Meine Mami lebt nicht mehr - Gert Rothberg - E-Book

Meine Mami lebt nicht mehr E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Die Leute aus der Umgebung von Wildmoos und Bachenau hatten sich zwar daran gewöhnt, den alten Janosch ausreiten zu sehen, aber noch immer blieben sie stehen, um ihm nachzublicken. Besonders den Kindern hatte er es angetan, weil er immer die Tracht des ungarischen Pferdehirten trug, die weiße Leinenhose, die hohen schwarzen Schaftstiefel, das hochgeschlossene weiße Leinenhemd mit der schwarzen Weste und den niedrigen schwarzen Filzhut. Wenn das Wetter nicht gar zu heiß war, hatte Janosch auch noch den weißgrundigen, buntbestickten Filzmantel umhängen. Der Siebzigjährige wusste, dass er mit diesem fremdländischen Aussehen die Herzen der Kinder gewann. Das war ihm sehr wichtig. Kinder, Pferde und auch andere Tiere waren das Glück seiner alten Tage. Seitdem er im Tierheim Waldi und Co. arbeitete, genoss er dieses Glück. Er war der stets hilfsbereite Freund der Kinder von Sophienlust geworden. Ihnen erzählte er am Lagerfeuer seine abenteuerlichen Geschichten aus der Puszta. Niemand hätte es gewagt, deren Wahrheitsgehalt anzuzweifeln, denn bei dem alten Mann verwischten sich Fantasie und Wirklichkeit so stark, dass er meistens selbst glaubte, alles, was die Kinder in so große Spannung versetzte, dass sie ihn am liebsten jeden Tag besucht hätten, irgendwann einmal selbst erlebt zu haben. Andrea von Lehn hätte sich keinen besseren Tierpfleger als den alten Janosch wünschen können. Dass sie ihm erlaubt hatte, das ausgediente Turnierpferd Fortuna mitzubringen, dankte er ihr jeden Tag. Dieses eine Pferd war für ihn nun der Ersatz für viele Pferde, und er freute sich, dass es die Kinder von Sophienlust so geduldig durch das Freigehege trug. Damit Fortuna mehr Auslauf hatte, musste Janosch sich immer wieder auf den Rücken der alten Stute schwingen. Sie passten gut zusammen, der alte bärtige Mann und das schon müde gewordene Pferd. Die Zeit, über Gräben und Hecken zu springen, waren für sie allerdings vorbei. Sie hielten mehr von einem gemächlichen Ritt. Auch an diesem Tag waren die beiden unterwegs. Diesmal hatten sie das Tierheim weit hinter sich gelassen.

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Seitenzahl: 141

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Sophienlust Extra – 111 –Meine Mami lebt nicht mehr

Unveröffentlichter Roman

Gert Rothberg

Die Leute aus der Umgebung von Wildmoos und Bachenau hatten sich zwar daran gewöhnt, den alten Janosch ausreiten zu sehen, aber noch immer blieben sie stehen, um ihm nachzublicken. Besonders den Kindern hatte er es angetan, weil er immer die Tracht des ungarischen Pferdehirten trug, die weiße Leinenhose, die hohen schwarzen Schaftstiefel, das hochgeschlossene weiße Leinenhemd mit der schwarzen Weste und den niedrigen schwarzen Filzhut. Wenn das Wetter nicht gar zu heiß war, hatte Janosch auch noch den weißgrundigen, buntbestickten Filzmantel umhängen.

Der Siebzigjährige wusste, dass er mit diesem fremdländischen Aussehen die Herzen der Kinder gewann.

Das war ihm sehr wichtig. Kinder, Pferde und auch andere Tiere waren das Glück seiner alten Tage. Seitdem er im Tierheim Waldi und Co. arbeitete, genoss er dieses Glück. Er war der stets hilfsbereite Freund der Kinder von Sophienlust geworden. Ihnen erzählte er am Lagerfeuer seine abenteuerlichen Geschichten aus der Puszta. Niemand hätte es gewagt, deren Wahrheitsgehalt anzuzweifeln, denn bei dem alten Mann verwischten sich Fantasie und Wirklichkeit so stark, dass er meistens selbst glaubte, alles, was die Kinder in so große Spannung versetzte, dass sie ihn am liebsten jeden Tag besucht hätten, irgendwann einmal selbst erlebt zu haben.

