in einen Abfalleimer neben seinem Sitz.

Mein Herz pocht nervös, während ich meine Optionen durchgehe. Eins: Hier bleiben und hoffen, dass sie das Problem entweder bald gelöst haben oder ich einen Platz bei einer Airline finde, die nicht betroffen ist. Unwahrscheinlich, angesichts der Tatsache, dass es sich um das Memorial-Day-Wochenende handelt. Es war schwer genug, diesen Flug so kurzfristig zu bekommen. Okay, also Nummer zwei: Mit der Bahn fahren? Könnte das Problem irgendwie auch deren Buchungssystem betreffen? Und wie lange braucht man von hier nach Florida überhaupt? Drei: Ich könnte versuchen, mit dem Bus zu fahren. Ich weiß nicht, ob es eine direkte Route von DC nach Miami gibt, aber es muss eine geben, die wenigstens ein Stück nach Süden führt, und das wäre ein Fortschritt. Vier …«

»Mist«, sagt Hollis, klatscht sich auf die Oberschenkel und steht dann auf. »Ich gehe dann mal und sehe, dass ich losfahre, bevor die Massenabwanderung beginnt.« Er wirft einen Blick auf die schwarze Uhr an seinem Handgelenk. »Vielleicht schaffe ich es bis Mittag durch Virginia. War nett, dich wiedergesehen zu haben, Millicent. Viel Glück bei der Lieferung der toten Lady.«

Er und seine Reisetasche sind schon unterwegs, bevor mein Gehirn seine Worte ganz verarbeitet hat.

»Warte!« Ich schnappe mir meinen Rucksack und meinen Rollkoffer. Meine kleineren Schritte und der wackelige Koffer behindern mich, aber irgendwie hole ich ihn ein paar Gates später ein. »Du hast ein Auto?«, stoße ich zwischen beschämend schweren Atemzügen hervor.

»Das habe ich.«

»Und du fährst nach Miami?« Ich halte nur mit Mühe Schritt. Er ist vermutlich gute eins zweiundachtzig groß, ich dagegen bestenfalls eins fünfundfünfzig. Meine kleinen Stummelbeinchen müssen zwei Schritte machen, wenn er nur einen braucht, und mein Körper hasst Cardio.

»Ich sehe nicht, welche Wahl mir sonst bleibt«, sagt er. »Ich werde nicht meinen kostbaren Urlaub mit Warten verschwenden, bis die Fluggesellschaft den Mist wieder in Ordnung gebracht hat. Wenn man den Leuten auf Twitter glaubt, die in der Branche arbeiten, könnte das Stunden, wenn nicht Tage, dauern. Und dann der ganze Papierkrieg, der nötig ist, um auf einen anderen Flug gebucht zu werden? Während der Feiertage, wenn alle sich ohnehin schon um die wenigen Plätze prügeln? Nein, Fahren ist definitiv angenehmer. Und ich habe Zeit zum Nachdenken.«

»Nimm mich mit.«

»Was?«

»Nimm mich mit«, bitte ich ihn. »Bitte. Wir können uns mit dem Fahren abwechseln.«

Hollis schüttelt den Kopf. »Niemand außer mir darf meinen Wagen fahren.«

Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist Hollis Englischlehrer. Oder vielleicht gibt er auch Vorlesungen an einem der Community Colleges in der Gegend? Es war irgendetwas, das Josh verächtlich kommentiert hat, während er gleichzeitig enorm eifersüchtig war. Wie dem auch sei, ich bezweifle, dass er im Geld schwimmt. »Ich bezahle dich auch. Nenn mir deinen Preis. Ernsthaft. Ich will dringend so schnell wie möglich nach Florida.«

»Tut mir leid. So viele Zimtschnecken gibt es auf der ganzen Welt nicht.«

»Wow. Wow.« Ich bleibe stehen und stemme die Hände in die Hüften.

