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Wenn Slapstick auf Bösartigkeit trifft ... An einem Freitagabend versucht Bertholds Bande, den stinkreichen Wotan Vieth zu überfallen. Es gelingt der Bande zwar, eine Plastiktüte voller Bargeld sowie eine DVD mit der Aufschrift "Menschliche Einzelteile" zu erbeuten, doch der Überfall geht schief. Es kommt zu einer Schießerei, Berthold kassiert einen Treffer in den Sack und die Bande muss türmen. Dabei nehmen die Gangster Wotans Neffen Sören als Geisel. Auf der Suche nach einem Arzt verschafft sich die Bande Zutritt zur Villa des Chirurgen Dr. med. von Brechtow. Doch der scheint nicht ganz er selbst zu sein. Als dann auch noch die gesamte Besatzung des örtlichen Polizeipostens, zwei Mafiakiller, die Spezialeinheit und eine Gruppe Nazi-Satanisten auftauchen, sinken Sörens Überlebenschancen unter Bodenniveau. Jeder scheint jeden zu kennen und alle scheinen hinter der DVD her zu sein. Sören kann das nicht nachvollziehen. Er vermutet, "Menschliche Einzelteile" sei nichts weiter als ein italienischer Schundfilm von Lucio Fulci oder Dario Argento. Doch da täuscht er sich gewaltig! Vorsicht! Dieser Roman ist die Schwärze im Kohlenkeller des Humors. Er ist der Absatz des Stiefels, der den guten Geschmack in den Boden stampft. Er ist der Todesschrei, der durch menschliche Abgründe hallt. Der Bremsstreifen in der Unterhose eines Psychopathen. Der letzte Meter am Maßband der politischen Unkorrektheit. Das Tüpfelchen, das dem "i" den Boden ausschlägt.
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Menschliche
Einzelteile
Ein Roman von
Niels Peter Henning
Impressum:
Text, Satz und Umschlaggestaltung Copyright © 2013
Niels Peter Henning
Finkenweg 25
35440 Linden
http://www.niels-peter-henning.com
Inhalt
Studie für Yuri Gagarin
Sören Gieselbert Vieth-Lawaczek
Wotan Vieth
Sonder-Bar
Schinken
Planung und Wirklichkeit
Ärztliche Betreuung
Dres. Med. von Brechtow
Pädagogische Maßnahme
Medizinische Fachsimpelei
Operationssaal
Cineasten unter sich
La Cucaratscha
Die Sturmfront von Pfalzenberg
Parkinson und Blindheit
Schlachthaus
Heißer Moment in kalter Küche
1-1-0
Die Bielefeld-Sache
Niemand setzt mehr einen Streamer ein
Feuer einstellen!
Kein Geschäft, aber ein Deal
Fluchtfahrzeug ohne Kennzeichen
Planung und Wirklichkeit, Teil 2
Eintracht Zwietracht
Marky Mark erledigt Matt Damon
Wenn zwei Mann von drei Seiten aus angreifen ...
Mission Bier
Schmutziges Kind
Verwählt
Göbel, die Pflaume
Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Ninjas vom Himmel
Vorfreude ist die schönste Freude
Hauptsicherung
Nordpol-Richard
Hier spricht die Polizei!
Schießen oder sprengen?
Psytschologie
Extrem asoziales Verhalten
Ein Lichtermeer
Go!
Gefrierbrand
Damals bei der NVA
Mein Wille geschehe!
Kreischender Komet
Ein Riesending
Schluss mit Lustig
Spitzenwitz
Eye of the Tiger
Die Fahne hoch ...
Nazi-Satanisten
Die Schwiegermutter
CS-Gas-Angriff
Der Weihnachtsmann ist da!
Die rosarote Granate
Pieksen oder Knacksen?
Exzesse auf der Schönheitsfarm
Die Schattenfaust des fetten Bogenschützen
Eine kleine Sonne
Spendiert dem Lieben Gott ein Bier!
Eine Salatgurke hing am Glockenseil
Medizinische Letztversorgung
Über den Autor
»Glotz nicht so blöd!«
Sören zuckte zusammen, obwohl er überhaupt nicht gemeint war.
Er konnte nicht glotzen, denn sie hatten ihm einen Kissenbezug über den Kopf gezogen. Nicht irgendeinen Kissenbezug, sondern den von Tante Evelyns Lieblingssofakissen. Den mit der komischen Zeichnung von einer Taube drauf, die wie eine Visage aussah.
Sören hatte diese Taube für debiles Kindergekritzel gehalten, doch Tante Evy hatte ihm erklärt, es handele sich um eine Zeichnung von Pablo Picasso. »Studie für Yuri Gagarin« würde sie heißen. Sören trug dieses Taubengesicht nun genau auf seiner eigenen Schnauze. Dabei wusste er noch nicht einmal, ob es sich bei dieser Gagarin um eine Popsängerin oder um eine Fernsehköchin handelte.
»Fass mich nicht an, du Klotaucher!«
Sören zuckte erneut zusammen, obwohl er auch dieses Mal nicht gemeint war. Er zuckte jedoch immer zusammen, wenn ein lautes Wort gesprochen wurde. Leute, die ihn kannten, hatten daraus schon einen Running Gag gemacht. Sein Therapeut beispielsweise machte sich einen Spaß daraus, während der Gesprächstherapie unvermittelt »Buh!« zu rufen. Er behauptete, aus Sörens Reaktion irgendwelche Rückschlüsse auf dessen geistige Gesundheit ziehen zu können. Sören hingegen war sich ziemlich sicher, sein Therapeut fand es einfach nur saukomisch, ihn von Zeit zu Zeit auf dem Sofa hüpfen zu lassen.
»Verdammt nochmal, ihr Gasköpfe«, brüllte die Stimme weiter. »Ihr habt alles versaut!«
Diesmal zuckte Sören nicht mehr zusammen. Das war das Gute an dem Gag: Er funktionierte meistens nur ein- oder zweimal.
Ganz allmählich gelang es Sören sogar, seine Panik ein wenig in den Griff zu bekommen und über seine Situation nachzudenken. Also, wie sah es aus?
Er befand sich offenbar im Fahrzeug der Gangsterbande, die das Haus des Eisenonkels überfallen hatte. Sören saß ganz hinten, den Rücken gegen die Seitenwand gelehnt. Es musste sich um einen Transporter oder einen Kastenwagen handeln. Die gesamte Bande fand hier drin Platz.
Um ihn herum drängten sich die Gangster. Dem Gebrüll nach zu urteilen, lag der Anführer in der Mitte. Der Eisenonkel hatte ihm vor Sörens Augen in den Sack geschossen. Alle anderen wussten offenbar nicht recht, was sie tun sollten, denn sie gaben keinen Mucks von sich. Viel hätten sie ohnehin nicht tun können. Nicht bei einem solchen Treffer.
Um seine Lage nicht zu verschlimmern, tat Sören das Einzige, was er in dieser Situation zustande brachte: Er versuchte, sich unsichtbar zu machen. Diese Fähigkeit hatte er in den letzten zehn seiner inzwischen achtzehn Lebensjahre bis zur Perfektion trainiert. Dabei musste er noch nicht einmal selbst aktiv werden. In der Regel wurde er von allen schlichtweg übersehen.
Und falls doch jemand auf ihn aufmerksam wurde, dann geschah dies meist in Situationen, in denen Sören es vorgezogen hätte, unsichtbar zu bleiben.
Dies hier war gerade eine solche Situation.
»He, Remo. Willst du hier übernachten, oder was? Wir sollten verschwinden.«
Sören erkannte die Stimme. Diese Mischung aus Wut und Gereiztheit konnte nur von dem Burschen kommen, der selbst mit seiner Strumpfmaske noch wie ein Neandertaler wirkte und sich aufführte, als sei er gerade aus einer Höhle gekrochen.
