Mein Chef ist eine Frau - Juliane Gringer - E-Book

Mein Chef ist eine Frau E-Book

Juliane Gringer

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Beschreibung

In 'Mein Chef ist eine Frau' berichten Frauen und Männer darüber, wie sie mit ihrer Chefin auskommen, was weibliche Führungskräfte sympathisch macht und was nicht, welche Schwierigkeiten es im Umgang mit ihnen gibt und wo sie gravierende Fehler machen. Aber auch die Chefinnen selbst kommen zu Wort: Wie haben sie sich gegen ihre männlichen Kollegen behauptet, wie erleben sie sich selbst als Boss und wann spielt ihr Geschlecht im Beruf tatsächlich eine Rolle? Wollen Frauen überhaupt Macht? Sind Männer für sie Konkurrenten oder bilden sie gemeinsam Netzwerke? Juliane Gringer hat in 24 Porträts Erfahrungen zwischen 'gläserner Decke' und weiblichen Führungsqualitäten dokumentiert. Da ist zum Beispiel Christiane, deren Chefin klar, strukturiert und klug agiert und ihr den Freiraum gibt, den sie sich in ihrem Job wünscht. Cholerisch und zickig hingegen ist die Chefin von Holger. Der 36-Jährige arbeitet in einem mittelständischen Unternehmen im Bergischen Land. Seine Vorgesetzte ist für ihn eine Plage, er sagt: 'Ein Mann in dieser Position wäre viel unkomplizierter.'

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Seitenzahl: 307

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Juliane Gringer

MEIN CHEF IST EINE FRAU

Erfahrungsberichte über die weibliche Seite der Macht

INHALT

Es gibt keinen Erfolg ohne Frauen.

KURT TUCHOLSKY

Vorwort

»Frauen sind schlechte Chefs. Männer auch.«

Andersherum kann man es genauso sagen: Frauen können tolle Chefs sein. Männer auch. Warum scheint es dann immer noch ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Männer auf dem Karriereweg Vorrang haben und dass auf dem kühlen Leder der Chefsessel dieser Republik meist männliche Geschlechtsteile ruhen?

Deutschland im Jahr 2011: Ministerinnen fordern Frauenquoten und werden von Dax-Konzernen mit halbherzigen Versprechungen abgespeist. Feministinnen werfen ihren Geschlechtsgenossinnen vor, dass sie ihre Freiheit und Bildung vergeuden und sich den Männern unterwerfen, statt sich im Beruf selbst zu verwirklichen. Gleichzeitig werden viele Frauen, die nach oben wollen, sehr unsanft von der sogenannten »gläsernen Decke« gestoppt – der unsichtbaren Grenze, die Frauen auffallend häufig von den wirklich hohen Positionen in der Geschäftswelt fernhält. Klar, die Bundeskanzlerin ist eine Frau! Aber: Auf den oberen Stufen der Karriereleiter machen sich nach wie vor die Kerle breit. Eine Frau als Chef – das ist für Arbeitnehmer in deutschen Firmen noch lange nicht das gewohnte Bild.

Die Zahlen sind verheerend: Gut die Hälfte der deutschen Bevölkerung ist weiblich. Bei den zweihundert größten Unternehmen Deutschlands liegt der Frauenanteil in den Vorständen jedoch bei nur 3,2 Prozent, also bei 29 von 906 Posten.‹ Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V., Wochenbericht 3/2011› Rund 3.700 Euro stehen bei weiblichen Führungskräften auf dem Gehaltszettel, statt 4.900 Euro bei den Männern. Ein Viertel weniger also: die »Gender Pay Gap«.‹ Berechnungen des DIW Berlin auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP)› In den sogenannten »Frauenberufen« werden Führungskräfte vergleichsweise sogar noch schlechter bezahlt. Es sei denn, sie sind Männer: Ein Chef in einem Frauenberuf verdient etwa 1.500 Euro mehr im Monat als eine Chefin in einem Frauenberuf. Mit Differenzen in der Qualifikation lässt sich das kaum erklären, sondern nur mit der Verbreitung von Geschlechterstereotypen und schlechten gesellschaftlichen und kulturellen Rahmenbedingungen.‹ Nach Aussagen von Elke Holst, DIW-Gender-Ökonomin ›

Solche Fakten sind bizarr, ungerecht und passen längst nicht mehr in unsere Zeit.

»Biologie mag Schicksal sein – alles Weitere nicht«, sagt die Journalistin Bascha Mika‹ Bascha Mika: Die Feigheit der Frauen: Rollenfallen und Geiselmentalität. Eine Streitschrift wider den Selbstbetrug. 2011, C. Bertelsmann.› und macht Hoffnung, dass sich an diesen Zahlen etwas ändern kann, und zwar auch aus eigenem Antrieb der Frauen.

Dieses Buch soll sehr persönliche Blicke dahin erlauben, wo Frauen bereits führen – und damit vor allem zeigen, welches Potenzial in einer weiblich geprägten Chefetage steckt. Denn natürlich gibt es sie: weibliche Führungskräfte, die sich durchgesetzt haben – mit Kompetenz, Selbstbewusstsein und manchmal sicher auch einem Quäntchen Glück. Sie führen eine Handvoll Mitarbeiter oder Tausende. Sie wollten schon immer Karriere machen oder sind durch Zufall in diese besondere Verantwortung hineingerutscht. Sie haben sich für Karriere und Familie entschieden – oder für Karriere statt Familie. Ich bin quer durch Deutschland gereist, habe acht von ihnen getroffen und ausführlich mit ihnen gesprochen.

