Meister Breugnon - Romain Rolland - E-Book

Meister Breugnon E-Book

Romain Rolland

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Beschreibung

Clamecy im Burgund, zu Beginn des 17. Jahrhunderts: Meister Breugnon ist Holzschnitzer, Philosoph und Lebenskünstler – ein Mann, der trotz Pest, Krieg und persönlicher Schicksalsschläge nie seinen Humor verliert. Mit scharfem Witz und warmherziger Ironie erzählt dieser unverwüstliche Handwerker aus seinem bewegten Leben. Zwischen Werkstatt und Weinberg, inmitten der Wirren der religiösen Bürgerkriege, bewahrt sich Breugnon seine innere Freiheit. Er liebt das Leben in all seinen Facetten: die Arbeit seiner Hände, gutes Essen, ein Glas Wein, die Schönheit der Natur und vor allem die Menschen um ihn herum – auch wenn sie ihn manchmal zur Verzweiflung treiben. Romain Rolland erschafft mit dieser zeitlosen Erzählung ein literarisches Denkmal für den unbeugsamen menschlichen Geist. "Meister Breugnon" ist mehr als eine historische Figur – er ist ein Symbol für die Kraft der Freude, die selbst in den dunkelsten Stunden nicht erlischt. Ein Roman voller Lebensweisheit, Humor und tiefer Menschlichkeit – ein Klassiker, der auch heute noch berührt und inspiriert.

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Seitenzahl: 354

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Meister Breugnon

 

ROMAIN ROLLAND

 

 

 

 

 

 

 

Meister Breugnon, R. Rolland

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783988682734

 

Übersetzer: Erna und Otto Grautoff

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Ein Wort an den Leser1

Die Lerche von Mariä Lichtmess. 3

II. Die Belagerung oder Der Schäfer,13der Wolf und das Lamm.. 13

III. Der Pfarrer von Brèves. 29

IV. Der Bummler oder Ein Frühlingstag. 43

V. Belette. 61

VI. Die Zugvögel oder Die Serenade von Asnois. 82

VII. Die Pest92

VIII. Der Tod der Alten. 104

IX. Das abgebrannte Haus. 113

X. Der Aufruhr124

XI. Der Possen, so man dem Herzog spielte. 140

XII. Andrer Leute Haus. 150

XIII. Plutarch-Lektüre. 160

XIV. Der König trinkt169

 

Ein Wort an den Leser

 

Die Leser des «Johann Christof» sind auf dieses neue Buch sicherlich nicht gefasst. Immerhin wird es sie nicht mehr überraschen als mich selbst.

Ich arbeitete an anderen Werken – einem Drama und einem Roman – über zeitgenössische Themen und in der etwas tragischen Atmosphäre des Johann Christof. Plötzlich musste ich alle Aufzeichnungen, alle vorbereiteten Szenen liegenlassen – zugunsten dieses heiteren Werkes, an das ich noch am Tage vorher nicht gedacht hatte.

Es bedeutet eine Reaktion gegen den zehnjährigen Zwang in der Rüstung des Johann Christof, die, anfänglich nach meinem Maß geschnitten, mir schließlich zu eng wurde. Ich fühlte ein unwiderstehliches Bedürfnis nach gallischer Fröhlichkeit – ja sogar nach Übermut. Zu gleicher Zeit ließ mich ein Besuch des Heimatbodens, den ich seit meiner Jugend nicht wiedergesehen hatte, von neuem Fühlung nehmen mit meiner Niverner Burgundererde; sie weckte eine Vergangenheit in mir, die ich für immer entschlafen glaubte, erweckte alle die Colas Breugnons, die in meiner Haut stecken. Ich musste für sie das Wort ergreifen. Diese verflixten Schwätzer haben zu ihren Lebzeiten noch nicht genug geredet! Sie machten es sich zunutze, dass einer ihrer Urenkel das glückliche Vorrecht besitzt, schreiben zu können (wie oft haben sie ihn darum beneidet!); und so nahmen sie mich zum Sekretär. Ich konnte mich noch so sehr wehren:

«Schließlich ist deine Zeit um, Großvater, lass mich jetzt zu Worte kommen. Einer nach dem anderen.»

Sie erwiderten:

«Junge, du wirst nach uns auch noch reden können. Zunächst hast du nichts Interessanteres zu erzählen. Da setz dich hin, höre zu und lass dir kein Wort entgehen ... Los, mein Söhnchen, tue es deinem Alten zuliebe. Später, wenn du dort angelangt sein wirst, wo wir sind, wirst du einsehen, ... das Unangenehmste am Tode, siehst du, ist das Stillschweigen ...»

Was tun? Ich habe mich fügen müssen, ich habe nach dem Diktat geschrieben.

Jetzt ist es vorüber, und ich bin wieder frei (wenigstens glaube ich es). Ich werde meine eigene Gedankenfolge wieder aufnehmen können – es sei denn, einem meiner alten Schwätzer fiele es bei, noch einmal aus dem Grabe aufzustehen, um mir seine Briefe an die Nachwelt zu diktieren.

Wage ich auch nicht, zu glauben, dass die Sippschaft meines Colas Breugnon die Leser ebenso wie den Verfasser ergötzen wird, so mögen sie wenigstens dieses Buch ganz als das hinnehmen, was es ist: ganz ehrlich, ganz in sich geschlossen, ohne Anspruch, die Welt umzuwandeln, noch sie zu deuten, ohne Politik, ohne Metaphysik – ein echt franzmännisch Buch, das über das Leben lacht, weil ihm das Leben gut erscheint und weil es ihm wohl ergeht. Kurz, wie die Jungfrau von Orleans sagt (ihr Name musste unbedingt am Anfang einer gallischen Erzählung angerufen werden): «Freunde, nehmet es gutwillig auf.»

Romain Rolland

 

 

Die Lerche von Mariä Lichtmess

 

