Meine Frau, Neuseeland und ich - Mathias Schafranitz - E-Book

Meine Frau, Neuseeland und ich E-Book

Mathias Schafranitz

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Beschreibung

Eigentlich wollten sie nur mal weg von allem! Einen Traum verwirklichen und einfach mal losziehen. Sich eine Auszeit gönnen. Nur wo? Holland und Ostwestfalen-Lippe kennen sie schon. Warum dann nicht ans andere Ende der Welt? Auszeit! Drei Monate reist ein ganz normales Ehepaar um die Vierzig mit einem alten Camper, zwei Rucksäcken und einem Malkoffer durch Neuseeland. Dabei lernen sie das Land der langen weißen Wolke mit seiner wechselhaften Geschichte kennen und lieben. Sie bezwingen Kiwistraßen und Wandertracks, erkunden Dschungel und Gletscher und erleben eine außergewöhnliche Natur mit außergewöhnlichen Bewohnern. Sie schwimmen mit Delfinen und flüchten vor Seelöwen und Sandflies. Hobbits und andere Reisende kreuzen ihren Weg. Sie werden zu Weintrinkern und Pie-Essern. Sie bestaunen Bäume und versteinerte Pfannkuchen. Und sie begegnen Menschen, deren Freundlichkeit und Gastlichkeit die Reise von Anfang bis Ende begleiten. Sehr persönlich und mit einem gehörigen Schuss Selbstironie beschreibt der Autor, wie für zwei Normalsterbliche das Land am anderen Ende der Welt so ganz nebenbei zu einer zweiten Heimat wird.

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IMPRESSUM

Meine Frau, Neuseeland und ich

Eine Reise am anderen Ende der Welt

Mathias Schafranitz

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über portal.dnb.de abrufbar.

© 2022 I 360° medien I Nachtigallenweg 1 I 40822 Mettmann

360grad-medien.de

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Der Inhalt des Werkes wurde sorgfältig recherchiert, ist jedoch teilweise der Subjektivität unterworfen und bleibt ohne Gewähr für Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität.

Redaktion und Lektorat: 360° medien

Satz und Layout: Lucas Walter

Bildnachweis: Alle Bilder von Mathias Schafranitz

Gedruckt und gebunden:

LD Medienhaus GmbH & Co. KG I Feldbachacker 16 I 44149 Dortmund

www.ld-medienhaus.de

ISBN: 978-3-96855-420-4

Hergestellt in Deutschland

360grad-medien.de

Mathias Schafranitz

Meine Frau, Neuseeland und ich

Eine Reise am anderen Ende der Welt

Inhalt

Zu Hause – und weg

Auckland Airport – und das Lenkrad auf der falschen Seite

Poor Knights – Arme Ritter zum Frühstück

Waitangi – im Zentrum

Whangarei Heads – neuseeländische Fitness

Matamata – die kleinen Dinge

Tongariro National Park – Weihnachten in Mordor

Wellington – der Kopf des Fisches

Marlborough Sounds – ein außergewöhnlicher Handabdruck

Abel Tasman National Park – klein aber fein

Nach Punakaiki – es muss ja weitergehen

Wanaka – vom Winde verweht

Aoraki/Mount Cook – höher wird´s nicht

Glenorchy – unfassbar

Milford Sound – zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt

Kepler Track – zumindest in Teilen

Curio Bay/Porpoise Bay – mehr geht nicht

Christchurch – nach Hause

Zu Hause – und weg

Es geht los!

Eigentlich geht es seit sechs Monaten los, bedenkt man die Idee, die erste Planung, die konkrete Vorbereitung, die mittlerweile schon fast nicht mehr wegzudenkende Aufregung, ständig wechselnd zwischen erregender Vorfreude und tiefer Angst vor der eigenen Courage, so nach dem Motto „Was machen wir da eigentlich?“

Aber jetzt geht es wirklich und wahrhaftig los!

Das Taxi zum Flughafen steht vor der Tür, die Rucksäcke sitzen gut und voll auf unseren Schultern, Sinjas kleiner Rollkoffer mit Mal- und Zeichenutensilien (ohne die geht sie noch nicht mal zum Einkaufen, es könnte ja ein Motiv um die Ecke …) scheint auf den Start zu warten.

Und dann geht es los!

Aber wer und wohin?

Wir, das sind meine Frau Sinja und ich, beide Ende dreißig, Anfang vierzig und grundsätzlich heiß aufs Reisen, haben uns für ein Sabbatjahr entschieden. Nach fünfzehn spannenden und nicht ganz unanstrengenden Berufsjahren, einigen mittleren und großen familiären Katastrophen und mittlerweile wöchentlichen Besuchen bei der Physiotherapie (ja, ich heische nach Mitleid …) steht für meine Frau und mich fest: Auszeit.

Gott sei Dank ist das in der heutigen Arbeitswelt kein Fremdwort mehr, der Arbeitgeber sicherlich nicht begeistert, aber dankenswerterweise kooperativ, und so wird aus einer vagen Wunschvorstellung langsam Realität. An diesen Gedanken muss sich allerdings auch erst einmal gewöhnt werden. Ein Jahr nicht arbeiten, geht das denn? Kriegen wir das überhaupt hin? Wenn bei der Aussicht auf 365 freie Tage derartige Gedanken kommen, gerade dann ist es Zeit, vielleicht sogar nötig, eine zeitlich begrenzte Reißleine zu ziehen. Wie hatten wir mal in Frankreich von einem schmunzelnden Gastwirt bei einem Gläschen Roten gelernt: Der Mensch lebt ja nicht für die Arbeit, sondern er arbeitet, um zu leben. Wäre mal ein Ansatz.

Und man soll gar nicht glauben, wie viele Leute im Bekannten- und Kollegenkreis meinten, dies erst mal kommentieren zu müssen. Selbstverständlich ungefragt.

„Würde ich nicht machen, dann kommst du nicht mehr rein und bist für den Job versaut!“

„Ist es schon soweit? Keine Kondition mehr? Hast du etwa Burnout?“

„Unzufrieden? Aber da muss man doch nicht gleich flüchten?“

„Dahin wollt ihr? Würde ich nicht machen …“

„Seid ihr nicht ein bisschen zu alt dafür? So langsam sollte man doch an Hausbau und Eigenheim denken!“ Nebenbei, unser Lieblingsklassiker.

Sobald unser Entschluss heraus war, konnten wir uns vor derartigen Kommentaren kaum retten. Die Liste ist beliebig weiterzuführen.

Und „Sabbatjahr“ ging ja gar nicht.

Kam die Sprache auf eben selbiges Geplantes, schoss es uns gleich entgegen: „Ach, euer ‚Sabbatical‘“. Natürlich mit einer vornehm gehauchten Betonung auf dem „bäh“. Ist im Angesicht von Klimawandel, aufkommendem Nationalismus, Verschmutzung der Weltmeere und der nächsten Steuererklärung eigentlich nicht wirklich wichtig und sollte auch niemanden aufregen, aber irgendwie nervt´s dann doch. Also erfanden wir ein Spiel, wer mit den meisten „sssäbähtikeltz“ nach Hause kommt. Ich lag da eindeutig und ungeschlagen vorne. Sieben auf einen Streich, will heißen innerhalb eines Tages.