Halb erwarte ich, dass Hollis einfach weitergeht und mich ungerührt zurücklässt, doch dann bleibt auch er stehen. Er dreht sich mit einem hörbaren Seufzen zu mir um. »Schau mal, Millicent, nimm es nicht persönlich. Du bist bestimmt ganz nette Gesellschaft. Aber bei diesem Trip geht es für mich um zwei Dinge: richtig schmutzigen Sex und Inspiration. Und solange du mir nicht eines oder sogar beides liefern kannst, sind die Vorzüge deiner Gesellschaft den Ärger sehr wahrscheinlich nicht wert.« Er tätschelt mir den Kopf. »Sorry, Kleine. Gute Reise noch.«

Das ist so verdammt herablassend, dass ich mich auf seine sich entfernende Gestalt stürzen will, um mich an ihr festzusaugen wie eine Seepocke, bis er einwilligt, mich mitzunehmen. Aber das mit Rucksack und Koffer zuwege zu bringen, ist einfach zu kompliziert, also hebe ich den Blick zu dem Schild über mir und folge dem Pfeil, der mir den Weg zu den Autovermietungen weist.

2

Mark wirkt nett. Ich weiß natürlich, dass viele Leute nett wirken, es aber nicht sind. Vermutlich gibt es da draußen ein paar wirklich nett wirkende Serienmörder. Aber wie wahrscheinlich ist es bitte, dass ich mir aus der Warteschlange vor einer Autovermietung am DCA zufällig einen nett wirkenden Serienmörder herauspicke? Ich bin keine Statistikerin oder so, aber die Datenlage ist hier eindeutig auf meiner Seite. Außerdem kennen wir uns mittlerweile volle zehn Minuten, und Mike hat mir bereits um die hundert Bilder seiner Frau gezeigt, mit der er seit zwanzig Jahren verheiratet ist, und von seinen drei alten Hunden: Rockem, Sockem und Robot. Er ist groß und wirkt knuddelig. Extreme Teddybär-Vibes, vorausgesetzt Teddys tragen grau-beige Nadelstreifen-Anzüge von Men’s Warehouse. Er ist vermutlich Ende fünfzig und hat definitiv keine Ahnung, dass ich mal im Fernsehen war. Meine Instinkte sagen mir, dass Mike so harmlos ist, wie man nur sein kann. Und noch viel wichtiger: Er hat eines der letzten Mietautos ergattert und ist bereit, mich für 400 Dollar mit nach Charlotte in North Carolina zu nehmen.

Während wir darauf warten, dass die gestressten Mitarbeiter die Schlüssel zu unserem Hyundai Sonata auftreiben, bedenkt mich mein neuer Freund mit einem ernsthaft besorgten Blick. »Und Sie sind wirklich nicht auf der Flucht vor dem Gesetz oder so? Nichts, was mich in Schwierigkeiten bringen könnte?«

»Nein, nein. Ich bin nur auf einer sehr wichtigen Mission.«

»Eine ›göttliche Mission‹, hm? Ich liebe die Blues Brothers.« Er lacht leise in sich hinein. »›Es sind 106 Meilen bis Chicago, wir haben einen vollen Tank, ein halbes Päckchen Zigaretten, es ist dunkel … und wir tragen Sonnenbrillen.‹ Scherz, wir fahren nach Charlotte, keine Sorge. Obwohl es in Chicago richtig gute Hot Dogs gibt. Hey, habe ich Ihnen schon das Video von Rockem und Robot gezeigt, in dem sie sich um einen Hot Dog streiten?«

Seht ihr? Harmlos.

Aber nur für den Fall sollte ich vermutlich jemanden wissen lassen, was ich tue. Ich will meinen Eltern keine Angst machen. Sie wissen nicht einmal, dass ich diesen Trip überhaupt mache. Jedes Mal, wenn ich allein reise, verwandeln sie sich in Nervenbündel und rufen mich jede halbe Stunde an, um sich zu vergewissern, dass ich noch am Leben bin und es mir gut geht – Ruf an, Millie, nicht dieser SMS-Quatsch. Wir wollen deine Stimme hören. Außerdem würde mein Vater jeden in unserem weiteren Familienkreis informieren, und dazu noch einen alten Freund, der in Florida lebt, um ihm zu sagen, dass ich »in der Gegend« bin, was mich dann schlecht aussehen lässt, wenn ich nicht die zusätzlichen fünf Stunden Fahrt auf mich nehme, um ihn zu besuchen. Mein kleiner Bruder studiert gerade in Dänemark, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich für ihn aus den Augen, aus dem Sinn bin. Nicht unbedingt jemand, dem ich zutrauen würde, dass ihm mein Verschwinden sofort auffällt. Und obwohl ich eine Reihe von Leuten habe, die meine Gesellschaft in kleinen Dosen genießen (oder vielleicht auch nur Zeit mit mir verbringen, um sagen zu können, dass sie jemanden kennen, der mal berühmt war), habe ich nicht wirklich Freunde. Nur Mrs. Nash, und sie lebt nicht mehr.