Dann eine Stimme von vorne: »Sag mal, Ewald, dir muss ich doch voll eins in die Fresse hauen, oder? Wir haben doch abgemacht, uns nicht mit Namen anzusprechen, du Depp!«
Sören schüttelte den Kopf, beziehungsweise die Taubenvisage, die über seinen Kopf gestülpt war. Diese Vollpfosten redeten sich schon die ganze Zeit über mit Namen an. Diesem Remo war es bis jetzt nur noch nicht aufgefallen.
Remo – das war dieser große, kräftige Kerl, der seine sächsische Herkunft nicht ganz verleugnen konnte.
»Ist doch scheißegal.« Das war wieder Ewald. »Wir sind doch unter uns.«
»Ach nee«, sagte Remo. »Sind wir das wirklich? Und was ist mit dem Idioten da hinten?«
Sören zuckte zusammen – und das ging in Ordnung, denn diesmal war er tatsächlich gemeint. Allerdings war er sich nicht ganz sicher, ob er wirklich der einzige Idiot hier hinten war.
Ewald zögerte einen Moment. Dann sagte er: »Ach Mist, den habe ich ja völlig übersehen.«
Sören zuckte mit den Schultern. So war das nun einmal mit der Unsichtbarkeit.
»Mann Ewald, du blöder Hammel«, fauchte Remo. »Der kennt jetzt unsere Namen. Du hast den Typen mitgeschleppt, also sieh zu, wie du die Sache in den Griff kriegst.«
Ewald überlegte einige Sekunden. Dann sagte er: »Soll ich den Blödmann umlegen, oder was?«
Sören begann zu zittern. Außerdem brach ihm der Schweiß aus. Er schwitzte immer wie ein Schwein, wenn er unter Druck geriet. Oft fing er damit gleich morgens nach dem Aufwachen an.
Dieser Ewald würde ihm das Licht mit einer Sa.25-Maschinenpistole auspusten. Auch wenn Sören wegen der Strumpfmasken keinen einzigen der Gangster erkannt hatte – die Waffen hatte er auf den ersten Blick identifizieren können.
Doch bevor Ewald sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte, meldete sich der Verwundete wieder zu Wort: »Ihr blöden Vollidioten, hört mit dieser Scheiße auf! Lasst den Burschen in Ruhe und ruft mir stattdessen lieber einen Arzt! Ach Quatsch, was labere ich da? Vergesst das mit dem Arzt. Ruft mir besser gleich einen Pfarrer!«
Eine neue Stimme schaltete sich ein: »Berthold hat Recht. Außerdem würde ich an deiner Stelle hier drin nicht herumballern, Ewald. Hier stinkt es nämlich ganz schön nach Benzin. Dein Mündungsfeuer würde uns glatt in die Luft jagen.«
Dem Brummen nach zu urteilen hatte da gerade der Fettsack gesprochen. Ein Monster von einem Kerl. Mindestens zwei Meter groß und ebenso schwer. Seine Kumpanen nannten ihn den ›Schinken‹. Der Bursche schleppte eine Remington-Pumpgun mit sich herum. Die Kanone passte zu ihm.
»Ja, Mann. Jetzt, wo der Schinken es sagt, fällt's mir auch wieder ein.«
Diese Stimme war von vorne gekommen, anscheinend vom Fahrersitz. Das musste der Typ mit der Uzi sein. Sie nannten ihn »Buddha«. Dieser Typ wirkte, als gehöre er in Wirklichkeit gar nicht zur menschlichen Rasse. Nein, noch verrückter: Er wirkte, als gehöre er in Wirklichkeit überhaupt nicht zur Wirklichkeit.
»Da ist irgendwas mit dem Spritschlauch nicht in Ordnung«, lallte der Buddha. »Den alten hat ein Marder durchgefressen. Da habe ich ihn gegen ein Stück Gartenschlauch ausgetauscht. Das hat aber irgendwie ein Loch bekommen. Jetzt gluckert hier ab und zu ein Schluck Sprit rein. Ich hab es nicht repariert, weil das ganz schön geil in der Birne bombt. Nach zwei Kilometern Fahrt sieht man rosa Elefanten.«
»Oh Mann, unser Buddha und sein fahrendes Drogenlabor. Ich lach' mich kaputt!«
Auch diese Stimme konnte Sören zuordnen. Das war der Kleine, den sie drinnen »Detlev« und manchmal auch »Depplev« gerufen hatten. Der, der die DVD eingerafft hatte. Der mit dem Colt Government.
Berthold brüllte weiter: »Ihr Brontosaurier, ich glaube, ich kacke gleich ab! Hört ihr wohl mal auf zu schwafeln und tut irgendwas?«
Bewegung um Sören. Die Leute rutschten herum.
»Mann, Berthold, das tut mir echt leid«, sagte Remo. »Hat mal irgendjemand Licht da hinten?«
»Hier ist 'ne Taschenlampe.«
Oh, eine Frauenstimme. Die kam auch von vorne.
Sören überlegte. Wem gehörte diese Stimme wohl?
Er zählte ab: Da waren also Berthold, der jetzt verwundet am Boden lag. Remo, der Sachse. Ewald, der Neandertaler. Depplev, der die DVD geklaut hatte. Der Fahrer, den sie Buddha nannten. Der Schinken mit der Pumpgun und dann noch ein Typ, von dem die anderen sagten, er stamme aus Frankfurt.
Der Typ aus Frankfurt hatte bis jetzt noch kein einziges Wort gesagt, doch die Frauenstimme konnte nicht ihm gehören. Er hatte nämlich keine Titten dran.
Es musste also noch jemanden geben. Eine Frau.
»Sag mal, Jessy, wo hast du die denn gefunden?«, fragte Remo.
Aha, Jessy. So hieß die also.
»Mir war langweilig, während ihr da drin wart. Da habe ich das Handschuhfach aufgemacht. Ist doch nicht schlimm, oder, Heino?«
»Nee, ist schon okay. Kannst ruhig gucken, so lange du die Finger von meinem Stoff lässt.«
Jessy hatte während des Überfalls also hier draußen im Auto gesessen. Deswegen war sie Sören nicht aufgefallen.
Aber Moment mal – sie hatte gerade »Heino« gesagt und der Typ, den sie »Buddha« nannten, hatte geantwortet. Also hieß der gar nicht Buddha, sondern Heino. Na, das wäre auch ein starkes Stück gewesen! Schließlich konnte man nicht einfach jemanden nach einem Gott oder einem Satan taufen. Dann könnte man sein Kind ja auch gleich »Jesus« nennen. Das ging ja gar nicht! Solche Namen gab es wahrscheinlich in Wirklichkeit überhaupt nicht. Sören war überzeugt, solche Namen waren ausschließlich für Bibeln und solches Zeug erfunden worden.
In jedem Fall fühlte sich Sören vorerst einigermaßen sicher. Ewald konnte ihn nicht erschießen, ohne das ganze Auto in die Luft zu jagen und es befand sich eine Frau an Bord. Grund genug für Sören, nicht loszuheulen und stattdessen abzuwarten, wie sich die Situation entwickelte.
Dann ertönte ein leises »Klick-Klack«. Offenbar hatte jemand die Taschenlampe eingeschaltet.