Andrea von Lehn hätte sich keinen besseren Tierpfleger als den alten Janosch wünschen können. Dass sie ihm erlaubt hatte, das ausgediente Turnierpferd Fortuna mitzubringen, dankte er ihr jeden Tag. Dieses eine Pferd war für ihn nun der Ersatz für viele Pferde, und er freute sich, dass es die Kinder von Sophienlust so geduldig durch das Freigehege trug.

Damit Fortuna mehr Auslauf hatte, musste Janosch sich immer wieder auf den Rücken der alten Stute schwingen. Sie passten gut zusammen, der alte bärtige Mann und das schon müde gewordene Pferd. Die Zeit, über Gräben und Hecken zu springen, waren für sie allerdings vorbei. Sie hielten mehr von einem gemächlichen Ritt.

Auch an diesem Tag waren die beiden unterwegs. Diesmal hatten sie das Tierheim weit hinter sich gelassen. Es machte dem alten Janosch viel Freude, über Waldwege und Lichtungen zu reiten. Bei einer Rast brauchte er Fortuna nicht anzubinden. Sie wartete auch geduldig, wenn er im Schatten ein Nickerchen machte, und sah ihn danach an, als wollte sie sagen: Ja, wir beiden Alten müssen uns immer wieder einmal ausruhen, aber wir haben noch sehr viel Freude am Leben.

Jetzt führte Janosch das Pferd einen schmalen Pfad entlang. Er schob den Filzhut etwas in den Nacken und sagte: »Es wird wohl höchste Zeit, umzukehren, Fortuna. Wir sind schon viel zu lange unterwegs. Ich muss dir gestehen, dass ich nicht einmal weiß, wo wir hier sind. Aber sobald wir auf eine Lichtung kommen, werde ich mich schon wieder auskennen. Und ein gutes Pferd findet immer wieder in seinen Stall zurück.«

Fortuna blähte die Nüstern auf. Sie hatte es gern, wenn Janosch mit ihr sprach, und er war überzeugt, dass sie ihn verstand.

»Da, schau, wir sind schon aus dem Wald heraus.« Janosch blieb stehen. »Ist das ein schöner Platz! Ja, so etwas kann man nur finden, wenn man aufs Geratewohl losreitet und …« Er brach ab und sah zu einem Gebüsch, das sich am Rand der Lichtung hinzog. Dort schimmerte etwas auffallend Helles. Weil es sich bewegte, konnte er es sogar mit seinen nicht mehr allzu guten Augen sehen.

»Das ist doch ein Kind, Fortuna. Ja, ein kleines Mädchen.« Janoschs Stimme klang aufgeregt. »Was tut ein kleines Mädchen hier in dieser Einsamkeit, mitten im Wald?«

Fortuna wieherte unterdrückt. Sie wollte nicht immer stumm bleiben. Wenn Janosch schon so gesprächig war, dann musste sie ihm auch ab und zu eine Antwort geben.

»Ja, ja, du wunderst dich auch darüber, dass wir hier ein Kind entdecken, Fortuna. Aber jetzt ist es erschrocken. Du hättest doch lieber still sein sollen. Bleib hier stehen. Vor dir großem Pferd muss das kleine Mädchen ja erschrecken. Aber vor mir wird es sicher keine Angst haben.« Das sagte Janosch aus voller Überzeugung. Er war ja gewöhnt, dass die Kinder Vertrauen zu ihm hatten.

Aber für das kleine Mädchen war der alte Mann ein Fremder. Noch dazu einer in einer äußerst ungewohnten Aufmachung. Es sprang auf und wollte davonlaufen. Aber da musste es sich noch einmal bücken, um einen kleinen braunen Dackel auf die Arme zu nehmen.