Und ich habe 16 Menschen kennengelernt, die sagen können: »Mein Chef ist eine Frau.« Dabei habe ich es all meinen Interviewpartnern, denen ich an dieser Stelle ausdrücklich für ihr Interesse an dem Thema, ihre Zeit und ihr Engagement danken will, nicht einfach gemacht. Mit einem banalen »Ja, meine Chefin ist halt manchmal ganz schön zickig« oder »Sie ist toll!« habe ich sie nicht davonkommen lassen. Sie sollten schon ganz genau erzählen, wie sie ihre Chefinnen sehen und wie diese Frauen führen, was sie gut machen und was schlecht. Ich bat sie auch um eine Einschätzung, was all das vielleicht mit dem Geschlecht zu tun haben könnte – oder auch nicht.

Damit sie völlig frei sprechen konnten, haben mich einige meiner Interviewpartner darum gebeten, ihren richtigen Namen nicht zu nennen und auch nicht zu erwähnen, wer ihr Arbeitgeber ist. Diesem Wunsch bin ich selbstverständlich nachgekommen und habe diese Porträts entsprechend gekennzeichnet.

Die acht Chefinnen, die in diesem Buch zu Wort kommen, habe ich gefragt, warum sie Karriere machen, wie sie aufgestiegen sind und wie sie sich dabei gegen männliche Konkurrenten durchgesetzt haben. Wollen Frauen überhaupt Macht besitzen und ausüben? Wenn ja: Wie leben sie sie aus? Wie erleben sie sich selbst als Chefin und wann spielt ihr Geschlecht für sie persönlich im Beruf eine Rolle? Über all diese Aspekte haben sie mit mir gesprochen.

Ich bin als freie Journalistin in erster Linie meine eigene Chefin. Manchmal arbeite aber auch ich mit jemandem zusammen, der für mich eine Chefposition innehat. Wie viel »Chef« ich also genau in meiner täglichen Arbeit erlebe, kommt ganz darauf an, wie stark die jeweilige Redaktion mich einbindet. Deshalb war ich sehr gespannt darauf, durch die Interviews so tiefe Einblicke in verschiedene Firmen, Positionen und Sichtweisen zu bekommen.

In diesem Buch gebe ich sehr persönliche und individuelle Ansichten wieder. Man kann durch die Porträts nicht auf »die Chefin als solche« schließen, es ergibt sich daraus kein Prototyp, anhand dessen man beurteilen könnte, ob Frauen Chefposten besser ausfüllen, ob sie sie »verdienen« oder nicht – aber darum geht es mir auch gar nicht, sondern vielmehr darum, konkrete Bilder von Frauen in Führungspositionen zu zeichnen, und zwar aus verschiedenen Perspektiven.

Die Berichte zeigen, wie unterschiedlich Frauen im Beruf agieren. Es werden sehr verschiedene Typen porträtiert: von der charismatischen Führungspersönlichkeit bis zum inkompetenten Weichei. Denn letztlich ist es keine Frage des Geschlechts, wie jemand seinen Beruf ausübt, sondern eine Frage des Charakters. Das war auch das häufigste Statement, das ich zu diesem Thema gehört habe: »Mir ist es völlig egal, ob mein Chef ein Mann oder eine Frau ist.« Doch so egal kann es auch wieder nicht sein. Denn es gibt Unterschiede zwischen den Geschlechtern und es gibt Unterschiede zwischen Chef und Chefin.

Wir werden uns wohl genauso von bestimmten Klischees in Bezug auf Mann und Frau nie komplett frei machen können: Nicht nur andere beurteilen wir anhand von Stereotypen, wir haben auch noch Klischeevorstellungen darüber, wie wir selbst als Frau oder Mann handeln sollten. Insbesondere in der Arbeitswelt kommen noch unsere beschränkten Erfahrungswerte mit Frauen hinzu: Weibliche Chefs werden grundsätzlich anders wahrgenommen, schon weil der männliche Chef noch immer die Norm ist (wenn auch nicht in allen Branchen). Und alles, was von der Norm abweicht, fällt uns auf, wir schenken ihm mehr Aufmerksamkeit und stellen es eher infrage.

Als Chefin steht man deshalb unter besonderer Beobachtung. Das fängt damit an, dass bei Frauen oft daran gezweifelt wird, ob ihr Aufstieg berechtigt war. Wer denkt bei dem zotigen Witz von der Besetzungscouch schon an einen Mann, der sich lasziv auf dem Sofa rekelt, um an einen Job zu kommen? Chefinnen werden bestimmte Verhaltensweisen zudem schnell als »typisch weiblich« ausgelegt – wie angebliche Zickigkeit oder Naivität. Und auch was ihr Erscheinungsbild angeht, hat man sie deutlich stärker im Blick: Sie müssen sich gefallen lassen, dass sie mehr nach Äußerlichkeiten beurteilt werden als ihre männlichen Kollegen. Für Frauen heißt es, die Gratwanderung zwischen zu herb und zu weiblich, zwischen aggressiver Kompetenzdemonstration und betonter Harmlosigkeit zu meistern. Ich bin mir vollkommen darüber im Klaren, dass dieses Buch sich von solcherlei Beurteilungen nicht frei machen kann – schließlich habe ich die Mitarbeiter explizit nach ihrer Meinung über ihre Chefinnen gefragt. Das Buch schaut hin und urteilt, es bedient sich subjektiver Eindrücke und teilweise sicherlich auch Klischees. Aber es bleibt nicht an der Oberfläche, sondern geht tief in das Thema hinein.

Es gibt letztlich viel Positives zu berichten von den weiblichen Qualitäten, die im Beruf zum Tragen kommen – ganz besonders in Führungspositionen. Es sind Eigenschaften, die Frauen in vielen Momenten zu den besseren Männern machen. Und deshalb sollte es auch viel mehr Menschen geben, die sagen können:

»Mein Chef ist eine Frau!«

Juliane Gringer

»Es kommt nur auf die Kompetenz an«

Die verlässliche Partnerin

MATTHIAS ALGER (31),‹ Name geändert› Key-Account-Manager eines Automobilherstellers, Berlin, über seine Chefin

»Dieses Buch muss eigentlich nicht geschrieben werden«, sagt Matthias, als ich ihn in seiner Mittagspause in einem Restaurant im Herzen Berlins treffe. Er kann sich nicht erinnern, es je infrage gestellt zu haben, dass eine Frau eine fähige Führungskraft abgibt. Sein Chef ist weiblich. »Es kommt immer auf die Kompetenz an«, betont er mehrmals. Aber ist es wirklich so einfach?

