Mein neues Leben - Heidi Josua - E-Book

Mein neues Leben E-Book

Heidi Josua

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Beschreibung

Muslimische Frauen und Männer aus der arabischen Welt haben die Freiheit der eigenen Gewissensentscheidung für sich in Anspruch genommen, manche in ihrer Heimat, manche in Deutschland. In diesem Buch erzählen sie von ihrem Weg zu Christus, der ihnen auf ganz individuelle Weise begegnet. Für alle aber ist die Botschaft von Frieden und Liebe zentral. In jedem der biographischen Erlebnistexte wird zudem ein Aspekt des ursprünglichen islamischen Lebens der Erzählenden beleuchtet. Diese Konvertiten leben inzwischen in Deutschland, sind innerhalb der Evangelischen Landeskirche Württemberg getauft und leben im Umfeld der Arabischen Evangelischen Gemeinde Stuttgart. Sie nehmen den Leser hinein in ihre persönliche Geschichte und beginnen einen Dialog mit ihm: Sie stellen Anfragen, möchten ihn begeistern für das Handeln Jesu an ihnen selbst und ihn ermutigen, mit offenem Herzen suchenden Flüchtlingen zu begegnen und ihnen selbst Christus zu bezeugen. Damit verhelfen sie unseren Gemeinden zu einem neuen Bewusstsein und bereichern sie dadurch.

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Heidi Josua

Mein neues Leben

Christus begegnet Muslimen

Erfahrungsberichte

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2019 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Cover: FRUEHBEETGRAFIK · Thomas Puschmann · Leipzig

Coverbild: Koptische Kirche al-Muallaqa, Kairo

© Heidi Josua

Satz und Gestaltung: Steffi Glauche, Leipzig

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019

ISBN 978-3-374-05041-3

www.eva-leipzig.de

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Darum dieses Buch

Konversion – ein neues Leben

Konversion? – Anfragen und Zweifel

Was ist Konversion?

Das Recht auf Konversion

Die Folgen der Konversion – das Apostasiegesetz

Motivation zum Glaubenswechsel – so individuell wie jeder Mensch

Christus begegnet Muslimen

Zur Auswahl der Lebensberichte

Jannat – die Vertreibung aus den blühenden Gärten

Ahmad – und der tröstende Geist der Wahrheit

Miriam* – auf der Suche nach Heimat

Marcel – überwältigt vom »gekreuzigten Immanuel«

Nissan – Frühlingsstrahlen

Maamun – und was eine Claire vermag

Julia – auf dem langen Weg zur Freiheit

Fouad – ein Herz kehrt zurück nach Hause

Amal – Brücke der Hoffnung und der Versöhnung

»Was wir uns von euch wünschen« – Folgen der Konversion für unsere Gemeinden und Kirchen

Wünsche für die Gemeinden und Kirchen in Deutschland

Wünsche für sich selbst

Wünsche im Hinblick auf Muslime

Was bedeutet das für uns und unsere Gemeinden?

Index der Personen und Themen

Glossar

Anmerkungen

Zur Autorin

Darum dieses Buch

Samstagnachmittag in einer schwäbischen Dorfkirche. Die Mesnerin ordnet nach dem Putzen gerade noch den Blumenstrauß auf dem Altar und zupft ein Blütenblatt von der Altardecke, dann ist die Kirche gottesdienstbereit. Da kommt ein hochgewachsener Mann mit schwarzem Haar durch die offene Kirchentür und taucht im Halbdunkel vor ihr auf. Sie fährt vor Schreck zusammen, denn, nein, diesen Fremden kennt sie nicht als Gottesdienstbesucher. Und er, der eigentlich mit Herzklopfen die Kirche betreten hat, muss nun erst einmal die Mesnerin beruhigen, bevor er seine Bitte aussprechen kann: »Ich möchte eine Bibel haben. In meiner Sprache, in Paschtu.«

Mittwochvormittag in einem Büro des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Der syrische Konvertit Ibrahim erscheint zu seiner Anhörung und legt gleich zu Beginn seine Taufurkunde vor. Die Anhörerin schaut ihn skeptisch an. Seine äußere Erscheinung entspricht nicht unbedingt dem Bild, das sie von Kirchgängern hat. Vielleicht hat ihr am Vortag jemand auch so ein Papier vorgelegt und konnte dann nicht mal das Vaterunser aufsagen. Ihr Blick wandert von der Urkunde zu der verwegenen Gestalt, und sie kündigt ihm an: »Damit kommen Sie bei mir nicht durch. Ich werde Sie durchfallen lassen.« Die dann folgende »Prüfung« hätte auch aus einer Kirchengeschichtsprüfung für angehende Theologen sein können; sie gipfelte in der Aufforderung, die Namen der Kinder Martin Luthers aufzuzählen. Ibrahim konnte es. Fazit der Anhörerin: »Ich glaube nicht, dass Sie mal Muslim waren.«

