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Der Journalist Jürgen Lang ist Mitte 40, als ihm sein Körper durch Schmerzen und Einschränkungen der Bewegung mitteilt, dass etwas nicht stimmt. Ein halbes Jahr dauert es, bis der Verursacher gefunden ist: die glutenbedingte Autoimmunerkrankung Zöliakie. Das Essen und Trinken von Lebensmitteln, die Gluten enthalten - das sind vor allem Lebensmittel aus den Getreiden Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste und Hafer - hat die Gesundheit beeinträchtigt. Da es gegen die Zöliakie keine Medikamente gibt, führt der einzige Weg zurück in ein Leben ohne Beschwerden über eine glutenfreie Diät, bei der lebenslang alle Produkte mit einem glutenhaltigen Getreide zu meiden sind. Den Weg zu nehmen, ist durchaus anspruchsvoll, da zum einen ein glutenfreies Lebensmittel nicht frei von Gluten sein muss und zum anderen nicht nur die Ernährung um-, sondern auch die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben auf den Kopf gestellt wird. Wie also kann ich Gluten in einer Speise oder einem Getränk entdecken? Wie viel Gluten steckt in welchem Lebensmittel? Wo kann ich noch essen gehen? Was muss ich tun, um nicht ausgegrenzt zu werden oder mich ausgegrenzt zu fühlen? Jürgen Lang erzählt von seinem Weg in das Leben ohne Gluten, erklärt die Wirkung von Gluten und das Funktionieren der glutenfreien Diät und verrät, wie es sich ohne Einbußen bei der Lebensqualität gut sicher glutenfrei leben lässt. Mit Tipps für den sicheren Umgang mit glutenfreien Produkten in Haushalten mit glutenfreien und glutenhaltigen Lebensmitteln, am Arbeitsplatz und in der Gastronomie.
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Seitenzahl: 267
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jürgen Lang
MEIN LEBEN OHNE GLUTEN
KEIN WEIZEN. KEINE GERSTE. KEIN ROGGEN. KEIN DINKEL. KEIN EMMER. KEIN HAFER.
Copyright © Jürgen Lang 2021. Alle Rechte vorbehalten.
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ISBN 9783347420564 | Paperback
ISBN 9783347420571 | Hardcover
ISBN 9783347420588 | E-Book
Jürgen Lang
MEIN LEBEN OHNE GLUTEN
Gewidmet meiner Frau Carmen.Gracias por tu paciencia.Gracias por ser parte de mi vida ypor dejarme ser parte de la tuya.
Die Informationen in diesem Buch geben die Erfahrungen und Ansichten des Autors wieder. Alle Angaben zu Erkenntnissen aus Wissenschaft und Forschung sowie Gesetzen und Verordnungen entsprechen dem Stand zum Zeitpunkt der Drucklegung.
Inhalt
Der Anfang vom Anfang
Die Suche nach dem sicher glutenfreien Leben
Beschwerdefreies Leben oder hohe Lebensqualität?
Ein- und zweideutige Kennzeichnungen
Was Gluten ist
Wann und wen Gluten krankmacht
Gluten entdecken, Gluten meiden
Gluten und glutenfrei in den Verordnungen
Gluten-Kennzeichnungen
Glutenfrei-Hinweise
Lebensmittel ohne Kennzeichnung und ohne Hinweis
Wie Glutengehalte kontrolliert werden
Wie Glutengehalte festgestellt werden
Der Einstieg in das sicher glutenfreie Leben
Wie viel Gluten schädlich ist
Wie sicher der Grenzwert ist
Andere Sichtweisen – andere Grenzwerte
Die Glutenfrei-Ampel
Das Absichern der Glutenmengen
Das Herantasten an die Toleranzen – ich irre mich zum Erfolg
Die persönliche Risikoeinschätzung
Richtung Möglichkeit oder Richtung Risiko
Die Glutenfrei-Ampel für die Lebensmittel
Lebensmittel, von Natur aus ohne Gluten
Lebensmittel ohne glutenhaltige Zutat
Glutenfreie Lebensmittel
Lebensmittel mit einem sehr geringen Glutengehalt
Lebensmittel speziell formuliert
Lebensmittel mit anderen Glutenfrei-Zertifizierungen
Getränke
Glutenfrei auch ohne Hinweis?
Weizenfreie Lebensmittel
Lebensmittel oder kein Lebensmittel?
Die Glutenfrei-Ampel für Produkte, die keine Lebensmittel sind
Arzneimittel und Medikamente
Pflege–, Hygiene- oder Kosmetikartikel
Bastel–, Mal- und Spielsachen
Die Glutenfrei-Ampel für die eigenen vier Wände
Der glutenfreie Haushalt
Der glutenfreie im glutenhaltigen Haushalt
Glutenfreie und glutenhaltige Speisen zeitgleich zubereiten
Die Glutenfrei-Ampel für den Umgang mit glutenhaltigen Lebensmitteln
Die Glutenfrei-Ampel für das Essengehen
Essengehen innerhalb der Familie und bei Freunden
Essengehen in einer Gastronomie
Die Glutenfrei-Ampel für das Verreisen
Zöliakie bei Kindern
Das Malheur, die paar Krümel und die Extrawurst
Die Risikobewertungen und die Annahmen
Wenn es doch passiert – der Glutenunfall
Glutenfrei kochen, grillen und backen
Auch das gehört zum glutenfreien Leben
Glutenfrei gleich gesund – ein Missverständnis
Das teure glutenfreie Leben
Informiert bleiben
Zöliakiegesellschaften und das Leben ohne Gluten
Willkommen im Leben ohne Gluten
Danke
Die Anhänge
Wörter und Wortkombinationen für glutenhaltige Zutaten
Lebensmittel ohne Gluten und ohne Glutenfreihinweis
Stoffe und Erzeugnisse, die Allergien oder Unverträglichkeiten auslösen
Richtmengen für kennzeichnungspflichtige Allergene
Glutenmengen pro Verzehrmenge und Glutenbelastung
Glutenmengen in glutenhaltigen Lebensmitteln
Internetadressen der Zöliakiegesellschaften
Wörter- und Stichwortverzeichnis
Wer nicht jeden Tag etwas Zeit für seine Gesundheit aufbringt,muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern.