Also hole ich mein Handy raus und schreibe meiner Lieblingscousine Dani, von der ich mir relativ sicher bin, dass sie mich nicht dafür verurteilen wird: Wollte nach FL fliegen, aber Flug fällt aus, deshalb werde ich von jemandem nach NC mitgenommen. Wenn du bis Mitternacht nichts von mir hörst, sag der Polizei, dass ich zuletzt mit Mike Burton aus Charlotte gesehen wurde. Ende 50, Schwarz, Glatze, ziemlich groß und sehr knuddelig.

Innerhalb von Sekunden antwortet Dani mit einem Daumen-hoch-Emoji.

Mike sucht in seinem Handy immer noch nach dem Video von Rockem und Robot mit dem Hot Dog, als die Mitarbeiterin des Autoverleihs mit den Schlüsseln zurückkommt. Doch als wir uns dem Ausgang zuwenden, durch den wir in das Parkhaus Nummer 1 gelangen sollen, taucht plötzlich Hollis mit vor der Brust verschränkten Armen vor uns auf.

»Hallo noch mal«, sage ich.

»Hi.« Hollis zeigt mit dem Kinn auf Mike. »Wer ist das?«

»Hollis, das ist Mike. Mike arbeitet in der Führungsetage eines Krankenhauses und war gerade auf einer Konferenz. Er wohnt in North Carolina und ist auf dem Weg nach Hause. Mike, das ist Hollis, ein übellauniger Autor mit Schreibblockade, der auf dem Weg nach Miami ist, wo er eine Verabredung zum Sex hat.«

Mike sieht Hollis verwirrt an und sagt: »Schön, Sie kennenzulernen.«

»Ebenso«, antwortet Hollis.

»Mike hat mir freundlicherweise angeboten, mich mit nach Charlotte zu nehmen.«

»Aber du willst nach Key West. Charlotte ist nicht mal die halbe Distanz.«

»Danke, du Blitzmerker«, sage ich. »Das weiß ich. Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen. Ich bin mir sicher, ich finde einen Weg. Vielleicht läuft der Flugverkehr wieder, bis ich dort bin, oder ich finde selbst einen Mietwagen oder einen Bus oder einen anderen freundlichen Fremden …«

Hollis fährt sich durchs Haar und gibt ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen Seufzen und Stöhnen liegt. »Also gut. Schnapp dir dein Gepäck, Millicent.«

»Was?«

»Schnapp dir dein Gepäck. Ich nehme dich mit nach Miami.«

Meine Hände landen wie von selbst auf meinen Hüften. Vermutlich sollte ich froh sein, dass er seine Meinung geändert hat, aber im Moment bin ich vor allem sauer. Wenn Hollis nachgeben und mich mitfahren lassen will, warum konnte er das nicht früher sagen? Wir haben schon so viel Zeit verschwendet – Zeit, die ich nicht unbedingt habe. »Ich dachte, du sagtest, dass du mich nicht bei dir haben willst, solange ich dir nicht Sex oder Inspiration liefere.«

Mikes Blick huscht zwischen uns beiden hin und her. Es ist wie auf dem Video von Sockem, das er mir gezeigt hat, in dem der Hund einem Tennis-Match im Park zusieht. Scheinbar sind die Hunde auf TikTok sehr beliebt.

