Mein Glück in deinen Händen - Leni Behrendt - E-Book

Mein Glück in deinen Händen E-Book

Leni Behrendt

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Beschreibung

Leni Behrendt nimmt längst den Rang eines Klassikers der Gegenwart ein. Mit großem Einfühlungsvermögen charakterisiert sie Land und Leute. Über allem steht die Liebe. Leni Behrendt entwickelt Frauenschicksale, wie sie eindrucksvoller nicht gestaltet werden können. Bettina von Ergenthin schritt langsam durch die Zimmerflucht. Mit prüfendem Blick schweiften die grauen Augen durch die hohen, weiten Räume, die mit gediegener Vornehmheit ausgestattet waren. Viel Frühlingssonne, die ungehindert durch die geöffneten Fenster strömte, spiegelte sich in den blanken Flächen der Mahagonimöbel, huschte über die schweren Teppiche, das gepflegte Parkett, zitterte über Bilder, brach sich farbensprühend in Vasen und Schalen. Goldregen und Krokus, Schneeglöckchen, Anemonen und Leberblümchen, all die ersten Frühlingskinder prangten darin in strahlender Frische. Die stattliche Dame mit dem leicht angegrauten Haar betrat nun ein besonders lauschiges Gemach. Der hellgrüne Schleiflack der Möbel schimmerte wie weicher Samt, seidig glänzten die Bezüge der Polster, frisch wie eben gefallener Schnee wirkten Gardinen und Betthimmel, wie ein anmutiges Gebilde lag darunter die zartgrüne Daunendecke. »Hoffentlich ist es keine kleine Schleiereule, die fortan in dieser duftigen Angelegenheit ruhen wird«, ließ sich eine Stimme von der Tür her vernehmen, tief, sonor, mit einem leichten Unterton von Arroganz. Mit lachenden Augen sah die Dame der hohen Männergestalt entgegen, die nun näher trat. »So wird dieses reizende Etuichen sie bestimmt verschönen«, war die mutwillige Antwort... »Wie nämlich der Ton die Musik macht, so macht die Hülle und die Umrahmung den Menschen, du Spötter. Komm, sieh dir auch die andern Räume an und gib dann zu, daß an mir eine geniale Innenarchitektin verlorengegangen ist.« Seite an Seite gingen sie durch die Zimmer, bis der Mann bewundernd sagte: »Tatsächlich, Tinchen, mit der Möblierung hast du dich selbst übertroffen. Kaum zu glauben, was aus den alten Sachen geworden ist. Das glänzt und gleißt ja alles wie neu.« »Da siehst du, was man mit Politur, Lack, Farbe, Terpentin, Benzin, Wasser und Seife alles erreichen kann. Nun weiß man erst, wieviel Wertvolles der alte Kasten hier birgt. Das Herumstöbern darin hat mir riesige Freude gemacht.« »Merkt man, wenn man das harmonische Ganze betrachtet.

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Leni Behrendt Bestseller – 70 –

Mein Glück in deinen Händen

Leni Behrendt

Bettina von Ergenthin schritt langsam durch die Zimmerflucht. Mit prüfendem Blick schweiften die grauen Augen durch die hohen, weiten Räume, die mit gediegener Vornehmheit ausgestattet waren. Viel Frühlingssonne, die ungehindert durch die geöffneten Fenster strömte, spiegelte sich in den blanken Flächen der Mahagonimöbel, huschte über die schweren Teppiche, das gepflegte Parkett, zitterte über Bilder, brach sich farbensprühend in Vasen und Schalen. Goldregen und Krokus, Schneeglöckchen, Anemonen und Leberblümchen, all die ersten Frühlingskinder prangten darin in strahlender Frische.