Bezeichnenderweise war bei den selbsternannten Kritikern keiner dabei, der auch nur ansatzweise jemals versucht hatte, aus dem Alltag, und sei es zeitlich begrenzt, auszusteigen und einfach mal loszuziehen.

Fairerweise muss man aber auch sagen, dass Familie, die besten Freunde und viele liebe Kollegen nicht nur nicht dagegen waren, sondern uns mit Rat und Tat zur Seite standen. Auch eine nicht ganz unwichtige Erfahrung. Also machen wir es wahr und reisen nach Neuseeland.

Nun gut, wir ziehen zwar los zum aus unserer Sicht anderen Ende der Welt, aber doch in ein hochtechnisiertes Land und nicht in die tiefsten Tiefen der Wüste Gobi oder auf eine einsame Insel, wo wir Robinson spielen und uns von Meeresschnecken und Würmern ernähren. Und trotzdem, für uns in der Bequemlichkeit und Enge der mitteleuropäischen Leistungsgesellschaft verankerten Normalsterblichen, die eben nicht jeden Tag ihren Hals auf lebensgefährlichen Missionen oder als Adrenalinjunkies bei hippen Extremsportarten riskieren, ist das erst mal das große Abenteuer: Raus aus allen Zwängen, ab auf die andere Seite der Erde und weit weg von allem, was sonst im Alltag so einengt und manchmal sogar Träume begräbt.

Also erfüllen wir uns einen solchen in der Hoffnung, danach nicht gänzlich pleite zu sein. Wir haben zwar vorher Kassensturz gemacht und ein bisschen was auf der hohen (eher mittelhohen) Kante, aber bei aller mittlerweile ausgebrochenen Begeisterung ist uns doch ein, sagen wir mal, pragmatischer Idealismus eigen. Ganz blank machen wollen wir uns nicht. Eine Reise nach Neuseeland wird’s wohl nicht im Sonderangebot geben. Und für „Work and Travel“ fühle ich mich definitiv zu alt, wie gesagt, einmal die Woche Physio etc.

Also warum ausgerechnet Neuseeland?

Sehnsuchtsziel aller Naturliebhaber, mit dem Ruf, dort in grandiosester Flora und Fauna die große Freiheit leben zu können? Das Shangri-La aller Fernwehpflegenden und Sinnsuchenden, unter den Top Drei der deutschen Auswandererträume? Weil es gerade ungeheuer angesagt ist, dort im Einklang mit den Schwingungen des Universums Zeit mit sich selbst zu verbringen?

Ehrlich gesagt; nichts von alledem.

Irgendwann hatte meine Frau gesagt: „Ich will mal nach Neuseeland.“

Okay, warum nicht? Holland ist zwar auch schön und deutlich näher (und billiger), aber wenn´s denn Neuseeland sein soll …

Und die Recherche beginnt. Denn mal ehrlich, was weiß ich denn über Neuseeland? In meiner doch recht eingeschränkten Vorstellung ist das eine kleine, windgepeitschte Insel kurz hinter Australien mit der Form eines Dosenöffners, bekannt für Kiwis (als die sich die Neuseeländer auch gerne selbst bezeichnen), Rugby und Schafe, deren Anzahl die der humanoiden Bevölkerung bei weitem übertreffen soll. 2016 immerhin über 27 Millionen zu über 4,6 Millionen Zweibeinern. Schau an! Ich habe zwar beim Wandern in Europa hier und da mal ein paar Neuseeländer kennengelernt, und die waren ausnahmslos trinkfest und entspannt (wobei da eventuell ein Zusammenhang zu vermuten wäre), aber Fakt ist: Eigentlich wissen wir von diesem Wunschparadies aller Mitteleuropäer so gut wie gar nichts. Immerhin: Der „Herr der Ringe“ ist da gedreht worden. Kann also so schlecht nicht sein.

Also ran an den Feind oder besser gesagt die Infos. Und dann direkt das erste Aha-Erlebnis. Neuseeland ist gar nicht eine Insel, sondern es sind deren zwei; die eher zivilisationsgebundene, durch die Hauptstadt Wellington und den Ballungsraum Auckland urbaner geprägte Nordinsel und die raue, naturbelassene und deutlich einsamere Südinsel, die als El Dorado für Outdoor-Enthusiasten und Naturliebhaber gilt. Klingt gut, ist aber wohl auch in der Nähe zu finden. Dafür müssen wir ja nicht an den von uns aus gesehen entferntesten Punkt des Planeten. Wandern kann ich auch in Ostwestfalen-Lippe und was die Dichte und Eigenart der dortigen Urbevölkerung betrifft … Immerhin bin ich als Kind des Ruhrgebiets in Höxter schon mal als Ausländer vorgestellt worden.

Die Suche im Netz fördert eine Unmenge von Zahlen, Fakten, skurrilen und witzigen Anekdoten und Geschichtchen zu Tage, alle sehr interessant und erbaulich und wahrscheinlich schon tausendfach in irgendwelchen Reiseführern, Bildbänden und Reisebeschreibungen abgefrühstückt.

So gab und gibt es dort seltsame Vögel (gibt´s hier auch, also warum in die Ferne schweifen …), die nicht fliegen können, zwei rechtlich gleichberechtigte Nationalhymnen und sogar die steilste Straße der Welt mit einer Steigung von 35 Prozent. Das beeindruckt mich als Flachlandtiroler dann doch. Wer mal im Sauerland war, weiß, was Anfahren am Berg wirklich bedeutet.

Steil wird’s auch beim Namen eines über 300 Meter hohen Hügels, der in der Sprache der dortigen Urbevölkerung, der Maori, aus immerhin fünfundachtzig Buchstaben besteht: Taumatawhakatangihangakoauauotamateaturipukakapikimaungahoronukupokaiwhenuakitanatahu. Übersetzt: „Der Vorsprung des Berges, wo Tamatea, der Mann mit den großen Knien, der rutschte, kletterte und die Berge verschlang und der durch das Land reiste, für seine Liebste Flöte spielte.“ Muss ja sehr vielseitig veranlagt gewesen sein, der Tamatea. In den dortigen Karten steht aber schlicht und ergreifend „Taumata“. Auch war Neuseeland die erste Nation, in der das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, geschehen im Jahr 1893. Das schien seltsamerweise nur den weiblichen Teil unserer Freunde zu interessieren, die Kommentare der Herren der Schöpfung sind nicht druckreif.

Aber so richtig unwiderstehlich packend ist das alles nicht. Warum also ans Ende der Welt? Nur weil es gerade angesagt ist? Nur weil jeder uns lautstark versichert, wie unglaublich dieses Land sein soll und jeder Fantastisches darüber zu berichten weiß, obwohl ausnahmslos jeder dieser Berichterstatter garantiert noch nie da war und auch wohl niemals dahin kommen wird?