»Oh Mann!« Das war der Typ, der die DVD geklaut hatte – Detlev. »Das sieht ja aus wie in 'Steiner – das Eiserne Kreuz'. Ich meine die Szene, wo die Tussi dem Soldaten die Nudel abbeißt, als der sie vergewaltigen will.«
Remo fuhr dazwischen: »Detlev, jetzt halt mal die Schnauze mit deinen Filmen, du Brummochse. Das hier ist kein Film, das ist voll die reale Wirklichkeit. Sag mir lieber, wo die Eier vom Berthold geblieben sind.«
Noch mehr Geschiebe und Gerutsche. Sören wurde hin und her geschubst. Dann sagte der Schinken: »Ach du Scheiße, dem läuft alles raus.«
»Sieht voll fies aus«, sagte Detlev.
Von vorne meldete sich Jessy: »Meint ihr nicht, wir sollten erstmal abhauen?«
»Na klar, davon rede ich doch die ganze Zeit«, fauchte Ewald dazwischen. »Mir hat es schon gereicht, von diesem geisteskranken Banker beschossen zu werden – da möchte ich seine Schwiegermutter gar nicht erst kennen lernen. Wir sollten zusehen, dass wir hier wegkommen!«
Sören nickte automatisch. Ewald hatte nicht Unrecht: Der Eisenonkel würde nicht so schnell aufgeben. Und das war auch gut so. Wenn die Bande noch ein wenig trödelte, dann würde der Onkel auftauchen und ordentlich Dampf machen. Und dann wäre Sören gerettet.
Allerdings wusste auch Sören nicht, was sein Onkel meinte, als er von der »Schwiegermutter« gesprochen hatte, die er auf die Gangsterbande loslassen wollte. Soweit Sören wusste, war Tante Evelyns Mutter bereits vor vielen Jahren gestorben.
Um Sören herum kam es unterdessen erneut zu Gepolter und Geschubse. »Zuerst mal müssen wir die Blutung stoppen«, sagte der Schinken. »Wenn nicht, dann überlebt Berthold die nächsten hundert Meter nicht.«
Remo sagte: »Alles klar. Ich habe gehört, bei sowas müsse man fest auf die Wunde drücken, damit die Blutung aufhört. Bei einem Schuss in den Sack ist das natürlich ganz schön eklig. Freiwillige?«
»Wer hat dir den Scheiß mit dem Draufdrücken erzählt?«, fragte der Schinken.
»Das war beim Erste-Hilfe-Kurs für den Führerschein.«
»Führerschein?« Überraschung schwang in der Stimme des Schinkens mit. »Ich dachte, du hättest überhaupt keinen Führerschein.«
»Habe ich auch nicht. Ich hatte mal einen, aber den musste ich abgeben.«
Ewald keifte los: »Ja, genau: Du musstest den abgeben, weil du besoffen in eine Kontrolle geraten bist, du Rindvieh. Dabei bist du in einen Streifenwagen gerauscht und hast einen Stromkasten zu Klump gefahren. Zwei Tage lang war ganz Belzenbach ohne Strom und den Leuten sind im Kühlschrank die Koteletts vergammelt. Und nach dem Crash wolltest du auch noch den Bullen auf die Fresse hauen. Zuletzt haben die dich in Handschellen abgeführt. Wäre das nicht passiert, dann hättest du heute den Fluchtwagen fahren können. Dann hätten wir uns diesen Idioten von Buddha nicht ins Boot holen müssen.«
»Peace!«, rief der Buddha von vorne. Sören konnte das dümmliche Grinsen des Mannes buchstäblich in dessen Stimme hören.
»Drückt jetzt mal jemand beim Berthold auf den Sack drauf?«, hakte der Schinken ein.
»Ich mache das«, sagte Ewald. »Ich kenne mich mit sowas doch aus. Aufgepasst!«
Etwas gluckerte. Sören versuchte sich vorzustellen, welche Szene sich da gerade vor seinen verdeckten Augen abspielte. Als ihm ein Schluck Kotze hochkam, würgte er seine Phantasie ab und versuchte stattdessen, sich Jessys Möpse vorzustellen. Das funktionierte jedoch überhaupt nicht, denn er wusste schließlich noch nicht einmal, wie diese Jessy aussah.
Schließlich brüllte Berthold los und erlöste Sören aus seiner Gedankenwelt: »Aaaaaah, Scheiße! Fasst meinen Sack nicht an.«
»Also Berthold, du musst dir schon helfen lassen«, lamentierte Detlev.
»Halt die Schnauze, du Tortenheber! Ihr seid ein Haufen dämlicher Landeier. Man sollte euch alle an die Wand stellen. Ihr habt alles vergeigt, ihr Einzeller. Das hat man nun davon, wenn man sich mit einer Bande von Dorfbauern einlässt!«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt!« Ewald – wer auch sonst? »Du hast die ganze Sache doch geplant. Du hast gesagt, es wären nur der Vieth und dem Vieth seine Alte im Haus. Es war keine Rede davon, dass dieser bekloppte Bankier plötzlich eine Knarre zieht. Und von der Schwiegermutter oder dem Deppen da hinten hast du auch nichts gewusst. Scheiße, ich wette, du hast noch nicht einmal was von der ganzen Kohle gewusst.«
»Und von dem Film«, krähte Detlev dazwischen.
Berthold konterte: »Ich könnt mir mal den Buckel runterrutschen und mit der Zunge bremsen, wenn ihr unten angekommen seid. Ihr seid die allerletzte Gurkentruppe. Ich hätte mir meine Bande auch im Irrenhaus rekrutieren können. Das hätte besser funktioniert. Habe ich aber nicht. Und deswegen liege ich jetzt hier und mir hängen die Eier raus. Oh Mann, wenn ich könnte, dann würde ich euch alle kalt machen! Zuerst würde ich euch allen die Schwänze abschneiden. Und dann würde ich mir diese blöde Schlampe von Jessy vorknöpfen!«
Die Vorstellung, Berthold dabei zuzusehen, wie er sich mit einer Hand voller männlicher Geschlechtsorgane über Jessy hermachte, fand Sören durchaus anregend. Remo hingegen schien diesem Vorschlag nicht allzu viel abgewinnen zu können.
»Meine Fresse, das höre ich mir nicht länger an«, sagte er. »Buddha, hast du was von deinem geilen Zeug dabei? Irgendetwas, das ziemlich schnell wirkt?«
»Aber immer doch. Guckt einfach mal in dem Werkzeugkasten hinter dem Beifahrersitz nach. Da ist was Gutes drin.«
Geklapper. Gerutsche. Geschiebe.
Dann Detlev: »Mann, der Buddha hat hier einen richtig guten Vorrat. Schinken, kannst du mir mal leuchten? Was soll ich denn nehmen? Ein paar von den Pillen mit dem Totenkopf drauf? Oder von den grünen?«
»Hier ist auch noch was, hinter der Seitenverkleidung«, sagte Ewald. Ein wenig Geklapper, dann: »Heilige Scheiße, die Karre ist ein fahrendes Drogenlabor!«
Auf dem Fahrersitz sagte der Buddha: »Na klar. Ich musste meine Küche hier drin unterbringen. Was meint ihr, was los gewesen wäre, wenn Mutti das ganze Zeug in meinem Zimmer entdeckt hätte?«
»Ich nehme an, sie hätte dich kalt gemacht«, sagte Ewald.
»Quatsch«, antwortete der Buddha. »Die Olle hätte alles selbst gefressen.«
»Also was nun?«, fragte Detlev. »Welche Pillchen soll ich dem Berthold geben?«
Der Buddha überlegte einen Moment. Dann sagte er: »Keine Pillen. Schau mal in das Fach, in dem normalerweise die Schraubendreher liegen. Da sind ein paar geile Tropfen drin. Gib mir auch welche, wenn Du fertig bist.«
Noch ein wenig Geschiebe und Gerutsche.
Dann machte etwas »Plopp« – ein Stöpsel, der von einer Flasche gezogen wurde.