Die stattliche Dame mit dem leicht angegrauten Haar betrat nun ein besonders lauschiges Gemach. Der hellgrüne Schleiflack der Möbel schimmerte wie weicher Samt, seidig glänzten die Bezüge der Polster, frisch wie eben gefallener Schnee wirkten Gardinen und Betthimmel, wie ein anmutiges Gebilde lag darunter die zartgrüne Daunendecke.

»Hoffentlich ist es keine kleine Schleiereule, die fortan in dieser duftigen Angelegenheit ruhen wird«, ließ sich eine Stimme von der Tür her vernehmen, tief, sonor, mit einem leichten Unterton von Arroganz. Mit lachenden Augen sah die Dame der hohen Männergestalt entgegen, die nun näher trat.

»So wird dieses reizende Etuichen sie bestimmt verschönen«, war die mutwillige Antwort... »Wie nämlich der Ton die Musik macht, so macht die Hülle und die Umrahmung den Menschen, du Spötter. Komm, sieh dir auch die andern Räume an und gib dann zu, daß an mir eine geniale Innenarchitektin verlorengegangen ist.«

Seite an Seite gingen sie durch die Zimmer, bis der Mann bewundernd sagte: »Tatsächlich, Tinchen, mit der Möblierung hast du dich selbst übertroffen. Kaum zu glauben, was aus den alten Sachen geworden ist. Das glänzt und gleißt ja alles wie neu.«

»Da siehst du, was man mit Politur, Lack, Farbe, Terpentin, Benzin, Wasser und Seife alles erreichen kann. Nun weiß man erst, wieviel Wertvolles der alte Kasten hier birgt. Das Herumstöbern darin hat mir riesige Freude gemacht.«

»Merkt man, wenn man das harmonische Ganze betrachtet. Aber wie ich sehe, hast du den beiden Ehepaaren kurzerhand je ein Schlafzimmer eingerichtet. Wenn sie nun daran gewöhnt sind, getrennt zu schlafen?«

»Bitte sehr, ich habe mich ganz nach den Ansprüchen gerichtet, die man brieflich kundtat: Zwei Schlafzimmer, Tochter-, Kinder- und Wohnzimmer. Ferner je eines für Kinderfräulein und Chauffeur. Alles da. Sogar noch ein repräsentabler Salon. Die Leutchen können mit ihrer Unterkunft wahrlich zufrieden sein, selbst wenn sie die höchsten Ansprüche stellen sollten.«

»Das kann man wohl sagen. Hast dir auch alle Mühe gegeben, mit viel Geschick und wenig Kosten dieses entzückende Heim zu schaffen. Ich danke dir, Tante Bettina.«

»Werde nur nicht feierlich, mein Sohn, das steht dir nämlich nicht. Verlassen wir diese einladende Stätte und strecken uns noch ein Stündchen in die Sonne. Denn so lange dürfte uns die Invasion noch eine Gnadenfrist gestatten.«

Einträchtig gingen sie zur Terrasse, wo die Kaffeetafel bereits gedeckt war. Man konnte es wagen, da die Sonne es recht gut meinte. Heute wenigstens. Morgen schon konnte der launische April mit unwirtlichem Wetter aufwarten. Also mußte man seine gnädige Laune auszunutzen verstehen.

Bettina ließ sich in einen der Schaukelstühle sinken, die nebst bequemen Liegestühlen zum beschaulichen Verweilen einluden. Tief zog sie die frühlingsatmende Luft durch die Nase und schaute mit frohen Augen um sich.

»Das sieht ja fast so aus, als hätte sich die Natur zum Empfang unserer Gäste festlich geschmückt. Placiere auch du dich, und laß uns Kräfte sammeln zu dem, was uns noch bevorsteht.«

Nachdem sie beide mit einer Zigarette versorgt waren, gaben sie sich ihren Gedanken hin. Sie drehten sich ausschließlich um den Mitbesitzer von Ergen und seine Familie, um die Testamentsbestimmung des verstorbenen Barons von Ergenthin.