Sonntagnachmittag in einer fränkischen Gemeinde. Die treuesten Gemeindeglieder haben sich zum Gebet versammelt – nicht für ferne »Heiden«, sondern für Claire, eine ältere Dame aus ihrer Mitte. Claire ist nicht schwer krank, aber ganz offensichtlich in großer Gefahr: Sie hat einen Iraker zu sich nach Hause zum Mittagessen eingeladen. Dieser Mann war einige Sonntage hintereinander in den Gottesdienst gekommen. Jedes Mal hatte er sich in die letzte Reihe gesetzt. An diesem Sonntag hat Claire es nicht mehr ausgehalten: Sie ging am Ende des Gottesdienstes, wenn die Gemeindeglieder aufgerufen werden, Informationen oder Gebetsanliegen weiterzugeben, nach vorne und forderte dazu auf, diesen Mann willkommen zu heißen, egal wer er sei. Sie ging mit gutem Beispiel voran und lud ihn zum Essen zu sich ein. Die anderen beteten währenddessen für sie. Einer saß sogar neben dem Telefon, bereit, jederzeit die Polizei anzurufen. Maamun, der Iraker, leitet heute selbst eine arabische Gruppe innerhalb dieser Gemeinde.

In diesen Zeiten stehen arabische Menschen sozusagen unter Generalverdacht: Überall, wo arabische Schriftzeichen auftauchen, blinken schon fast die Alarmlampen. Als wir auf der Stuttgarter Königstraße auf einem christlichen Büchertisch die arabische Bibel auslegten, holte ein besorgter Bürger die Polizei – da seien Salafisten zugange. Als die evangelische Gemeinde in Allensbach anlässlich einer christlichen Kalligraphie-Ausstellung eine Fahne mit einem wunderschön kalligraphierten arabischen Bibelvers (mit deutscher Übersetzung!) vor die Kirche hängte, erkundigte sich ein Gemeindeglied, ob der IS das gemacht hätte.

Wenn dann noch arabische Menschen vor oder nach ihrer Flucht nach Deutschland vom Islam zum Christentum konvertieren, stoßen sie oft nicht nur in ihrem bisherigen, sondern auch in ihrem neuen Umfeld auf Ablehnung und Misstrauen. Von behördlichen Stellen wird die religiöse Motivation ihres Glaubenswechsels hinterfragt, in den alt eingesessenen christlichen Gemeinden begegnen ihnen tiefsitzende Vorurteile und Befürchtungen.

Für diejenigen, die solche Ängste hegen, die zweifeln, ob Taufbewerber es wirklich ernst meinen, oder die ratlos, vielleicht auch etwas hilflos sind angesichts ihrer Anfragen, ist dieses Buch gedacht. Es stellt dabei die Perspektive der Betroffenen in den Mittelpunkt. Denn es wird viel über Konvertiten geredet – es ist an der Zeit, dass wir nicht nur mit Konvertiten reden, sondern dass sie selbst reden.

In diesem Buch geht es nicht primär um die mit dem Thema zusammenhängenden juristischen und theologischen Abwägungen. Wir stellen deren wichtigste Aspekte vor, lassen dann aber die Menschen zu Wort kommen, um die ansonsten mit Paragraphen und Argumenten gestritten wird – Jannat, Miriam, Fouad, Maamun, Ahmad … Sie erzählen, was sie erlebt haben. Und dieses Erzählen spricht für sich. Wer ihre Lebensgeschichten liest, wird berührt von ihrer Authentizität.

»Die« Konvertiten sollen ein Gesicht bekommen, eine Stimme. Aus bloßen Zahlen und Fällen – die von den einen hochgerechnet und von den anderen kleingeredet werden – sollen Individuen werden. »Wenn unsere deutschen Geschwister erfahren, warum wir nach Deutschland gekommen sind, welche Probleme wir hier haben und warum wir Christen sein wollen, verstehen sie uns besser« (Jannat). Wenn wir den Menschen von Angesicht zu Angesicht begegnen, werden Verstehenshorizonte eröffnet. Wenn wir den noch Fremden als Ebenbild Gottes sehen, wie wir es auch sind, so ist das die beste Medizin gegen Ängste und Vorurteile.

