Mein Opa mit dem Supermarkt - Şermin Yaşar - E-Book

Mein Opa mit dem Supermarkt E-Book

Şermin Yaşar

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Beschreibung

"Was willst du werden, wenn du mal groß bist?" schien eine Frage zu sein, die Erwachsenen außerordentlich beschäftigte. Es erschien mir also das einfachste, eine befriedigende Antwort auf diese Frage zu finden.Meine Mission: den richtigen Beruf für mich finden. Und so traf ich meine Entscheidung.Ich wählte den einzigen Beruf, der mir sinnvoll erschien:Supermarktbesitzer!Fünf Minuten später stand ich vor meinem Opa.Warum sollte ich auch lange warten? Es erschien mir sinnvoller, sofort mit meinem neuen Traumjob zu beginnen. Jeder Erwachsene kann im Supermarkt arbeiten, das ist keine großartige Errungenschaft – aber bereits als Kind fertig ausgebildete Supermarktbesitzerin zu sein? Das wäre ein Erfolg, den niemand bestreiten könnte."Mein Opa mit dem Supermarkt von der preisgekrönten türkischen Schriftstellerin Sermin Yasar erzählt die Geschichte eines kleinen Mädchens, das seine Freizeit damit verbringt, als Azubi im Dorfsupermarkt ihres Großvaters zu arbeiten.Sie hat massig Geschäftssinn, gute Ideen und nur die besten Absichten, und notiert nebenbei alles, was sie über die Arbeit im Supermarkt und den Umgang mit Erwachsenen lernt, in einem kleinen Notizheft. Dieses soll den jungen Lesern ihrer Geschichte dabei helfen, die zum Teil ziemlich komplizierte Welt der Erwachsenen zu navigieren. Das Ergebnis ist eine lustige, liebevolle und unaufdringliche Erzählung voller wichtiger Lektionen übers Erwachsenwerden, aber auch über Themen wie Immigration, Integration und alles, was damit einhergeht.-

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Seitenzahl: 191

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Der superste Markt der Welt

mein opa mit demsupermarkt

supermarktkaya

Diese Geschichte beruht auf wahren Begebenheiten.

Oder nicht.

Vielleicht steckt hier und da ein klitzekleines bisschen Wahrheit mit drin.

Die Personen sind, alle wie sie da sind, frei erfunden – oder nicht.

Naja, vielleicht ist einiges wahr, anderes ist erfunden. Und ganz vielleicht habe ich ja auch einfach nur ein bisschen Schiss, dass ein paar von den echten Personen das hier lesen und sich angegriffen fühlen. Deswegen sage ich einfach sicherheitshalber, es ist reine Fiktion. Ihr wisst ja, wie sowas läuft. Sie zerreißen sich das Maul und sagen Sachen wie: „Warum hast du mich so unvorteilhaft dastehen lassen?”, „War ich wirklich so schrecklich zu dir?”, „Das habe ich NIE gesagt” und so weiter und so fort.

Also sind wir uns einig: Nichts von alldem hier ist real…

Jepp! Ich habe alles nur erfunden. Alles! Keine einzige Person in dieser Geschichte hat irgendwas mit den echten Personen in meinem Leben zu tun.

Nichts, rein gaaar nichts. Ehrenwort.

Nee, echt jetzt!

Und überhaupt. Wie realistisch ist es bitte, dass so ein kleines Mädchen wie hier beschrieben in einem Supermarkt eine Ausbildung macht? Denkt mal drüber nach.

Na?

Dachte ich’s mir doch!

Mein Opa mit dem Supermarkt

Übersetzt von Kirsten Evers

Titel der Originalausgabe: Dedemin Bakkalı

Originalsprache: Türkisch

Copyright © 2023 Şermin Yaşar und SAGA Egmont

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 9788728540701

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung des Verlags gestattet.

