Catherine Wilkins
Meine Schrecklich Beste Freundin - und - das Riesengrobe Theater by Catherine Wilkins
Aus dem Englischen vonChristine Spindler
Mit Illustrationen von Sarah Horne
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Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe München 2024
Text copyright © Catherine Wilkins, 2014Illustrations copyright © Sarah HorneTitel der Originalausgabe: My School Musical and other PunishmentsDie Originalausgabe ist erstmals 2014 bei Nosy Crow® Limited, London,erschienen.
This translation of My School Musical and other Punishments ispublished by arrangement with Nosy Crow® Limited.
Dieses Buch ist bereits 2015 unter dem Titel Mein (ganz und gar nicht grandioses)Schuldrama und andere Katastrophen bei arsEdition erschienen.
© 2023 arsEdition GmbH, Friedrichstr. 9, D - 80801 MünchenAlle Rechte vorbehaltenText: Catherine WilkinsCovergestaltung und Lettering: Raffaela SchütterleInnenillustrationen: Sarah HorneÜbersetzung: Christine Spindler
Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Miningim Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.
ISBN eBook 978-3-8458-6145-6ISBN Printausgabe 978-3-8458-5029-0
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Ver-breitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgtwerden.
Nur für Rich.
Bist du jetzt glücklich?
C.W.
1. Kapitel
»Kann ich euch jetzt endlich etwas über meine großartige Idee erzählen?«, frage ich. »Ich habe nicht allzu viel Zeit.« Ich bin sicher, dass ich das nicht arrogant, sondern höflich formuliert habe.
»Hört mal, wer sich da schon wieder aufspielt!«, meint Joshua lachend. Scheint mir wohl doch nicht gelungen zu sein.
Manchmal finde ich es anstrengend, ein Genie zu sein. (Natürlich-lich weiß ich, dass ich vielleicht gar kein Genie bin, aber ich habe irgendwo gelesen, dass man so tun soll, als wäre man eines.)
Ich versuche es etwas verhaltener. »Wir streiten uns immer wieder aufs Neue darüber, ob wir den Preis für den Comic erhöhen-höhen sollen, und ich muss euch –«
»So sind nun mal die Regeln, Toons«, unterbricht mich Tanya-ya Harris. Dann deutet sie auf den Block in ihrem Schoß, als handle es sich um das Grundgesetz, dabei stehen darin nur die Regeln, die sich vier Elfjährige für einen frechen Comic über unsere Schule ausgedacht haben.
Ich finde es ganz schön dreist von Tanya, mir etwas über Regeln-geln erzählen zu wollen, wo sie doch selbst vor Kurzem noch das frechste und furchteinflößendste Mädchen an der ganzen Schule war.
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Ich frage mich, welche Regel sie wohl be-folgte, als sie Mrs Cole ins Gesicht gespuckt hat. Oder als sie Amelia immer wieder Kau-gummi in die Haare klebte. Seht ihr? (Ich werde sie das aber bestimmt nicht fragen, ich bin ja nicht verrückt. Sie jagt mir immer noch ein bisschen Angst ein, obwohl sie sich jetzt als »Unternehmerin« bezeichnet.)
Aber ich habe für all das keine Zeit – ich muss ins Klassen-zimmer zurück und Amelia stoppen, bevor sie etwas tut, das ich bereuen werde. Oder ihr helfen, es nicht zu tun. Was ich damit meine: Ich muss sie stoppen, bevor sie wieder einen riesigen Fehler macht, was letztlich ausgesprochen zuvorkom-mend von mir sein wird. Man bräuchte ein Wort, das genau das bedeutet: stop-pen und helfen. Stelfen? Ich muss Amelia stelfen.
»Wir haben alle auch noch andere Sachen zu erledigen«, sagt Joshua. »Morgen findet das Vorsprechen für das Schulmusical statt. Ich könnte meinen Text einstudieren.«
»Du … du sprichstvor?« Ich kann meine Überraschung nicht verbergen.
»Ja«, erwidert Joshua.
»Wirklich?« Ich schätze, ich klinge wahnsinnig erstaunt.
»Ja!«, wiederholt Joshua verärgert.
Ich habe mir Joshua nie als einen Kerl vorgestellt,dersingt und tanzt. Er gibt sich immer total cool, als würde er über al-lem stehen, hebt ständig die Augenbrauen, ist groß und spielt in der Basketballmannschaft. Ich kann mir einfach nicht vor-stellen, dass er gerne im Zauberer von Oz mitspielen möchte.
