Mbappé - Luca Caioli - E-Book

Mbappé E-Book

Luca Caioli

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Beschreibung

Mit 17 Jahren der Durchbruch als Profi. Mit 18 der zweitteuerste Fußballer der Geschichte. Mit 19 Jahren schließlich Weltmeister und der jüngste Spieler seit Pelé, der je in einem WM-Finale traf. Trotz seiner jungen Jahre ist Kylian Mbappé schon heute ein Weltstar des Fußballs. Dieses Buch erzählt seine Geschichte: von der Kindheit in der Pariser Banlieue bis zu den großen Erfolgen im Verein und der französischen Nationalmannschaft. Interviews mit Verwandten und Nachbarn, ehemaligen Trainern und Mannschaftskollegen zeichnen darüber hinaus ein ganz persönliches Bild des Fußballwunderkinds.

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Luca Caioli / Cyril Collot

MBAPPÉ

Die Biografie

VERLAG DIE WERKSTATT

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel „Mbappé“ bei Icon Books, London.

Aus dem Englischen von Olaf Bentkämper.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

3. Auflage 2024

Copyright © Luca Caioli, Cyril Collot 2018

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe:

2019 Verlag Die Werkstatt GmbH

Siekerwall 21, D-33602 Bielefeld

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Coverabbildung: Getty Images/Gareth Cattermole – FIFA

Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH

ISBN 978-3-7307-0669-5

Inhalt

1 Allée des Lilas

2 Die Stadt, in der alles möglich ist

3 Oulala, Oulala

4 Die neue Attraktion

5 Und der Gewinner ist …

6 Ärger im Paradies

7 Besser als Thierry Henry

8 Mit Bravour bestanden

9 Die Erklärung

10 Louis II, 21. Oktober 2016

11 Auf internationaler Bühne

12 Schon ein Champion

13 Die Saga des Sommers

14 31. August 2017

15 Donatello

16 MCN

17 Der Goldjunge

18 Ein Triple, um Ronaldo vergessen zu machen

19 Zur Rechten des Königs

20 Der Junge wird erwachsen

21 Eine unvollendete Saison

22 Ganz allein

23 Beinahe ein Messi

24 Kylian, c’est Paris!

25 „Wir werden wiederkommen“

Zahlen und Fakten

Danksagung

Kapitel 1

Allée des Lilas

Der Besuch war ihm vorab angekündigt worden, und er hat sich sorgsam vorbereitet. Mit blauem Stift hat er ein paar Gedanken niedergeschrieben. Er kann es kaum abwarten, sie vorzutragen, doch seine Großmutter sagt, er solle sich gedulden, er werde später noch dazu kommen. Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt: Seine Großeltern und ihre Gäste plaudern und trinken Kaffee. Er blickt auf das Notizbuch, das er auf den Tisch des kleinen, von einem großen Fernseher dominierten Wohnzimmers gelegt hat. Er hört zu, beteiligt sich hin und wieder am Gespräch. Endlich bekommt er die Erlaubnis, verbunden mit der Empfehlung, laut und deutlich zu sprechen.

„Hallo zusammen. Kylian ist der Beste. Er ist der Held von Bondy. Alle lieben ihn. Er ist ein Vorbild für alle Kinder, die Fußball spielen. Er ist sehr gut. Wilfrid und Fayza haben ihre Kinder gut erzogen. Ethan wird in die Fußstapfen seines Bruders Kylian treten.“

Idrisse ist neun Jahre alt; er geht zur Schule, spielt Fußball in der U10 und fasst in wenigen Worten zusammen, was jeder in Bondy denkt, von Madame la Maire, der Bürgermeisterin, bis zu den Kindern, die nur wenige hundert Meter entfernt auf den Plätzen des Stade Léo-Lagrange trainieren.

Idrisse ist der Enkel von Elmire und Pierrot Ricles, einem Ehepaar, das in den späten 1970er Jahren von Martinique nach Frankreich kam. Sie leben in der ersten Etage eines weißen Wohnhauses in der Allée des Lilas Nr. 4. Ein fünfstöckiger Sozialbau aus den 1950er Jahren in einer ruhigen, von Bäumen gesäumten Straße im Zentrum von Bondy, einer Gegend, die manche wegen der Straßennamen hochtrabend Cité de Fleurs, Stadt der Blumen, nennen. Hierher ist die Familie Mbappé im Herbst 1998 gezogen. Steigt man die erste Treppe hinauf, sieht man einen Briefkasten, auf dem noch immer steht: „Lamari-Mbappé Lottin, 2te links“.

„Sie zogen in die Etage direkt über uns“, sagt Elmire, „in eine Wohnung genau wie die unsere: 56 Quadratmeter, Wohnzimmer, Kochnische mit Blick auf das Stade Léo-Lagrange und zwei Schlafzimmer. Ich erinnere mich, dass Fayza im achten Monat schwanger war mit Kylian, als sie ankamen.“

Fayza – damals 24 Jahre alt und aus Algerien stammend – wuchs in Bondy Nord auf, im Viertel Terre Saint-Blaise. Sie besuchte das Collège Jean Zay und ging in die Sporthalle direkt gegenüber vom Haus. Im Alter von 12 und 13 Jahren spielte sie Basketball, bevor sie sich ganz auf Handball konzentrierte. Sie spielte auf dem rechten Flügel für die AS Bondy in der Division 1.

„Sie fing ganz unten an und wurde zu einer der besten Handballspielerinnen in Bondy in den späten 1990er Jahren. Fayza hatte Charisma. Sie war eine der Leaderinnen des Teams, extrem talentiert und extrem tough“, erinnert sich ein Freund der Familie.

