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Sie sind mittelmäßige Dichter oder eitle Gynäkologen, die schlechte Bilder malen. Betrüger, Machos, Heuchler, lebendig, impotent oder tot. Ihre Frauen sind vor allem das: ihre Frauen. Gefangen in dysfunktionalen Beziehungen, die oft kein Fegefeuer sind, eher kleinliche laue Höllen. Hinter den Fassaden wird ein erbitterter Kampf um Wahrnehmung und Selbstverwirklichung geführt, ereignen sich bizarre, demütigende Episoden.
Rumena Bužarovska seziert in elf Erzählungen Varianten des Patriarchats und legt mit spöttischer Lakonie und ätzender Scharfsicht allerlei Zwischenmenschliches frei.
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Seitenzahl: 217
Veröffentlichungsjahr: 2021
Rumena Bužarovska
Mein Mann
Stories
Aus dem Mazedonischen von Benjamin Langer
Suhrkamp
Cover
Titel
Inhalt
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Cover
Titel
Inhalt
Mein Mann, der Dichter
Suppe
Ehebrecher
Gene
Nektar
Empty Nest
Gewohnheitstier
Vater
Samstags, fünf Uhr nachmittags
Lile
8
. März
Informationen zum Buch
Impressum
Hinweise zum eBook
Ich habe Goran auf einem Poesiefestival kennengelernt. Sein Haar wurde schon damals langsam grau. Jetzt ist es fast weiß. Er hofft, glaube ich, dass das zu seinem »neuen Sex-Appeal« beiträgt, wie er mal gesagt hat. Angeblich hat er nur Spaß gemacht, aber er denkt wohl wirklich, dass er damit recht hat. Eigentlich wollte ich ihn fragen, ob auch sein schütteres Haar und sein wächserner Skalp zu seinem »neuen Sex-Appeal« beitragen. Aber ich hielt mich zurück – er duldet keine Kritik. Er wird immer sofort sauer, und wenn er sauer ist, wird er verletzend und bleibt es dann tagelang, bis man etwas Unterwürfiges tut, damit er aufhört, unausstehlich zu sein. Wie zum Beispiel »zufällig« einen seiner Verse zu zitieren.
Neulich war er sehr wütend auf mich, weil ich die Gedichte, die er in der Nacht zuvor geschrieben hatte, nicht lesen wollte.
»Ich habe keine Zeit. Morgen dann«, sagte ich.
»Du hast keine Zeit für drei Gedichte?« Ich spürte den Zorn in seiner Stimme und bereute sogleich, dass ich ihn zurückgewiesen hatte. Aber da war es schon zu spät. Was immer ich gesagt hätte, es wäre falsch gewesen. Also schwieg ich nur.
»Na los, dann geh schon und büffel herum«, sagte er und knallte die Tür zu. »Büffeln«, das sagt er immer, wenn ich den Unterricht für den nächsten Tag vorbereite. Wenn ich wirklich was von Geschichte verstehen würde, bräuchte ich nämlich gar nichts vorzubereiten. »Was man weiß, das weiß man«, hat er mal zu mir gesagt und mich dabei frech angesehen.
Aber seine Gedichte will ich wirklich nicht lesen, und noch weniger will ich sie hören. Das ist auch so eine Tortur, der er mich manchmal aussetzt. Als wir noch verliebt waren und keine Kinder hatten, schliefen wir miteinander, und danach flüsterte er mir Verse ins Ohr, während wir außer Atem und verschwitzt dalagen. Die Verse handelten immer von Blumen – von Orchideen, weil sie ihn »an Mösen« erinnerten –, von südlichen Winden und von Meeren. Er erwähnte auch exotische Gewürze wie Zimt und Stoffe wie Samt. Irgendetwas in der Art, dass ich nach Zimt schmecke und meine Haut wie Samt ist, zum Beispiel, und dass mein Haar nach dem Meer duftet. Was gar nicht stimmt. Das weiß ich, weil meine Mutter mal gesagt hat, dass mein Haar stinkt. Nichtsdestotrotz haben mich seine Worte in diesen Augenblicken immer furchtbar erregt. Ich entflammte dann von Neuem und wollte sofort wieder mit ihm schlafen, obwohl er oft nicht gleich wieder konnte und ich mir die Bilder und Worte, die er mir zugeflüstert hatte, immer wieder in Erinnerung rufen musste, um erregt zu bleiben.