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Ich meine, er steht auf Comics! Also, echt jetzt. (Es war sogar seine Idee, dass wir einen eigenen Comic herausgeben.)
»Jessica, du bist doch diejenige, die das Treffen unnötig in die Länge zieht«, unterbricht mich Lewis. Die Stimme der Vernunft, wie immer. Lewis ist ziemlich übergenau und schüchtern und zeichnet tolle Cartoons. Wir beide steuern die meisten Zeich-nungen bei.
Wenn ich groß bin, möchte ich Cartoonistin werden, genau wie mein Held Matt Groening. Oder wenigstens irgendeine Künstlerin, die zeichnet. Aber das spielt jetzt keine Rolle. Ich darf mich nicht von meiner eigenen Genialität ablenken las-sen. Hm, Lewis hat recht. Ich ziehe das hier in die Länge.
»Okay, okay«, sage ich. »Tut mir leid. Dann machen wir jetzt mit den neuen Ideen weiter, ja?«
»Nein«, sagt Tanya. »Wir sind noch bei vermischtes Geschäft-liches.«
Ich seufze und schaue prüfend auf meine Uhr. Womöglich stimmen sie genau in diesem Augenblick ab: meine beste Freundin Natalie, meine beste FreindinAmelia, Cassy und all die anderen …
»Also«, tönt Tanya. »Gibt es etwas Geschäftliches?« Stille. »Okay, dann machen wir mit den neuen Ideen weiter.«
Endlich. »Gut«, sage ich.
»Warte«, befiehlt Tanya.
»Worauf?«, frage ich.
»Hat jemand neue Ideen?«, fragt Tanya.
»Ja, ich!«, rufe ich wie wild.
Tanya bricht in Gelächter aus. »Es ist ganz schön leicht, dich
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zu veräppeln, Toons. Klappt immer. Du solltest mal dein Gesicht sehen.«
Ich ärgere mich, weil auch Joshua und Lewis amüsiert dreinschauen. Ein Teil von mir möchte aus der Lese-Ecke vor der Bibliothek stürmen, aber ein größerer Teil von mir versucht, nicht loszulachen.
»Der Brüller«, bemerke ich trocken.
»Na, komm schon, raus damit«, sagt Joshua lächelnd. »Er-zähl uns deine erstaunliche, fantastische Idee.«
»Nur damit das klar ist, ich habe nur gesagt, dass sie groß-artig ist, weil sie großartig ist«, bemerke ich. »Aber ich kann nichts dafür, alle meine Ideen sind großartig. Es ist ziemlich einsam an der Spitze, wenn man ständig großartig ist.«
Joshua kichert. Lewis runzelt die Augenbrauen und sagt: »Ich dachte, du hättest es eilig.«
Ach ja, stimmt. Amelia! Ich komme wieder zum Thema. »Okay. Meine Idee heißt Das ultimative El-ternhandbuch. Es ist eine Art witziger Ratgeber für Eltern, mit Ratschlägen wie: ›Gib deinen Kindern immer Süßigkeiten, dann sind sie glücklich.‹ Also im Grunde genau das Ge-genteil von dem, was meine Eltern ständig machen.«
»Das ist sogar eine richtig gute Idee«, sagt Joshua und grinst übers ganze Gesicht.
»Ich liebe die Idee!«, ruft Tanya. »Du hast es wieder ge-schafft, Toons! Treffer, versenkt!«
»Ja, das hat durchaus witziges Potenzial«, fügt Lewis gelassen hinzu.
»Man könnte eine ganze Serie daraus machen!«, meint Joshua
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begeistert. »Mit allen möglichen anderen Titeln. Das Lehrer-handbuch oder –«
»Das Coolness-Handbuch«, wirft Tanya ein.
»Jep!«, stimmt Joshua zu.
»Das Lehrerhandbuch: Regel eins«, witzele ich. »Unterbrich die Schüler nicht, wenn sie reden.«
Die anderen lachen. Ich liebe es, wenn sie über meine Witze lachen. Und so entwickeln wir gemeinsam unsere Ideen. Wir sind wirklich ein tolles Team (wenn man von den ganzen hitzi-gen Debatten mal absieht).