Wer diese Berichte liest, für den lösen sich Vorwürfe wie Opportunismus, Asylerschleichung etc. in Luft auf. Nicht, dass es keinen Missbrauch geben würde – aber diese Berichte zeigen: Wer sich intensiv mit den Menschen beschäftigt, wer ihnen nah genug ist und aufmerksam zuhört, der kann dann auch unterscheiden.

So ist dieses Buch gerichtet an die Skeptiker, die sich fragen, ob Konversionen »echt« sind oder nur aus Opportunismus erfolgten, – in Anhörungen und Gerichten, in Gemeinden und Dialogrunden, unter den arabischen Christen, die aus dem Urchristentum stammen und durch die Diskriminierungserfahrungen ihrer Heimat und Geschichte verletzt sind.

Es ist gerichtet an Neugierige und an Unschlüssige, die noch zögern, ob sie sich auf die Begegnung mit Konvertiten einlassen können, die noch abwägen, ob sie die Begleitung eines Konvertiten angehen wollen, und die einfach besser verstehen wollen, wie der Weg zum Glauben an Christus aussehen kann.

Und an Begeisterte, die die neuen Glaubensgeschwister besser kennenlernen möchten, die sich freuen am unvergleichlich vielfältigen Wirken Gottes und die neu staunen wollen über die Wege Gottes.

Es war berührend und unendlich kostbar für mich, wie offen mich die Menschen an ihrem ganz individuellen, völlig einzigartigen Leben teilhaben ließen, an ihren Freuden und Schmerzen, an ihrem Weg der Entdeckung Christi. Diese Offenheit und dieses Vertrauen sind ein großer Schatz. Wenn sie mit leuchtenden Augen von ihren Erfahrungen erzählten oder wenn es stockte … Ich habe sehr, sehr viel dabei gelernt. Natürlich – die meisten kenne ich gut, manche sind über die letzten Jahre zu Freunden und Weggefährten geworden, einige sind für mich wie meine leiblichen Geschwister. Denn so ist es tatsächlich – wir sind Geschwister im Glauben, Glieder an dem einen Leib Jesu. Da gibt es keine unterschiedlichen Klassen von Christen: »geborene« Christen, die aufgrund ihrer frühkindlichen christlichen Sozialisation besser wären, oder MBBs (Muslim Background Believers) bzw. BMBs (Believers of Muslim Background) oder CMBs (Christians with Muslim Background), die aufgrund der existentiellen Entscheidung für Christus besser wären als die, denen das Christsein sowieso in die Wiege gelegt war.

Dieses Buch ist auch so etwas wie eine Liebeserklärung an meine neuen Geschwister im Glauben: Ich verdanke euch unendlich viel. Jedem Einzelnen danke ich von ganzem Herzen. Ich selbst wurde beschenkt – und wünsche mir, dass der Funke überspringt und auch die Leser beschenkt werden.

Heidi Josua, Pfingsten 2019

Konversion – ein neues Leben

Tief beugt die junge Frau den Kopf über die silberne Taufschale. Sara trägt ein weißes Gewand mit eingestickten roten Kreuzen und goldenen Ähren. Es stammt aus Ägypten, wo Menschen es tragen, wenn sie eine Funktion im Gottesdienst wahrnehmen. Dreimal rinnt Wasser über ihren Kopf. »Ich taufe dich im Namen Gottes – des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, des einen Gottes«, sagt Pfarrer Dr. Hanna Josua in Arabisch. Sara atmet tief durch und hebt strahlend den Kopf. Ich spreche ihr ihren Taufspruch zu, in Deutsch und in Arabisch. Hinter Sara steht ihr Mann, der heute ebenfalls getauft wird. Die etwa 300 Gottesdienstbesucher in der Stuttgarter Stiftskirche sind bewegte Zeugen dieser Taufe. In den Seitenbänken rechts vom Altar steht die »Tauffamilie«: Menschen aus der Arabischen Evangelischen Gemeinde, die Teil der Stiftskirche ist – Saras neue geistliche Familie. Nach der Taufe sagt sie zu einem Journalisten:

Seit wir in die Kirche gehen, ist es bei uns zuhause anders. Es gibt viel weniger Stress, alles ist viel ruhiger, und wir gehen liebevoller miteinander um. Wir haben jetzt Frieden gefunden und leben ihn in unserer Familie.