Dieser war nie ein guter Landwirt gewesen und hatte daher auf seinem Besitz keine Reichtümer sammeln können. Ihn interessierten in der Hauptsache archäologische Dinge und allenfalls noch Frau und Tochter. Während er in Altertümern kramte, lebte die sensible, weltfremde Gattin in der Musik alter Meister. Da einer dem andern nicht ins Gehege kam, verlief die Ehe recht friedlich, bis ein freudiges Ereignis sie aus ihrer Beschaulichkeit aufrüttelte. Und zwar durch den kleinen Schreihals Wilma, der nach fünfzehnjähriger Ehe auf der Bildfläche erschien. Die schon bejahrten Eltern, die mit dem Zuwachs ganz und gar nicht mehr gerechnet hatten, betrachteten diesen späten Himmelssegen mit ehrfürchtiger Scheu, glaubten ihrer Liebe Genüge zu tun, wenn sie ihr Kleinod wie ein solches vergötterten. Es wurde gehegt und gepflegt, vor jedem kühlen Lüftchen ängstlich bewahrt, zumal es von über­aus zarter Konstitution war, die sich bei der überängstlichen Behandlung eher verschlechterte als verbesserte. Natürlich ließen die Eltern es nicht zu, daß Wilma eine Schule besuchte, sondern von Gouvernanten unterrichtet wurde, die das eigenwillige Persönchen so tyrannisierte, daß sie ihren schwierigen Posten immer wieder bald aufgaben. So herrschte dann unter ihnen ein ständiges Kommen und Gehen.

Selbstverständlich gaben die vernarrten Eltern den Damen die Schuld, nahmen ihr Kind stets in Schutz und merkten gar nicht, wie sie immer mehr zu dessen Sklaven wurden.

Die Jahre gingen dahin, und aus der kleinen Wilma wurde eine junge Dame. Sehr verwöhnt, sehr verzärtelt, sehr eigenwillig. Ein farbloses Treibhauspflänzchen ohne Saft und Kraft. Jeden Freier wies sie ab, weil sie sich ihren Vetter Herward Ergenthin in den Kopf gesetzt hatte und nur deshalb, weil er sie nicht besonders beachtete. Kein Wunder bei dem schneidigen Ulanenoberleutnant, der vor Lebenskraft nur so sprühte. Der paßte durchaus nicht zu der verzärtelten Mädchenblüte. Er lebte lustig in den Tag hinein und machte sich um die Zukunft keine Sorgen.

Um so mehr beschwerten sie ihn, als er nach dem ersten Weltkrieg vor dem Nichts stand. Daher überlegte er auch nicht lange, als sein Onkel ihm den Vorschlag machte, auf Ergen die Landwirtschaft zu erlernen. Er griff zu, ohne allerdings zu ahnen, daß Base Wilma hinter dem Angebot steckte und lag in Eheketten, ohne so recht zur Besinnung gekommen zu sein. Und da er nie ein Phantast gewesen war, der sich in der Ehe den Himmel auf Erden versprach, so war er mit dieser Bindung, die ihm nur zum Vorteil gereichen konnte, ganz zufrieden. Er fand auf dem großen Gut ein Arbeitsfeld, das ihm außerordentlich zusagte, wurde mit den Jahren ein sehr tüchtiger Landwirt, lebte mit seinen Schwiegereltern in bestem Einvernehmen und nahm seine Frau nicht ernst. Für ihre Launen hatte er nur ein Achselzucken, bei ihren temperamentvollen Auseinandersetzungen eine bewundernswerte Gelassenheit, für ihre Extravaganzen ein ironisches Lächeln.