„Sie war eine Kämpferin auf dem Platz, aber sie war auch hitzköpfig. Es brauchte nicht viel, um sie auf die Palme zu bringen, und sie war nicht zimperlich mit den Gegenspielerinnen. Wenn man Fayza verärgerte, ließ sie es einen spüren“, erinnert sich Jean-Louis Kimmoun, ein früheres Vorstandsmitglied und später Präsident des Klubs in einem Interview mit Le Parisien. „Aber abseits des Platzes war sie eine ganz liebe Person und ist es immer noch.“

„Sie redet allerdings gern viel“, erzählt ein Freund des Paares. „Früher hatte sie ständig irgendwelchen Unfug im Kopf. Ich arbeitete drei oder vier Jahre lang mit ihr zusammen als Trainer in den Vierteln Maurice Petitjean und Blanqui, mittwochs und in den Schulferien in den Gemeindezentren. Dort traf sie Wilfrid, der ebenfalls Trainer war, mit seinem kleinen Bruder Pierre und Alain Mboma, dem großen Bruder von Patrick Mboma, Afrikas Fußballer des Jahres 2000. Beide liebten Sport, hatten den Schalk im Nacken und starke Persönlichkeiten. Es war nur logisch, dass sie sich zueinander hingezogen fühlten.”

Als er mit Fayza in die Allée des Lilas zog, war Wilfrid 30 Jahre alt. Geboren in Douala in Kamerun, war er auf der Suche nach einem besseren Leben nach Frankreich gekommen. Nachdem er in Bobigny gewohnt hatte, zog er nach Bondy Nord, wo er einige Jahre Fußball spielte.

„Er war ein guter Spieler, ein Zehner, ein Mittelfeldspieler, der gerne den Ball hatte“, erinnert sich Jean-François Suner, technischer Direktor der AS Bondy, der von allen nur Fanfan genannt wird. „Er hätte Karriere machen können. Er durchlief die Jugendmannschaften des Klubs und spielte dann zwei Jahre für den benachbarten Verein aus Bobigny in der Division d’Honneur [höchste Amateurklasse im französischen Fußball]. Als er dort aufhörte, kam er wieder zu uns. Wir boten ihm eine Stelle an, und er kümmerte sich zunächst als Trainer und später als sportlicher Leiter um unsere Jugend. Wir arbeiteten fast 30 Jahre lang zusammen, ab der Saison 1988/89, und bauten den Klub um, bis er im Juni 2017 dann aufhörte.“

20. Dezember 1998

Fünf Monate und ein paar Tage waren seit jenem berühmten 3:0 vergangen, seit Zinédine Zidanes zwei Kopfballtoren und Emmanuel Petits coup de grâce im WM-Finale gegen die Brasilianer mit ihrem angeschlagenen „Fenômeno“ Ronaldo. Die Erinnerungen an diesen Sonntag, den 12. Juli, und den kollektiven Rausch waren noch frisch. Wie könnte man auch anderthalb Millionen Menschen vergessen, die freudentrunken auf den Champs-Elysées feierten und Siegeslieder sangen?

Die Menge bejubelte „Black-blanc-beur“ (schwarz, weiß, nordafrikanisch) und skandierte „Zidane président!“ Wie könnte man einen der größten Triumphe in der Geschichte des französischen Sports vergessen? Es war nur folgerichtig, dass Fayza und Wilfrid in diesem vom Fußball gesegneten Jahr das schönste aller Weihnachtsgeschenke bekamen: ihr erstes Kind. Der Junge kam am 20. Dezember zur Welt und wurde getauft auf den Namen Kylian Sanmi (kurz für Adesanmi, was auf Yoruba „die Krone passt mir“ bedeutet) Mbappé Lottin. Der Nachname Mbappé würde noch Anlass für viele Spekulationen sein: War Kylian der Enkel von Samuel Mbappé Léppé, genannt „Le Maréchal“, dem kamerunischen Mittelfeldspieler der 1950er und 1960er Jahre? Oder war er ein Verwandter von Étienne M’Bappé, dem Bassisten aus Douala? Nein, da gab es keine Verbindung, wie Pierre Mbappé erklärt: In Kamerun ist der Nachname Mbappé in etwa so verbreitet wie Dupont in Frankreich oder Schulz in Deutschland.

Pierre ist Kylians Onkel, auch er Fußballer. Er fing bei Stade de l’Est an und spielte später für Klubs wie Laval, Villemomble und Ivry. Als er zum Krankenhaus eilte, um seinen Neffen kennenzulernen, hatte er im Gepäck einen Minifußball als Geschenk für das Neugeborene. Im Scherz sagte er zu Fayza und seinem Bruder Wilfrid: „Ihr werdet sehen, aus ihm wird eines Tages ein großer Fußballer!“

Einige Tage nach dem freudigen Ereignis kehrten Mutter und Sohn heim. Fayza nahm wieder ihre Arbeit in der Stadtver waltung von Bobigny auf, während Wilfrid nur über die Straße gehen musste zum Stade Léo-Lagrange, wo er seine Kids trainierte. Besonders einer hatte seine Aufmerksamkeit erregt: Er war elf Jahre alt und fünf Jahre zuvor aus Kinshasa im damaligen Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo, nach Bondy gekommen. Die Lage in seiner Heimat war prekär, daher hatten seine Eltern beschlossen, ihn nach Frankreich zu schicken, damit er zur Schule gehen und sich eine Zukunft aufbauen konnte. Der Junge hieß Jirès Kembo Ekoko; er war der Sohn von Jean Kembo, genannt „Monsieur But“, Mittelfeldspieler der zairischen Nationalmannschaft, die zweimal den Africa Cup of Nations gewann (1968 und 1974) und sich 1973, auch dank der beiden Tore von Kembo im entscheidenden Spiel gegen Marokko, als erstes Team aus Subsahara-Afrika für die Endrunde einer Weltmeisterschaft qualifizierte. Jean nannte seinen Sohn Jirès zu Ehren des französischen Mittelfeldspielers Alain Giresse, den er sehr bewunderte, und schickte ihn nach Frankreich zu einem Onkel und seiner älteren Schwester. 1999 erhielt Jirès Kembo Ekoko seine Spielberechtigung bei der AS Bondy. Wilfrid war sein erster Trainer und wurde bald auch sein Vormund und eine Art Vater.