»Verzeihung, nur einen Moment bitte«, sagt Hollis zu Mike und führt mich ein Stück zur Seite, damit wir in einer etwas privateren Umgebung weiterdiskutieren können. »Wenn ich die Wahl habe zwischen deinem Gepäck in meinem Kofferraum oder deiner zerstückelten Leiche in dem von jemand anderem, dann ziehe ich Ersteres vor.«

»Entschuldige mal. Mike ist äußerst freundlich und nicht sehr mörderhaft.«

Hollis wirft einen Blick zurück zu Mike, der lächelnd auf sein Handy starrt und »Soul Man« summt. »Ich mache mir keine Gedanken wegen Mike. Mike ist vermutlich okay. Es ist die lange Reise von Charlotte nach Miami und die Tatsache, dass du scheinbar keine Hemmungen hast, Fremde zu bitten, dich mitzunehmen. Also entschuldige mich bitte, wenn ich lieber die Gewissheit hätte, dass du sicher und unversehrt in Florida ankommst.«

»Ooooh, geh niemals mit einem Fremden mit«, sage ich, hebe die Hände und wackle unheilvoll mit den Fingern. »Hast du vergessen, dass du auch ein Fremder bist, Hollis?«

»Ich bin kein Fremder. Wir haben uns schon mal getroffen.«

»Du erinnerst dich nicht mal an mich.«

Seine finstere Miene vertieft sich noch. »Also, ich weiß, dass du bei mir sicher bist. Und da ich das hier für meinen Seelenfrieden tue, spielt alles andere keine Rolle.«

»Oh, stimmt ja. Weil alles, was du tust, egoistisch motiviert ist.«

»Warum sagst du das so?«, fragt er.

»Wie? Wie sage ich es?« Ich lächle zu ihm auf und sehe den Puls an seinem Hals zucken. Ja, es ist toll, wenn er mich amüsant findet, aber ich muss zugeben, dass es auch seinen Reiz hat, wenn er mich frustrierend findet.

»Äh. Ich will ja nicht stören«, sagt Mike, der jetzt neben uns steht. Ich laufe rot an, als mir klar wird, dass Hollis und ich uns die letzten eineinhalb Minuten nur herausfordernd angestarrt haben. »Ich muss in die Gänge kommen, wenn ich heute noch nach Hause will. Millie, wollen Sie weiterhin mitfahren, oder …?«

»Oh, Verzeihung, Mike. So gerne ich auch der Joliet Jake zu Ihrem Elwood gewesen wäre, ist es vermutlich sinnvoller, wenn ich mit Hollis fahre, weil er weiter nach Süden unterwegs ist. Es tut mir wirklich leid, dass ich Sie aufgehalten habe. Deshalb, hier.« Ich wühle meine Börse aus meinem Rucksack und reiche ihm zwei Fünfziger. »Hier ist ein Viertel der versprochenen Summe, um Sie für die Umstände zu entschädigen.«

»Oh, das ist nicht nötig.« Aber nachdem ich darauf bestehe, steckt Mike die Scheine in eine Geldscheinklammer und lässt sie in seiner Hosentasche verschwinden. »Danke, Millie. Und nur fürs Protokoll: Ich wäre Jake gewesen. Belushi hatte die bessere Stimme.« Er lacht bellend und lächelt dann breit. »Passen Sie gut auf sich auf.«

»Ebenfalls«, antworte ich. »Richten Sie Carla und den Hunden meine besten Grüße aus.«

»Den Hunden?«, fragt Hollis, als wir uns auf den Weg zum Ausgang machen.

»Mike und seine Frau sind stolze Hundeeltern.«

Hollis seufzt und verdreht die Augen, sagt jedoch nichts und geht voraus. Nach einem kurzen und schweigsamen Marsch kommen wir bei seinem Wagen in Parkhaus 2 an. Angesichts meines Zustands an jenem Abend – heulend und plötzlich single – habe ich seinem Wagen damals keine Aufmerksamkeit geschenkt, aber ich nehme mal an, dass er den dunkelblauen Volvo Sedan schon vor ein paar Monaten gefahren hat. Er wirft meinen Koffer neben seine Reisetasche in den Kofferraum. Ich lasse mich auf dem Beifahrersitz nieder, den Rucksack zwischen meinen Füßen am Boden. Als Hollis den Motor startet, stößt er ein kleines, verärgertes Schnauben aus, das an mich gerichtet sein könnte oder auch an die Welt ganz allgemein.

»Danke, dass du deine Meinung geändert hast«, sage ich.

