Zickenalarm - 33 Geschichten von fiesen Furien, hinterlistigen Intrigen  und durchtriebenen Biestern - Juliane Gringer - E-Book

Zickenalarm - 33 Geschichten von fiesen Furien, hinterlistigen Intrigen und durchtriebenen Biestern E-Book

Juliane Gringer

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Beschreibung

Wenn liebe Mädchen zu rasenden Furien werden, friedliche Kolleginnen sich plötzlich buchstäblich in den Haaren liegen und die treue beste Freundin zur fiesen Lästerschwester mutiert, ist Zickenalarm angesagt. Juliane Gringer hat die 33 haarsträubendsten, niederträchtigsten und radikalsten Aktionen dieser Alltagsdiven für ihr Buch zusammengetragen. Da ist zum Beispiel Marie, die der Neuen ihres Exfreundes auftischt, dass sie immer noch mit ihm schläft. Oder Jaqueline, die es liebt, ihre Kolleginnen unsanft auf Figurprobleme hinzuweisen. Aber auch Männer geben manchmal geradezu mustergültige Zicken ab, etwa Florian, der seine Freunde in eine Rangliste nach Beliebtheit einordnet und ihnen nur allzu gern ihre aktuelle Platzierung verkündet. Angesichts der kreativen Boshaftigkeit ihrer raffiniert gesponnenen Intrigen bleibt dem Leser nichts anderes übrig, als den Einfallsreichtum dieser Furien zu bestaunen. Denn schnell wird klar: Gemeinsein ist eine Kunst! Zicken sind die wohl unangenehmsten Vertreter der Spezies Frau: Sie sind launisch, rasend eifersüchtig, selbstverliebt bis zur Verblendung und man kann ihnen einfach nichts recht machen. Das Gefährliche an ihnen: Man erkennt sie nicht auf den ersten Blick. Getarnt als harmlose Mitmenschen geben sie sich erst zu erkennen, wenn es für ihre Opfer kein Entkommen mehr gibt. Anfangs umgarnen sie die Ahnungslosen mit ihrem Charme, um ihnen dann im schwächsten Moment in den Rücken zu fallen. Hat man eine Zicke im eigenen Freundeskreis oder unter den Kollegen auf der Arbeit, braucht man Nerven wie Drahtseile. und viel Humor. Denn anders ist diesen Meisterinnen des Dramas nicht beizukommen. Zicken können einem das Leben zur Hölle machen: Sie gehen mit äußerster Heimtücke ans Werk, um ihre Ziele zu erreichen oder um sich einfach am Unglück ihrer Mitmenschen zu weiden. In Zickenalarm zeigt sich das vermeintlich schwache Geschlecht von seiner furchterregendsten Seite: Es wird gelästert, denunziert und gemobbt. Juliane Gringer hat 33 wahre Geschichten über diese Virtuosinnen der Boshaftigkeit zu Papier gebracht: Fast liebevoll porträtiert sie die fiesen Biester und lässt den Leser in die Abgründe der weiblichen Seele blicken. Und der reibt sich begeistert die Hände: Schadenfreude ist doch immer noch die schönste Freude! "Maren war sich für keinen noch so dämlichen Scherz zu schade. Dass die meisten davon auf Grundschulniveau abliefen, schien niemanden außer mir zu stören. Meine Sporttasche in die Umkleide der Männer werfen, die immer nach uns trainierten - wie lustig! Die freuten sich natürlich, wenn ich dann nur mit einem Handtuch bekleidet bei ihnen hereinspazierte. Einmal verschwanden meine Tampons aus meinem Kulturbeutel. Keiner wollte mir einen borgen. Erst als ich laut durch die Kabine rief, dass ich wirklich einen bräuchte, und ihnen drohte, dass ich sonst nach Hause gehen würde, hatte eines der Mädchen Erbarmen. Als ich ein anderes Mal mein Stullenpaket auspackte, roch die Tupperdose wie der gesammelte Fußschweiß der Nationalmannschaft nach einem WM-Endspiel. Maren hatte mir vor dem Training Stinkerkäse reingepackt, der hatte nun zwei Stunden lang dort selig sein Aroma verbreiten können. Sie hielt sich demonstrativ die Nase zu und machte Pupsgeräusche. Dann wieder steckte doch tatsächlich Juckpulver in meiner Badekappe! Ich stand für den Rest des Trainings unter der Dusche und schrubbte mir das Zeug von der Kopfhaut." Agnes (28), Hannover

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Seitenzahl: 330

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Juliane Gringer

Zickenalarm

33 Geschichten von fiesen Furien, hinterlistigen Intrigen und durchtriebenen Biestern

Schwarzkopf & Schwarzkopf

INHALT

»Das Leben ist zu kurz, um sich anständig zu benehmen.«

Liebe Leserinnen und Leser!

Zicken haben keinen guten Ruf. Zu Recht, denn sie machen in der Regel eine Menge Ärger. Sie nerven, sind arrogant, peinlich und fies. Spätestens durch die Arbeit an diesem Buch habe ich gelernt: Trau nie einer Zicke. Wenn du einer echten Zicke begegnest: Beine in die Hand und nichts wie weg!

Ich sage »echte Zicke«, weil die Geschichten der Frauen und Männer, die ich für dieses Buch gehört und aufgeschrieben habe, nichts mit den alltäglichen Zickereien zu tun haben, die jedem mal rausrutschen können: Wenn man der Freundin in der Umkleidekabine das Kleid madig macht, das man auch gern hätte, und sich ärgert, dass man es nicht vor ihr entdeckt hat. Oder wenn man den Lover per SMS anmotzt, weil man findet, dass er einen am Bahnhof netter hätte verabschieden können (»Du konntest ja nicht schnell genug wieder verschwinden, wie?«).

Das ist harmloser Kram. Die Zicken, von denen ich hier berichte, sind schlimmer. Viel schlimmer. Sie intrigieren, sie lästern, sie mobben, sie hetzen und sie werden sogar handgreiflich: Sie reißen ihren Konkurrentinnen Fingernägel raus, pinkeln ins Cabrio ihres unbescholtenen Opfers oder schütten einen Riesenbecher Kaffee auf die teure Handtasche – eine aus hellem Leder natürlich. Sie sind Kolleginnen und setzen Gerüchte in die Welt, die am Ende den Job kosten. Sie sind Chefinnen und terrorisieren ihre Mitarbeiter. Sie sind Urlaubsbegleiterinnen und verderben allen Mitreisenden den Spaß. Sie sind beste Freundinnen und graben trotzdem den neuen Freund an.