Vielleicht oder ganz gewiss ist das der Punkt!

Wir brauchen jemanden, der schon einmal da war.

Wir brauchen sozusagen eine Primärquelle.

Wir brauchen Lulu!

Lulu, eigentlich Louise, ist eine quirlig-entspannte Mitsiebzigerin, die wir seit Jahren regelmäßig ungeplant im Urlaub an der holländischen Nordsee treffen und die uns lieb und teuer ist. Früh verwitwet hat sie den Kopf nicht in den Sand gesteckt, sondern sich einen Transporter zu einem urgemütlichen Wohnmobil umgebaut und reist durch die Weltgeschichte. Dabei hat sie auch mehrere Monate in Neuseeland verbracht. Und, was für uns noch viel wichtiger ist, Lulu redet nicht drum herum, sondern kommt auf den Punkt, und den trifft sie sehr genau.

Also geht es auch direkt ans Eingemachte.

„Was wollt ihr in und von eurer Auszeit?“ kommt es dann auch knallhart bei holländischem, völlig verzuckertem Kakao und Frikandellen auf den Tisch, während draußen die Nordsee mal wieder über den Strand tobt.

„Äh, Ruhe, Entspannung, Abenteuer, Erlebnisse, Natur, Akku auftanken?“ Vorsichtshalber formulieren wir unsere Erwartungen mal als Frage, könnte ja verkehrt sein.

„Kriegt ihr auch in Holland!“ (Weiß ich, soweit war ich auch schon.) „Hat nur einen Nachteil. Ist nicht weit genug weg.“

„Wovon denn?“ traue ich mich zu fragen, nachdem ich mich an der braunen Zuckerbrühe verbrannt habe.

Lulu grinst. „Von allem.“

Genau das ist der Punkt! Wir wollen weg und zwar von allem! Eine richtige, wirkliche Auszeit! Was liegt da näher als der entfernteste Punkt der Welt!

Nachdem dies nun lulugeprüft fest beschlossen ist, geht’s ins Detail.

Das „Wo“ ist geklärt, das „Was“ eigentlich auch, denn wir wollen auf gar keinen Fall eine Art Highlight-Hopping veranstalten und ein völlig durchgestyltes Programm abreißen. Stress haben wir auch hier, den brauchen wir nicht noch im Urlaub.

Wir haben ja Zeit.

Genau, wir haben Zeit?!

Als wir diesen Gedanken zum ersten Mal bewusst auf der Zunge geradezu zerschmelzen lassen, bleibt ein verschmitztes Grinsen nicht aus. Das ist es, „was“ wir wollen, Zeit! Wir wollen dort bleiben, wo es uns gefällt, da auch wieder weg, wo es vielleicht nicht ganz so schön ist und das erleben und vor allen Dingen genießen, wonach uns gerade ist. Eben Zeit haben. Eine Reise ins Unerwartete. Da tritt allerdings das so lästige Finanzteufelchen auf den Plan und flüstert sehr nervtötend: teuer, teuer, teuer …

Die günstigste Variante wäre eine Tour wie in Studententagen als lupenreine Backpacker, was ja auch zur Tradition Neuseelands passen würde, immerhin weltweit ungeschlagen Rucksacktouri-Ziel Nummer eins. Sinja sagt nichts zu dieser Überlegung, sie schaut mich nur mit diesem entspannt mitleidigen Blick an, der dem Ehepartner zweifelsfrei diagnostiziert, wie es um seinen Geisteszustand aktuell bestellt ist. Ehrlich gesagt, beruhigt mich das. Ich hatte uns schon auf der Isomatte mit Dosenravioli auf irgendeinem Busbahnhof am Arsch der Welt gesehen, sehnsüchtig auf das Hotel der Pauschalurlauber gegenüber starrend, wo es richtiges Essen und warme Duschen gibt. Fand ich schon mit neunzehn nicht so wirklich erhebend. Die Frage lautet schlicht und ergreifend: Wie lange wollen wir auf welche Art reisen? Wir haben ein Jahr Zeit, allerdings wollen wir nach Neuseeland auch noch etwas Zeit zu Hause verbringen, um das eine oder andere, was wir schon seit Jahren immer mal realisieren wollten, an den Start zu bringen. Und ich persönlich würde spontan auch gerne noch ein paar Ecken von Europa sehen, die wir noch nicht kennen.

Also gehen wir pragmatisch vor. Das Land ist zwar nicht sehr groß, so hat die Nordinsel knapp 114.000, die Südinsel etwas mehr als 150.000 Quadratkilometer. Zum Vergleich, Australien nebenan hat davon über 7,5 Millionen. Trotzdem kann und soll das ja nicht in vier Wochen abgehakt werden. Wir haben ja Zeit! Also wieder Lulu fragen. Ergebnis: Drei Monate sind für Neuseeland eine gute Zeitspanne, um bei entspannter Reisegeschwindigkeit viel, sehr viel, sehen zu können. Klingt doch nach einem Plan. Lulu gibt uns noch den Tipp, nicht erst im Dezember oder gar Februar loszuziehen, da wäre zwar Hochsommer, aber eben genau deswegen wären dann auch die meisten Touris da. Sie würde früher starten, schon im November, auch wenn das Wetter, dann nicht ganz so beständig sei. Wetter stört mich jetzt nicht wirklich, in meiner ach so unwissenden Vorstellung ist es da unten so wie Sommer im britischen Mutterland und Gott hat ja nicht nur den Regen, sondern auch die Regenjacke geschaffen. Ein Blick ins Netz zeigt, dass die Flüge ab Dezember fast doppelt so teuer sind wie im November, eben Hochsaison. Das gibt den Ausschlag. Im Geiste zeige ich dem Finanzteufelchen einen ganz speziellen Finger, allerdings bleibt immer noch die Frage nach dem genauen „Wie“. In verschiedenen Foren lernen wir, dass es in Neuseeland schon fast Tradition ist, einen Wagen, eventuell sogar einen Camper, zu kaufen und am Ende der Reise je nach Zustand mehr oder weniger gewinnbringend wieder zu verkaufen. Einige Verleiher bieten das sogar im Rahmen eines Mietkaufs an. Klingt erst mal gut. Heißt aber auch, man ist versicherungstechnisch komplett auf sich allein gestellt, auch was Zustand und mögliche Reparaturen am Fahrzeug betrifft. Will man sich da nicht erst vor Ort drum kümmern und damit ordentlich Reisezeit investieren, bedeutet das aber auch, man kauft die Katze im Sack. Kann klappen, muss aber nicht. Und ehrlich gesagt, da fehlt uns mittlerweile das Urvertrauen und die Unbedarftheit der jungen Jahre. Und noch dazu bin ich Beamtenkind, da gehst du sogar im Hochsommer mit Pulli zum Bäcker. Könnte ja eine spontane neue Eiszeit geben. Also doch eher einen fahrbaren Untersatz mieten. Zu Hause hatte ich vor einigen Jahren einen günstigen Hochdachkombi geschossen und den zwar primitiv, aber zweckmäßig als XS-Reisemobil für zwei ausgebaut. So etwas würde ja reichen, sofern es nicht nur durch Rost und Spucke zusammengehalten wird. Eine Kochgelegenheit wäre auch nicht schlecht, das würde die Lebenshaltungskosten relativieren. Jeden Abend essen gehen verschafft sicherlich kulinarische Glücksgefühle, aber da war ja noch diese kleine Ratte von Finanzteufelchen.