»Mir blieb kaum eine Wahl.«

»Versuch es nicht mal. Ich hätte problemlos auch mit Mike fahren können.«

Er umklammert das Lenkrad so heftig, dass seine Knöchel ganz weiß werden. Kurz herrscht Stille, und plötzlich wird mir etwas klar.

»Hmm«, sage ich.

»Was?«

Ich warte, bis er uns sicher aus dem Parkplatz manövriert hat. Wie erwartet ist wegen des Massenausfalls eine Menge zusätzlicher Betrieb im Parkhaus. »Ich dachte mir nur gerade … da ist etwas, das ich nicht verstehe.«

»Oh, mir scheint, dass du eine Menge Dinge nicht verstehst. Zum Beispiel ganz grundsätzliche Selbsterhaltung.«

»Warum warst du dort, Hollis? Bei der Autovermietung, meine ich. Dort befindet sich Parkhaus Eins, und dein Wagen stand hier, in der Zwei.« Ich sehe ihn von der Seite an und warte auf eine Antwort. Als er nicht reagiert, fahre ich fort: »Und du hattest einen Vorsprung. Nachdem du mich stehen gelassen hattest, sind etwa zwanzig Minuten vergangen, bis du wieder aufgetaucht bist. Wenn du auf direktem Weg zu deinem Auto gegangen wärst, dann wärst du, als ich Mark kennenlernte, längst auf der 95 gewesen. Und doch warst du dort und hast dich bei der Autovermietung herumgedrückt.«

»Ich habe mich nicht herumgedrückt.«

»Was hast du dann gemacht?«

Er antwortet nicht.

»Ich glaube«, sage ich, »dass du schon auf halbem Weg zum Parkhaus warst, als dir eingefallen ist, dass es einen Ansturm auf die Mietwagen geben würde. Und dein Gewissen ließ es nicht zu, dass ich möglicherweise hier strande, also bist du hin, um nach mir zu sehen.«

»Du solltest froh sein, dass ich das gemacht habe«, sagt Hollis. »Wer weiß, in welche Schwierigkeiten du dich gebracht hättest, weil du einfach so zu fremden Männern ins Auto steigst.«

Ein charmanterer Mensch hätte das mit einem kleinen Grinsen gesagt. Doch Hollis’ Miene ist vollkommen ernst, als würde er die Ironie seiner Worte gar nicht sehen.

»Gib es zu«, sage ich. »In Wirklichkeit bist du eine Zimtschnecke unter deiner Verbrannter-Toast-Tarnung.«

»Was? Wenn du versuchst, anzudeuten, dass ich insgeheim nett bin, nein, das bin ich nicht. Auch das war nur eigennützig. Denkst du etwa, ich will die Cops vor der Tür stehen haben? ›Mr. Hollenbeck, wir würden Ihnen gerne einige Fragen stellen. Es scheint, als wären Sie die letzte Person gewesen, die Millicent Watts-Cohen lebendig gesehen hat.‹«

»Natürlich. Es hat nichts damit zu tun, dass du ein guter Mensch bist. Vergib mir, dass ich so etwas auch nur in Erwägung gezogen habe.«

»Ich bin kein guter Mensch, Millicent, und das glaubst du mir besser. Ich bin ein richtiges Arschloch. Ein schwarzes Schaf durch und durch.«

Ich lache. »Du klingst wie Pee-wee Herman.«

»Wie bitte?«

»Nicht deine Stimme, aber du weißt schon: ›Du solltest dich besser nicht mit einem Kerl wie mir einlassen. Ich bin ein Einzelgänger, Dottie. Ein Rebell.‹«

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest.«

Ich stoße ein demonstratives Seufzen aus, von dem ich weiß, dass es ihn ärgern wird. »Ich möchte wetten, Mike hätte meine Film-Anspielungen verstanden.«

»Schluss jetzt mit Mike. Himmel.« Hollis trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad und beißt sich auf die Wange. »Du wolltest diesem Mann wirklich vierhundert Dollar bezahlen, damit er dich sechs Stunden Richtung Süden fährt?«

So viel zu Schluss jetzt mit Mike. »Ich hätte sogar noch viel mehr bezahlt. Wie gesagt, ich bin verzweifelt.«

Für einen Moment löst er den Blick von der Straße und sieht mich an. »Dieser Ausflug bedeutet dir so viel?«

Ich drücke den Rucksack zwischen meinen Sneakers. Als so eine Art provisorische Umarmung für Mrs. Nash, während ich mich daran erinnere, wie ich ihr versprach, dass ich Elsie finden würde. Das war direkt nachdem sie mir ihre Geschichte erzählt hatte.