Inzwischen war Janosch schon näher gekommen und rief: »Lauf doch nicht weg, ich tu dir ja nichts. Du brauchst bestimmt keine Angst vor mir zu haben.« Das sagte er in seinem noch immer nicht akzentfreien Deutsch.

Das kleine Mädchen blieb stehen und drückte seinen Dackel fest an sich. Es hatte ein weißes Kleid an, das mit bunten Blumen bedruckt war. Sein blondes gelocktes Haar hatte es über den Ohren mit roten Spangen zusammengehalten, sodass die Schwänzchen vom Kopf abstanden. Das gab dem hübschen Mädchen ein besonders niedliches Aussehen. Große braune Augen blickten Janosch nun mehr erstaunt als ängstlich an.

»Wer bist du?«, fragte das kleine Mädchen, als Janosch vor ihm stehen geblieben war.

»Ich bin ein alter Mann, der kleine Kinder sehr gernhat.«

»Tust du mir wirklich nichts? Und meinem Gustl auch nicht?« Das Mädchen drückte den Dackel so fest an sich, dass er unruhig wurde.

»Nein, ich tue euch bestimmt nichts. Heißt dein Dackel denn Gustl?«

Das Mädchen nickte.

»Und wie heißt du?«

»Paulinchen.«

»Das ist aber ein hübscher Name. Ich heiße Janosch.«

Das Mädchen legte den Kopf etwas schief und dachte nach. Dann sagte es: »Ich glaube, Janosch gefällt mir auch. Aber so heißt doch hier niemand.«

»Ich bin auch nicht von hier. Weißt du, ich komme aus einem fremden Land. Dort heißen viele Männer so wie ich.«

Paulinchen zögerte, obwohl ihr anzusehen war, dass sie längst etwas hatte sagen wollen. Sie wirkte jetzt unsicher. »Bist du vielleicht aus dem Märchenland?« Ihre Blicke hingen an seinem ungewöhnlichen Mantel.

Janosch lachte. »Von dort möchte ich gern stammen, um dir eine Freude zu machen, Paulinchen, aber ich darf dich nicht belügen. Schau, bei mir zu Hause trägt man eben solche Kleidung, und ich habe sie lieb gewonnen – genau wie du dein hübsches Kleidchen.«

Paulinchen strich über ihr Kleid. »Das hat mir meine Mutti noch genäht. Sie hat mir immer ganz hübsche Sachen gemacht.« Ihr Gesicht wurde sehr traurig. »Aber meine Mutti ist gestorben. Jetzt habe ich nur noch einen Vati. Er kann sich aber kaum um mich kümmern, weil er immer in den Wald gehen muss. Weißt du, er ist Förster.«

»Aha, deshalb finde ich dich hier. Ist denn in der Nähe ein Forsthaus, Paulinchen?« Dem alten Janosch war wehmütig ums Herz geworden. Traurige Kinder machten auch ihn traurig.

»Ja, unser Forsthaus«, antwortete Paulinchen. »Ich muss nur ein Stück durch den Wald gehen, dann bin ich dort. Willst du es sehen? Es ist sehr schön, aber Vati und ich sind immer allein.« Jetzt wurde Paulinchen zutraulicher. Sie machte ein wichtiges Gesicht. »Wir bekochen uns auch selbst.«

»Kannst du denn das schon?«, fragte Janosch und musterte das kleine Mädchen. »Sicher bist du noch nicht einmal fünf Jahre alt.«

»Nein, ich bin erst vier Jahre. Das sagt mein Vati. Und Gustl ist erst ein halbes Jahr alt. Vati hat ihn mir geschenkt, damit ich nicht so allein bin, wenn er im Wald ist. Weißt du, Vati hat selbst einen Hund. Aber einen Jagdhund. Den braucht er ja. Gustl soll nicht mit auf die Jagd gehen. Das will ich nicht. Tasso würde das auch gar nicht mögen. Er ist nämlich eifersüchtig, weil ich Gustl so sehr lieb habe.«

»Ist Tasso der Jagdhund deines Vaters?«, fragte Janosch.