»Hey, wie wäre es, wenn wir alle zusammen daran arbeiten?«, schlägt Joshua vor. Ich schiele wieder auf meine Uhr.
»Sicher«, sage ich. »Aber erst beim nächsten Treffen. Ich muss jetzt wirklich los.« Dann mache ich mich aus dem Staub und düse in mein Klassenzimmer.
»Okay, was habe ich verpasst?«, frage ich, als ich keuchend bei unseren Tischen in der 6c ankomme.
»Äh, wie wär’s mit: alles?«, erwidert Amelia verächtlich.
»Du hast die Abstimmung verpasst, Jess.« Natalie schenkt mir ein betrübtes Lächeln.
»Oh Gott.« Stöhnend halte ich mir den Kopf, dann sehe ich wieder auf. »Und wie heißen wir jetzt?«
»Halt dich fest, wir sind die ›Dramatischen-Ohnegleichen-Originellen-Freundinnen‹«, antwortet Emily. Bitte – was? Nein!
»Originellhabe ich beigesteuert«, verkündet Amelias hoch-näsige Freundin Cassy stolz. »Ich finde es wichtig hervorzuhe-ben, dass wir einmalig sind.« Sie lächelt.
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Ich kann mich nicht beherrschen. »Ihr Idiotinnen!«, entfährt es mir.
»Wie bitte?«, blafft Amelia mich an. »Erst kommst du nicht zu unserem Treffen und jetzt beschimpfst du uns auch noch.«
»Ach, Jessica ist nur neidisch, weil sie darauf niemals gekom-men wäre«, fügt Cassy selbstgefällig hinzu.
»Die Abkürzung davon ist DOOF!«, rufe ich. »DOOF soll unser neuer Bandenname sein? Ihr seid totale Idiotinnen. Ich habe euch doch eingebläut, genau zu prüfen, ob die Abkür-zung nichts Bescheuertes bedeutet.«
»Nun.« Amelia hält inne und wirkt einen Augenblick lang unangenehm berührt. »Man spricht es ja nicht DOOF aus, sonderneigentlich:D. O. O. F .«
»So schlimm ist es jetzt auch nicht, Jess«, sagt Natalie, als wir nach dem Mittagessen ins Klassenzimmer zurückkehren.
»Außerdem haben wir dir mehr als rechtzeitig vor dem Tref-fen Bescheid gesagt«, fügt Amelia eingeschnappt hinzu. »Du warst doch diejenige, die sich immer über den alten Namen beschwert hat. Wenn dir das so wichtig war, hättest du nur da zu sein brauchen.«
Also wirklich. Um alles muss ich mich selber kümmern. Und jetzt sieht man ja, was dabei rauskommt, wenn ich nicht stän-dig da bin und auf alle aufpasse.
Ich seufze hörbar, als die übrigen Mitglieder von DOOF ins Klassenzimmer zurückkommen. DOOF, ehemals GUF. Vor-mals ACE und CAC.
Nun ratet mal, welcher Name von mir stammt? ACE. (Danke
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sehr.) Er stand für »Außergewöhnlich Clevere Ein-fälle«, denn ich weiß, wie man brauchbare Akro-nyme bildet. Und Amelia hat es immer noch nicht kapiert, obwohl sie zu den Klassenbesten zählt.
Ich weiß, ich hätte da sein sollen. Ich wusste, sie wür-den vergessen, vor der Abstimmung wenigstens zu checken, wie die Abkürzung für den Namen lauten würde. Amelias Er-folgsbilanz spricht für sich. Lassen wir dabei mal für einen Au-genblick die Tatsache außer Acht, dass sie die geheime Bande mit Natalie zusammen überhaupt nur gegründet hat, um michauszuschließen. Ihre Namenswahl war jedenfalls immer schon schrecklich missglückt.
Ihre erste Bande hieß Coole Abgefahrene Chicks, abgekürzt CAC. (Was sich meiner Meinung nach anhört wie eines der weniger schlimmen Schimpfworte für Scheiße.) Dann haben wir das Kriegsbeil begraben und unsere beiden verfeindeten Banden vereint – CAC und ACE (die ich gegründet hatte, um mich an den beiden zu rächen). Amelia taufte die neue Bande »Großartige Unzertrennliche Freundinnen«, ab-gekürzt GUF. (Dieses Treffen hatte ich auch verpasst.) Das reimt sich auf Suff und Puff.