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

INHALTSVERZEICHNIS

Was willst du werden, wenn du mal groß bist? • 9 •

Der superste Beruf der Welt • 13 •

Mein Opa mit dem Supermarkt • 18 •

Meine Arbeitsstunden • 24 •

Kirschlimo • 29 •

Der Arme Mustafa • 42 •

Der Große Murat • 55 •

Der Dieb • 74 •

Produkte aus der Region • 82 •

Die Blitzsaubere Sükriye • 94 •

Ich liebe dich • 104 •

Weiße-Bohnen-Eintopf • 111 •

Die Afrikaner • 123 •

Der einsame Onkel Vehbi • 139 •

Schokoladenlieferung • 153 •

Der alte Mann am Brunnen • 163 •

Deutschtürken • 172 •

Mein Onkel, der Kapitän • 180 •

Alternative Odysseen • 188 •

Und viele Jahre später… • 202 •

Die Autorin dieser Geschichte wurde zwar 1982 geboren, was aber nicht bedeutet, dass sie in der Zwischenzeit erwachsen geworden ist. Manchmal fühlt es sich so an, als sei sie noch immer ein Kind.

Was sie mag: Spiele spielen, Märchen anhören, sich Geschichten ausdenken, ziellos durch die Stadt laufen, Sachen machen, die Erwachsene in den Wahnsinn treiben.

Was sie gar nicht mag: Wenn die Schokolade alle ist, wenn ihr jemand sagt, sie solle sich vernünftig anziehen, wenn sie zum Essen gerufen wird, gerade wenn sie sich auf etwas konzentriert, dass sich jeder einfach seine eigenen Regeln ausdenken kann, so wie’s gerade passt, dass alles immer von Erwachsenen bestimmt wird, dass Erwachsene immer recht haben und so weiter und so fort.

Wovor sie Angst hat: Kakerlaken und stirnrunzelnde Erwachsene.

Davon träumt sie: Die Liste ist viel zu lang…

Ihre Kinder: Tuna, Meta, Name und sie selbst…

Für meine Opas

Das Jahr1992

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Was willst du werden,wenn du mal groß bist?

Freunde, eines sag ich euch: Diese Frage werdet ihr von den Erwachsenen am häufigsten hören. Vielleicht kennt ihr sie ja selbst, diese Erwachsenen, die keine Ahnung haben, wie man mit Kindern redet. Ja? Dann macht euch darauf gefasst, diese Frage und viele andere von genau dieser Art zu hören. Denn sie werden euch nicht in Ruhe lassen, bis sie eine Antwort bekommen, die ihnen gefällt.

Diese Art von Erwachsenen weiß ganz einfach nicht, wie man mit einem Kind spricht. Sie wissen nicht, was sie sagen sollen, wie man Konversation betreibt

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und so weiter. Sie glauben, sie seien selbst so schlau, und sehen uns als arme kleine Welpen in Menschengestalt, die völlig hilf- und ahnungslos durch die Welt tapsen.

Deswegen würden sie uns auch niemals so normale, grundlegende Fragen stellen wie „Wie geht’s dir?” und auf gar keinen Fall würden sie ein Gespräch mit uns führen, in dem es ums Wetter geht, oder dass der Winter vor der Tür steht oder sowas. Nie würden sie ihre Sorgen mit uns teilen, ihre Träume, ihre Probleme, was sie lieber tun würden als das, was sie in Wirklichkeit tun, ihre Erfolge. Aus irgendeinem merkwürdigen Grund denken sie, dass wir das alles sowieso nicht kapieren würden. Deswegen stellen sie uns eben bloß diese dämlichen Fragen, die ihrer Meinung nach für unsere Altersstufe geeignet sind. Und wie wir alle ja schon längst wissen, ist es am einfachsten, wenn man so tut, als wäre das alles ganz normal, und ihnen einfach zwei Antworten gibt: Eine mit dem Mund und eine im Kopf.

Frage: Wie ist die Schule?

Mit dem Mund: Gut.

Im Kopf: Naja, wie soll’s schon sein. Es ist ein Gebäue mit vier Stockwerken, das ist schonmal ‘ne gute Basis. Angenehm hell. Entworfen, um den Bedürfnissen der Schüler und Schülerinnen gerecht zu werden. Die Flure könnten ein bisschen breiter sein, jetzt, wo ich drüber nachdenke.

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Frage: In welche Klasse gehst du jetzt?

Mit dem Mund: Achte.