„Self-Contained“, also Camper mit eigener Toilette, aber, bei kleinen kostengünstigen Modellen, ohne Kühlschrank, würden die Kosten noch weiter senken, da man mit denen wohl auch auf ausgewiesenen kostenlosen Stellplätzen stehen darf. Da gibt es aber keine Stromanschlüsse, also kommen die für uns nicht in Frage. Wir brauchen den Kühlschrank nicht nur für die Verpflegung, sondern auch für Sinjas Medikamente, da sie an einem Immundefekt leidet.

Wir kämpfen uns im Netz durch diverse deutsche und neuseeländische Anbieter auf der Suche nach der eierlegenden Wollmilchsau, mittlerweile mit der felsenfesten Überzeugung, diese nicht zu finden. Es dauert auch gar nicht lange und wir werden blass. Die Angebote reichen vom zusammengeschusterten Mini-Camper bis hin zu ausgewachsenen Wohnmobilen, die in ihrer Größe eher als Wohnschlachtschiffe zu bezeichnen wären. Da die Straßen im Kiwiland ja auch nicht immer vom Feinsten sein sollen und in ihrer Enge gerne mal an alpine Passstraßen (und ich meine jetzt nicht die Brenner-Autobahn) erinnern, frage ich mich doch leicht zweifelnd, wie man mit solchen Gefährten denn entspannt und sicher reisen soll. Aber auch die Preise haben es in sich. Von 2000 Euro pro Monat für eine kleine Quetschkommode bis hin zu 6000 Euro für Mobilheime, die auf einem Lkw-Aufsatz liegen, ist alles drin. Und da ist es wieder, das kleine Teufelchen, wobei es mittlerweile bei jedem neuen Angebot fies grinsend wächst.

Also doch Nissan Micra, Zelt, Gaskocher, Kühlbox und Tütensuppe?

Da greift Freund Zufall ein. Jens, ein guter Kumpel aus alten Tagen, der immer für ein Gläschen und dazugehörigem Schnack zu haben war und ist, ruft an, er sei wieder in der Stadt und stände schon vor der üblichen Lokalität.

„Junge, egal, was du gerade machst, lass es. Ich hab´ schon bestellt.“

Wäre ja schade, wenn das Bestellte schal werden würde, also bin ich zehn Minuten später am Pub und es wird ein feucht-fröhliches Wiedersehen. Natürlich kommt die Sprache auf unser Vorhaben und auch unser aktuelles „Wie“-Problem.

Es ist so eine typische Geschichte eines Bekannten des Onkels der angeheirateten Cousine zweiten Grades mütterlicherseits. Deren Nachbar ein Block weiter war mal in Australien und hat da jemanden kennengelernt, der einen Arbeitskollegen hatte, der von jemandem gehört haben wollte, welcher schon einmal in Neuseeland eine Tour mit einem Mietcamper gemacht habe.

Klar, wer kennt solche Leute nicht?

Bevor ich mich verzweifelt hinter meinem Glas vergraben kann, rückt Jens mit dem Kern der Geschichte heraus.

„Ich weiß noch genau, welches Auto der hatte.“

Das spricht für sein Gedächtnis, aber wie kann uns das weiterhelfen?

„Na, ihr wollt doch etwas Kleines, aber mit Kühlschrank, etwas Solides, aber nicht nagelneu, gemietet und nicht verscheuert, und das Ganze bezahlbar und mit unkompliziertem Service bei möglichen Pannen. So eine typische abgesicherte Wohnschleuder für zwei Normalos, die Angst vor der eigenen Courage haben.“

Ja, stimmt auffallend, aber was hat das mit dem Auto des Bruders, äh Onkels deiner Großtante, ne, Kegelkollege war´s, oder … Für die Verwandtschaftsverhältnisse war das eindeutig eins zu viel.

„Das Auto war genau so etwas. Schon älter, aber gut in Schuss. Und die Vermieter waren nett und kompetent. Sind vor Jahren von Europa nach Neuseeland ausgewandert. Kommen irgendwo aus dem Alpenraum. War auch preislich im Rahmen.“

Aha, jetzt wird´s interessant, und mein Kopf ist spontan über Glas-Höhe gerückt. „Gut in Schuss“ und „preislich im Rahmen“ sind doch Schlagworte, auf denen man aufbauen kann.

Am Morgen danach versuche ich mühselig, die Informationen des gestrigen Abends zu sortieren und trete mal wieder gegen die Suchmaschine an. Und siehe da, der Neffe der Tante des Opas von wem-auch-immer hatte gar nicht mal so unrecht. Die Firma und ähnliche Gefährte wie das beschriebene scheint es wohl wirklich zu geben. Da rufen wir an!

„Auch wenn die Deutsch sprechen, die leben in Neuseeland, das ist dir schon klar?“, wirft Sinja ein, während ich die ersten Ziffern tippe.

Ja, natürlich, deswegen rufe ich da ja an! Die werden wohl auch in Neuseeland Telefon haben. Ist doch gleich viel kommunikativer, als einfach eine öde Mail zu schreiben.

„Ich glaube nicht, dass wir einen guten Eindruck machen, wenn du da um Mitternacht anrufst.“

Wieso Mitternacht, es ist doch erst kurz vor zwölf, heller Tag, da … ups, Zeitverschiebung! Satte zwölf Stunden! Und ganz schnell lege ich wieder auf. Gott sei Dank telefonieren wir immer mit unterdrückter Rufnummer.

Also doch die Mail und das Warten beginnt.

Und es lohnt sich!

Einen Tag später erhalten wir auf unsere Anfrage eine Rückmeldung mit einem konkreten Angebot und dem Zusatz, dass wir mögliche Fragen auch gerne telefonisch bereden können. Ach, schau an!

Wir telefonieren um zehn Uhr, hier abends, da morgens, und zwei Tage später haben wir unser rollendes Zuhause für die nächsten drei Monate.

Bei den angegebenen Maßen muss ich etwas schlucken. Das wird sportlich und ist wahrlich nicht zu unterschätzen, zwei eher eigenbrötlerisch Veranlagte für ein Vierteljahr auf knappen sieben Quadratmetern!

Aber wie heißt es so schön: Der Ehepartner wächst mit der Aufgabe beziehungsweise mit der Verringerung der Wohnfläche. Bei zu erwartenden Lagerkollern, kann einer (also ich) dann ja rausgehen.

