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Mephisto leidet unter Burnout: Wer - zur Hölle! - will in Ewigkeit der Böse sein? Zumal, wenn man die Rolle einst aufgezwungen bekam. Kündigung oder Ruhestand sieht der göttliche Plan jedoch nicht vor... Um in dieser Situation Mephistos Kampfgeist zu wecken, konfrontiert sein Gehilfe Lemurius ihn mit einer noch immer offenen Rechnung. Dies ist der Ausgangspunkt eines Rollentauschspiels, einer Travestie, die den tradierten Faust-Stoff am Anbruch des dritten Milleniums neu konstituiert.
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Seitenzahl: 99
Veröffentlichungsjahr: 2021
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CHRISTIAN KOECHINGER, geboren 1971, lebt mit seinem Sohn in Braunschweig. 2015 veröffentlichte er mit Neubaugebiet seinen ersten Roman. Zuvor hatte er überwiegend Lyrik verfasst. In der Folge wandte er sich vor allem dramatischen Formen zu und schreibt aktuell Theaterstücke.
„Es lebe, wer sich tapfer hält!
Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
Nichts Abgeschmackters find ich auf der Welt
Als einen Teufel, der verzweifelt.“
Johann Wolfgang Goethe:
„Faust - Der Tragödie erster Teil“,
V. 3370 - 3373
ERSTER AKT
PROLOG IN DER HÖLLE
ERSTE SZENE
ZWEITE SZENE
VIERTE SZENE
FÜNFTE SZENE
ZWEITER AKT
ERSTE SZENE
ZWEITE SZENE
DRITTE SZENE
VIERTE SZENE
FÜNFTE SZENE
SECHSTE SZENE
SIEBENTE SZENE
ACHTE SZENE
NEUNTE SZENE
EPILOG
MEPHISTO
GRETA
LEMURIUS
DR. JOHANN FAUST
HELENE
VALENTIN
MARTHA
HAUSANGESTELLTE
LISA, BABETTE & SIBYLLA
UWE 1, UWE 2 & UWE 3
LEMUREN
TRAUERGÄSTE
GARTENNACHBARIN
WIRT
MASKENBILDNERIN
WANDERGRUPPE
FAMILIE
MOUNTAINBIKER
THEATERPUBLIKUM
MITTELALTER-BAND
Hölle. MEPHISTO im schmiedeeisernen Lehnstuhl kauernd, im Hintergrund ein schwacher Feuerschein. Gelegentlich sind aus einiger Entfernung Schreie zu hören.
MEPHISTO: Hört ihr in Ewigkeit sie schrei’n?!
Ach, wie’s mich grämt, wie bin ich’s leid,
von Ewigkeit zu Ewigkeit
das böse Element zu sein!
Mephisto, Teufel, Luzifer,
Beelzebub, der Fliegen Herr,
und anders noch werd ich genannt.
Ihr fürchtet euch? Nun, bitte sehr!
Doch tief in mir fühl ich mich leer,
nur müde noch und ausgebrannt.
Ausgebrannt… - Das Wortspiel passt:
Das Höllenfeuer ist verblasst.
Ach, was! Erloschen ist’s, verglüht…
Und was mich so zu Boden zieht,
ist, dass ich’s nicht mal ändern will!
Wie mein Gehilfe sich auch müht,
dass mich die böse Lust nicht flieht:
Die Welt, sie dreht sich; ich steh still.
Was ist nur los? Was ist passiert?
Was hat mich bloß so ruiniert?
Äonen lang zwang ich der Welt,
die sich der kleine Gott erschuf,
die stetige Verneinung auf.
Verführt zur Sünde, geil nach Geld
und Geltung folgt’ er meinem Ruf,
und Jünger hatte ich zuhauf.
Es ist der Mensch so herrlich schlecht!
Zu seinem Schaden, seiner Qual
ist Teuflisches rasch ausgeheckt.
Und es verfing beim ersten Mal:
Ich sag nur: Apfel, Weib, Reptil…
Ansonsten brauchte es nicht viel.