»Ja.« Paulinchen warf die Lippen auf. »Ach, ich mag Tasso auch ganz gern, aber so lieb wie meinen Gustl habe ich ihn eben nicht.« Sie streichelte den Dackel und setzte ihn auf den Boden. »Ich glaube, jetzt müssen wir nach Hause gehen. Vati wird vielleicht schon aus Maibach zurückgekommen sein. Dort hat er eingekauft.« Sie seufzte. »Wenn er nur nicht wieder so viel vergessen hat. Weißt du, Herr Janosch, ich kann ihm doch noch nicht aufschreiben, was wir alles brauchen, und er hört manchmal gar nicht zu.«

Janosch strich dem kleinen Mädchen über den Kopf. »Sage einfach Janosch zu mir. Das tun alle Kinder, die ich kenne, und ich bin mit vielen Kindern beisammen, weil ich ganz in der Nähe eines Kinderheims wohne.«

Paulinchen horchte auf. »Vielleicht muss ich auch einmal in ein Kinderheim. Vati sagt, dort hätte ich es wohl besser als zu Hause. Aber das kann doch gar nicht sein. Ich bin am liebsten im Forsthaus. Dort gefällt es mir. Ich brauchte nur eine Mutti, die sich um Vati und mich kümmert und die ganz lieb zu mir ist. Aber Vati will und will keine Mutti für mich suchen. Er sagt, es gibt auf der ganzen Welt keine Mutti, die wieder so lieb ist, wie meine Mutti war. Glaubst du das, Janosch?« Paulinchen sah zu dem Alten auf, als könnte er ihr eine entscheidende Antwort geben.

Damit brachte die Kleine den alten Mann in große Verlegenheit. Nicht zum ersten Mal stand er einem Kind gegenüber, das sich nach einer Mutter sehnte. Auch die Kinder von Sophienlust hatten meistens keine Mutter mehr. Oft waren sie sogar Vollwaisen. Dadurch hatte er schon oft die große Kindersehnsucht nach der Liebe einer Mutter erlebt. So zuckte er jetzt die Schultern. »Ich weiß nicht, ob dein Vati recht hat, Paulinchen, aber ich denke mir, dass es viele Frauen gibt, die gern ein so kleines Mädchen wie dich lieb haben würden.«

»Ich würde doch eine neue Mutti auch sehr lieb haben, Janosch.« Paulinchens Stimme klang jetzt sehr eifrig. »Und helfen würde ich ihr den ganzen Tag. Schau, ich habe doch schon viel gelernt. Ich kann schon die Waschmaschine anstellen und die Wäsche aufhängen. Bügeln habe ich auch schon gelernt. Aber gestern ist das Bügeleisen so heiß geworden, dass Vatis grünes Jägerhemd einen großen braunen Fleck bekommen hat. Ich habe es versteckt, aber heute Morgen hat er es überall gesucht. Hoffentlich hat er sich in Maibach ein neues Hemd gekauft. Gesagt habe ich ihm das. Er braucht doch mehrere Hemden, aber er wollte heute früh gerade das­ Hemd anziehen, das ich versteckt habe.«

»Du hast große Sorgen, Paulinchen.« Wieder streichelte Janosch das kleine Mädchen. »Vorwürfe brauchst du dir keine zu machen. Ich glaube, dass ich auch oft etwas verbrennen würde, wenn ich bügeln müsste. Deinem Vati ginge das sicher nicht anders.«

Paulinchen sah durch diesen Zuspruch nicht getröstet aus.

»Ihr seid ja auch Männer«, sagte sie, »aber ich bin ein Mädchen und muss alles im Haushalt richtig lernen, weil ich doch auch einmal eine Mutti sein werde.«

»Aber das hat noch lange Zeit, Paulinchen.« Janosch sah zu seinem Pferd hin. Es hatte schon mehrere Male unwillig gewiehert. Jedes Mal hatte sich dann der kleine Dackel an seine Herrin gedrückt und sehr erschrocken ausgesehen.