Jetzt macht er das nicht mehr, Gott sei Dank. Inzwischen graut es mir so vor seinen Gedichten, dass ich kein einziges mehr lesen will, und schon gar nicht will ich ihm beim Rezitieren zuhören. Letzteres lässt sich aber leider nicht vermeiden, denn wie gesagt regt Goran sich immer sehr auf, und ich kann weder mich noch unsere Kinder diesem Konflikt aussetzen. Als wir nicht mehr so oft miteinander schliefen, fing er an, mir die Gedichte laut vorzutragen, anstatt sie mir zum Lesen zu geben. Wenn ich ihn dann so mitten im Wohnzimmer stehen sah, im scharfen Licht der Deckenlampe, das seine knollige Nase und seinen ungesunden Teint betonte, begriff ich langsam, dass seine Gedichte nicht besonders gut sind. Oft beziehen sie sich auf nichts anderes als darauf, wie er Gedichte schreibt. Ich glaube, das erregt ihn. Sogar sexuell.
Hier ein Beispiel:
Du duftest
Wie der Herbst
Löslich
Wie Regentropfen in den Augen
So bilden die Worte
Dich, du mein
Gedicht
Vielleicht nicht das beste Beispiel, aber ich kann nur dieses auswendig. Die Verse »so bilden die Worte dich, du mein Gedicht« rezitiere ich manchmal »zufällig«, damit er nicht mehr wütend ist. Eigentlich singe ich sie dann leise vor mich hin – das schmeichelt ihm besonders. Er hat sich schon immer gewünscht, dass jemand seine Verse in eine Melodie gießt. Er begreift nicht, dass das unmöglich ist. In seinen Gedichten gibt es keinen Rhythmus, und oft gibt es auch keinen Sinn. Es sind alles nur hohle Phrasen, in irgendwelchen Verszeilen zusammengeworfen, damit der Laie denkt, es sei wer weiß was, wenn er ein Wort wie »Zimt« oder »Samt« liest. So wie ich, als ich jung und dumm war und auf solche Tricks noch hereingefallen bin.
Gott, was war ich doch dumm, es ist nicht zu glauben. Ich kann mir das einfach nicht verzeihen. Aber ich wollte ja erzählen, wie wir uns kennengelernt haben. Dass es auf einem Poesiefestival war, habe ich schon gesagt. Ich war dort als Übersetzerin, denn bevor ich anfing, Geschichte zu unterrichten, übersetzte ich manchmal, um etwas Geld zu verdienen. Eines Abends kamen wir im Salon des großen Hotels zusammen, in dem all die Dichter und Übersetzer untergebracht waren, und sangen Lieder. Heute weiß ich, dass sich all diese kleinen Dichter wichtigtaten – dass sie nicht nur Gedichte schreiben können, nicht nur sensible Seelen sind, sondern auch musikalisch, mit einem Verständnis für traditionelle Musik, und singen können sie obendrein. Damals also ließ sich auch unser Goran blicken. Im Stil des Abends trug er ein weißes, mit traditionellen Motiven besticktes Hemd. Ich muss zugeben, dass es ihm ziemlich gut stand. Goran war wirklich attraktiv. Wenn ich darüber nachdenke, habe ich mich vor allem deshalb in ihn verliebt. Er hatte eine Brust wie eine gut ausmodellierte Skulptur, und dann diese Schultern und diese Arme, stark und behaart … Dass du gar nicht mehr wolltest, dass er dich loslässt, dass du nur noch wolltest, dass er dich immer festhält und irgendwohin trägt … Jedenfalls, Goran saß nicht da wie die anderen, er hielt sich abseits, an die Wand gelehnt, mit schiefgelegtem Kopf, beobachtend. Er wartete einen Moment ab, in dem alle still geworden waren, richtete sich plötzlich auf und begann ein Volkslied zu singen. Ich bin sicher, dass es »Ein Falke trinkt« war, denn inzwischen weiß ich, dass er gar kein anderes kann. So theatralisch schrie er da mit geschlossenen Augen und zurückgeworfenem Kopf, so heftig hüpfte sein Adamsapfel auf und ab, dass er mich an einen krähenden Hahn erinnerte. Ich fand ihn lächerlich, aber zugleich sah ich seine Arme und seine Brust und stellte mir andauernd vor, wie er mich packte. Als er mit dem Krähen fertig war, bekam er Applaus und sah mich an. Seine Augen tränten ein bisschen, wahrscheinlich von der Anstrengung. Mir kamen sie damals vor, als seien sie voller Traurigkeit. Ich hatte gleich das Bedürfnis, ihn zu trösten. Das tat ich dann nachts in seinem Zimmer, und so nahm das Ganze seinen Lauf.