Im Kopf: Krass, schon acht Jahre. Naja, wird sicher noch ‘ne Weile so weitergehen. Das ist okay, nehme ich an, ist ja schließlich nicht so, als würden wir dafür zahlen. Es ist ‘ne öffentliche Schule, also haben wir definitiv mehr Glück als die, die jeden Monat säckeweise Geld ausgeben müssen, nur damit ihre Kinder zur Schule gehen können.

Frage: Wahnsinn, wie du schon wieder gewachsen bist! Isst du etwa zu viel?

Mit dem Mund: Nee.

Im Kopf: Ja klar, weil das ja so funktioniert. Je mehr man isst, desto größer wird man: Das ist doch mal ein gutes Beispiel für Ursache und Wirkung. Ich ess’ mich einfach erwachsen.

Frage: Was willst du werden, wenn du mal groß bist?

Mit dem Mund: Ärztin.

Im Kopf: Wie soll ich das denn bitte jetzt schon wissen? Man wählt seine Karriere doch erst in der Oberstufe. Ich weiß, man soll sich einen Job suchen, der einem Spaß macht. Nur habe ich ehrlich gesagt keine Ahnung, was genau das für mich bedeutet. Aber das wird sich schon noch herausstellen… nehme ich doch stark an?

Und so endet jede Konversation mit dieser Frage. Weiter kommen sie einfach nicht. Für sie ist diese

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Frage der Höhepunkt einer jeden Unterhaltung zwischen Kind und Nicht-Kind, und doch hinterlässt diese letzte Frage einen bleibenden Eindruck in unseren jungen Köpfen.

Sollte ich Ärztin werden? Oder doch besser Ingenieurin? Nicht, dass ich auch nur eine Ahnung davon hätte, was eine Ingenieurin eigentlich genau macht…

Lehrerin vielleicht? Nein, Polizistin! Oder Journalistin? Wie wär’s mit professioneller Fußballerin?

Sängerin! Wie cool wäre das bitte. Ich könnte auch zum Film gehen. Nein, ich hab’s. Ich will Theaterschauspielerin werden… Oder doch lieber Friseurin?

Oh Gott. Was soll nur aus mir werden,WENN ICH MAL GROß BIN?

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Der superste Beruf der Welt

„Was willst du werden, wenn du mal groß bist?” schien eine Frage zu sein, die die Erwachsenen außerordentlich beschäftigte. Neun von zehn Erwachsenen, denen ich begegnete, fragten mich bezüglich dieses Themas aus. Es erschien mir also das einfachste, eine befriedigende Antwort auf diese Frage zu finden.

Meine Mission: Den richtigen Beruf für mich finden.

Ich begann damit, die Erwachsenen in meinem direkten Umfeld zu beobachten.

Ihren Job und das Level an Langeweile, das damit einherzugehen schien. Zu sehen, ob sie ihren Job liebten oder nicht, würde mir sicherlich helfen, eine Entscheidung zu treffen. Und so erstellte ich eine Liste.

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Person

Beruf

Level an Langeweile

Mama

Hausfrau

Immer zu Hause.Langweilt sich zu Tode.

Papa

Handwerker

Hat immer die gleichen Arbeitszeiten. Jeden Tag. Todlangweilig.

Onkel

Lehrer

Erzählt Jahr für Jahr die gleichen Geschichten.Nix Neues.

Onkel Fikret

Polizist

Jede Menge Action.SICHERHEITGLEICH NULL.

Opa 1

Hat ein Café

Ganz cool. Du bist der Chef und die Leute kommen zu dir, um zu entspannen. Spaß.

Opa 2

Hat einenSupermarkt

Nix langweilig. Jede Menge Kundschaft. Du kannst essen, was du willst und wann du willst. Kannst mit den Spielsachen spielen, die du verkaufst, und keiner kann dich auffordern, dafür zu bezahlen, weil sie ja eh alle dir gehören. Du kannst die Leute bedienen, die du magst, und die, die du nicht magst, ignorierst du einfach. Dann ist auch jeder nett zu dir. Du kannst schließen, wann du willst – keiner wird dich fragen, wo du jetzt schon wieder hinwillst. Du kannst den ganzen Tag rumsitzen und Zeitung lesen. So bist du immer auf dem neuesten Stand.

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Liebe zum Beruf?

Gehalt?

