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Zweite Kurzgeschichtensammlung aus dem Vaerys-Universum In fünf weiteren phantastischen Geschichten erfahrt ihr, wie Askir und Larimar mit den Gefahren in der grossen Handelsstadt Qurta'bar umgehen, wie Mareidon auf heldenhafte Art eine Gräueltat vereitelt und was sich bei Keylinn und Ilko in den Regenwäldern Alceanas abspielt. Den Geschichten sind dabei in ihrer Diversität keine Grenzen gesetzt.
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Seitenzahl: 110
Veröffentlichungsjahr: 2022
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In der Gunst eines Fremden II
Im Dunkel des Waldes II
Im Zweifel für den Adeligen I
Jenseits der Wogen
Ein gestohlener Kuss
15. Feysirion 735, ZF, 3Z, 2. Stunde Zùs
Dunst legte sich auf die Oberfläche des Wandspiegels, als Askir sich mit den Unterarmen gegen das kalte Glas gelehnt darin betrachtete. Ein makelloses Antlitz begegnete ihm, mit einem Schimmern auf der Haut von dem Goldpuder, das er ganz am Schluss aufgetragen hatte. Er hatte angezogen, was Meister Baitani angeordnet hatte, um ihm keinerlei Grund zu geben, seine Drohung vom gestrigen Abend in die Tat umzusetzen. Langsam fuhr er mit den Fingerspitzen über sein Spiegelbild. Es wirkte so unwirklich, so surreal durch diese mit dunkelbrauner Farbe umrahmten Augen, die schimmerten wie die Meeresoberfläche während eines Zenitmondes.
Askir presste seine Lippen aufeinander und ballte seine Hände zu Fäusten. Alles in ihm sträubte sich gegen die kommenden Stunden. Aber ... wieder dieses Aber. Wenn er Meister Baitani widersprach oder sich sogar aus dem Staub machte, um diesem Herrn al’Côrval zu entgehen, würde sein Meister kaum zögern, ihn in eines der Freudenhäuser im Armenviertel einzusperren. Dort gab es weder den Luxus eines warmen Bettes noch eines sauberen Freiers. Dort würde er froh sein können, überhaupt etwas zu essen zu kriegen.
Mit angespanntem Kiefer schüttelte Askir den Kopf, ließ sich aber selbst nicht aus den Augen. Er zwang die Gedanken hinfort, sah davon ab, sich ein Leben in dieser Art von Elend weiter auszumalen, denn mit ein bisschen Geschick blieb diese Möglichkeit nur ein dunkler Gedanke ohne Zukunft. Mit etwas Glück stellte sich sein Freier als doch nicht so unerträglich heraus, wie es das erste Treffen mit ihm vermuten ließ. Doch Askir merkte, wie er sich in Spekulationen verlor. Er würde diese Nacht nur hinter sich bringen, wenn er sich Ziyad al’Côrval stellte und sich nach dessen Bedürfnisse richtete.
Er sank vor dem Spiegel auf die Knie und zog seine Hände übereinanderliegend gegen seine Brust. Mit gesenktem Blick schloss er die Augen. »Hyaszine, ich bitte Euch um Eure Gunst, diesem Freier zu gefallen und ohne Schaden die Nacht zu überstehen. Yggdravarios, Euch bitte ich ebenfalls um Euren Beistand, dass ich diesen Freier täusche und meine Maske undurchdringlich wird. Feysiron, von Euch erbitte ich mir Geduld, um in meinem Unmut nichts zu entgegnen, was dem Freier widerstrebt, obwohl ich weiß, dass mir dies sicherlich am schwersten fallen wird.«
Der Druck in seiner Brust löste sich etwas und das nutzte er, indem er einmal tief durchatmete. Der Rosenduft, der ihn umgab und der auch an seiner Haut haftete, beruhigte ihn und mischte sich wunderbar unter den Nebel des Mondharzes, welches Askir in einem Tonschälchen auf seinem Nachttisch räucherte. Die Dosis war so gering, dass es seine Sinne nicht betäubte, sondern den Sturm in seinem Innern auf sanfte Weise zur Ruhe bettete und ihm sogar neue Zuversicht schenkte. Er genoss dieses Gefühl so lange, bis die Glocken die zweite Stunde Zùs einläuteten und ihn daran erinnerten, sich nach unten zu Meister Baitani zu begeben.