Kirsten ist schon zum zweiten Mal meine Chefin. Als ich nach dem Studium hier im Unternehmen angefangen habe, hat sie das Schwesterteam meiner damaligen Abteilung geleitet. Mein Chef ging dann weg und sie hat vorübergehend die Verantwortung übernommen – das war das erste Mal, dass ich sie als Chefin erlebt habe. Als ich dann in eine andere Abteilung gewechselt bin und in den Verkauf kam, folgte sie mir ein Dreivierteljahr später auch dorthin, als Abteilungsleiterin.

Für Kirsten wie für mich war der Wechsel in die neue Abteilung ein Wechsel aus der Zahlenwelt in die Verkaufswelt. Unser Aufgabengebiet kann man auf folgende Art zusammenfassen: Wir treffen strategische Entscheidungen. Man sagt auch: Controlling ist schwarz-weiß, Verkauf ist bunt. Während wir uns vorher mit den reinen Zahlen beschäftigt haben, sagen wir nun auch, was man daraus lesen kann. Und wir müssen strategische Entscheidungen in operatives Handeln übersetzen. Ich habe selten jemanden gesehen, der sich so schnell so tief in neue Prozesse einarbeiten kann wie Kirsten. Und in den ersten Monaten musste sie ja auch noch den vollen Terminkalender ihres Vorgängers übernehmen – sie war also anfangs sehr fremdbestimmt. Damit ist sie jedoch ganz gelassen umgegangen.

Die neue Stelle ist eine tolle Chance für mich und die Arbeit macht mir großen Spaß. Gleichzeitig war der Übergang natürlich auch eine große Herausforderung – für mich genauso wie für Kirsten. Sie hatte zudem nicht gerade lange Zeit, sich auf die neue Aufgabe vorzubereiten. Alles ging sehr schnell, sie wurde quasi ins kalte Wasser geworfen und musste von heute auf morgen eine andere Herangehensweise an ein Thema umsetzen und ein neues Team anführen. Aber sie hat das sehr gut gemeistert und kompetent und professionell umgesetzt. Sie hat auch eine sehr gute Sekretärin an der Seite, die ihr den Rücken freihält. Manchmal helfen ja ganz banale Sachen: Wenn ein Meeting arg überzogen wird, geht die Sekretärin schon mal hinein und weist dezent auf die Verspätung hin. Damit alles im Zeitplan bleibt und Kirsten die Chance hat, ihr Tagespensum zu schaffen. Und trotz aller Termine und neuer Aufgaben hat meine Chefin sich immer die Zeit genommen, für uns Mitarbeiter ansprechbar zu sein. Das ist bis heute so.

Ich bin sehr viel unterwegs. Ich bin als Key-Account-Manager im Vertrieb angestellt. Ungefähr die Hälfte des Monats bin ich draußen und besuche unsere Kunden. Im vergangenen Jahr bin ich 80.000 Kilometer gefahren. Ich betreue zwei große Regionen. Dazu gehören Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Im Saarland bin ich aufgewachsen, da kenne ich mich gut aus und bin immer gern da. Obwohl ich also oft nicht im Berliner Büro bin, stehen Kirsten und ich in Kontakt, wenn es nötig ist. Es ist genau richtig so.

Kirsten arbeitet viel. Sie zieht sich dabei sicher ein größeres Pensum auf den Tisch, als sie müsste. Aber sie kann auch sehr gut delegieren, kann loslassen. Dabei versteht sie es sehr gut, Mitarbeiter zu führen. Dazu muss man tough sein. Das ist sie. Ein klares Ja fällt ihr genauso leicht wie ein klares Nein. Und sie ist angenehm und persönlich. Kirsten gibt jedem das Gefühl, dass er wichtig für die Firma ist und dass sie seine Arbeit schätzt. Ich habe noch nie zuvor so viel Vertrauen zu mir gespürt.

Ich hatte vorher schon gut mit ihr zusammengearbeitet und deshalb habe ich mich gefreut, als ich erfahren habe, dass sie zu uns ins Team wechselt. Ich habe ihr auch einiges zu verdanken. Sie hatte sich dafür stark gemacht, dass ich an meine jetzige Position komme. Obwohl sie damals selbst noch nicht in der Abteilung war und nicht davon profitiert hat, setzte sie sich für mich ein. Das würde nicht jeder tun.

Weil ich schon einige Zeit länger in unserer Abteilung gearbeitet hatte, als sie dazukam, konnte sie mich als Ansprechpartner nutzen. Vielleicht haben wir auch deshalb ein so gutes Verhältnis. Ich würde es nicht als freundschaftlich bezeichnen, aber ich habe sie zum Beispiel zu meinem dreißigsten Geburtstag eingeladen und sie kam auch tatsächlich auf die Feier. Bei anderen Kollegen hätte sie das vielleicht nicht gemacht. Die meisten hätten sie aber wahrscheinlich auch nicht eingeladen. Wir haben uns von Anfang an bestens verstanden. Man könnte sagen, wir sprechen die gleiche Sprache. Und das erleichtert natürlich vieles.

Was ich auffällig finde: Kirsten führt nicht hierarchisch. Sie setzt auf flache Hierarchien, hört sich an, was ihre Mitarbeiter zu sagen haben und vertraut dann deren Urteilen auch. Das ist für mich ihre wichtigste Eigenschaft in ihrer Rolle als Führungskraft. Wenn der Verkaufsleiter eines Autohauses bei ihr anruft, sie aber erfährt, dass er vorher schon mit mir über sein Anliegen gesprochen hat, dann sagt sie ihm: »Sprechen Sie ruhig weiterhin mit meinem Kollegen darüber, der kann das entscheiden.« Sie lässt also jedem seinen Arbeitsbereich und verteidigt das auch nach außen. Auch ihr persönlicher Umgang mit den Mitarbeitern zeugt immer von gegenseitiger Achtung und Wertschätzung. Sie gibt uns auch dann ein Feedback, wenn sie nicht danach gefragt wurde. Man könnte sie »Mutter der Kompanie« nennen. Sie hält das Team zusammen und kümmert sich um alle. Vielleicht ist das nicht wichtig, sie gibt einem damit aber auf jeden Fall ein besseres Gefühl.