„Es ist schwer zu erklären, aber es war, als wäre dieser Mensch seit jeher meine Bestimmung gewesen“, sagte Jirès Jahre später. Die Familie Lamari-Mbappé Lottin nahm ihn bei sich zuhause auf; zwar adoptierten sie ihn nicht, doch er nannte sie stets Mama und Papa, denn sie waren es, die ihm Zuneigung gaben und ihm halfen, schwierige soziale Verhältnisse zu überwinden und sich den Traum von der Karriere als Fußballprofi zu erfüllen. Jirès zog in die Allée des Lilas und wurde zu Kylians großem Bruder, Vorbild, Idol und erstem Fußballhelden. Die Nachbarn erinnern sich daran, wie er an den Wochenenden vom Leistungszentrum Clairefontaine heimkam oder Fayza und Wilfrid ihn zu wichtigen Spielen brachten.

„Die Familie stand sich sehr nahe, sie waren nette, bodenständige Leute“, sagt Pierrot.

„Wegen seiner Arbeit sahen wir Wilfrid nur selten, aber Fayza lief uns im Treppenhaus oder in den Geschäften hier im Viertel häufig über den Weg. Wir sahen Kylian aufwachsen. Sowie er laufen konnte, fing er an, in dem Zimmer über dem meiner beiden Mädchen mit dem Ball zu bolzen. Ich glaube, sonntagmorgens machte er sein Zimmer zum Fußballplatz“, erinnert sich Elmire mit einem Lachen. „Wann immer wir uns begegneten, entschuldigte sich Fayza unablässig. Ich versicherte ihr, dass schon alles in Ordnung sei und dass man ein Kind ja nicht anbinden könne! Schon damals hatte er nichts als Fußball im Kopf.“

Mit einem weiteren Lachen erzählt die Großmutter von der Zeit, als der kleine Junge von oben eine Djembé-Trommel bekam, es war entweder zum Geburtstag oder zu Weihnachten. „Er hörte gar nicht mehr auf, es dauerte eine Weile, bis er von seinem neuen Spielzeug abließ. Aber abgesehen vom Fußball und der Trommelei war Kylian ein reizender, sehr höflicher Junge, der stets ‚bonjour‘ oder ‚bonsoir‘ sagte, wenn er mir begegnete. Seine Entwicklung als Fußballer haben wir nicht verfolgen können, weil die Familie ein paar Jahre nach der Geburt von Ethan, dem Nesthäkchen, das, wenn ich mich nicht irre, 2006 auf die Welt kam, in ein Wohnviertel im Süden der Stadt zog, auf der anderen Seite der Gleise, Richtung Les Coquetiers. Wir sahen ihn letztes Jahr im Mai, als er hierher ins Stadion kam, um die französische Meisterschaft zu feiern. Alle Kinder der AS Bondy waren da, mit einem Transparent, auf dem stand: ‚Danke, Kylian, alle in Bondy stehen hinter dir!‘ Das war wirklich sehr schön. Kylian verteilte Trikots an die Kinder, und Idrisse schaffte es sogar, ein Foto mit ihm zu ergattern.“

„Zum Glück sah Fayza uns und rief: ‚Wartet mal, das sind meine Nachbarn!‘, also stieg ich in den Wagen und machte das Foto, das meine Mutter jetzt hütet“, erläutert der Enkel.

„Wir verfassten zu diesem Anlass einen Brief, zusammen mit den drei anderen Familien, die hier wohnen, mit Daniel und Claudine Desramé, unseren Nachbarn aus der ersten Etage.“

Elmire steht vom Tisch auf, geht zu einer Ecke des Raumes hinüber, öffnet eine Schublade und blättert einen Stapel Papier durch. Schließlich ruft sie aus: „Hier ist er!“

Lieber Kylian,

Wir hoffen, dass du nicht erschrickst, wenn wir dich einfach so ansprechen. Wir erinnern uns an dich immer noch als den wohlerzogenen, zehnjährigen Jungen, den wir im Treppenhaus in der Allée des Lilas Nr. 4 trafen. Heute bist du ein großer Fußballstar und glänzt auf dem Platz. Wir verfolgen den überwältigenden Erfolg deiner sportlichen Karriere mit großer Freude. Wir reden oft über dich und deine Eltern, die wir sehr mochten. Sie haben dich sehr gut erzogen. Jedes Mal, wenn du deine Schuhe schnürst, vergiss nicht, dass deine Nachbarn deine größten Fans sind!

Mit den besten Wünschen für die Zukunft.