Er richtete sich auf, sein Haupt erhoben, seine Augen offen für alles, was ihn umgab. Nur ganz kurz lugte er noch an sich hinab und klopfte sich etwas Sand vom linken Hosenbein seiner weißen, mit goldblauen Fäden bestickten Pluderhose, ehe er sich die lockigen Haare zum letzten Mal aus dem Gesicht strich. Auf den Gängen fand er viele andere Freudenmädchen und Liebesdiener vor, denen er bevorzugt aus dem Weg ging. Nicht, weil er die Gesellschaft anderer nicht schätzte, das war sicherlich nicht der Grund, dass er sie mied. Er mochte sie schlichtweg nicht. Die Art, wie sie auf ihn herabsahen, ihre Anzüglichkeiten, ihr Benehmen. Außerdem war ihm schon lange bewusst, dass Huren gerne tratschten und Geheimnisse ausplauderten. Er sah sich also vor, in ihrer Gegenwart irgendetwas über sich preiszugeben.
An diesem Abend beachteten sie ihn jedoch kaum, da sie teils selbst mit ihren Freiern beschäftigt, teils in ebendiese Tratschgespräche vertieft waren. Einige sahen sich zwar nach ihm um, richteten dann aber ihre bunten Gewänder, die oftmals mehr offenbarten als sie verbargen, anstatt ihn anzusprechen.
Sanfte Sitarklänge spielten im Empfangsbereich des Freudenhauses, als er sich die Treppe hinunter wagte. Sie schluckten die Stimmen der Huren, die sich oben unentwegt miteinander unterhielten. Hier war es ruhiger, angenehmer. Doch diese Ruhe wich jäh aus ihm, sobald er Ziyad al’Côrval vor Meister Baitanis Tresen stehen sah. Wieder zog sich alles in ihm zusammen, ganz besonders, als er das zufriedene Grinsen auf dessen Gesicht bemerkte.
Im Gegenzug reckte Askir sein Kinn nach oben, streckte seine Brust heraus und nahm sich fest vor, genauso selbstbewusst auf seinen Freier zuzugehen – wäre nicht sofort Tadel auf die Miene seines Meisters getreten.
Askir sackte ganz leicht nach vorne, hielt sich aber dennoch gerade und seinen Blick gehoben. Zu seinem Erstaunen lachte Ziyad auf. »Sieh es nicht zu eng, Ehsan! Ein hübscher Bursche wie er sollte es sich doch leisten können, von Zeit zu Zeit etwas störrisch zu sein.«
Meister Baitanis Schweigen nach zu urteilen, stimmte er nicht mit ihm überein, aber er erwiderte nichts. Stattdessen verharrte sein Blick auf Askir, doch dieses Mal begegnete er diesem nicht, sondern wandte sich direkt an al’Côrval. Er verneigte sich leicht, schluckte dabei eine gehörige Portion Stolz und Trotz hinunter. »Herr al’Côrval, ich hoffe, ich habe Euch nicht zu lange warten lassen.«
»Verglichen mit gestern ist das hier nicht der Rede wert. Und Ehsan ...« In einer einzigen, ausschweifenden Bewegung wies er auf den kleinen Geldbeutel hin, der direkt vor Meister Baitanis Nase auf dem Tresen lag. »Ich werde so tun, als wäre gestern nichts Verwerfliches vorgefallen und deiner hübschesten Seidenrose die Möglichkeit zuteilwerden lassen, sich mir zu beweisen.«
Askir unterdrückte den Würgereiz, der ihn befiel, infolgedessen auch den Drang, die Zunge rauszustrecken und ein würgendes Geräusch von sich zu geben. Innerlich klammerte er sich an seiner Maske der Gleichgültigkeit fest, hoffte, dass sie nicht in Anwesenheit seines Meisters bröckelte und dass sein wahres Gesicht, respektive seine wahren Empfindungen darunter verborgen blieben. Von Yggdravarios’ Segen gestärkt hielt sie stand. Er verharrte ungerührt, beobachtete, wartete, bis er direkt angesprochen wurde. Vorher würde er es sich nicht erlauben, das Wort zu ergreifen – jedenfalls nicht vor seinem Meister.
»Falls er sich nicht benimmt, würde ich es vorziehen, wenn du ehrlich bist. Im schlimmsten Fall vergüte ich dir das eine Ambraurum zurück und ihm«, Meister Baitani richtete den Daumen auf Askir, »verpasse ich eine ordentliche Tracht Prügel.«
Nur unter größter Anstrengung gelang es Askir, keine Miene zu verziehen. Es brannte ihm auf der Zunge, sich zu wehren, seinem Meister die Meinung zu geigen, aber er brachte den Mut dazu nicht auf. Dafür saß ihm ein Kloß im Hals, der ihm das Schlucken erschwerte.