Sebastian Anton Kneipp
Der Anfang vom Anfang
»Es ist das Gluten. Sie haben eine Zöliakie.«
Als ich diese Worte von meinem Arzt gehört hatte, standen mir die Fragezeichen vermutlich ins Gesicht geschrieben.
Gluten? Zöliakie?
Das Nachreichen erster Informationen war nett gemeint, half mir in dem Augenblick aber nur bedingt weiter. Es handle sich um eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, hieß es, eine durch Gluten verursachte Störung des Immun- und Verdauungssystems. Das schädliche Gluten komme in Lebensmitteln aus Getreide vor, insbesondere in Backwaren und Nudeln, Pizza oder auch Bier. Durch ihren Verzehr werde eine Immunreaktion ausgelöst und deshalb dürfe ich alle Speisen und Getränke, die Gluten enthalten, ab sofort nicht mehr essen oder trinken. Es gebe aber eigens glutenfreie Produkte.
Heilbar sei die Zöliakie nicht und Medikamente existierten auch keine. Die Behandlung bestehe allein in einer glutenfreien Diät, die für den Rest des Lebens eingehalten werden müsse.
Aha. Eine Zöliakie also.
Eine Zöliakie?
Beim Erklären fehlte freilich nicht das für Mediziner typische Fachlatein: Von einer Schädigung der Zotten im Relief des Dünndarms war die Rede, von Antigenen und Antikörpern gegen Gliadin sowie sonstigen Dingen, von denen ich als klassischer Otto Normalpatient nicht einmal wusste, dass es sie gibt.
Immerhin hatte ich den Begriff Gluten schon einmal gehört und ich meinte, ihn grob einordnen zu können. Ebenso meinte ich zu wissen, was Getreide ist. Doch – was ist Gluten genau und in welchen Lebens- und Nahrungsmitteln ist es enthalten? Welche Pflanzen gehören zum Getreide und wie viele Sorten gibt es? Was ist eine glutenfreie Diät und vor allem: Wie funktioniert sie? Auch dass es eigens glutenfreie Lebensmittel gibt, war mir neu.
Natürlich ist jede Situation beim Arzt anders. Anstatt von einer Zöliakie kann von einer einheimischen Sprue, einer Glutenintoleranz oder Glutenunverträglichkeit oder auch von einer glutensensitiven, gluteninduzierten oder glutenbedingten Enteropathie die Rede sein. Verschiedene Namen, dieselbe Erkrankung.
Die eine Person ist selbst betroffen, bei einer anderen ist es das symptomgeplagte Kind oder die Zöliakie macht dem geliebten Partner zu schaffen. Hier treten Symptome bei Babys und Kleinkindern auf, dort Beschwerden bei Patienten im fortgeschrittenen Erwachsenenalter. Möglicherweise wird die Zöliakie auch eher beiläufig oder zufällig entdeckt. Und nach der Diagnose erhält der eine Betroffene vielleicht die Telefonnummer einer Ernährungsberatungsstelle, ein anderer eine Informationsbroschüre und ein Dritter nur beste Wünsche für die Zukunft mit auf den Weg.
Lediglich eins ist immer gleich: Kein Patient geht nach seiner Diagnose mit einem Rezept für ein die Zöliakie heilendes oder wenigstens bekämpfendes Medikament nach Hause. Und in ein paar Tagen oder Wochen ist auch nicht alles wieder gut.
Zu dem Zeitpunkt konnte ich kaum – und wird niemand – ahnen, dass die Zöliakiediagnose eine Diagnose ist, die das Leben ziemlich umkrempelt. Aber nicht nur das eigene Leben wird auf den Kopf gestellt, sondern auch für das Umfeld sich einiges ändern.
Jetzt steht für den Rest des Lebens eine glutenfreie Diät an. Das klingt nicht nach Spaß. Das klingt nicht lecker. Das klingt vielmehr nach diesen diätetischen Lebens- und Nahrungsmitteln für besondere medizinische Zwecke, die in Reformhäusern erhältlich sind oder in Supermärkten irgendwo in der Ecke stehen. Vermutlich schmecken sie nicht einmal und werden völlig überteuert angeboten. Bislang habe ich solchen Produkten keinerlei Beachtung geschenkt. Warum auch? Schließlich war ich ja nicht betroffen.
Da gerade vom Supermarkt die Rede ist: Wie sieht es dort mit den glutenfreien Produkten aus?
Mit einem gespannten Na-dann-schaue-ich-doch-mal geht es auf zum ersten Einkauf in meinem neuen glutenfreien Leben. Dass auf den Verpackungen der Lebensmittel die Allergene aufgeführt sind, weiß ich zumindest. Ich weiß allerdings nicht, wie viele Allergene es überhaupt gibt und welche Zutaten alle zu den Allergenen zählen.