Er geht immer noch auf Poesiefestivals. Er geht, sobald es ihm seine Arbeit erlaubt, die er, nebenbei erwähnt, auch schlecht macht. Ich kann mir vorstellen, was er auf diesen Poesiefestivals tut. Erst einmal schleppt er einen Koffer voll mit seinen dünnen, in billiges Plastik gebundenen Gedichtheftchen an. Die meisten davon hat er ins Englische und in ein paar Balkansprachen übersetzen lassen, damit die Ausländer sein Gefasel besser verstehen können. Ich spreche keine Sprache, die ihn interessiert, weshalb er mich wundersamerweise bisher nicht aufgefordert hat, für ihn zu übersetzen. Außerdem denkt er, dass ich mit Lyrik nichts anfangen kann, dass ich sie nicht verstehe, weil ich in letzter Zeit offensichtlich kein großes Interesse zeige an dem, was er macht. Die Übersetzungen seiner Gedichte sind schrecklich. Nicht was den Inhalt angeht – der ist sowieso bedeutungslos –, sie sind auch voller Grammatikfehler. Daran ist sein Geiz schuld. Er will, dass seine Gedichte übersetzt werden, aber er will nicht dafür bezahlen. Also findet er immer ein paar arme junge Mädchen, die er vermutlich mit seinem reifen »Sexappeal« verführt, und die übersetzen dann kostenlos oder gegen ein miserables Honorar für ihn. Ein paarmal habe ich mitangehört, wie er mit ihnen feilscht: Als Belohnung vergibt er zehn Exemplare seines Buchs. Dafür schäme ich mich wirklich, aber was soll ich machen.
Wenn er von einem Poesiefestival zurückkommt, zeigt er mir die Fotos, die mit seiner Digitalkamera geschossen wurden. Oft gibt er sie an jemand anderen weiter, damit der dann Bilder von ihm macht. Es gibt also lauter Fotos, auf denen er an einem Pult mit Mikrofon steht und Gedichte rezitiert, eines seiner hässlichen Heftchen in den Fingern. Er hat immer den gleichen Gesichtsausdruck auf diesen Fotos – »ach, dein Dichtergesicht«, wie ich dann sage, weil ihm das, warum auch immer, schmeichelt. Beide Brauen leicht gehoben, die eine etwas höher als die andere, als wäre er nachdenklich, aber auch zärtlich gestimmt. Er streckt die Brust heraus. Seine Haare sind immer frisch gewaschen, und nicht selten wehen sie in der Frühlingsbrise der Küstenstädtchen, deren Festivals er besonders gern besucht. Auf den anderen Fotos sind oft Frauen. Oder besser gesagt, sehr selten Männer. Vor den Festivalhostessen, jungen Mädchen, habe ich keine Angst. Ich glaube nicht, dass er ihnen gefällt, für sie ist er zu alt und zu lächerlich. Inzwischen denke ich, dass er eine andere Kategorie verführt. Das sind diese Damen, ein bisschen kräftiger, mit Falten an den Hüften und unter den Achseln, wo ihnen der Büstenhalter in den Speck schneidet. Sie tragen enge Blusen. Ihr Haar ist meistens schwarz, der Lippenstift rot. Oft haben sie einen dramatischen Hut auf dem Kopf. Großer, funkelnder Modeschmuck ziert ihre fleischigen Finger und Hälse. Sie wollen mit gereifter Weiblichkeit glänzen, mit einer geheimnisvollen Aura, sie wollen nach Zimt duften und dass ihre Stimme weich ist wie Samt. Sollen sie ruhig. Vielleicht kann Goran ihnen dabei helfen. Mir ist das egal.