Sie ist nicht die einzige, die von dem großen inneren Frieden spricht, zu dem sie nun gefunden hat. Viele Konvertiten teilen diese Erfahrung. Ahmad sagt:

Seit meiner Kindheit sehne ich mich nach Freiheit und suchte nach ihr. Ich floh aus meinem Land auf der Suche nach politischer und persönlicher Freiheit. Nach der Taufe empfand ich endlich tiefen inneren Frieden.

Miriam beschreibt ihren Glaubensweg so:

Ich fühlte mich wie ein Schiff im Meer, das vom Wind überallhin geweht wurde, ohne dass ein Ufer in mein Blickfeld geriet. Über acht Jahre hinweg suchte ich nach Frieden: Dieser Tag meiner Taufe ist ein solches Fest für mich, dass mir die Worte fehlen, das angemessen zu beschreiben. Jesus Christus ist meine Freude, mein Friede und meine Kraft.

Jannat bekennt:

Was ich auf der Flucht gefunden habe, ist besser als alles, was ich vorher hatte. Ich habe nun einen Frieden, den mir niemand nehmen kann. Einen Frieden, der tiefer und höher ist als alles andere, sogar höher als der Unfrieden von Krieg, Flucht und Vertreibung. Den Frieden in Christus. Ich habe nun diese tiefe Ruhe und inneren Frieden. Dieser Friede ist größer und höher und stärker als all die Unsicherheiten und Schwierigkeiten, die wir erlebt haben und immer noch erleben.

Und Nissan berichtet:

Ich sah Jesus im Traum. Er begegnete mir liebend, sympathisch, demütig, und in seiner Gegenwart fühlte ich einen unaussprechlichen Frieden. Mit großer Leichtigkeit zog er mich zu sich hin. Genauso, wie ich ihn im Traum erlebte, so fand ich ihn auch in den Evangelien beschrieben, als ich diese später las.

Solchen berührenden Zeugnissen stehen die Zweifel und Fragen gegenüber, die von behördlichen, aber auch kirchlichen Stellen an Konvertiten gerichtet werden, wenn es sich bei ihnen um Asylsuchende handelt.

Konversion? – Anfragen und Zweifel

Die behauptete Konversion diene »lediglich dazu, Vorteile im Asylverfahren zu erhalten«, sie sei nur »ein Trick, um im Land bleiben zu können«, so der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Ulf Küch.1 Der Verwaltungsrichter Andreas Müller schätzt in der Wochenzeitung »Welt am Sonntag«2 aus eigener Erfahrung heraus, dass viele Asylbewerber aus islamischen Ländern nur aus »asyltaktischen Gründen« Christen würden. In 90 Prozent der Fälle würden die Gerichte belogen. Er tadelt die Kirchen, die Flüchtlingen »inflationär Taufzeugnisse ausstellen« würden.

Das BAMF und die Gerichte wiederum überprüfen »die inneren, religiös-persönlichkeitsprägenden Beweggründe für einen solchen Glaubenswechsel«,3 also die »glaubhafte Zuwendung zum christlichen Glauben im Sinne eines ernst gemeinten religiösen Einstellungswandels mit einer identitätsprägenden festen Überzeugung und nicht lediglich aus bloßen Opportunitätsgründen«.4 In den entsprechenden Befragungen geht es um den Anlass zum Glaubenswechsel, um die Taufvorbereitung, den theologischen Kenntnisstand sowie religiöse Aktivitäten und die christliche Prägung des Alltags.

Das aber ruft die Kirchen auf den Plan. Sie wollen sich in ihre Entscheidung, wen sie taufen, nicht dreinreden lassen bzw. diese Entscheidung nicht zur Disposition stellen. Es passt ihnen gar nicht, dass der Staat zwar die von ihnen ausgestellte Taufbescheinigung zur Kenntnis nimmt, sie aber lediglich zu den Akten legt und eine eigene Überprüfung vornimmt, ob der Religionswechsel ernsthaft, nachhaltig und identitätsprägend ist: »Es kann nicht sein, dass nunmehr Gerichte darüber befinden, was zur christlichen Religion gehört und was nicht. Über das Selbstverständnis der Kirche können nicht einfach andere befinden.«5 So das Diakonische Werk in Hessen und Nassau und das Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in ihrer Stellungnahme »Zur Situation getaufter iranischer Christen in Kirchengemeinden der EKHN« von 2004. Die Kirchensynode der EKHN verabschiedete im Mai 2017 eine Resolution, in der sie »aufs Schärfste dagegen protestiert, dass bei Asylanträgen die Taufe von Flüchtlingen in evangelischen Kirchengemeinden zunehmend als asyltaktische Entscheidung bewertet wird … Eine generelle ›Prüfung‹ des aus der Taufe hervorgehenden Glaubens ist nach evangelischem Verständnis nicht möglich. Sie verstößt überdies gegen Art. 4 Abs. 1 des Grundgesetzes zur Unverletzlichkeit und Freiheit des Glaubens … Nach der Lebensordnung der EKHN erfolgen Erwachsenentaufen grundsätzlich nur nach einer ausführlichen Unterweisung.«6