»Hehe, jetzt kriegst du was richtig Gutes, Berthold«, sagte Detlev. »Das is' so ähnlich wie in 'Pulp Fiction', weißte?«
Berthold brüllte los: »Depplev, du dumme Sau. Bleib mir mit dem Zeug vom Leib! Ich will diese Scheiße nicht! Weiß der Geier, was dieser Idiot da alles rein gepanscht hat. Ich will nicht so bescheuert wie der Buddha werden. Ich will nicht ... aaaah!«
Berthold gab einiges Gespucke und Gesprotze von sich.
Ewald sagte: »Jetzt halt mal still, Berthold. Wir wollen doch nur dein Bestes. Los, Depplev, ich halte fest und du gießt. Auf drei. Eins, zwei ... äh, drei.«
Augenblicklich herrschte eine Menge Aufruhr im Auto. Sören wurde hin und her geschubst. Berthold wehrte sich mit Händen und Füßen. Das mit den Händen konnte Sören nur vermuten, denn schließlich konnte er immer noch nichts sehen. Das mit den Füßen hingegen wusste er ziemlich genau, denn er kassierte zwei deftige Tritte gegen den Kopf. Berthold hatte in seiner Not offenbar ausgehuft und seine Peiniger dabei verfehlt.
Dann endete das Gezappel und Detlev sagte: »Upps, ich glaube, das war ein bisschen viel.«
»Ihr Schafsköpfe, ich mache euch platt«, schrie Berthold sofort wieder los. »Wo ist meine Kanone? Ich knalle euch ab. Jeden einzelnen von euch. Ich schieße euch zuerst die Kniescheiben weg, damit ehr nicht abhauen könnt. Dann schieße ich euch in die Bäuche, damit es so richtig schön weh tut, wenn ihr ... hallulah! Auull ... luaaah!«
Dann kehrte Ruhe ein.
»Oh Mann, was für ein Wahnsinnszeug«, sagte Remo in die Stille.
»Yo, Mann«, sagte der Buddha. »Geht echt gut ab.«
»Kann ich davon ein bisschen was haben? Für später, meine ich.«
Ein Klatschen. Dann Jessys Stimme: »Menno, Remo, du hast mir versprochen, mit dem Scheiß aufzuhören.«
»Ist ja gut, Schnuckelchen. Ich wollte doch nur ... oh Scheiße, Heino, fahr los! Da kommt dieser bekloppte Banker – und er hat eine Schrotflinte dabei! Fahr! Fahr! Fahr!«
Für den Bruchteil einer Sekunde erlaubte sich Sören, so etwas wie Hoffnung in seinen Gedanken aufblitzen zu lassen. Der Eisenonkel kam, um ihn zu retten!
Dann bellte draußen ein Schuss. Etwas donnerte gegen die Seitenwand des Fahrzeuges und alle schrien auf.
Remo brüllte: »Faaahr!«
Und Heino, der Buddha, startete den Motor.
Alle Hoffnungen in Sörens Kopf verpufften, als das Triebwerk des Transporters zum Leben erwachte. Es klang, als würde eine Munitionsfabrik explodieren! Wenn Sören nicht im Kugelhagel der Gangster oder durch einen ungezielten Schuss des Eisenonkels ums Leben kam, dann würde dieser Motor in die Luft fliegen und ihn töten.
Dabei hatte er doch nur ein Wochenende bei seinem Onkel, Wotan Vieth, verbringen wollen müssen ...
Seit seiner Geburt lebte Sören sicher und behütet in den Fängen seiner Mutter, Agnes-Freya Vieth-Lawaczek. Über Agnes-Freyas Schwierigkeiten, ihrem Sohn das Tragen von Windeln abzugewöhnen, soll an dieser Stelle geschwiegen werden – das hatte nichts mit Sörens Geiselnahme zu tun.
Zumindest nicht direkt.
Im Alter von vier Jahren entwickelte Sören eine Vorliebe für Nudelsuppe – und zwar ausschließlich für Nudelsuppe. Alle anderen Lebensmittel, die man ihm aufnötigte, spie Sören umgehend und mit enormer Geräuschentwicklung wieder aus. Eine Eigenheit, die Agnes-Freya nur zu gerne bediente. Schließlich fand sie es chic, ein Kind mit einer Essstörung zu haben.
Als schließlich eine ärztliche Behandlung wegen einseitiger Ernährung nötig wurde, jubilierte Agnes Freya. Schließlich konnte sie sich mit dieser Geschichte wieder bei ihren Freundinnen in den Vordergrund spielen, denn es war ja so unheimlich chic, wenn das Kind vom Arzt behandelt werden musste.
Doch auch dies spielte bei Sörens Geiselnahme keine Rolle. Zumindest nicht unmittelbar.
Mit seiner Anmeldung im Kindergarten begann für den kleinen Sören schließlich der Ernst des Lebens – und das Leiden. Bereits nach wenigen Tagen und einer Reihe von Keilereien, die Sören weder angezettelt noch gewonnen hatte, meldete Agnes Freya ihren Spross beim Kindergarten ab und beim Kinderpsychologen an. Agnes Freya fand es einfach nur chic, ein Kind in Therapie zu haben!
Sören hingegen stand der Sache recht neutral gegenüber. Einerseits stand ein Vierjähriger beinahe allem neutral gegenüber, andererseits hatte ihn der Psychologe bis zum Scheitel mit Psychopharmaka zugeknallt. Daher war Sören ohnehin alles scheißegal.
In der Schule flüchtete Sören in die Mittelmäßigkeit. Wie er schon früh herausfand, blieben alle verschont, die sich nicht besonders hervortaten. Das machte sich Sören zur Tugend. Nach einiger Zeit gelang es ihm, sich unauffällig genug zu verhalten, um von seinen Schulkameraden komplett übersehen zu werden. Schließlich überlebte er auf diese Weise lange genug, um einen mittelmäßigen Realschulabschluss auf die Beine zu stellen.
Nach seinem Schulabschluss hatte Sören dann zunächst seine Tätigkeit als Sohn aufgenommen. Vollzeit. Dabei hatte er sich die Zeit mit Videospielen vertrieben. Dies brachte ihn auf seinem Lebensweg zwar kein Stück weiter, doch es genügte Sören als Alternative zur Arbeitssuche. Außerdem brachten gerade die Ballerspiele einen gewissen Lerneffekt mit sich: Nach einiger Zeit konnte Sören jede nur erdenkliche Schusswaffe auf den ersten Blick identifizieren.
Als er eines Tages das erste Online-Spiel versucht hatte, war er von seinen meist jüngeren Mitspielern ohne Gnade vorgeführt, beschimpft und schließlich aus dem Spiel geworfen worden. Dies hatte ihm eine Reihe von Sondersitzungen bei seinem Therapeuten eingebracht. Dieser hatte ihm an Ende geraten, zukünftig von Videospielen die Finger zu lassen und stattdessen auf Seidenmalerei oder Makramee umzusteigen.
So konnte es nicht weitergehen, entschied Agnes Freya. Zeit, dem Jungen einen Schubs in die richtige Richtung zu geben. Niemand war dafür höher qualifiziert als Agnes Freyas älterer Bruder:
Sören nannte ihn den »Eisenonkel«.
Und er konnte ihn nicht ausstehen.
Niemand konnte Wotan Vieth ausstehen.
Auf einen Außenstehenden wirkte Wotan Vieth mit seiner grauen Bürstenfrisur stets wie einer dieser besonders fiesen Militärausbilder – einer dieser Napoleons, die nicht gewachsen, sondern aus Stacheldraht zusammengeknotet worden waren. Ein richtiger Schleifer, der seine Männer leiden ließ, bis ihnen das Wasser im Arsch kochte.
