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Matthias Politycki lädt mit seinen neuen Gedichten in seine Hamburger Stammkneipe "Meisenfrei" und zu einer Grand Tour, bei der die Kellnerin, der Postbote und die Poesie des Sake, das Alltagsparlando am Tresen und der hohe Ton zu einem unverwechselbaren Sound zusammenfinden. Da steht eine Verkostungsnotiz neben einem formstrengen Sonett, ein klassisches Kalendergedicht neben einem Psalmlied und einem Objet trouvé aus einer rauschenden Nacht. Die Liebe, der Tod und die vermeintlichen Banalitäten des Alltags, die großen Umbrüche der Gegenwart und die mächtigen Aufreger am Tresen, hier sind sie frank und meisenfrei in Form gebracht.
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Seitenzahl: 58
Veröffentlichungsjahr: 2025
Matthias Politycki
99 Gedichte
Lyrik
Das Hamburger Meisenfrei war und ist meine Stammkneipe, auch wenn ich seit meinem Umzug nach Wien viel zu selten dort bin. Bei dezent nachgezapftem Jever habe ich hier dreißig Jahre lang immer wieder Notizen für Gedichte gemacht, habe mich mit meinem Lektor über die von ihm redigierten Gedichte gebeugt, und im März 2018 gab es hier sogar mal eine Lesung (s. Gedichte, die in jede Kneipe passen auf YouTube). Der vorliegende Band ist auch ein Dank an Fränki und Ilona – Wirt und Wirtin, wie man sie sich nur wünschen kann –, daß sie die Meise trotz aller Verlockungen des Zeitgeists bis heute als letzte richtige Kneipe im Hamburger Generalsviertel führen.
MP, 27/3/2025
Worauf wartet ihr noch?
Auf den nächsten Tag? Oder schon
Aufs übernächste Jahr?
Der Himmel über euch ist zerrissen,
Die Wasser sind über euch gekommen,
Die Erde hat sich aufgetan,
Euch zu verschlingen –
Und ihr seid immer noch da.
Worauf wartet ihr noch?
Auf die Niederkunft des Heiligen Geistes oder schon
Auf den Posaunenruf zum Jüngsten Gericht?
Ihr könntet aufstehen und den ersten Stein werfen
Oder wenigstens eure Knochen zusammenklauben
Und eine neue Religion verkünden –
Worauf wartet ihr noch?
Südpolarmeer
Wenn man sich etwas ausdenkt,
worüber man so staunen würde,
daß man’s nie mehr vergißt, dann …
stellt man sich wahrscheinlich Eisberge vor,
oder nicht? Und die wirst du sehen!
Aber erst mal stell’ ich mir vor,
wie die Sonne für dich
bald nicht mehr untergeht, und
wie du die ersten Eisschollen siehst,
Vorboten des großen Schweigens
in Weiß und in Blau.
Hoffentlich hast du stets
sanfte Winde von achtern und
Albatrosse hinterm Heck.
Wenn du dann die ersten Pinguine siehst,
guck ein bißchen für mich mit, ja?
Daß du dabei ein warmes Hemd anhast,
wünsch’ ich mir auch.
Lac Abbé, Dschibuti
Nichts als die heißen Wasser hörst du, die
am Fuß der Kalksteinkegel brodeln, siehst, wie sie
als Schwefelschwaden steigen. Noch
sind nur die finstren Mächte hier versammelt. Doch
schon liegt ein Streifen auf dem Horizont, hellblau,
von dunklem Glühen überwölbt. Und schau,
wie, herzlos schnell, die Sonne aufgeht, gleiten
zwei Wildgänse, knapp überm Grund, vorbei,
und was verzaubert bis jetzt war, erwacht mit ihrem Schrei.
Wären’s zwei Einhörner gewesen, die beizeiten
vorübergaloppiert wär’n aus vergangenem Jahrhundert,
es hätte dich kein bißchen mehr verwundert.
Kariakoo, Daressalam
Bleib einfach liegen
und hör hin.
Die Tauben, die Raben, die Hunde.
Zum Sonnenaufgang der Imam.
Das Hupen der Autos.
Das einsetzende Geschrei der Händler.
Abends das Lachen der Huren im Hof.
Das schrappende Rasseln der Münzen
in der Hand des Zigarettenverkäufers,
von ferne sein Kommen schon kündend.
Dann wieder der Imam. Und noch einmal.
Leis die Musik, leis das Gelächter.
Das laszive Schleifen der Schlappen,
wenn eine der Frauen übern Flur geht.
Und immer dazu
dein bester Freund,
der Ventilator.