Es ist die alte Auseinandersetzung über die Deutungshoheit über Konversionen: Die taufenden Pfarrer wehren sich gegen jede staatliche Einmischung oder Infragestellung ihrer Taufpraxis und verweisen auch darauf, dass man die Entscheidung eines autonomen Individuums zu respektieren habe – mit dem Argument, dass die meisten deutschen Getauften in den Kirchen auch keine inquisitorische Befragung durchlaufen müssten. Die Gerichte wiederum argumentieren, dass sie gar keine Prüfung durchführen müssten, wenn die Kirchen selbst sorgfältig genug vorgehen würden. Bei so weitreichenden staatlichen Konsequenzen wie einem Abschiebeschutz wegen drohender Verfolgung im Heimatland hätten sie auch das Recht, die Abschiebehindernisse selbst zu prüfen.

Die Sichtweisen klaffen also weit auseinander, je nach Perspektive. Erschwerend kommt hinzu, dass es noch keine Standards im Umgang mit Taufbewerbern gibt. Inzwischen hat sich unter den großen Kirchen durchgesetzt, den Konversionswunsch von Flüchtlingen kritischer und intensiver zu prüfen. Auch ist man zu der Einsicht gelangt, dass eine gründliche Taufvorbereitung sowie eine Zeit der Begleitung und des Wachstums unerlässlich sind, so in der Handreichung »Zum Umgang mit Taufbegehren von Asylsuchenden« der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Vereinigung Evangelischer Freikirchen (VEF) von 2013. Sie spricht von der besonderen Verantwortung der Taufenden und der Gemeinden und greift Fragen und Befürchtungen auf, die von verschiedenen Seiten geäußert werden: »Ist diese Konversion ernst gemeint? Geht es dem Täufling vielleicht nur darum, seinen Aufenthalt hier zu sichern? Sollte ich eine längere Probezeit empfehlen, bevor die Taufe tatsächlich vollzogen wird?«7

Der Schwerpunkt der Handreichung liegt im praktischen Vollzug einer kirchlichen Willkommenskultur und gibt darüber hinaus Tipps für die Gestaltung des Taufunterrichts und des Taufgottesdienstes. Mittlerweile ist in den evangelischen und katholischen Großkirchen von einer Vorbereitungszeit zwischen einem halben und einem ganzen Jahr die Rede. Daher meint Friederike Dostal, die für Erwachsenentaufen in der Erzdiözese Wien zuständig ist, es sei ein Vorurteil, dass sich Asylbewerber taufen ließen, um ihre Chancen auf Asyl zu verbessern. Der Weg zur Taufe sei durchaus steinig. »Da die katholische Kirche in Österreich keine Scheinchristen will, ist sie sehr streng bei der Auswahl der Bewerber und der Zulassung zur Taufe.«8 Die Taufvorbereitung dauere mindestens ein Jahr und schließe eine regelmäßige Teilnahme an Glaubensunterricht und Gottesdienst, einen christlichen Lebenswandel und ehrenamtliches Engagement ein.

In manchen Freikirchen wird das anders gesehen. Daher kommt es immer wieder vor, dass ein Taufbewerber, dem das Vorgehen der Großkirchen zu lange dauert, stattdessen den vermeintlich einfacheren Weg einer schnellen Taufe in einer Freikirche geht. Dort begegnen ihm keine Fragezeichen, sondern ein begeistertes »Halleluja!«. Dieses Vorgehen wiederum bestätigt die staatlichen Behörden in ihrer Skepsis gegenüber den Taufen … Ein Teufelskreis.