»Gustl hat Angst vor dem großen Pferd. Er hat noch nie eins gesehen, aber ich schon, Janosch. Ich habe keine Angst vor deinem Pferd. Willst du es holen?«

»Das würde ich ganz gern tun, Paulinchen. Nimm deinen Dackel am besten auf die Arme, damit er nicht vor Schreck davonläuft. Ich werde dich noch bis zu eurem Forsthaus begleiten. Wenn es dir Spaß macht, kannst du dich auf das Pferd setzen.«

»Aber da falle ich doch herunter, Janosch.«

Paulinchen riss die Augen auf.

»Ich werde dich schon festhalten. Die Kinder, von denen ich dir erzählt habe, reiten auch immer auf Fortuna. So heißt mein Pferd.«

Jetzt begannen Paulinchens Augen zu leuchten. »Ich würde gern reiten«, gestand sie.

Janosch holte sein Pferd. Als er damit zurückkam, redete Paulinchen auf ihren Dackel ein. Jetzt rief sie: »Schau, Janosch, da hinten stehen Gustl die Haare zu Berge. Dann hat er immer ganz große Angst.«

»Streichle ihn, dann wird er wissen, dass ihm nichts passiert, Paulinchen.«

Dieser Rat kam jedoch zu spät. Der Dackel Gustl war schon von Paulinchens Arm herabgesprungen und rannte wie gehetzt davon.

Das kleine Mädchen wischte mit der Hand durch die Luft. »Macht nichts, der läuft jetzt nur nach Hause.« Sie sah mit sehnsüchtigen Blicken auf den Pferderücken. »Da ist ja ein Sitz. Vielleicht würde ich doch nicht herunterfallen, Janosch.«

»Das ist ein Sattel, Paulinchen. Den brauche ich auch. Komm, ich hebe dich hinauf. Fortuna ist ganz friedlich. Du kannst dich mit den Händen vorn am Sattel ein bisschen festhalten, und ich gehe ganz dicht neben dem Pferd. Da passiert dir bestimmt nichts. Du wirst sehen, wie schön es da oben ist.«

Danach sah Paulinchen auch bald aus.

Sie strahlte über das ganze Gesicht und war überhaupt nicht ängstlich, als sie auf dem Pferderücken thronte. Wie allen Kindern gab ihr das ein erhebendes Gefühl. »Wenn mich doch Vati so sehen könnte«, wünschte sie sich. »Vielleicht ist er doch schon zu Hause. Wir brauchen nur ein kleines Stück durch den Wald zu gehen, Janosch, dann siehst du unser Forsthaus schon. Es steht auf der nächsten Lichtung.«

Der Weg durch den Wald war breit und ausgefahren. Fortuna konnte ganz gemächlich traben.

»Kann dein Pferd nicht schneller laufen?«, fragte Paulinchen. Ihre Wangen waren erhitzt, und ihre braunen Augen glänzten vor Unternehmungslust.

Janosch lachte amüsiert. »Du bist gut, Paulinchen. Jetzt willst du mir sogar davonreiten. Ich könnte ja nicht so schnell neben Fortuna herlaufen. Da würden meine alten Beine nicht mittun.«

»Wir warten doch auf dich, Janosch«, sagte Paulinchen mit gönnerhaftem Ton in der Stimme, als könnte sie sich wirklich schon einen gewagten Ritt leisten. Dann rief sie: »Jetzt sind wir gleich da. Ja, Vati ist schon zu Hause. Sein Wagen steht vor der Tür.«

Jetzt wurde das kleine Mädchen erst recht zappelig. Es hoffte, von seinem Vater bewundert zu werden.

Janosch sah auf das schmucke Forsthaus mit dem mächtigen Hirschgeweih am Giebel. Aber er wurde abgelenkt. Über die Lichtung kam ein mittelgroßer brünetter Mann. An seinem Anzug erkannte Janosch, dass es der Förster sein musste.

