Mein Opa, der SED-Bonze - Alessandra Beck - E-Book

Mein Opa, der SED-Bonze E-Book

Alessandra Beck

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Beschreibung

Katarina wird 1988, also ein Jahr vor der Wende, in Wandlitz bei Berlin in der ehemaligen DDR geboren. Sie wuchs im wiedervereinten Deutschland auf und kennt die DDR nur aus Geschichtsbüchern und von den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern. Ihr Großvater war ein ehemaliges Mitglied im Politbüro der SED. Katarina hat Zeit ihres Lebens mit Vorurteilen zu kämpfen, denn für viele bleibt sie ein Leben lang "Die Enkeltochter eines ehemaligen SED-Bonzens". Mobbing und Ausgrenzung prägen ihr Leben und doch kann sie sich immer auf ihre Familie und auf ihren geliebten Großvater verlassen. Durch einen Terroranschlag kommen im Jahr 2001 die Eltern und die Großmutter von Katarina ums Leben und nur wenige Jahre später, gerade als ihr Leben "fast perfekt verlief", wird auch sie Opfer eines Terroranschlages.

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Alessandra Beck

Mein Opa, der SED-Bonze

Ein Nachwendedrama

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Mein Opa, der SED-Bonze

Vorwort:

Das Leben meines Großvaters

Impressum neobooks

Mein Opa, der SED-Bonze

-Ein Nachwendedrama-

Der 2. Weltkrieg,Teilung Deutschlands, Mauerbau

Vorwort:

Geschichten, Erzählungen und Spielfilme über das Leben in der DDR gibt es viele. Aber wie ergeht es einem Mädchen, das langsam zur Frau wird und über ihren geliebten Großvater erfährt, dass er ein ehemaliger SED-Bonze war? Katarina wurde 1988, also ein Jahr vor dem Mauerfall, in der Bonzen-Siedlung Wandlitz in Ostdeutschland geboren. Sie wuchs im vereinten Deutschland auf, aber für andere bleibt sie ein ganzes Leben: „Das Mädchen aus dem Osten, das die Enkeltochter eines ehemaligen SED-Bonzen ist“. Mit vielen Vorurteilen schlägt sie sich durch das Leben. Bei einem Terroranschlag verliert sie ihre Eltern und ihre Großmutter und wird nur wenige Jahre später selbst zum Opfer von Terroristen.

Das Leben meines Großvaters

Die Sonne schien und die Forsythien fingen an zu blühen als ich am 2. April 1988 in Wandlitz bei Berlin in der DDR zur Welt kam. Mama wollte eine Hausgeburt und so konnte ich gleich nach meiner Geburt mein schönes Kinderzimmer bewundern, das Papa und Opa mit Möbeln vom „Klassenfeind“ für mich eingerichtet haben. Alles war in pink und rosa, doch mein Kinderbett war aus Kiefernholz und mein Kleiderschrank, der war von Papa in blau gestrichen worden. Mamas und Papas Gedanke war, dass ich mich nach meiner Geburt gleich zuhause fühle und ich nicht mit anderen Kindern auf der Kinderstation im Krankenhaus liegen muss. Papa nahm mich nach meiner Geburt auf den Arm und sagte: „Katarina, hier bist du zuhause und du musst nicht das Geschreie von anderen Kindern im Krankenhaus ertragen.“ So weit so gut, dafür schrie ich die ersten Nächte durch und hielt meine Eltern ordentlich „auf Trab“. Immer wenn es langsam hell wurde, schlief ich auf dem Arm meiner völlig übermüdeten Eltern ein und sobald es wieder Nacht wurde, fing ich an zu schreien. Ich heiße übrigens Katarina Kallanska und genau heute feiere ich meinen 28. Geburtstag. Ich wurde ein Jahr vor dem Mauerfall geboren. Als ich das Licht der Welt erblickte, hatte ich die schwarzen Haare und braunen Augen meines Großvaters geerbt. Meine ganze Familie und ich, wir lebten in der ehemaligen Bonzen-Siedlung. Halt, nicht alle, denn meine Tante Anna, mein Onkel Bert und meine Cousine Mira, die sind kurz vor dem Mauerfall 1989 in die Botschaft der BRD nach Prag geflohen. Seit dieser Zeit ist viel passiert. Ich war das Lieblingsenkelkind von Opa. Opa Herbert wurde am 17. November 1931 in Leipzig geboren. Opa war groß, fast 1,80 m, aber hatte doch eher ein südländisches Aussehen, denn er hatte schwarze Haare und braune Augen und seine Hautfarbe sah immer leicht gebräunt aus. Als der 2. Weltkrieg begann, war Opa noch ein Junge. Opa erzählte mir, dass er und seine Eltern und Geschwister zu hungern hatten und die Winter kalt waren. Bei Bombenalarm musste Opa mit seinen Eltern und Geschwistern in den Schutzbunker rennen und einige Tage nach Kriegsbeginn musste der Vater von Opa in den Krieg ziehen. Opa wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass auch er nur einige Jahre später in den Krieg ziehen musste. Denn Hitler schickte zu Kriegsende die Jungen als „Kanonenfutter“ an die Front und nicht etwa an irgendeine Front, nein, an die Ostfront. Doch Opa konnte fliehen und so schlug er sich von Russland bis nach Berlin mit dem Fahrrad durch. Als Opa völlig erschöpft Berlin erreichte, versuchte er sofort Kontakt zu seinen Eltern und Geschwistern aufzunehmen, doch niemand aus seiner Familie lebte noch. Der Vater war im Krieg gefallen, die Mutter und die Schwester begingen nach mehrfachen Vergewaltigungen durch die Russen Selbstmord und sein kleiner Bruder verstarb im kalten Winter 1944/ 1945 an einer Lungenentzündung.