Zumal sie dauernd sagt, wie sehr sie es hasst: Eher nicht :(

Null.Sie arbeitet quasi für Kost und Logis.

Zu müde.Er sagt immer, dass ihn der Job irgendwann umbringt.

Wir haben gerade genug zum Überleben.

Beschwert sich ständig. Sagt, dass die Schüler das Schlimmste an der Schule sind.

Wann immer man ihn danach fragt, sagt er nur, dass er Beamter ist. Ich kann nur annehmen, dass das nicht gut ist.

Mag seinen Job, hasst die Uniform.

Siehe anderer Onkel?

Nein. Der junge Typ, der für ihn arbeitet, muss die ganze Arbeit machen. Er rührt keine einzige Tasse an – außer seine eigene.

Der Tee ist zu billig. Um Profit zu machen, müsste er jeden Tag Hunderte Gläser Tee verkaufen. Ergo nicht gerade rentabel.

Er muss es lieben – warum würde er sonst jeden Morgen um 6 Uhr den Laden öffnen? Wenn er seinen Job nicht lieben würde, würde er doch viel länger schlafen.

Jede Menge! Die Kasse ist immer voll bis zum Rand.

Der tollste Beruf der Welt!

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Und so traf ich meine Entscheidung.

Ich wählte den einzigen Beruf, der mir sinnvoll erschien:

Supermarktbesitzer!

Fünf Minuten später stand ich vor meinem Opa.

Warum sollte ich auch lange warten? Es erschien mir sinnvoller, sofort mit meinem neuen Traumjob zu beginnen. Jeder Erwachsene kann im Supermarkt arbeiten, das ist keine großartige Errungenschaft – aber bereits als Kind fertig ausgebildete Supermarktbesitzerin zu sein? Das wäre ein Erfolg, den niemand bestreiten könnte.

„Opa, ich will Supermarktbesitzer werden, wie du! Brauchst du einen Azubi?”

„Klar, aber du müsstest natürlich einen Test bestehen.”

„Ich kann alles, was du auf der Arbeit machst. Die Preise stehen auf dem Etikett. Ich kann die Kunden fragen, was sie brauchen, kann ihnen geben, wonach sie fragen, kann es in eine Tüte packen, kann ihnen ihr Wechselgeld geben und ich kann eine Quittung schreiben. Fertig. Ist doch babyeierleicht!”

„Du hast recht. Es ist wirklich babyeierleicht… Weißt du was? Ich glaube, du brauchst nicht einmal die Ausbildung zu absolvieren, du kannst sofort als Co-Supermarktbesitzerin mit einsteigen.”

„Echt? Das schaff ich in null Komma nix. Was soll ich als erstes machen?”

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„Feg die Straße vor dem Laden”, antwortete er nur.

Ich muss gestehen, dass ich mir das Ganze ein wenig pompöser vorgestellt hatte. Dass er sich feierlich von seinem Sessel erheben würde und etwas à la „Komm her, Kind. Wie lange habe ich auf diesen Augenblick gewartet. Ich hab’ den Job satt. Ich will endlich in Rente gehen, und jetzt, wo du dich um den Laden kümmerst, kann ich das endlich tun.” sagen würde. Aber nein.

Stattdessen reichte er mir den Besen.

Kein Problem.

Meine Entscheidung war gefallen.

Ich würde mich eben von ganz unten hocharbeiten.

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Mein Opa mit dem Supermarkt

Der Supermarkt meines Opas war ein kleiner Dorfsupermarkt. Nicht so ein großer Supermarkt, wo man einen Einkaufswagen braucht. Es war ein winziger Laden, der nur aus einem einzigen Raum bestand. Ich hatte mir natürlich schon Gedanken bezüglich möglicher Renovierungsarbeiten gemacht. Vielleicht könnten wir den Laden ein bisschen vergrößern. Wenn alles nach Plan laufen würde, könnte ich in ein paar Jahren ein zweites Stockwerk hinzufügen und das Sortiment erweitern.

Von der Straße führten drei Stufen in den Laden. Zuerst musste man sich auf einem Stück Pappe die Schuhe abtrocknen, damit man keinen Matsch, Dreck oder Regenwasser in den Laden schleppte.