Kapitel 2

Die Stadt, in der alles möglich ist

Man kann es nicht übersehen. Es ragt direkt vor einem auf, wenn man auf der A3 Richtung Paris unterwegs ist. Es ist riesig, nimmt vier Etagen an der Seite der achtstöckigen Résidence des Potagers ein. Es ist eine Explosion aus Grün, aus Laubblättern und Fußbällen, die von überall herausschießen. In der Mitte steht Kylian Mbappé im Trikot von Paris Saint-Germain. Er blickt ernst drein und macht das Shaka-Zeichen. Ganz oben prangt das Motto: „Bondy: Ville des possibles – die Stadt, in der alles möglich ist“. Das riesige Fresko blickt von oben herab auf eine Autobahn voller Verkehr und Staus; es überblickt die Avenue du Général Galliéni (vormals die RN3), betrachtet das Kommen und Gehen neuer Unternehmen (von Conforama bis Darty) und begleitet die Kinder, die die Straße überqueren, um zum Lycée Madeleine Vionnet zu gelangen, und die Horden von Teenagern auf dem Weg zum Collège Jean Renoir.

Es ist eine Ehre, die Art von Wandgemälde, wie sie normalerweise Persönlichkeiten wie Zinédine Zidane vorbehalten ist, der nach dem Gewinn der WM 1998 mit einem riesigen Porträt an der Place Paul Ricard in Marseille mit Blick auf das Mittelmeer gewürdigt wurde. Oder Diego Armando Maradona, der von Jorit Agoch auf einem Gebäude im neapolitanischen Stadtteil San Giovanni a Teduccio verewigt wurde. Oder Moussa Sissoko, dessen gigantisches Poster die Fassade von Le Galion in Aulnay ziert.

Die riesige Tafel mit Kylians Konterfei wurde von Nike gestiftet, das den jungen Stürmer sponsert, seit er 13 Jahre alt war. Der amerikanische Sportartikelhersteller hat außerdem tief in die Tasche gegriffen, um den Bau einer Sportanlage für die Gemeinde zu finanzieren; sie wurde am 6. September 2017 eröffnet, im Jardin Pasteur, wo Kylian das Dribbeln erlernte und seine ersten Tore schoss. Zwei Symbole, das Fresko und die Sportanlage, auf Wunsch der Familie Mbappé der Stadt zu Ehren, in der Kylian geboren wurde.

Bondy im Département Seine-Saint-Denis (93) in der Region Île-de-France ist ein Vorort nordöstlich von Paris, neun Kilometer von der Porte de Pantin gelegen. Es ist die neuntgrößte Stadt im Département, eine multikulturelle Gemeinde von fast 54.000 Einwohnern, das Gebiet um den Canal de l’Ourcq nicht eingerechnet.

Der Name Bondy erscheint erstmals zwischen 590 und 630 im Testament der Ermentrude, einer reichen Witwe, die der Kirche, die an der Kreuzung der alten römischen Rue Compoise und der Straße von Lutetia nach Meaux erbaut wurde, Land, einen Ochsenkarren, Kleidung und verschiedene Kultgegenstände vermachte. Über den Ursprung des Namens der Stadt gibt es zwei Theorien: Er soll sich entweder von Bonitius herleiten (lateinisch für Sohn des Bonit), dem Eigentümer des Landes in galloromanischer Zeit, oder aber vom gallischen Wort „bon“ für einen kleinen Hügel. Im Laufe der Zeit wurde der Name zu Boniaticus, Boniasensis, Bonisiacus, Boniaticus (8. Jahrhundert), Bulzeia, Bonzeia, (12. Jahrhundert), Bondis und schließlich Bondy (17. Jahrhundert).

Im 17. und 18. Jahrhundert wurde der Name Bondy erstmals mit dem gleichnamigen Wald verbunden, dem Bois de Bondy, damals bekannt als Unterschlupf für Räuber und Banditen. Es war beim dortigen Postamt, dass in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 1791 Pierre-Augustin Fremin, ein Postmeister und zukünftiger Bürgermeister, Ludwig XVI. erkannte, der als Kammerdiener verkleidet aus dem Palais des Tuileries floh. Seine Flucht war von kurzer Dauer: Der König von Frankreich wurde wenig später in Varennes verhaftet. Heute sind vom berühmten Wald nur noch ein paar Hektar ganz im Norden des Départements erhalten, doch erinnert das Wappen der Stadt und ihr Motto „Glücklich in seinem Schatten“ noch an ihn.

Ende des 18. Jahrhunderts hatte Bondy 300 bis 400 Einwohner, die das Land bearbeiteten. Ab 1821 – mit der Vollendung des Canal de l’Ourcq, den Napoleon anlegen ließ, um Wasser in die Stadt zu befördern – erlebte die Stadt eine Phase großer industrieller und urbaner Expansion. Es wurden die ersten Mühlen und Betonfabriken in der Gegend erbaut. Manche behaupten, sie seien dort nicht nur wegen des Bodens und des Wassers errichtet worden, sondern auch wegen des beständigen Nordostwinds, der den Rauch und den Qualm in Richtung der Provinzen und weit fort von den empfindlichen Nasen der hauptstädtischen Bourgeoisie trug. Zwischen 1860 und 1870, mit der Ankunft der Eisenbahn, die Paris mit Straßburg verband, ließen sich zahlreiche aus Elsass und Lothringen stammende Arbeiter, die am Bau der Strecke beteiligt waren, in der Gegend um den Bahnhof nieder. Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden südlich der Stadt weitere Wohnviertel, mit Steinhäusern und einem Herrenhaus, wie sie typisch für die Region Paris sind. Richtung Norden bauten Bauern weiterhin Gemüse an, aber mit Beginn des neuen Jahrhunderts veränderte sich alles. Die Automobilindustrie boomte, Arbeiter ließen sich nahe der Fabriken nieder, und Bondy wurde, wie andere Teile des Départements Seine-Saint-Denis, zu einer Arbeiterstadt.

