Menschenfleisch - Walter Brendel - E-Book

Menschenfleisch E-Book

Walter Brendel

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Armin M. (* 1. Dezember 1961 in Essen) ist ein wegen Mordes und Störung der Totenruhe zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilter deutscher Computertechniker. Er wurde als "Kannibale von Rotenburg" bekannt, weil er Teile der Leiche seines Opfers gegessen hatte. Nach dem Tod seiner Mutter im Jahr 1999 suchte er über das Internet per Kontaktanzeige Menschen, die bereit waren, sich als Kannibalismusopfer zur Verfügung zu stellen. Im Februar 2001 lernte er dabei den damals 43-jährigen Diplom-Ingenieur Bernd Jürgen B. kennen, der bis zuletzt in leitender Position bei der Siemens AG in Berlin angestellt war und nach Angaben eines Zeugen bereits in der Berliner Stricherszene den Wunsch nach Verstümmelung geäußert hatte. Am 9. März 2001 trafen sich M. und B. am Kasseler Bahnhof und fuhren zu Ms'. Haus in Rotenburg-Wüstefeld. M. gab wiederholt und ohne sich selbst zu widersprechen an, B. habe dort in das Abtrennen des äußeren Teiles seines Penis und den versuchten Verzehr seines Geschlechtsteils sowie in die einige Stunden später folgende Tötung durch M. eingewilligt. In einem Interview stellte M. den Ablauf wie folgt dar: B. wünschte sich ursprünglich ein Abreißen seines Fleisches durch Bisse. Nachdem dieser Plan trotz Bemühungen misslungen war, schluckte B. zehn Schlaftabletten und Hustensaft, um eine Müdigkeit hervorzurufen, damit der Plan mit einem Messer fortgeführt werden könne. Nach der Abtrennung seines Penis mit einem Messer durch M. ließ sich B. mehrere Stunden ausbluten. Spätestens mit einem Stich in den Hals beendete M. das Leben von B. Danach zerlegte M. die Leiche und fror Fleischstücke für den späteren Verzehr ein.

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Seitenzahl: 156

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Walter Brendel

Menschenfleisch

Menschenfleisch

Walter Brendel

Impressum

Texte: © Copyright by Walter Brendel

Umschlag:© Copyright by Walter Brendel

Verlag:Das historische Buch, 2021

Mail: [email protected]

Druck:epubli - ein Service der neopubli GmbH,

Berlin

Inhalt

I. Teil

II. Teil

Der Film

Der neue Prozess

Das neue Urteil

Leichenteile mit Reisbeilage

Und bei anderen?

I. Teil

Ein einzigartiger Fall in der deutschen Kriminalgeschichte: Armin M., 41, aus Rotenburg an der Fulda, angeklagt wegen "Mordes zur Befriedigung des Geschlechtstriebes"; er schlachtete und verspeiste seinen Freund Bernd B.

Aus dem Kofferradio säuselt leise Musik, als Armin M. seinen Freund umarmt. Er streicht ihm über die Arme, liebkost seinen Hals und die Wangen. "Mach dir keine Sorgen", flüstert er. Die Abendsonne senkt sich über dem alten Gutshof. Es ist ein Freitag im März, kurz vor Ostern im Jahr 2001. Die Männer zünden sich Zigaretten an. An den Wänden des Raumes glauben sie Umrisse von Tieren zu erkennen. Wie Kinder, die in einen Himmel voller Wolken schauen. "Da, siehst du den Steinbock?", fragt Bernd B. "Oder ist es ein Esel?" M. lacht. Kurze Zeit später holt er von nebenan ein Schlachtermesser, um den Freund zu töten.

Das Zimmer, in dem es passieren wird, ist eine ehemalige Räucherkammer. Der Ruß hat dunkle Spuren an den Wänden hinterlassen. Vier mal drei Meter misst das Verlies, fensterlos, erhellt von Neonlicht. Es riecht nach dem Moder eines jahrhundertealten Hauses. In der Ecke steht ein Bett aus rostigem Eisen, drei blaue Matratzenteile, darüber eine fleckige Steppdecke. In der Mitte des Raumes ein Biergartentisch. Die Fesseln, das Beil und ein Messer sind nebenan. Armin M. Schlachtraum liegt im zweiten Stock. Eine Bluttat ohne Beispiel.