2. Februar, am Tage Mariä Lichtmess

Gelobet sei der heilige Martinus! Mit den Geschäften ist es aus und vorbei. Ein eitles Tun wär's, sich noch weiter abzurackern. Ich habe in meinem Leben genugsam gearbeitet. Jetzo will ich mir's ein wenig wohl sein lassen. Da sitze ich an meinem Tische nieder, rechts einen Humpen Wein, links das Tintenfass. Vor mir liegt ein gar schönes neues Heft, das mir zum Schreiben winket. Zum Wohl, alter Junge, nun lass uns schwatzen! Unten belfert meine Frau. Draußen bläst der Nord, und von fern dräuet der Krieg. Nur zu, lass sie! ... Wie prächtig, dass wir endlich einander wiederhaben, mein vielgeliebter alter Dickwanst, und selbander uns gegenübersitzen. (Zu dir rede ich, altes Weingesicht, du farbenstrotzende, frohgemute Fratze, darinnen ganz schief, gleich einem Hute, den man aufs Ohr gestülpt hat, die lange Nase sitzt, dran man die Leute aus Burgund erkennt.) Doch kannst du mir erklären, welch absonderliche Lust es für mich ist, dich wiederzusehen, mich ungestört in dein altes Angesicht zu vertiefen, fröhlich in seinen Runzeln zu lustwandeln und mich an den alten Erinnerungen zu laben, die aus meinem Herzen sprudeln gleichwie aus einem Brunnen (pfui, welch ein Vergleich!), gleichwie aus einem vollen Fasse meines Kellers! Träumen, solches geht ja noch an, aber niederschreiben, was man träumt! Träumen, was rede ich nur? Meine Augen mit etlichen Falten an den Schläfen stehen weit offen, sind voller Ruhe und Spottlust. Mögen andere an krausen Träumen sich ergötzen. Ich erzähle nur, was ich gesehen, was ich gesagt und getan habe. Ist solches aber nicht Narrheit? Für wen schreibe ich denn? Gewisslich nicht des Ruhmes wegen. Ich bin kein Esel, ich weiß, Gott sei gelobt, was an mir ist. Für meine Kindeskinder? Was wird von all meinem Geschreibsel denn in zehn Jahren noch geblieben sein? Meine Alte ist ohnedies eifersüchtig darauf und verbrennet, was sie findet. Für wen also? Ei, für mich selbsten und weil es mir also beliebet. Schreibe ich nicht, so platze ich. Nicht umsunst bin ich der Enkel meines Großvaters, jenes alten Breugnon, der nicht einzuschlafen vermochte, so er nicht, bevor er sich aufs Ohr legte, angeschrieben hätte, wie viele Maß er getrunken und – wieder von sich gegeben. Mir tut es not, zu reden, und in meinem Clamecy ist mitnichten Überfluss an Leuten, die solches gleichermaßen verstehen. Schweigen drückt mir das Herz ab, wie einst dem Bartkratzer des Königs Midas. Meine Zunge ist gar lose, und wenn man mich hörete, könnte ich leicht in den Geruch eines Ketzers kommen. Sei's drum! Wollte man nicht hie und da dem Ungemach Trotz bieten, erstickete man im Trübsinn. Mir ist es eine Kurzweil, am Abend, gleichwie unsere großen weißen Ochsen ihr Futter, meine tägliche Atzung wiederzukäuen.

Wie gut tut es, alles nachschmecken, nachkauen, durchschmatzen, durchdenken, so man tagsüber gedacht, beobachtet, aufgeschnappt hat; es wieder und wieder zu kosten, auf der Zunge es zerschmelzen zu lassen, indes man es sich erzählt; bedachtsam zu genießen, was man in Ruhe nicht genießen konnte, dieweil man sich hasten musste, es im Fluge zu erhaschen. Es tut gar wohl, solchermaßen einen Rundgang durch die eigene kleine Welt zu machen und sich zu sagen: Dieses ist mein eigen, hier bin ich unumschränkter Herr und Gebieter. Nicht Kälte noch Frost haben Gewalt darob. Nicht Könige noch Päpste noch der Krieg! Nicht einmal meine belfernde Alte.

Doch jetzo will ich einmal Umschau halten in dieser selbigen Welt.

Zuvörderst ist da, und solches ist wohl die Hauptsach bei der Angelegenheit: ich selbsten. Ich, Colas Breugnon, ein braver Bursche aus Burgund, gesund und kugelrund, vorn und hinten gut imstande, mitnichten im ersten Jugendglanz, dieweil die Fünfzig bereits geraume Weile überschritten sind, aber lendenstramm, mit festen Zähnen, klaren Augen, frisch wie ein Fisch im Wasser und mit Haaren, die, obwohl ein weniges grau, noch festiglich am Kopfe sitzen. Hiemit will ich nicht sagen, es wäre mir nicht lieber, so sie blond wären; desgleichen wollte ich nicht den Spröden spielen, so man mir böte, zwanzig oder dreißig Jahre noch einmalen zu leben. Jedoch zehn Lustren sind ein gut Ding. Spottet nur, ihr Grünschnäbel, jeder bringt es mitnichten soweit. Vermeint ihr, es sei ein kleines, wenn man seine Knochen fünfzig Jahre hindurch zu heutiger Zeit auf allen Wegen Frankreichs hat spazieren geführt? Heiliger Gott! was hat unser Buckel alles zu kosten bekommen an Sonne und Regen; hin und her geschleudert sind wir, Freundlein, wieder und wieder ausgekocht und dann von neuem ausgewaschen sind wir, etliches ist in diesen gegerbten Ranzen hineingestopft worden an Freuden und Trübsalen, an lustigen Bosheiten, an Erfahrungen und Narreteien, an Weizen und Spreu, an sauren Trauben und süßem Wein, an Rosen und Dornen, an unterschiedlichen Dingen, die man erlebt, erlitten, erfahren, erdacht, erstritten hat. Alles dies ist kunterbunt über und drüber in unseren Ranzen gepackt. Welch eine Lust, darin zu wühlen! Doch Geduld, Colas! Morgen ist auch noch ein Tag, wir wollen morgen darin herumstöbern. So ich heute damit anfange, werde ich nicht endigen. Jetzund wollen wir das Inventarium aller Habseligkeiten, deren Herr und Eigentümer ich bin, weiter aufnehmen.

Also, mein ist ein Haus, ein Weib, vier Buben, ein Weinberg, eine (Gott sei gelobt) verheiratete Tochter, ein Eidam (solcher lässt sich nicht umgehen), achtzehn Enkel, ein grauer Esel, ein Hund, sechs Hühner und ein Schwein. Potz Wetter, bin ich reich! Setzen wir nunmehro die Brille fein ordentlich fest, auf dass wir unsere Schätze besser betrachten. Deren letzte nenne ich, um die Wahrheit zu ehren, nur noch in zärtlichem Gedenken. Der Krieg hat sich darüber hergemacht, die Soldaten, der Feind und ... die Freunde gleichermaßen. Der Esel lahmt, das Schwein ist gepökelt, die Hühner gerupft, der Wein getrunken.

Aber das Weib, das habe ich noch, bei Gott, ich habe es wahrlich. Hört es nur unten zetern! Unmöglich, dies mein Glücke zu vergessen. Selbig holdes Wesen ist mein, gänzlich mein, gehöret mir zu Erb und Eigen. Du bist ein Glückspilz, Breugnon, alle Welt beneidet dich darumb. So euch darnach gelüstet, werte Herren, greifet zu, dafern einer von euch sie haben möge! Ein Weib, sparsam, emsig, rechtschaffen, ehrbar, kurz, mit allen Tugenden gemästet. (Dicker ist sie davon bislang nicht worden, und ich gesteh, ich arger Sünder, eine dralle, dicke Sünde wäre mir annehmlicher denn sieben magere Tugenden ... Aber was hilft's, seien wir ein tugendhafter Mann, dieweil man's nicht besser haben kann, also ist Gottes Wille, du halt stille.) Hui, wie sie sonder Ruh umherhastet, unsre Marie Anmutlos! wie die das Haus mit ihrem dürren Körper schier erfüllet; murrend, brummend, knurrend, grunzend stöbert und klettert sie vom Keller bis zum Boden und verjaget den Staub samt der Friedsamkeit. Nunmehr sind wir bald dreißig Jahre verheiratet. Weiß der Teufel, warum! Ich liebete eine andere, so sich über mich lustig machte; diese aber wollte mich, mich, der ich doch von ihr mitnichten was wissen wollte. Dazumal war sie ein kleines, blasses, braunes Dirnlein mit harten Augen, die wollten mich bei lebendigem Leibe schier auffressen und brannten gleichwie zwei Tropfen des Wassers, das selbst den Stahl zerfrisst Sie liebte mich, liebte mich zum Sterben toll und heiß. Schließlich, dieweil sie mich schier nicht mehr losließ (wie dumm die Männer doch sind), ein weniges aus Mitleiden, ein weniges aus Eitelkeit, ein gut Teil aus Nachgiebigkeit und letztlich, um solcher Belagerung (ein gar treffliches Mittel!) ledig zu werden, machte ich's wie Jean de Vrie, der ins Wasser ging, auf dass der Regen ihn nicht nässe, und wurde ihr Mann. Seither habe ich sie gänzlich zu eigen, habe die Tugend in persona im Haus, und sie, sie lässt mich's büßen, die wonnesame Kreatur. Was nur? Dass sie mich geliebt hat. Sie bringet mich zur Raserei, oder sie mühet sich doch darum, aber es ist ihr zu nichts nütze. Ich liebe meine Ruhe, und ich bin nicht also dumm, dass ich leerer Worte willen mir tät einen Deut Kümmernis machen. Regnet's, lass ich's ruhig regnen, pfeift der Sturm, pfeif ich ein Lied, schmälet sie, gibt keine Ruh, nun, so lache ich dazu. Warum sollt ich mich vermessen, sie, dieses Weib, davon abzuhalten. Ich will sie gewisslich nicht umbringen. Allwo ein Weib, da ist Streit. Möge sie nach ihrer Weise selig werden, ich werd's auf die meine. Es sei denn, dass es ihr beifiele, mir das Maul zu verbieten, doch dessen hütet sie sich weislich, sintemalen sie die Erfahrung hat, dass es sie teuer zu stehen kommt; möge sie ruhig weiterzwitschern: es hat jeder sein eigene Weis.