Warum das alles? Schuld an den Zickereien sind wie bei den meisten Ärgernissen im Leben meist die großen schlechten Gefühle: Verlustangst und Enttäuschung, Neid und Eifersucht, Rachelust und Trotz. Manche Zicken zicken aber auch aus reinem Vergnügen. Und immer wieder ist der Drang nach Anerkennung ein wichtiges Motiv: Zicken wollen im Mittelpunkt stehen. Sie haben am Ende einfach nur nicht aufgehört, sechs Jahre alt zu sein: Sie wollen immer noch mit aller Macht ihren Willen durchsetzen und verstehen überhaupt nicht, warum das manchmal nicht geht. Statt aber nur wütend mit dem Fuß aufzustampfen und zu schmollen wie damals, hat die erwachsene Zicke ganz andere Möglichkeiten. Und die nutzt sie schamlos aus. Nebenbei gesagt: Es gibt natürlich nicht nur weibliche Zicken. Auch Männer geben sich in diesem Buch die Ehre.

Auf der Suche nach geeigneten Geschichten wandte ich mich an Freunde und Bekannte: »Ich schreibe ein Buch über Zicken. Kennst du eine?«, fragte ich. Woraufhin entweder ein ratloses Schulterzucken folgte oder ein Blitzen in den Augen: »Oh ja, da war mal dieses dreiste Mädchen in meiner Parallelklasse« oder »Klar, damals im Sportverein, das war übel«. Die erste Gruppe, die von Zickereien bisher verschont blieb, ahnt gar nicht, wie gut sie es hat. Denn bei allen Zicken-Opfern konnte ich durchweg einen gewissen Grad an Traumatisierung ausmachen. So erinnert sich beispielsweise eine heute 29-jährige Frau bis ins kleinste Detail an die Peinigung durch eine ehemalige Mitschülerin – dabei waren beide 16, als das passierte, es ist seitdem also über ein Jahrzehnt vergangen.

Nun kann es ein sehr gutes Erfolgskonzept sein, als Zicke durchs Leben zu gehen. Zumindest wenn man keinen gesteigerten Wert auf langfristige soziale Bindungen legt. Denn mit einer Zicke hält es in der Regel niemand lange aus. Und Zicken leben nicht per se schlecht. Die Dinge laufen meist so, wie sie es sich vorstellen – und wenn nicht, dann wenden sie sich eben ab und suchen sich neue Opfer. Bei ihnen ist immer etwas los, langweilig wird es ihnen selbst und ihren Mitmenschen sicher nicht so schnell – ein Grund dafür, dass es immer wieder Leute gibt, die gescheit und smart sind und trotzdem auf Zicken hereinfallen. Nicht nur einmal wurde mir mit traurigem Blick berichtet: »Wir hatten echt so viel Spaß zusammen, aber dann …«

Wenn mir jemand vorwirft, dass ich unordentlich, ungeduldig oder zu neugierig bin, dann lässt mich das ziemlich kalt. Wenn mich aber jemand »Zicke« nennt, dann werde ich fuchsig. Denn ich bin definitiv keine Zicke, wirklich nicht! Außer damals, bei der Geschichte mit Paul. Was da passiert ist? Das steht auf den Seiten 39 bis 47.

Juliane Gringer

DER 1. ZICKENALARM

Wenn der Kuchen noch lebt

Antonia (29), Lehrerin, Hamburg, über Kristin (34), Kellnerin, Hamburg

Kristin nahm sich immer alles, was sie wollte, und dabei hatte sie nie ein schlechtes Gewissen. Ich war und bin da leider anders. Ich kann so verdammt schlecht Nein sagen. Aber ich finde, unter Freundinnen ist es auch selbstverständlich, dass man sich jederzeit unterstützt. Eigentlich sah Kristin das genauso – zumindest wenn sie es war, die Hilfe brauchte.

Wir hatten uns beim Studium kennengelernt: Lehramt Deutsch und Geschichte für die Gymnasialstufe. Wir saßen zusammen in einem Seminar und sie lieh sich ein Blatt kariertes Papier von mir. Nach der Stunde gingen wir noch zusammen in die Mensa, danach Kaffee trinken und dann verabredeten wir uns fürs Wochenende. Von da an waren wir unzertrennlich.

Das war vor sieben Jahren. Während ich nun als Lehrerin jeden Tag vor zwanzig Teenagern im Unterricht stand, hatte Kristin nichts auf die Reihe gekriegt. Sie war zwischen Uni und Nebenjobs hängen geblieben. Aus Spaß feierten wir die Volljährigkeit ihrer Semesterzahl mit einer Flasche Schampus. Eine allerletzte Chance, das Studium doch noch erfolgreich zu einem Ende zu bringen, bekam sie im darauffolgenden Monat: eine wichtige Prüfung in Pädagogik. Sie war schon zweimal durchgefallen, es blieb ihr also wirklich nur noch dieser Versuch. Sie hatte totalen Schiss.

Und eine große Klappe. Das war sowieso Kristins größtes Talent. Sie kellnerte in einer Kneipe. Der Job war natürlich unter ihrem Niveau: der Chef ein Idiot, die Kollegen lahmarschig und die Gäste »total nervig und blöde«. Kristin wusste alles besser. Und das würde sie auch beweisen – in ihrem eigenen Restaurant. Das wollte sie jetzt plötzlich so schnell wie möglich eröffnen.

»Da brauche ich auch diesen beknackten Abschluss nicht«, triumphierte sie. Dabei hatte sie keine Ahnung von Betriebswirtschaft, kein Startkapital und keine Sicherheiten.

Ich versuchte, ihr diesen Unsinn auszureden, und hörte mich dabei an wie ihre Mutter: »Aber damit muss man sich doch auskennen!«

»Tu ich doch. Ich kann total gut kochen«, erwiderte sie.

»Mit dem Abschluss hättest du aber was Sicheres!«, gab ich zu bedenken.

»Von wegen was Sicheres – weißt du, ob du deinen Job für immer machen kannst und willst? Verdienen tust du ja auch nicht gerade viel.«

Zu jedem Argument fiel ihr irgendwas ein, sie redete sich um Kopf und Kragen und ließ auch ein paar Schüsse gegen mich los. Wenn sie ausnahmsweise mal merkte, dass sie zu viel Gift versprüht hatte, beschwichtigte sie mit einem »So habe ich das ja nicht gemeint«.