Doch Wotan Vieth brachte dem Militär nicht die geringste Sympathie entgegen. Ganz im Gegenteil: Er hielt Soldaten durchweg für Schlappschwänze in Uniform. Nichts weiter als ein Haufen Zivilversager. Er selbst hingegen bewegte sich auf einem ganz anderen – und seiner Ansicht nach viel gefährlicheren – Schlachtfeld: den Finanzen.
Für oder gegen wen er auf diesem Schlachtfeld kämpfte, wusste nur Wotan Vieth alleine. Doch wann immer man ihn antraf, sprach er stets davon, gerade jemanden fertig zu machen oder gerade jemanden fertig gemacht zu haben. Außerdem spielten feindliche Übernahmen eine Hauptrolle in Wotans Berichten.
Ja, Wotan Vieth wusste stets genau, was er wollte. Und er wollte, dass er bekam, was er wollte – ohne dass jemand wissen wollte, was er wollte. Genau der richtige Mann, um Sören einen Einblick in das Geschäftsleben sowie einen Schubs in die richtige Richtung zu verpassen – fand Agnes Freya.
Sören hingegen fand diese Idee zum Kotzen.
Für ein Wochenende hätte er den Eisenonkel nun ertragen müssen. Ein Wochenende lang hätte er sich die kernigen Sprüche dieses Rumpelstilzchens mit Bürstenfrisur anhören müssen. Danach hätte er wieder nach Hause zu seiner Mutter, einem Bottich Nudelsuppe, seinem Therapeuten und seinen Videospielen zurückkehren können. Doch an diesem Freitagabend war irgendwie alles aus dem Ruder gelaufen.
Der Abend hatte schon blöde angefangen: Vom Fernsehprogramm gelangweilt, hatte Sören zunächst versucht, etwas näheren Kontakt zu Tante Evelyn zu knüpfen. Der Eisenonkel war erst seit etwa drei Jahren mit Evelyn verheiratet und Sören fragte sich, wie es einem Wotan Vieth gelungen war, ein so heißes Stück Fleisch zu ehelichen – insbesondere, weil dieses Stück Fleisch gut zwanzig Jahre weniger auf dem Tacho hatte.
Doch wie Sören wusste, bekam ein Wotan Vieth immer, was er wollte. Im Zweifelsfall eben durch eine feindliche Übernahme.
Die Alte war schon den ganzen Abend in einem halb durchsichtigen, weißen Nachthemd durch die Gegend gelaufen. Sören hatte beinahe den ganzen Tag über in einer Pfütze gesessen.
Am Abend war Sören dann aufs Ganze gegangen: Er hatte Tante Evy von einer frei erfundenen Beinahe-Keilerei erzählt, in die er an Fasching verwickelt worden war, als ihn einige Dorfschläger in einer Sektbar angepöbelt hatten.
Dummerweise war der Eisenonkel kurz vor dem Höhepunkt der Geschichte (Sören gegen fünf vierschrötige Typen) aufgetaucht und hatte begonnen, Sörens Geschichte mit gezielten Fragen in ihre Einzelteile zu zerlegen. Schließlich war Sörens Lügengeschichte in sich zusammengefallen wie ein von Sören angerührter Hefekuchen.
»Erstunken und erlogen!«, hatte der Eisenonkel geknurrt. »Du bist ein erbärmlicher Jammerlappen, genau wie deine Mutter.«
Dann hatte der Eisenonkel eine Plastiktüte auf den Tisch geknallt und war aus dem Zimmer gerauscht. »Ich muss mal kacken«, hatte er im Abgang über die Schulter gerufen.
Tante Evy hatte Sören mit einem Blick bedacht, in dem Tadel und Enttäuschung dicht nebeneinander lagen. Dann war auch sie abgerauscht und hatte Sören mit seinem schlechten Gewissen zurückgelassen.
Nur die Plastiktüte war übrig geblieben.
Wie Sören gesehen hatte, war eine DVD-Hülle aus dieser Tüte gerutscht. Hätte er zu diesem Zeitpunkt gesehen, was sich sonst noch in der Tasche befand, dann wäre der Abend vielleicht ganz anders verlaufen.
Vielleicht auch nicht.
So hatte Sören die Hülle aufgeklappt und die DVD herausgenommen. Jemand hatte mit Filzstift zwei Wörter auf den Datenträger gekritzelt:
»Menschliche Einzelteile«.
In diesem Augenblick hatte der Blitz bei Sören eingeschlagen.
»Du armseliges Würstchen!«
Der Eisenonkel hatte zu Ende gekackt.
»Nimmst du wohl deine unqualifizierten Finger von diesem Datenträger!«
Sören hatte die Silberscheibe vor Schreck fallen gelassen. Zu seinem Glück hatte der Fernsehsessel das Missgeschick vor den Blicken des Eisenonkels abgeschirmt. Sören hatte in diesem Augenblick entschieden, sich vorerst nicht nach der DVD zu bücken. Stattdessen hatte er nur die Hülle wieder zugeklappt und auf den Tisch zurückgelegt.
»Tu das nie wieder!« Onkel Wotan hatte mit einem Zeigefinger aus Stahl auf Sören gezielt. »Fass nie wieder diesen Datenträger an, du elende Made. Klar?«
Sören hatte automatisch genickt.
Dabei hatte er sich in seinem Hinterkopf gefragt, weswegen sich der Eisenonkel so sehr aufregte. Das war doch nur irgendein blöder Horrorfilm. »Menschliche Einzelteile« – ein italienischer Exploitationfilm aus den Siebzigern. Von Lucio Fulci oder Dario Argento, soweit Sören sich erinnerte.
Bevor er den Gedanken hatte vertiefen können, war der Eisenonkel mit zwei schnellen Schritten herangekommen. Sören hatte für einen Moment geglaubt, er bekomme nun eins in die Fresse, doch stattdessen hatte sich Onkel Wotan nur die DVD-Hülle geschnappt und gesagt: »Die kommt jetzt weg!«
Dann war er abgedampft und hatte Sören mit der Plastiktüte auf dem Tisch und der DVD auf dem Boden zurückgelassen. Sören wollte gerade die Silberscheibe vom Boden aufklauben, als Tante Evy zurück ins Wohnzimmer geschwebt war. Als Sören Evys Figur gesehen hatte, die sich unter dem weißen Dress abzeichnete, hatte er die DVD augenblicklich vergessen und stattdessen überlegt, wie er die Geschichte mit der Keilerei in der Sektbar doch noch gedreht bekam.
Als dann jedoch plötzlich ein Typ mit einer Strumpfmaske über dem Kopf und einer Maschinenpistole in der Hand durch die Verandatür gestürmt war, hatte Sören das Nachdenken sofort eingestellt.
»So, ihr Arschlöcher, jetzt geht hier die Post ab!«, hatte die Gestalt gesagt. Und von diesem Augenblick an war so ziemlich alles schief gegangen, was nur schiefgehen konnte.
Wie jeder Stratege weiß, ist ein Schlachtplan keinen Pfifferling mehr wert, nachdem der erste Schuss gefallen ist. Genau so erging es auch dem Schlachtplan, den Berthold ausgearbeitet hatte – und dafür musste noch nicht einmal geschossen werden.
Die Planung hatte an einem Freitagabend begonnen.
Remo Winkelmann wollte die Woche ausklingen lassen und mit seinen Kumpanen ordentlich einen draufmachen. Tüchtig saufen, Rammstein hören, ein bisschen Pogo tanzen, mit Heino einen paffen und vielleicht auch eine Runde Fratzengeballer – kurzum: Alle Möglichkeiten ausschöpfen, die Bertholds Kneipe zu bieten hatte.
