Mein Esel Fridolin - Gert Rothberg - E-Book

Mein Esel Fridolin E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Denise von Schoenecker sah auf ihre Uhr und dann auf ihre Tochter Andrea. Sie lächelte, als sie sagte: »Ich finde es reizend, wie sehr du nicht nur in der tierärztlichen Praxis deines Mannes, sondern auch in eurem Tierheim aufgehst. Der Journalist, der über euer Tierheim Waldi & Co. berichtet hat, ist entweder ein großer Tierfreund oder aber ein heimlicher Verehrer deiner Schönheit, Andrea!« Sie lachten beide um die Wette. Andrea nickte amüsiert, als sie erwiderte: »Das sagte Hans-Joachim auch. Er ist süß, wenn er ein bisschen eifersüchtig ist. Aber, Mutti, gib zu, über dich ist noch viel enthusiastischer in Zeitungen und Illustrierten geschrieben worden. Es ist ja auch einmalig, was du aus dem ehemaligen Gut Sophienlust gemacht hast!« Denise winkte ab. »Vergiss nicht, es war nicht meine Idee, Sophienlust in ein Heim für unglückliche, verlassene oder einsame Kinder umzuwandeln.« »Ja«, bestätigte Andrea, »du erfüllst nur das Vermächtnis Sophie von Wellentins, die diesen Besitz deinem damals noch so kleinen Sohn Dominik, ihrem Urenkel, hinterlassen hat. Aber es ist ausschließlich dein Verdienst, dass aus Sophienlust ein Heim geworden ist, in dem die Kinder wieder glücklich werden. Der Journalist, der dich den Engel von Sophienlust nannte, hat nicht so unrecht.« Denise sah sehr jung aus, als sie abermals herzlich lachte. Andrea aber fuhr fort: »Damals, als du meinen Vater heiratetest, konnte ich genauso wenig wie mein Bruder Sascha verstehen, dass Vater nicht lieber Witwer geblieben war. Er hatte doch uns beide. Außerdem hast du auch noch Dominik in die zweite Ehe mitgebracht. Doch heute können Sascha und ich uns gar nicht mehr vorstellen, dass ihr beide, du und Dominik, nicht immer hier gewesen seid.

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Seitenzahl: 157

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Sophienlust Extra – 20 –Mein Esel Fridolin

Ein kleiner Junge wird zum Lebensretter…

Gert Rothberg

Denise von Schoenecker sah auf ihre Uhr und dann auf ihre Tochter Andrea. Sie lächelte, als sie sagte: »Ich finde es reizend, wie sehr du nicht nur in der tierärztlichen Praxis deines Mannes, sondern auch in eurem Tierheim aufgehst. Der Journalist, der über euer Tierheim Waldi & Co. berichtet hat, ist entweder ein großer Tierfreund oder aber ein heimlicher Verehrer deiner Schönheit, Andrea!«

Sie lachten beide um die Wette. Andrea nickte amüsiert, als sie erwiderte: »Das sagte Hans-Joachim auch. Er ist süß, wenn er ein bisschen eifersüchtig ist. Aber, Mutti, gib zu, über dich ist noch viel enthusiastischer in Zeitungen und Illustrierten geschrieben worden. Es ist ja auch einmalig, was du aus dem ehemaligen Gut Sophienlust gemacht hast!«

Denise winkte ab. »Vergiss nicht, es war nicht meine Idee, Sophienlust in ein Heim für unglückliche, verlassene oder einsame Kinder umzuwandeln.«

»Ja«, bestätigte Andrea, »du erfüllst nur das Vermächtnis Sophie von Wellentins, die diesen Besitz deinem damals noch so kleinen Sohn Dominik, ihrem Urenkel, hinterlassen hat. Aber es ist ausschließlich dein Verdienst, dass aus Sophienlust ein Heim geworden ist, in dem die Kinder wieder glücklich werden. Der Journalist, der dich den Engel von Sophienlust nannte, hat nicht so unrecht.«