Die Prüfung machte sie trotz der hochtrabenden Pläne dennoch. Ich bot ihr an, ihr beim Lernen zu helfen. Natürlich lehnte sie nicht ab. So ging ich jeden Abend bei ihr vorbei, brachte ihr Chips oder Schokolade mit, fragte ab, erklärte, wiederholte und munterte sie auf. Morgens stand ich hundemüde vor meinen Klassen. Statt mir irgendwann mal eine Auszeit zu nehmen, hielt ich tapfer durch. Schließlich war sie doch meine beste Freundin.

Dass ihr Studium so mies gelaufen war, lag nicht an ihr, so sah sie selbst das zumindest. Sie hatte immer wieder Streit mit ihren Eltern, die ihr längst das Geld gestrichen hatten. Und dann war da diese Trennung von Stephan, die kostete sie fast zwei Semester. Als sie gerade mit ihm zusammenziehen wollte, kam heraus, dass er schon mit einer anderen durch Wohnungsanzeigen surfte. Irgendwie hatte er vergessen, mit Kristin Schluss zu machen, bevor er eine gemeinsame Zukunft mit seiner neuen Freundin plante. Kristin verbrachte Wochen damit, Rachepläne zu schmieden. Sie wollte einen Brief an Stephans Eltern schicken, um die neue Freundin schlechtzumachen und zu petzen, dass Stephan von dem Geld, das sie ihm für Uni-Literatur gaben, statt Büchern vor allem reichlich Dope kaufte. Damals hätte ich eigentlich merken müssen, was für eine Ratte sie war.

Letztlich war Kristin vor Liebeskummer doch zu schwach, um ihre Pläne auszuführen. Vom Bett aus konnte sie nur reichlich Droh-SMS verschicken und sich furchtbar darüber aufregen, dass Stephan nie antwortete. Ich wusste, dass er längst die Handynummer gewechselt hatte, sagte ihr aber besser nichts davon. Das hätte sie nur noch mehr aufgeregt.

Auch die Geschichten an der Uni hätten mir zu denken geben müssen. Sie war dort nicht gerade beliebt und scherte sich auch nicht um einen guten Ruf. Den Profs gegenüber glänzte sie in Seminaren entweder mit bescheuerten Fragen (»Müssen wir das in der Prüfung etwa alles wissen?«) oder mit beharrlichem Schweigen. Und unter den Kommilitonen war sie bekannt dafür, dass sie niemals ihre Unterlagen weitergab: Falls überhaupt noch jemand danach fragte, brauchte sie sie zufälligerweise gerade dann immer selbst. Wenn sie aber mal etwas wollte, konnte sie scheißfreundlich sein. Die Leute fielen erst immer drauf rein. Bis sie irgendwann nicht mehr mit ihr redeten. Das war anscheinend die einzige Möglichkeit, ihr zu entkommen.

Hinweise auf Kristins miesen Charakter gab es also genug. Aber ich war einfach zu blöd, die Zeichen richtig zu deuten. Außerdem mochte ich sie ja auch irgendwie. Wir quatschten uns bei unseren Treffen immer stundenlang fest. Ihre Ansichten zu vielen Themen waren etwas abgedreht und weltfremd, aber sie konnte total gut erzählen und sprang von einem spannenden Gedanken zum nächsten. Das war immer wie Kino. Und ich bewunderte sie für ihren Mut. Wenn ihr etwas nicht passte, sagte sie das. Das imponierte mir.

Doch jetzt, beim Lernen, sah ich sie auch in einem anderen Licht. Und das meine ich wörtlich. Sie hatte eine grelle Schreibtischlampe, die ihr immer direkt ins Gesicht leuchtete, wenn wir auf dem Boden saßen und uns über die ganzen Unterlagen beugten. Und als wir Abend für Abend in ihrem Zimmer verbrachten, da schaute ich sie mir zum ersten Mal genauer an. Also so richtig ihr Gesicht und so. Dabei fand ich sie total abstoßend. Ich musste im Halbdunkel immer auf diese Pickel auf ihrer Stirn starren. Die waren ekelerregend! Aber nicht nur äußerlich widerte sie mich immer mehr an. Ihre Mundwinkel gaben ihrem Gesicht einen fiesen Ausdruck. Es sah aus wie das vom Joker – als ob das Böse aus ihr sprechen würde. Na ja, das ist übertrieben, aber zu Hause machte ich das mal im Spiegel nach und es sah echt gruselig aus.

Das passte auf einmal alles zusammen: ihre Launen, dieser Mund und diese Pickel. Nie war ihr etwas gut genug. Sie dachte immer zuerst an sich. Natürlich bedankte sie sich überschwänglich für meine Hilfe beim Lernen. Aber ich spürte genau, dass sie das nur sagte, damit ich am nächsten Tag wiederkam. Und ob sie dasselbe auch für mich getan hätte – ich wollte es lieber nicht herausfinden müssen. Ich war nur froh, als endlich der Tag der Prüfung kam.

Sie bestand. Mit einer schlechten Drei, aber sie kam endlich durch. Sie schrieb mir erst am Abend eine SMS: »Geschafft, juhu! Ich muss schlafen …« Kein Danke.

Ich hatte aber keine Zeit, mich darüber zu ärgern, ich stand in der Küche, kochte und schnippelte die Zutaten für einen Nudelsalat. Denn der Tag nach der Prüfung war ihr Geburtstag und ich hatte eine Überraschungsparty organisiert. Das zog ich jetzt auch durch, trotz des ernsthaften Ekels, den ich ihr gegenüber beim Lernen entwickelt hatte. Wegen ein paar Pickeln kündigt man ja schließlich noch keine Freundschaft.

Kristin selbst hatte wegen des ganzen Stresses nichts für ihren Geburtstag geplant. Dafür hatte ich einfach heimlich alle ihre Freunde eingeladen, eingekauft, Essen gemacht. Das machte mir ja auch Spaß. Kristin würde lange ausschlafen können und musste sich abends nur an den gedeckten Tisch setzen. Sie ahnte nichts, sondern glaubte, dass ich sie auf einen Mädchenabend zu zweit eingeladen hätte, mit Popcorn und Horrorfilm. Und dann standen sie alle in meiner Wohnung, mit Luftballons, Konfetti, Tröten, Geschenken und so einem schwarzen, eckigen »graduation hat« mit Bommel dran und riefen: »Überraschung!!!«

Kristin tat so, als sei es die normalste Sache der Welt, dass ich ihr eine Party schenkte: Sie nickte nur einmal müde, packte lustlos die Pakete aus und verbreitete ziemlich miese Stimmung. Sie motzte über den Rock von Lea und nervte unseren gemeinsamen besten Freund Thomas mit spitzen Bemerkungen über seine schlechte Phase im Job, von der er uns beiden vor Kurzem im Vertrauen erzählt hatte. Als er sie auf ihre Prüfung ansprach und sagte: »Ohne Toni hättest du das ja wohl nicht hingekriegt, sie hat dir echt super geholfen, oder?«, meinte Kristin nur: »Ja, das war total lieb von ihr. Aber dass ich es diesmal schaffe, war ja sowieso klar.«

Mein Geschenk an sie waren Ohrringe mit Engel-Anhängern. Sie mochte Engel sehr, sammelte sie in allen möglichen Ausführungen und Farben und hatte viele der kitschigen Dinger in einem Regal sitzen. Über ihrem Bett hing ein Bild mit diesen zwei Cherubini-Engeln von Raffael – aber es war so eine billige Version, bei der die Engel Heiligenscheine hatten und dümmlich grinsten. Ihr Exfreund hatte es ihr geschenkt und Kristin fand es total »besonders« und »witzig«.