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Vielleicht fragt ihr euch jetzt: „Und warum gab es keine Fußmatte?”

Tja, erstens war es echt schwierig, im Dorf eine Fußmatte zu kriegen.

Und zweitens: Wenn man endlich eine Fußmatte hätte, müsste man sie ja andauernd saubermachen.

Drittens wurden jeden Tag mindestens drei Pappkartons mit Waren aufgerissen, und diese Kartons mussten ja irgendwie verwertet werden. Sie wurden in einem riesigen Sack im Hinterhof gesammelt und dann als Fußabtreter verwendet.

Es gab auch Kartons, die nicht wiederverwertet wurden. Die kleinen vor allem. Kaugummischachteln, Kekskartons und Schokoladenverpackungen. Die konnte man für nichts gebrauchen, und außerdem gab es einfach zu viele von ihnen. Also zerrissen wir sie in kleine Stücke und verbrannten sie. Einmal, als wir gerade dabei waren, sie zu zerreißen, fand ich in einer Schachtel drei Münzen – drei ganze Münzen!

Opa sagte, dass ich sie behalten könne, dass sie aus Versehen in der Schachtel gelandet seien. Sowas passiert andauernd in einem Laden. Aber ich konnte mein Glück kaum fassen.

Von dem Tag an war ich immer mit besonders großem Eifer bei der Sache, wenn mal wieder Zeit für diese nicht gerade spannende Aufgabe war. Ich

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hoffte natürlich, noch einmal eine Münze zu finden. Aber ich fand nie wieder eine. Hatte ich einfach mein ganzes Glück schon aufgebraucht? War ich zu nachlässig? Oder waren

die drei Münzen am Ende ein Trick, den sich mein Opa ausgedacht hatte? Man verstecke ein bisschen Geld in einer alten Kaugummischachtel und warte ab, bis sie es findet; man behaupte, es sei ein Versehen gewesen, damit sie sich freut und sich fortan jedes Mal mit außerordentlichem Eifer an die Arbeit macht. Gar nicht so dumm.

Aber so sind sie, die Erwachsenen, sind sich nie zu schade für kleine Tricks und Notlügen. Und ich konnte es ihm ansehen, wenn er mich bei der Arbeit beobachtete und wahrscheinlich irgendwas wie „Tihihi! Da habe ich sie aber fein reingelegt. Schau sie an, wie sie sich über die Kartons hermacht und hofft, noch einmal Geld zu finden, hehehe!” dachte. Ich durchschaute ihn, aber aus Achtung vor der älteren Generation, aus Liebe zu meinem Opa und Respekt vor meinem Vorgesetzten, dem Supermarktbesitzer Senior, verkniff ich es mir, eine Szene zu machen. Ich lernte langsam, aber sicher, wie man mit Erwachsenen umzugehen hat.

An diesem Tag kaufte ich mir im Laden ein Notizheft. Darin schrieb ich folgende Worte:

Heikle Themen, die man als Kind im Umgang mit Erwachsenen beachten sollte.

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Darunter schrieb ich den ersten Artikel:

ARTIKEL 1

„Die Ungerechtigkeiten der Erwachsenen unsKindern gegenüber kann man überall beobachten.Aber man sollte sie niemalsdarauf ansprechen.Sie glauben uns sowieso nicht.Bist du ein Kind, dann schau weg.Lass sie in dem Glauben, dass sie die intelligentestenWesen der Welt sind.”

Darf ich vorstellen: Mein Opa mit dem Supermarkt. Aufgrund des potenziellen Risikos, dass er dieses Buch eines Tages einmal lesen könnte, werde ich nicht hundertprozentig ehrlich sein. Er ist von durchschnittlichem Körperbau, hat einen Schnurrbart und nur einen ganz winzig kleinen Bauch. Er ist sehr süß; sehr, sehr süß, der süßeste, liebste und beste Opa. Ich habe wirklich ein Riesenglück, so einen verständnisvollenund lieben Opa zu haben. Und ichhoffe wirklich, dass er dieses Bucheines Tages zur Hand nimmt undliest, was ich über ihn denke, undversteht, wie viel er mir bedeutet.