Ich wünschte, ich hätte mich richtig verabschieden und ihr sagen können, wie sehr ich sie immer noch liebte, flüsterte sie und putzte sich die Nase mit dem Taschentuch, das sie immer unter das elastische Band ihrer Uhr geklemmt bei sich trug. Selbst nach ihrem Tod war es, als wäre sie nicht wirklich weg. Selbst heute noch nicht.

Was, wenn ich ihr Grab finde?, sagte ich. Dann können wir sie besuchen.

Oh Millie, was würde das bringen?

Ich könnte sie kennenlernen. Ich lächelte Mrs. Nash vom Boden aus an.

Du bist so ein albernes Huhn, antwortete Mrs. Nash und erwiderte mein Lächeln. Sie nannte mich so oft und so liebevoll ein »albernes Huhn«, dass es besser war als jeder normale Kosename. Also, wenn du die Zeit findest, in diesem Internet nach ihr zu suchen …

Ich nehme mir die Zeit, verkündete ich. Ich will Sie und Elsie wiedervereinigen, selbst wenn es nur symbolisch ist.

Natürlich habe ich mir die Zeit nicht genommen, bevor es zu spät war. Mrs. Nash starb im März, und ich konnte ihr nie erzählen, dass die Liebe ihres Lebens gar nicht in Korea gestorben war.

Tatsächlich verbringt Elsie ihre letzten Tage in der Hospizpflege in einem Altenheim in Key West, und ich kann mir keine Verzögerung leisten. Deshalb habe ich meine Penelope-Ersparnisse angebrochen. »Das ist für deinen Ruhestand gedacht!«, konnte ich meinen Vater beinahe rufen hören, als ich das Geld auf mein Konto überwies – um damit ein unverschämt teures Flugticket und ein Hotelzimmer an einem der geschäftigsten Feiertage des Jahres zu buchen, anstatt einfach eine Woche zu warten.

»Es bedeutet mir mehr als irgendetwas sonst«, erkläre ich Hollis.

»Ich schätze, dann sind tausend Dollar ein fairer Preis.«

»Was?«

»Als Bezahlung. Dafür, dass ich dich mit nach Miami nehme.«

»Auf keinen Fall«, protestiere ich. »Ich habe dir angeboten, dich zu bezahlen, und du hast abgelehnt. ›Nicht genug Zimtschnecken auf der Welt‹, erinnerst du dich?«

»Ohne mich wärst du in Charlotte gestrandet. Oder noch schlimmer. Ich denke, ich verdiene eine Entlohnung, dafür, dass ich dir – schon wieder – geholfen habe.«

»Ich habe dich nie um deine Hilfe gebeten. Und Mike war ein sehr netter Mann. Ich wäre komplett sicher bei ihm gewesen.«

»Noch mal, ich mache mir weniger Sorgen wegen Mike und mehr wegen der Person, der du danach in die Arme gelaufen wärst.« Hollis wedelt mit der rechten Hand durch die Luft. »Die vertrauensvollen großen Augen, die du immer machst, schreien förmlich: ›Hey, komm und ermorde mich und mach dir Kleidung aus meiner Haut!‹«

Ich schnaube belustigt. »Nimmst du immer das Schlechteste von Menschen an?«

»Ja. Nimmst du immer das Beste an?«

»In der Regel schon.«

»Faaantastisch«, presst er durch zusammengebissene Zähne. Das Wort ist wie ein Punkt am Ende eines Satzes und verkündet mir das Ende unserer Unterhaltung, zumindest von seiner Seite aus.