Als ich es zum ersten Mal bei ihr gesehen hatte, musste ich laut lachen. Ich kannte das Bild aus dem Baumarkt und erzählte, was es dort noch für abgefahrene Motive gab. Sie schwieg, schaute mich ganz ernst an und sagte: »Halt deinen Mund! Ich find deine Wohnung auch scheiße.«

Also, sie stand jedenfalls auf Engel. An den Ohrringen hing jeweils ein pummeliges Exemplar mit rosa Flügeln. Ich hatte sie in einem Esoterik-Laden gekauft, weil ich nicht gewusst hätte, wo man so etwas sonst legal beschaffen kann. Sie packte sie aus, sagte »Schön!« und »Rosa mag ich ja nicht, aber die sind echt total süß«. Fünfzig Prozent ihrer Engel-Sammlung waren an irgendeiner Ecke rosa! Sie hätte es aber wahrscheinlich »pink« genannt.

Beim Essen zickte sie auch rum und meckerte über den ihrer Meinung nach zu hohen Ei-Anteil der Speisen. Kristin litt schon immer an einer schweren »Ei-Allergie« – das nenne man »Vogel-Ei-Syndrom«, behauptete sie immer total affektiert. Putzi soll schuld gewesen sein, der Wellensittich ihrer Oma.

»Da habe ich schon als Kind jede Menge Allergene eingeatmet.« Alles klar.

Die Allergie gibt es wirklich, ich hab irgendwann mal nachgeschlagen. Aber bei ihr nahm sie äußerst bizarre Züge an. Eigentlich betraf es nur rohe Eier, dagegen waren hartgekochte Frühstückseier und gut durchgebratene Spiegeleier angeblich in Ordnung. Wobei sie aber die Definition von »gut durchgebraten« vorgab, sodass ich es nach einem Omelette-Versuch nie wieder gewagt hatte, diesen Idealzustand am Herd zu erreichen. Kristin fand überhaupt alles widerlich, was nur im Entferntesten an die Konsistenz von rohem Ei erinnerte. Hier galt natürlich wieder ihr subjektives Augenmaß. Anscheinend bekam sie bei nicht vollständig durchgebratenen Eiern Atemnot. Ich glaubte ihr das allerdings nicht. Damit wollte sie sich doch nur interessant machen.

Dennoch hatte ich als gute Freundin extra nicht die Quiche mit Eiern zubereitet, die alle immer gern aßen. Aber jetzt ging ihr sogar noch mein Rührkuchen gegen den Strich. Den fanden die anderen Partygäste ausgesprochen lecker. Sie aber spuckte gleich den ersten Bissen von der braunen und – ich schwöre! – perfekt durchgebackenen Masse wieder zurück auf den Teller – mit einem laut hörbaren Jaulen und einem »Iiih, wie eklig, der ist doch gar nicht richtig durch!«. Sie nervte alle damit, dass sie das Ei »durchgeschmeckt« habe. Die anderen rollten mit den Augen und aßen weiter. Als sie trotzdem noch schimpfte, gackerte Thomas laut, wedelte mit den Ellenbogen auf und ab und sagte: »Stimmt! Kristin hat recht, der Kuchen lebt noch!« Kristin ließ ihren Teller augenblicklich fallen, stand auf und verließ wortlos die Wohnung.

Wir waren ziemlich angefressen. Wir beschlossen zu warten, ob sie wiederkommt, und saßen dann noch eine Stunde verlegen rum. Aber sie tauchte nicht auf. Zum ersten Mal war mir Kristin richtig peinlich. Ich schämte mich für sie und war wütend, dass sie so feige abgehauen war. Nachdem ich alle Gäste verabschiedet und mich zigmal entschuldigt hatte, räumte ich auf, wusch ab und machte es mir noch am Küchentisch mit einem Glas Wein gemütlich. Ich schaute durchs Fenster raus in die Nacht und dachte daran, wie sich Kristin über diesen dämlichen Kuchen so aufgeregt hatte und alle das total albern fanden – und musste laut lachen. Langsam wurde mir klar, dass diese Frau schwer gestört ist.

Zwei Tage später fand ich im Briefkasten einen Umschlag. Wir hatten uns seit dem Geburtstag nicht gehört oder gesehen. Es war keine Nachricht drin und es stand kein Absender drauf, ich erkannte bei der Adresse aber sofort ihre Handschrift, mit diesem völlig bescheuerten Kringel über dem »I«. In dem Umschlag steckten nur kleine harte Krümel. Ich kapierte erst langsam, dass es sich um die Ohrringe mit den Engeln handelte. Sie waren völlig zerstört, nur noch wirre Brösel. Kristin musste mit einem Hammer draufgeschlagen haben.

Als Antwort bekam sie einen Umschlag zurück, dick wattiert und innen mit einer Plastiktüte wasserfest präpariert. Ich liebe die Vorstellung davon, wie sie mit der nackten Hand reingegriffen haben muss. Ups, war wohl nicht richtig durch, das Ei! Muss mir irgendwie roh aus der Schale direkt da reingerutscht sein …

DER 2. ZICKENALARM

Nagelpflege

Nancy (21), Krankenschwester, Berlin, über Isa (27), Nageldesignerin, Berlin

Isa war selbst schuld. Aber am Ende interessiert das ja keinen mehr. Und jetzt sind wir alle angearscht: Ich hab zu keinem aus der Mädelsclique noch Kontakt, nur Jenny hör ich ganz selten mal, sie ist mit den anderen aber inzwischen auch verzofft. Und meine Nägel sehen aus!