Und so, wie ohne sein eigentliches Zutun die Eheketten ihn umschmiedet hatten, so lösten sie sich auch wieder ohne ein solches nach zweijähriger Ehe. Wilma verließ nach einer schweren Grippe zu früh das Bett, weil sie den großen Maskenball, auf den sie sich schon Wochen vorher gefreut, nicht versäumen wollte. Die Eltern flehten sie an, doch von dem leichtsinnigen Beginnen Abstand zu nehmen, der Gatte machte nicht so viel Worte, sondern verbot ihr in aller Ruhe den Besuch des Festes. Sie weinte, jammerte, tobte und machte sich dann heimlich auf und davon. Als man dessen gewahr wurde, holte Herward seine vergnügungssüchtige Frau zwar fast mit Gewalt nach Hause zurück, allein, das Schicksal nahm seinen Lauf. In dem leichten Flitterkleidchen, das bis zur äußersten Möglichkeit dekolletiert war, holte Wilma sich eine Lungenentzündung, der ihr ohnehin schon zarter Körper nicht standhalten konnte. Obgleich man berühmte Ärzte zuzog, tat das Herz der Kranken nach einigen Tagen seinen letzten Schlag. Daß dieses lebensgierige junge Geschöpf so früh dahingehen mußte, erschütterte selbstverständlich den Ehemann, aber noch mehr tat es der verzweifelte Schmerz der bedauernswerten Eltern.

Die Mutter erfaßte ein schwerer Nervenkollaps, dem sie im Sommer erlag, und im Herbst folgte ihr der fünfundsiebzig­jährige Gatte.

Da Herward Ergenthin mit seinem Schwiegervater sich stets gut verstanden hatte, konnte er mit Bestimmtheit annehmen, daß er Ergen erben würde. Das war auch tatsächlich der Fall, nur daß ein Herr Gülde, den der junge Baron von den Besuchen in Ergen kannte, Miterbe wurde. Die Erklärung dafür fand letzterer in einem Brief, den der Notar ihm aushändigte. So erfuhr er denn folgendes: Vor Jahren erhielt Clemens Ergenthin von Matthes Gülde eine hohe Summe, um eine Ehrenschuld damit zu decken, um die niemand wissen durfte. Sie wurde nicht hypothekarisch auf Ergen eingetragen, weil es eine schwere Belastung für das Gut gewesen wäre. Wiederum war es Ergenthin aber auch nicht möglich, diese Privatschulden zu tilgen, und da er als Ehrenmann nicht dulden konnte, daß der Mann, mit dem ihn trotz des großen Altersunterschiedes eine treue Freundschaft verband, um sein Geld kam, bestimmte er ihn zum Miterben. Das war nur recht und billig.

Zwar hätte Gülde eine andere Regelung gewünscht, aber da er sein Geld nicht verlieren wollte, mußte er die Erbschaft wohl oder übel annehmen, weil er sich ganz richtig sagte, daß der junge Ergenthin nicht in der Lage war, eine so hohe Summe auszahlen zu können. Als dieser ihm jedoch anheimstellte, mit ihm zusammen den Besitz zu verwalten, wehrte er händeringend ab: »Verschonen Sie mich bloß damit, Herr Baron. Ich verstehe von der Landwirtschaft so wenig, daß Sie mir mit Leichtigkeit ein X für ein U machen könnten, auch wenn ich Ihnen sozusagen auf der Nase säße. Da ich Sie für einen Ehrenmann halte, bin ich fest davon überzeugt, daß Sie in allem exakt vorgehen werden. Und das genügt mir. Das einzige, worum ich Sie bitte, ist, daß Sie mir und den Meinen Wohnrecht auf Ergen zubilligen.«

»Das haben Sie nach dem, wie die Dinge liegen, mit gutem Recht zu beanspruchen, Herr Gülde. Da uns die Erbschaft zu gleichen Teilen zugefallen ist, steht Ihnen selbstverständlich auch das halbe Haus zur Verfügung.«

»Na ja, gewiß, aber so penibel wollen wir die Angelegenheit denn doch nicht behandeln. Da uns der gute Clemens nun einmal zusammengekoppelt hat, müssen wir uns freundschaftlich zueinander stellen. Je besser wir uns vertragen, um so leichter wird es für beide Teile sein. Meinen Sie nicht auch, mein lieber Baron?«