Stundenlang kuscheln M. und B. in dem Verschlag und liebkosen sich. Sie haben sich endlich gefunden. Es sind die Minuten vor einer Tat, die beide herbeigesehnt haben: Armin M. wird Bernd B. erstechen, ausnehmen, zerlegen und aufessen. Zuvor wird er die Genitalien seines Opfers abschneiden, die sie gemeinsam verspeisen wollen. Es ist ein Verbrechen, das einzigartig ist in der deutschen Kriminalgeschichte.

Armin M. ist acht Jahre alt, als die Männer aus seinem Leben verschwinden. Zuerst der älteste Bruder, der zum Studieren nach Berlin geht. Dann der Vater, der sich von seiner 19 Jahre älterer Ehefrau trennt. Zuletzt der liebste Bruder, der auch nach Berlin zieht, weil die Mutter sich überfordert fühlt. Nur Armin bleibt in dem kleinen Haus in Essen-Holsterhausen. Er erlebt, wie eine verbitterte Frau ihre dritte gescheiterte Ehe beklagt. Und den Hass auf alle Männer schürt.

Nach außen ist er ein normaler Junge, gut in der Schule, vor allem in Mathe. Ein Junge, der sich manchmal prügelt und zu Hause gern Modellhäuser bastelt. Der ein bisschen schüchtern und verklemmt daherkommt, in seinem weißen Hemd mit Pünktchen darauf und der kurzen Lederhose. Es ist Anfang der 70er Jahre, die anderen Jungs tragen längst Jeans.

Mittags verabschiedet sich Armin von den Kumpels: Er müsse zu Hause helfen. Die Mutter sitzt auf dem Sofa, klagt über Kopfschmerzen und gibt Anweisungen: waschen, Fenster putzen, spülen, den Müll runter bringen, da noch in der Ecke wischen. Zu den Freunden sagt sie oft Sätze wie: "Minchen war nicht brav. Er hat Hausarrest. Minchen darf nicht mit zum Spielen." Und "Minchen" schweigt und lächelt, wie er das immer macht.

Armin hat schon früh aufgegeben, sich gegen die Demütigungen der Mutter zu wehren. Der Übermacht ist er nicht gewachsen. Sie formt ihn zu einem Menschen ohne eigene Identität. "Zu einem, der allen gefallen will, der irgendwie keine eigene Meinung hat, der immer nachgibt", sagt ein Bekannter. Der jüngste Sohn ist der letzte Mann, den Waltraud M. an sich ketten kann.

Auf Familienfotos sieht man die Mutter so gut wie nie lachen. Ihr Blick wirkt düster und entschlossen. In Waltrauds Universum zählt offenbar nur sie selbst. Irrsinnig vor Eifersucht zeigt sie eine Bekannte ihres Mannes wegen Mordes an. Der Vorwurf ist aus der Luft gegriffen. Bei klärenden Gesprächen reagiert sie mit hysterischen Anfällen und täuscht eine Ohnmacht vor.

In kleinen Heften schreibt sie ihre Familiengeschichte auf und lässt sie drucken. Von Schlachten der Vorfahren erzählt sie, in den napoleonischen Kriegen und im Ersten Weltkrieg, von ihrer Flucht als junge Frau im Zweiten Weltkrieg. Über ihre Söhne und Ehemänner verliert sie kein Wort.

"Sie war halt schrullig", sagt M. zum stern, als der ihn in der Untersuchungshaft besucht. Im Polizeiverhör hat er ausgesagt, die Mutter sei innerlich verhärtet gewesen, nachdem der Vater weg war und die Familie auseinander brach. Da habe sie sich nicht mehr für ihre Kinder interessiert. Es wirkt nicht so, als berühre M. das sonderlich.

Schon als Kind lebt er in der Nacht seinen Traum von einer richtigen Familie. Wenn er allein im Bett liegt, spricht er zu einem jüngeren Bruder, den es nicht gibt. "Frank" nennt er ihn. Wie den netten Kerl aus der Schule. Frank wird die Person seines Vertrauens. Ein Partner, der zuhören kann und nicht widerspricht. Er erzählt ihm, wie er sich nach dem Vater sehnt. Welche Jungs aus der Schule er sympathisch findet. Dass er besonders jenen Bruder vermisst, mit dem er sein Zimmer teilte. Mit dem sechs Jahre Älteren habe er erste sexuelle Erfahrungen gesammelt, behauptet M. nach seiner Festnahme. Der Bruder bestreitet das, auch der Staatsanwalt wird M. die Geschichte nicht glauben. Er habe sie erfunden, um mit dem angeblichen Missbrauch seine perversen Neigungen zu rechtfertigen.