Aber manchmal, in der Nacht, schmiegt er sich an mich und flüstert mir zu: »Orchidee, öffne dich«. Und dann öffne ich mich.
Am Morgen stehe ich auf und sehe das Kännchen, in dem er immer sein Wasser gekocht hat. Daneben das Glas mit dem braunen Zucker und die Schachtel mit seinem grünen Tee. Ich mache sie auf, es sind noch drei Beutel drin. Die trinke ich noch, denke ich. Was ich dann mache, weiß ich nicht. Ich weiß nicht, ob ich die Schachtel wegwerfen soll oder sie behalte, weil es ja seine Schachtel mit grünem Tee ist.
Der Tee ist bitter. Ich mag ihn nicht. Ich weiß, man soll ihn ohne Zucker trinken, so hat er ihn getrunken. Wäre alles wie immer, würde ich Zucker hineingeben. Nein, dann würde ich Kaffee trinken, so wie jeden Morgen. Jetzt muss ich den Tee aufbrauchen. Er schmeckt nicht. Aber mir soll auch nichts schmecken. Heiß und bitter passt zu mir.
Gegen Mittag kommt meine Freundin Maria. Ich stehe auf und lasse sie rein, und wenn wir ins Wohnzimmer gehen, setzt sie sich auf meinen Platz. Sie scheint sich nie zu fragen, ob ich da gerade noch gesessen habe. Sie müsste doch die Wärme am Hintern spüren und sich fragen: Moment, hat hier meine Freundin gesessen? Ist das ihr Platz? Aber so ist Maria. Sie fragt sich nie etwas. Sie kommt im schwarzen Minikleid, dünne schwarze Strumpfhosen, Stiefel mit hohen Absätzen, Blazer, rote Bluse, lackierte Nägel, Lippenstift, Wimperntusche, Eyeliner, Glitzer auf den Lidern. Ihre Ohrringe funkeln aufdringlich und schaukeln, sobald sie den Kopf bewegt. Sie war beim Friseur. Sie war bei der Maniküre. Ihr Parfüm ist penetrant, so schwer und bitter, dass mir speiübel wird. Aber mir soll auch speiübel sein, und so rücke ich näher an sie heran.
»Ich habe dir Suppe mitgebracht«, sagt Maria.
»Ich bin nicht krank«, antworte ich. Ich weiß, dass ich grob bin, aber mir ist der Mann gestorben.
»Ich habe sie extra für dich gekocht. Du musst mehr essen.«
Ich sage nichts. Sie hätte sich nicht so aufdonnern müssen für mich. Ich stecke mir eine Zigarette an.
»Du solltest mal lüften«, sagt sie, als wäre es ihre Wohnung. »Es riecht komisch.«
»Du riechst komisch.«
Maria seufzt.
»Ich muss los. Ich komme morgen wieder.«
Es klingt wie eine Drohung.