Übrigens, sind die Instrumente auch nicht sonderlich aufeinander gestimmt, so haben wir dennoch gar hübsche Stücklein darauf selbander exekutieret: eine Tochter und vier Buben. Allesamt fest und derb gebaut. Nicht an Stoff und nicht an Mühe habe ich gespart und gute Arbeit geliefert. Desohngeachtet finde ich in der ganzen Hecke einzig und allein in der Schelmin Martine, meiner Tochter, die Saat, die ich säte, gänzlich wieder. Der Racker! Welche Mühsal hat es gekostet, bis ich sie sonder Schiffbruch glücklich in den Hafen der Ehe gebracht habe. Uff! Nun hat sie Ruhe! Wohl darf man nicht allzu fest darob bauen, doch dieses ist nimmer meine Sache. Ich habe lange genug müssen aufpassen und ihr nachlaufen. Jetzo ist die Reihe an meinem Eidam Florimond, dem Zuckerbäcker. Nunmehr soll er auf seinen Ofen passen. Wir zanken uns, allwo wir uns sehen, doch ist niemand, mit dem ich mich besser verstünde. Ist ein braves Mägdelein und ohngeachtet etlicher toller Streiche auf sich bedacht und wohlanständig, dafern es bei der Anständigkeit zu lachen gibt, denn ihrem Sinn zufolge ist das größeste der Laster die Langeweile. Arbeit scheut sie mitnichten. Arbeit ist Kampf, und Kampf ist Leben, und sie liebet das Leben. Sie weiß das Gute zu finden gleichwie ich. Sie hat mein Blut, nur hab ich sie, als sie entstund, allzu freigebig damit bedacht.

Die Buben sind mir nicht also gut geraten, da hat die Mutter zu viel mitgeholfen, und der Teig ist geronnen. Von den vieren sind zwei Frömmler gleichwie sie, und überdies frömmelt jeder woanders. Der eine steckt allzeit mit den Schwarzröcken, den scheinheiligen Pfaffen, zusammen, und der andere hält's mit den Hugenotten. Ich frage mich oftmals, wie diese Enten auf meinen Hühnerhof geraten sind. Der dritte ist Soldat, betreibt das Kriegshandwerk, strolcht umher, ich weiß niemalen recht wo, und der vierte endlich ist nichts, schier gar nichts, ein kläglicher kleiner Krämer, und Schafskopf. So ich nur seiner denke, fange ich an zu gähnen. Nur derweil wir mit Messer und Gabel hantieren, derweil wir allesamt, sechs Mann hoch, um meinen Tisch herumsitzen, erkenne ich mein Geschlecht wieder. Bei Tische schläft mir keiner, da sind wir ein Herz und eine Seel, und es ist ein prächtiger Anblick, wann wir sechs mit den Kinnladen arbeiten, das Brot mit kräftigen Fäusten brechen und den Wein sonder Seil und Schrotleiter in die Tiefe befördern.

Nach den Insassen lasset uns nunmehro vom Hause sprechen. Es ist auch mein Kind. Ich habe es Stück für Stück eigens, und zwar dreimalen und nicht einmalen, gebaut, am schönen, fetten, grünen, mit Erde und Mist wohlgedüngten Ufer des Beuvron. Es steht zuvorderst am Anfang der Vorstadt, jenseits der Brücke, die einem kurzbeinigen Dackel gleichsieht, so über dem Wasser lieget und sich den Bauch netzet. Ihm genüber erhebt sich stolz und leicht der Turm von Sankt Martin mit seinem bestickten Gewand und seinem überblühten Portal, zu dem steil und altersgrau die Stufen von Alt-Rom emporsteigen, als ginge es stracks ins Paradies. Mein Schneckenhaus, mein ärmliches Hüttlein, lieget außerhalb der Mauer, und also geschiehet es, dass allemal, so man vom Turm einen Feind erspähet und die Tore schließet, der Feind nur bis zu mir kommt. Schwatze ich auch gerne, solches sind Besuche, deren ich entraten könnte. Mehrstens mache ich mich davon und lege den Schlüssel auf die Schwelle der Tür. Doch komme ich heim, so geschieht es, dass ich weder Schlüssel noch Tür wiederfinde und nur die vier Wände geblieben sind. Dann fang ich von neuem zu bauen an. Man sagt mir:

«Du Dummkopf, du arbeitest für den Feind. Lass deine Kate allwo sie ist, komm in die Stadt. Dorten bist du wohl geborgen.»

Ich antworte:

«Heidideldi! Mir behagt's, allwo ich nun einmal bin. Ich weiß wohl, hinter einer dicken Mauer war ich sorgsamer geschützet, doch was sehe ich hinter einer dicken Mauer? Die Mauer. Ich würde allda vor Langeweile vergehen. Ich brauche Freiheit. Ich muss mich am Ufer meines Beuvron ins Gras strecken können, ich muss, dafern ich nicht arbeite, von meinem Gärtlein aus das Glitzern seines Gewässers sehen können, betrachten, wie die Fische an seiner Oberfläche nach Luft schnappen und die langen Gräsersträhnen auf seinem Grunde schwanken, ich muss darein fischen, meine Lumpen darein waschen und meinen Unrat darein leeren können. Und überdies, ich hab in guten und bösen Tagen dort gehaust, nun ist's zu spät, umzuziehen. Ärgeres denn bisher kann mir nimmer geschehen. Das Haus wird zu anderen Malen zerstört werden, sagt ihr? Schon möglich, liebe Leute, ich will ja nicht für die Ewigkeit bauen. Doch allwo ich einmal eingewurzelt bin, da ist's, bei meinem Leben, nicht leicht, mich wieder loszureißen. Zu zween Malen hab ich es wieder aufgebaut, ich werd's noch zehnmalen tun, so es nötig ist. Nicht zwar, dass ich sonderlich Spaß daran hätte; doch es würde mich zehnmal tiefer kränken, wenn ich umziehen müsste. Ich würde mir gleich einem Körper ohne Haut erscheinen. Ihr bietet mir eine neue, schönere, weißere? Sie würde Falten werfen oder platzen. Nein, nein, die meine ist mir lieber.»