Denise sah sehr jung aus, als sie abermals herzlich lachte. Andrea aber fuhr fort: »Damals, als du meinen Vater heiratetest, konnte ich genauso wenig wie mein Bruder Sascha verstehen, dass Vater nicht lieber Witwer geblieben war. Er hatte doch uns beide. Außerdem hast du auch noch Dominik in die zweite Ehe mitgebracht. Doch heute können Sascha und ich uns gar nicht mehr vorstellen, dass ihr beide, du und Dominik, nicht immer hier gewesen seid. Hans-Joachim und ich sind – das muss mal gesagt werden – nur deshalb auf die Idee mit dem Tierheim gekommen, weil wir nach deinem Vorbild etwas tun wollten, was anderen hilft. Hans-Joachim ist ein fabelhafter Tierarzt, und er hat für alles großes Verständnis. Aber ich glaube fast, er denkt manchmal, das Tierheim könnte uns über den Kopf wachsen.«

»Ihr habt ja auch die reinste Menagerie!«, entgegnete Denise schmunzelnd. Dann sah sie wieder auf ihre Uhr und hob bedauernd die Hände. »Es ist jetzt Zeit für mich, Andrea. Wir haben Frau Lechner zu Besuch. Sie holt ihren Bruder Frieder ab, um mit ihm nach Italien zu reisen.«

»Wie schön!«, sagte Andrea lebhaft. »Der Kleine ist entzückend und sehr tierlieb. Manchmal kommt er nach der Schule zu uns. Vor einigen Tagen sagte er zu mir, dass er auch mal Tierarzt werden möchte. Ist seine Schwester nett, Mutti?«

»Sie ist sehr sympathisch. Einundzwanzig ist sie jetzt geworden. Tragisch, dass sie und ihr Bruder die Eltern durch diesen Autounfall verloren haben. Das Mädchen macht sich große Sorgen um Frieder. Aber er hat sich ja gut eingewöhnt bei uns. Sie war ganz erstaunt, als sie ihn so munter und gutgelaunt wiedersah.«

»Mutti!«, rief in diesem Augenblick jemand von der Tür her. Dann trat Dominik geräuschvoll ein. »Mensch, ihr haltet aber lange Damenklatsch und Kaffeekränzchen! Habt ihr noch’n Stück Kuchen für mich?«

»Aber Nick«, meinte Denise lachend, »du hast doch schon zwei Stück gegessen!«

»Unser Apfelkuchen ist eben unübertrefflich!«

Andrea, nur wenige Jahre älter als

Dominik, meinte trocken: »Du brauchst wenigstens nicht um deine Linie besorgt zu sein.«

»Na, und du?«, sagte Dominik undeutlich und schluckte rasch einen großen Happen hinunter. »Wetten, ich kann deine Taille mit meinen beiden Händen umfassen?«

»Nö, mit dir wette ich nicht mehr. Du hast die merkwürdige Art, Wetten immer zu gewinnen.«

Denise freute sich heimlich über die beiden, aus deren geschwisterlichem Ton nicht nur der Spaß am gegenseitigem Necken, sondern auch die tiefe Vertrautheit zueinander herauszuhören war. Andrea, die blutjung den Mann geheiratet hatte, den sie von klein auf angeschwärmt hatte, war trotz ihrer Jugend eine Tierarztfrau, die ihre Aufgaben mit Freude und viel Elan meisterte. Dominik wiederum zeigte ein brennendes Interesse für alles, was auf Sophienlust geschah. Mit allen Kindern, die hier eine neue Heimat gefunden hatten, verband ihn eine tiefe Freundschaft.

Denise hatte aus der Ehe mit Alexander von Schoenecker auch einen Sohn: Henrik, der nun schon zur Schule ging. Ja, die Zeit flog nur so dahin. Aber es war für die Familie von Schoenecker ein beglückendes Leben – um so mehr, als Sascha, Andrea, Dominik und Henrik zusammenhielten wie Pech und Schwefel. Sascha studierte nun in Heidelberg und Andrea war bereits verheiratet, doch wenn die beiden nach Hause kamen, genossen sie es sichtlich, wieder einmal beisammen zu sein.

Dominik hatte nun sein Stück Kuchen vertilgt. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund, so dass Andrea ein Lachen unterdrückte. Nick, der sich mit großem Eifer vor allem den unglücklichen Kindern widmete und stets versuchte, seiner Mutter nachzueifern, war doch noch ein rechtes Kind. Süß sah er aus! Andrea dachte plötzlich, dass, wenn sie selbst mal Kinder haben und ein Bub darunter sein sollte, dieser so wie Dominik sein sollte: ein hübscher Bub mit blauschwarzem, lockigem Haar und großen, dunklen Augen, keck und doch auch ernst. Ganz einfach ein Kind, das man lieb haben konnte.