Es ging los, als wir neulich wieder mal im »Rialto« saßen, unserer Stammbar. Das ist kein Eiscafé, sondern eine echte Bar, mit Schirmchen an den Drinks und so. Enzo ist dort unser Lieblingskellner, der macht einfach den besten »Sex on the Beach«. Ich glaube, er heißt gar nicht Enzo, nennt sich nur so, und er ist bestimmt auch kein Italiener. Wenn uns Enzo die »Beaches« bringt, labert er immer was von »für meine sexy City-Girls« – aber bitte, mit diesen Modeschlampen haben wir nichts an der Kappe. Erstens sind wir zu fünft: Steph, Mandy, Isa, Jenny und ich. Und zweitens sind wir echte Weiber, keine Modepuppen. Wir kommen aus Marzahn und hier trägst du zwar High Heels, solltest darin aber auch mal ordentlich rennen können, wenn es Ärger gibt. Natürlich sehen wir trotzdem geil aus. Gerade an diesem Abend hatte Mandy saucoole neue Nägel, die wir ausgiebig bestaunten. Isa hatte die gemacht, Isa machte uns immer allen die Nägel – für ’nen schlappen Zwanni, das kannste sonst ja gar nicht bezahlen! Sie hatte Mandy drei schwarze Streifen auf jeden Nagel gezogen, die zu den Enden dünn ausliefen, dazu grelles Pink und ein bisschen – nicht zu viel! – bunten Glitter. Wir bestaunten Mandys Hände, sahen echt gut aus.

Wir saßen da also im »Rialto«, alles war ganz normal. Wir quatschten über Männer und anderen Kram. Suse erzählte, sie wolle ihren Geburtstag im Gartenhäuschen ihrer Großeltern feiern. Aber das passte Isa irgendwie nicht. Sie meckerte total rum und es kam raus, dass Maria auch eingeladen war, das ist Suses beste Freundin, aber Isas schlimmste Feindin. Die beiden kennen sich noch aus dem Kindergarten, waren immer dicke, aber es gab da letztes Jahr eine Geschichte mit Isas Bruder. Sie hat nie verraten, was genau passiert ist, ich glaub aber, Maria hat den irgendwie verarscht, und seitdem gehen sich die beiden konsequent aus dem Weg, sie hassen sich wie die Schweinegrippe. Nägel machen ist damit auch nicht mehr für Maria, Pech gehabt!

Isa ließ jedenfalls irgendwas vom Stapel, von wegen Suse habe viel zu viele Leute eingeladen und sie könne sich dann ja gar nicht um alle kümmern auf der Party und deshalb sei das doch alles sinnlos und Suse solle sich entscheiden: Maria oder Isa. Das war fies, weil Isas und Suses Mutter zusammen bei Lidl arbeiten und beste Freundinnen sind, aber Isas Mutter ist auch so was wie die Chefin von Suses Mutter. Deshalb kann Suse nicht so leicht mit Isa »Schluss machen«, das könnte sonst vielleicht Ärger geben. Trotzdem zog Isa diese dämliche »ich oder sie«-Nummer ab. Sie laberte ewig davon und nervte voll. Irgendwann hat es mir gereicht. »Ey, krieg dich mal wieder ein«, ging ich dazwischen. »Es ist Suses Geburtstag und nicht deiner, sie entscheidet, wen sie einlädt und wo sie feiern will.«

Heute sage ich: Hätte ich doch einfach mal die Fresse gehalten! Isa quatscht viel, wenn der Tag lang ist. Und dann wäre sie eben nicht auf Suses Party gegangen oder doch, scheißegal. Aber ich konnte ja meinen Mund nicht halten. Isa ist jedenfalls komplett ausgerastet. Hat mich angeschrien, mitten in der Bar, hat mich beschimpft, was ich mich einmischen würde: »Ich kann ja hier wohl mal meine Meinung sagen und da musst du nicht blöd reinquatschen«, blökte sie. Und: »Kümmer dich doch um deinen Scheiß! Bist du nicht ausgelastet, oder wie? Vielleicht brauchst du mal wieder ’nen richtigen Kerl, aber dann lass deinen Frust nicht an mir aus!« Das war besonders fies, weil sie wusste, dass ich immer noch an meinem Ex hing, der vor ein paar Monaten Schluss gemacht hatte.

Isa ist so eine, die immer im Mittelpunkt stehen muss. Egal wo sie auftaucht, ist immer großes Hallo: Sie begrüßt alle laut kreischend und ihre Lache ist furchtbar. Wenn sie richtig loslegt, klingt es, als ob jemand einem Hund auf die Pfote getreten ist und fett drauf stehen bleibt. Offenbar hatte ich ihr gerade die Tour versaut: Sie wollte gepflegt meckern, war natürlich absolut überzeugt davon, dass sie im Recht war, und dann kam ich ihr in die Quere. Jenny mischte sich auch ein, aber damit machte sie leider alles nur schlimmer – und zwar für mich! Sie fragte Isa, was mit ihr los sei.

»Entschuldige mal bitte«, kreischte Isa. »Die Schlampe muss mich ja wohl hier nicht so angreifen! Aber okay, für mich ist das erledigt. Ich sag nichts mehr. Wenn ihr was wollt, dann wendet euch doch an Nancy.«

Und dann heulte sie. Sie flennte echt einfach so los, wie auf Kommando! Ich hab es erst nicht abgerafft, aber plötzlich schlugen sich die anderen Mädels voll auf Isas Seite. Jenny umarmte sie tröstend und sagte zu mir: »Du hättest sie ja auch nicht angreifen müssen! Sie hat es doch nicht böse gemeint.« Mandy laberte was von, Maria sei ja wirklich ein bisschen doof und Suse wüsste ja auch, dass Isa und Maria sich nicht leiden können. Und Steph nur so: »Genau!« Vielen Dank auch.

Jenny musste dann los und deswegen sind wir zum Glück alle gegangen. Auf dem Nachhauseweg hätte ich jede Mülltonne zusammenfalten können vor Wut. Diese beknackte Isa kriegte also mal wieder ihren Willen! Und ich war jetzt die Böse. Die würden sich schon alle wieder einkriegen. Aber ich hatte echt keine Lust, mich zu rechtfertigen. Ich hatte ihr nichts getan! Wenn hier jemand bescheuert war, dann sie. Nur leider geht es im Leben nicht immer gerecht zu. Hat schon mein Opa gesagt und der war im Krieg, glaube ich. Jedenfalls hatte ich mich gründlich geschnitten, wenn ich dachte, dass Isa schon ihre gerechte Strafe bekommen wird und alle einsehen werden, dass ich recht hatte.