»An mir soll es gewiß nicht liegen, Herr Gülde.«

»Na also, somit wäre alles in schönster Ordnung. Wirtschaften Sie nur nach Ihrem Ermessen, dann läuft die Karre schon richtig. Wenn es Sie beruhigt, können Sie mir jedes Vierteljahr eine Abrechnung schicken. Und, wenn Sie mal in der Klemme sind, genügt eine Postkarte, und ich trete in Erscheinung, um Sie herauszuhauen. Also keine falsche Scham, bitte ich mir aus. Wenn ich schon mit Ihnen an einem Strang ziehen muß, dann will ich es auch gründlich tun.«

So schieden die beiden Herren denn in bestem Einvernehmen. Gewissenhaft schickte Ergenthin seine Berichte, erhielt jedoch keine Antwort darauf.

Weil er sich in dem weiten Schloß zu einsam fühlte, bat er seine Tante, die in einem Stift lebte, nach Ergen überzusiedeln und seinem Hause vorzustehen. Mit Freuden war sie dazu bereit, rückte an und wirkte nun segensreich auf ihrem behaglichen Posten.

Vor zwei Wochen hatte sich Herr Gülde zum ersten Mal gemeldet, für sich und die Seinen um Quartier gebeten, und heute wurden sie erwartet. Nicht freudig, sondern mit gemischten Gefühlen.

Zwar war Herr Gülde dem Baron sympathisch, aber das berechtigte noch lange nicht zu der Annahme, daß die Familienmitglieder es auch sein müßten. Er hatte ja weniger mit ihnen zu tun, doch seine Tante, die dem Hause vorstand…

»Du tust mir leid, Bettinchen«, sagte er aus diesem Gedankengang heraus, und sie schnitt eine Grimasse.

»Laß man, mein Sohn, ich verstehe mich ganz gut zu wehren. Zu ihrem Recht werden die Leute kommen, aber mit ihren Launen und Extravaganzen sollen sie mir vom Hals bleiben.«

»Rechnest du denn so fest damit?«

»Bei solchen Menschen immer. Die glauben nämlich, daß sie sich kraft ihres prallgefüllten Geldbeutels alles erlauben dürfen. Sollen sie getrost in ihren eigenen vier Wänden, aber in den unseren werden sie sich wohl nach uns richten müssen. Am besten wäre, wenn sie ihren eignen Hausstand führten. Läßt sich das nicht einrichten, Herward?«

»Schlecht, Tante Bettina, da erst Wirtschaftsräume ausgebaut werden müßten. Außerdem nehme ich an, daß sie es nicht lange auf dem Lande aushalten werden und schleunigst in die Stadt zurückflüchten.«

»Das walte Gott. Hörst du den Lärm? Auf in den Kampf, da naht schon das Verderben!«

Lachend sprang sie auf, strich das Haar glatt, zupfte das Kleid zurecht und begab sich an der Seite des Neffen vor das Portal. Die Gäste waren bereits dem geräumigen Sechssitzer entstiegen und betrachteten staunend den ehrwürdigen, feudalen Bau. Gülde sen., der die beiden Menschen am Portal zuerst bemerkte, winkte ihnen lachend zu.

»Da bin ich mit Kind und Kegel! Ein Kegelchen fehlt allerdings noch. Nun hopp, meine Lieben, gehen wir zum Angriff auf die friedliche Beschaulichkeit unserer Gastgeber über.«

Während der Vorstellung und Begrüßung kam die übliche diskrete Musterung von Mensch zu Mensch, weil der erste Eindruck ja immer der entscheidende sein soll, wobei man jedoch den Anspruch: Keine Regel ohne Ausnahme gelten lassen muß.