Aus Gregor Schattschneiders nachgelassenen Papieren
Übrigens trage ich gerade das Hemd,
das du mir zum Geburtstag geschenkt,
und schreibe diese Zeilen
mit dem kleinen Silberstift, den ich,
einfach mal so, von dir bekam
Aber wenn ich dich jetzt anriefe
und es dir sagte,
was würde das ändern?
Ich könnte aus dem Glas trinken,
könnte mich in das Taschentuch schneuzen,
könnte den Schal umlegen,
die Handschuhe anziehen oder
ein anderes Hemd,
könnte noch viele weitere Dinge
benützen oder wenigstens benennen,
die du mir irgendwann geschenkt
Aber auch wenn ich sie jetzt
alle zusammentrüge,
auf daß ich staune, daß es ihrer
weit mehr noch sind
als gedacht
Sie werden es,
nein,sie werden es
nicht ändern.
Eines Tages
werde ich aufwachen
und wissen, daß es
so weit ist.
Dann werde ich dich anrufen,
doch bevor ich dich fragen kann,
wirst du mir schon
deine Antwort geben: Du,
ich muß dir was sagen …
Aber ja doch, werde ich dir
ins Wort fallen und dabei
erstaunlich beiläufig bleiben,
ich weiß schon,
brauchst nichts zu sagen.
Noch Wochen später war ich ganz benommen
von dir, von siebzehn Tagen, die so übervoll
an Augenblicken war’n und wir so jung und toll
vor Glück. Bin nie darüber weggekommen.
Wir hatten keine Zukunft, nur die Gegenwart.
Wir waren schnell und fest und klar und weit.
Wir war’n für alles sagenhaft bereit,
für jedes Wunder, das uns offenbart.
Beim Abschied warst du noch mal richtig smart.
Danach war ich nur blind und taub und hart
zu allem. Ich war völlig leer.
All meine Worte waren weg und meine Träume schwer.
Nur siebzehn Tage, Nächte hatten wir zu zweit.
Das war’s dann, was wir kriegten von der Ewigkeit.
soff ich nicht mal.
Vom Billigbier
bis zum Champagner
war mir alles ganz gleich.
Ich sah durch jeden durch,
und manchmal lachte ich so laut,
daß die Eichhörnchen davonstoben.
Ich war furchtbar gut drauf.
Doch von einem Tag zum andern hörte ich
auch damit auf. Vielleicht war ich
ein Briefbeschwerer geworden oder ein Brillenetui,
ein kleiner Bernstein mit Blasen darin,
es war mir ganz gleich.
Die toten Fliegen auf den Fensterbrettern
wollen eingesammelt werden.
Der Staub auf den Regalen drängt mich,
etwas hineinzuschreiben und gleich drauf wegzuwischen.
Mitunter, unvermutet, muß ich an deine Hände denken,
vielleicht auch nur an deine Fingernägel.
Aber ganz selten bloß, ganz kurz.
Denn ich bin sehr beschäftigt.
Der so gern dein Freund wäre
Oder wie der kleine
Rosenstock draußen
Auf dem Balkon
Im Oktober
Vom Winde zerzaust
Voller Knospen
Die noch einmal
In diesem Jahr
Für dich blühen wollen
Darüber ein Himmel voll Krähen
Und durch die Gassen
Beständig aus Ost und
Tagaus und tagein und
Von morgens bis abends
Der Wind der so gerne
Dein Freund wäre
Aber das wäre
Die Rose
wohl auch
In ihren letzten Monaten
schrumpfte sie zu einem Häuflein
Haut und Knochen.
Umso riesiger die Augen,
mit denen sie, glasigen Blicks,
durch die Dinge hindurchsah.
Saß ich mit ihr beisammen,
wollte sie nur immer wieder umarmt
und festgehalten werden.
Keine meiner Fragen beantwortete sie mehr.
Längst hörte sie anderes.
Fuhr ich sie im Rollstuhl spazieren,
sah sie reglos geradeaus
auf das Stück Himmel,
das sie sich ausgeguckt hatte.
Ein Mittwochvormittags-Entschluß
Schlafen, schlafen, nichts als schlafen
einen Tag lang, eine Nacht,
schlafen, schlafen, schlafen, schlafen,
wie ein Tier, das erst erwacht,
wenn verheilt ist und vergessen,
was es eben hat durchmessen
müssen, was ihm fast das Leben
abgejagt. Infolgedessen
schläft es, schläft und schläft und schläft
Tag und Nacht und Nacht und Tag …
Und auch du kannst nur noch schlafen
wie ein Tier, das nichts mehr mag
als von Traum zu Traum entgleiten,