»Nicht doch! Ich weiß, dass ich die Nacht mit ihm genießen werde. Mache dir darum keine Sorgen«, entgegnete Ziyad und wandte sich dann endlich Askir zu. »Nicht wahr?«
»Wie Ihr wünscht, Herr.« Eine Floskel, nichts weiter. Wenn er glaubte, dass Askir ihm auch nur einen einzigen Wunsch freiwillig erfüllte, dann täuschte er sich gehörig.
Wenn er nicht aufpasste, dann ...
Der Herr löste sich vom Tresen, schritt auf ihn zu und kam direkt vor ihm zum Stehen, jedoch nicht, ohne ihn am Kiefer zu packen. Er zog ihn unverhofft an sich und zwang ihm einen Kuss auf. Nur kurz, sodass es Askir über sich ergehen ließ. Glücklicherweise war der Atem des Freiers durchaus erträglich, denn er roch nach frischer Minze, nicht nach Alkohol wie am vorherigen Abend.
»Siehst du!« Sein Blick fixierte Askir so penetrant, dass es jedem anderen längst unangenehm geworden wäre, doch er begegnete ihm standhaft und auf derselben Höhe. »Er ist doch ganz zahm und wird eine bildschöne Begleitung für mich abgeben. Sie werden die Augen nicht von uns wenden können.«
Askir hielt die Luft an und riss sich zusammen, um nicht nachzufragen, von welchen Leuten Ziyad sprach. Ehe er sich ihm hätte entwinden müssen, zog der Freier seine Hand zurück, linste aber nochmals auf Askirs Mund.
Askir wiederum wagte einen Blick zu seinem Meister hinüber, der ihn ununterbrochen beobachtet hatte. Meister Baitani richtete seinen Kragen, dann die rubinrote Schärpe, die er unter seinem Wohlstandsbauch trug. Verglichen mit ihm ließ sich Askirs Freier deutlich weniger gehen, sodass dessen Hemd deutlich straffer gezogen im Hosenbund verschwand.
»Nun denn, werte Seidenrose! Es gibt keine Zeit zu verlieren. Der Abend ist noch jung, aber ich werde von mehreren Parteien bereits sehnlichst erwartet.« Er trat von Askir weg in Richtung des Ausgangs, winkte im Gehen nochmals nach hinten.
»Ich bring ihn dir heil zurück, Ehsan. Du weißt ja, wie sorgsam ich mit deinen Seidenrosen umgehe.«
Meister Baitani schnappte sich den prall gefüllten Geldbeutel. Mit seiner rechten Hand spielte er daran herum, während er mit der anderen nach dem großen Buch griff. Zuvor hatte er es beiseitegeschoben, aber da sich sein Etablissement weiter mit Freiern füllte, würde er es ohnehin bald brauchen, um deren Namen und neue Vereinbarungen zu notieren.
»Mhm ... Das will ich hoffen«, meinte er beiläufig, ohne erneut zu ihm aufzusehen.
Lachend schenkte Ziyad Askir mit einer kleinen, schwenkenden Handbewegung den Vortritt. Zu Askirs Überraschung ging er nicht weiter auf Meister Baitanis Kommentar ein, sondern drängte ihn geradezu auf die Straße.
»Habt Ihr es eilig?«
Eine warme Hand verirrte sich auf seine rechte Schulter, während er zeitgleich Ziyads Atem an seinem Nacken spürte. »Vielleicht.« Er zögerte kurz. »Dein Meister erweist sich nicht als die beste Gesellschaft, um in Stimmung zu kommen.«
»Ich kann das Ausmaß Eurer Impotenz und deren Gründe nicht beurteilen«, erwiderte Askir spöttisch und verkniff sich das dreckige Grinsen absichtlich nicht. Trotzdem hielt er sich bereit, Ziyads Schlägen auszuweichen, wenn er sich denn doch für Gewalt gegen diese »versehentlichen Ausrutscher in Meister Baitanis Abwesenheit« entschied.