Opa stand ganz alleine da. Was sollte er tun? Er musste überleben, nur wie? Er ging durch die zerstörten Straßen von Berlin, sah sich um und da sah er, wie ein junger Mann, vielleicht war er Anfang 20, seinen Eltern in die Arme fiel und alle vor Freude weinten, dass sie sich wiedergefunden haben. Die Sonne ging hinter der „Trümmerstadt Berlin“ unter und Opa übernachtete auf einem Stück Wiese zwischen Trümmern und Leichen. Am nächsten Morgen wurde Opa ganz früh geweckt: „Genosse, hier kannst du nicht bleiben!“ Sagte ein Mann mit grau-meliertem Haar und einem Vollbart zu ihm. Moment, der Bart glich dem einer Ziege und insofern war der Bart kein Vollbart, sondern ein „Ziegenbart“. Der Mann beugte sich zu Opa und gab ihm die Hand. „Komm mit mir! Wir bauen ein neues Deutschland auf und bei uns wird es nie wieder Krieg geben.“ Sagte der Mann zu Opa. Nach einer halben Stunde Fußmarsch durch die zerbombte Stadt Berlin erreichten sie die Wohnung, in der der Mann mit dem „Ziegenbart“ wohnte. „Hier sind wir, komm herein, Genosse. Zuerst wäscht du dich und dann wird gegessen. Mein Name ist übrigens Walter. Meine Frau wird für uns kochen.“ Opa war nun froh, dass er ein „Dach über dem Kopf hatte“ und so blieb er bei Walter und seiner Frau Luise. Walter wollte ein ganz anderes Deutschland, ohne Faschismus und das Muster der Vergangenheit kreieren. Tage und Nächte saßen Opa und Walter zusammen mit anderen jungen und älteren Männern, die sich alle untereinander mit „Genosse“ ansprachen. Sie diskutierten darüber, wie sie besser, als der andere Teil Deutschlands sein könnten und wie sie weitere Personen für ihre Sache gewinnen könnten. Außerdem brauchte man auch einen Parteinamen und Frauen sollten nicht nur für den Herd bestimmt sein, wie das im Westen Deutschlands der Fall ist, sondern die Frauen sollten sich um Haushalt und Familie kümmern, aber auch einer Arbeit nachgehen, denn jede Hand wurde für den Aufbau des Sozialismus und der DDR gebraucht. …..