Bertholds Kneipe: Eigentlich trug die Kneipe den Namen »Sonder-Bar«. Eröffnet hatte sie ein gewisser Lothar Flettner oder Flättner – die Schreibweise wusste niemand mehr so genau. Es interessierte auch niemanden, denn Berthold betreute die Kneipe von der ersten Stunde an. Als Wirt vom Dienst drückte er ihr seinen persönlichen Stempel auf, während Lothar den Gästen gegenüber kaum in Erscheinung trat. Einige wenige Stammgäste wussten allerdings von einem sportlichen Blondling zu berichten, der sich hinter der Theke herumgedrückt und kaum ein Wort gesprochen hatte. Irgendwann war der Blondling auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Angeblich hatte er sich beim Bodybuilding die Leber ruiniert und in Frankfurt krumme Geschäfte mit der russischen Organhändlermafia gemacht. Die hatte ihm zwei ziemlich durchgeknallte Killer auf den Hals geschickt, hieß es. Doch niemand wusste etwas Genaues.
Seither dümpelte die Kneipe vor sich hin und Berthold führte das Regiment. Wer hätte es sonst auch tun sollen? Es war ja niemand da. Außerdem bekam Berthold Lothars Unterschrift ziemlich gut hin und konnte so den Betrieb am Laufen halten. Und so lange es Gäste gab und der Rubel rollte, ging das auch in Ordnung.
Remo fühlte sich bei Berthold wohl. Allerdings konnte Remo nicht sonderlich viele Rubel rollen lassen, weil in seinem Portmonee ständig Ebbe herrschte. Deswegen hatte er sich zu Hause bereits einige Dosen Bier in den Rachen laufen lassen, um es in der Kneipe nicht zu teuer werden zu lassen.
An diesem Abend wollte sich Remo neben dem Suff auch noch etwas Abwechslung vom Blümchensex mit Jessy verschaffen. Dieses Thema begrub er jedoch schon bald nach seinem Eintreffen, denn das Alter der anwesenden Damen besaß keine Kompatibilität mit Remos 33 Jahren. Entweder hatten die Damen dieses Alter bei Weitem noch nicht erreicht oder bereits deutlich überschritten – und Remo zählte sich weder zu den Pädo- noch zu den Nekrophilen. Zumindest nicht im halbwegs nüchternen Zustand.
Also widmete sich Remo dem Alkohol und wartete ab, bis die Uhrzeiger auf 1 Uhr am Morgen vorrückten. Zu dieser Zeit schlossen alle anderen Kneipen in Pfalzenberg. Dann tauchten die dort beschäftigten Bardamen und Kellnerinnen nach und nach bei Berthold auf, um noch einen Absacker zu nehmen. Vielleicht befand sich darunter eine willige Frau in den Dreißigern, bei der Remo sein Rohr verlegen konnte. Bis dahin musste sich Remo ordentlich besaufen, denn das Aussehen der pfalzenberger Bardamen und Kellnerinnen eignete sich bestenfalls zum Abschrecken von Eiern oder dem Traumatisieren kleiner Kinder. Daher setzte der Sex mit einer dieser Damen eine Absenkung der Schmerzgrenze voraus.
Hochprozentiges, um diese Absenkung zu beschleunigen, konnte sich Remo von seinem Hilfsarbeiterlohn nicht leisten, also blieb er beim Bier, das er mit Entschlossenheit zu sich nahm.
Zu Remos Überraschung leerte sich die Kneipe kurz nach Mitternacht. Alle Gäste verschwanden nach und nach, nachdem Berthold einige Worte mit ihnen gewechselt hatte. Zurück blieben nur Remos Saufkumpane, Detlev Koschinsky, Ewald Kleiber und Heino Bock.
An den vergangenen Wochenenden – und an so manchen Tagen unter der Woche – hatte Remo mit Berthold und diesen drei Jungs zusammengesessen und über die Ungerechtigkeit in der Welt philosophiert. Dafür bot diese Gruppe den idealen Hintergrund, denn alle hatten ihre liebe Mühe mit der menschlichen Gesellschaft.
An diesem Abend gab sich Berthold besonders geheimnisvoll. Hinter den letzten Gästen drehte er den Schlüssel im Schloss. Als er dann hinter die Theke zu seinem Stammplatz am Zapfhahn zurückkehrte, machte er unterwegs kurz bei Ewald Halt, der – wie üblich – ein Stück abseits saß. Ewald schnappte sein Bier und drängelte sich zwischen die anderen an der Theke. Dies schaffte er nicht, ohne genau drei Provokationen loszuwerden – für jeden Anwesenden eine. Remo erwiderte die Anmache mit einem blöden Spruch, Detlev verglich sie mit einer Szene aus einem Kung-Fu-Film und Heino kapierte – wie üblich – überhaupt nichts. Alle kannten Ewald und dessen Hang zur Aggression. Deswegen hielt es niemand für notwendig, auf seine Anmache einzusteigen.
Berthold machte es sich unterdessen auf seinem Barhocker hinter der Theke bequem und warf einen Blick in die Runde. Dann sagte er: »Also, Leute, wir haben heute etwas zu besprechen.«
Alle starrten Berthold an, wie ein Kinopublikum, das auf die Aufführung des Hauptfilms wartete. Nur Remo schüttelte den Kopf. »Das kannste vergessen, Berthold. Ich bin viel zu besoffen, um noch was zu besprechen. Komm, schließ den Laden wieder auf und lass die Miezen rein.«
Berthold schüttelte seinen Kopf. »Nee, ich glaube nicht, dass du zu besoffen bist, um etwas zu besprechen.«
Remo schnappte seinen Bierdeckel und deutete auf den Gartenzaun von Strichen, die Berthold mit Kugelschreiber auf den Rand des Deckels gekrakelt hatte und von denen jeder ein großes Bier markierte.
»Und was ist das hier? Hab' ich alles in mich rein geschüttet. Ich bin also stinkbesoffen.«
Berthold schüttelte erneut seinen Kopf. »Nee, glaube ich nicht.«
Remo zählte nach. »Hier, das sind zehn ... elf große Bier. Also, wenn ich jetzt nicht besoffen bin, was dann?«
Abgesehen davon überlegte Remo gerade, wie er die elf Bier bezahlen sollte. Daran hatte er während des Trinkens überhaupt keinen Gedanken verschwendet.
Berthold schüttelte schon wieder seinen Kopf. »Nee, glaube ich nicht.«
Ewald ließ seine Faust auf die Theke donnern. »Ja Scheiße nochmal, hört ihr jetzt mal mit diesem blöden Mist auf, oder was? Andauernd hin und her – 'ich bin besoffen' – 'nee' – 'doch' – 'bäääh' – wie die Kinder, echt.«
»Ja, finde ich auch«, sagte Remo. »Bei dem, was ich hier gesoffen habe, muss ich ganz einfach besoffen sein. Das waren jetzt ... Moment ... ein Bier hat Null Komma vier Liter, also viertausend, äh, hundert ... dann sind elf ... nee, sagen wir erstmal zehn ... also, das sind schon ein paar ... äh ... das ist eine ganze Menge Bier.«
Berthold nickte. »Stimmt genau. Das ist eine ganze Menge Bier. Und alles alkoholfrei.«
»Wah?«
»Alkoholfrei. Wir haben heute etwas zu besprechen. Glaubst du, da lasse ich zu, dass du dich abfüllst?«
Remo starrte Berthold noch einige Sekunden lang an. Dann schnappte er sich sein Glas und roch daran. »Scheiße, Mann. Du willst mich jetzt verarschen, oder?«
Berthold schüttelte seinen Kopf. »Nee, glaube ich nicht.«
Dann ging Ewald hoch wie eine Feuerwerksrakete. Bevor jemand reagieren konnte, war er schon von seinem Barhocker in die Höhe geschnellt und halb über die Theke geklettert.