Der nächste Freitag kam und ich war locker mit Jenny fürs Steinhaus verabredet, eine Disse, in die wir am Wochenende oft gingen. Ich rief sie also noch mal an, um klarzumachen, wo genau wir uns treffen wollen. Sie ging aber nicht ran und rief auch nicht zurück. Ich versuchte es dreimal. Dann klingelte ich bei Mandy an – auch Funkstille. Schließlich noch Steph, die ging nach langem Klingeln ran. Die ist so ’ne Schisser-Braut, die schaffte es nicht, mir zu verheimlichen, was los war. Bei so was kann ich echt hartnäckig sein und ich kriegte sie ziemlich schnell, indem ich ordentlich auf sie einredete, dass wir doch immer zusammenhalten müssten, Freundschaft und so. Sie druckste ein bissel rum und dann war’s raus: Isa hatte allen eingebläut, dass ich aus der Clique raus bin und sie nichts mehr mit mir zu tun haben dürfen. Sonst wären sie für sie gestorben.

»Ey Steph, das kann doch nicht dein Ernst sein, dass du diesen Scheiß mitmachst, oder?«, sagte ich.

»Ja, ich weiß, das ist bescheuert. Aber ich finde, du hättest sie echt nicht so anmaulen müssen. Mir ist das alles egal, ich halt mich da raus.«

So sah Raushalten aus? Das war eher Rauskicken. Und ich war die In-den-Arsch-Getretene. Feine Sache, Mädels! Steph sagte mir noch, dass sie alle ins Steinhaus gingen an dem Abend.

»Aber vielleicht lässt du dich besser heute mal nicht blicken. Isa ist ganz schön sauer auf dich.«

Na, davon wollte ich mich aber gerne selbst überzeugen! Und meinen Anblick musste sie schon ertragen. Ich würde ihr garantiert nicht den Gefallen tun und ihr nicht mehr unter die Augen treten. Die sollte mir schön ins Gesicht sagen, was los war und ob sie das alles nicht mal schleunigst zurücknehmen und sich entschuldigen wollte.

Ich mich also ordentlich aufgebrezelt und Stefan angerufen: Auf den ist immer Verlass, der kam mit. Wir kamen kurz nach Mitternacht ins Steinhaus. Isa war schon da und saß an einem der Tische. Nancy und Steph auch, Jenny direkt neben ihnen. Jenny hatte Mario, ihre neue Flamme, mitgebracht. Sie hielten schon Händchen. Steph sah mich zuerst und grüßte mich verstohlen. Dann kriegte Isa mit, dass ich da mit Stefan rumstand. Ihr Blick wollte mich killen. Aber ich ließ mich davon nicht beeindrucken, quatschte mit Stefan und tat, als wär nix. Ich war aber schon ziemlich sauer auf sie und das wurde auch nicht besser, als ich mitkriegte, wie Isa mit den anderen tuschelte und lachte und dabei immer zu uns rüberschaute. Sie redeten über mich, das war klar. Als Mario mal aufs Klo ging, kicherten sie alle voll hysterisch und steckten noch mehr die Köpfe zusammen. Verlogene Biester, dachte ich mir. Sie wollten mich fertigmachen, aber ich würde mir das nicht gefallen lassen. Und Isa musste hier gar nicht anfangen, meine Freundinnen für sich in Beschlag zu nehmen. Die würde ich mir zurückholen!

Mein Handy vibrierte einmal kurz in meiner Hosentasche – eine SMS. Ich schaute nicht gleich drauf, aber kurz darauf piepste es noch zweimal. Also sah ich nach und dachte, mich trifft der Schlag. »Hi Nancy, ich will auch ficken. Treffen wir uns in ’ner Viertelstunde vor der Tür?« stand in der ersten. »Ja, besorg’s mir! Ruf mich an!« und »Ich auch! Jetzt!« in der anderen. In dem Moment kamen die nächsten SMS an und dann klingelte es. Ich ging ran: Stöhnen. »Ey, fick dich selbst«, schrie ich, drückte das »Gespräch« weg und hielt Stefan wortlos das Display mit den Nachrichten hin. Er klickte sich durch und lachte. »Halt’s Maul, das ist gar nicht witzig«, zischte ich und er verzog sich lieber.

Ich krallte mich am Tresen fest vor Wut. Hinter diesen beschissenen SMS und Anrufen konnte nur Isa stecken. Sie wollte Ärger und den konnte sie haben. Ich stand am Tresen und malte mir aus, wie ich zu Isa rüberstürmen und ihr eine reinknallen würde. Statt aber gleich loszumachen, starrte ich in mein leeres Glas und dachte angestrengt über mein Vorhaben nach, stellte es mir in allen Details vor. Ich merkte, dass mich das ein wenig beruhigte. Meine Vernunft kam ein kleines bisschen durch: Das würde ja noch weniger bringen, sie jetzt zu verhauen. Damit wäre unsere Clique für immer zerstört! Und sie hatte es eigentlich auch nicht verdient, dass ich mich so aufregte.

Tat ich aber. Und ich musste zu lange nachgedacht haben, denn als ich wieder hochguckte, war Isa weg. Die anderen Mädels auch, an ihrem Tisch saßen jetzt nur noch ein paar Typen, die ich nicht kannte. Stefan kam wieder und erzählte, dass jemand im Jungsklo in riesigen Buchstaben an die Wand geschrieben hatte: »Nancy will ficken! Gratis! Immer freitags hier, ruft einfach an« und meine Handynummer dazu. Da war es vorbei. Ich tickte völlig aus. Während mein Handy weiter vibrierte und klingelte, raste ich los, durch die Menge, und suchte Isa. Die Treppen runter und raus. An der Straße stand sie, rauchte und tippte in ihr Handy, quatschte laut mit den anderen und lachte.

Dann hörte man zwei fiese Schreie. Jenny schrie. Und Isa schrie – wie vor Schmerz. Dabei hatte ich sie gar nicht angepackt. Noch nicht. Erst mal hatte ich ihr das Handy aus der Hand geschlagen, es war auf den Boden gescheppert und ich hatte draufgetreten. Mein Absatz bohrte sich ins Display und das knirschte so geil! Dieses Geräusch hab ich noch heute im Ohr, ich hätte es zu gerne als Klingelton. Sie hatte das Handy ziemlich arg beklebt mit dem ganzen Nagelzubehörkram aus ihren tausend Kisten mit Pailletten und Glitzer und so. Ich trampelte ein paar Mal drauf rum, das war schließlich eh ein ganz olles Teil. Die Glitzersteinchen fielen ab und kullerten auf dem Fußweg rum. Isa stürzte sich auf mich. Sie kreischte und griff mir in die Haare, erwischte eine meiner Extensions und riss sie raus. Autsch, das tat weh! Ihre Fingernägel bohrten sich fies in meinen Hals und da muss es passiert sein. Ich war so sauwütend, dass ich all meine Kraft zusammengenommen hatte. Plötzlich kreischte sie noch lauter, ein jämmerliches Wimmern folgte. Sie sprang weg, hielt sich die Hand, fluchte und war außer Rand und Band. Sie tobte so sehr, dass zwei Typen sie festhalten mussten, damit sie nicht wieder auf mich losging. Eine winzige Blutpfütze bildete sich auf dem Boden, es tropfte ihr aus dem Zeigefinger.