Sinja sieht das entspannter, sie weiß, dass ich mir meist zu viel Sorgen mache, als ob meine Frau aus Zucker wäre. Und das ist sie wahrlich nicht! Auch, wenn ich sie zuckersüß finde. Die so Komplimentierte tritt mich im Vorbeigehen in den Hintern, aber ich hab´s genau gesehen! Sie hat geschmunzelt!

„Wenn´s knallt, gehst du einfach auf einen Berg und ich male ein Bild mehr.“

Nebenbei, sie ist auch sehr pragmatisch veranlagt.

Auckland Airport – und das Lenkrad auf der falschen Seite

„Hi! Are you these guys from Germany? How is it going?“

Eisblaue, beunruhigend ruhige Augen in einem sonnenverbrannten, zerfurchten Gesicht schauen uns entspannt an, während sich die buschigen Augenbrauen leicht erwartungsvoll nach oben ziehen.

Ja, wir sind wohl die german guys, aber wer ist denn er?

Der unter einem graumelierten Schnauzbart so zwischen Schimanski und Buffalo Bill Cody (von dem war wohl auch der Hut) versteckte Mund scheint sich, geht man von den nach oben wandernden Wangen aus, zu einem leichten Lächeln zu verziehen.

„I´m Steve. I´m your shuttle to your camper.“

Stimmt, wir hatten ja nicht nur einen Camper, sondern gleich noch einen Transfer vom Flughafen angeboten bekommen, und nach diesem Vierundzwanzig-Stunden-Ritt kommt uns Steve wie ein rettender Engel vor, der uns ohne Probleme in unser zukünftiges Nest führen wird. God save New Zealand. Auch wenn es am anderen Ende der Welt liegt. Und da sind wir jetzt.

Vierundzwanzig Stunden.

Vierundzwanzig mal sechzig Minuten über den Wolken in einer Stahlröhre, die von nichts anderem als ein paar Düsen oben gehalten wird. Vierundzwanzig Stunden eingeklemmt in einer Sitzreihe, nur unterbrochen von kleinen, naturbedingten Gängen Richtung sanitärer Sammelstelle, die spätestens nach dem fünften Besucher so aussieht wie eine Autobahntoilette an der A1. Nicht die auf den Rasthöfen. Eher die Container auf den Rastplätzen, die selbstredend immer direkt neben den Picknick-Bänken stehen, an denen sich dann garantiert eine Taubenfamilie mit Durchfall ausgelassen hat.

Vierundzwanzig Stunden mehr oder weniger stickige Luft und hinter mir ein Rentnerehepaar, das höchsten Wert darauflegt, dass ich meine Rückenlehne ja nicht bewege. Völlig unabhängig davon, dass die ja genau dafür gebaut ist. Vierundzwanzig Stunden warten, dass der Flug endlich vorbei ist.

Und, sein wir ehrlich, vierundzwanzig Stunden voll wachsender Aufregung, am Ziel anzukommen und zu sehen, was uns erwartet. Eine Mischung aus Nervosität und Vorfreude. Nein, eher Nervosität. Wir wollten ja ehrlich sein.

„Ach komm, so schlimm war der Flug doch gar nicht. Und immerhin hatten wir ja zwei Stündchen Aufenthalt in Dubai. War doch interessant.“

Ja, Sinja hat so eine praktische Art, mich aus meinem nörgeligen Selbstmitleid zu holen, und sie hat auch vollkommen recht! So schlimm war das Ganze wirklich nicht. Aber wenn man den nun einmal unter Flugangst leidet, dann will man so etwas nicht hören. Dann will man pseudo-verständnisvolle Blicke, die einem zumindest oberflächlich suggerieren, dass man mit Fug und Recht erst mal ordentlich Dampf ablassen und den allseits bekannten Spruch anbringen darf, dass, wenn Gott gewollt hätte, dass der Mensch fliegt, er ihm ja wohl ein paar Flügel verpasst haben würde! So!

„Hat er aber nicht. Also meckere nicht. Lief doch gut.“

Genaugenommen lief es sogar ziemlich gut.

Am heimischen Bahnhof hatte uns sogar noch Eike, einer von meinen zwei Blutsbrüdern im Geiste, erwartet und uns verabschiedet. Für immerhin drei Monate. Ehrlich, wir waren gerührt. Ganz besonders über die zwei Schokoriegel, die er uns noch augenzwinkernd zugesteckt hat.

„Hilft gegen das Reisefieber.“

Hoffentlich, denn in dem stecken wir gerade voll und ganz drin.

Als der Zug dann losfuhr und Eike noch bis zum Ende des Bahnsteiges mitrannte, hatte ich doch tatsächlich einen leichten Kloß im Hals.

Am Flughafen dann der erste Aufreger. Gott sei Dank nicht bei uns, sondern bei dem Stylo-Pärchen vor uns am Check-in-Schalter. Zwanzig Kilo Freigepäck sind nun mal zwanzig Kilo, nicht sechsundzwanzig, es sind eben „nur“ zwanzig. Das will der reichlich gegeelte Mensch aber nicht akzeptieren und redet oder besser schreit auf die professionell lächelnde Dame am Schalter ein. Die nickt verständnisvoll und begütigend, doch ein „No!“ ist ein „No!“ Der Rest der Schlange, wir inklusive, ist mittlerweile amtlich genervt, und ich kann mich eines mittellauten Kommentars „Dann zieh doch ein paar Sachen an, da oben soll es ja eh kälter sein!“ nicht enthalten. Bringt mir von ihm einen bösen Blick und von Sinja einen Rippenstupser ein. Aber er und sein weibliches Anhängsel gehen zur Seite, öffnen die Koffer und schauen erst einmal angestrengt hinein, als ob sich der Inhalt durch pure Gedankenkraft reduzieren ließe.

Dann sind wir an der Reihe.

Schlagartig werde ich nervös. Spontan bereue ich meine große Klappe von eben. Nicht, dass der Schuss jetzt nach hinten losgeht. Zwar reisen wir immer mit wenig Gepäck, jeder einen Rucksack, da passen noch nicht einmal zwanzig Kilo hinein, aber meine Frau hat ihren Malkoffer auf Vorrat gepackt und da sie aufgrund des Immundefekts auf Medikamente nebst dazugehörigem Besteck angewiesen ist, haben wir das ja auch noch dabei. Sinja musste sich für den Transfer und die Einfuhr der Medikamente im Vorfeld mit der Fluggesellschaft und der neuseeländischen Botschaft auseinandersetzen. Alle Dokumente sind da, aber weiß die resolute und kompromisslose Dame vor uns das auch? Sie weiß, und dreieinhalb Minuten später haben wir unsere Bordkarten und können in Ruhe erste einmal einen Kaffee trinken gehen.

Das war einfach. Überraschend einfach. Und Sinja hat noch ein persönliches Erfolgserlebnis. Ihr Rucksack war doch tatsächlich ein deutliches Kilo leichter als meiner. Okay, meiner hat ja auch mehr Eigengewicht. Der zweite Rippenstupser dieses Tages. Auf dieselbe Stelle. Vielleicht sollte ich mal die Seite wechseln, auf der ich neben ihr so gehe.