Der Klassenaspekt ist nicht ganz unerheblich, bedenkt man, dass in der Stadt seit 1919 kein rechtsstehender Bürgermeister mehr gewählt worden ist. Die Bürgermeister der Stadt stellten seit jeher die Sozialisten (ausgenommen Henri Varagnat von der Kommunistischen Partei, Bürgermeister von 1935 bis 1939, der wie alle gewählten kommunistischen Amtsträger mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs entfernt wurde). Sylvine Thomassin bildet keine Ausnahme. Sie kam als Kind nach Seine-Saint-Denis, arbeitete als Hebamme auf der Entbindungsstation des Hospitals Jean-Verdier und nahm sich dann der Themen Bildung und Stadterneuerung an, bevor sie im Oktober 2011 zur Bürgermeisterin gewählt wurde. Sie folgte auf Gilbert Roger, der in den Senat gewählt worden war. „Ab den 1950er und 1960er Jahren entstanden im Norden der Stadt neue Viertel und große Wohnsiedlungen als Antwort auf Wohnungsnot und Slums. Damals zogen viele Heimkehrer aus Algerien sowie Immigranten aus dem Maghreb, Subsahara-Afrika und Portugal in die Stadt. Die Bevölkerung von Bondy wuchs von 22.411 im Jahr 1954 auf 51.653 im Jahr 1968. Das war die erste Migrationswelle“, sagt Thomassin, als sie über die jüngere Vergangenheit, die Gegenwart und Zukunft der Stadt spricht.

„Darauf folgte eine zweite, zwischen 1980 und 1990, vor allem aus Ländern südlich der Sahara: Zaire, Kamerun, Kongo und Angola. Die Wohnsiedlungen ermöglichten tausenden Familien hygienische Bedingungen und Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität. Kurz gesagt: moderne Annehmlichkeiten. Das Recht auf Wohnraum war garantiert. Arbeiterklasse und Mittelschicht lebten glücklich und zufrieden Seite an Seite. In den Vierteln gab es eine starke und aktive Gemeinschaft; es war ein goldenes Zeitalter. Die Siedlungen bewährten sich bis zum dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit zwischen 1970 und 1980. Danach zogen die Menschen ganz allmählich nur noch hierher, weil sie keine andere Wahl hatten. Die Siedlungen waren auf 30 Jahre angelegt, aber mittlerweile stehen sie doppelt so lange, und genug ist genug. Wir möchten nicht, dass noch mehr gebaut werden. Es ist eine Situation, die wir zu verändern versuchen mit dem Projekt zur Stadterneuerung (PRU), das 2006 gestartet wurde und nun in seine zweite Phase geht.“

Bondy ist eine Stadt im Aufbau – oder vielmehr im Wiederaufbau. Um zu verstehen, was das bedeutet, muss man nur einmal einen Spaziergang die Rue Jules Guesde hinunter bis zur Place du 11 Novembre 1918 unternehmen. Direkt vor dem Rathaus – ein Gebäude von teils sowjetischer, teils funktionalistischer Bauweise – befand sich einst eine riesige Wohnsiedlung, die sich bis zur RN3 erstreckte. Heute ist der Platz von freundlichen, gepflegten Bauten in unterschiedlichen Tönen von Weiß bis Holzfarben gesäumt. Keines ist höher als fünf Stockwerke, und im Erdgeschoss prangen die Fensterfronten neuer Läden und Geschäfte. Es ist ein Beispiel für Stadtplanung, die die Substanz der Stadt und ihrer Dienstleistungen, Grünflächen, Infrastruktur und Wohnungspolitik von Grund auf verändert. Die Maßnahmen beschränken sich nicht allein auf das Zentrum, sondern erstrecken sich über fünf Viertel, inklusive derjenigen Richtung Norden, die als besonders problematisch gelten.

„Wir möchten das Gesicht der Stadt verändern, einen Ort wiedererschaffen, einen offenen Raum, wo Menschen wohnen und zusammenleben möchten“, fügt die Bürgermeisterin hinzu. Es ist nicht das einzige ehrgeizige Projekt: Die Stadterneuerung umfasst auch ein neues Wirtschaftsmodell und eine tiefgreifende Veränderung der industriellen Strukturen.

„Angefangen mit der Krise in der Mineralölindustrie, haben wir einen Prozess der Deindustrialisierung erlebt. Viele Unternehmen haben ihre Standorte in andere Regionen oder andere Länder verlegt. Nun spekuliert das Département Seine-Saint-Denis darauf, andere Arten von Unternehmen anzulocken. Aber das ist nicht einfach, insbesondere, da der Staat andere Entscheidungen getroffen hat, die eher Paris und den Westen der Hauptstadt bevorzugen“, fährt die Bürgermeisterin fort.

„Aber wir flüchten uns nicht in Selbstmitleid, wir haben die Ärmel hochgekrempelt und uns an die Arbeit gemacht. Bond’innov, das erste Gründerzentrum, ging 2011 an den Start. Es unterhält und unterstützt um die 40 innovative Unternehmer, die Projekte in den Bereichen Biowissenschaften und Biotechnologie entwickeln wollen, insbesondere in den Bereichen digitale Technologien, Umwelt, Sozial- und Solidarwirtschaft, Nord-Süd-Beziehungen, Kooperation und internationale Entwicklung mit Schwerpunkt Afrika.“

Sylvine Thomassin betont: „Wir versuchen, eine stabile und engverbundene Stadt aufzubauen, die in der Lage ist, sich in die Kräftespiele der Region Grand Paris zu integrieren.“

Das mag alles sein, aber was hat Bondy, die Stadt, in der alles möglich ist, mit dem Bild von Kylian Mbappé zu tun?