Ich hatte ihr einen Fingernagel rausgerissen! Ging einfacher, als ich dachte. Ich hatte ihn mit zwei Fingern fest gepackt – lang genug war er ja – und rausgezerrt. Er lag jetzt auf den Steinen – lila, rosa Glitter und ein Dekosteinchen. An dem Plastikteil klebte noch ein Stück ihres echten Nagels. Das Ganze hatte eine ordentliche Wunde in ihren Finger gerissen. Es würde Wochen dauern, bis der Nagel nachgewachsen war. Reparieren konnte man da jedenfalls sicher nix. Es war klar: Mein Job hier war getan. Und so entsetzt, wie mich die anderen Mädels und die Schaulustigen, die inzwischen dazugekommen waren, ansahen, wusste ich, dass sie eher nicht auf meiner Seite standen. Also sah ich zu, dass ich wegkam. Rannte zur Tramhaltestelle und sprang in die Bahn, die dort stand und zum Glück gleich abfuhr. In der Scheibe sah ich, dass ich auch ziemlich übel zugerichtet war. Ich hatte Schrammen im Gesicht, meine Haare waren total durcheinander und ein Träger meines Shirts war angerissen, hielt aber noch. Mein Herz schlug schnell, ich schämte mich irgendwie für diese Aktion, aber ich fühlte mich auch richtig gut. Isa sollte sich mal nicht so haben, sie würde nicht gleich daran sterben.

Stefan erzählte mir später, sie habe darauf bestanden, dass ein Krankenwagen gerufen wurde, der sie in die Charité brachte. Mit wahnsinnig viel Bohei hatte sie vor der Disse gejammert und geheult und alle für ihre Betreuung eingespannt. Da mussten kühle Getränke und nasse Tücher gereicht werden. Einer rettete die Sim-Karte ihres Handys und bot ihr gleich ein neues an, das sie mit mattem Dank annahm. Die ganze Entourage folgte ihr ins Krankenhaus und musste sie ausgiebig bedauern. Die Ärzte konnten natürlich nicht viel machen, es blutete auch schon längst nicht mehr. Sie desinfizierten die Wunde und schickten sie wieder heim. Irgendwann viel später hat mir Jenny verraten, dass sie meine Attacke ganz cool fand, also schon heftig, aber sie konnte Isa wohl auch schon länger nicht mehr richtig leiden. Und vom heimischen Krankenbett aus hatte die ihr sogar noch ein schlechtes Gewissen gemacht, dass sie ja auch schuld an allem sei, weil sie es gewesen war, die mich in die Clique reingebracht hatte. Da hat es Jenny gereicht.

Ich bekam noch eine Weile diese dämlichen SMS und Anrufe. Ein Typ war sogar ganz nett, wir haben uns ein paar Mal getroffen. Dann habe ich aber doch lieber die Handynummer gewechselt.

DER 3. ZICKENALARM

Da fühlen Sie sich gleich ganz anders!

Lara (32), Friseurin, Hamburg, über ihre Kundinnen, Hamburg

Schon als Kind wollte ich immer alles »schön« haben. Ich war ausgesprochen ordentlich. Fusseln oder gar ein Fleck auf einem Kleid waren mir zuwider. Wenn ich mich irgendwo unterwegs bekleckerte, bestand ich darauf, sofort wieder nach Hause zu gehen und mich umzuziehen. Mein Zimmer war komplett rosa und mein Schmink- und Frisiertisch mein Heiligtum. Dort verbrachte ich unzählige Stunden meiner Kindheit mit Make-up-Tiegelchen, Schere und Haarspray. Am liebsten frisierte ich meine Puppen, Barbie-Pferde, Indianerfiguren – nichts, was Haare hatte oder irgendwelche Zotteln, die nur an Haare erinnerten, war vor mir sicher. Zur Not klebte ich auch meinen Bauklötzen noch Strähnen aus Wolle an.

Für meine Familie war meine berufliche Zukunft damit besiegelt und mir fiel später auch nicht ein, was ich sonst hätte lernen sollen. Also wurde ich Friseurin. Leider. Man sollte nicht zu viel auf banale Kindheitsbegeisterungen geben.

Schon die Ausbildung langweilte mich. Und ich fand es richtig eklig, als ich mit den ersten Kunden in Kontakt kam. Ich bin eben sehr pingelig, was Hygiene angeht. Und dann fremde Köpfe anfassen, ihre Haut berühren, fettige Haare waschen – würg! Das ist bis heute so, es widert mich an. Irgendwann kann man zwar von den Azubis waschen lassen. Aber dann sitzen die Kunden doch wieder mit ihren nassen, strähnigen Flusen am Kopf vor dir auf dem Stuhl. Man kann sich übrigens gar nicht vorstellen, wie vielen Leuten Haare aus den Ohren wachsen! Das ist richtig bäh. Ich sehe es ja ganz genau, wenn ich mich mit der Schere nebendran vorbeiarbeite. Ganz übel ist auch, wenn beim Föhnen feine weiße Schuppen von der Kopfhaut rieseln. Und dann immer diese Pickel auf der Stirn – wenn ich von oben darauf herabschaue, kann ich sie so deutlich sehen, dass mir oft sogar ein wenig schlecht wird. Wenn sie dick mit Make-up zugekleistert sind, ist es noch schlimmer.

Meine Arbeit mache ich offensichtlich trotzdem gut. Denn ich bin inzwischen in einem der besten Friseursalons Hamburgs angestellt. Wir sind ein »Hairspa«, alles dreht sich um Wellness und Kreativität. »Haare ab« heißt hier »Hair Dressing«. Jede Kundin verlässt uns um mindestens 150 Euro ärmer. Wir haben sogar Botox im Programm. Ich gehe echt gern zur Arbeit, der Salon ist superschön – hell und großzügig, ein bisschen kitschig eingerichtet vielleicht, aber so toll sauber. Nur die Arbeit an sich, die ist blöd. Allerdings habe ich einen Weg gefunden, wie ich trotzdem Spaß haben kann.