Immerhin scheinen wir uns von solchen Anzüglichkeiten entfernt zu haben und bewegen uns mehr im Feld allgemeiner Dummheit. Viel-leicht sollte ich dankbar sein.
»Jep, ist wohl nicht so schlimm«, schwindle ich. Ich will nicht, dass Nat sich schlecht fühlt, weil sie auch für diesen Blödsinn gestimmt hat. Sie war bestimmt sowieso abgelenkt, weil sie an
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ihr Vorsprechen für das Schulmusical denken musste. Das hat sie in letzter Zeit ziemlich beschäftigt.
Und die anderen Mitglieder der netten ACE-Bande haben alle ihre Gründe, warum sie nicht darauf herumreiten. Cherry und Shantair, meine Freundinnen aus dem Schachclub, sind schlau genug, um zu wissen, wie tückisch der Bandenname DOOF klingt, aber ihnen ist die Bande nicht wichtig genug, um sich darüber aufzuregen. Sie halten das alles für ein biss-chen dumm, aber harmlos.
Meine anderen Freundinnen, Emily, Megan und Fatimah (neben denen sitze ich in Kunst und Französisch) blödeln die meiste Zeit nur rum. Sie werden ständig ermahnt, weil sie im Unterricht quatschen. Also haben sie vermutlich gar nichts mitbekommen.
Aber Amelias eingebildete, obercoole Freundinnen wie Cas-sy spielen sich immer auf, weil sie sich für so schlau halten. Sie denken, dass es im Leben nur auf zwei Dinge ankommt: ers-tens, klug zu sein, und zweitens, sich mit Mode auszukennen. Also hätten sie es auf jeden Fall bemerken müssen.
Aber sie waren wahrscheinlich so beschäftigt, damit anzuge-ben, dass sie unsagbar kreativ sind und immer die besten Ide-en haben, dass ihnen das Offensichtliche entgangen ist. Und dann behaupten sie doch glatt, ichsei blöd.
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2. Kapitel
»Oh mein Gott, wenn wir uns das nächste Mal sehen, spreche ich schon vor!« Natalie umarmt mich ganz fest, als ich auf der Heimfahrt aufste-he, weil der Schulbus gleich hält. Ihr Verhalten ist ein bisschen beunruhigend.
»Aber zuerst haben wir doch noch den ganzen Morgen zu-sammen Unterricht«, sage ich. »Und da werden wir uns ja auch schon sehen.«
»Du weißt, wie ich es meine. Ich bin so aufgeregt. Ich glaube, ich werde heute Nacht kein Auge zutun.«
»Du wirst grandios sein«, sage ich bestimmt, dann steige ich aus und gehe nach Hause.
Als ich den Schlüssel ins Schloss stecke, höre ich unseren neuen Hund bellen. Jawohl. Den neuen Hund! Ichliebedenneuen Hund. Allelieben ihn. Na ja, meine Mum nicht so sehr. Aber alle anderen.
Obwohl ich ehrlich gesagt glaube, dass meine Mum den Hund inzwischen auch liebt. Sie hat nur so eine Phase durchgemacht, in der sie ständig betonte: »Wir behalten ihn auf keinen Fall.« Aber ich meine, das ist Auslegungssache. (Hihi, ich bin witzig.)
Und das kam so: Meine große Schwester Tammy (die bereits ausgezogen ist und studiert) und meine lustig-verrückte Tante Joan haben eines Tages einen Hund gerettet.
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Tammy hatte das schon lange vorgehabt. Sie rettet ständig alles Mögliche. Und ich glaube, Tante Joans Einstellung, dass man erst handeln und dann denken soll, hat ihren Entschluss bekräftigt.
Ich bin sicher, dass meine Mum sie nur deswegen mit dem Hund ins Haus gelassen hat, weil sie nicht wollte, dass wir uns auf der Straße vor den Nachbarn zanken, sondern lieber im Wohnzimmer, wo wir unter uns sind.
Wir hockten also alle im Wohnzimmer, wäh-rend der Hund hechelnd und schwanzwe-delnd vor uns saß. Sein Maul stand offen, und es sah fast so aus, als würde er lächeln.