Und: Sie duzt alle Mitarbeiter. Das kann auch Nachteile haben, aber ich finde es sehr angenehm. Und sie verliert ihre Autorität dabei nicht. Wobei Autorität für mich auch kein rein männliches Hoheitsgebiet ist. Es ist vielmehr eine Sache der Persönlichkeit. Kirsten versteht es, dominant aufzutreten. Man könnte es so beschreiben: Sie ist kernig, aber sie trägt so gut wie immer einen Rock.

Für mich unterscheiden sich männliche und weibliche Chefs grundsätzlich erst mal gar nicht. Frauen haben nur unbestritten ein besseres Gespür für Kommunikation und Information. Wobei mir auffällt, dass ich den Begriff »Eloquenz« komischerweise trotzdem mit Männern verbinde. Mir ist bewusst, dass Frauen eigentlich redegewandter sind. Aber Männer treten lauter auf, auch wenn sie nicht unbedingt mehr zu sagen haben. Da kommt oft nur heiße Luft, doch sie verkaufen sich besser, bleiben deshalb eher in Erinnerung. Klar, es gibt viele Männer in Chefpositionen, die es nicht verdient haben.

Ich bin überzeugt, dass eine Frau heute immer noch mehr leisten muss als ein Mann, um das gleiche Maß an Anerkennung zu bekommen. Das ist sicher unfair, aber so sind die Dinge eben. Da kann wohl nur jeder einzeln für sich hinterfragen, wie er mit dem Thema umgeht, welche Vorbehalte er hat und ob er die aus der Welt räumen will und kann. Wie gesagt, für mich sind weibliche Führungskräfte völlig selbstverständlich. Es ist etwas, das man heute nicht mehr infrage stellen muss. Es geht um Kompetenz – nicht mehr und nicht weniger.

Nun muss ich aber auch sagen, wenn ich entscheiden müsste und zwei Bewerber vor mir säßen: ein Mann und eine Frau, beide um die dreißig Jahre alt, gleich ausgebildet, beide mit derselben Qualifikation und beide wären mir gleich sympathisch … Dann würde ich, ganz ehrlich, den Mann vorziehen, weil die Frau ziemlich wahrscheinlich bald auf Grund der Familienplanung ausfallen würde. Das sind dann rein wirtschaftliche Gründe.

Ich denke aber auch, dass längst nicht alle Frauen überhaupt in diesen Konflikt kommen. Frauen sind einfach immer noch deutlich weniger karriereorientiert als Männer. So erlebe ich es zumindest immer wieder in meinem persönlichen Bekanntenkreis. Wer eine Studienrichtung studiert, bei der klar ist, dass es dafür kaum Jobchancen gibt, ist ja wohl kaum besonders ehrgeizig, was eine steile Karriere angeht. Als ich BWL studiert habe, saßen aber mehr Frauen als Männer im Hörsaal. Vielleicht ändert sich auch bald etwas.

*

Matthias erlebt mit Kirsten eine kompetente Chefin – und weiß das zu schätzen, sagt er. Er sagt auch, dass es für ihn selbstverständlich sei, dass Frauen im Berufsleben gleichberechtigt sind. Aber dann ist ihm das »Risiko Frau« doch zu groß, als dass er eine einstellen würde, die im Verdacht steht, demnächst eine Familie zu gründen. Das finde ich heftig. Mir wird einmal mehr bewusst, wie tief dieses Vorurteil wirklich sitzt – auch bei Leuten, die im Beruf sonst kaum mehr über Geschlechterfragen nachdenken. Und schließlich gibt es in großen Unternehmen wie einem, in dem Matthias arbeitet, Arbeitszeitmodelle, in denen Frauen, die Kinder bekommen, kein wirtschaftliches Risiko darstellen, das man meiden muss. Ich frage mich, wie man das dem Einzelnen so vermitteln kann, dass er es wirklich verinnerlicht und auch »glaubt«. Menschen entscheiden, wer einen Job bekommt – nicht immer nur Männer! –, und die haben Vorbehalte gegenüber Frauen im sogenannten »gebärfähigen Alter«. Wie kann man dem begegnen?

» … als wenn sie Götter wären«

Die kommunikative Soziale

ULRIKE WIESE (43), Inhaberin von »estilo – Herrenmode und Stickerei«, Berlin

»Wollen Sie da schnell mal reinschlüpfen?«, fragt die Mitarbeiterin bei dem Herrenausstatter »estilo« einen Kunden ganz charmant und hält ihm den grünen Pullover so hin, dass er nur zugreifen muss. Der Mann ist mit seiner Ehefrau gekommen und man sieht ihm sofort an, dass er kein Interesse am Shoppen und keine Lust auf eine aufwendige Anprobe hat. Etwas Warmes für den Herbst muss her, das ist alles. »Schnell mal reinschlüpfen« ist da genau die richtige Formulierung. Männer kaufen anders als Frauen. Aber Frauen wissen offenbar, wie man Männer »anpacken« muss. Ich bin gespannt auf die Chefin dieses Ladens. Wie packt sie ihre Mitarbeiter an?

