Mein Name sei Gantenbein - Max Frisch - E-Book

Mein Name sei Gantenbein E-Book

Max Frisch

4,6
11,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Der Erzähler erfindet (»Ich stelle mir vor:«) mögliche Lebensgeschichten dreier Personen: Da ist Gantenbein, der einen Blinden spielt, um so genauer seine Umwelt beobachten zu können. Oder da ist Enderlin, der immer »ein fremder Herr« bleibt. Auch Svoboda muß die Erfahrung machen, daß Liebe und Ehe endlich sind. Übrig im Spiel der erdichteten Rollen bleibt: Gantenbein.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 508

Bewertungen
4,6 (56 Bewertungen)
40
9
7
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Max Frisch

Mein Name sei Gantenbein

Roman

Suhrkamp

Umschlagfoto: Josef Sudek. Rothmayers Garten (Ausschnitt). 1959.

© Anna Fárová, Prag

suhrkamp eBook Berlin 2011

© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1964

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-74990-6

www.suhrkamp.de

Die dabei gewesen sind, die letzten, die ihn noch gesprochen haben, Bekannte durch Zufall, sagen, daß er an dem Abend nicht anders war als sonst, munter, nicht übermütig. Man speiste reizvoll, aber nicht üppig; geredet wurde viel, Palaver mit Niveau, wobei er wenigstens zu Anfang, scheint es, nicht stiller war als die andern. Jemand will sich gewundert haben über seinen müden Blick, wenn er zuhörte; dann wieder beteiligte er sich, um vorhanden zu sein, witzig, also nicht anders als man ihn kannte. Später ging die ganze Gruppe noch in eine Bar, wo man vorerst in Mänteln stand, später sich zu andern setzte, die ihn nicht kannten; vielleicht wurde er deswegen still. Er bestellte nur noch Kaffee. Als er später aus der Toilette zurückkam, sagen sie, war er bleich, aber eigentlich bemerkte man es erst, als er, ohne sich nochmals zu setzen, um Entschuldigung bat, er möchte nach Haus, fühle sich plötzlich nicht besonders. Er machte es kurz, ohne Handschlag, leichthin, um ihr Gespräch nicht zu unterbrechen. Jemand sagte noch: So warte doch, wir werden hier auch nicht alt! Er war aber, sagen sie, nicht zu halten, und als die Garderobiere endlich seinen Mantel brachte, zog er diesen nicht an, sondern nahm ihn nur auf den Arm, als habe er Eile. Alle sagen, er habe nicht viel getrunken, und sie waren nicht sicher, ob er sich wirklich unwohl fühlte, ob das nicht ein Vorwand war; er lächelte. Vielleicht hatte er noch eine andere Verabredung. Die Damen foppten ihn schmeichelhaft; er schien auf die Verdächtigung einzugehen, aber ohne noch ein Wort zu sagen. Man mußte ihn gehen lassen. Es war noch nicht einmal Mitternacht. Als man dann seine vergessene Pfeife auf dem Tisch bemerkte, war es zu spät, um ihm nachzulaufen … Der Tod muß eingetreten sein, kurz nachdem er sich in seinen Wagen gesetzt hatte; das Standlicht war eingeschaltet, ebenso der Motor, der Winker blinkte und blinkte, als wollte er jeden Augenblick in die Straße ausfahren. Er saß aufrecht, Kopf nach hinten, beide Hände am aufgerissenen Kragen, als ein Polizist kam, um nachzusehen, warum der Wagen mit dem laufenden Motor nicht ausfuhr. Es muß ein kurzer Tod gewesen, und die nicht dabei gewesen sind, sagen, ein leichter Tod – ich kann es mir nicht vorstellen – ein Tod wie gewünscht …

Ich stelle mir vor:

So könnte das Ende von Enderlin sein.

Oder von Gantenbein?

Eher von Enderlin.

Ja, sage ich auch, ich habe ihn gekannt. Was heißt das! Ich habe ihn mir vorgestellt, und jetzt wirft er mir meine Vorstellungen zurück wie Plunder; er braucht keine Geschichten mehr wie Kleider.