Ich komme allerdings nicht sehr gut mit Stille zurecht. »Also«, sage ich. »Was schreibst du so für Sachen?«

Autoren sind praktisch per Gesetz verpflichtet, diese Frage zu beantworten. »Überwiegend Tatsachenromane. Mein erstes Buch erscheint im November. Es geht um ein Schneeballsystem, das in einer Kleinstadt in Minnesota alle möglichen Skandale verursacht hat.«

»Tatsachenromane? So etwas wie Kaltblütig?«

Er denkt kurz nach und sagt dann: »Weniger Morde und mehr Nudelauflauf, aber im Prinzip ja.«

»Wow. Klingt super. Ich werde es vorbestellen.«

Zu meinem Erstaunen lächelt Hollis. Es ist das winzigste Lächeln, das ich je an irgendjemandem gesehen habe, gerade so sichtbar an seinen Mundwinkeln, aber es ist ein Anfang. Falls er weiß, dass das mein Standardsatz für Treffen mit Autoren ist, den ich während meiner Zeit mit Josh perfektioniert habe, dann scheint er mich nicht damit konfrontieren zu wollen.

»Und du?«, fragt er. »Was macht Millicent Watts-Cohen, wenn sie nicht gerade gruselige Fans abwehrt oder zu Unbekannten ins Auto springt?«

»Ich habe in den letzten Monaten als freiberufliche historische Fachberaterin für Film und Fernsehen gearbeitet. Während meines Masters habe ich einer befreundeten Regisseurin ausgeholfen. Sie hat mich anderen in der Branche empfohlen. Ich bekomme mehr Anfragen als erwartet. Scheinbar bin ich für die Hollywood-Leute immer noch eine von ihnen, und sie mögen es, wenn die Dinge gewissermaßen in der Familie bleiben.«

»Du hast also einen Master in Geschichte?«

»Ja. Das hat mich schon immer interessiert. Außerdem hatte ich das Gefühl, Buße für Penelopes Sünden tun zu müssen. Und davon gab es eine ganze Menge. Es gibt eine Appomattox-Episode, die extrem schlecht gealtert ist.« Er sagt nichts. »Hast du die Sendung damals geschaut?«

»Meine Schwester hat.«

»Und du nicht?«

Er hebt leicht die Schultern. »Ich habe hier und da ein wenig von den Folgen gesehen, aber es war nicht so wirklich mein Ding.«

Es ist eine Erleichterung, dass Hollis nicht deshalb so viel für mich tut, weil ich ein klein wenig berühmt bin oder weil er hofft, irgendeine seltsame Sexfantasie aus seinen Teenager-Jahren nachspielen zu können. Ich bin praktisch eine E-Prominente, vielleicht sogar F, wenn die Skala überhaupt so tief reicht, aber ihr wärt überrascht, wie viele sich nur deshalb für mich interessieren. Wie Josh zum Beispiel.

Der Gedanke an meinen Ex ruft mir wieder in Erinnerung, wie Hollis meinte, dass Josh seinen Freunden – und scheinbar auch seinen Frenemies – gegenüber behauptet hat, dass wir uns getrennt hätten, weil ich zu unerträglich, seltsam und anhänglich bin. Und dabei steigt dieses dumpfe Gefühl in mir hoch, das mit dem Bewusstsein einhergeht, dass es da draußen jemanden gibt, der mich nicht mag. Das ist nie schön, aber es ist so viel schlimmer, wenn es sich um jemanden handelt, von dem man einmal dachte, dass man ihn heiraten würde.

Ich strecke die Hand nach dem Radio aus, in der Hoffnung auf Ablenkung. Als ich auf den An-Knopf drücke, schallt eine samtige Stimme durch den Wagen, die mit sauberer Aussprache von dem Durcheinander mit den gestrichenen Flügen berichtet.

»Was ist das?«

»WAMU.«

Ich rümpfe die Nase.

»Was hast du gegen NPR?«, fragt er.

»Nichts«, sage ich. »Es ist super. Ich habe großen Respekt für nicht kommerzielle, öffentliche Sender mit Bildungsauftrag, aber als Soundtrack für einen Roadtrip sind sie fürchterlich.«

»Es tut mir leid, dass ich nicht die perfekte Playlist parat habe, um deinen anspruchsvollen Ohren zu schmeicheln.«

»Ist schon okay.« Ich hole mein Handy aus der vorderen Tasche meines Rucksacks. »Ich habe genau das Richtige.« Ich wühle herum, bis ich mein Verbindungskabel finde, und schon bald erfüllt »Eye in the Sky« von The Alan Parsons Project das Wageninnere. Ich öffne den Mund, um lauthals mitzusingen, aber ich bin keine talentierte Sängerin – ich bin sogar ziemlich schlecht –, und es ist vermutlich zu früh, um Hollis dem auszusetzen. Jemandes Ohren zum Bluten zu bringen, ist keine tolle Art, seinen Dank zu zeigen. Also reiße ich mich zusammen und wiege mich einfach zur Musik. Natürlich kommt beim Refrain dann ein wenig Zappeln und Kopfnicken im Takt dazu.