Also in summa: Weib, Kinder, Haus. Habe ich hiemit alles Meine aufgezählt? Nein, das Beste stehet noch aus, das habe ich bis zuletzt aufgespart: mein Handwerk ist noch übrig. Ich gehöre zur Zunft von St. Annen, bin Schreiner. Bei Leichenbegängnissen und Prozessionen trage ich den Stab, mit Zirkel und Leier gezieret, darob die Großmutter unseres lieben Herrn zu sehen ist, wie sie ihre Tochter, die holdselige Jungfrau, da sie ein Kind war, im Lesen unterweist.

Bewaffnet mit Hacke, Stemmeisen, Meißel und Hobel, schalte ich an meinem Werktisch nach meinem Willen mit der knorrigen Eiche und dem glatten Nussbaum. Was werde ich daraus erstehen lassen? Das bestimmt nur meine Laune und das Geld meiner Kunden. Wie mannigfache Formen schlummern wartend und verborgen darinnen! Um Dornröschen zu wecken, tut nur vonnöten, gleich dem Prinzen weit genug ins Gehölz vorzudringen. Aber die Schöne, so ich unter meinem Hobel hervorzaubere, ist kein Zierpüppchen. Lieber denn eine dürre Diana, dran hinten und vorn nichts ist, wie sie jene Italiener darstellen, ist mir ein dunkel gebeiztes, wuchtiges Burgunder Hausgerät, üppig und quellend, mit Früchten beladen gleich einem Weinberg, eine schöne bauchige Truhe, ein geschnitzter Schrank, in der herben Art des Meisters Hugues Sambin. Ich bekleide die Zimmerwände mit Paneelen und Gesimsen. Ich lasse Wendeltreppen sich ringeln und geräumige, kernfeste Möbel gleich Äpfeln aus einem Spalier aus den Wänden herauswachsen; die passen prächtig an den Platz, allwo ich sie aufpfropfe. Jedoch meine Erquickung und beste Herzfreude ist, so ich die fröhlichen Gebilde meiner Phantasie zu Papier bringen kann, eine Bewegung, eine Gebärde, einen gebeugten Rücken, einen schwellenden Busen, blühende Voluten, eine Girlande, irgendwelche Grotesken oder, so es mir glückt, die Fratze eines Vorüberwandernden, die ich im Fluge auffange und auf meinem Zeichenblatt festnagele. Ich habe auch (und dieses ist mein Meisterstück) zu meinem eigenen und unseres Herrn Pfarrers Ergötzen die Chorstühle der Kirche von Montreal geschnitzt, darauf zwei Bürgersleute, am Tisch sitzend, sich bei ihrem Henkelkrug verlustieren und miteinander anstoßen, indes zwei Löwen sich brüllend um einen Knochen raufen.

Arbeiten und darnach trinken, trinken und darnach arbeiten, welch köstlich Leben! ... Um mich her sehe ich missvergnügte Toren, die sagen mir, ich habe einen feinen Augenblick erwählet, um zu singen und lustig zu sein, sintemalen wir in gar bösen Zeitläuften lebten ... Ach, es gibt keine bösen Zeitläufte, es gibt nur böse, traurige Gesellen. Zu selbigen, gottlob, gehöre ich mitnichten. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, also wird es allzeit bleiben. Ich lege meine Hand ins Feuer, dass unsere Urenkel in vierhundert Jahren noch gleichermaßen erpicht sein werden, einander in die Haare zu fahren und das Fell zu gerben. Ich sage auch nichts, dass sie nicht vierzig neue Arten erfunden haben werden, es gründlicher zu machen denn wir. Aber ich stehe dafür, dass sie keine neue Art des Trinkens erfinden werden, und leugne gewiss, dass sie solches besser verstehen werden denn ich. Wer mag sagen, was die Schelme in vierhundert Jahren beginnen werden! Kann sein, dass sie, vermöge des Krautes des Pfarrers von Meudon, des wundersamen Pantagruelion, es fertig bringen, die Gefilde des Mondes, die Schmieden der Blitze und die Schleusen des Regens zu besichtigen, im Himmel Quartier zu nehmen und mit den Göttern Zechgelage zu halten ... Wohl! Da gehe ich mit ihnen. Stammen sie nicht aus meinem Samen, sind sie nicht meines Blutes? Schwärmt lustig umher, kleine Schäker; indes, an meinem Platz ist es sicherer. Wer sagt mir gut, dass der Wein in vierhundert Jahren gleich vorzüglich ist wie heute?

Mein Weib hält mir vor, ich sei ein arger Schlemmer. Mitnichten! Ich weiß nur alles zu würdigen. Ich liebe alles Gute: gutes Essen, guten Wein, die saftigen Freuden und die zarten, duftigen, so man nur im Traume auskostet. Ich liebe das göttliche Nichtstun, dieweil man da am tätigsten ist. Da ist man Herr der ganzen Welt, ist jung, schön, ein Eroberer, erschafft die Welt neu, hört das Gras wachsen und pflegt Zwiesprache mit Bäumen, Tieren und Göttern. Und ich liebe meinen alten Gefährten, der mich nimmer im Stich lässt, dich, meinen Freund, meinen Pylades, dich, mein Schaffen!

Wie wonnesam ist es, mit dem Werkzeug in der Hand am Arbeitstisch zu stehen, wie herrlich, den schönen festen Werkstoff, so da widerstrebet und sich dennoch formen lässt, zu sägen, zu schneiden, zu hobeln, zu stutzen und auszuhöhlen, wieder zusammenzusetzen, zu feilen, zu zerreiben und von neuem zu binden; also das weiche, feste Nussholz, das unter der Hand wie ein Feenleib bebt, gleichermaßen jeder Hülle bloß, die blonden und rosigen, die braunen und goldigen Körper der Nymphen unserer Wälder, die die Axt gefällt hat. Welche Freude verschafft die sichere Hand, welche Freude die geschickten Finger, diese groben Finger, aus denen emporsteiget das zarte Werk der Kunst! Welche Freude für die Seel, die Elemente der Erde zu beherrschen, dem Holz, dem Eisen, dem Stein den Stempel ihrer edlen Einfälle aufzudrücken! Ich fühle mich gleich dem Herrscher eines Feenreiches. Mein Feld nähret mich mit seiner Kraft, mein Weinberg tränket mich mit seinem Blut, alle Geister guter Säfte lassen meiner Kunst zuliebe die schön gegliederten Bäume, so meine Finger kosen werden, heranwachsen, lassen sie länger und stärker werden, sich strecken und glätten. Meine Finger sind willfährige Diener, regiert von meinem Obergesell, meinem alten Gehirn, das, selbsten mir untertänig, nur das Spiel leitet, das da meinen Träumen gefällt. Wer war je besser bedient als ich? O welch trefflicher kleiner König! Sollte ich da nicht mein Wohl trinken? Aber vergessen wir derweil nicht (ich bin nicht undankbar) meine braven Untertanen. Gesegnet sei der Tag, der mich geboren! Gar herrliche Dinge hat diese runde Erde, so da fröhlich anzuschauen und mit Behagen zu genießen sind. Herrgott, wie ist das Leben schön! Ich mag mich noch so voll damit stopfen, immer noch hungert mich darnach, immer noch lechze ich darnach. Ich muss krank sein. Zu welcher Stunde des Tages es sei, immer läuft mir das Wasser im Munde zusammen, so ich an den Tisch denke, den mir Erde und Sonne gar herrlich gedeckt haben.