Ich stelle mich ans Fenster und schaue ihr nach, wie sie auf ihren hohen Absätzen davongeht, ihr Hintern schwingt, ihr Haar weht. Sie kramt mit schlanken Fingern in der Handtasche. Bestimmt hört man das Rappeln von Schlüsseln, Schminksachen, Päckchen mit parfümierten Tüchern und Kaugummis. Sie holt den Autoschlüssel heraus. Die Blinker leuchten auf. Eine Frühlingsbrise fährt ihr ins Haar, bevor sie ins Auto steigt. Junges Laub und zarte Zweige rauschen auf. Als würde ihr alles zurufen: »Ciao Maria!« Sie parkt aus und fährt irgendwohin, wo sie mit ihren weißen Zähnen lachen, wo sie Spaß haben, ihr Leben genießen kann. Die Straße liegt da im Sonnenlicht. Ein junges Paar läuft vorbei. Sie halten sich an den Händen. Sie lachen. Sie küsst ihn auf den Hals. Dann gehen zwei Teenager vorbei. Sie reden laut und lachen auch. Alle sind sie halbnackt. Sie blinzeln in die Sonne. Sie sollten sich schämen, denke ich. Die Welt ist nicht stehengeblieben, dabei ist Sveto, meine Welt, doch unter der Erde am Verwesen. Sein Körper ist kalt, so wie als er im Sarg lag und ich ihn noch einmal berührte. Auf den Sarg drückt nun die Erde. Die Toten werden von den Würmern gefressen. Aber wie kommen die Würmer in den Sarg? Oder entstehen sie von allein aus dem Leichnam? Wie soll das gehen? Vor dem Haus bleibt ein Auto mit lauter Musik stehen. Die Musik ist fröhlich und ekelerregend. Ich trete vom Fenster zurück.
Ich zünde mir eine Zigarette an und starre auf Marias Suppe. Hühnersuppe, als wäre ich krank. Für Sveto habe ich oft Hühnersuppe gemacht. Er mochte sie sehr. Ich habe immer einen riesigen Topf gemacht, und er hat zweimal täglich drei Teller gegessen, mittags und abends. Manchmal bekam er dann Bauchschmerzen von so viel Suppe. Du machst die beste Suppe der Welt, hat er immer gesagt. Und dann bat D. mich einmal, ihm etwas zu essen mitzubringen. Sveto war auf der Arbeit. Ich füllte etwas von Svetos Suppe ab und brachte sie D. Dann machten wir das, was wir immer machten. Zu Hause sah ich, dass er mir geschrieben hatte. Dass die Suppe superlecker war. Dass ich nächstes Mal mehr mitbringen soll, er sei ein Mann mit großem Appetit. Eine Woche verging und ich kochte wieder Suppe für Sveto. Diesmal machte ich gleich mehr, und die Hälfte füllte ich für D. ab, in zwei Einmachgläser. Abends schrieb er mir: Du hast wieder zu wenig Suppe mitgebracht. Bring das nächste Mal einen ganzen Topf, schrieb er. Das schrieb er mir dann jede Woche. Und so machte ich einmal einen großen Topf Suppe, als Sveto auf der Arbeit war, und füllte vier Einmachgläser ab. Im Topf blieb nur ein kleiner Rest zurück. Als ich am Abend nach Hause kam, wartete Sveto im Wohnzimmer auf mich. »Meine Liebe, so wird das nichts mit uns«, sagte er. »Warum hast du mir so wenig Suppe gekocht?«
Meine Mutter ruft an. Ich weiß, dass sie vorbeikommen will, um mich mit ihrem Blödsinn zu drangsalieren. Jedes Mal, wenn sie kommt, versucht sie mich aufzuheitern, meine Gedanken von dem, was mir zugestoßen ist, abzulenken. Also redet sie irgendetwas über ihre Freundinnen, über die Kinder meines Bruders, manchmal sogar über Politik. Es macht mich wahnsinnig. Trotzdem gehe ich ans Telefon und sage, dass sie kommen kann. Vielleicht begreift sie irgendwann, dass ich weder sie noch sonst irgendjemanden sehen möchte.
Sie kommt am frühen Abend. Ich erkenne sie an ihren Schritten. Sie marschiert wie ein Soldat. Ihre Schritte könnten einen aus dem tiefsten Schlaf erwecken, aus dem Tod allerdings nicht. Sogar auf der Beerdigung ist sie so marschiert. Nicht einmal da hatte sie ein Gespür dafür, wie man sich benehmen sollte. Sie klingelt ein paarmal an der Tür, immer kurz, abgehackt und aufdringlich. Ich beschließe, noch etwas auf der Couch herumzutrödeln, um sie vor der Tür warten zu lassen. Vielleicht begreift sie auf diese Weise, dass ich nicht besonders erpicht bin auf ihren Besuch. Sie fängt wieder an zu klingeln, und damit sie mir nicht länger auf die Nerven geht, stehe ich auf und öffne ihr.