Armin ist etwa zwölf Jahre alt, als er das erste Mal in der Fantasie einen Klassenkameraden zerstückelt und verspeist. Der wird mich nie wieder verlassen, denkt er, endlich habe ich jemanden, der immer bei mir ist. Der Junge habe beim Gedanken an Menschenfleisch Nähe, Geborgenheit und Sicherheit empfunden, vermutet der Psychiater, der für die Staatsanwaltschaft Kassel ein Gutachten erstellte.

Die Suche nach Liebe verknüpft Armin im Unterbewusstsein mit Szenen, die er aus seinem Alltag kennt: Bei den Nachbarn hat er schon oft Hausschlachtungen mitangesehen. Er hat dabei geholfen, die Tiere auszunehmen: Schweine, Enten, Hühner, Gänse, ein Reh, ein Wildschwein. Schlachten ist etwas Normales für ihn.

Die wüsten Gedanken, die ihm nachts den Schlaf rauben, werden ihn nie wieder verlassen. Später, wenn er seine sexuellen Begierden im Internet verbreitet, wird M. den Tarnnamen "Franky" tragen. Er ist 18 Jahre alt, als er mit der Mutter umzieht. Seit den 60er Jahren besitzt die Familie im Hessischen einen alten Gutshof. Ein monströses Fachwerkhaus mit 44 Zimmern, für 40000 Mark erstanden, mit morschen Balken und einem Pferdestall im großen Garten, von weiten Wiesen umgeben.

Eine landschaftliche Idylle in Wüstefeld am Rande der Kleinstadt Rotenburg, nahe an der Fulda. Armin war als Kind oft mit Freunden da, sie nannten es "das Geisterhaus", weil es so düster war und muffig roch. Es gab Ponys, eine Katze und einen Hund. Armin mochte Tiere.

Die Mutter stattet das Haus nach ihrem Geschmack aus: antike Möbel, Gründerzeit und Biedermeier. Zu viel Inventar, als dass Übersicht herrschen könnte in den verwinkelten Zimmern. Blümchentapeten. Die meisten Räume werden zu Gästezimmern. Die Betten sind immer frisch bezogen, falls Besuch zum Übernachten kommt. Aber es kommt keiner.

Auf die Türen der Zimmer malt Waltraud M. poetische Namen: "Sonnenglanz" heißt ihr Schlafzimmer, "Frühtau" ihr Ankleideraum. Oben unterm Dach, auf fast 25 Quadratmetern, baut sie eine Modelleisenbahn auf. Mit Fachwerkhäusern in allen Größen, alten Schlössern, Bauernhöfen und vielen Tieren. Menschen sieht man keine, auch nicht auf den Gemälden an den Wänden. Das Zimmer, in dem die Eisenbahn steht, heißt "Schau ins Land".

Waltraud M. ist höflich zu den seltenen Gästen, die zum Nachmittagskaffee kommen, und herrisch zu ihrem Sohn, der den Haushalt erledigt. Sie schickt Armin vor, wenn die Nachbarn mal wieder am Feiertag Rasen mähen. Und beim Rapsblütenfest des Dorfes steht sie um 22 Uhr in der Festscheune und brüllt, dass es zu laut sei. Den erwachsenen Sohn schickt sie vor aller Augen nach Hause ins Bett.

Armin, gewohnt zu dienen, verpflichtet sich 1981 für zwölf Jahre bei der Bundeswehr, macht die Ausbildung zum Unteroffizier und Verwaltungsfachangestellten. Er ist die meiste Zeit in Rotenburg stationiert, jeden Abend fährt er nach Hause. Zuletzt dient er als Oberfeldwebel in der Materialgruppe des Panzergrenadierbataillons 52. Sechs Kameraden, vier Unteroffiziere und zwei zivile Mitarbeiter sind ihm unterstellt.

Er ist ein korrekter Soldat, immer zehn Minuten zu früh bei der Arbeit, ein Vorgesetzter ohne Härte. Genehmigt jeden Antrag auf früheren Dienstschluss. Hilft seinen Mitarbeitern beim Renovieren. Springt bei der Hochzeit des Sohnes eines Untergebenen als Kellner ein. Und nimmt auf Ausflügen der Truppe seine Mutter mit. Sie übernachten zusammen im Doppelzimmer.