»Was schaust du denn so komisch?«, erkundigte sich Dominik, genannt Nick, jetzt mit hochgezogenen Brauen. »Es würde mir wirklich leid tun, wenn du das letzte Stück Kuchen gewollt hättest.«

»Aber ich bitte dich!« Andrea erhob sich und nahm ihre Handtasche an sich. »Bei uns gibt es morgen Apfelstrudel. Wenn du Appetit darauf hast, brauchst du nur nach der Schule vorbeizukommen. Ich hebe dir auf alle Fälle eine Portion auf.«

Dominik sah unwillkürlich auf seine Mutter. Die nickte ihm zu und sagte: »Das wirst du doch nicht ausschlagen, Nick.«

Dominik besuchte seine Schwester sehr gern. Was sie und Hans-Joachim aus dem Tierheim Waldi & Co. gemacht hatten, fand er ganz prima. Da gab es die Bärenfrau Isabell mit ihren Kindern Taps und Tölpl, zwei Schimpansen und eine ganze Reihe von einheimischen Tieren. Alle hatten durch ein ungewöhnliches, meist tragisches Schicksal zu Andrea und Hans-Joachim gefunden.

»Ich komme pünktlich!«, versicherte Nick eifrig. »Ich freu mich schon!«

»So«, entschied Denise, »jetzt wird es aber höchste Zeit für jeden von uns. Du musst noch deine Schularbeiten machen, Nick!«

»Immer diese nüchternen Realitäten«, seufzte Dominik. »Jetzt wäre es so gemütlich geworden.« Er griff sich an den Kopf. »Herrjeh, ich bin ja gekommen, weil sich die Lechner und Frieder verabschieden wollen.«

»Du meinst Frau Lechner!«

»Meinetwegen! Aber eigentlich sieht sie nicht wie eine Frau aus. Eher so jung wie Andrea. Ein dufter Typ.«

Dominik steckte die Hände in die Hosentaschen und musterte seine Schwester fachmännisch: »Wenn man nicht wüsste, dass du deinen Schwarm von der Penne weg geheiratet hast, würde man dich für ein Schulmädchen halten.«

»Aha«, meinte Andrea, »und so jung sieht Frau Lechner also noch aus. Ich werde gleich mal nachsehen, ob das auch stimmt!«

Zusammen mit Denise und Nick verließ Andrea das Haus. Auf dem Gutshof war Petra Lechner gerade damit beschäftigt, Frieders Koffer in ihrem Wagen zu verstauen. Sie trug hautenge Blue Jeans und einen ärmellosen Pulli aus leichter Baumwolle. Der um so viele Jahre jüngere Bruder sah ihr sehr ähnlich.

»Hast du deine Badehose auch nicht vergessen?«, fragte Petra mit einem raschen Blick auf Frieder, der von einer Reihe von Kindern umgeben war und sich umständlich von allen verabschiedete.

»Nein!«, rief er ihr zu. »Schwester Regine hat alles gepackt, und die vergisst nichts.« Er trat auf Petra zu und flüsterte: »Dort kommen Tante Isi und Dominik. Andrea von Lehn, Dominiks Schwester, ist auch dabei.«

Petra klappte den Kofferraum ihres Wagens zu und strich sich rasch über das straff zurückgekämmte Haar, obwohl die praktische Reisefrisur tadellos saß.

»Wir brechen jetzt auf«, sagte sie zu Denise und fügte mit einem warmen Lächeln hinzu: »Herzlichen Dank für alles. Ich glaube, Frieder wäre viel lieber hiergeblieben.«