Für mich gibt es nur Entweder-oder – ich mache etwas richtig oder ich lasse es gleich sein. Das heißt auch: Wenn ich mir etwas in den Kopf setze, dann muss es auch so laufen, wie ich es mir vorgestellt habe. Selbstständig wollte ich mich schon immer machen. Ich habe Maßschneiderin gelernt und dann 1991 gleich mein erstes eigenes Geschäft eröffnet: ein Änderungsatelier mit einer Stickerei. Die Räume waren recht groß, also habe ich bald entschieden, dass ich dort auch Damensachen verkaufe. Inzwischen bin ich auf Herrenmode spezialisiert und führe seit zwölf Jahren einen Herrenausstatter in einer Ladenpassage in Berlin-Pankow.

Chefin sein und Mitarbeiter führen: Das wollte ich so nie, ich wollte es eigentlich ganz alleine machen. Aber dann habe ich die erste Mitarbeiterin eingestellt und einen Azubi und es hat sich so weiterentwickelt. Mein zweites Geschäft war knapp 200 Quadratmeter groß. Ich habe gemerkt: Einkauf, Buchhaltung, Verkauf – das schaffst du nicht alles alleine. Inzwischen habe ich vier fest angestellte Mitarbeiter: drei Frauen und einen Mann. Außerdem bilde ich seit Kurzem einen jungen Mann zum Einzelhandelskaufmann aus.

Frauen, die in eine Führungsposition wollen, kann ich sagen: Man sollte dafür geboren sein. Ich bin nicht die geborene Unternehmerin. Deshalb habe ich mich am Anfang sehr schwergetan. Für mich allein konnte ich alles gut regeln. Aber Personal zu führen, das war nicht einfach. Das muss man lernen. Und man lernt es nur in der Praxis. Jeder Mitarbeiter ist anders, ich lerne heute noch jeden Tag mit jedem dazu: Der eine braucht mehr Fürsorge, der andere gar keine. In dem Sinne habe ich als Chefin auch eine soziale Aufgabe. Ich meine, das ist noch wichtiger als das Gehalt.

Ein Unternehmen zu führen – wie fühlt sich das an? Auf jeden Fall bedeutet es sehr viel Arbeit, es ist wirklich anstrengend. Manchmal werde ich fast irre vor lauter Arbeit. Aber im Großen und Ganzen ist es sehr schön, ein tolles Gefühl. Es gibt natürlich immer harte Zeiten, zum Beispiel musste ich 200.000 D-Mark an Investitionen für die Ladenausstattung abzahlen. Das ist nun Geschichte und in den letzten Jahren ist auch alles gut gelaufen. Das macht mich ein Stück weit stolz.

Aber damals, mit den Schulden im Nacken, das waren schlimme Sorgen. Vor allem, weil es nicht nur mein Problem war, sondern weil meine Mitarbeiter und ihre Familien ebenfalls betroffen waren. Als Chefin habe ich eine Sorgfaltspflicht und die nehme ich sehr ernst. Manchmal vielleicht zu ernst: Meine größte Schwäche ist, dass ich zu sozial bin. Sicher ist das gleichzeitig auch eine Stärke, aber ich bin ja trotzdem noch Unternehmerin. Ich habe zum Beispiel gerade eine neue Mitarbeiterin eingestellt, die große private Probleme hat. Ich wollte ihr eine Chance geben. Aber dann war sie gleich ab dem zweiten Tag krankgeschrieben. Ein Mann wäre da als Chef definitiv härter, der würde ihr sofort kündigen. Vielleicht wäre eine andere Frau auch härter als ich in so einem Fall. Ich bin jedenfalls sehr zögerlich und will helfen und sie nicht im Stich lassen. Ich denke: Männer sind grundsätzlich konsequenter und schneller. Männer lassen sich nicht so lange so viel erzählen. Wir Frauen, wir verstehen immer noch eher, warum eine Mitarbeiterin so und so handelt: weil sie Familie hat, weil das Kind krank geworden ist, was auch immer … Ein Mann nimmt darauf in der Regel keine Rücksicht. Der sagt: »Du hast hier zu funktionieren.«

Meine verständnisvolle Art wird aber in der Regel auch nicht ausgenutzt. Ich will, dass meine Mitarbeiter wissen, dass sie mir vertrauen können. Ich finde es wichtig, dass man im Job auch über Probleme sprechen kann. Manchmal hilft das ja auch und es geht einem schon besser oder man ist sich danach darüber klar, wie man sich in einer bestimmten Sache entscheiden soll. Ich frage meine Kollegen oder Mitarbeiter auch bei vielen Dingen um Rat: Was würdet ihr machen? Wollen wir es so machen oder so? Ich erwarte, dass sie mich in meiner Arbeit unterstützen und mit mir zusammenarbeiten. Also versuche ich, mich auch ihnen gegenüber entsprechend zu verhalten. Zu den Orderterminen nehme ich zum Beispiel immer jemanden aus dem Laden mit. »Glaubst du, dass wir das Teil verkaufen?« Wenn eine Mitarbeiterin dann sagt: »Ja, auf jeden Fall«, ist das für mich eine Entscheidungshilfe.

Übers Geld reden wir aber auch. Ich finde es ganz wichtig, dass man da offen zu seinen Mitarbeitern ist – gerade in einem kleinen Unternehmen wie meinem. Wie sollen sie verstehen, dass die 30.000 Euro oder 40.000 Euro Umsatz im Monat nicht in meine Tasche wandern. Da muss ich erklären, dass das nicht mein Geld ist, sondern dass ich viele Kosten zu begleichen habe, nicht nur das Gehalt und die Miete. Und dass sie es mir nicht als Allüren auslegen, wenn ich einen Auftrag in Höhe von mehreren Tausend Euro an Land gezogen habe und jammere, dass es nur mehrere Tausend Euro sind. Das unternehmerische Denken, das ich haben muss, haben meine Mitarbeiter nicht und man kann es ihnen auch nicht vorwerfen. Ich glaube, die meisten Chefs machen das nicht und ihre Mitarbeiter können gar nicht verstehen, was im Unternehmen abläuft.