»Wir behalten den Hund auf gar keinenFall«, sagte Mum. »Damit ihr das gleich wisst.«
»Ich stimme eurer Mutter absolut zu«, sag-
te mein Dad und fügte dann optimistisch hinzu:
»Vielleicht könnten wir ihn Bilbo nennen?«
»Es ist ein Weibchen«, sagte Tammy.
»Lady«, sagte mein kleiner Bruder Ryan.
»Ja, dann eben eine Lady, spielt doch keine Rol-
le«, meinte Tammy.
»Nein, wir könnten sie Ladynennen«, erklärte Ryan. Wir
schauten alle die Hündin an. Obwohl sie laut und mit he-
raushängender Zunge hechelte, wirkte sie erhaben und majestä-
tisch. Sie hielt den Kopf hoch, als wollte sie auf uns herabsehen.
Und sie hatte ein ganz goldenesFell, denn sie war ein Collie-
Golden-Retriever-Mischling.
Dann rollte sie sich auf den Rücken, und Ryan begann, ihren
Bauch zu kraulen. Man konnte sehen, wie sehr sie das genoss.
Sie wälzte sich wie verrückt hin und her, dann stellte sie sich
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wieder hin und leckte Ryans Hand ab. Zuletzt legte sie Ryan
treuherzig den Kopf in den Schoß und sah zu ihm hoch.
»Ich liebe dich, Lady«, sagte Ryan. Mit Tränen in seinen klei-
nen, sechsjährigen Augen sah er Mum an und fügte hinzu:
»Bitte nehmt sie mir nicht weg.«
Ich weiß noch, wie ich dachte: Gut gemacht, Lady, gut ge-
macht. Damit stand es 1:0 für den Hund.
Auch ich wollte Lady unbedingt behalten. Aber
gleichzeitig wollte ich Mum nicht ärgern. Sie ist ei-
gentlich total okay. Ihr wisst schon, total okay für eine
Mum. Sie verdirbt mir nur manchmal alles, was Spaß
macht. Das ist ganz schön großzügig, meint ihr nicht?
Sie ärgert sich leichter als die Mütter, die man in der Joghurt-
Werbung sieht, aber zum Glück kann Dad sie meistens mit ei-
ner Tasse Tee beruhigen.
Ich öffne die Haustür. »Ich bin’s, Lady. Du brauchst nicht zu
bellen«, sage ich, auch wenn es nichts nützt.
Lady bellt immer, wenn jemand ans Haus kommt. Sie ist in
dieser Hinsicht ein toller Wachhund. Sobald man allerdings
die Tür geöffnet hat, hört sie auf zu bellen und wedelt wie ver-
rückt mit dem Schwanz, weil sie sich so freut, uns zu sehen.
Lady ist also ein toller Wachhund, wenn man davon ausgeht,
dass Einbrecher erschrecken, wenn sie angewedelt werden.
Vielleicht taugt es, wenn sie an Canophobie
leiden. (Für alle, die es interes-
siert: So nennt man die Angst
vor Hunden.) Aber wer an Ca-
nophobie leidet, wird vermut-
lich gar nicht erst Einbrecher.
Ich streichle Ladys Kopf, und
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sie setzt sich mir in den Weg, damit ich sie noch mehr streicheln
kann. »Netter Versuch, Lady, aber ich kann nicht den ganzen
Tag hier stehen bleiben und dich streicheln«, erkläre ich ihr. Na
ja, vielleicht noch eine Minute.
Lady hatte schon mehrmals Junge bekommen, als sie gefun-
den wurde. Sie war mal eine Streunerin. Im Tierheim wurde
sie dann kastriert, sodass sie keine weiteren Jungen bekom-
men kann, was Ryan und ich total schade finden.
Sie ist für uns völlig ungefährlich. Sie ist erstaunlich gut er-
zogen für ein ehemals wild lebendes Tier. Sie macht »Sitz«,
wenn man es ihr befiehlt, spielt gern mit uns und ist absolut
stubenrein.
Das einzige Problem ist ihre Vorliebe dafür, auf Sachen he-
rumzukauen. Aber ich bin sicher, dass das eine vorüber-
gehende Phase ist. So wie Dads Tomatenzucht und
Mums Spleen, uns zu zwingen, beim Heimkom-
men die Schuhe auszuziehen.