Der Vorstand der Familie, groß, breit, markantes Gesicht, kräftige Nase, graumeliertes Haar. Gesamteindruck: Vornehmer Kaufmann mit dem sicheren Auftreten des gebildeten Geldmenschen.

Die Gattin, Frau Elma, noch jugendlich wirkend, elegant, charmant.

Gesamteindruck: Dame.

Der Sohn, ein wohlerzogener junger Mann aus gutem Hause, frisch, natürlich, schneidig und gut gekleidet. Gesamteindruck: Angenehm und recht sympathisch.

Die Gattin, Frau Christa, zierlich, anmutig, elegant. Gesamt­eindruck: Ein liebenswertes Menschenkind, das man ohne Nachteil verwöhnen kann.

Der kleine Stammhalter mit all der goldigen Süße seiner vier Jahre. Ob unangenehm verwöhnt, das mußte die Zukunft lehren. Seine Erzieherin, nicht mehr jung, doch anscheinend lieb und bescheiden, dabei energisch, wenn ihr Amt es verlangte. Der neben dem Auto stehende Chauffeur so, wie man ihn gern sieht.

So fiel die Musterung von der einen Seite aus und von der andern: Der junge Baron mit den Merkmalen eines alten reinrassigen Geschlechts. Ritterlich, stolz in gutem Sinne, gelassen, zurückhaltend und nur den Herrenmenschen herauskehrend, wenn es notwendig wurde. Dann jedoch fest und unerschütterlich.

Die Baronesse, ein Typ der vornehmen Dame, die durch ihre Persönlichkeit allein schon achtungsheischend wirkt.

»Seien Sie uns herzlich willkommen«, begrüßte sie die Gäste liebenswürdig. »Daß Sie sich in Ihrem Heim wohl fühlen mögen, ist meines Neffen und mein ehrlicher Wunsch.«

»Das werden wir gewiß«, gab Frau Elma gleichfalls liebenswürdig zurück. »Ich finde es bereits so schön hier, daß ich seßhaft zu werden gedenke.«

Da haben wir’s, dachte Bettina resigniert und setzte laut hinzu: »Das ist ja auch Ihr gutes Recht, Frau Gülde. Darf ich mir erlauben, die Herrschaften in die Wohnung zu führen?«

Allgemein wurde das lebhaft bejaht. Als man die Räume in Augenschein nahm, war man begeistert. Fand alles reizend, entzückend, einfach fabelhaft und beteuerte immer wieder, daß man sich hier unbedingt heimisch fühlen müßte. Dann ließen Tante und Neffe die fröhliche Gesellschaft allein, nachdem erstere gebeten hatte, nach Belieben auf der Terrasse zur Kaffeetafel zu erscheinen. Der Diener, der sich nach zweimaligem Klingeln zu melden hatte, würde die Herrschaften führen.

»So, das wäre geschafft«, ließ Bettina sich in den Schaukelstuhl sinken, in dem sie vorher gesessen. »Das nennt man anstrengend. Aber macht nichts, die Menschen gefallen mir gut. Dir auch, Herward?«

»Abwarten.«

»Diplomatisch ausgedrückt. Jetzt steht nur noch die Bekanntschaft der jungen Erbtochter aus. Den Eltern nach zu schließen muß sie hübsch sein.«

»Selbstverständlich. Dazu Verzug des Vaters, Eitelkeit der Mutter, Ärgernis von Bruder und Schwägerin, Quälgeist des Neffen und Schrecken ihrer Umgebung.«

»Na, so ein Spötter!« lachte Bettina herzlich. »Aber du kannst schon recht haben. Jedenfalls bin ich auf die Bekanntschaft der jungen Dame riesig gespannt.«

»Ich kann’s abwarten«, gab er achselzuckend zurück und sah dann dem Diener entgegen, der mit der fröhlich lärmenden Gesellschaft erschien. Entzückte »Ahs« und »Ohs« wurden laut. Die einzig schöne Terrasse, der wundervolle Park, die herrliche Blumenpracht, über alles freute man sich ausgiebig.