Wir setzen uns auch sonst wirklich im Team jeden Monat hin und schauen uns an, woran wir arbeiten müssen, aber auch, wer was gut gemacht hat und warum. Dass man mit seinen Mitarbeitern ganz offen spricht. Ich denke, dass es ihnen auch wichtig ist. Sonst arbeiten wir ja alle nur an unserem Schreibtisch stur vor uns hin.

Ich habe sehr genaue Vorstellungen davon, was einen guten Mitarbeiter ausmacht. Ich bin extrem enttäuscht, wenn jemand unpünktlich ist, und mir ist Ordnung sehr wichtig. Wir haben relativ wenig Platz im Laden. Wir haben nur wenige Möglichkeiten, dem Kunden etwas zu zeigen. Deshalb müssen die Flächen einfach ordentlich sein. Da bin ich hinterher. Ich habe gerade eine neue Kollegin eingearbeitet. Ich sage immer: »Wenn Sie etwas nicht verstanden haben oder unsicher sind, fragen Sie mich! Haben Sie keine Scheu, fragen Sie mich zehnmal, fragen Sie mich zwanzigmal das Gleiche. Ich erkläre es Ihnen gern auch noch das einundzwanzigste Mal.« Jeder hat irgendwo angefangen.

Ich glaube, ich führe meine Mitarbeiter sehr gut durchs Leben. Meine Azubis haben alle einen sehr guten Abschluss mit Eins oder Zwei gemacht. Und sie haben alle ihren Weg gefunden. Gerade habe ich einen jungen Mann in die Selbstständigkeit entlassen. Ich habe ihn sehr darin bestärkt, eine eigene Existenz aufzubauen. Es ist ja auch so: Man arbeitet nicht nur mit den Angestellten, man verbringt zwölf Stunden am Tag miteinander – man lebt ja eigentlich fast zusammen. Das Geschäft ist jeden Tag von 9:30 Uhr bis 20 Uhr geöffnet. Und so lange bin ich auch mindestens hier, auch an den Samstagen.

Ich arbeite sechzig bis siebzig Stunden die Woche. Seit zwanzig Jahren. Ich finde das aber nicht schlimm, weil ich es so gewohnt bin. Natürlich möchte man sich manchmal mit Freundinnen treffen und einfach mal einen Nachmittag im Café sitzen, aber es geht eben nicht. Die meisten meiner Freunde sind auch selbstständig oder in einer leitenden Position und sie kennen alle diese Probleme. Wir treffen uns dann am Samstagabend oder am Sonntag zum Brunch. Oder wir telefonieren. Ganz einfach ist das natürlich nicht, sich da täglich durch so ein enormes Arbeitspensum zu kämpfen. Ich bewundere andere, die dabei immer cool und entspannt bleiben. Das bin ich manchmal nicht. Dann habe ich schon mal meinen irren Arbeitsblick drauf.

Mein Mann arbeitet ähnlich viel wie ich. Wir kennen uns seit 23 Jahren, er hat die ganze Entwicklung meiner Firma miterlebt. Dadurch hat er auch ganz ganz viel Verständnis. Wenn ich ihn später kennengelernt hätte: Ich weiß nicht, ob er meine Entscheidungen dann immer verstehen würde. Zum Beispiel, wenn ich einen freien Tag canceln muss, weil jemand krank geworden ist. Das versteht er. Ich arbeite jeden Samstag. Uns bleibt immer nur der Sonntag. Das ist wahrscheinlich auch nicht immer einfach für ihn. Unser Familienleben kommt zu kurz. Wir haben keine Kinder. Ich wollte immer mindestens zwei Kinder, aber leider ist dieser Wunsch nicht in Erfüllung gegangen. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich zu viel gearbeitet, mir zu viel zugemutet habe. Das ist ein Punkt: Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte um zehn Jahre, dann würde ich das anders machen. Vielleicht würde ich sogar alles aufgeben für die Familie. Wir sind jetzt beide 43 und möchten Pflegekinder aufnehmen. Diese Entscheidung – Karriere oder Kind –, die müssen Männer nicht treffen. Sie kriegen Kinder oder vielleicht auch nicht und wenn, dann spielt für sie das Alter dabei so gut wie keine Rolle. Für uns Frauen ist das anders. Und wenn wir Kinder bekommen, dann ist die Frage, wie wir ihnen gerecht werden können, ob wir genug Zeit für sie haben.

Ich glaube, dass ich als Unternehmerin mit der Zeit viel Selbstvertrauen gewonnen habe. Ich kenne meine Stärken. Und wenn ich Hilfe brauche, suche ich mir Unterstützung. Ich habe mich einer sogenannten »Erfa-Gruppe« angeschlossen – einer Gruppe zum Erfahrungsaustausch, in der ich mich mit anderen Einzelhändlern austausche. Man wird ja in gewisser Weise auch betriebsblind, deshalb finde ich das sehr hilfreich. Die Mitglieder der Gruppe haben Läden in ganz Norddeutschland, es sind alles inhabergeführte Herrenfachgeschäfte, alle haben viele Mitarbeiter. Der Austausch geht so weit, dass wir jeden Monat unsere Umsätze durchgeben und Angaben darüber, wie viele Kunden wir jeweils hatten, wie viel jeder Kunde im Durchschnitt ausgegeben hat, wie viele Teile er gekauft hat und so weiter. Da kann man sich gut mit anderen messen. Wir haben einen Coach – einen Unternehmensberater – und wir treffen uns vier- bis fünfmal im Jahr, fahren jedes Mal zu einem anderen Mitglied der Gruppe und schauen uns den Laden an.