»Hier stinkt es nach Zigaretten«, sagt sie, kaum dass sie eingetreten ist, und reißt Fenster und Balkontür auf.
»Lass das«, sage ich, obwohl ich weiß, dass es sinnlos ist. Immer wenn sie kommt, benimmt sie sich, als wäre sie hier zu Hause, räumt um und putzt und öffnet Türen und Fenster.
»Du musst weniger rauchen«, sagt sie, nachdem sie alles aufgerissen hat, und wendet sich mir zu. In die Wohnung ergießt sich jetzt das Licht der untergehenden Sonne. Lindenduft strömt herein. Und die Natur lebt einfach weiter, denke ich wütend, obwohl Sveto im Grab liegt.
»Gar nichts muss ich«, sage ich und zünde mir eine neue Zigarette an.
Sie setzt sich neben mich und seufzt.
Dann fängt sie an, mir von ihrer Freundin Mira zu erzählen. Wie ihr Chef sie behandelt hat. Wie er ihr nicht einmal für die Hochzeit ihres Sohnes einen freien Tag geben wollte, und als er ihn ihr endlich doch gab, wollte er es nicht als Urlaub zählen oder so. Ich höre ihr nicht zu, wie immer. Ich beobachte ihren Mund. Jahrelang hat sie geraucht, und von dem ständigen Saugen an den Zigaretten hat sie Falten bekommen. Die sind vor allem an der Oberlippe sichtbar, wenn sie sie schürzt, um die Laute »o« und »u« auszusprechen. Der orangefarbene Lippenstift, der ihr nicht steht und ihren gelblichen Teint verstärkt, ist ihr in die Falten gelaufen. Wenn sie den Mund weiter aufmacht, um die Laute »a« und »e« auszusprechen, sehe ich ihre ältliche Zunge, den weißen Belag, als ob sie krank wäre. Eigentlich müsste ihr Mund stinken. Ich sehe, dass ihr am Oberkiefer ein Stück vom Dreier abgebrochen ist. Die anderen Zähne sind gelb verfärbt und die mit Kronen sind dunkel geworden. Das Zahnfleisch zieht sich langsam zurück. Es sieht alt und krank aus.
»Du musst mal zum Zahnarzt«, unterbreche ich sie.
Meine Mutter starrt auf ihre im Schoß gefalteten Hände, die mit Altersflecken gesprenkelt sind. Sie sagt nichts.
»Und kauf dir mal neuen Lippenstift, einen besseren. Der hier läuft dir in die Falten. Weißt du eigentlich, wie dein Mund aussieht?«, sage ich. Ich weiß, dass ich grausam bin, aber es ist mir egal, dass sie mich zur Welt gebracht hat.
Meine Mutter schaut weiter auf ihre früh gealterten Hände. Ich sehe, dass sie Eyeliner aufgetragen hat und dass ihr auch der in die Falten gedrungen ist. Auch das will ich ihr sagen.
»Wo soll ich denn das Geld dafür hernehmen, Kind«, sagt sie und hebt den Blick. Ihre Augen sehen feucht aus. Was heult sie denn jetzt, denke ich und schaue wieder auf ihre Hände. Sie hat ein kleines Loch im Ärmel und ihre Bluse ist abgetragen. Ich schweige und zünde mir eine neue Zigarette an.
»Hast du heute schon etwas gegessen, Kind?«, fragt sie mit sanfter Stimme. So hat sie nie mit mir geredet, bevor Sveto ins Grab gelegt wurde.
Ich winke ab.
»Soll ich dir etwas kochen? Oder einkaufen gehen? Du musst doch was essen, Kind«, sagt sie und fasst mir ans Knie. Ich bekomme Gänsehaut, wenn sie mich berührt. Mich ekelt es vor ihr und vor der Traurigkeit, die ich verspüren sollte, weil ich grausam bin.