Nach zahlreichen Nächten voller Diskussionen manifestierten sich die Gedanken der Genossen, nämlich ein ganz anderes, besseres Deutschland mit zu gestalten und zwar von der ersten Minute an. Die Bundesrepublik Deutschland, kurz BRD, wurde am 23. Mai 1949 gegründet und nur einige Monate später, nämlich am 7. Oktober 1949 war es dann endlich soweit. Opa war nun Mitglied der ersten Stunde in der SED und im Politbüro und die Deutsche Demokratische Republik, kurz DDR genannt, wurde gegründet. Opa erzählte mir, dass Walter, der Chef der Partei, am 13. August 1961 eine Mauer errichten ließ, um „unser kleines Land“, die DDR vor dem Faschismus aus dem Westen zu schützen. Deswegen wurde die Mauer, nicht Mauer genannt, sondern: „Antifaschistischer Schutzwall“. Damit die Bürger der DDR vor Menschen geschützt werden, die sich dem westdeutschen Faschismus zuwenden und somit Unruhe im Land verbreiten, ging Opa mit anderen Genossen ganz massiv gegen diese „Banditen“ vor. Opa wollte nur das Beste für sein Land und deshalb forderte er und sein Politbüro alle Bürger der DDR auf, wachsam zu sein und sollten Banditen „aufmüpfig“ werden, dann sollen die guten DDR-Bürger das sofort der Staatssicherheit melden. Die Bundesrepublik war unser Feind. Komisch, wir waren ein Land, das hieß Deutschland, wir sprachen die gleiche Sprache, okay, die Bayern und die Sachsen sprechen schon sehr unterschiedlich und auch manchmal merkwürdig, aber trotzdem war die Bundesrepublik Deutschland unser Feind und Opa wollte unsere Familie und alle DDR-Bürger vor dem Westen beschützen ??? Und was bedeutet überhaupt das Wort „Faschismus“?

1961 ließ Walter eine große, graue Mauer um unser Land errichten. Diese Mauer hieß aber nur Mauer im Westen, also bei unserem „Klassenfeind“, bei uns hieß sie: „Antifaschistischer Schutzwall“. Schon wieder war da das Wort Faschismus.

Als Opa 1962 Oma Helena bei einer Feier der Freien Deutschen Jugend traf, da war es um ihn geschehen. Opa war richtig „verknallt“ in Oma. Ein Jahr später, also 1963 heirateten Oma und Opa und im gleichen Jahr kam mein Papa Ludwig zur Welt. Nur 2 Jahre später wurde Tante Anna geboren. Papas und Annas Wege waren vorprogrammiert. Nach der Schule sollten Papa und Anna nach Moskau gehen, um dort zu studieren und später, also wenn sie das Studium beendet haben, sollten sie eine Funktion innerhalb der Partei einnehmen. Die Welt war heil und friedlich und anders als ich mussten Papa und Tante Anna keine eigenen Entscheidungen bzgl. der Berufswahl treffen. Einerseits war es schade, dass Papa und Anna keine eigene Entscheidung über ihre berufliche Zukunft treffen konnten, andererseits brauchten sich die beiden nie „den Kopf über ihre Zukunft zerbrechen“. Außerdem musste Opa nie Angst haben, dass Papa und Anna in die Arbeitslosigkeit abrutschen, denn „Banditen“ gab es ja gerade in der DDR sehr viele und unser Land musste vor diesen „Banditen“ geschützt werden. Die schlimmsten „Banditen waren nicht etwa die, die einen Raub begingen, nein, das waren die, die Opa und seine Parteigenossen mit Worten angriffen oder die, die den Antifaschistischen Schutzwall überwinden wollten, um beim Klassenfeind zu leben.

Doch plötzlich ging es unserer DDR immer schlechter. Eigentlich ging es der DDR noch nie richtig gut, aber ich vergleiche das so: In den ersten Jahren hatte die DDR einen „Schnupfen“ und aus diesem „Schnupfen“ wurde eine richtige „Grippe“. Doch anders als im Westen hatten wir Vollbeschäftigung und nicht einen einzigen Arbeitslosen, aber das liegt auch daran, dass „unsere Banditen“ nach einem Aufenthalt im Gefängnis gar nicht mehr in der Lage waren zu arbeiten. Im Westen dagegen versuchte man die „Banditen“ nach der Entlassung zu resozialisieren. Bei uns brauchte man das nicht. Doch dann gab es die ersten Unruhen in unserem kleinen Land. Die Bürger in der DDR wollten nicht länger auf Waren, wie z.B. auf Südfrüchte verzichten und sie wollten vor allem „die Welt sehen“. Aber das Wichtigste war, dass sich die Bürger der DDR „ihren Mund nicht mehr verbieten lassen wollten“ und ihre Meinung äußern wollten. Und plötzlich wurden die „Banditen“ immer mehr.