Aber ich bin ein Prahlhans, Gevatter! Die Sonne ist verstorben, es friert in meinem Reich. Der Teufelskerl, der Winter, hat in meinem Zimmer Einzug gehalten. Die Feder taumelt in meinen erstarrten Fingern. Gott bewahre mich! Ein Eiszapfen bildet sich in meinem Glase, und meine Nase wird schier weiß: schauderhafte Couleur, eine wahrhafte Kirchhofslivree! Ich mag das Blasse nicht ausstehen! Hallo, machen wir uns ein wenig Bewegung! Die Glocken von Sankt Martin läuten und klingen. Heute ist der Tag Mariä Lichtmess. «Nun enteilet der Winter, oder er sammelt frische Kräfte.» Der Erzschurk! Er sammelt wahrlich frische Kraft. Nun wohl, machen wir's gleich ihm. Ich werde auf die Landstraße gehen und mich Aug in Auge ihm gegenüberstellen ...

Eine schöne Kälte! In meine Backen sticht's gleich hundert Nadeln. An der Wegkreuzung liegt der Nordwind auf der Lauer und zaust mir den Bart. Jetzo glühe ich, Gott sei Dank, und meine Haut zeiget wieder ihre ganze Pracht. Gar gerne höre ich die hartgefrorene Erde unter meinem Schritt klingen. Ich fühle mich zu jedwedem tollen Streich gelaunt. Was wollen die Leute alle mit ihren kläglichen, unholden Mienen?

Wohlan, Nachbarin, seid wohlgemut, wer hat Euch in Zorn gebracht? Der Wind, der Schalk, der Euch die Röcke aufhebt? Er tut recht daran. Er ist jung, ich wollte, ich wär's auch. Er packt an der rechten Stelle zu, der Schelm, der Schlemmer, er weiß, allwo die besten Bissen zu finden sind. Geduld, Frau Gevatterin, leben und leben lassen! Und wohin denn so eilend, als wenn der Teufel Euch auf den Fersen wäre? Zur Messe. Laus Deo! Er wird auch fürderhin über den Bösen siegen. Es wird lachen, wer da weint, dem Erfrorenen wird warm werden. Na, da lacht Ihr ja schon. So ist's recht ... Wohin ich Selbsten will, wollt Ihr wissen? Gleich Euch in die Messe. Aber nicht zum Pfaffen, zur Messe unter freiem Himmel.

Vorerst aber spreche ich bei meiner Tochter vor und hole mir meine kleine Glodie. Wir vollführen alle Tage selbander unseren Spaziergang. Sie ist meine liebste Freundin, mein kleines Schäflein, mein zwitscherndes Vögelein. Sie ist ein weniges über fünf Jahre alt, lebhaft wie ein Eichhörnchen und schlau wie ein Füchslein. Alsobald sie mich erblicket, kommet sie gelaufen. Sie weiß, ich habe meine Hucke allweil voller Geschichten, und die liebet sie gleichermaßen wie ich selbst. Ich nehme sie bei der Hand.

«Komm, Kleinchen, wir wollen der Lerche entgegengehen.»

«Der Lerche?»

«Heute ist Mariä Lichtmess, weißt du's nicht, sie kehret heute vom Himmel zurück.»

«Was hat sie denn dorten getan?»

«Das Feuer für uns geholt.»

«Das Feuer?»

«Das Feuer, das in der Sonne brennt. Das Feuer, das den Kochtopf unsrer alten Mutter Erde zum Sieden bringt.»

«War es denn abhanden kommen?»

«Ja, freilich, seit Allerheiligen. Jedwedes Jahr im November geht es fort, die Sterne am Himmel wieder anwärmen.»

«Wie kommt es denn heimwärts?»

«Die drei kleinen Vögel sind es holen gegangen.»

«Erzähle doch!»

Sie trippelt auf der Straße mir zur Seite; warm eingepackt in einem Wämslein von weißer Wolle, mit einer blauen Kapuze auf dem Kopf, gleicht sie einer kleinen Meise. Sie hat keine Angst vor der Kälte, indes ihre kleinen Bäckchen sind feuerrot, und das zierliche Nasenknöpfchen läuft wie ein Springquell.

«Holla, kleines Lichtschnüppchen, schnupfe dich, blase die Lichter vom Himmel fort. Geschieht solches zu Mariä Lichtmess, entzünden sie sich wieder am himmlischen Ort.»

«Erzähle doch, Großvater, die drei kleinen Vögel ...» (Ich lasse mich gern ein weniges bitten.)

«Wohlan, die drei kleinen Vögel sind auf die Reise gegangen. Die drei tapferen Weggenossen Zaunkönig, Rotkehlchen und unsere liebe Freundin, die Lerche. Der erste, unser Zaunkönig, flink und behänd wie der kleine Däumling und stolz wie ein wirklicher König, erblicket in der Luft das schöne Feuer, nicht größer denn ein Hirsekorn, das rollet ihm entgegen. ›Ich hab's, ich hab's!‹ schreit er und stürzt sich darauf, und die andern rufen und schreien: ›Ich, ich, ich!‹ Aber der Zaunkönig hat's schon im Fluge erhascht und schiesst blitzschnell damit in die Tiefe. ›Zu Hilfe! Feuer! Zu Hilfe, ich verbrenne!‹ ruft er, dieweil er's gleich einem kochend heißen Brei von einer Seite des Schnabels zur andern wälzt. Er kann nicht mehr, er reißt den Schnabel auf, die Zunge hat er sich schier verbrannt, er spuckt es aus und birgt es unter seinen kleinen Flügeln. ›Au, au, zu Hilfe!‹ Die kleinen Flügelchen beginnen zu flammen. (Hast du schon seine roten Flecke und die kraus gesengten Federn erspäht?) Nunmehr kommt Rotkehlchen zu seiner Hilfe. Es pickt das Krümchen Feuer und setzt es andächtiglich in sein weiches Vorhemdchen. Sieh nur, das schöne Wämslein, wie es rot und immer röter wird, und Rotkehlchen schreit: ›Ich kann nimmer, mein ganzes Kleid ist verbrannt.‹ Doch jetzo kommt die Lerche, unsere tapfere kleine Freundin. Das Flämmchen im Fluge erhaschend, das schon wieder zurück gen Himmel wollte, schiesst sie eilends, gerade und sicher gleichwie ein Pfeil, damit zur Erde nieder und versenket mit ihrem Schnäbelchen das schöne Körnlein Sonne in die vereisten Furchen, die sich vor Freude nicht zu lassen wissen ...»

Meine Geschichte ist am Ende. Nunmehr ist es an Glodie, mit mir zu liebäugeln. Maßen wir die Stadt hinter uns ließen, habe ich sie auf den Rücken genommen, um den Hügel hinaufzuklimmen. Der Himmel ist grau, der Schnee knirscht unter den Holzschuhen. Die Sträucher und die zarten Bäume mit ihren feinen Ästen sind weiß gepolstert. Aus den Hütten steigt kerzengerade, blau und langsam der Rauch. Kein Laut ist vernehmbar, nur mein kleines Vöglein zwitschert. So kommen wir oben an. Zu meinen Füßen die Stadt, meine Stadt, umgürtet von den Bändern der trägen Yonne und des mutwilligen Beuvron. Mit ihrer Haube aus Schnee, schier erstarret, wie sie ist, frostig und bebend vor Kälte, macht sie mir doch, allso oft ich sie sehe, das Herze warm.