„‚Die Stadt, in der alles möglich ist‘ ist ein Slogan, der lange vor Kylians kometenhaftem Aufstieg aus der Taufe gehoben wurde. Er hatte weniger mit Sport als mit Bildung und Kultur zu tun, zwei Themen, die nach und nach zu einem Teil von Bondys DNA werden“, erklärt die sozialistische Bürgermeisterin.

„Da ist zum Beispiel die Maîtrise de Radio France, der Kinderchor von Radio France. 1946 in Paris gegründet, war er nach den Unruhen von 2005 eine der wenigen Institutionen, die sich mit der Frage befassten, was man für die Banlieues tun könnte. Vor elf Jahren beschloss man, hier in Bondy ein zweites Hauptquartier einzurichten, mit dem Ziel, Kindern aus dem Norden die Chance zu geben, Musik zu entdecken, mehr über sie zu erfahren und auf hohem Niveau zu musizieren. Im gleichen Jahr, 2005, wurde außerdem der Bondy Blog ins Leben gerufen, der über die Geschichte der Diversität in Frankreich erzählt, und seit 2009 haben wir hier eine Zweigstelle der École Supérieure de Journalisme de Lille, wo Kinder, deren Eltern es sich nicht leisten können, sie auf renommierte Universitäten zu schicken, das journalistische Handwerk erlernen. Wir richteten die ‚Cafés philos‘ ein und die Université Populaire Averroès, an der sich 1.900 Menschen angemeldet haben. Wer hätte je gedacht, dass es in einer Arbeiterstadt wie Bondy so viele Leute gibt, die sich für Kurse interessieren, die sich mit mathematischen Problemen, Kunstgeschichte, Musik im Laufe der Jahrhunderte und Astronomie beschäftigen? Dass 1.900 Menschen an die Uni gehen, nicht um einen Abschluss zu machen, sondern aus Freude am Lernen, ist wirklich wunderbar.“

Aber das ist noch nicht alles: „Es gibt noch etwas, das uns sehr stolz macht, nämlich unsere Erfolgsquote beim Baccalauréat: 87 Prozent in einer Stadt, von der man, bezogen auf sozio-professionelle Kategorien nationaler Bildung, nicht erwarten würde, 73 Prozent zu übertreffen. Dazu kommt, dass noch vor zehn bis fünfzehn Jahren Schüler aus Bondy, die das Bac schafften, sich bestenfalls für ein BTS [berufsorientiertes Kurzstudium] entschieden. Sie beschränkten sich selbst, glaubten, kein längeres Studium aufnehmen zu können. Dank der ehrenamtlichen Arbeit von Lehrern und Förderprogrammen an Instituten wie Sciences Po und der Université Pierre-et-Marie-Curie, wissen sie heute, dass auch sie Erfolg haben können, dass man es auch in der Banlieue packen kann wie überall sonst, wie an den besten Hochschulen von Paris.“

Und Kylian Mbappé ist der lebende Beweis für diesen Erfolg? „Kylian ist der Stolz der ganzen Stadt. Wir sind unheimlich stolz darauf, der Metropolregion Grand Paris und dem ganzen Land einen so wunderbar begabten jungen Mann gegeben zu haben, der sogar in Menschen wie mir, die eher auf Rugby stehen, die Leidenschaft für den Fußball geweckt hat! Er ist ein Junge, der Bondy nicht vergessen hat. Er ist ein Botschafter für die Region und der lebende Beweis, dass dies tatsächlich die Stadt ist, in der alles möglich ist.“

„Er bildet die Speerspitze“, sagt Oswald Binazon, der Zeugwart des Stadions. „Aber wir haben so viele Sportler, die es im Handball, Rugby, Fechten, Judo und Fußball ganz nach oben geschafft haben. Wir haben außerdem Mannschaften wie die Basketballer der AS Bondy, die 1998 den Titel in der National 1 holten, oder auch die Handballerinnen, die in die Division 1 aufgestiegen sind. Bondy ist eine sportverrückte Stadt. Der frühere Bürgermeister Claude Fuzier gründete die Association Sportive de Bondy im Jahr 1978, heute umfasst sie 26 Sportarten und zählt 3.700 Mitglieder. Die AS Bondy geht an die Schulen, um junge Menschen für den Sport zu begeistern. Es gibt Handball- und Basketballfelder auf den Spielplätzen. Wir haben eine Tennisanlage, zwei Schwimmbecken, fünf Sporthallen und fünf Multisportanlagen in der Stadt, darunter diejenige, die von Nike im Jardin Pasteur eröffnet wurde. Wo sich das Herz des Sports in Bondy befindet? Hier, im Sportkomplex Léo-Lagrange.“

Kapitel 3

Oulala, Oulala

Um sechs Uhr abends sind keine Pfannkuchen mehr übrig. Wie jeden Mittwoch, dem Trainingstag, und jeden Samstag, dem Spieltag, hat Karima über hundert davon gemacht. Jetzt ist von ihnen keine Spur mehr zu sehen. Die kleinen Kicker, hungrig und gierig, müssen untröstlich ohne dampfenden Teller und Nutella-Schnurrbart auf die Plätze des Stade Léo-Lagrange zurücktrotten. Sie können höchstens noch etwas zu trinken oder ein paar Süßigkeiten kaufen. Aber das ist nicht das Gleiche. Neben der Snackbar steht Athmane Airouche und schlürft lächelnd einen Kaffee, den Karima zubereitet hat. Daran zumindest herrscht kein Mangel. Er begrüßt die Jungs, die Hallo sagen und ihm die Hand geben, bevor sie in die Umkleidekabine gehen. Dann zieht er los, um die Arbeit der U11-Trainer zu begutachten.