»Moment mal! Soll das heißen, du hast mir auch diese alkoholfreie Pisse angedreht?«
Berthold zögerte keine Sekunde. Er winkte ab und sagte: »Nein, Ewald, dir nicht.«
»Dann ist ja gut.« Ewald ließ sich auf seinen Barhocker zurück sinken.
Remo stutzte. Er war sich ziemlich sicher, dass Berthold Ewalds Biere aus dem gleichen Zapfhahn gezapft hatte, aus dem auch Remos Biere geflossen waren.
»Ja, haha, Kirschenschnaps«, meinte Heino dazu nur. Was er damit sagen wollte, erschloss sich niemanden.
Berthold gestikulierte heftig. »Jetzt ist aber mal Ruhe. Wir haben etwas zu besprechen. Ihr wisst ja noch, worüber wir uns vor drei Wochen Gedanken gemacht haben.«
Alle überlegten einen Moment.
Dann sagte Remo: »Also Berthold, für das alkoholfreie Bier bezahle ich aber nicht den vollen Preis. Das sehe ich gar nicht ein.«
»Darum geht es jetzt nicht«, sagte Berthold. »Es geht jetzt um die Geschichte, über die wir vor drei Wochen geredet haben.«
»Mir geht es aber um das Bier«, konterte Remo. »Das war nämlich gar kein richtiges Bier. Deswegen bezahle ich das nicht. Wenn jetzt eine von den Bardamen reinkommt, dann kann ich die noch nicht einmal knallen, weil ich nicht voll genug bin. Da mache ich nicht mit.«
»Du hast das aber gesoffen«, antwortete Berthold. »Also, keine Diskussionen. Und jetzt unterhalten wir uns darüber, wie wir uns diesen Banker vorknöpfen. Das hatten wir vor drei Wochen schon einmal besprochen. Ihr erinnert euch?«
Sekundenlang herrschte Schweigen.
Dann sagte Detlev: »Also Berthold, das mit dem Bier ist echt nicht fair. Mach dem Remo wenigstens noch ein Hütchen. Das wäre total gut. Und mach mir auch noch eins.«
Berthold schaute von Remo zu Detlev zu Remo zu Detlev. Bei jedem Wechsel von einem zum anderen verschwand ein wenig mehr Geduld aus Bertholds Augen. Dann knallte er seine Faust auf den Tisch und sagte: »Also gut. Ich mache noch zwei Hütchen. Aber dann ist Ruhe und wir unterhalten uns über diesen Banker, diesen Vieth. Ist das klar?«
Detlev nickte. »Ja, klar. Alles klar, Mann. Wie Eddie Murphy mit dem Nick Nolte in 'Nur 48 Stunden'. Da hat er auch 'alles klar' gesagt.«
Berthold füllte zwei Gläser mit einer gewagten Mischung aus Cola und billigem Cognac. In der »Sonder-Bar« waren diese Lebervernichter als »Hütchen« bekannt.
Unterdessen erhob sich Heino, der Buddha, in aller Ruhe. »Ich geh mal aufs Klo, einen dübeln.«
»Scheiße, das lässt du schön bleiben«, fauchte Berthold. »Du behältst jetzt einen klaren Kopf, bis ich fertig bin. Dann kannst du dir meinetwegen so viele Dübel reinkloppen, bis dir die Schädeldecke abhebt.«
Berthold knallte die beiden Hütchen vor Detlev und Remo auf die Theke. Dann ließ er sich wieder auf seinen Hocker nieder.
»Also, wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, beim Banker. Dieser alte Arsch, über den wir uns mal unterhalten hatten. Dieser Vieth, der draußen in Heckhausen wohnt.«
Heckhausen, ein Ortsteil von Pfalzenberg. Ursprünglich ein Aussiedlerhof, um den sich später ein Neubaugebiet gruppiert hatte. Hier lebten nur die »Bonzen« und die »Zugezogenen« – eine Gruppe von Menschen, für die alle alt eingesessenen Pfalzenberger nicht mehr als Verachtung und Ablehnung übrig hatten. Und einen davon hassten sie ganz besonders: Wotan Vieth, den Banker!
Wo immer dieser Bursche auftauchte, gab es Ärger. Vieth gehörte zu denen, bei denen nichts reibungslos und einfach ablief und denen man nichts recht machen konnte. Nein, es musste immer kompliziert sein. Kaum ein Geschäftsinhaber oder Kassierer im Supermarkt, der noch keine Wortgefechte mit diesem Vieth ausgetragen und bereits am nächsten Tag Post von Vieths Anwalt erhalten hatte. Die Pfalzenberger hielten Vieth einfach nur für arrogant und widerlich. Nur für seine Frau, diese Blökuline (was in Pfalzenberg für eine Mischung aus »Blondine« und »blöde Kuh« stand) hegten verschiedene Mitglieder der Dorfprominenz gewisse Sympathien.
»Wir waren uns ja einig, dem Burschen mal einen ordentlichen Denkzettel zu verpassen und seinen Tresor auszuräumen«, fuhr Berthold fort. »Wir hatten das ja schon ziemlich genau geplant.«
Ewald schüttelte den Kopf. »Nee, Mann. Du hattest das geplant. Wir hatten das nur abgenickt. Wir waren nämlich viel zu besoffen, um irgendetwas zu planen.«
»Was mich wundert«, sagte Berthold, »denn ich hatte euch auch an diesem Abend ausschließlich alkoholfreies Bier ausgeschenkt. Tatsache ist, wir wollten das Ding durchziehen. Deswegen habe ich mich vorgestern mit dem Schinken zusammengesetzt und einen Deal mit ihm gemacht. Er beschafft uns in der Frankfurter Szene Waffen und Munition. Außerdem bringt er noch einen Typen aus Frankfurt mit, der Erfahrung mit solchen Raubüberfällen hat. Ich kenne den Typen zwar nicht, aber der Schinken bürgt für ihn. Von einem Kumpel bei der Stadtverwaltung habe ich Blaupausen von Vieths Haus bekommen. Jetzt kenne ich mich da drin wahrscheinlich besser aus als der alte Vieth selbst. Wir müssen also nur reingehen, ihm die Kanonen unter die Nase halten, die Kohle einraffen und wieder abhauen.«
Berthold machte eine Pause und schaute in die Runde.
»Also was ist? Seid ihr dabei?«
Lange Zeit herrschte Schweigen.
Dann sagte Remo: »Also, ich weiß nicht. Ich meine ... klar, wir haben darüber geredet und wir wollen dem Alten gerne eins auswischen und so. Aber da gleich mir richtigen Kanonen anrücken und den Typen beklauen, das ist schon ganz schön hart. Dafür können die uns richtig drankriegen.«
»Außerdem wissen wir gar nicht, ob da überhaupt etwas zu holen ist«, sagte Detlev. »Am Ende kommen wir da hin und der hat nur Kreditkarten und so.«
Berthold schüttelte den Kopf. »Alles Quatsch. Ich habe gehört, es sei immer eine ordentliche Menge Bargeld im Haus. Ich habe da so meine Kontakte bei der Bank. Die Jungs vom Schalter kommen schließlich auch ab und zu hierher und trinken einen zu viel. Abgesehen davon ist das alles doch ein Kinderspiel. Der alte Sack reißt vielleicht ganz gerne mal die Schnauze auf, doch wenn ein paar Maskierte mit Knarren vor ihm stehen, dann macht der gar nix mehr.«
Wieder herrschte einige Sekunden lang Stille.