Auch die Sicherheitskontrolle geht ohne weitere Schwierigkeiten vorüber. Wie immer muss ich meine doch recht derben Wanderstiefel ausziehen, wie immer versichere ich dem Sicherheitsmenschen, dass die Socken frisch und ich die Stiefel erst seit ein paar Stunden trage und wie immer darf ich sie dann nach einer kurzen Kontrolle und einem merklichen Naserümpfen seinerseits wieder anziehen.

Danach wird es wirklich spannend. Zumindest für mich. Sinja ist da wesentlich gelassener, aber sie ist rücksichtsvoll genug, auf meiner Flugangst nicht rumzureiten.

Fliegen, auch wenn ich das schon oft genug getan habe, ist nun mal nicht mein Ding.

Auf meinem allerersten Flug mit zarten siebzehn zusammen mit meinem alten Herrn nach Griechenland hatten wir Plätze direkt an der Tragfläche und einen wunderbaren Blick auf den rauchigen Qualm, der beim Start auf einmal aus der Düse kam. Mein Vater, Techniker von Beruf, kommentierte das trocken mit „Das sieht nicht gut aus!“ Pause. „Nein, wirklich nicht!“ Der Start wurde abgebrochen, die Düse repariert, während die Passagiere im Flugzeug bleiben mussten. Dann starteten wir nach einer knappen Stunde erneut. Danach war das mit „über den Wolken“ und grenzenloser Freiheit für mich erledigt. Anders ausgedrückt, jeder Flug war bis dato für mich eine Tortur, und ich bin nach der Landung stets kurz davor, den Johannes Paul II. zu geben und den Asphalt der Landebahn zu küssen. Aber, es hilft ja nichts. Es ist zurzeit nun einmal die schnellste Art des Reisens, wenn man nicht unbedingt nach Klein Küppersbusch möchte. Als großer StarTrek-Fan setze ich aber all meine Hoffnung auf die Verwirklichung zukünftiger Transportalternativen. Scotty, beam me up!

Aber auch so eine Flugreise hat unzweifelhaft ihre Highlights.

Für mich eher simpel gestrickten Mitmenschen heißt das essen und fernsehen. Und beides ist erstaunlicherweise gut und reichlich. Die Mahlzeiten schmecken und sind sogar heiß (das kenne ich auch anders) und ich schaffe ganze vier Spielfilme und eine Doku über Neuseeland, nur unterbrochen von den schon erwähnten Rufen der Natur, gelegentlicher Gymnastik zwecks Vorbeugung von Thrombose und den allerdings eher mittelprächtigen Versuchen, in einem engen Flugzeugsessel der Economy-Class zu schlafen.

Tja, und dann, vierundzwanzig Stunden später, sind wir nun da, am Ziel unserer Träume, am anderen Ende der Welt.

Doch bevor wir uns das mal genauer anschauen können, hat der neuseeländische Staat noch so ein, zwei kleine Hürden eingebaut, frei nach dem Motto: Schwer Erkämpftes schätzt man umso mehr.

Die neuseeländischen Einreisebestimmungen sind nicht von schlechten Eltern. Wenn die Kiwis eines haben, dann Natur. Und damit die, sowohl für Einheimische als auch Touristen, so attraktiv bleibt, wie sie nun mal ist, wird auf die Reinhaltung derselben aber mit Argusaugen geachtet. Die Einfuhr von Lebensmitteln ist ja am Zoll grundsätzlich ein Thema. Wer schon einmal eine Fernreise per Luftfahrt gemacht hat, kennt sie, diese ominösen Zettel, die kurz vor der Landung an Bord ausgefüllt werden müssen, immer begleitet von dem mulmigen Gefühl, ja auch alles richtig zu beantworten. Sonst droht Ärger! Und kein kleiner! Da hilft es auch nicht, dass einige Fragen nicht ganz eindeutig zu beantworten sind (Ist mein Kaugummi gegen Reiseübelkeit jetzt Nahrungsmittel oder Medizin? Oder beides?). Einige Fragen erregen auch ungewollte Heiterkeit. Als ich mal in die USA geflogen bin, stand doch auf dem Zettel allen Ernstes die Frage, ob ich vorhabe, einen terroristischen Anschlag zu verüben. Klar, ist mein Hobby. Würde ich auch jedem erzählen. Ist mein Start ins Wochenende.

Danach werden wir hier nicht gefragt, aber doch nach einer möglichen kriminellen Vergangenheit, und ich frage mich instinktiv, ob die davon wissen können, dass ich mit acht Jahren beim Nachbarn mal Kekse geklaut habe.

Grundsätzlich kämpft der neuseeländische Zoll gegen Bakterien und Verunreinigungen, auch und ganz besonders an Kleidung und Schuhwerk. Ein Großteil der Reisenden aus aller Herren Länder kommt ans andere Ende der Welt zum Trekking. 2015/16 wurden immerhin fast 120.000 Wanderwütige allein auf den Fernwanderwegen, den berühmten „Great Walks“, registriert. Da sind die Tageswanderer noch nicht mal mit eingerechnet, eine nicht abzuschätzende Dunkelziffer. Und das geht nun mal nicht mit Stöckelschuhen und dem kleinen Schwarzen. Da muss derbes Zeug her, und das ist naturgemäß nach häufigem Gebrauch auch zu Hause trotz ordentlichster Säuberung nicht gerade klinisch rein. In einem Bericht im Spiegel zu diesem Thema hatte ich gelesen, dass mittlerweile viele Neuseeländer sich über die Verschmutzung der Wanderwege und damit auch der Natur beschweren, von der Überfüllung mal abgesehen. Wirft auch nicht gerade ein gutes Licht auf die Besucher.

Wir hatten uns vorgenommen, da erst gar keinen Anlass zur Kritik zu geben, und im heimatlichen Wohnzimmer Rucksäcke, Klamotten, Stiefel und Wanderstöcke gewienert und geschrubbt, bis Mensch und Material um Erbarmen gefleht hatten. Jetzt wollen wir die Früchte dieser Mühsal ernten und stehen hoffnungsvoll in der Kontrollschlange für Nicht-Kiwis.

Meine Frau hatte zu Hause höflich angemerkt, dass es doch wohl besser sei, gerade die Stiefel nicht anzuziehen, sondern schön im Rucksack einzutüten, dass auch ja kein Staubkörnchen daran haften möge. Da mein langjähriger treuer Begleiter aber schon fast zur Hälfte mit dem dicken Schlafsack gefüllt war (den dünnen wollte ich nicht mitnehmen, wie gesagt, Beamtenkind, und so ganz traue ich der Vorstellung vom Hochsommer im Dezember noch nicht, Südhalbkugel hin oder her), stand das gar nicht zur Debatte. Außer ich hätte grundsätzlich auf Ersatzkleidung verzichtet.