Ich sitze in einer Bar, Nachmittag, daher allein mit dem Barmann, der mir sein Leben erzählt. Warum eigentlich? Er tut's, und ich höre zu, während ich trinke oder rauche; ich warte auf jemand, ich lese eine Zeitung. So war das! sagt er, während er die Gläser spült. Eine wahre Geschichte also. Ich glaub's! sage ich. Er trocknet die gespülten Gläser. Ja, sagt er nochmals, so war das! Ich trinke – ich denke: Ein Mann hat eine Erfahrung gemacht, jetzt sucht er die Geschichte seiner Erfahrung …

Er war ein Mann meines Alters, ich folgte ihm von dem Augenblick an, als er seinen Wagen, einen Citroën, glaube ich, verlassen, die Wagentüre zugeschlagen und den Schlüsselbund in seine Hosentasche gesteckt hatte. Die Gestalt kam in Frage. Eigentlich hatte ich vor, ein Museum zu besuchen, da mein beruflicher Kram erledigt war und da ich in dieser Stadt niemand kannte, und es war ein Zufall, daß er mir aufgefallen war, ich weiß nicht wieso, eine Bewegung des Kopfes, als jucke es ihn: er steckte sich eine Zigarette an. Ich sah es in dem Augenblick, als ich mir selbst eine Zigarette anstecken wollte; ich unterließ es. Ich folgte ihm, noch ohne sein Gesicht gesehen zu haben, rechtskehrt, indem ich meine Zigarette wegwarf, ohne Zögern und ohne Hast. Das war in der Gegend der Sorbonne, vormittags. Als habe er etwas gespürt, war er nochmals zu seinem Wagen zurückgekehrt, um zu prüfen, ob er die Wagentüren wirklich geschlossen hatte, suchte den Schlüsselbund in der falschen Tasche. Unterdessen tat ich, als betrachtete ich ein Plakat, und steckte mir dabei, um mich von ihm zu unterscheiden, eine Pfeife an. Ich fürchtete schon, er werde sich in den Wagen setzen und losfahren, während ich das Plakat zu lesen vorgab, Spielplan des . Dann aber, ich hörte das Zuschlagen der Wagentüre und drehte mich um, ging er zu Fuß, so daß ich ihm folgen konnte. Ich beobachtete seinen Gang, seine Kleidung, seine Bewegung. Auffallend war nur die Art, wie er mit seinen Armen ruderte. Offensichtlich hatte er Eile. Ich folgte ihm von Block zu Block, Richtung zur Seine, und sei es auch nur, weil ich in dieser Stadt gerade nichts andres zu tun hatte. Er trug jetzt eine Ledermappe, nachdem er, wie ich mich erinnerte, seinen Wagen zuerst ohne eine Ledermappe verlassen hatte. Von Leuten zur Seite gedrängt, die mir auf dem Fußgängerstreifen entgegenfluteten, verlor ich ihn aus dem Blick und wollte schon wieder aufgeben; andere Leute drängten mich aber weiter, alle wollten noch vor dem Rotlicht über die Straße. Ohne zu wollen, ging ich weiter. Ich weiß genau, daß nichts dabei herauskommt; früher oder später wird jeder, den ich ins Auge fasse, in einer Türe verschwinden oder er winkt plötzlich einem Taxi, und bis ich ebenfalls ein freies Taxi erwischt habe, ist es jedesmal zu spät, dann kann ich mich nur noch ins Hotel zurückfahren lassen, um mich in Kleidern und Schuhen aufs Bett zu legen, erschöpft von meinen sinnlosen Gängen … Es ist ein Tick von mir! … Kaum hatte ich also aufgegeben, eigentlich froh, daß ich die Verfolgung nicht fortzusetzen brauchte, erkannte ich ihn wieder und zwar an der Art, wie er mit seinen Armen ruderte. Obschon es Vormittag war, trug er einen dunklen Abendanzug, als käme er aus der Oper. Vielleicht war es dies, was mich mit dem Unbekannten verknüpfte, Erinnerung an einen Vormittag im dunklen Abendanzug, als ich von einer Frau kam. Er spürte meine Verfolgung noch nicht oder nicht mehr. Übrigens war er hutlos wie ich. Obschon in Eile, kam er nicht rascher voran als ich, der ich nicht durch gleiche Eile auffallen durfte, sondern zu gehen hatte wie alle andern; so gewann er