Doch auch in den Kirchen sind die Taufen nicht unumstritten. Wenn Muslime sich in evangelischen Kirchengemeinden taufen lassen, ist das ein freudiges Ereignis – sollte man meinen. Obwohl die Gemeinden schrumpfen und die Kirchen leerer werden, gibt es Menschen aus dem Iran, aus Afghanistan, aus Syrien und dem Irak, für die Christsein eine Attraktivität entfaltet, die offenbar die Kirchen selbst erstaunt. Diese reagieren teils eher mit Unsicherheit und Verwunderung als mit gottlobender Begeisterung.

Und manchmal, ja manchmal bekommt man den Eindruck, dass Konvertiten als störend für den christlich-islamischen Dialog empfunden werden. Die Evangelische Kirche im Rheinland sieht gar eine Gefahr darin: »Eine Begegnung mit Muslimen in Konversionsabsicht bedroht den innergesellschaftlichen Frieden und widerspricht dem Geist und Auftrag Jesu Christi und ist entschieden abzulehnen.«9 Im besten Fall wird das Thema vermieden, und man redet »eher über andere Themen wie die Frage nach einer guten Erziehung oder nach einem guten Miteinander. Wichtig ist, dass Vertrauen zwischen uns wächst.«10 Bei Konversionen schwingt immer auch mit, dass durch sie die angestammte Religion in Frage gestellt oder abgelehnt würde. Mancher sieht daher in ihnen zumindest eine atmosphärische Störung des »friedlichen Miteinanders« der Religionen.

Soll es nun aber gar keine Rückfragen, geschweige denn Kritik geben, wenn Muslime getauft werden wollen, wie manche evangelikale Medien fordern? Das wäre weltfremd. Denn Konvertiten sind selbstverständlich auch »nur« Menschen und keine Heiligen. Heilige nur als Ge-Heiligte und nicht als moralisch unantastbare, perfekte Gläubige.

Klar ist: Der – real existierende! – Missbrauch von Einzelnen darf nicht zu einem Generalverdacht gegen Tausende von Taufwilligen und Konvertiten führen. Ja, es gibt unter Flüchtlingen das Gerücht, dass eine Taufbescheinigung vor Abschiebung schütze. Erfahrene Seelsorger können jedoch eher als ungeübte und mit der Kultur nicht vertraute Helfer oder Sozialarbeiter taktische und genuine Konversionswünsche unterscheiden.

Was ist Konversion?

Das lateinische convertere bedeutet »hinwenden, bekehren«. Das kann zum einen als Umkehr und Hinkehr zu Gott verstanden werden, zum anderen als Übergang bzw. Wechsel von einer Religion zu einer anderen.

Das Modell für die Vorstellung von christlicher Konversion stellte über lange Zeit die Wandlung des Paulus dar: vom Verfolger der Christen zum Verfolgten um seines Glaubens an Christus willen. Johannes der Täufer rief zu radikalem Wandel der Lebenseinstellung und des Verhaltens auf. Paulus verstand sich nach seinem Bekehrungserlebnis vor Damaskus (Apg 9) selbstverständlich dennoch weiterhin als Jude. Die Abspaltung der neuen Gemeinden vom Judentum erfolgte erst später im Zuge der verstärkten Mission unter Heiden, als die Christusgläubigen immer weniger als ein Teil des Judentums anerkannt wurden.

Im Mittelpunkt jeder Konversion steht, wie bei Paulus, die Begegnung mit dem lebendigen Christus, die den Menschen völlig überwältigt. Eine der Hauptaussagen der meisten Berichte in diesem Buch ist, dass die Menschen gar nicht »Christen« werden wollten in dem Sinne, dass sie aktiv auf die Suche gingen oder sich »das Christentum« aneigneten. Das Handeln ging in den meisten Fällen nicht von ihnen selbst aus, sondern zentral ist für jeden Bericht das Handeln Jesu: Christus begegnet Muslimen. Darum wurde als Untertitel des Buches bewusst nicht gewählt »Wenn Muslime Christen werden«. Für die Interviewten war dieser Prozess etwas für sie selbst Unverfügbares, etwas, das sie nicht suchten und nicht planten. Es war quasi ein Ereignis »vom Himmel«, und sie erlebten Christus als den Handelnden.

Ihre Antwort auf die Begegnung Christi mit ihnen ist erst die Konversion zu Christus hin. Diese führt dann zur Konversion im Sinne einer Abkehr von der alten Religion. Wenn ein Mensch auf diese An-Rede mit einer Hinwendung zu Gott antwortet, so führt dies zu einer immer wieder zu erneuernden Transformation des Menschen.