»Ich komme ja wieder«, warf Frieder verlegen ein. Es tat ihm leid, dass die große Schwester den Eindruck hatte, er wolle nicht mir ihr fahren, aber es stimmte haargenau. In einigen Tagen begannen die Schulferien, und dann musste es auf Sophienlust nach seiner Ansicht besonders schön sein. Dass er schon früher frei bekommen hatte, lag an Petras Urlaubszeit. Sie war als medizinisch-technische Assistentin in Baden-Baden beschäftigt und wollte unbedingt mit ihm nach Italien fahren. Wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie ihn in ein Heim gegeben hatte. Zuerst hatte er sich ja auch gar nicht von ihr trennen wollen, aber jetzt fand er es wunderbar, hier zu sein. Bisher hatte er sich ein Kinderheim ganz anders vorgestellt. Eigentlich wie ein Gefängnis. Aber Sophienlust war prima. Fast so schön wie früher das Elternhaus. Na ja, ganz so schön doch nicht. Als Vati und Mutti noch gelebt hatten, war er als Nesthäkchen sehr verwöhnt worden. Petra war schon recht groß gewesen, so dass es ein großes Ereignis gewesen war, als er geboren wurde. Manchmal konnte er noch immer nicht begreifen, dass Vati und Mutti nun tot waren. Doch es war so, und man konnte es nicht ändern. Pünktchen, Angelika und Vicky hatten auch keine Eltern mehr. Sie waren schon viele Jahre auf Sophienlust und hatten ein sehr trauriges Schicksal gehabt, bis sie hier eine neue Heimat gefunden hatten.

Pünktchen fand Frieder ganz besonders lieb. Sie hieß wegen ihrer lustigen Sommersprossen so. Dominik hatte sie als ganz kleines Mädchen auf einer Bank gefunden, nachdem sie von ihren Verwandten weggelaufen war, die nach dem Tod ihrer Eltern gar nicht lieb zu ihr gewesen waren.

Nun sah Frieder leicht verwirrt auf. Petra unterhielt sich gerade mit Andrea, die eben sagte: »Wenn Sie Frieder zurückbringen, würde ich mich sehr freuen, wenn Sie mich besuchten. Frieder kommt gern zu uns. Er mag ganz besonders unseren jungen Fuchs Spezi und das Liliput-Pferd Billy.«

»Benjamin auch!«, sagte Frieder eifrig. »Das ist ein Esel, Petra. Er ist schon alt und fast blind. Er kriegt im Tierheim das Gnadenbrot.«

Petra nahm die kleine, feste Hand ihres Bruders in die ihre. »Du musst mir unbedingt alle Tiere zeigen, Frieder. Ich freue mich schon darauf. Aber jetzt müssen wir wirklich aufbrechen.«

Die Kinder begannen zu singen: »Auf Wiedersehen, auf Wiedersehen, bleib nicht so lange fort …« Sie winkten dem Wagen nach, bis er nicht mehr zu sehen war.

*

Petra hatte die anstrengende Fahrt bis San Felice in Etappen zurückgelegt. Jetzt war sie froh, am Ziel zu sein. Sie und ihr Bruder wurden von der Besitzerin der Casa Paradiso, Maria Unger, herzlich empfangen.

Frieder blinzelte müde auf das großzügig angelegte Gebäude, das wie ein maurischer Palast schneeweiß in der grellen Mittagssonne lag. Er wusste, Frau Unger war mit seinen Eltern befreundet gewesen und hatte nun ihn und Petra eingeladen.

Das mütterliche Herz war voller Mitleid. Tiefbewegt begrüßte sie die Geschwister und nahm sich vor, es den beiden Waisen so schön wie möglich zu machen.

»Ihr bekommt mein schönstes Appartement«, sagte sie herzlich. »Macht es euch gemütlich. In einer Stunde gibt es Mittagessen. Heute lade ich euch ein. Ansonsten könnt ihr selbst kochen, was ihr wollt. Jedes Appartement hat eine eigene Küche, ein Bad und zwei Räume.«

Frieder gähnte. Eigentlich hatte er gleich zum nahen Meer laufen wollen, aber er war zu müde dazu. »Ich möchte erst mal schlafen«, sagte er kurz. »Wo wir gestern geschlafen haben, war es schrecklich laut. Hier ist es herrlich ruhig.«

Das Appartement der Geschwister war über eine Außentreppe zu erreichen. Davor lag eine große Terrasse, von der aus man einen weiten Blick über das Meer und über die seitlich liegenden Hügel hatte.