Du Stadt der schönen Farben und der sanften Hügel. Rings um dich her geflochten, gleich dem Stroh im Nest, ziehen sich die sanften Linien der bebauten Felder hin, wogen weich, zu fünf oder sechs Reihen ineinandergeschoben, die langen Wellen der bewaldeten Hügel. Wie sie in der Ferne verblauen, möchte man meinen, dorten sei das Meer. Doch von dem tückischen Element, das Odysseus von Ithaka und seine Gefährten hin und wider warf, ist hier nichts zu spüren. Keine Stürme, kein Hinterhalt, Ruhe allerorten. Kaum, dass hie und da die Berglinien sich unter einem Hauch zu heben scheinen, gleich einem wogenden Busen. Von einem Wellenkamm zum andern gehen die Wege, gerade, ohn Hast, gleich den Spuren einer gleitenden Barke im Wasser. Auf der höchsten Spitze der Wogen, weit hinten, blinken die Masten der Madeleine von Vézelay, und zuvorderst, an der sich schlängelnden Yonne, strecken, zwischen dem Dickicht, die Felsen von Basseville ihre Eberzähne in die Luft. Und lässig hingestreckt, eingebettet in den Kreis der Hügel, neigt die schmuckreiche Stadt ihre Gärten, ihr altes Gemäuer, ihre Lumpen, ihr Geschmeide, allen Schmutz und alle Schönheit ihres Leibes und ihr Haupt, gekrönt von dem durchbrochenen Turm, hinab zum Ufer ihres Flusses.

Also stehe ich in Bewunderung vor dem Gehäuse, des Schnecke ich bin. Die Glocken meiner Kirche heben im Tale ihre Stimmen; ihre reinen Klänge breiten sich aus gleichwie klare, kristallene Fluten in der dünnen, erstarrten Luft. Dieweil ich freudig bewegt ihren Klang einsauge, siehe, da dringt schon ein Sonnenstrahl durch die graue Hülle, die den Himmel versteckt hielt. Im selbigen Augenblick klatscht meine Glodie in die Hände und ruft:

«Großvater, ich höre sie, die Lerche, die Lerche!»

Und ich, lächelnd vor Glück über ihr kleines Stimmlein, küsse sie und sage:

«Auch ich höre sie, die Lerche, so den Frühling bringet.»

 

 

II. Die Belagerung oder Der Schäfer, der Wolf und das Lamm

 

Mitte Februar

In Bälde wird mein Keller leer sein. Die Soldaten, so unser Herzog, Herr von Nevers, uns zur Verteidigung sandte, haben eben mein letztes Fass angezapft. Nun denn, verlieren wir keine Zeit und trinken wir mit ihnen! Mich zugrunde richten, gut, das will ich tun, indes auf lustbare Weise. So geschieht mir's nicht zum ersten Mal! Gefallet es Gottes Güte, wird's auch nicht das letzte Mal gewesen sein.

Die braven Burschen! Nun, da ich ihnen kundtue, dass der Wein zur Neige geht, sind sie betrübter noch als ich. Ich kenne etliche unter meinen Nachbarn, die solcher Verlust gar leidvoll stimmet. Mir kann er nimmer etwas anhaben. Dazu bin ich allzu, abgebrüht. Zu oft in meinem Leben habe ich das Spektakel gesehen. Ich vermag nimmer, die Komödianten ernst zu nehmen. Gar unterschiedliche dieser Soldatenfratzen habe ich zu schauen bekommen, seit ich auf der Welt bin: Schweizer, Deutsche, Gaskogner, Lothringer, lauter Kriegsvolk, den Harnisch auf dem Buckel und die Waffe in der Faust. Diese Vielfresser, diese ausgehungerten Windhunde, die es niemalen müde werden, den schlichten Bürger auszuplündern. Wer hat je erkunden können, um welcher Ursach sie sich eigentlich schlagen? Heute für den König, morgen für die Liga. Einmalen sind's die Pfaffen, zu andern Malen die Hugenotten. Sie sind sich alle gleich. Der Beste von ihnen ist den Strick zum Hängen nicht wert. Was kümmert uns, ob dieser oder jener Räuber dem Hof mit Schelmenstreichen zusetze? Und wenn ich gar ihrer Anmaßlichkeit denke, mit der sie den lieben Gott in ihre Händel mengen! ... Potz Zickel! Lasset den lieben Gott nur ruhig machen, liebe Leute, er ist alt genug! So euch das Fell juckt, gerbt es euch selbander. Gott seid ihr nicht vonnöten. Der weiß sich schon zu helfen, sofern ich recht unterrichtet bin. So's ihm beliebt, wird er sich Selbsten kratzen, wann's ihn juckt.

Das ärgste ist, dass sie vermeinen, auch mich dazu zu drängen, ihn über den Löffel zu barbieren! Herrgott, ich ehre Euch und glaube ohn Rühmens, dass wir einander mehrer denn einmalen am Tage begegnen. Dafern nämlich das Sprichwort, das gute, gallische Sprichwort, wahr ist: ›Wer da trinket guten Wein, dem schaut Gott ins Herz hinein.‹ Niemalen aber fiele mir bei, gleich jenen Gleißnern zu sagen, dass ich Euch gut kenne, dass Ihr mein Vetter seid, dass Ihr mich zum Vertrauten all Eurer Angelegenheiten machet. Ihr werdet mir gerechtsamerweis zugeben, dass ich Euch in Frieden lasse, und alles, was ich verlange, ist, dass Ihr desgleichen tuet. Wir haben beide genugsam zu schaffen, um Ordnung in unserm Haus zu halten, Du in Deinem Weltall, ich in meinem kleinen Reich. Herrgott, Du hast mich frei geschaffen, ich lasse Dir dasselbige Recht. Aber sieh einer, da kommen diese Schelme und tun, als wenn ich für Dich das Wort führete, wollen gar, dass ich sage, wie Du genommen sein willst, und dass ich den, so Dich anders nimmt, für Deinen Feind wie für den meinigen erkläre. Für meinen Feind? ... Mitnichten! Ich hab nie keinen. Alle Menschen sind meine Freunde. Schlagen sie sich, so ist das ihre Sach. Ich, für mein Teil, bleib aus dem Spiel ... ja, wenn es geht! Denn solches ist gerade, was das Lumpenpack nicht will. Wann ich des einen Feind nicht bin, habe ich sie beide zu Feinden. Nun denn, in Gottes Namen! Maßen ich zwischen zwei feindlichen Lägern müsst immer der Geschlagene sein, schlagen wir halt Selbsten drein. Auch das ist mir lieb. Ehe wir Amboss sind, lasset uns lieber Amboss und dann Hammer sein.