»Was ist bei dir da drüben los?«, fragt Hollis. »Musst du schon aufs Klo?«

»Ich tanze.«

»War ja klar.«

Die Playlist, die ich heute Morgen für die Fahrt von Miami nach Key West zusammengestellt habe, ist im Shuffle-Modus, doch als der nächste Song einsetzt, beschließe ich, dass ich ganz zufrieden mit der Auswahl der Musik-App bin.

»Gott, ich liebe Steely Dan«, sage ich und passe mein Wiegen dem etwas langsameren Tempo von »Dirty Work« an. »Ich habe zufälligerweise letzte Woche die Schallplatte davon in einem Plattenladen in Silver Spring gefunden.« Ich habe sie gekauft, obwohl ich im Moment keinen Plattenspieler besitze. Geoffreys Tochter hat sich den von Mrs. Nash gekrallt.

Hollis stöhnt. »Als ich dir erlaubt habe mitzukommen, war mir nicht klar, dass du insgeheim mein Onkel Jim im Gewand einer jungen Frau bist.«

»Ich möchte wetten, dein Onkel Jim kriegt diese Moves nicht hin.« Ich lasse im Sitzen die Hüften zum Takt des Saxofon-Solos kreisen.

Hollis beobachtet mich aus dem Augenwinkel – dem blaugrauen. »Definitiv nicht.«

Als Nächstes ist Fleetwood Macs »Dreams« dran, aber noch vor dem Ende der ersten Zeile sagt Hollis: »Ugh. Können wir bitte etwas anderes hören?«

»Verzeihung, hast du etwa ein Problem mit Stevie Nicks?«

»Ihre Stimme geht mir irgendwie auf die Nerven.«

Ich sitze in stummem Entsetzen da und suche nach einer angemessenen Reaktion auf diese Blasphemie. Schließlich entscheide ich mich für ein schlichtes: »Wie kannst du es wagen. Wie kannst du es wagen.«

Hollis schaltet das Radio ab.

»Hey!« Meine Empörung lässt meine Stimme noch eine Oktave hochfahren.

Ich glaube, erneut eine ganz kleine Krümmung seiner Mundwinkel wahrzunehmen, und das ärgert mich noch mehr. Wie kann er es wagen, Stevie Nicks zu schmähen und dann auch noch beinahe zu lächeln. Was für eine Frechheit!

»Erzähl mir mehr von deiner Mission«, sagt er.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und schmolle. »Was ist damit?«

»Ich meine … warum? Eindeutig war es deiner Freundin nicht so wichtig, die Liebe ihres Lebens wiederzufinden.«

»Doch, das war es«, antworte ich. »Sie wollte Elsie finden, mehr als alles andere. Aber ich hatte gerade erst mit meiner Recherche begonnen, als Mrs. Nash starb.«

»Elsie?« Die Augenbraue über dem blaugrauen Auge schnellt nach oben.

»Ja. Elsie. Sie haben sich während des Kriegs kennengelernt.«

»Des Kriegs?«, fragt er. »Vietnam?«

»Zweiter Weltkrieg.«

Hollis pfeift durch die Zähne. »Mann. Das ist ganz schön lange her.«

»Ja. Nun«, sage ich. »Das sind eine Menge Dinge.«

»Ich denke, ich verstehe nicht recht, warum etwas, das so viele Jahre keinen Abschluss erfahren hat, überhaupt einen braucht.«

»Weil das nie ihre Absicht war. Mrs. Nash und Elsie haben nach Kriegsende zunächst Kontakt gehalten. Sie haben sich eine Unmenge Briefe geschrieben. Aber dann … es ist kompliziert.«