Dann 1988 kam ich zur Welt und Opa war „ganz verrückt nach mir“. Papa und Mama Jeanette erzählten mir, dass Opa an jedem Haus in der ganzen Siedlung klingelte, um mich persönlich jedem einzelnen vorzustellen. In seiner Freizeit ging Opa mit mir auf dem Arm spazieren und er kaufte mir vom „Klassenfeind“, das war die BRD, Spielzeug. Am 21. Oktober 1988 kam auch meine kleine Cousine Mira auf die Welt.

Das Ende der DDR, Bürgerrechtler,

Verzweiflung,

Wut,

Wahlbetrug,

Montagsdemonstrationen,

9. November 1989

Nein, zur Diktatur, ja zur Demokratie

Doch dann war der Frieden in unserem Land vorbei und auch der Frieden in unserer Familie. Immer öfters stritten sich Oma und Opa mit Anna und Bert. Anna und Bert schlossen sich „den Banditen“ an, sie nannten sich nun Bürgerrechtler. Einige Wochen nach meinem ersten Geburtstag stand die Wahl in der DDR an. Es war der 7. Mai und Anna und Bert waren nun auf der Seite der Bürgerrechtler. Mit anderen Mitstreitern überprüften sie die Wahl und stellten „Wahlbetrug“ fest. Das bedeutet, dass Opa und seine Parteigenossen die Wahl gewinnen wollten, aber dabei „ganz schön geschummelt haben“.

Seit diesem Vorfall gingen nun jeden Montag die Bürgerrechtler auf die Straße um gegen das Ergebnis zu protestieren. Plötzlich öffnete unser sozialistisches Nachbarland Ungarn am 19. August 1989 seine Grenze für unsere DDR-Bürger nach Österreich. Und plötzlich, einige Wochen später, waren Anna, Bert und Mira fort. Die drei sind über Prag in den Westen geflohen. Am 30. September 1989 kam der damalige Außenmister Hans-Dietrich Genscher in die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland und sagte auf dem Balkon der Botschaft die Worte:“…. Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise….!“ Der Rest des Satzes, nämlich „möglich geworden ist“, ging im Jubel der DDR-Bürger oder waren es keine DDR-Bürger, die dort in der Botschaft jubelten, sondern diese berüchtigten „Banditen“, unter. Also bestand unsere Familie zur Hälfte aus DDR-Bürgern, aber auch zur Hälfte aus Banditen? Oma und Opa sahen mit Entsetzen die Bilder der jubelnden DDR-Bürger, die mit Zügen in die BRD gebracht wurden.

Einige Tage später, am 7. Oktober feierte die DDR ihren 40. Jahrestag. Wer hierbei störte wurde von der Volkspolizei niedergeknüppelt. Doch warum jubelten alle dem Gast aus Moskau zu und riefen: „Gorbi, Gorbi!?“

Die Gruppe der Bürgerrechtler, also der „Banditen“ wurde immer größer und als die Montagsdemonstration gegen das DDR-Regime und somit auch gegen Opa, am 9. Oktober 1989 in Leipzig protestierten, kapitulierte die Staatsmacht in Leipzig vor dem geballten Freiheitswillen ihrer Bürger oder waren es „Banditen“ ?

Einen Monat später fiel die Mauer, also der „Antifaschistischer Schutzwall“ und für Oma und Opa „brach die Welt zusammen“. Wir jungen Leute müssen uns das so vorstellen, als ob plötzlich „unser Deutschland“ nicht mehr existieren würde. Nein, das ist ein blöder Vergleich, denn die DDR war nie eine Demokratie, so wie das schon immer die Bundesrepublik Deutschland war, obwohl die DDR „Deutsche Demokratische Republik“ heißt, nein hieß oder doch, die DDR heißt ja immer noch Deutsche Demokratische Republik. Aber man muss sich mal vorstellen, dass das ganze Leben meines Opas ein riesen Fehler war und die „Banditen“, die Opa und seine Genossen bekämpft haben, nun im Recht sind. War das nun gut oder war das schlecht?