Sinja hat ihre Treter, derbe und solide-verlässliche Lederstampfer, irgendwie noch in ihren Rucksack hineinbekommen, unter völliger Missachtung des Naturgesetzes vom Verhältnis Masse zu Raum.

Also stehen die Chancen nicht schlecht, dass zumindest ich ordentlich und folgerichtig zeitaufwendig durchgecheckt werde. Ist aber auch nichts Neues. Passiert mir drei von vier Malen. Selbst wenn ich Schlips und Kragen trage.

Aber nicht im Kiwi-Land!

Die uns „betreuende“ Grenzbeamtin ist unglaublich nett, und sie ist keine Ausnahme! Noch nie wurde ich an irgendeiner Grenze so freundlich willkommen geheißen. Bei uns haben die Wächter über Wohl und Wehe der Einreise ja meist eher schlechte Laune oder tun zumindest so. Gehört vielleicht zum Berufsprofil.

Nach einem kurzen Blick auf meine Fußbekleidung gibt sie mir mit einer lässigen Geste zu verstehen, die Füße mal kurz anzuheben, um einen fachkundigen Blick auf die Profilsohle zu werfen. Dann ein wohlwollendes Nicken. „You´re all good!“ Ich komme mir vor, als ob ich gerade das mündliche Abitur bestanden hätte. Und zwar mit Auszeichnung. Ha!

Da die Dame an Sinjas Schlappen nicht so leicht rankommt, werden wir zu einem anderen Schalter geleitet, an dem sie, da sie sowieso ihre Schuhe auspacken muss, gleich den ganzen Inhalt ihres Rucksackes zur Schau stellen darf. Nur äußerste Selbstbeherrschung meinerseits verhindert ein mittelprächtiges Erdbeben, denn wenn ich jetzt grinse oder einen von meinen blöden Kommentaren ablasse, dann ist unser erster Tag in Neuseeland gelaufen.

Die Sprüche übernimmt hier der für uns zuständige Sicherheitsbeamte. Er schält Sinjas Stiefel aus der Schutzhülle, augenscheinlich ebenfalls beeindruckt, dass die im Rucksack noch Platz gefunden haben, dann ein kritischer Blick erst aufs Schuhwerk, dann auf Sinja, ein zweiter Blick wieder auf die Schuhe, dann wieder auf Sinja, und er fragt forschend: „You are German, aren´t you?“

Etwas beunruhigt bejahen wir die Frage oder eigentlich eher die Feststellung. Warum?

Ein Lächeln breitet sich auf dem Gesicht des Mannes aus und er wirft seiner Begleitung, wohl eine Auszubildende, die still und stoisch alles genau beobachtet, einen Blick nach dem Motto „Hab´s doch gewusst!“ zu.

„You must be German. Only the Germans have always such clean boots. Yesterday we had a guy, who has used a toothbrush for cleaning.“

Jetzt wirft mir Sinja einen Blick zu, schließlich war ich der, der sich bei unserer heimischen Putzorgie noch darüber lustig gemacht hatte ob ihrer Bearbeitung der Stiefelösen mit der Zahnbürste. Hat sich wohl ausgezahlt.

Nach einer wirklich gründlichen Kontrolle bekommt auch Sinja das „All good.“ Dann dürfen wir noch die Bescheinigungen für die Medikamente vorzeigen, das geht aber problemlos. Irgendwie scheint hier, für eine Flughafengrenze völlig unerwartet, ein grundsätzlich sehr freundlicher Ton zu herrschen. Pragmatisch und mit Augenmaß. Freundlich und bestimmt. Trotzdem entsteht nicht einen Augenblick lang der Eindruck, dass die Leute ihren Job hier nicht ernst nehmen. Im Gegenteil! Es ist ein freundliches Willkommen, wenn du dich an die Regeln hältst. Nach dem langen Flug und der Nervosität ein warmes Pflaster für unser müdes und übernächtigtes Gemüt. Ist mir so auch noch nicht passiert.

Steve ist unser erster richtiger Kontakt mit den zweibeinigen Kiwis. Eigentlich sieht er trotz weißem Hemd und schwarzer Hose aus wie ein waschechter Cowboy. Das liegt gar nicht mal an Hut und Barttracht, er wirkt einfach so, und es hätte mich nicht gewundert, wenn er nach der Begrüßung kurz noch einen Strahl Kautabak in die nächste Ecke gestellt hätte. Tut er aber nicht, sondern schnappt sich ganz Gentleman den Rucksack meiner Holden, ich darf meinen selbst tragen, und dann geht es raus aus dem klimatisierten Wartebereich zum Parkplatz.

Anscheinend weiß Neuseeland nicht, dass in good old Europe flächendeckend die Vorstellung herrscht, der Sommer in Neuseeland gleiche dem britischen. Warum sollte er, nur weil hier Nachfahren der Briten wohnen?

Es ist heiß. Sehr heiß. Erschreckend heiß.

Locker über dreißig Grad, mit einer Sonne, die das Hirn wegbrennt. Der dicke Schlafsack war dann wohl doch etwas übertrieben, das schreit eher nach einer sehr dünnen Seidendecke für die Tropen.

Diesbezügliche Anmerkungen kommentiert Steve damit, dass dieses Jahr wohl eine Art Supersommer zu erwarten sei. Die Temperaturen wären jetzt schon deutlich über dem normalen Mittelwert, und das, obwohl es vor ein, zwei Wochen praktisch noch Winter gewesen wäre. Selbst den an Wetterextreme gewöhnten Einheimischen sei das etwas zu viel. Klimawandel, wir kommen.

Sinja will hinten sitzen und ich steige vorne ein, beziehungsweise ich versuche es, denn natürlich nehme ich erst einmal die falsche Seite. Linksverkehr. Die haben das Lenkrad da, wo es nicht hingehört. Steve lacht gelassen, scheint wohl nicht zum ersten Mal zu passieren, trotzdem weißt er uns sofort daraufhin, dass wir uns besser mal direkt an den Linksverkehr gewöhnen. Durch steigende Besucherzahlen, 2016 waren es dreieinhalb Millionen, würde auch der Verkehr belastet, insbesondere, da die Gäste häufig aus Ländern mit Rechtsverkehr kämen. Unsicherheit und damit erhöhte Unfallgefahr sind die Folge. Die Statistiken sprechen da eine deutliche Sprache. Mittlerweile gibt es eine Reihe Seiten im Netz, die den Besucher über die Regelungen und auch Gefahren auf den Straßen Neuseelands gut und ausführlich informieren, sei es Wetter, Tiere, Straßenbelag oder Kiwi-Gepflogenheiten.

Auch der Asphalt sei ein Thema, sagt Steve.

Asphalt? Wieso ist der ein Thema? Schmilzt der bei der Hitze?

Nicht unbedingt, aber er hat was gegen Nässe. „It gets slippery, when wet.“

Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, dass jetzt am Anfang aber auch nicht die Spur eines Wölkchens am blauen Himmel zu sehen ist. Hat eben alles zwei Seiten.