Ich bin sehr gut organisiert. Das geht auch gar nicht anders. Ich mache Pläne, was ich den Tag über mache, die Woche über und den ganzen Monat. Daran halte ich mich dann ganz strikt und arbeite alles Stück für Stück ab. Viele sagen, sie brauchen so etwas nicht oder solche Vorgaben setzen sie sogar unter Druck. Ich fühle mich aber viel besser, wenn alles durchgeplant ist. Sonst werde ich schnell unzufrieden, weil ich dann das Gefühl habe, nichts zu schaffen. Ich achte auch darauf, dass ich mich strikt an meinen Plan halte, mich nicht zwischendurch irgendwo in Gesprächen verstricke oder mich auf andere Weise ablenken lasse. Vielleicht ist das auch etwas, das Frauen eher machen müssen. Die Freundinnen von mir, die auch selbstständig sind, müssen alle mehr planen als die Männer.

Ich schreibe keine Listen, ich habe alles im Kopf. Zum Beispiel weiß ich jetzt schon, dass ich kommenden Montag gleich früh die Buchhaltung machen werde und danach schnell mit dem Staubsauger durch die eigene Wohnung gehen muss, bevor ich zur Arbeit gehe. Wenn ich etwas nicht erledige, dann bleibt es liegen und ich muss es am nächsten Tag machen. Ich würde mich auch lieber öfter mit einem Buch auf die Couch setzen. Aber das geht eben nicht. Auszeiten plane ich trotzdem ein. Ich hatte zum Beispiel diese Woche drei sehr anstrengende Tage. Dann nehme ich mir auch mal einen Vormittag frei. Das muss man machen, sonst ist man dem Burn-out ganz schnell sehr nah. Wir schlittern ja irgendwie alle immer gerade am Rande zum Ausgebranntsein entlang – egal in welcher Branche und als Chefin sowieso.

Man denkt immer über das Geschäft nach, auch nachts. Das ist einer der Nachteile. Ansonsten mache ich meinen Beruf sehr gern. Ich mag den Kontakt zu den Kunden und arbeite gern mit meinen Mitarbeitern zusammen. Konflikte haben wir zum Glück nur sehr selten im Team. Es kommt natürlich vor, dass jemand schnippisch wird oder rumzickt. Aber ich finde, das muss man jedem auch zugestehen, dass er mal einen schlechten Tag haben darf. Wenn das nur ab und zu vorkommt, sage ich nichts. Wenn es aber häufig vorkommt, dass ein Mitarbeiter schlechte Stimmung verbreitet, nehme ich mir denjenigen oder diejenige natürlich vor. Dann führe ich ein Gespräch unter vier Augen. Das war gerade bei einer Kollegin der Fall. Sie wirkte über längere Zeit sehr angespannt und war immer schnell eingeschnappt, während sie selbst aber gut austeilen konnte. Ich habe sie gefragt, ob ich sie vielleicht überfordere und ihr zu viele Aufgaben übertrage. Sie hat sich hingesetzt, darüber nachgedacht und festgestellt, dass sie wirklich unzufrieden ist und sich deshalb beruflich verändern möchte. Das unterstütze ich dann auch und lege ihr keine Steine in den Weg.

In gewisser Weise habe ich als Chefin natürlich Macht, aber ich übe sie meinen Mitarbeitern gegenüber nicht aus. Ich würde das niemals ausspielen, nach dem Motto: Ich bin diejenige, die euch das Geld überweist. Vielleicht wäre das mit anderen Mitarbeitern anders. Ich werde von meinen Mitarbeitern als Chefin voll akzeptiert und da wir ein gemischtes Team sind, reißen sich die Frauen sicherlich auch mehr zusammen. Wenn man nur unter Frauen ist, geht es vielleicht manchmal ein bisschen zickiger zu. Denke ich mir jedenfalls. Aber nur Männer untereinander, das ist auch nicht gerade einfach.

Ich glaube nicht, dass Männer besser sind als Frauen, sie sind anders. Wir Frauen sind persönlicher und haben mehr Einfühlungsvermögen. Das bedeutet nicht, dass wir dadurch lascher sind. Wir sind genauso streng und ziehen unsere Dinge durch, aber Männer sind oft nicht diplomatisch genug. Sie hauen auf den Tisch und tun sich hervor, als ob sie Götter wären. Ich weiß nicht, ob sie deswegen schlechter sind. Sie sind bloß anders und ich würde es einfach als nicht so harmonisch empfinden. Frauen sind harmoniebedürftiger als Männer.

Ich treffe die Entscheidungen und kann mir meine Zeit selbst einteilen. Was die Entscheidungen betrifft: Kleine Sachen kann ich delegieren, aber große Entscheidungen muss ich selbst treffen. Die machen mir manchmal auch ein Stück weit Angst, aber man kann sich gut einarbeiten. Was die Zeiteinteilung angeht: Klar, ich habe ja schon gesagt, dass ich am Ende ständig in der Firma bin. Drei Wochen Urlaub kenne ich auch nicht. Zwei Wochen sind das Maximum. Die müssen aber auch sein, denn ansonsten hält man irgendwann nicht mehr durch. Das ist spürbar: Dann werden die Arbeitsschritte immer länger und das, was man am Tag schafft, wird immer weniger. Also man muss wirklich Ruhepausen einplanen. Das ist auch etwas, was ich als Chefin selbst organisieren muss. Bei meinen Mitarbeitern, da achte ich schon drauf, dass sie im Sommer wirklich drei Wochen am Stück frei machen, damit sie sich erholen können. Aber ich kenne das für mich nicht. Man nimmt die Arbeitszeit als Chefin jedoch anders wahr. Letztlich ist es ja sozusagen auch Freizeit, wenn ich hier im Laden bin. Es ist mein eigenes Ding.

Manchmal habe ich meinen Mitarbeitern gesagt: »Leute, ihr würdet euch umgucken, wenn ihr woanders arbeiten würdet.« Wenn Lehrlinge weggegangen sind und wir uns später wiedertreffen oder telefonieren, sagen sie meist: »Ich erinnere mich so oft an Ihren Satz und ich verstehe jetzt erst, was Sie meinen.« Und dann denke ich: Ja, ich habe es richtig gemacht. Manchmal höre ich eine Mitarbeiterin einem Kunden gegenüber sagen: »Meine Chefin, auf die lasse ich nichts kommen.« Das tut natürlich gut, das zu hören.