Schließlich gehe ich um Lady herum und in
die Küche, wo Mum Makkaroni mit Käsesauce
zubereitet, mit Superbillig-Nudeln und Superbillig-
Käse. Dad hat ihr gerade eine Tasse Tee gemacht.
»Und am Vogelhaus«, sagt Dad, der mich noch
nicht bemerkt hat, »habe ich heute acht neue Vögel
gesehen. Die fliegen total darauf, das kann ich dir sagen.«
»Toll.« Mum klingt völlig desinteressiert.
»Außerdem sind wir uns ja wohl einig, dass die neuen Ener-
giesparlampen, die Horace empfohlen hat, eine Menge ge-
bracht haben. Er ist wirklich großartig. Ich gehejetzt täglich
auf seine Website. Es fühlt sich gut an, endlich wieder etwas
für die Umwelt zu tun.«
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»Oh, hallo, Jess«, sagt Mum. »Dein Vater hat heute gute Neu-
igkeiten.«
»Acht Vögel am Vogelhaus? Der Wahnsinn!«, sage ich mit
leichtem Sarkasmus, als ich mich an den Tisch setze.
Mum ignoriert mich und wendet sich an Dad. »Das Essen ist
gleich fertig. Wo steckt Ryan?«
»Zuletzt habe ich ihn mit Lady im Wohnzimmer
gesehen«, antwortet Dad. »Er hat mal wieder
ein Raumschiff aus Sofakissen gebaut.« (Mein
kleiner Bruder ist verrückt nach Raum-
schiffen.)
»Oh nein«, seufzt Mum verärgert. »Wie-
so hast du ihn denn nicht davon abgehal-
ten?«
»Er sah dabei so glücklich aus«,
antwortet Dad.
»Na super«, murmelt Mum. »Und
das Mädchen für alles darf nachher wieder aufräumen.«
Toll, sie denkt immer noch, Mädchen für alles wäre ein ge-
eigneter Spitzname für sie. Vielleicht kann ich dem ein Ende
machen, indem ich ihr einen besseren Spitznamen gebe.
Ich räuspere mich. »Was gibt es? Was sind die tollen Neuig-
keiten, Big Mama?«, frage ich zuversichtlich.
»Wie hast du mich gerade genannt?« Mum fährt herum und
starrt mich entsetzt an.
War wohl kein Volltreffer. »Okay, mir fällt bestimmt ein bes-
serer Name ein«, erwidere ich versöhnlich. »Die Gedanken
sind frei.«
Mum wendet sich kopfschüttelnd ab und schüttet die Nu-
deln in ein Sieb. Ich kann sie leise murmeln hören: »Ich habe
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keine Zeit für so was … Was ist nur mit allen los? … Das ist
wirklich das Allerletzte.«
»Ich wollte dir nur einen Spitznamen verpassen«, er-
kläre ich.
»Ich brauche aber keinen Spitznamen«, er-
widert Mum. Na also!
»Was für einen Spitznamen könnte ich denn
haben?«, fragt Dad plötzlich interessiert.
»Nun, du tust gerne etwas für die Umwelt und
für Vögel«, sage ich. »Wie wäre es – nur mal so
spontan – mit … Der Biotopinator?«
Meine Eltern starren mich einen Augenblick lang fassungs-
los an. »Das lassen wir lieber«, sagt Mum.
»Mir fällt bestimmt noch was Besseres ein«, sage ich hastig.
»Die Gedanken sind frei.«
»Wie auch immer«, sagt Mum und ihre Stimmung hellt sich
auf. »Wir haben wunderbare Neuigkeiten. Jessica, dein Dad
hat eine Gehaltserhöhung bekommen und wir müssen nicht
mehr auf Sparkurs leben.«
»Echt? Aber das ist ja großartig!« Vor Freude hüpfe ich bei-
nahe auf und ab. Außerdem hat Mum gerade zugegeben, dass
wir immer noch auf Sparkurs sind, obwohl meine Eltern be-
hauptet haben, dass wir einfach nur »den Gürtel enger schnal-
len« würden.
Der Unterschied ist:
»Sparkurs« heißt, Mum kauft erst wieder frisches Essen,
wenn wir alles aufgebraucht haben, was der Kühlschrank und
die Vorratsschränke hergeben (meine Eltern haben als Nach-
tisch sogar einmal ein Stück ihreszwanzig Jahre alten Hoch-
zeitskuchens aufgetaut).
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