Airouche ist seit Juni 2017 Präsident der AS Bondy, für die er zuvor bereits als Spieler und auch als Trainer der U19 – ein „rebellisches Alter“ – tätig war. Vor einem grünen Graffiti mit dem Klubnamen und dem Wort „Football“ spult er einige Daten und Fakten herunter: „Wir haben 800 Mitglieder, von der U17 bis zu den Senioren. Darunter 140 Mädchen, fast doppelt so viele wie letzte Saison.“

Ob das der Kylian-Effekt ist?

„Ja, es scheint so zu sein, und leider mussten wir zahlreiche Jungs ablehnen. Wir haben nicht die Anlagen oder die Kapazitäten, so viele aufzunehmen. Wir haben zwei Fußballplätze – einer Natur-, einer Kunstrasen –, eine Futsal-Halle sowie das Stade Robert-Gazzi auf der anderen Seite von Bondy. Wir sind ein Ausbildungsverein, wir wissen, wie man mit Kindern und jungen Menschen umgeht und betrachten das als unsere Mission. Wir haben nie daran gedacht, uns anders aufzustellen, wobei ich anmerken möchte, dass wir mehr als 30 Jungen ausgebildet haben, die später Profi wurden. Allein letzte Saison wechselten fünf unserer Schüler zu PSG, Bordeaux und Monaco.“

Er ergänzt: „Wir sehen uns als Familienklub, der eine wichtige gesellschaftliche Rolle erfüllt. Wir suchen Kinder nicht nach ihren technischen Fähigkeiten aus, sondern weil wir möchten, dass sie Sport treiben, spielen und Spaß haben. Für uns macht es keinen Unterschied, ob sie aus Bondy Nord oder Bondy Süd kommen, aus einer Mittelschichts- oder Arbeiterfamilie. Von dem Moment an, da sie durch die Stadiontore kommen, sind sie, soweit es uns betrifft, angehende Fußballer. Wir haben außerdem ein Auge auf ihre schulische Ausbildung und treffen uns mit ihren Eltern und Lehrern. Wir versuchen, Werte zu vermitteln wie Bildung, Respekt vor Regeln und vor anderen sowie seriös und gut zu arbeiten. Und wir pochen darauf, wie wichtig es ist zu lernen, denn nicht jeder kann ein großer Fußballstar werden. Leider sind es manchmal die Eltern, die allzu großen Druck ausüben. Sie sind besessen von der Vorstellung, einen Fußballprofi zum Sohn zu haben. Gerade neulich erst hatte ich ein längeres Gespräch mit einem Vater. Schließlich fragte ich ihn: ‚Aber wären Sie denn nicht froh, wenn aus Ihrem Sohn ein guter Anwalt würde?‘“

Wie steht es mit Kylian Mbappé?

„Wir reden oft über ihn, denn ein Spieler von seiner Begabung kommt in einem solchen Klub wie dem unseren vielleicht alle 30 oder 40 Jahre daher. Wegen seiner Einstellung, die er auf und neben dem Platz an den Tag legt, dient er uns als Beispiel für die Kinder. Hier im Verein sind alle stolz auf ihn, denn er ist hier groß geworden und neun Jahre geblieben.“

Karima unterbricht den Präsidenten, jemand sucht nach ihm. Er verschwindet für ein paar Minuten, dann kommt er zurück und plaudert weiter.

„Er wohnte dort drüben“, sagt Airouche mit einem Wink auf die weißen Häuser der Allée des Lilas jenseits der Stadionmauern. „Dies war sein Kindergarten“, fügt er hinzu. „Er war jeden Tag hier, immer mit seinem Vater, der damals technischer Leiter der Jahrgänge U11 bis U17 war. Kylian muss drei oder vier Jahre alt gewesen sein. Er war unser kleines Klubmaskottchen. Man sah in mit einem Ball in den Händen in die Kabine kommen, wo er sich ganz still in eine Ecke setzte, um zuzuhören, was der Trainer vor dem Spiel zu sagen hatte. Vermutlich gibt es kein zweites Kind auf der Welt, das so vielen Gesprächen gelauscht hat wie er. Gewiss gibt es keins, das so vielen technischen Erörterungen, Taktikbesprechungen, Predigten und Ansprachen zugehört hat. Und da Kylian schon immer wie ein Schwamm war, jemand, der sehr schnell lernt, hat er schon in jungen Jahren fußballerische Konzepte aufgesaugt, die andere erst Jahre später zu hören bekamen und verstanden.“

Als es drei, vier Jahre alt war, alberte das kleine Maskottchen mit seinem Vater herum, denn es wollte unbedingt bei der AS Bondy angemeldet werden. Kylian wollte mit den großen Jungs spielen. Aber Wilfrid hielt das noch für zu früh und sorgte sich, dass er ihm als Trainer zu nahe stand, um ihn richtig betreuen zu können. Einstweilen musste sich das zukünftige Wunderkind des französischen Fußballs damit begnügen, mit Gleichaltrigen auf dem Kleinfeld neben der École Maternelle Pasteur zu bolzen, wohin Fayza ihn jeden Morgen brachte. Manchmal erlaubte er sich, dort, wo sein Vater arbeitete, die Erwachsenen in Erstaunen zu versetzen.