von Block zu Block einen kleinen Vorsprung, zumal ich die zwecklose Verfolgung aufzugeben bereit war, dann aber vor dem Stoplicht kamen wir jedesmal wieder ins selbe Rudel. Sein Gesicht hatte ich noch immer nicht gesehen; kaum war ich einmal, eine Lücke im Gedränge nutzend, auf gleicher Höhe mit ihm, blickte er nach der andern Seite. Einmal blieb er vor einem Schaufenster stehen, so daß ich es in der Spiegelung sehen konnte, sein Gesicht, aber ich redete ihn nicht an; sein Gesicht kam nicht in Frage – ich ging in die nächstbeste Bar, um endlich zu frühstücken … Der nächste, den ich ins Auge faßte, hatte eine Haut, wie nur Amerikaner sie haben, Milch mit Sommersprossen, Seifenhaut. Ich folgte ihm trotzdem. Ich schätzte ihn, von hinten, auf fünfunddreißig Jahre; ein schönes Alter. Ich hatte eben meinen Rückflug gebucht und war eigentlich im Begriff, die verbleibenden Stunden vielleicht im Central Park zu verbummeln. Sorry! sagte er, da er mich gestoßen hatte, und ich drehte mich um, sah ihn aber nur noch von hinten. Er trug einen schiefergrauen Mantel, ich war gespannt, wohin der mich führen würde. Manchmal schien er es selbst nicht zu wissen, zögerte und schien in diesem Manhattan auch etwas verloren. Je länger wir gingen, um so sympathischer wurde er mir. Ich überlegte: wovon er lebt, was er arbeitet, wie er wohnt, was er in seinem Leben schon erfahren hat, was nicht, und wie er denkt, während er so geht unter Millionen von andern Leuten, und wofür er sich hält. Ich sah seinen blonden Kopf über dem schiefergrauen Mantel, und wir hatten eben die 34. Straße überquert, als er plötzlich stehenblieb, um sich eine Zigarette anzustecken; ich merkte es zu spät, so daß ich, versehentlich, bereits an ihm vorbeigegangen war, als er die ersten Züge rauchte; sonst hätte ich die Gelegenheit vielleicht genutzt, höflich mein Feuerzeug anzubieten, um mit ihm in ein Gespräch zu kommen. Als ich mich umdrehte, hatte er keine Haare mehr auf dem Kopf, und natürlich sagte ich mir sofort, daß es nicht derselbe Mann sein könnte, ich mußte ihn im Gedränge verloren und verwechselt haben, schiefergraue Mäntel gibt es viele. Trotzdem erschrak ich, als er plötzlich ein Mann von fünfzig Jahren war. Darauf war ich nicht gefaßt gewesen. Can I help you? fragte er, und da mir nicht zu helfen war, ging er seines Weges weiter mit einem Räuchlein über der Schulter. Es war ein blauer Tag, sonnig, aber im Schatten bitterkalt, windig; die besonnten Hochhäuser spiegelten sich in gläsernen Schattenwänden, und man konnte nicht stehenbleiben in der Kälte dieser Schluchten. Warum soll er nicht ein Mann von fünfzig Jahren sein? Sein Gesicht kam in Frage. Warum nicht ein Gesicht mit Glatze? Gern hätte ich ihn nochmals von vorne gesehen, aber dazu kam es nicht mehr; zwar ging er gelassener als der Jüngere zuvor, verschwand aber plötzlich in ein Haustor, und obschon ich folgte – ich zögerte kaum zwei oder drei Sekunden – sah ich nur noch, wie er gerade in einen Lift trat, dessen bronzene Türen, von einem Neger in Uniform bedient, langsam sich schlossen (wie im Krematorium), unaufhaltsam; zwar nahm ich sofort, nachdem auch ich meine Zigarette in den landesüblichen Eimer voll Sand gesteckt hatte, den nächsten Nebenlift, stand im Gepferch wie alle andern, die, kaum eingetreten, die Nummer eines Stockwerks nannten und ausstiegen, wenn ihre Nummer ausgerufen wurde; ich stand und sah die flinken Nummern aufleuchten, schließlich allein mit dem Neger und achselzuckend, als dieser mich fragte, wohin ich denn wolle; das Gebäude hatte 47 Stockwerke …

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!