Doch sage mir einer an, zu wes Nutzen all dies Gesindel auf der Erde herumläuft, diese Edelmarder, diese Politiker, diese großen Herren, die unser schönes Frankreich verheeren, die, indes sie seinen Ruhm verkünden, ihm gründlich die Taschen leeren. Die, nicht gesättigt, wenn sie an unserm Scherflein nagen, auch noch fremde Kornböden auffressen wollen, sintemalen sie Deutschland bedrohen, sich's nach Italien gelüsten lassen und ihre Nasen in den Harem des Großsultans stecken. Die halbe Erde möchten sie gar verschlucken, verstehen indes noch nicht einmal, Kohl darauf zu pflanzen! Aber nur ruhig Blut, Freundchen, werde nicht zornmütig. Alles ist gut also wie es ist ... bis wir es eines Tages besser machen werden (was so balde sein wird wie irgend möglich).

Auch das jämmerlichste Vieh ist zu etwas nutz.

Ich hab erzählen hören, dass der liebe Gott (aber ich spreche heute nur von Dir, Herr), als er eines Tages mit Petrus spazieren ging, in der Vorstadt Beyant Populärer Name in Clamecy für die Vorstadt Bethlehem auf der Schwelle ihres Hauses eine Frau sitzen sah, die müßig ihrer Langeweile nachhing. Die Zeit ward ihr so lang, dass unser Herrgott in seiner Herzensgüte sich die Tasche durchsuchte, eine Handvoll Flöh herauszog, sie ihr zuwarf und sagte: «Nimm, meine Tochter, verlustiere dich damit»; alsobald ermunterte sich die Frau und begann zu jagen. Und jedwedes Mal, wann sie solch ein Vieh erwischte, lachte sie vor Behagen. – Zweifelsohne ist solches die gleiche Art von Barmherzigkeit, als wann der Himmel uns zur Kurzweil diese zweibeinigen Bestien schenket, so an unserm Fell nagen. Wohlan denn, lasset uns fröhlich sein, juchhe! Ungeziefer ist, so scheinet, ein Zeichen von Gesundheit. Ungeziefer sind auch die, so uns beherrschen. Freuen wir uns, Brüder: denn folglichermaßen ist niemands gesünder denn wir ... und überdies, das sag ich euch (ins Ohr): Nur Geduld, wir überdauern das Arge.

Der Kälte, dem Frost, dem Geschmeiß aus den Feldlägern als dem vom Hofe, gehöret nur eine kurze Zeit; es wird vergehen. Die gute Erde aber bleibet, und wir gleicherweis, um ihren Schoß zu befruchten. Mit einem einzigen Wurf wird sie alles wieder gutmachen. Mittlerweil lasset uns den Rest aus meinem Fasse trinken. Man muss Platz schaffen für die kommenden Weinlesen.

Meine Tochter Martine sagt mir:

Du bist ein Prahlhans. Höret man dich, so sollte man vermeinen, du schafftest nur mit dem Maul, könntest nur gaffen, schwatzen, klatschen, wie ein Glockenschwengel in Bewegung sein, vor Durst ewig das Maul aufreißen und Maulaffen feilhalten; lebtest nur um Gastereien willen, versäuftest Haus und Herd _ – und gleichwohl vermagst du nicht einen Tag ohn Arbeit zu sein. Du möchtest, dass man dich für einen lockeren Zeisig, für leichtfertig, vertuend, liederlich erachte, für jemanden, so nicht weiß, was in seine Geldkasse einkommt, noch was wieder heraußen geht – und gleichwohl würdest du krank werden, so nicht alles in deinem Tage würd genauestens geschehen wie am Glockenspiel der Turmuhr. Du weißt auf den Pfennig, was du seit Ostern Jahrs zuvor ausgegeben, und niemand hat noch den gesehen, der dich übers Ohr gehauen hätt ... ach, du unschuldsvoller Engel, du Brausekopf, seh mir einer das schöne Lämmlein an. Von solchen Lämmern braucht's nur drei, damit ein Wolf erwürget sei«– Ich lache, ich antworte der Dame Plapperschnut nicht. Sie hat recht, das Kind! ... Indes, sie tut nicht recht, es auszusprechen; aber eine Frau verhehlet nur, was sie nicht weiß, und sie kennt mich, dieweil ich sie geschaffen! Wohlan, Colas Breugnon, gesteh es zu, mein Junge, magst du auch gar mannigfaltige Narreteien treiben, du wirst nie kein ganzer Narr werden. Ei freilich, gleichwie jeder andere, also hast auch du ein weniges von Narretei in deiner Tasche verborgen. Du lassest es herfür schauen, so es dir beliebet, aber du lassest es wieder verschwinden, wann du die Hände frei und den Kopf zum Arbeiten benötigest. Gleichwie alle Franzosen hast auch du den Sinn für Ordnung und Vernunft so fest in deinem Schädel verankert, dass du wohl einmalen zu deinem Ergötzen den Tollhans spielen kannst. Die Geprellten (die armen Teufel) sind dabei nur die Leute, so dir offenen Mundes zuschauen und die es gelüstet, es dir gleichzutun. Schöne Reden, rollende Verse, himmelstürmende Pläne sind gar ergötzliche Dinge: man begeistert sich, man fängt Feuer. Indes, wir verbrauchen solcherweis nur unser Kleinholz und bewahren die großen Klötze fein säuberlich geschichtet in unserm Holzschuppen. Meine Phantasia vergnüget sich, da sie meiner Vernunft, die ihr bequem zurück gelehnet zuschauet, ein Schaustück gibt. Alles dienet zu meiner eigenen Kurzweil. Das ganze Weltenall ist mein Theater, und ohne dass ich mich von meinem Sitz erhöbe, folge ich der Komödia, bedenke Matamora oder auch Francatippa mit Beifall, erfreue mich der Turniere und des königlichen Prunkes und rufe den Leuten da capo zu, so sich da droben die Hälse brechen. Alles zu meinem eigenen Ergötzen! Auf dass ich dieses noch vermehre, stelle ich mich, als spiele ich in dem Stücklein mit und sei guten Glaubens dabei. Aber ich hüte mich gar wohl; ich glaube nur genau so viel davon, als not tut, um meinen Spaß zu haben. Gleichweis vergnüge ich mich der Ammenmärchen von den lieben Feen ... aber nicht alleinig derer, die von Feen reden ... Da ist z. B. ein hoher Herr – dort droben in den himmlischen Gefilden – wir ehren ihn überaus, und wann er mit Kreuz und Banner vor sich her beim Klang seiner Gebete durch unsere Straßen wandelt, behängen wir die Mauern unserer Häuser mit weißen Tüchern. Aber unter uns ... hüte deine Zunge, Schwätzer! Das klingt nach Ketzerei ... Herr, ich will nichts nicht gesaget haben, ich mache Dir meine Reverenz.

 

Ende Februar

Nachdem der Esel die Wiese abgegrast hatte, sagte er, nunmehr habe er nicht nötig, sie zu hüten, und machte sich auf eine nachbarliche Wiese, sie abgrasen (hüten, wollt ich sagen). Herrn von Nevers' Besatzung ist heutigen Morgens abmarschiert. Es war eine Lust, sie zu betrachten, also dick und wohlgenährt, gleich Mäusen im Speck, sahen sie aus. Ich war stolz auf unsere Küche. Wir trennten uns voneinander in herzinnigem Einvernehmen. Sie haben uns tausend gute und artige Wünsche ausgesprochen, auf dass unser Korn gedeihe, unsere Rinder fett werden und unsere Reben nicht erfrieren mögen.