Das Leben nach dem Mauerfall

Für Opa ging es bergab

Von einem Tag auf den anderen, war nichts mehr so wie es einst war. Das Politbüro trat zurück und die Stasizentrale wurde von den Bürgerrechtlern, also den ehemaligen „Banditen“, gestürmt. Kurz vor meinem 2. Geburtstag gab es am 18.März die ersten freien Wahlen der DDR. Diese ersten freien Wahlen waren somit auch die letzten Wahlen der DDR. Alles veränderte sich rasant. Viele DDR-Bürger waren nun ohne Arbeit. Einige DDR-Bürger fragten sich, was sie von dem Mauerfall nun eigentlich haben? Die Antwort war: Sie sind endlich freie Bürger, die ihre Meinung frei äußern dürfen, aber dafür sind sie jetzt arbeitslos und können die Freiheit gar nicht genießen. Aber eines haben die Bürgerrechtler der DDR erreicht: Demokratie und „demos“ heißt Volk und „kratie“ heißt herrschen, also dass das „Volk“ herrscht. Das heißt, dass nun das Wort Demokratie in der DDR endlich umgesetzt wurde. Wie wichtig später ein vereintes Deutschland in der Mitte eines friedlichen Europas wird, das konnte damals niemand wissen. Aber wie wichtig der Frieden, ohne Terror und Angst auf der Welt ist, das wurde mir erst später klar. Nämlich erst dann, als der Terror und somit auch die Angst die westliche Welt erreichten. Zuvor waren Kriege und Terror so weit weg, aber dann gab es den 11. September 2001, danach Madrid und London, in der Türkei…. und Paris, Brüssel und Nizza und dann gab es in einem Zug in Bayern den ersten Anschlag auf deutschem Boden, nur wenige Tage später lief ein Jugendlicher in München Amok. Die Angst, dass man sich als freier Mensch innerhalb Europas oder anderswo auf der Welt, nicht frei bewegen kann, ohne mit einem Terroranschlag rechnen zu müssen, diese Angst ist furchtbar. Wenn der Weg zur Arbeit, auf ein Konzert, zu einem Fußballspiel oder auch in den Urlaub „zum Spießroutenlauf“ wird, erst dann merkt man, was Frieden und Freiheit wirklich bedeuten.

Mama und Papa gingen mit mir in den Westen. Unser neues zuhause wurde Hamburg, aber im Herzen blieb ich immer eine Berlinerin. Ich war damals noch zu klein, um zu realisieren, was ein Umzug bedeutet, aber ich merkte, wie Oma anfing zu weinen. Wir fuhren mit unserem Trabi in Richtung Nordwesten. Plötzlich merkte ich, dass die Straßen keine Schlaglöcher mehr hatten und alles war so neu und gepflegt. Wir zogen in eine 60 qm Wohnung in Hamburg Altona. Die Wohnung war möbliert, das bedeutet, alle Zimmer in der Wohnung hatten schon ihre Möbel am richtigen Platz. Die Möbel waren so anders als bei uns zuhause in Wandlitz. Irgendwie komisch, aber eben auch modern und neu. Mein Zimmer zuhause in Wandlitz bestand aus einem Holz Bett, aus einem Kleiderschrank und aus einer Spielecke. Hier in Hamburg hatte ich auch ein Holz Bett, aber auch einen Schreibtisch aus Plastik und eine große Spielecke und mein Kleiderschrank war ganz blau, wie zuhause in Wandlitz, das war schön. Die Küche war na ja, Mama freute sich über sie, weil sie so groß und modern war. Aber das Highlight war das Badezimmer. Dort hatten wir eine Dusche, aber gleichzeitig auch eine Badewanne. Wenn Mama und ich einkaufen gingen, mussten wir aus der Wohnungstüre hinaus, zwei Treppen hinunter gehen, die Haustüre öffnen, dann waren wir auf der Straße und mussten nach rechts gehen bis zur Ampel, an der Ampel mussten wir auf grün warten bis wir sie überqueren durften und auf der anderen Seite der Straße war auch schon der Supermarkt. Anstellen mussten wir uns hier nur an der Kasse und die Schlange war so klein, wie ich sie noch nie in der DDR vor einer normalen Kasse im Konsum sah. Die erste Zeit in Hamburg war für Mama und Papa schwer, denn immer wieder wurden beide mit ihrer Vergangenheit in der DDR konfrontiert. Papas und Mamas Berufsabschlüsse als Lehrer wurden im Westen nicht anerkannt. Nachbarn tuschelten und eines Abends, als Mama vom Einkaufen in unsere Wohnung kam, fragte der Nachbarsjunge Arne Mama: „Frau Kallanska, was ist denn eigentlich eine Bonzenfamilie?“ Mama blieb stehen und wusste zunächst keine Antwort auf die Frage. Wie sollte sie einem 7-jährigen Jungen in wenigen Sätzen erklären, was wir für eine Familie sind? Mama sagte, dass Arne das später in der Schule im Geschichtsunterricht erfahren wird.