»Maria hat mir Suppe mitgebracht.«
»Hast du gegessen?«
»Nein. Iss du, wenn du möchtest. Ich will nicht.«
Meine Mutter steht auf und geht in die Küche. Aus dem Wohnzimmer kann ich ihren Rücken sehen. Ich sehe, wie sie Marias Topf nimmt. Maria hat ihn mit einem idiotischen Verband umwickelt, damit der Deckel nicht abgeht. Meine Mutter stellt ihn auf die Platte und macht den Herd an. Dann stützt sie sich mit beiden Händen ab und legt den Kopf zurück, als wollte sie den Hals dehnen. Ich höre ein unterdrücktes Schniefen. Sie senkt den Kopf und geht nach rechts, vermutlich auf die Toilette, wo sie sich eine Weile aufhält. Ich sitze auf der Couch und rauche.
Meine Mutter kommt in die Küche zurück und ich höre Teller und Besteck klappern. Sie stellt etwas auf den Tisch. Öffnet Schränke und knallt sie wieder zu. Sanft war sie noch nie. Als ich klein war, hat sie mir immer, wenn sie mir die Haare trocknete, welche ausgerissen und mich mit ihren Fingernägeln zerkratzt.
»Komm und leiste mir Gesellschaft«, höre ich sie sagen, als sie sich an den Esstisch in der Küche setzt. Ich habe keine Wahl. Wenn sie isst, denke ich mir, geht sie danach vielleicht, und die Suppe brauche ich auch nicht wegzuschütten.
Auf dem Tisch stehen zwei volle Suppenteller. Ich hätte es wissen müssen.
»Ich will aber nichts essen, ich hab’s dir doch erklärt«, sage ich und ziehe wütend an der Zigarette.
»Vielleicht bekommst du ja Appetit, wenn ich esse. Du musst nichts essen, wenn du nicht willst. Wir schütten die Suppe einfach weg, mach dir keine Gedanken«, sagt sie. Von der Suppe steigt Dampf auf. Wie üblich hat sie sie zu heiß gemacht. Sie macht das Essen immer zu heiß. Als ich klein war, habe ich mir an ihrem Essen hundertmal die Zunge verbrannt. Sie macht etwas warm, um dir einen Gefallen zu tun, und dann verletzt sie dich damit.
»Warum hast du eigentlich nie gelernt, wie man etwas aufwärmt? Willst du, dass ich mich verbrenne?«, sage ich wütend und setze mich hin. »Nicht dass ich essen will, aber falls du geplant hast, dass ich etwas esse, hättest du nicht auch noch alles zu Brei zerkochen dürfen.« Meine Mutter schweigt. Sie streichelt den Löffel, den sie sorgsam auf der Serviette abgelegt hat, und wieder bleibt mein Blick an ihren alternden Händen hängen, an den plump gewordenen Nägeln, auf denen sich lange vertikale Rillen gebildet haben.
Meine Mutter seufzt.
»Weißt du noch, wie du mal auf deinen Bruder aufgepasst hast und den Eintopf, der vom Mittagessen übrig war, aufwärmen wolltest? Und wie du dich dann verbrannt hast?«, fragt sie.
»Nicht richtig, aber ich weiß, dass ich davon die Narbe habe.« Ich beschließe, sie mit dieser Erinnerung vielleicht ein bisschen zu verletzen.
»Zeig mal«, sagt meine Mutter.
Ich halte ihr die linke Hand hin. An der Unterseite des Daumens habe ich einen rosa Fleck in Form eines Kaninchens. Meine Mutter versucht, ihn zu küssen. Ich ziehe angeekelt die Hand weg.