Wie vor den Kopf gestoßen glitt die Hand des Freiers von Askirs Schulter, da Ziyad einen kleinen Schritt zur Seite machte. »Da ist er ja wieder, dieser freche Rotzbengel. Ich habe mich bereits gewundert, ob er über Nacht abhandengekommen ist.«
»Nein, ist er nicht.« Mit nach unten gezogenen Mundwinkeln und gerunzelter Stirn wandte sich Askir zu ihm um. »Habe ich Euch nicht gesagt, Ihr sollt nicht noch einmal nach mir verlangen?«
Ziyad lachte schnaubend. »Natürlich hast du das, aber ich kann’s nicht lassen. Huren wie dir ist schwer beizukommen, also möchte ich keine Möglichkeit verstreichen lassen, wenn sich mir einmal eine bietet.« Er schob seine langen Ärmel zurück bis zu den Ellbogen, wobei sich der goldene Ring an seinem rechten Zeigefinger kurzzeitig in einer Falte verhedderte. Mit einer geübten Bewegung befreite er diesen und tat, als wäre nichts dergleichen passiert.
Seufzend drehte sich Askir von ihm weg und blickte hoch zu den erleuchteten Laternen, die den Rand der Hauptstraße säumten. Die geschäftigen Leute um ihn herum – Adelsleute, Sklaven, reiche Händler und verirrte Diebe – nahm er kaum wahr, denn sie gehörten um diese Nachtzeit hierher wie der Nordmond an den Himmel. Einzelne Wachen beschritten ebenfalls ihre Runden, aber im Goldenen Viertel gab es selten Konflikte, die ein Eingreifen benötigten. Meistens war er es, der sie auf Trab hielt und ihnen ordentlich Arbeit bescherte. Gerade wegen der Diebe, die sich in der treibenden Menge verbargen, gab er darauf acht, nicht zu sehr darin einzutauchen. Stattdessen zog er es vor, die Sicherheit der Mauern hinter seinem Rücken zu wissen. Ziyad schob sich zwischen ihn und die Masse, als versuchte er dadurch, ihn noch weiter vor unerwünschten Langfingern abzuschirmen. Vielleicht war es aus diesem Grund, vielleicht aber auch nicht. Es wäre reine Zeitverschwendung, die Beweggründe seines Freiers ergründen zu wollen. Eigentlich interessierte es Askir auch nicht; schließlich wollte er diese ganze Farce so schnell wie möglich hinter sich bringen, um sich später Personen zu widmen, die ihm wirklich etwas bedeuteten.
»Woran denkst du gerade, Askir?« Ziyads Frage riss ihn aus seinen Gedanken und entlockte ihm ein leises Grummeln. »Bekomme ich keine Antwort? Auch in Ordnung.« Askir spürte, wie die dunkelbraunen Augen ihn musterten, ihn geradezu bis aufs letzte Kleidungsstück auszogen. »Ich muss sagen, dass du mir gestern besser gefallen hast. Diese ganzen Goldreifen und der samtene Umhang passen nicht zu dir.«
Wenig beeindruckt sah Askir an sich herab. »Und jetzt? Immerhin sehe ich so aus, als wäre ich etwas wert. Ihr seid doch bloß neidisch.«
Ziyad schmunzelte. »Vielleicht ein wenig. Über deinen Wert lässt sich allerdings diskutieren.«
»Wie meint Ihr das?«, entgegnete Askir skeptisch, unsicher, ob er die Antwort überhaupt wissen wollte.
»Ich könnte mir durchaus eine teurere Hure leisten, die im rechten Moment ihren Mund hält und meine Bedürfnisse vollends befriedigt, aber ...« Er ergriff Askir am Oberarm und zog ihn um die Ecke in eine schmale Seitengasse. Grob drückte er ihn dort gegen den kühlen Sandstein. Nur eine einzelne Laterne beleuchtete den Pfad, sodass Ziyads Gesicht einen seltsam düsteren Ausdruck annahm und ihm kurzzeitig Furcht in die Glieder trieb. Angespannt unterdrückte Askir das Beben, das unter seiner Fassade hervorzubrechen drohte, doch er betete im Stillen erneut zu Yggdravarios, um die Illusion seiner Furchtlosigkeit beizubehalten.
»... deine spitze Zunge und Dawas Wesenszüge sind ein Abenteuer für sich. Der Rest wird sich von selbst ergeben.« Er schaute hungrig an Askir herab. »Trotzdem wäre es eine Schande, deine hübsche Aufmachung schon jetzt zu ruinieren. Du als mein Schmuckstück solltest zumindest bis nach der Feierlichkeit ansehnlich bleiben.«