Schnell finde ich erste Produkte, bei denen im Zutatenverzeichnis Wörter wie Ei, Milch, Erdnüsse, Senf oder Schalentiere hervorgehoben sind – nur das Wort Gluten taucht nicht auf.
Ist Gluten überhaupt ein Allergen?
Auf einer Tafel Schokolade steht der Hinweis »Kann Spuren von Gluten enthalten«. Immerhin etwas, aber was heißt das jetzt? Alles Mögliche kann enthalten sein. Ich möchte wissen, ob es so ist.
Nudeln, Brot und Brötchen zählen ja ab sofort zu den für mich verbotenen Lebensmitteln, hier sind bei den Zutaten Weizenmehl und Roggenmehl hervorgehoben. Ein Anhaltspunkt. Gluten soll ja im Getreide enthalten sein, erwähnt wird es aber auch hier nicht.
Endlich sehe ich das Wort glutenfrei auf einer Verpackung. Ein kleines Regal ist gefüllt mit Produkten, auf denen es steht, dazu ist auf den Verpackungen ein Symbol mit einer durchgestrichenen Ähre aufgedruckt. Einige Brote und Aufbackbrötchen, etwas Gebäck und Knabberzeug, Nudeln, Mehl und Backmischungen. Das sind sie dann wohl, die besagten diätetischen Lebensmittel.
Doch dann lese ich auf einer der Verpackungen den Hinweis Glutengehalt maximal 20 mg/kg. Ist das Lebensmittel doch nicht glutenfrei? Es wird noch verwirrender: Auf einer anderen Verpackung steht der Hinweis glutenfrei und das Symbol der durchgestrichenen Ähre, im Zutatenverzeichnis allerdings auch Weizen.
Weizen ist doch ein Getreide! Wie kann ein glutenfreies Produkt dann Weizen enthalten?
Später sehe ich den Hinweis glutenfrei noch auf einer Packung mit Kartoffeltaschen – aber ohne Symbol. Die Kartoffeltaschen habe ich schon vor meiner Diagnose gekauft, ohne den Glutenfrei-Hinweis bemerkt oder auf ihn geachtet zu haben. Nur ist das Produkt doch kein diätetisches Lebensmittel. Oder doch?
Jetzt bin ich irritiert. Auf das eingangs gespannte Na-dann-schaue-ich-doch-mal folgt eine ziemliche Ernüchterung: Weder kann ich die Lebensmittel mit Gluten zweifelsfrei ausmachen, noch die glutenfreien. Genau genommen verstehe ich die Kennzeichnungen und Hinweise auf den Lebensmittelverpackungen nicht richtig.
▪ Welche Zutaten stehen für dieses ominöse Gluten?
▪ Warum gibt es Produkte mit dem Hinweis glutenfrei und dem Symbol der durchgestrichenen Ähre und andere mit Hinweis, aber ohne Symbol?
▪ Was ist mit den Lebensmitteln, bei denen im Zutatenverzeichnis kein Getreide aufgeführt ist, auf der Verpackung aber auch nicht das Wort glutenfrei steht?
▪ Was bedeutet der Hinweis auf Spuren von Gluten, die enthalten sein können?
▪ Und wie kann es sein, dass die Wörter glutenfrei und Weizen zusammen auf einer Verpackung stehen?
Fragen über Fragen! Wer soll da bitte durchblicken? Das glutenfreie Leben ist wohl nicht so einfach.
Wenn allerdings schon das Entdecken des Glutens bei den Lebensmitteln im Supermarkt kompliziert ist, wie sieht es dann erst bei einer Einladung zum Essen mit der Familie oder bei Freunden oder beim Essengehen in einem Café oder Restaurant aus? Wie kann ich mich richtig schützen, ohne dass sich meine Lebensqualität mindert?
Noch mehr Fragen!
Da stehe ich nun wie der berühmte Ochse vor dem noch berühmteren Berg und habe keine Ahnung von glutenhaltigen und glutenfreien Lebensmitteln oder der glutenfreien Diät.
Mir jetzt Hilfe zu holen, war nach dem kleinen Fiasko beim ersten Supermarkteinkauf ratsam, zudem ich in einem Haushalt lebte, in dem sich meine Mitbewohner – natürlich – weiterhin glutenhaltig ernähren würden.
Also habe ich mit einem Diät- und Ernährungsberater gesprochen, um zu erfahren, was jetzt am besten und was besser nicht zu tun ist. Bei den Gesprächen erhielt ich auch viele Hinweise und Ratschläge, auf was ich bei der glutenfreien Diät alles zu achten habe und wie die Vorgaben für die Diät umzusetzen seien.
♦ Meiden sie alle Lebensmittel aus Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste oder handelsüblichem Hafer.
♦ Erstellen sie einen Speiseplan und kaufen sie nur Produkte mit Symbol der durchgestrichenen Ähre und Aufschrift glutenfrei.
♦ Achten sie in der Küche darauf, dass die Speisen bei der Lagerung oder Zubereitung nicht kontaminiert werden.
♦ Weisen sie beim Essengehen immer darauf hin, dass sie Lebensmittel aus Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste oder handelsüblichem Hafer unbedingt meiden müssen.
♦ Fragen sie in einem Restaurant, ob das Zubereiten von glutenfreien Gerichten möglich ist.
Doch obwohl ich alle Ratschläge gewissenhaft befolgte und alles, was ich aß und trank, wie empfohlen glutenfrei war – essengegangen bin ich nur in dem Lokal in meinem Stadtviertel, was glutenfreie Speisen angeboten hat –, verlief mein glutenfreies Leben in den ersten Tagen und Wochen alles andere als reibungslos. Es wollte einfach nicht funktionieren, gänzlich beschwerdefrei zu leben.