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Und wenn er das hier liest, hoffe ich doch sehr, dass er zu schätzen weiß, wie ich nie, nicht auch nur ein einziges Mal erwähne, wie temperamentvoll er war, und wie anstrengend. Wie er mich manchmal mit strengen Blicken strafte oder völlig grundlos Sachen wie „Von wem hast du das bloß?” oder „Warum bist du so?” rief, oder mich einfach nur stirnrunzelnd anstarrte, um mir zu verstehen zu geben, dass ich den Mund halten solle. Abgesehen von diesen Momenten waren sein Gesicht mild und sanft, seine Augenbrauen und sein Schnurrbart wunderbar weich und buschig. Manchmal kämmte er sich beides mit dem Kamm, den er immer in seiner Hosentasche mit sich herumtrug. Der Anblick brachte mich immer zum Lachen, aber natürlich passte ich stets auf, dass er das nicht mitbekam.

Außerdem bin ich davon überzeugt, dass er magische Kräfte hat. Er wusste immer, was ich gerade tat oder wer den Laden betrat oder wer ging, und das, ohne von seiner Zeitung aufzublicken. Er muss eine Art Superman sein!

Dann war da noch mein anderer Opa, der mit dem Café. Ich werde ihn hier und da erwähnen. Ihm gehörte das einzige Café im Dorf. Der Abstand zwischen dem Supermarkt und dem Café beträgt 90 Schritte, wenn man rennt und 120, wenn man normal schnell geht. Ich verbrachte jeden Tag damit, zwischen den beiden Geschäften hin und her zu pendeln.

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Dieser Opa ist ein komischer Kauz. Selbst wenn alles um ihn her in Flammen stehen würde, würde er sich nicht aufregen. Den ganzen Tag lang trank er einfach nur seinen Tee, zählte die Perlen an seiner Gebetskette, verstrickte Passanten in Gespräche und lachte. Aber genau deswegen hatte ich ihn lieb. Immer, wenn mich mein anderer Opa zur Weißglut trieb, lief ich einfach zu diesem Opa hinüber. Und wenn ich mit großen, tränennassen Augen meine zahllosen Klagen aufzuzählen begann, unterbrach er mich mit diesen Worten: „Vergiss es einfach und nimm dir ein Oralet!” Das ist ein süßes Heißgetränk, das in der Türkei sehr beliebt ist.

Er schien fest daran zu glauben, dass Oralet die Lösung für jedes Problem der Welt war. Aber ich muss gestehen: Es half jedes Mal. Ich konnte spüren, wie meine Wut mit jedem Schluck weniger wurde. Und dann lief ich zurück zum Supermarkt. Dann wurde ich wieder wütend und musste wieder zum Café rennen. Tja, und wenn ich ganz ehrlich bin, verbrachte ich auf diese Weise fast meine ganze Zeit.

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Meine Arbeitsstunden

Mein Opa öffnet seinen Laden jeden Tag um 6 Uhr morgens. Zuerst dachte ich, dass er das tut, weil er seinen Job so sehr liebt. Aber da hatte ich mich ganz schön geschnitten!

Morgens um 6 liefert der Bäcker nämlich das Brot, also war mein Opa quasi gezwungen, den Laden so früh aufzumachen. Während meiner ersten Arbeitswoche stand auch ich jeden Morgen bereits um 6 Uhr morgens im Laden.

„Warum um Himmels Willen bist du denn schon hier?”

„Wie meinst du das? Bin ich etwa nicht dein Azubi? Ich sollte hier sein, wenn der Arbeitstag beginnt.”

Ein wenig später ließ ich wieder von diesem albernen Gedanken ab. Weil nämlich vor 8 Uhr sowieso keine Kunden kamen. Und mein Opa verbrachte die zwei Stunden bis dahin selig schnarchend auf der Couch im Büro.

Im Laden steht eine Kiste voller Zucker. Sie ist grau. Und wir nennen sie die Zuckerkiste. Wenn ein Kunde Zucker kaufen will, füllen wir die Zuckerbeutel mit Zucker aus dieser Kiste.

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Und da mein Opa sich auf der Couch lang machte, saß ich stattdessen auf der Zuckerkiste. Manchmal verbrachte ich Stunden dort und träumte vor mich hin.