Ich sehe meine Arbeit als Spiel. Ich unterhalte die Kunden und gebe ihnen das Gefühl, wichtig zu sein. Dabei tue ich so, als ob ich nur ihr Bestes will. Ich umgarne sie und bin äußerst zuvorkommend: »Ist das angenehm?«, »War das recht so?«, »Ich hole Ihnen noch ein Glas Champagner, das tut doch immer gut, nicht wahr?« Eigentlich will ich aber die ganze Zeit nur erreichen, dass sie aus dem Laden gehen und scheiße aussehen. Ja, ich berate sie falsch. Ich will nicht, dass sie schöner aussehen, sondern noch hässlicher. Also nicht ganz scheiße – es darf nicht zu auffällig sein. Aber ich habe da meine Tricks.

Ich bin zum Beispiel »berühmt« für meine Kurzhaarfrisuren. Keiner im Salon schneidet die Haare seiner Kundinnen so oft so radikal ab wie ich. Ich rate vor allem den Damen dazu, die besonders schöne lange Haare haben. Irgendwie gönne ich ihnen die nicht. Eigentlich gönne ich ihnen gar nichts, es geht ihnen einfach zu gut, finde ich. Vor allem haben sie zu viel Geld. Ich verdiene zwar auch ganz okay, der Laden bezahlt fair, aber in den Stammboutiquen meiner Kundinnen kann ich höchstens einmal im Jahr shoppen, wenn es hochkommt. Sie sind dagegen immer herausgeputzt, haben die teuersten Kleider und Taschen. Das Geld und der ganze Luxus machen sie außerdem furchtbar selbstgefällig. Sie reden nur Blödsinn, weil ihr Leben aus nichts anderem besteht als »wer mit wem« und »wo« und »wie«. Ich will, dass sie einen Dämpfer kriegen. Ihre Freundinnen sollen über sie tuscheln und lästern – offen Kritik äußern wird in diesen Kreisen doch sowieso niemand. Also werden die Damen dann stolz ihre neuen Köpfe präsentieren und die anderen denken sich ihren Teil und später geht hinter ihrem Rücken die Post ab. Ein unpassendes Styling kann einen da ja schon den Ruf kosten. Oder – noch besser! – einige der Freundinnen fallen darauf rein und finden meine Kreationen auch »innovativ und frech«, lassen sich empfehlen und kommen ebenfalls zu mir in den Salon.

Je weniger ich eine Kundin mag, desto kürzer ist die Frisur, die ich ihr aufschwatze. Wenn auf meine Frage »Wie geht es Ihnen heute?« ein Seufzen und irgendeine Andeutung in Richtung »Trennung«, »Ärger im Job« oder anderes Unglück kommt, dann jubele ich innerlich. Jeder kennt doch das Klischee, dass man einen neuen Lebensabschnitt mit einer neuen Frisur begehen sollte. Genau diese verbreitete Überzeugung nutze ich gnadenlos aus, wenn ich meine Kundin zu einer krassen Typveränderung überrede. »Sie werden sehen, dadurch fühlen Sie sich gleich ganz anders«, sage ich dann und lüge dabei ja nicht einmal.

Wenn die langen Strähnen fallen, fühle ich mich richtig gut. Die Dame auf dem Stuhl beruhige ich und erzähle ihr sonst was: dass Männer kurze Haare total sexy finden, dass sich nur »Charakterköpfe« so was leisten können, dass das ihren ganz eigenen Typ erst richtig unterstreicht. Die glauben mir, hängen gebannt an meinen Lippen und sind dann immer ganz hin und weg, weil ich sie mit Komplimenten überschütte – für ihre »tollen Augen«, den »vollen Mund«, die »natürlichen Brauen«. Natürlich sieht das Ergebnis nie schlecht aus. Das würde ja sofort auffallen, ich würde wahrscheinlich schnell aus dem Laden fliegen. Aber genau das ist die Herausforderung. Die Vorstellung, wie ihre Freundinnen sie anflunkern müssen, dass sie toll aussieht, obwohl die langen Haare trotz allem besser waren, und insgeheim denken »Wie konnte das dumme Huhn das nur machen?« – das macht mich richtig zufrieden.

Bei Farben bin ich auch immer sehr kreativ. Ich nehme gern etwas zu viel von allem. Strähnchen? Immer her damit, am liebsten »multicolor«! Da kann man so schön behaupten, dass sie »frisch« machen. Dabei finde ich Strähnchen total scheiße.

Im Salon beraten wir aber nicht nur in Sachen Haarfarbe, wir erklären auch immer kurz, welche Farben der Kundin bei Kleidung und Make-up besonders gut stehen. So eine kleine persönliche Typberatung, da stehen alle drauf. Sie fühlen sich dann schrecklich wichtig. Die Sache ist nur die: Ich gebe der Beratung gern meinen persönlichen Touch und interpretiere die Farbkarte zuweilen sehr frei. Wenn die Damen danach eine Bluse in einer unvorteilhaften Farbe kaufen, kann ich immer noch behaupten, genau das wäre eben ein Ton daneben, da hätten sie sich vergriffen – schade! Zweifel räume ich immer sofort aus: »Orange? Natürlich können Sie das gut tragen! Sie sehen damit aus wie nach einem entspannten Zehnstundenschlaf in einem tollen Hotel neben einem tollen Mann.«

Von so einem Blödsinn wird mir meist selbst schlecht. Aber es macht zu viel Spaß. Und es wirkt! Sie hängen an meinen Lippen, lachen affektiert und kriegen diesen egoistischen Glanz in den Augen, weil sich alles um sie dreht und sie so viel Honig ums Maul geschmiert kriegen.

Weil ich eine Zusatzausbildung zur Visagistin gemacht habe, übernehme ich oft noch das Make-up zur neuen Frisur, wenn das gewünscht ist. Dabei zupfe ich zum Beispiel auch Augenbrauen und das besonders gern. Ästhetisch ist das allerdings eine eher unangenehme Prozedur für mich, weil ich so nah an das fremde Gesicht ran muss. Wenn wir uns dabei auch noch unterhalten und ich den Atem der Kunden riechen muss, finde ich das ganz schrecklich. Dann »verzupfe« ich mich oft besonders stark. Und wehtun kann es dann leider auch ein wenig mehr – ich vergesse, vorher zu kühlen, und ziehe extra heftig. Zack, ab. Wenn sie später in den Spiegel schauen und ich den leicht erschrockenen Ausdruck über den Kahlschlag an ihrer Nasenwurzel erkenne, dann lasse ich sie erst gar nicht zu Wort kommen, sondern ersticke jeden Zweifel an meiner fachkundigen Arbeit in einem gekonnten Redeschwall.