Mit dem Vertiefen in das Thema und nach zahlreichen Gesprächen mit anderen Zöliakiebetroffenen kam ich dem Problem langsam aber sicher auf die Spur und fragte mich, ob das glutenfreie Leben in der Art und Weise, wie ich es führte – oder viel eher ausprobierte –, überhaupt funktionieren kann.
Also hinterfragte ich die erhaltenen Hinweise und Ratschläge und überprüfte die Informationen – und stellte erstaunt fest, dass so mancher Hinweis und Ratschlag wie auch so manche Information über die Zöliakie nebst den auf den Hinweisen, Ratschlägen und Informationen basierenden Vorgaben für den glutenfreien Alltag einer Überprüfung gar nicht standhalten. Es ist nicht so, dass die Informationen generell falsch waren, oft aber zumindest fraglich, weil viel zu allgemein oder auch unvollständig.
Und jetzt?
Allzu viele Möglichkeiten gab es nicht. Wird der eigene Anspruch an die Qualität der zur Verfügung stehenden Informationen zu einer Thematik oder Problematik nicht erfüllt, bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als das Thema selber umfassend aufzuarbeiten und für sich zu erschließen.
Das galt es zu tun und das habe ich getan und deshalb lebe ich heute nicht nur glutenfrei, sondern sicher glutenfrei – und vor allem beschwerdefrei. Damit das gelingt, bedürfen das Einhalten und der Umgang mit der glutenfreien Diät ein wenig logischen Denkens und ein wenig mehr konsequenten Lassens und Tuns.
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Nun habe ich das Buch nicht geschrieben, damit andere von einer Zöliakie Betroffene erfahren, was sie zu tun oder zu lassen haben.
Ebenso dient das Buch nicht dazu, um ohne medizinische Diagnose und Begleitung alleine herausfinden zu können, ob jemand eine glutenbedingte Erkrankung hat oder nicht.
Vielmehr habe ich das Buch als Hilfestellung geschrieben, um all denjenigen, die eine glutenbedingte Erkrankung und insbesondere eine Zöliakie haben, bei der Organisation und Bewältigung ihres Alltags zu helfen. Und das Buch ist dazu da, allen zu helfen, in deren privaten oder beruflichen Umfeld – vielleicht in der Pflege – jemand von einer Zöliakie betroffen ist. Oder wenn jemand in einer Gastronomie tätig ist und seinen Kunden beziehungsweise Gästen auch sicher glutenfreie Speisen und Getränke anbieten möchte.
Die Suche nach dem sicher glutenfreien Leben
Ich habe also ein Problem namens Zöliakie. Die Lösung für das Problem kenne ich bereits: die glutenfreie Diät. Nur den Weg dahin – den Lösungsweg –, den muss ich mir erarbeiten.
Nun ist es heutzutage üblich, bei einer Frage oder einem Problem zunächst einmal die eine oder andere Suchmaschine im Internet zu bemühen. Die Suchmaschinen zeigen sich auskunftsfreudig und geben zu Suchbegriffen wie Gluten, Zöliakie, glutenfreie Diät oder glutenfreie Ernährung zigtausende Ergebnisse aus. Es mangelt mir also nicht an Informationen.
Angesichts der Menge ist es allerdings recht sinnbefreit, in einer solchen Datenflut die gesuchten Informationen finden zu wollen. Daher beschränke ich die Suche auf den Begriff Zöliakie und stoße so gleich auf der ersten Seite der Ergebnisse auf die Webseiten der Zöliakiegesellschaften.
Eine Zöliakiegesellschaft ist eine Gesundheitsorganisation oder Solidargemeinschaft, die unter anderem Zöliakiebetroffene berät, sich für deren Anliegen einsetzt, Informationen zur glutenfreien Diät bereithält und glutenfreie Lebensmittel mit dem Glutenfrei-Symbol zertifiziert. Die Gesellschaften gibt es – teils auch als Vereinigung, Zusammenschluss, Interessen- oder Arbeitsgemeinschaft – in so gut wie allen Ländern.
Eine dieser Webseiten ist die der IG Zöliakie der Deutschen Schweiz und dort ist zu lesen, dass
▪ die Zöliakie eine Unverträglichkeit gegenüber Gluten sei und Gluten ein Sammelbegriff für Proteine, die in den Getreidesorten Weizen, Dinkel und Ur-Dinkel, Grünkern, Gerste, Roggen und Hafer enthalten sind,
▪ bei Menschen mit Zöliakie der Verzehr von Gluten eine Entzündung der Dünndarmschleimhaut auslöse,
▪ dies zu verschiedenen Symptomen führe,
▪ die glutenfreie Ernährung die derzeit einzige bekannte Möglichkeit sei, um mit Zöliakie gesund und beschwerdefrei zu leben und
▪ alle glutenhaltigen Getreidesorten konsequent und lebenslang gemieden werden müssten.
Einiges war mir schon bekannt, jetzt weiß ich dank dieser ersten Übersicht auch, in welchen Getreidesorten das mich krankmachende Gluten enthalten ist.
Mit dem Hinweis, dass ich ungeachtet einer fehlenden Heilungsmöglichkeit gesund und beschwerdefrei lebe, wenn ich bei meiner Ernährung die glutenhaltigen Produkte konsequent meide, kann ich sogar eine erste gute Nachricht abernten. Ich muss nur die Lebens- und Nahrungsmittel weglassen, die aus oder mit einem glutenhaltigen Getreide hergestellt werden.
Nur.