Für die Zeit nach dem Bund träumt er von einer Karriere als Selbstständiger. Plant mit einem der Brüder, in dem Gutshof eine Computerschule einzurichten. Fängt an zu renovieren, bis das Geld ausgeht. Später will er eine Internetfirma für Arzneimittel gründen. Es bleibt bei den ehrgeizigen Plänen. Den Mut, sie umzusetzen, hat Armin M. nie. Beim Kasseler Rechenzentrum TSG bekommt er einen Job als Techniker im Außendienst. Er repariert für Banken Geldautomaten, Computer und Bildschirme, gilt als zuverlässig und fleißig, schafft mehr als jeder andere. Von den knapp 3000 Mark Nettolohn kauft er sich alte Autos, neben dem Computer sein einziges Hobby. Zwei Trabis, ein Wartburg, ein alter Mercedes Benz 108. Im Garten nimmt er sie auseinander, richtig zusammengebaut werden sie nie. Den Rest des Geldes gibt er zu Hause ab.

Wenn der Alltag vorüber ist, begibt sich M. in die Welt seiner Kindheitsfantasien. Er liest Bücher, die von Kannibalen handeln: über Robinson Crusoe und Jeffrey Dahmer, den legendären Serienmörder und Menschenfresser aus den USA. Er nimmt Berichte im Fernsehen auf, über den Vietnamkrieg und Fritz Haarmann, den "Vampir von Hannover", der in den 20er Jahren mehr als 20 junge Männer brutal ermordete. M. schneidet Fotos von Körperteilen aus Katalogen und klebt sie auf einen gezeichneten Grill. Er zerlegt Barbiepuppen in ihre Einzelteile. Die bewahrt er in einem Tresor auf, damit sie die Mutter nicht findet. Die dargestellten Fantasien sind sein einziges Geheimnis vor ihr.

Mit einer Videokamera filmt er sich selbst: Er hält sich ein Messer an den Hals und beschmiert seinen Körper mit Ketchup, das er mit Paprikagewürz anreichert, damit es dickflüssiger wird, wie echtes Blut. In seinem Kinderzimmer zieht er sich an einem Flaschenzug hoch, die Beine nach oben. Er modelliert einen Körper aus Marzipan, bestreicht ihn mit Kakaopulver und steckt kleine Stäbchen aus Lötzinn hinein. Sie sollen Messer und Gabel darstellen. Aus Schweinefleisch formt er einen Penis und legt sein eigenes Glied daneben, auf einem Frühstücksbrettchen. Die Mutter sieht inzwischen fern oder liegt schon im Bett. Der Sohn masturbiert, als er sich seine selbst gedrehten Szenen ansieht.

Nach außen hin bleibt er weiter der hilfsbereite, freundliche und etwas naive Kollege, Freund und Nachbar. Der nie besonders auffällt, aber extrem höflich ist. Der gern und oft lächelt und mit seiner ruhigen, warmen Stimme Charme verbreitet. Der nicht hässlich ist, auch nicht besonders schön, doch immer akkurat gekleidet und glatt rasiert. Mit blassem Gesicht und kurzem, dunkelblondem Haar, das sich über der Stirn lichtet. Er hilft beim Holzhacken. Fährt mit den Arbeitskollegen in den Urlaub, spielt für die Nachbarskinder den Nikolaus. Verpasst kaum ein Fest, auf den traditionellen "Wüstefelder Runden" gehört er zu den Letzten, die nach Hause gehen.

Zu seinen libanesischen Nachbarn hat er besten Kontakt: Er mäht ihnen den Rasen, repariert ihre Autos und lädt sie zum Essen ein. Vor allem aber kümmert er sich um die Söhne: Dem ältesten bringt er das Autofahren bei, mit dem jüngeren spielt er mit der Modelleisenbahn. Die Nachbarn sind begeistert. Hinweise, dass er die Kinder sexuell bedrängt hat, gibt es nicht. Als die Libanesen in ihre Heimat zurückkehren, besucht er sie viermal. Fotos zeigen ihn, wie er ein Mädchen auf dem Arm hält und zärtlich über dessen Kopf streicht.

M. schwärmt von einer eigenen Familie mit vielen Kindern. Als eine Bekannte aus Wüstefeld wegzieht, vermacht sie ihm ihre Kinderschaukel. Das lila- und pinkfarbene Gestell steht seitdem im Garten des Gutshofes und rostet vor sich hin. Als ihn ein Nachbar fragt, warum er denn nicht heirate, sagt M.: "Vielleicht irgendwann einmal, wenn Mutter tot ist."