Petra trat entzückt an die Mauer, während Frieder schon zu den Räumen lief. »Schau mal«, rief er von dort, »hier gibt es die gleichen englischen Gardinen wie früher bei Mutti.«

Über Petras junge Züge lief ein Schatten. Maria Unger aber sagte leise: »Ja, eure Mutter hat sie noch mit mir ausgesucht, weil ich von euren Gardinen so begeistert war.« Sie legte ihren Arm um Petras Schultern und fuhr fort: »Es ist sehr schwer für dich, Petra. Ich kann es auch noch kaum fassen. Ist Frieder in dem Heim gut untergebracht?«

»Es könnte nicht besser sein«, entgegnete Petra, wieder etwas lebhafter. »Sophienlust ist ein alter Herrensitz, und die Atmosphäre dort ist einfach wunderbar. Frau von Schoenecker sieht bei unglücklichen Kindern, die zu ihr finden, nicht auf Geld. Manche sind ganz kostenlos dort. Auch mir ist sie mehr als hochherzig entgegengekommen. Frieder fühlt sich dort so wohl, dass er gar nicht gern mit mir weggefahren ist.«

»Das wird sich geben«, meinte Maria Unger lächelnd. »Am Strand sind genug Kinder, mit denen er sich anfreunden und spielen kann. Jetzt werden wir ihn erst mal zu Bett bringen.«

Frieder hatte beim Anblick des appetitlich bezogenen Bettes in einem der Zimmer nicht widerstehen können und sich rasch ausgezogen. Bis die beiden Frauen zu ihm kamen, hatte er es sich schon bequem gemacht.

»Das Bett ist aber kuschelig!«, meinte er leicht verlegen.

Maria Unger umfasste das hübsche Jungengesicht mit einem entzückten Blick. Ganz die Mutter, dachte sie schmerzlich bewegt. Die kleine kecke Nase und die fein geschwungenen Lippen hatte auch Petra von der Mutter geerbt, doch Frieder war blond, Petra dunkelbraun. Der Junge hatte auch die Augen der Mutter: große, dunkle Augen mit einem warmen Glanz. Petras Iris schimmerte dagegen in einem zarten graublauen Glanz, der einen bezaubernden Kontrast zu ihrem dunklen Haar bildete.

»Was gibt’s denn mittags zu essen?«, erkundigte sich Frieder misstrauisch. Wenn es etwas sein sollte, was er nicht mochte, wollte er lieber weiterschlafen.

»Oh«, machte Maria Unger genießerisch. Sie war eine vorzügliche Köchin, und wer gelegentlich bei ihr eingeladen wurde, schwärmte noch lange von ihrer Kochkunst. »Es gibt frische Salate, Seezunge mit Champignons und als Nachtisch Früchte mit Vanilleeis und Schlagsahne. Ist das nichts?«

Frieder netzte sich die Lippen, sah Petra beschwörend an und bat: »Wecke mich rechtzeitig! Jetzt werde ich ganz rasch schlafen.«

Während sich Maria Unger in ihre Wohnung zurückzog, beschloss Petra, erst später auszupacken, um Frieders Schlaf nicht zu stören. Jetzt wollte sie zunächst einmal ans Meer.

Petra durchschritt den herrlich angelegten Garten, der direkt zum Strand führte. Das Meer lag ruhig und blau schimmernd vor ihr. Jetzt, um die Mittagszeit, war die Hitze besonders groß, so dass sich die Urlaubsgäste in die Häuser zurückgezogen hatten. Nur ein einsamer Wanderer kam Petra entgegen. Er musste schon länger hier sein, denn seine Haut war gleichmäßig braun getönt. Er trug eine rote Badehose und schlenderte langsam dahin. Als er näher kam, sah Petra, dass er nicht nur eine tolle Figur, sondern auch sehr angenehme Züge hatte. Er grüßte höflich im Vorübergehen, und sie erwiderte den Gruß mit einem anmutigen Nicken des Kopfes. Über sich selbst belustigt, dachte sie, dass der Fremde ganz ihr Typ sei. Aber meistens waren die Männer, die ihr gefielen, bereits vergeben. Wie sollte auch ein so fantastisch aussehender Mann noch frei sein?

Als Petra kehrtmachte, befand sich auch der Fremde, genau wie sie, auf dem Rückweg. Wieder kamen sie einander entgegen. Es war geradezu lächerlich, dass Petra Herzklopfen bekam und den Eindruck hatte, vor lauter Aufregung nicht graziös zu gehen. Sie trug immer noch ihre Blue Jeans und den kleinen Sommerpulli. Nur die Schuhe hatte sie ausgezogen, um im Sand besser laufen zu können.