Lebensmittel oder Nahrungsmittel? Das »Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache« der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften führt unter dem Stichwort Nahrungsmittel die Erklärung „Lebensmittel außer Genussmitteln“ auf und unter Lebensmittel „Nahrungsmittel und Genussmittel, Essware“. Die Genussmittel – Produkte, die wegen Geschmack oder Wirkung verzehrt werden – sollen also den Unterschied ausmachen.
Ich verwende im Folgenden den Begriff Lebensmittel, weil er besser in das Gesamtbild passt, in dem zudem noch Begriffe wie Lebensmittelrecht auftauchen. In dem sind Lebensmittel laut Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 übrigens alle Erzeugnisse oder Stoffe, „von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden“.
Es dauerte die eine oder andere Sekunde, dann wurde es mir bewusst: Die eben genannten glutenhaltigen Getreide werden zu Mehl, Malz und Grieß verarbeitet – genauer gesagt zu Gerstenmalz, Hartweizengrieß und natürlich Roggen–, Dinkel- oder Weizenmehl.
Das ist für mich eine sehr schlechte Nachricht, denn so gut wie jedes aus einem Teig hergestellte Lebensmittel enthält eines dieser Mehle und insbesondere Weizenmehl. Brote und Brötchen. Herzhafte und süße Gebäcke, sprich Kekse, Kuchen, Torten, Teilchen – und das geliebte Weihnachtsgebäck. Salzstangen und Laugenbrezel. Wraps, Quiches und Burritos. Flamm- oder Zwiebelkuchen. Pizza. Nudeln und Pasta. Ebenso alles, was paniert ist. Wie Fischstäbchen oder Schnitzel. Bei den Getränken betrifft es Biere, Fassbrausen, Malzgetränke, gebraute Limonaden sowie Getreidekaffees.
Für all diese Sachen gilt: Sind sie nach typischer Rezeptur hergestellt, sind sie für mich verboten. Mit der Diagnose sind die Zeiten vorbei, in denen ich – jetzt zöliakiebetroffen – mal eben in jedem Café ein belegtes Brötchen oder ein Stück Kuchen essen oder in jeder Kneipe oder jedem Biergarten mein Feierabendbier trinken kann.
Allerdings finden sich glutenhaltige Zutaten auch in Produkten, in denen ich sie nicht unbedingt erwarte, wie Fertiggerichte und Fixprodukte, Varianten von Pommes-Frites, Suppen und Soßen, Süßigkeiten oder Produkte mit Ballaststoffzusätzen.
Und da es beim Gluten auch nicht nur um die gerade genannten Mehle und Malze geht, steht vieles Anderes auf der Liste der Speisen und Getränke, deren Verzehr für mich strengstens verboten ist.
Strengstens heißt in diesem Zusammenhang übrigens, dass es zu dem Verbot keine Ausnahme gibt. Wirklich keine. Selbst dann nicht, wenn mein eigener Geburtstag, Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen, wie man so schön sagt. Und wenn der Arzt anordnet, dass die Lebensmittel, in denen das Gluten steckt, ab sofort verboten sind, dann meint er das auch so. Das hängt damit zusammen, dass der Rückgang der durch die Zöliakie ausgelösten Symptome erst bei einer vollständig glutenfreien Ernährung in Gang kommen kann. Dementsprechend ist es nicht möglich, die Umstellung langsam oder nach und nach anzugehen.
Doch nicht nur das: Jede Unterbrechung der Diät unterbricht auch den Heilungsprozess und kann jeden bereits erreichten Fortschritt auf einen Schlag zunichtemachen. Deshalb muss ich – muss jeder mit einer Zöliakie – die Ernährung nicht nur unverzüglich umstellen, sondern die glutenfreie Diät auch ununterbrochen und strengstens für den Rest des Lebens einhalten.
Warum ist eigentlich von einer Diät die Rede, die Zöliakie hat doch nichts mit Abnehmen zu tun? Das hat sie natürlich nicht, eine Diät aber auch nicht unbedingt. Das Wort Diät geht zurück auf das griechische Wort díaita, bedeutet im Deutschen Lebensart und steht für eine auf gewisse Bedürfnisse abgestimmte Ernährungs- und Lebensweise. Bei der Zöliakie ist es eben die glutenfreie Ernährungsweise.
Nun ist die – gefühlt schier endlos – lange Liste der bei der glutenfreien Diät verbotenen Speisen und Getränke bei weitem nicht die einzige schlechte Nachricht. Es wäre schön, wenn es mit dem Weglassen von Brot und Brötchen, Kuchen und Keksen, Pizza, Nudeln und Pasta, angedickten Suppen und Soßen, Frikadellen und panierten Schnitzeln oder Bier getan wäre. Allerdings sind für mich leider nicht allein die Lebensmittel gefährlich, die ganz offensichtlich eine glutenhaltige Zutat oder weniger offensichtlich einen glutenhaltigen Hilfsstoff enthalten. Eine weitere Gefahr ist das Gluten, das bei der Verarbeitung und Herstellung, beim Ab- und Verpacken, Lagern, Zubereiten oder Anrichten ohne jede Absicht in ein Lebensmittel gelangt. Dieses unabsichtliche Hineingelangen ist die Verunreinigung eines Lebensmittels durch einen fremden Stoff: Eine Kreuzkontamination. Auf die Kreuzkontaminationen werde ich ständig stoßen. Auf sie stoßen alle Zöliakiebetroffenen ständig, denn sie sind mit die am weitesten verbreiteten Gefahren in der Welt der Zöliakie.