Da rief Paulinchen auch schon: »Das ist mein Vati. Vati, hallo, Vati, ich kann reiten.« Sie beugte sich zu Janosch hinab. »Mein Vati heißt Markus Kunert. Das musst du doch wissen.«

Der fünfunddreißigjährige Förster blieb stehen. Sicher meinte er, seinen Augen nicht trauen zu dürfen, als er sein Töchterchen hoch zu Ross ankommen sah. Sein schmales sonnengebräuntes Gesicht sah sehr ernst aus. »Was ist hier los?«, fragte er wenig freundlich. Dann galten seine Blicke dem alten Janosch in seiner malerischen Aufmachung. »Sind Sie nicht der Mann vom Rosshof?«

Das Gesicht des alten Janosch verdüsterte sich. »Der war ich einmal, Herr Förster. Sie werden wissen, dass der Rosshof abgebrannt ist. Ich bin jetzt im Tierheim Waldi und Co.«

»Ach, beim Tierarzt Dr. von Lehn. Den kenne ich flüchtig. Aber wieso sitzt mein Paulinchen auf dem Pferd?« Markus Kunert hatte beide Arme ausgestreckt. Er hielt sein Töchterchen fest.

Paulinchen lachte. »Ich falle doch nicht herunter, Vati. Lass mich wieder los. Ist Gustl zu Hause?«

»Ja, der hat sich irgendwo im Haus verkrochen. Er kam wie die wilde Jagd angeprescht, gerade, als ich aus dem Wagen stieg. Als ich dich nirgends entdeckte, bin ich sehr unruhig geworden. Ich dachte, es sei dir etwas passiert.«

»Ihr Paulinchen hat sich nur bei mir verweilt, Herr Förster. Ja, ich bin schuld daran, dass sie nicht rechtzeitig zu Hause war. Wir haben uns so gut unterhalten.« Janosch wollte Paulinchen vom Pferd heben. »Aber Sie sehen, ich habe Ihnen die Kleine unversehrt wiedergebracht. Nein, nein, Kindern und Tieren passiert beim alten Janosch nichts.«

»Ich will noch bis zum Haus reiten, Janosch«, bat Paulinchen. »Vati, bitte, erlaubst du das?«

Jetzt lächelte Markus Kunert. »Diese Freude darf ich dir wohl nicht nehmen, Paulinchen. Aber sei vorsichtig.«

»Bin ich ja. Vati, ist das schön hier oben. Vielleicht werde ich einmal Reiterin.«

»Das ist ja etwas ganz Neues.« Markus Kunert ging neben Janosch auf das Forsthaus zu. »Bis jetzt wolltest du nur eine Mutti werden.«

»Dann werde ich eben beides«, verkündete das lebhafte kleine Mädchen.

Der Förster unterdrückte einen Seufzer und sagte: »So einfach, wie Kinder alle Probleme lösen, müssten wir Erwachsene es auch manchmal können.«

Paulinchen riss ihn schon wieder aus seinem Philosophieren. »Vati, hast du auch den Kaffee nicht vergessen?«

»Nein, das habe ich nicht.«

»Dann muss Janosch bei uns Kaffee trinken. Ich stelle gleich das Wasser auf. Du trinkst doch auch so gern Kaffee, Vati.«

»Ja, jetzt freue ich mich auf eine Tasse. Natürlich kann Herr Janosch mit ins Haus kommen.« Markus Kunert sah den alten Mann etwas verlegen an. »Entschuldigen Sie, ich kenne Ihren Familiennamen nicht.«

»Den kenne ich selbst kaum noch. Ich heiße Corda. Manchmal muss ich mich gewaltsam daran erinnern. Solange ich denken kann, war ich für alle nur der Janosch. Sie sollen das auch zu mir sagen. Das Herr können Sie weglassen. Es stört mich nur.« Janosch half Paulinchen vom Pferd, denn sie waren nun vor der Haustür des Forsthauses angekommen.

»Schade, dass wir schon hier sind«, sagte Paulinchen. Sie fingerte an ihren roten Haarmaschen herum und zupfte ihr Kleidchen zurecht. »Wenn ich wieder reiten darf, ziehe ich meine Hosen an. Ich glaube, das passt besser.«