Eine richtige Freundin hat M. nie gehabt. Er prahlt vor Kollegen mit seinen Beziehungen, stellt im Büro das Bild einer Frau auf den Schreibtisch. Behauptet, mit ihr schon im Bett gewesen zu sein. Die Frau sagt später bei der Polizei aus, mehr als ein Kuss sei nie gewesen. M. erzählt, er sei verlobt. Dabei hatte er einer Bekannten nur mal einen Ring geschenkt. Als er tatsächlich einmal den Antrittsbesuch bei einer Angebeteten macht, sitzt seine Mutter im Auto auf dem Rücksitz. M. ist erstaunt, dass sich seine Bekannte darüber aufregt. Er selbst kennt es nicht anders.

Zur sicheren Kontaktaufnahme mit dem weiblichen Geschlecht bedürfe es eines sicheren männlichen Identitätskerns, den Armin M. nicht aufweise, schreibt der psychiatrische Gutachter. Nach seiner Einschätzung habe sich M. von seiner ersten großen Liebe, der Mutter, nie gelöst. Der Vater und die Brüder hätten gefehlt, um eine männliche Identität entwickeln zu können. In seiner kranken Fantasie wolle M. zum Mann werden, in dem er sich einen anderen Mann einverleibe - und damit für immer an sich binde.

Waltraud M. stirbt am 2. September 1999 im Alter von 77 Jahren in ihrem Bett. Der Sohn ist 37 Jahre alt. "Es ist furchtbar, jetzt bin ich ganz alleine auf der Welt", sagt er später. Er habe den Augenblick gespürt, als seine Mutter starb, obwohl er nicht zu Hause gewesen sei. In seinem Körper habe sich alles zusammengekrampft, erzählt er. Es ist der Zeitpunkt, an dem die allmächtige Kontrolle ihr Ende hat. Und die kannibalischen Fantasien konkreter werden und brutaler.

M. lässt sich einen Internetzugang im Haus einrichten und speichert Bilder auf seinem Computer. Im Verzeichnis "Grausam" sammelt er Fotos von Unfallopfern und abgetrennten Körperteilen. Im Verzeichnis "Fleisch" eingescannte Bilder aus Lebensmittelprospekten. Im Videorecorder liegt immer eine Cassette bereit, falls im Fernsehen Berichte über Leichenöffnungen oder Serienmörder kommen. Erst spät in der Nacht geht er ins Bett. Im Regal seines Zimmers steht die komplette Sammlung von Walt Disneys lustigen Taschenbüchern.

Im Netz findet er Gleichgesinnte, denen er zum ersten Mal von seinen Träumen erzählen kann. Er schätzt, dass es über 800 sind, in Internetforen, die "Verspeist", "Gourmet" oder "Cannibal-Cafe" heißen. Mit 430 von ihnen nimmt er Kontakt auf. Bei Yahoo richtet er einen Chatraum ein. Es ist seine Plattform, in der er Selbstgedichtetes veröffentlicht.

Die Kurzgeschichte "Der Strichjunge" ist die detaillierte Beschreibung einer Tötung. Armin M. hat sie unter seinem Tarnnamen "Franky" aufgeschrieben: "Der Stricher sagte: Ich habe nur Dich und ich will auch nur Dich, lass mich ein Teil von Dir werden. Ich sagte: Das geht nicht, es sei denn, ich esse Dich auf. Er sagte: Dann schlachte mich, außer Dir interessiert sich sowieso keiner für mich. Ich entgegnete: Aber ich liebe Dich doch! Er sagte: Gerade deshalb musst Du es machen, oder ich bringe mich um. Ich spürte ein unheimliches Gefühl in mir, es war, als verbinden sich unsere Seelen."

Über 50 Schlachtgeschichten und Anleitungen speichert M. auf seiner Festplatte. Darunter Essays, die dafür werben, durch Kannibalismus die Überbevölkerung in der Dritten Welt einzudämmen. Oder Rezepte für "Panierte Jungenleber" und "Penis mit Rotwein". Die Geschichte "Auswahl des richtigen Jungen" dient ihm später als Anleitung, wenn er seine grausame Fantasie Wirklichkeit werden lässt. "Man nimmt ein scharfes, großklingiges Messer und öffnet die Bauchdecke vom Schambein bis zum Brustbein."