An den Wochenenden fuhren Mama und Papa oft mit mir ans Meer und wir tobten am Strand von Travemünde herum und ließen meinen Drachen steigen, den Papa und ich zuhause in unserer Hamburger Wohnung selbst gebastelt haben.

Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! Und die Sonne kam hinter den Wolken hervor.

Einmal im Monat besuchten wir Oma und Opa. Die beiden mussten ihr Haus in Wandlitz aufgeben und lebten nun wie wir in einer Wohnung in einem Mehrfamilienhaus. Nur wir wohnten in Hamburg und Oma und Opa wohnten in Berlin-Mitte. Ich freute mich jedes Mal so sehr, wenn ich Oma und Opa wiedersehen konnte, dass ich die Nacht zuvor kaum geschlafen habe. Papa hatte nun eine Anstellung am Hamburger Hafen gefunden. Er ging immer auf die großen Schiffe, um sie mit einigen anderen Frauen und Männern zu reinigen. Mama fand dagegen keine Anstellung und so war sie nur für mich da. Das war schön. Wenn Papa von der Arbeit am Freitag nach Hause kam, hatte Mama schon alle Sachen für den Besuch bei Oma und Opa gepackt und dann ging es endlich mit dem Auto los. Wir fuhren aus der Stadt auf die Autobahn. Die Straßen im Westen waren ohne Schlaglöcher und das gefiel mir, doch sobald die Schlaglöcher mehr wurden, wusste ich, wir sind bald bei Oma und Opa. Oma schaute schon hinter der Gardine, wann wir nun endlich vor dem Haus ankommen werden. Dann fuhren wir vor und Opa kam gleich zu uns und nahm mich in den Arm. Wir gingen ein Stockwerk hinauf und da waren wir angekommen. Oma konnte einen Teil der Möbel aus ihrem Haus in Wandlitz mitnehmen und so fühlten sich beide zumindest etwas zuhause. Aus Omas schönen blonden Haaren sind nun größtenteils graue Haare geworden und Omas blaue Augen strahlten nicht mehr so wie früher. Auch Opas Haare schwächelten und wurden langsam grau. Aber bei Opa fielen die grauen Haare noch mehr auf, als bei Oma, denn bei blonden Haaren, gehen die Grauen „etwas unter“.

Am Abend zogen Wolken auf

Beim Abendessen ging es schnell um Politik und Oma sagte zu Papa, dass Opa ins Gefängnis muss. Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 6 Jahre alt und konnte nicht verstehen, weshalb mein lieber Opa, der so lieb zu mir ist, ins Gefängnis muss. Ich rannte zu Opa und fragte ihn aufgeregt: „Opa, warum musst du ins Gefängnis, dorthin müssen doch nur böse Leute und du bist doch mein lieber Opa?“ Opa nahm mich auf seinen Schoss und antwortete darauf ganz ruhig und besonnen: „Katarina, dein Opa hat vor einiger Zeit einen großen Fehler gemacht und genau deswegen muss Opa dafür ins Gefängnis!“ „Herbert, wann beginnt der Prozess gegen dich?“ Fragte Mama Opa. „In einem halben Jahr !“ Antwortete Opa. „Aber Opa, zu meiner Einschulung kommst du doch mit Oma nach Hamburg?“ Fragte ich Opa. „Das kann ich dir nicht versprechen.“ Sagte Opa mit Tränen in den Augen. Oma sagte: „Kommt, lasst uns einen Spaziergang zum Spielplatz um die Ecke machen!“

Einige Meter bevor wir den Spielplatz erreichen, schrie eine mittelgroße Frau mit dunkelblondem Haar hinter Opa her: „Jetzt kriegen sie euch alle. Ihr Schweine !“ „Opa ist kein Schwein, das ist mein Opa!“ Rief ich der Frau hinterher. Dann fragte ich Oma: „Oma, weißt du, wo Mira, Anna und Bert wohnen? Die könntest du doch auch mal einladen und Mira und ich könnten zusammen spielen?“ Oma schwieg und ich sah, wie sie anfing zu weinen.