Dann sagte Remo: »Trotzdem, ich weiß nicht.«
Und Ewald knallte seine flache Hand auf die Theke. »Ach Mist, ich bin dabei. Wir reißen dem alten Arsch mal so richtig den ... äh.« Die bevorstehende Wortwiederholung brachte ihn aus dem Rhythmus.
»Genau«, half ihm Berthold aus. »Wir lassen dem Typen ordentlich die Hosen runter. Und dann machen wir von der Kohle so richtig einen drauf.«
Wieder kehrte Stille ein.
Remo zauderte noch immer. Klar, Spaß haben und ein paar Idioten auf die Fratze ballern – da war er immer dabei. Doch mit Kanonen bei jemanden anzurücken und dem auch noch die Kohle zu klauen, das ging schon ziemlich weit über den Bockmist hinaus, den er bis jetzt verzapft hatte. Dafür konnte man richtig lange in den Knast wandern.
Andererseits wäre ein bisschen Extrakohle auch nicht das Schlechteste gewesen. Beruflich sah es für Remo nicht gerade toll aus. Er musste schon heftig kämpfen, um die Miete für seine Bude zusammen zu bekommen. Dabei hauste er schon in einem dieser Wohnsilos, die im Rahmen eines sozialen Wohnungsbauprojekts am Stadtrand entstanden waren. Dabei war er anfangs ganz stolz gewesen, als er aus der Plattenbausiedlung in der ehemaligen DDR abgehauen und hierher gekommen war. Aber dann hatte diese vermaledeite Spielothek aufgemacht und alles war den Bach runter gegangen.
Und dann hatte er sich auch noch Geld bei den Russen geliehen. Damit hatte er in der Spielothek groß abräumen wollen. War aber nix daraus geworden. Die Russen würden ihm wegen dieser Geschichte bald aufs Dach steigen. Und die verhandelten nicht lange, sondern montierten gleich irgendwelche Körperteile ab oder knickten Gliedmaßen an Stellen, an denen die Natur keine Gelenke vorgesehen hatte.
Hätte Remo mit dem Begriff »Dilemma« etwas anfangen können, so hätte er in diesem Augenblick seine Lage mit einem Wort beschreiben können. So sagte er sich einfach, er stecke in der Scheiße und wolle weder das eine noch das andere. Das verstand er selbst recht gut.
Und dann tat Berthold etwas, das Remo vollkommen aus dem Konzept brachte: Berthold schnappte sich drei der guten Whiskygläser aus dem Regal und baute sie vor Remo, Ewald und Detlev auf. Dann nahm er – oh, welch ein arabisches Wunder! – die Whiskyflasche aus dem Regal. Nicht die »Woodcracker«-Pissbrühe aus dem Supermarkt, sondern den 12 Jahre alten »Ye olde Moods«.
Berthold füllte die drei Gläser. Dabei ließ er sich nicht lumpen. Dann verkorkte er die Flasche wieder und stellte sie in das Regal zurück, so vorsichtig, als hantiere er mit Nitroglyzerin. Anschließend kramte er unter der Theke einen Aschenbecher hervor und stellte diesen vor Heino ab.
Dann setzte er sich wieder auf seinen Barhocker und schaute jeden einzelnen der Männer an. »Also, Leute, wie sieht es nun aus? Wir hatten das alles besprochen und wir waren uns einig. Ziehen wir das Ding nun durch oder nicht?«
Wieder herrschte Stille.
Remo nahm sein Glas und ließ die Flüssigkeit darin kreisen. Kostbar, kostbar! Das musste man genießen – in ganz kleinen Schlucken.
Dann sagte er: »Also meinetwegen. Schnappen wir uns den alten Vieth.« – und goss sich den Whisky auf Ex rein.
Berthold zeigte keinerlei Regung. Er stand einfach auf, nahm die Flasche aus dem Regal und goss nach.
»Ja, genau«, nuschelte Heino, während er mit geübten Bewegungen eine Tüte baute. »Hose runter und Kohle her.«
Niemand außer Berthold wusste, was Heino damit meinte.
Eine Stunde und zwei Flaschen später befanden sich alle in ye olde Moods to start the attack on Mr Vieth. Die brüllend hässlichen Bardamen, die an die Tür klopften, interessierten niemanden mehr.
Zwei Wochen später ging die Planung in die heiße Phase. Die Bande traf sich erneut in der Sonder-Bar, diesmal jedoch an einem Montag – Bertholds einzigem Ruhetag in der Woche.
Neben Remo, Ewald, Detlev und Heino war nun auch der Schinken anwesend. Niemand fühlte sich in der Gegenwart dieses zierlichen Dreifachzentners mit undurchsichtigem Hintergrund sonderlich wohl, doch der Schinken war der Typ mit den Connections nach Frankfurt. Er war der, der die Kanonen herangeschafft hatte. Die Kanonen, die nun auf einem Tisch ausgebreitet lagen.
»Dann schauen wir mal, was der Weihnachtsmann mitgebracht hat«, sagte der Schinken. Seine Stimme konnte man eher spüren als hören. »Wir haben da drei Pistolen. Zwei Glock 17 und einen Colt Government. Dann haben wir noch zwei Maschinenpistolen Sa.25.«
Remo hob eine der beiden MPs vom Tisch auf. »Heilige Scheiße, die Dinger sind ja antik!«
»Na und?« Der Schinken zuckte mit den Schultern. »Funktionieren aber einwandfrei. Verschießen 9 mal 19 Millimeter Para. Außerdem waren die das Einzige, was ich auf die Schnelle auftreiben konnte, ohne viel Kohle locker machen zu müssen.«
Berthold winkte ab. »Ja, okay, weiter. Was ist das da für'n Ding? Ist das eine Schrotflinte?«
»Das ist 'ne Remington 870 Police Pumpgun, Kaliber 12. Das ist meine eigene Kanone. Von der lasst ihr die Finger weg, klar?«
»Ach schade«, sagte Ewald. »Wäre genau mein Ding gewesen. Ich nehme dann die hier.« Er schnappte sich die Uzi vom Tisch. Der Schinken nahm ihm die Waffe wieder aus der Hand und legte sie zurück.
»Nee, lass mal. Die funktioniert nicht. Keine Ahnung, was mit dem Scheißding los ist. Ich habe sie fünfmal kontrolliert. Alles auseinander gebaut, nochmal überprüft und wieder zusammengebaut. Die Teile sind zu 100 Prozent in Ordnung, aber die Uzi funktioniert einfach nicht. Wir nehmen sie trotzdem mit. Als Abschreckung wirkt die allemal.«
Berthold griff sich eine der beiden Glocks.
»Alles klar. Ich reise mit leichtem Gepäck.«
»Und ich nehme die hier.« Detlev langte über den Tisch und raffte den Colt Government ein. »Die hatte Nick Nolte in 'Nur 48 Stunden', nachdem dieser Ganz ihm seine 38er weggenommen hatte.«
Remo und Ewald nahmen sich die beiden MPs. Für Heino blieb nur die Uzi, die nicht funktionierte. Ewald wollte noch nach der zweiten Glock langen, doch der Schinken fuhr erneut dazwischen.
»Die ist für den Typen aus Frankfurt. Den hole ich erst am Freitag Abend ab. Also, Finger weg!«
Remo konnte sich ein Grinsen nicht ganz verkneifen. Bei einem Typen wie dem Schinken beeilte sich sogar Ewald, seine Finger schnell weg zu bekommen. Und das wollte etwas heißen. Mit seiner Körpergröße von etwa 165 Zentimetern verfügte Ewald über den Körperbau eines Fabrikschornsteins.