Angestrengt sah Petra über das in der Sonne flirrende Meer. Manchmal blieb sie auch stehen, um nach irgend etwas zu sehen, was sie in Wirklichkeit gar nicht sah. Obwohl es hier so viele Fremde gab, war im Augenblick außer diesem Unbekannten und ihr selbst niemand unterwegs. Wo sollte sie nur hinschauen, wenn sie an ihm vorüberging? überlegte sie. Vielleicht würde er irgend etwas zu ihr sagen? Etwa, dass das Wetter herrlich sei, das Meer sehr warm und dass morgen wieder ein so herrlicher Tag sein würde. Oder, dass sie wohl erst gekommen sei, weil sie noch gar nicht braungebrannt wäre und dass es nicht gut sei, zu lange in der Sonne spazieren zu gehen.

Petra wäre gern mit dem Fremden in ein Gespräch gekommen, doch er nickte ihr nur zu, und sie nickte zurück. Komisch, dass es ihr leid tat, ihn vielleicht nie mehr zu sehen. Wer weiß, wo er wohnte. Unauffällig blickte sie zurück. Glühende Röte schoss ihr ins Gesicht, als sie feststellte, dass auch er stehengeblieben war und zu ihr zurücksah. Wollte er vielleicht auskundschaften, wo sie wohnte? Ging es ihm wie ihr, dass ein Funke übergesprungen war?

Langsam schritt Petra auf das schmiedeeiserne Tor zu, das zu dem Grundstück von Maria Unger führte. Kein Zweifel! Der Fremde stand noch immer auf dem gleichen Platz und blickte zu ihr herüber. Warum hatte er sie nicht angesprochen? Es war doch wirklich harmlos, im Urlaub am Strand ein nettes Wort zu sagen. Das bedeutete nichts. Oh, ihr hätte es schon etwas bedeutet! Natürlich hätte auch sie etwas sagen können. Zum Beispiel: »Entschuldigen Sie, wissen Sie hier in der Nähe ein Restaurant? Ich bin eben erst angekommen. Wie weit ist es von hier bis San Felice?« Aber nein, das hätte sie nicht fertiggebracht. Sie war kein Mädchen, das sich auf einen Mann stürzte, um ihn unter allen Umständen kennenzulernen. Auch wäre ein solcher Annäherungsversuch so plump gewesen, dass er sie bestimmt als aufdringlich empfunden hätte.

Jetzt ging der Fremde doch weiter. Wahrscheinlich hatte er die kleine Begegnung schon wieder vergessen.

*

Frieder wurde nicht von Petra geweckt, sondern von einem merkwürdigen Plumps auf sein Bett. Er schrak hoch und sah schlaftrunken auf ein braunweißes Plüschtier, das mitten auf seinem Bett saß und ihn aus lustigen Knopfaugen ansah. Doch nein, es war gar kein Plüschtier, sondern ein sehr lebendiger, kugelrunder junger Hund.

Frieder jauchzte auf und schlang seine Arme um das Tier, das aussah, als würde es lachen. Dann wollte es sichtlich spielen, und bald war das ganze Bett durcheinandergebracht.

»Monzon!«, rief da Maria Unger, und der kleine Hund spitzte die Ohren. Er wirkte plötzlich sehr schuldbewusst.

»Dachte ich mir’s doch!« Maria Unger erschien lachend in der weit geöffneten Terrassentür.

»Monzon heißt er?«, fragte Frieder entzückt.

»Ja, nach dem berühmten italienischen Boxer.« Maria Unger packte Monzon mit zärtlichen Händen und setzte ihn auf den Teppich. »Du sollst nicht auf die Betten springen!« Entschuldigend wandte sie sich an Frieder: »Er ist noch sehr ungehorsam. Dauernd hält er mich in Trab.«

»Ich kann mich ja um Monzon kümmern«, schlug Frieder sofort vor.

Maria Unger schien sehr an dem kleinen Tier zu hängen. »Es ist besser«, sagte sie, »wenn ich Monzon ganz allein erziehe. Er soll von klein auf lernen, dass ich sein Frauchen bin, dem er zu folgen hat. Weißt du, er soll kein Spielhund werden, sondern auf mich aufpassen und mich beschützen.«

»Hast du denn Angst vor Räubern?«, erkundigte sich Frieder und musterte die stattliche Frau aufmerksam.

»Tja, ich bin manchmal im Frühjahr ganz allein hier. Da ist es gut, wenn man einen Wachhund hat. Aber da kommt deine Schwester. Das Essen ist in zehn Minuten fertig. Wenn du zu mir nach oben kommst, kannst du schon ein wenig mit Monzon spielen.«