Zu oft wird Konversion als Ende eines Prozesses der Suche verstanden. Doch sie ist nur eine Zäsur in diesem nie abgeschlossenen Transformationsprozess – verwandelt zu werden in Sein Bild, indem wir die Herrlichkeit des Herrn anschauen (2 Kor 3,18).

Nach islamischem Verständnis wird jeder Mensch, gleich welcher Nation oder Religion, in der fitra, dem schöpfungsmäßigen Urzustand des Islams, geboren (Sure 30,30). Eine mündliche Überlieferung (hadith) von Abu Huraira sagt, jedes Kind werde perfekt und fehlerlos geboren und erst die – nichtislamischen – Eltern würden dann ein Kind etwa zu einem Juden oder Christen erziehen.11 Nichtmuslime sind dann sozusagen Produkte einer verfehlten Pädagogik. Wenn dagegen ein Christ zum Islam konvertiert, wird das häufig als Reversion zu seiner fitra interpretiert.

Das Recht auf Konversion

Das universelle Recht zu konvertieren, ist nicht nur in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 verbrieft,12 sondern auch in Artikel 4 des deutschen Grundgesetzes (GG).13 Durch den engen Bezug zur durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde kommt ihm in der Rechtsprechung ein besonders hoher Stellenwert zu. Es ist ein Freiheitsrecht, das eine Schutzpflicht für den Staat begründet. Glaubensfreiheit bedeutet das Recht, eine Religion zu haben und auszuüben, keine Religion zu haben oder seine Religion zu wechseln. Daher muss das Recht auf Konversion als Lackmustest im Miteinander der Religionen gelten. Denn »ohne die Möglichkeit der Konversion ist die Religionsfreiheit als Freiheitsrecht der Menschen schlicht nicht möglich«.14

Nun leben in unserer Mitte Menschen, die ihr Recht auf Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit in Anspruch nehmen. Sie leben Demokratie! Vielleicht ist uns in Deutschland, wo wir uns so sehr daran gewöhnt haben, das Gespür für die Großartigkeit unseres Grundgesetzes abhandengekommen. Aber wir erleben es nun bei Menschen, die aus Unrechtsregimen und Zwangssituationen kommen, in denen ihnen eigene Gewissensentscheidungen verwehrt wurden und in denen jede Abweichung von der staatlich verordneten Norm ernsthafte bis existentielle negative Konsequenzen hat. Wenn wir unser Grundgesetz ernst nehmen, dann können wir gar nicht anders, als Menschen darin zu unterstützen, in dieser freiheitlichdemokratischen Grundordnung zu leben. Konversion ist eine Folge des persönlichen Entscheidungscharakters des Glaubens. Darum geht es bei Konversion immer auch um Selbstbestimmung.

Wie kann es sein, dass dieses Recht, wenn Muslime Christen werden, scheel angesehen wird? Dass gerade die Kirchen, die sich ansonsten immer als die Speerspitze der Menschenrechte sehen, sich hier auffallend einsilbig geben?

Die Folgen der Konversion – das Apostasiegesetz

Im westlich geprägten Europa können wir uns kaum vorstellen, wie groß der Schritt weg vom Islam hin zum Christentum für den Einzelnen ist. Abgesehen davon, dass ein ganzes Lebensgebäude zusammenstürzt, bedeutet Apostasie Verrat an Religionsgemeinschaft, Land und Familie. Denn der Islam sieht den Glauben nicht als eine private Angelegenheit oder Überzeugung. In der westlichen Welt mit ihrer Trennung von Kirche und Staat gehört der persönliche Glaube des Einzelnen zu den privatesten Dingen. Im Islam aber sind Glaube und Religion grundsätzlich öffentliche Angelegenheiten. In den Ländern, in denen der Islam Staatsreligion ist, bedeutet eine Abkehr vom Islam Erschütterung der muslimischen Gemeinschaft und Lebensordnung. Wer davon abfällt, begeht Landesverrat.

Solange jemand seinen neuen Glauben im Verborgenen lebt, nicht sichtbar nach außen, und solange er nicht davon redet, wird das weitgehend toleriert.