*

Wie die meisten Chefinnen, die ich interviewt habe, spricht Ulrike Wiese konzentriert und ruhig – nicht schüchtern, aber eben auch nicht unangenehm laut. Sie ist ein überlegter, scharfsinniger Mensch. Sie macht sich viele Gedanken – über sich, ihre Mitmenschen, das Miteinander und wie man die Dinge regeln muss, damit es allen möglichst gut geht. Das Grübeln mindert aber ihre Tatkraft nicht. Ich finde es sehr angenehm, sich mit solchen Menschen zu unterhalten. Weil sie Raum lassen für eigene Überlegungen – und für eine echte Diskussion. Sie überrennen einen nicht mit ihren Meinungen und Argumenten und ihrer Ich-weiß-schon-alles-Haltung, sondern sie inspirieren sogar und geben neue Impulse. Bei diesem Gespräch war für mich so ein Impuls die ERFA-Gruppe, in der sich Frau Wiese mit anderen austauscht, die im Job in der gleichen Situation sind wie sie. Ich selbst war bisher eher zurückhaltend, wenn ich mich mit anderen freien Journalisten über Aufträge und Honorare ausgetauscht habe. Vielleicht, denke ich jetzt, sollte ich mit Kollegen offener über vermeintliche »Interna« reden – weil alle davon profitieren und ich eventuell genau dort Unterstützung bekommen würde, wo ich gar nicht damit rechne.

»Es ist ein nettes Accessoire«

Die scheue Überforderte

DIRK RAUCH (47),‹ Name geändert› Angestellter einer Behörde, Frankfurt/Main über seine Chefin

It’s a Man’s World: Der 47-jährige Dirk aus Frankfurt muss in seinem Beruf vor allem Muskelkraft beweisen. Er schleppt täglich mehrere Zentner Akten von Büro zu Büro. Diese schwere körperliche Arbeit ist nicht unbedingt Frauensache. Tatsächlich hat Dirk durchweg männliche Kollegen. Ihnen stellt sich eine 28-jährige Chefin entgegen. Und während Dirk mit ihrer Vorgängerin eher schlechte Erfahrungen gemacht hat, besteht seine jetzige Vorgesetzte gegenüber der Männerriege wohl sehr gut.

Ich arbeite als Angestellter bei einer Behörde, mit 150 Kollegen – alles Männer. Nur mein Chef ist eine Frau. Ich transportiere Akten zwischen den Häusern und den einzelnen Abteilungen meines Arbeitgebers. Wir sind im Durchschnitt 45 Jahre alt, meine Chefin ist 28. Sie ist erst seit etwa einem halben Jahr bei uns. Und sie ist ganz in Ordnung, sie hat sich sehr schnell sehr gut eingearbeitet. Aber ich sag es mal so: Sie ist Quereinsteigerin. Sie kennt diesen Beruf nicht – wie wir alle – von der Pike auf. Für sie wird diese Stelle nur ein Schritt auf der Karriereleiter sein. Ich weiß nicht, was sie beruflich vorhat, aber im inneren Dienst muss man wohl auch mal Personalleitung gemacht haben.

Sie ist nicht auf sich allein gestellt: Ein Chefzimmer wird immer von zwei Leuten geführt. Sie arbeitet gemeinsam mit einem Kollegen im Team – und der kommt vom Fach. Früher war das bei uns so, dass auf die Führungspositionen in den Chefzimmern immer ein Angestellter kam: ein Kollege aus unseren Reihen, der positiv aufgefallen war, weil er Eigenschaften hatte, die ihn dazu qualifizierten, Personal zu führen. Den kannten wir dann schon alle, das war einer von uns. Der wusste über die Macken der Kollegen Bescheid und teilweise auch über die privaten Probleme. Wenn jetzt Quereinsteiger kommen, ist das für uns schon blöd. Die wissen oft einfach nicht, was Sache ist. Das haben wir auch schon mit Männern erlebt – die haben teilweise nach 14 Tagen schon ihren Dienst quittiert. Hinter dem Rücken der Chefin wird fleißig über sie geredet. Die Kollegen lästern, dass sie wenig von der eigentlichen Arbeit versteht, die unsereins macht. Da wird dann gesagt: »Ja, weißt du noch, der und der – der kam von uns, ja der wusste, wovon er geredet hat.«

Aus unseren Reihen würde aber auch keiner mehr den Job machen wollen. Personalführung jeder Art ist ja immer ein bisschen Drecksarbeit, finde ich. Man muss sich mit so vielen unterschiedlichen Charakteren auseinandersetzen und immer wieder klarmachen, wer den Taktstock in der Hand hat – das wäre nichts für mich. Ich denke, meine Kollegen sehen das ähnlich. Die meisten sind zufrieden mit dem, was sie haben. Sie wollen einfach nur ihre acht Stunden abreißen, dann nach Hause und sich auf die Couch legen. Ich kenne keinen, der in dieses Chefzimmer rein will.

Nun wird das auch schon länger nicht mehr so gemacht, dass ehemalige Kollegen aufrücken. Und es kann ja auch ein Vorteil sein, dass Quereinsteiger kommen. Wenn ein Kollege Chef wird, wechselt man zum Beispiel nicht plötzlich vom Du zum Sie. Aber hat man beim Du genug Respekt? Und der ehemalige Kollege hat dann ja auch Verantwortung – zum Beispiel in Sachen Alkoholkonsum. Früher hat man vielleicht noch mitgetrunken und das geht dann plötzlich nicht mehr.

Die »fremden« Mitarbeiter bleiben auch oft nicht lange. Früher hatte man acht, zehn oder mal 15 Jahre einen Chef. In den letzten fünf, sechs Jahren hier habe ich jetzt einige erlebt: Die kamen aus dem Nichts und haben sich dann irgendwann, ohne sich großartig zu verabschieden, ins nächste Dezernat weiterbewegt.