Jahrelang sammelt M. Bilder und Texte. Die Nachbarn bemerken bis spät in der Nacht Licht in seinem Arbeitszimmer. Sein Doppelleben funktioniert: Er erscheint jeden Tag pünktlich zur Arbeit im Kasseler Rechenzentrum, und er ist noch immer auf der Suche nach einer Frau fürs Leben. Meldet sich bei einem Heiratsinstitut an - vergebens. Geht abends in den Puff "Blue Moon" - und schläft am Tresen ein. Silvester 1999 lernt er eine Frau kennen, 36, Mutter dreier Kinder. Sie ist begeistert von seiner Höflichkeit und seinem Umgang mit den Kleinen. Sie gehen zusammen in die Disco, halten beim Spaziergang Händchen.

Als er ihr beichtet, auch auf Männer zu stehen, bricht sie den Kontakt ab. "Du und die Kinder, ihr seid mir die liebsten Menschen", schreibt er in einem Liebesbrief. Eine Mutter, die in jeder Lebensphase immer erst an ihre Kinder denke, sei die beste und schönste Frau auf Erden. Er schickt den Brief nie ab.

Der Kontakt zu den Nachbarn wird spärlich. Die Söhne der Familien dürfen ab und zu noch zum Spielen kommen, in das alte, schaurige Gutshaus. Abends zündet er ein Lagerfeuer an und grillt das Fleisch, das die Jungs mitgebracht haben. M. lässt sie am Computer spielen und fernsehen. Als die Jugendlichen ihn drängen, auch mal "Das Schweigen der Lämmer" anzusehen, sagt M., solche Filme seien bei ihm nicht erlaubt.

Nachts im Internet zeigt er sich anders. In den Kannibalen-Foren schreibt Armin M. 60 Kontaktanzeigen: "Suche jungen, gut gebauten Mann, der sich von mir gerne fressen lassen würde. Aussagekräftige Körperfotos erwünscht." Als sich im Frühjahr 2000 ein "Matteo" meldet, der sich von ihm quälen, töten und essen lassen will, richtet M. im zweiten Stock des Hauses einen Schlachtraum ein.

In die ehemalige Räucherkammer des Gutshofes stellt er ein Bett aus Eisen und einen Biergartentisch. Neben das Bett zwei Nachttische, in einen legt er ein Fix-und-Foxi-Heft, auf den anderen stellt er einen Raumerfrischer, Limonenduft. Neben das Bett zwei Heizstrahler, weil Matteo lebendig gegrillt werden will. An die Wand nagelt er zwei Holzleisten, die ein Andreaskreuz bilden. Daran hängt er zwei Schaufensterpuppen aus Gummi, die er im Internet ersteigert hat. Aus der Verpackung eines Kaminbaukastens bastelt er einen Käfig, aus einer Regenschirmhülle und einem Fernsehkabel eine Peitsche. Er holt ein Beil der Großmutter aus dem Küchenschrank und legt es auf den Tisch. Bei Beate Uhse kauft M. noch eine neunschwänzige Peitsche. Die Wände dämmt er mit Matratzen und nagelt eine Pressspanplatte davor. Er stellt zum Test das Radio laut und geht nach draußen. Der Raum isoliert gut. Er macht Bilder des Schlachtzimmers und mailt sie an Matteo.

Der meldet sich nicht wieder, dafür schreiben andere Interessenten. Sie nennen sich "Schlachtjunge", "Mädchenfleisch" oder "Meat4food". Junge Männer, die der Gedanke an Menschenfleisch erregt. Einer erzählt im Chat, dass er gern einen Schlachthof beobachte und sich vorstelle, es würden Menschen getötet. M. vereinbart mehr als 30 Treffen, um seine möglichen Opfer kennen zu lernen. Er setzt sich ins Auto und fährt nach Holland, Dresden und Hamburg. Die meisten bestellt er an den Bahnhof nach Kassel. Doch alle Verabredungen platzen, bis er im Juli 2000 einen "Jörg" aus Füssen kennen lernt.

Der 31-jährige Hotelkoch bietet zwei seiner Arbeitskollegen zum Verzehr an. Im Chat malen sich beide aus, wie sie die jüngeren Männer mit einem Gummihammer betäuben und im Schlachtraum zerteilen. Jungenmagen, mit Hackfleisch gefüllt, sei ein gutes Rezept, schreibt Jörg. Er könne es kaum erwarten, bis das erste zarte Fleisch auf seiner Zunge liege, antwortet M.. Er gibt nur vor, an den beiden Kollegen interessiert zu sein. In Wahrheit hofft er, dass sich Jörg selbst als sein Opfer anbietet. Er wäre der ideale Schlachtjunge.