Ich stellte mir vor, dass die Kiste eine magische Kiste sei und malte mir aus, wie ich den Zucker mit Lachpulver austauschte, sodass jeder, der den vermeintlichen Zucker kaufte, unkontrollierbare Lachkrämpfe bekommen würde. Und wenn sie damit Marmelade kochten, würde man das Kichern der Dorfbewohner meilenweit hören.

Leider Gottes wurden meine Tagträume ständig vom Schnarchen meines Opas unterbrochen. Nicht mal träumen kann man, wie man will.

Während meiner ersten Arbeitswoche war ich immer superpünktlich, aber das gab ich schnell wieder auf und kam stattdessen erst um 9 Uhr zur Arbeit. Das ist normaler Arbeitsbeginn für Beamte, also warum nicht auch für mich!

Dann saß ich bis mittags neben meinem Opa im Laden. Mittags verschwand mein Opa dann ganz plötzlich.

„Falls irgendetwas passiert, ich bin zu Hause”, sagte er und ging einfach.

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WARUM in aller Welt sind alle bloß immer so versessen darauf, nach Hause zu gehen? Ich versteh’s nicht. Ich habe nie verstanden, warum Erwachsene so leidenschaftlich gern nach Hause gehen, anstatt sich auf der Straße herumzutreiben und Spiele zu spielen.

Eines Tages schloss ich den Laden und beschloss nachzusehen, was er jeden Mittag eine Stunde lang zu Hause trieb. Ich war einfach zu neugierig und hielt es nicht mehr aus. Und ich bekam meine Antwort: Er schlief! Ich konnte meinen Augen kaum glauben. Dabei hatte er doch morgens bereits von 6 bis 8 Uhr auf der Couch geschlafen, und jetzt war er zu Hause und schnarchte um 12 Uhr mittags. Diese verschlafenen Erwachsenen treiben mich noch mal in den Wahnsinn. Wenn man sie ließe, würden sie den ganzen Tag im Bett verbringen… Wenn meine Mutter mich nicht jeden Abend nerven würde, dass Schlafenszeit sei, würde ich niemals schlafen gehen!

Um 13 Uhr wachte Opa auf und ging in die Moschee. Danach stattete er dem Café einen Besuch ab. Zwischen diesen beiden Stationen kam er kurz in den Laden, murmelte und grummelte ein wenig herum und kümmerte sich um dies und um das. Dann ging wieder in die Moschee. Dann wieder ins Café, und schließlich zurück in den Laden. Hier schimpfte er noch eine Runde: „Warum hast du das so gemacht und

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nicht so und bla bla bla?” Und schließlich, gegen 17 Uhr, sagte er: „Du kannst jetzt nach Hause gehen.”

Mir gefielen meine Arbeitsstunden gut. Aber während dieser Stunden im Laden aß ich so viel Ungesundes, dass mein Bauch wesentlich unglücklicher war als ich. Ich versuchte immer wieder, mich selbst ein wenig zu zügeln, indem ich mir sagte: „Entspann dich, es gehört alles dir, du kannst essen, soviel du willst, niemand isst es dir weg.” Aber das funktionierte nicht. Wenn ich auf der Zuckerkiste hockte und meinen Tagträumen verfiel, pflegte ich davon zu träumen, was ich am Tag darauf alles essen würde…

Und weil diese Träume für mich alles waren, stürzte ich mich auf die Süßigkeiten, sobald mein Opa den Laden verließ. Meistens fing ich mit den süßen Sachen an und sobald mein Magen zu rumoren begann, ging ich zu den salzigen Leckereien über, um zumindest eine gewisse Balance wiederherzustellen. Davon wurde ich durstig, also holte ich mir eine Brause, was meinen Appetit wieder anfeuerte. Also fing der Teufelskreis von vorne an: Süß, salzig, Brause. Und so weiter und so fort.

Mein Opa warnte meine Mutter wegen meiner Nascherei:

„Sie isst im Laden so viele ungesunde Sachen, dass sie zum Abendessen keinen Hunger mehr haben wird.” Ich hab’s euch ja schon gesagt: Er hat magische Kräfte.

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Wie sonst hätte er wissen können, wieviel ich futterte, wenn er nicht im Laden war?