Der kleine Bernhard wurde von seinem Fräulein noch rechtzeitig zurückgehalten, bevor er in Gefahr geriet, die Stufen der Terrasse hinabzukugeln.

Dann saß man endlich am Kaffeetisch und ließ sich alles, was gereicht wurde, gut munden. Zur Verwunderung der Gastgeber benahm sich der kleinste Gast recht manierlich. Er kippte nicht die mit Schokolade gefüllte Tasse um, aß ohne Maulerei das, was sein Fräulein ihm auf den Teller legte und quakte nicht in die Unterhaltung der Erwachsenen hinein. Er schien sogar auf die Augensprache seiner Erzieherin zu reagieren, und mehr konnte man von so einem kleinen Schelm doch wirklich nicht verlangen.

Und dann stand plötzlich das Mädchen auf der Terrasse, an das Bettina und ihr Neffe schon gar nicht mehr dachten. Frisch und hellsonnig wie der Frühlingstag draußen, lachend und froh, von einer bestrickenden Natürlichkeit. Goldbraunes Haar, grünblaue Augen in einem zartgeschnittenen weichen Antlitz, grazile Gestalt über Mittelgröße, mit ausgesuchter Eleganz gekleidet.

Gesamteindruck: Ein zauberschönes Menschenkind, dem ohne jedes Zutun leicht entflammte Männerherzen auf den ersten Blick zufliegen.

»Da ist ja die Gune!« rief jetzt das Bürschlein entzückt, rutschte vom Stuhl und umfing die Beine der Tante stürmisch mit den drallen Ärmchen. »Ich habe meinen Strupp vergessen.«

»Sieht dir ähnlich, du ungetreues Herrchen. Nun verlangst du gar von mir, daß ich dir deinen Strupp nachbringe, wie?«

»Oh, Gunelein...«

»Nun laß das Weinschippchen, mein Sohn. Später darfst du deinen Intimus begrüßen. Laß mich los und geh auf deinen Platz zurück, damit ich unsere Gastgeber begrüßen kann.«

Das geschah mit artigem Handkuß bei Bettina und kühlem Handschlag bei dem Baron. Dann setzte sie sich in die Tafelrunde und lachte alle der Reihe nach an.

»Schön ist es hier. Wald und Wasser, weite Felder und grüne Auen, Schloß, Park, Romantik, da habe ich alles, was mein schönheitsdurstiges Herz begehrt.«

»Das beruhigt mich ungemein, Marjellchen«, schmunzelte der Vater. »Hier hast du wenigstens Platz, um deinen Übermut auszutoben.«

»Das möchte ich manchmal auch, nur Fräulein Rita läßt es nicht zu«, beklagte sich der kleine Knabe und sah vorwurfsvoll auf die lachenden Menschen rundum. »Darf ich jetzt meinen Strupp holen und mit ihm im Park herumlaufen, Frau Tante?«

Das galt Bettina, die sich gleich den andern über den ernsthaften kleinen Burschen köstlich amüsierte.

»Meinetwegen darfst du es schon, mein Jungchen.«

»Dann ist gut, weil du hier am meisten zu sagen hast. Nicht wahr, Mutti?«

»Du hast den Sinn erfaßt«, gab diese lachend zurück. »Hol dir deinen Strupp. Wo findet er ihn, Gunild?«

»In meinem Auto. Ich fand ihn zu Hause jaulend vor und brachte ihn mit.«

»Dafür bist du auch meine gute Gune«, beteuerte der Kleine und trottete dann an der Hand seines Fräuleins zufrieden davon.