«Arbeite nur tüchtig, Onkelchen», sagte Fiacre Bolaire, der Sergeant, so bei mir einquartiert war (den Namen Onkel hat er mir gegeben, und ich habe ihn gar wohl verdient: denn der ist wahrlich mein Onkel, der mir den Wanst ordentlich vollstopfet), «lass dich der Mühe nicht verdriessen und beschneide deinen Wein; am Sankt-Martins-Tag kommen wir wieder, ihn zu trinken.»

Die braven Burschen! Sind immer bereit, einem ehrlichen Manne zu Hilfe zu kommen, so er bei Tische im Kampf mit seinem Trinkbecher lieget.

Seit sie fort sind, ward uns das Herz leichtlicher. Weislich öffnen nunmehr die Nachbarn ihre Versteckwinkel. Alle, so in den letzten Tagen Fastenmienen zur Schau getragen und vor Hungers gestöhnt hatten, gleichwie als rumore ein Wolf in ihrem Bauche, bringen jetzo, unter dem Stroh der Bodenkammer oder aus der Erde im Keller, noch etliches herfür, das zu des Lebens Notdurft gehöret. Da ist keiner so bettelarm, als dass er nicht bei gar schrecklichem Gejammer, dass ihm schier nichts, schier gar nichts bliebe, hätt Mittels gefunden, seinen fürtrefflichen Wein irgendwo zu verstecken. Ich selbsten – wie solches geschehen könnt, weiß ich mitnichten – (mein Gast Fiacre Bolaire war kaum abmarschiert, und ich hatte ihm bis zum End der Vorstadt Judäa das Geleit gegeben) – erinnerte mich plötzlich, dieweil ich mich vor den Kopf schlug, an ein kleines Fass Chablis, so aus Versehen, auf dass es warm bleiben möge, unter dem Pferdemist war vergessen worden. Ich war, wie man sich fürstellen kann, überaus betrübet deswegen. Indes, wann das Unglück ist geschehen, so ist's getan, und wohlgetan. Ich schickte mich ganz wohl darein; ach, Bolaire, mein armer Neffe, was ist dir da entgangen! Welch köstlicher Nektar, welche Blume! Aber du sollst mitnichten zu kurz kommen, nein, viel lieber, lieber Freund, nein, nein, du kommst wahrlich nicht zu kurz: ich trinke es auf dein Wohl.

Von Haus zu Haus erstattet man sich nunmehr freundnachbarliche Besuche! Man weiset sich den glücklichen Fund, so man in seinem Keller gemacht hat; und gleichwie die Auguren blinzelt man unter Beglückwünschungen einander zu. Man erzählet von zugefügter Unbill und von den Damen. (Von den Damen und von der ihnen zugefügten Unbill.) Die, so den Nachbarn geschehen, ergötzet uns und tröstet über die eigene hinweg. Man erkundet sich bei Vincent Fluviant nach dem Ergehen seines Weibes. Ein absonderlicher Zufall will's, dass jedwedes Mal nach dem Durchmarsch von Truppen durch die Stadt diese tapfere Gallierin ihr Gurtband weitet. Man beglückwünschet den Vater, man bewundert die zeugende Kraft seiner Lenden, dieweil die gemeinigliche Wohlfahrt darniederliegt, und freundwillig, zum Pläsier, ohne tückische Gedanken, schlage ich dem Schelm, den Fortuna begünstigt, auf den dicken Wanst, indes ich sage, sein Haus sei das einzige, in dem der Bauch sich füllet, dieweil alle anderen geleeret werden. All dieses zum Spaß, wie billig und ganz unauffällig, den Dummen spielend und nur im Geflüster von einem zum andern. Aber Fluviant nimmt unsere Komplimente übel auf und saget, ich täte besser, auf mein Weib ein Auge zu haben. Hierauf erwidere ich, dass betreffs ihrer der glückliche Eigentümer auf beiden Ohren schlafen könne sonder Furcht, man könne ihm seinen Schatz rauben. Des waren alle einer Meinung.

Doch siehe da, die Karnevalstage sind kommen. So schlecht gerüstet man sein mag, jetzo heißt es, ihnen Ehre antun. Der gute Ruf der Stadt und unser eigener steht auf dem Spiele. Was würde man von Clamecy, berühmet wegen seiner Würste, sagen, wenn's uns zu Fastnacht an Würsten mangelte. Man hört's in den Backöfen brutzeln, ein lieblicher Duft von Fett durchdringet die Luft der Straßen. Springe, Krapfen, nur immer höher, springe für meine kleine Glodie!

Ein Rattaplan, Rattaplan der Trommel, ein Tirreli, Tirreli von Flöten, Lachen und Scherzen. Das sind die Herren aus Judäa –– Judäa ist der Spitzname, den man der Vorstadt Bethlehem gegeben hat, die die Flößer von Clamecy bewohnen. Rom ist die obere Stadt, so genannt nach der Treppe Alt-Rom, die vom Platz der St.-Martins-Kirche herabsteigt., die auf ihren Wagen daher fahren, Rom einen Besuch abzustatten. Voran marschieren die Musik und die Hellebardiere, die, immer die Nase voran, die Menge zerteilen; Rüsselnasenmasken siehet man da, Nasen gleich Lanzen so spitz, Nasen gleich Jagdhörnern, Nasen wie ein Blasrohr, stachlige Nasen und Nasen mit Knollen oder gar solche, die Vögel ob ihrer Spitze tragen. Sie puffen und knuffen in die Reihen der Gaffer, wühlen sich in die Röcke der kreischenden Mägde. Jetzo aber fliehet alles auseinander, sintemalen der König der Nasen kommt; der stößt gleich wie ein Bock und drehet seine Nase auf einer drehbaren Lafette, gleich einer Donnerbüchse, hin und wieder. Nunmehr folget der Wagen der Fastenzeit, der Herrscherin aller Fischesser. Breite, kreidige, fleischlose Gesichter siehet man da, bärbeißig in Mönchskutten steckend, unter der Kapuze vor Frost klappernd, und solche, so wie Fischköpfe herausstaffiert sind. Gar mannigfache Fische gibt es allda! Der hält in jedweder Faust einen Barsch oder einen kleinen Karpfen; jener andere schwinget auf einer Fischgabel einen Haufen Gründlinge, ein dritter stellt in der Hauptsache einen Hecht aus, aus dessen Maul ein Weißfisch heraushängt und der sich, mit einer Säge entbindend, den Bauch aufschlitzt, in dem's von Fischen wimmelt. Mir wird ganz schlecht davon. Andere reißen sich das Maul mit den Fingern noch größer auf, als es schon ist, und ersticken schier, indem sie sich Eier in die Gurgel stopfen, die fürder nicht hineinwollen.

Und rechts und links oben auf dem Wagen Fledermausmasken, Kapuzenträger, Fischer, die an einer Schnur die Gassenbuben angeln; die springen gleich Zicklein und recken die Mäuler in die Höh, auf dass sie flugs eine kandierte Birne oder Zuckerwerk erhaschen und krach, krach knacken. Und hintennach tanzet ein Teufelskerl, als Koch gemaskieret. Er schwingt einen Kochtopf und einen Kochlöffel und füttert mit einem schandbaren Fraß sechs barfüßige Höhlenbewohner, so im Gänsemarsch hinterdrein marschieren und ihre grinsenden Fratzen, geschmückt mit baumwollenen Mützen, durch die Sprossen einer Leiter stecken.