Eine ganze Reihe von Speisen darf ich also nicht oder nicht mehr essen und von Getränken nicht mehr trinken. Und auf eine Kreuzkontamination – folgend verwende ich nur noch das kürzere Wort Kontamination – muss ich auch achten. Kaum habe ich mich damit einigermaßen abgefunden, wartet schon das nächste Problem und das ist ein weiteres großes, was mir einen Teil meines Lebens mit Zöliakie ganz besonders schwer machen wird: das fremdzubereitete Essen aus der Küche einer anderen Person.
Das Problem ist deshalb so groß, weil es nicht nur die Küchen von Angehörigen oder Freunden betrifft, sondern so gut wie jede fremde Küche. Denn wie sieht es aus mit den glutenhaltigen Produkten und Zutaten oder möglichen Kontaminationen in einer Kantine, Mensa oder Kita- und Schulküche? Wie in den Küchen der Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen? In denen der Jugendherbergen und Schullandheime? Wie in den Küchen der Bars, Bistros oder Cafés, Caterer, Eisdielen, Ferienclubs, Foodtrucks, Gaststätten und Gasthäuser, Hotels, Imbissbuden, Kneipen oder Restaurants?
Ich kann es schlichtweg nicht wissen. Da Unwissenheit allerdings bekanntlich nicht vor Schaden schützt, stellt jeder dieser Orte für mich in Bezug auf das Essen erst einmal eine Gefahr dar.
Beschwerdefreies Leben oder hohe Lebensqualität?
Und jetzt? Essen, Essengehen, Ausflüge, Feste feiern, Wegfahren, Verreisen – irgendwie macht das alles gerade keinen Spaß mehr. Nach dem Bewusstwerden der Auswirkungen der Zu-tun-und-zu-lassen-Liste kann durchaus das Gefühl entstehen, jede normale – nur leider glutenhaltige – verzehrbare Köstlichkeit werde gerade durch eine glutenfreie Zitrone ersetzt, in die erst hinein- und dann darauf herumgebissen werden muss. Was vor der Zöliakie mein Lieblingsitaliener oder Lieblingsimbiss war, ist jetzt ein Risikobereich.
Wer will es einem da verübeln, wenn die einstige Unternehmungslust einem Lasst-mich-doch-in-Ruhe-Gefühl weicht?
»Wir leben nicht, um zu essen, sondern wir essen, um zu leben.« Das hat einst der griechische Philosoph Sokrates gesagt.
Ob ich will oder nicht, rücken mit der Zöliakie die Lebensmittel und das Essengehen ein gutes Stück weiter ins Zentrum meines Lebens, als es sonst üblich und mir auch lieb ist. Immerhin beschäftigt mich das Leben ohne Gluten mit der glutenfreien Diät bei jedem Essen zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Dabei liegt es förmlich in der Natur der Sache, dass bei den ersten Schritten in der Welt der Zöliakie und zu Beginn des glutenfreien Lebens das steht, was ich anders zu tun oder auch gänzlich zu lassen habe. Also ist es wenig überraschend, wenn meine bisherige Welt aus den Fugen gerät.
Vielleicht bricht für jemanden, der bislang besonders auf eine gesunde Ernährung mit vielen Vollkornprodukten geachtet hat, auch eine kleine Welt zusammen, wenn ausgerechnet wegen als gesund geltenden Lebensmitteln eine solch komplexe und verschiedene Bereiche des Lebens umfassende Erkrankung auftritt. Schließlich hat man doch nichts falsch gemacht. Oder?
Nun will ich mich gar nicht erst mit Zweifeln oder Hadern aufhalten. Von den schlechten Nachrichten zu Beginn des glutenfreien Lebens darf ich mich nicht verunsichern oder gar entmutigen lassen. Und mit meiner bisherigen Ernährungsweise habe ich – hat jeder Zöliakiebetroffene – auch nichts falsch gemacht.
Also zumindest nicht in Bezug auf die Zöliakie, denn gegen sie gibt es keine Vorbeugung. Ihr Auftreten lässt sich nicht verhindern. Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob ich mich vor meiner Diagnose von Obst, Gemüse, Salat, Hülsenfrüchten, Nüssen, Slow- und Superfood ernährt habe oder nur von Fertiggerichten in Konservendosen und Fastfood.
Es ist nun mal so, dass das Leben mit einer Erkrankung, die die Nahrungs-, Genuss- und Lebensmittel betrifft, weit über das Meiden einzelner Produkte und deren Verzehr zur Aufnahme lebenswichtiger Nährstoffe hinausgeht, weil das Essen und Trinken weit mehr ist als die Summe der Lebensmittel, die ich zur Gesunderhaltung des Körpers täglich zu mir nehme.
Das gemeinsame Essen ist in unserer Gesellschaft ein zentrales soziales und kulturelles Element, bei dem nicht nur die Menge der zur Verfügung stehenden Lebensmittel, sondern auch deren Wertigkeit sowie die Art und Weise der Nahrungsaufnahme eine wichtige Rolle für unsere Lebensqualität und unser Wohlbefinden spielen.
Durch die Zöliakie wird die Teilnahme an diesem recht sensiblen Bereich des gesellschaftlichen Zusammenlebens gestört. Für mich als Zöliakiebetroffenen gilt es aufzupassen, dass die Teilnahme nicht unterbrochen oder gar abgebrochen wird. Schnell fühlt man sich ausgegrenzt, als Außenseiter oder Ansteller und schlägt aus Angst vor dem Essen oder dem unguten – und von anderen vielleicht als unhöflich empfundenen – Gefühl des höflichen Ablehnens und Nein-danke-Sagens bei angebotenen Speisen oder Getränken von vornherein jede Einladung aus.