Seltsamerweise fährt Steve an Auckland vorbei! Das klärt sich, denn, so sagt er, der Flughafen sei nun mal in Auckland, die Firma aber eine gute Stunde südlicher, in der Nähe von Waiuku.

Das war uns wohl auch entfallen, bedeutet aber, dass wir nicht einfach einen lockeren Airport to City-Transfer im Preis mit drin haben, sondern eine ordentliche Autofahrt. Die gibt uns wiederum die Gelegenheit, unser Reiseziel zum ersten Mal anzuschauen, beziehungsweise den kleinen Teil, in dem wir hier gerade sind. Sieht völlig anders aus, als wir es uns so vorgestellt haben. Alles glänzt und blitzt in einem tropischen Grün. Mache ich kurz das Fenster auf, fühlt es sich dunstig und schwül an, und selbst der Verkehrslärm kann die Geräusche der Natur, insbesondere die Vogelstimmen, nicht übertönen.

Nach einer knappen Stunde kommen wir an, und ich kann es nicht verhehlen, die Aufregung steigt!

Noch ein paar Augenblicke und wir werden ihn sehen, unseren Mietcamper.

Wobei, was heißt hier Mietcamper!

Ein viel zu schwaches Wort, für das, was es sein soll und wird. Unser Zuhause für die nächsten drei Monate. Das Gefährt, dass uns hoffentlich problemlos zu unseren jeweiligen Zielen bringen wird, und der Ort, der für ein Vierteljahr unser Stützpunkt ist, unser Rückzugsort, vielleicht sogar unsere Fluchtburg. Nicht mehr und nicht weniger!

Wir fahren von der holprigen und sehr kurvigen (nebenbei, das Motto der gesamten Reise, auch wenn wir es noch nicht wissen) Hauptstraße in eine unscheinbare Einfahrt, dann einen kleinen Schotterweg hoch und prompt stehen wir auf dem Hofgelände unserer Vermietungsfirma. Haupthaus und Nebengebäude, umlagert von einigen Campern kleiner bis mittlerer Größe, von denen es laut Bild und Beschreibung eigentlich jeder sein könnte. Sinja legt beruhigend ihre Hand auf meine Schulter.

„Entspann dich. Irgendeiner wird das schon sein.“ Aber auch ihr ist die Spannung, wie unser zeitlich begrenztes mobiles Heim denn nun aussieht, deutlich anzumerken.

Begrüßt werden wir von einer freundlichen Dame Ende Vierzig, Karen ist ihr Name, die uns erst einmal mit Wasser versorgt und uns im Land am anderen Ende der Welt willkommen heißt. Karen hat eine durchaus beruhigende Art, wir sind schließlich nicht die ersten Besucher, die nach anstrengenden Reisestunden hier aufschlagen und völlig heiß auf den gemieteten fahrbaren Untersatz sind. Also kommt sie direkt zum Wesentlichen.

„Ihr wollt ganz sicher euer ‚neues Heim‘ sehen?“ Ja, wollen wir, also geht sie mit uns zu ein paar Fahrzeugen in Bulli-Größe an der Seite des Nebengebäudes, zeigt auf eines und sagt ganz lapidar „Das ist er.“

Am Strand Nähe Waiuku

Das ist er also. Sinja und ich nehmen uns gegenseitig an die Hand und ein kleines, immer größer werdendes Grinsen stiehlt sich in unsere Gesichter.

Das ist er!

Ein Toyota Hiace Campervan von 2004, 4,90 Meter lang, 2,50 Meter hoch, mit eingebauter Küchenzeile, Wassertank, zwei Seitenbänken mit einem großzügigen Tisch in der Mitte, woraus sich mit wenigen Handgriffen ein bequemes Doppelbett bauen lässt. Bettzeug, Handtücher, Wäscheleine, Besteck und Geschirr für den täglichen Kochgebrauch sind reichlich vorhanden, und da der Van gerade ans Stromnetz angeschlossen ist, summt der Kühlschrank fröhlich vor sich hin.

Außen ist unser Gefährt klassisch weiß und mit einer braun-beigen Banderole verziert. Sieht ein bisschen so aus wie ein gemütliches Sofa aus den Achtzigern. Und genau so wirkt unser Gefährt. Schon ordentlich was auf dem Buckel, aber sehr gut in Schuss und saubequem. Die Kiste hat Charakter!

Als ich zu Testzwecken mal den Motor starte, kommt ein satter Sound wie aus einem Bassverstärker. Das hört sich richtig gut an. Peinlicherweise bin ich schon wieder auf der falschen Seite eingestiegen, das nimmt Karen zum Anlass, genau wie Steve direkt mal auf die Verkehrssituation in Neuseeland hinzuweisen. Wohl wirklich ein echtes Thema. Dann macht sie die Übergabe, ihr Mann Stefan sei zurzeit oben im Norden, erklärt die einzelnen Funktionen und übergibt uns feierlich die Schlüssel. Ein wahrhaft rühriger Moment.

Und sie sieht, wie kaputt wir sind.

Stehend k.o. trifft es eigentlich besser. Sie bietet uns an, die erste Nacht auf dem Gelände der Firma zu verbringen. Mehr als erleichtert nehmen wir das dankend an. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an unsere Vermietungsfirma für ein warmes Willkommen und ein Auto, das wirklich zu einem Heim für uns geworden ist.

„Aber geht nicht direkt schlafen, haltet bis abends durch, dann ist das mit dem Jetlag auch gegessen.“

Da hat sie wahrlich nicht Unrecht. Wir sind nicht nur vierundzwanzig Stunden nach Osten geflogen, sondern auch folgerichtig zwölf Stunden in die Zukunft, zumindest, was die Zeitumstellung betrifft. Zu Hause wären wir jetzt, um zwei Uhr nachts, mitten im Tiefschlaf (außer die Kneipe nebenan hat mal wieder eine Außenveranstaltung), hier ist es mitten am Tag.

Also beherzigen wir den Tipp und verstauen in aller Ruhe unser weniges Gepäck und fahren dann wirklich noch in den Ort, um für die ersten Tage einzukaufen.

Eigentlich nur zwei Kilometer, für uns die erste Bewährungsprobe mit unserem neuen Gefährt, Neuseelands engen Straßen und dem Linksverkehr. Zwar sitze ich wie der Affe auf dem Schleifstein hinter dem Lenkrad, ist ja auch auf der verkehrten Seite, aber Sinja hilft tatkräftig mit („etwas weiter nach links“, „da parkt einer“, „die Oma hast du gesehen, oder?“).

Fazit: Es wird gehen. Und es wird gut gehen.

Wir haben für die nächsten drei Monate ein rollendes Zuhause, alles ist soweit vorbereitet und trotz der bleiernen Müdigkeit merken wir es jetzt, wo wir angekommen sind, überdeutlich:

Wir sind heiß auf Neuseeland. Heiß wie Frittenfett!