»Dein Vater war damals bei einem Seminar. Er sollte am nächsten Tag zurückkommen. Ich war allein mit dir und deinem Bruder. Eigentlich sollte deine Tante auf euch aufpassen, oder deine Oma, aber alle haben sie mir im letzten Augenblick abgesagt. Und ich war mit einem Freund verabredet.« Sie hält inne und schluckt. »Er wäre sehr verärgert gewesen, wenn ich nicht gekommen wäre. Ich war verliebt in ihn.« Sie sieht mich an. »Ich war ihm völlig verfallen. Um ihn zu sehen, stahl ich mich von der Arbeit fort. Oder blieb nach der Arbeit noch eine Stunde länger, wenn jemand da war, der auf euch aufpasste, nur um ihn einmal zu riechen.«
Während meine Mutter spricht, wird mein Kopf ganz leer.
»Und deshalb habe ich zu dir gesagt, dass du auf deinen Bruder aufpassen sollst und dass ich in zwei Stunden zurück bin. Aber es wurden drei. Und dein Bruder hatte Hunger. Und da hast du ihm den Eintopf aufgewärmt, weil ich dir gesagt hatte, dass du ihm zu essen geben sollst, wenn er hungrig ist – aber was, das hatte ich dir nicht gesagt. Und als ich nach Hause kam, stank es aus dem ersten Stock. Ich bin die Treppe hochgerannt und habe mir dabei den Absatz abgebrochen. Ich habe dich schreien gehört, und deinen Bruder auch. Ich bin reingekommen, und die ganze Küche war weiß von Qualm. Der Topf lag umgekippt auf dem Boden. Alles war verschüttet und verkohlt. Aus dem Klo hörte ich dich schreien. Ich bin rein«, meine Mutter umklammerte den Löffel, »und habe dich gesehen, wie du deine kleine Hand schluchzend unter das kalte Wasser gehalten hast. Dein Bruder hing an deinem Bein. Sein Gesicht war ganz rot und nass vom Weinen. Als er mich sah, ist er zu mir gerannt und hat sich an meine Knie geworfen. Ich habe ihn weggeschubst, weil du dich in dem Moment umgedreht hast und ich dich gesehen habe, deinen schmerzverzerrten Mund, deine Augen, die vom Weinen verquollen waren, dein Gesicht ganz rot. Dein Bruder hat sich den Kopf an der Waschmaschine gestoßen und noch lauter geheult. Du hast geschrien, als du mich gesehen hast, bist auf und ab gehüpft und hast geschrien, das tut weh, das tut so weh. Und da habe ich deine arme kleine Hand gesehen, ganz geschwollen von der Verbrennung. Ich wollte sterben, mein Kind«, sagt meine Mutter und senkt den Kopf. Mit ihren alternden Händen bedeckt sie ihr Gesicht.
Mir verschwimmt es vor den Augen und ich sehe etwas in meine Suppe tropfen. Da nehme ich den Löffel und beginne zu essen.
Mein Mann hat eine Geliebte. Und so habe ich es entdeckt: Bevor ich seine Hosen in die Waschmaschine stecke, leere ich immer die Taschen. Normalerweise hole ich Kleingeld, in Papier eingewickelte gekaute Kaugummis und Tabak daraus hervor. Aber diesmal war da auch ein zusammengeknüllter Kassenzettel. Ich faltete ihn auseinander. Marlboro, Orbit, Durez. Durez? Ich fragte mich, was das sein sollte. Es kostete 114 Denar. Und plötzlich wurde mir mit Schrecken klar, dass es Durex sein musste. Kondome. Durex-Kaugummis gibt es nicht, dachte ich. Zigaretten oder Mineralwasser auch nicht. Aber ich musste sicher sein, dass es sich um Kondome handelte, bevor ich ihn mit dem Kassenzettel konfrontierte. Ich schaute mir den Zettel noch einmal an und fand die Adresse. Eine Makpetrol-Tankstelle in Avtokomanda. Wir wohnen in Vlae. Ich machte die Waschmaschine an, setzte mich ins Auto und fuhr hin.
Dort suchte ich nach Kondomen. Das war mir ein bisschen peinlich, aber die Angst vor dem, was ich entdecken könnte, spornte mich an. Ich fand Durex-Kondome. Gab sie der Kassiererin. Und bezahlte. Sie gab mir den Kassenzettel. Durez stand darauf. 114 Denar. Makpetrol-Tankstelle, Avtokomanda.