Damit es nicht so weit kommt, müssen gleich nach der Diagnose die Weichen für das neue glutenfreie Leben so gestellt werden, dass aus den genannten Szenarien keine Probleme entstehen. Ja, das ist manchmal viel einfacher gesagt als getan. Oftmals hapert es bereits am Einstieg in das neue Leben: dem Akzeptieren der Erkrankung.
Neben einer ärztlichen Beratung ist das Wissen über das sicher glutenfreie Leben eine große Hilfe bei der Bewältigung von Sorgen und eventuellen Ängsten. Mit dem erarbeiteten Wissen wird viel mehr als nur das Know-how erworben, welche Speisen und Getränke gegessen und getrunken werden dürfen und in welcher Alltagssituation außerhalb der eigenen vier Wände welches Risiko besteht. Mit dem erarbeiteten Wissen wird Sicherheit erworben.
MERKE:Ein beschwerdefreies Leben mit Zöliakie und eine – weiterhin – hohe Lebensqualität schließen sich nicht aus.
Ein- und zweideutige Kennzeichnungen
Die ersten Informationen über die Zöliakie und die glutenfreie Diät habe ich zusammengetragen. Jetzt muss ich eine Antwort auf die Frage finden, wie das glutenfreie Leben funktioniert. Ganz gleich welche Frage oder wie viele Fragen ich mir dabei stelle – sie alle laufen letztendlich auf eine zentrale Fragestellung hinaus: Ist mein Essen sicher glutenfrei?
Auch wenn das eine klassische Ja-Nein-Frage ist, ist das dennoch keine Frage, die sich einfach mit Ja oder Nein und schon gar nicht mit vielleicht oder einem salomonischen „es kommt darauf an“ beantworten lässt. Es ist die Frage, ob und wie sicher ich vor einer glutenhaltigen Zutat in meinen Speisen und Getränken sowie vor den jederzeit möglichen Kontaminationen geschützt bin. Nur gibt es einen solchen Schutz so ohne weiteres nicht und ihn sich zu erarbeiten, ist der Schlüssel zu einem sicher glutenfreien Leben.
Beim ersten Einkauf im Supermarkt waren die unterschiedlichen Kennzeichnungen und Hinweise auf den Verpackungen der Lebensmittel irritierend. Es war nicht eindeutig, was sie bedeuten und wofür sie stehen. Lese ich auf den Webseiten der Zöliakiegesellschaften – von welcher Gesellschaft spielt keine Rolle – noch einmal die Informationen über die Lebensmittel nach, erfahre ich mehr über glutenhaltige und glutenfreie Getreide, über glutenhaltige und glutenfreie Zutaten und Hilfsstoffe sowie glutenhaltige und glutenfreie Lebensmittel, aber auch etwas über ein Nicht-mehr-als-20-Milligramm-Gluten. Und zum Symbol der durchgestrichenen Ähre – das ist übrigens das Glutenfrei-Symbol – heißt es, dass es in Bezug auf die Glutenfreiheit der Lebensmittel für jeden Zöliakiebetroffenen beim Einkaufen Klarheit schaffe.
Ganz so klar und eindeutig sind die Dinge dann aber leider doch nicht, weil sie nicht klar und eindeutig geregelt sind. Schaue ich zum Beispiel die verwendeten Begriffe glutenfrei und Gluten in einem handelsüblichen Nachschlagewerk nach, stelle ich fest, dass nicht jeder Begriff mit den allgemeinen Definitionen übereinstimmt und bezogen auf die glutenfreien Lebensmittel eher eigenwillig verwendet wird. Beispielsweise der Begriff glutenfrei. Das Wort ist ein Adjektiv, ein Eigenschaftswort. Folglich steht es dafür, dass etwas eine Eigenschaft hat und beim Adjektiv glutenfrei ist es die Eigenschaft, frei von Gluten oder ohne Gluten zu sein.
So sieht das zumindest die für ihr Sprachwissen bekannte Redaktion des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. So sehen es – wie sich gleich zeigen wird – aber nicht die Verfasser der Vorschriften des Lebensmittelrechts. Die geben allerdings die Kennzeichnungen und Hinweise auf den Verpackungen der Lebensmittel vor, die im Supermarkt nicht unbedingt verständlich sind.
Nun ist ein Begriff immer dann unklar, wenn er in seiner Bedeutung nicht eindeutig festgelegt ist oder in verschiedenen Bereichen mit einer unterschiedlichen Bedeutung verwendet wird. Eine Bank ist zum Sitzen da oder zum Geldanlegen, ein Ton ist ein Klang oder ein Material. Und so müssen auch mit dem Begriff Gluten ein Arzt, ein Biochemiker und ein Bäcker nicht zwangsläufig dasselbe meinen. Einmal ist Gluten ein potentieller Auslöser einer Erkrankung, einmal eine Ansammlung von Aminosäuren in Getreiden und einmal ein Merkmal, das die Backfähigkeit von Teigen beschreibt.
Die Unterschiede in der Verwendung sorgen nicht nur für Verwirrung, sie können bei einer falschen Zuordnung oder Auslegung zu einer ebenso falschen Schlussfolgerung führen. Wird etwa die Bezeichnung Gluten allein mit dem Getreide Weizen in Verbindung gebracht, heißt es plötzlich, Gluten sei gleich Weizen. Oder die Eigenschaften des Glutens – zu denen komme ich im nächsten Kapitel – werden vermischt, wodurch es Getreide mit Gluten und Getreide ohne Gluten geben soll.