„Ich trainierte die Torhüter, da ich selbst einer gewesen war, während Wilfrid sich um die Stürmer kümmerte. Wir fassten die U17, die U19 und die Senioren zu einer einzigen Gruppe zusammen“, erinnert sich Jean-François Suner, der soeben am Stadion eingetroffen ist, um das Training zu leiten.

„Wir beendeten die Einheit mit einer Übung vor dem Tor, und Kylian, der damals fünf war, wollte unbedingt mitmachen. Er rief: ‚Ich will spielen! Ich will spielen!‘, und sein Vater sagte: ‚Hör auf, Kylian. Du siehst doch, dass es nicht geht.‘ Nach einer Weile meinte ich zu seinem Vater: ‚Komm, Wil, lass ihn spielen.‘ Also machte er mit. Er war fünf! Er fing an, den Ball zu dreschen, und wir lachten! Natürlich war er deutlich langsamer als die anderen, aber er hatte eine besondere Qualität, er konnte den Ball auf eine Weise schießen, die unglaublich war. Auch die Torhüter konnten es nicht fassen. Sie fragten: ‚Wer ist der kleine Kerl?‘ Ich murmelte nur immer wieder vor mich hin: ‚Oulala, Oulala‘.“

Ein Ausruf, der bald allenthalben zu hören war, als Kylian mit sechs schließlich bei der AS Bondy angemeldet wurde. Sein erster Trainer war sein Vater, ein Mann, den Airouche als „großzügig, fleißig und fair“ beschreibt. „So wie seine Frau, Fayza. Ich kann an die beiden nur als Paar denken, denn sie sind wie die beiden Hälften eines Ganzen. Alles Gute, was sie für ihre eigenen Kinder taten, taten sie auch für die Kinder hier im Klub. Sie machten da nie einen Unterschied. Fayza sagte z. B. oft zu mir: ‚Wenn ich ein Haus kaufe, möchte ich einen großen Fußballplatz haben, damit alle Kleinen aus dem Verein kommen und bei uns spielen können.‘ Auch jetzt noch, da sie nach Paris gezogen sind, sind wir weiter in Kontakt. Wann immer ich mit ihnen spreche, sagen sie mir hundertmal: ‚Athmane, du weißt, dass wir immer da sind, wenn du etwas brauchst für den Klub.‘ Sie sind außergewöhnlich großzügig. Und vergessen Sie nicht, dass dank Kylian alle Kinder in unserem Verein von Nike ausgestattet werden.“

Aber wie ging Wilfrid als Trainer mit seinem Sohn um?

„Er begünstigte ihn ganz und gar nicht. Er hatte keinerlei Hemmungen, Kylian die Leviten zu lesen, wenn es zu seinem Besten war und um zu zeigen, dass es keine Bevorzugung gab. Er war hart, aber er ging mit den anderen Kindern genauso um. Man spürte, dass er Trainer durch und durch war und es liebte, ein Teil des Vereins zu sein“, erzählt der Vater eines Jungen, der mit Kylian spielte. Und was war der zukünftige PSG-Star für ein Typ?

„Ein Kind wie jedes andere, das davon träumt, Fußballer zu werden, nur dass es Qualitäten hatte, die die anderen nicht hatten“, sagt Airouche.

„Er war besser als die anderen, schneller als die anderen, und er machte schwierigere Dinge als die anderen“, meint Antonio Riccardi. „Und er machte sie in jedem Spiel. Er war zehnmal, zwanzigmal, hundertmal besser als die anderen. Es war wirklich außergewöhnlich.“

Riccardi ist seit zwölf Jahren bei der AS Bondy, zunächst als Spieler und heute als Leiter der U15. Er hat soeben das Training beendet und erinnert sich, in einem kleinen Verschlag in der Kabine sitzend, in der seine Kids ein- und ausgehen, an die Zeit, als er anfing, Kylian zu trainieren. „Ich kenne ihn, seitdem er ein Baby war, denn Wilfrid ist für mich wie ein zweiter Vater: Er bildete mich zum Spieler und zum Trainer aus. Ich erinnere mich, wie Kylian mit vier Jahren, die Hand auf der Brust, die ‚Marseillaise‘ sang und wie er einem, mit sechs oder sieben, erzählte, man solle sich keine Gedanken machen, eines Tages werde er bei der WM für die Nationalmannschaft spielen.“

„Stimmt, das sagte er ständig in dem Alter“, erinnert sich ein anderer früherer Mitspieler. „Er wollte den Ballon d’Or gewinnen, Profi werden und für Real spielen. Wir meinten, er solle die Klappe halten!“

„Man musste einfach schmunzeln, wenn er so ernsthaft seine Zukunft plante: erst Clairefontaine, dann Rennes, so wie sein Bruder Jirès Kembo, dann Frankreich und Madrid. Wir dachten, er sei bloß ein Träumer“, sagt Riccardi. Aber auf dem Platz zeigte der Junge aus der Allée des Lilas, dass er viel mehr war als das.

Suner sagt: „Ich betreute ihn ein Jahr lang, als er oberhalb seiner Altersklasse in der U10 spielte. Im Training sah man gleich, dass er eine gewisse technische Leichtigkeit mitbrachte. Wir wussten, dass er es weit bringen würde, sofern es körperlich keine Schwierigkeiten gäbe. In der U7 war er ganze vier Monate, danach spielte er stets über seiner Altersklasse, mit Kindern der Jahrgänge 1997 und sogar 1996. Weil sein Geburtstag auf das Jahresende fiel, spielte er praktisch gegen Jungs, die drei Jahre älter waren als er.“