»Ist doch ein Mordsbengel«, schmunzelte der Großvater ihm nach. »Ganz mein Ebenbild.«

»Natürlich«, bemerkte die Gattin trocken. »Immer wenn er artig ist, stempelst du ihn zu deinem Ebenbild. Wenn er ungezogen ist, kommt die Erbmasse seines Vaters in Frage…«

»Oder die meine«, ergänzte Christa neckend. »Werfen wir lieber alles zusammen in einen Topf, dann gibt es die richtige Mischung von gut und böse.«

»Na schön«, meinte der Schwiegervater friedfertig, steckte eine Zigarre in Brand und legte sich behaglich im Korbsessel zurück. »Kinder, ist das herrlich hier. Wenn ich ein Kater wäre, würde ich bestimmt vor Wohlbehagen schnurren: Wie ist es, Baroneß, sind Sie uns sehr gram, daß wir achte an der Zahl so mir nichts, dir nichts ins Haus fallen? Denn Sie als Repräsentantin müssen doch in erster Linie für die Abfütterung des Massenbetriebs aufkommen.«

»Da machen Sie sich nur keine Sorge, Herr Gülde«, entgegnete sie lachend. »Satt werden wir schon alle werden, sein Bett hat auch jeder, frische Luft gibt es gratis, und mehr darf man auf dem Lande nicht verlangen.«

»Und die Unruhe?«

»Fällt in diesem großen Kasten wohl kaum ins Gewicht. Noch etwas auf dem Herzen, mein Herr?«

»Da Sie meine Bedenken so liebenswürdig zu widerlegen verstehen, bin ich restlos glücklich, verehrte Baroneß. Und soweit ich an den Mienen der Meinen feststellen kann, sind sie es auch. Nur unsere Gune sieht so aus, als ob sie Sorgen hätte. Lade sie auf deinen Paps ab, denn seine Schultern sind am breitesten. Ich bitte um ein Stichwort.«

»Piese.«

»Ach, daher weht der Wind«, lachte er in seinem dröhnenden Baß. »Ja, da muß ich mich als Fürsprecher wohl an den Herrn Baron wenden, dafür ist er nämlich kompetent. Piese ist das Reitpferd meiner Tochter, an dem sie genauso hängt, wie unser Hardy an seinem Strupp.«

»Ich bin bereits im Bilde, Herr Gülde«, klang nun die sonore Stimme auf. »Natürlich steht es den Herrschaften frei, in Ergen ganz nach Belieben zu schalten und walten. Vergessen Sie bitte nicht, daß Sie dasselbe Recht hier besitzen wie meine Tante und ich.«

»Da hört ihr’s, Kinder. Ist Ergen für uns nun ein Eldorado oder nicht? Schauen Sie nur, Herr Baron, wie sie alle strahlen. Und dabei hatten sie vorher so große Angst, hier lästig zu fallen.«

»Galant finde ich es gerade nicht, so aus der Schule zu plaudern«, hob die Gattin drohend den Finger nach ihm, den er einfing und zärtlich küßte. »Ich werde jetzt einen Spaziergang durch den Park machen. Wer Lust hat, schließe sich an.«

Das taten sie alle und stießen dabei auf manches, das sie aufs neue begeisterte. Alter Baumbestand, weite gepflegte Rasenflächen mit Blumenrabatten, deren Exaktheit die kunstvolle Hand des Gärtners verrieten, sogar ein gut erhaltener Tennisplatz fehlte nicht. Hinter einer Seitenpforte eine große Wiese, die in den Wald führte. Auf der andern Seite führten Stufen direkt in den See hinein. Auch ein Badehaus mit einer kleinen Veranda davor fehlte nicht, gleichfalls nicht Kahn und Paddelboot.

»So wunderschön habe ich mir Ergen nun wirklich nicht vorgestellt«, sagte Frau Elma zu Tante und Neffen, zwischen denen sie geruhsam dahinschritt, während die andern seitlich ausgeschwärmt waren. »Ich sehe es schon kommen, daß wir hier fast mehr weilen werden als zu Hause. Hauptsächlich meine Tochter, die ein großer Naturfreund ist.«