Damit es nicht zu Mehrdeutigkeiten, Unklarheiten und fraglichen oder falschen Zuordnungen und Schlussfolgerungen kommt, muss ein Begriff und seine Verwendung in den jeweiligen Fachbereichen einheitlich und eindeutig festgelegt sein, aber auch über die Fachbereiche hinaus einheitlich und eindeutig verwendet werden. So wird sich etwa für die Verbindung von Gluten und Weizen herausstellen, dass Gluten nicht allein dem Weizen gleichgesetzt werden kann. Ebenso gibt es kein Getreide, das kein Gluten enthält. Dementsprechend muss sich die Unterscheidung zwischen einem glutenhaltigen und einem glutenfreien Getreide aus einem ganz anderen Zusammenhang ergeben.
Die Problematik der Mehrdeutigkeit und fraglichen Zuordnung und Schlussfolgerung geht so weit, dass sich Regelungen für glutenfreie Lebensmittel finden, die alles andere als eindeutig sind, wodurch es zu guter Letzt sogar Produkte gibt, die in einem Land als glutenfrei angeboten und verkauft und in einem anderen Land nicht als glutenfrei bezeichnet werden dürfen.
Wie es so schön heißt, staunt da der Fachmann, während der Laie sich wundert. Mir kommt allerdings – aus der Sicht eines Zöliakiebetroffenen – die Frage in den Sinn, wie das möglich ist und welcher Regelung oder Empfehlung ich dann folgen soll.
»Es gibt nur ein einziges Gut für den Menschen: die Wissenschaft. Und nur ein einziges Übel: die Unwissenheit.« Das hat Sokrates, der griechische Freund der Weisheit, ebenfalls gesagt.
Nun muss ich wegen meiner Zöliakie nicht gleich ein Studium der Biochemie oder Medizin aufnehmen oder Wissenschaftler und Forscher werden. Zu viel Unwissenheit sollte ich mir allerdings auch nicht leisten. Immerhin ist die Zöliakie keine Lebensmittelallergie, die mit der Zeit schwächer und schwächer wird oder gar irgendwann ganz verschwindet, weil der Körper doch von selbst wieder eine Toleranz entwickelt.
Damit ich die im jeweiligen Kontext verwendeten Bezeichnungen rund um die Lebensmittel sowie die Folgerungen aus den jeweiligen Definitionen und Festlegungen richtig verstehe und zuordne, ist es unumgänglich, dass ich mich auf kurze Ausflüge in die entsprechenden Fachbereiche begebe.
Das Getreide ist Teil der Botanik, Gluten der biologischen Chemie, meine Erkrankung betrifft die Medizin, die Ernährungsberatung die Oecotrophologie oder Ernährungswissenschaft und die Gesetze und Verordnungen zu den Lebensmitteln kommen aus der – von der Industrie und Wirtschaft beeinflussten – Politik sowie der Gesetzgebung. Dazu hat jeder Bereich seine eigene, teils spezielle Fach- oder Behördensprache, was das Verstehen der Inhalte auch nicht gerade vereinfacht.
Zunächst schaue ich, welche Begriffe und Regelungen da und vorgegeben sind. Anschließend, wie die Begriffe und Regelungen zusammenhängen. Trotz des nicht vermeidbaren Aufwandes lohnt es sich, den Weg zu gehen, denn an seinem Ende steht das angesprochene Know-how – das Wissen, das aus einem glutenfreien Leben ein sicher glutenfreies Leben macht.
Und wie kann ich mich mit dem Know-how im Alltag schützen? Wie gehe ich am besten mit den Einschränkungen um, ohne dass sich meine Lebensqualität verschlechtert?
In der Welt der Zöliakie lauern zweifelsohne viele Gefahren und es wäre naiv zu glauben, mein glutenfreies Leben verlaufe immer reibungslos. Die eine oder andere Einschränkung ist unvermeidlich. Doch wenn ich das Funktionieren der Mechanismen im glutenfreien Leben richtig verstehe und jeden wirklichen wie auch möglichen Glutengehalt in den Speisen und Getränken sowie das Risiko einer Kontamination sicher einschätzen kann, meide ich nicht aus Sorge vor Beschwerden oder schlimmeren Folgen mehr Lebensmittel, als es ohnehin nötig ist.
Ich nehme es vorweg: Alles in allem ist die Welt der Zöliakie nicht grau und trist – und so schlimm, wie die Dinge auf den ersten Blick scheinen mögen, sind sie nicht.
Aber der Reihe nach.
Was Gluten ist
Bei der Zöliakie dreht sich alles um das ständig erwähnte Gluten und dessen schädliche Wirkung. Doch was ist Gluten eigentlich? Wo kommt es her, wo oder worin kommt es vor? Wieso steckt es in so vielen Lebensmitteln und warum kann sein Verzehr für einen Menschen schädlich sein?
Das Wort Gluten – im lateinischen Original mit langem U und im Deutschen mit kurzem U und betontem E in der Aussprache – ist ein Fachbegriff aus der biologischen Chemie oder Biochemie. Das ist die Wissenschaft, in der nach den chemischen Zusammensetzungen und Lebensvorgängen der Organismen geforscht wird und die diese Vorgänge erklärt.
In der Biochemie steht der Begriff Gluten für einen Proteinkomplex, der sich als natürlicher Stoff in den Samen der Getreidepflanzen findet. Wie die Definition genau aussieht, schlage ich in einem Fachwörterbuch nach und schaue – wertfrei ausgesucht – in das RÖMPP Lexikon Lebensmittelchemie,