Mit der Taufe aber wird dieser Schritt besiegelt und offiziell. Deshalb ist die Taufe ein massiver Einschnitt im Leben, und das Bekanntwerden dieser Taufe hat schwerwiegende Konsequenzen. Darum ist es unabdingbar, dass der Seelsorger oder Pfarrer die Motivation gründlichst prüft, viele Gespräche führt, Bibelunterricht erteilt, damit die Entscheidung fundiert und wohlüberlegt ist. Die Taufe bedeutet in der Regel Beeinträchtigungen und Repressalien durch Landsleute und durch die eigene Familie, oft Verlust der Arbeitsstelle und des Besitzes, physische und psychische Folter, manchmal bis hin zu Gefahr für Leib und Leben. Manche wählen die Emigration, um dem Druck zu entkommen. Im Koran selbst liegt die Bestrafung des Apostaten bei Gott; es ist überwiegend eine jenseitige Strafe. Doch die islamische Überlieferung sagt: »Wer seine Religion wechselt, den tötet.«15

Da die Rahmenbedingungen in Deutschland durch die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit andere sind als in den Heimatländern, ist Konversion hierzulande in der Regel einfacher. Es gibt keine staatlichen Sanktionen oder gar Verfolgung. Doch bekommt man als fernes Echo des Apostasiegesetzes selbst in deutschen Flüchtlingsheimen zu hören: »Al-murtadd yuqtal – Der Abtrünnige muss getötet werden.« Auch wenn, etwa bei Flüchtlingen, keine (Groß-)familie da ist, die sie verstoßen könnte, ist das Muster der Ausgrenzung doch weiterhin aktiv. Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen: Die Open-Doors-Studie von 2016 »Mangelnder Schutz religiöser Minderheiten in Deutschland. Religiös motivierte Übergriffe auf 743 christliche Flüchtlinge in deutschen Asylunterkünften«16 listet Todesdrohungen, sexuelle Übergriffe, Körperverletzung und anderweitige Verfolgung auf. Eine Umfrage des Diakonischen Werks Württemberg, das die Open Doors-Studie kritisch sieht und eigene Erhebungen veranlasste, kommt dagegen zu dem Ergebnis: »Systematische Übergriffe auf christliche Flüchtlinge in Unterkünften in Württemberg lassen sich nicht belegen.«17 Hier ist die Rede von Vorfällen, die den allgemeinen Bedingungen in Asylunterkünften geschuldet und als Alltagskonflikte zu werten seien. Nun sind freilich christliche Flüchtlinge im Sinne von orientalischen Christen der alten Kirchen eine völlig andere Kategorie als Konvertiten. Ich jedenfalls habe noch keinen Konvertiten getroffen, der nicht von Ablehnung, Beschimpfung, Diskriminierung, Ausgrenzung oder Mobbing in Unterkünften berichtet hätte. In den Berichten werden die unterschiedlichen Arten dieses religiös bedingten Mobbings sichtbar.

Motivation zum Glaubenswechsel – so individuell wie jeder Mensch

Muslime kommen einfach in unsere Kirchen und Gemeinden. Sie fragen nach Christus. Sie erzählen, wie Christus ihnen begegnet ist. Und sie interessieren sich weder für die Bedenken der Gerichte noch die der Kirchen, sondern für die befreiende Botschaft des Evangeliums.

Es kommen Muslime, die den Islam innerlich längst hinter sich gelassen haben. Sie haben eine Leer-Stelle – wie soll sie gefüllt werden? Der Anteil an Atheisten unter nominellen Muslimen ist weit höher als bislang angenommen. In den Ländern des Nahen Ostens, in denen Religiosität und der Glaube an Gott Teil der Identität sind, wird das als Bedrohung der Gesellschaft angesehen.

Und es kommen Menschen, die bereits auf dem Weg des christlichen Glaubens unterwegs sind. Dies gilt insbesondere für Muslime, die zwar kaum je in einer Gemeinde ihres Heimatlandes waren, aber das Christentum durch christliche Fernsehsendungen kennengelernt haben. Sie haben Vorwissen, das nun Klärung und Systematisierung braucht – und eben die Taufe. Ein Pfarrer, der viele Iraner in seiner Gemeinde hat, drückte es etwas salopp so aus: »Wir müssen nur noch den Deckel draufmachen.«

Während also die Kirchen noch darüber diskutieren, ob man nun missionieren dürfe oder nicht und ob Mission nicht doch den interreligiösen Dialog und den gesellschaftlichen Frieden beeinträchtige – und dabei Zeit und Personal in Diskussionsrunden und Positionspapiere stecken –, kümmert die Betroffenen diese Diskussion nicht im geringsten. Sie kommen und fragen nach Christus und begehren die Taufe – ob eine Gemeinde oder Kirche nun missionarisch ist oder nicht, und egal, was eine Kirchenleitung beschlossen hat.