Dem Adam war es vorbestimmt,
dass ihm Erkenntnis Leiden bringt.
Schon folgt’ der erste Brudermord,
und danach setzte sich das fort
durch die Jahrhunderttausende.
Ich störte hier, zerstörte dort,
erzeugte Wahnsinn vielerorts:
Mal stillen, mal aufbrausenden.
Kriege und Seuchen schätzte ich
als brüderlich Verbündete,
und wenn ich übers Schlachtfeld schlich,
konnt´ ich nicht sagen, ob ich mich
am Toten mehr, der schon erblich,
erfreut’ als am Verwundeten.
Mein größter Stolz, ich sag es frei,
mein Welterfolg war Weltkrieg Zwei:
Nie zuvor war etwas krasser!
Im Osten herrscht’ in kalter Mordgier,
mit dickem Schnurrbart der Georgier.
Im Zorn das Dritte Reich regiert’
das Kurzbart-Seitenscheitel-Tier,
der schreiende Semiten-Hasser!
War das ein Fest! –
Er reibt sich die Hände.
Das war noch besser als die Pest...
Die beiden hatten kein Gewissen!
Die Welt war hübsch am Untergehn.
Da hätte ich wohl sagen müssen:
„Verweile doch, du bist so schön!“
Doch der zu schnell entschwund’ne Kick
des allerhöchsten Augenblicks
brach meinem Glücke das Genick!
Und es erging mir wie fast allen:
Ich bin in Depression verfallen.
Das war der Punkt, an dem’s begann.
So wurde ich zum alten Mann
mit schweren Knochen, schwerer Last,
der jede Chance zur Tat verpasst.
Ein Schatten nur des bösen Geists,
den man gefallener Engel heißt.
Der Ur-Sturz brachte mir die Rolle,
die ich gespielt manch tausend Jahr’!
Er (Deutet nach oben.) fragte nicht, ob ich sie wolle,
denn Ihm war Seine Ordnung klar:
Er allmächtig-allumfassend,
und ich all dieses herzlich hassend;
so wollte er den Weltenlauf.
Er setzte mir die Gegen-Krone auf!
Die dunkle Herrschaft war mein Lohn. -
Ach, wie sehr hab ich sie satt!
Ich will nicht mehr, ich danke ab!
Drum bat ich kürzlich um Audienz,
bei Ihm, dem Großen Einen Herrn,
um Pensionierung und Pension
mit ihm als Dienstherrn abzuklär’n.
Nachdem die Lob-Tiraden Seiner Fans
verklungen war’n, erschien Er schon.
Er schien recht mild gestimmt zu sein
und war sehr väterlich im Ton… -
Jedes Mal fall’ ich drauf rein!
Am Ende gießt Er immer Hohn
aus goldenen Eimern auf mich aus.
So auch hier! - Ich trug Ihm vor,
aus meiner subjektiven Sicht
sei die mir auferlegte Pflicht
weit über alle Maßen schon erfüllt.
Drum sei ich weiter nicht gewillt
und habe auch die Kraft nicht mehr,
noch meinen Posten zu bekleiden.
Seit jeher körperlich versehrt,
plagten mich nun mentale Leiden.
Deshalb erbät und wünscht’ ich sehr,
von jetzt an aus dem Dienst zu scheiden!
Er sagte nur: „Gar keine Frage!
Dafür gibt’s keine Rechtsgrundlage!
Solange Wir das Sagen haben,
dient jeder Geist für alle Tage!“
Im Anschluss kam dann nur noch Spott
vom Lieben, Guten, Großen Gott:
Es sei doch nun die große Chance
für mich, der ich gewöhnlich sonst
die am Boden Liegenden versuche,
einmal so ganz wie aus dem Buche
am eigenen Leibe zu erfahr’n,
was ich der Welt schon angetan.
Ein kleines Plus an Empathie,
das schade selbst dem Bösen nie!
Komme ich auf den Geschmack,
stehe gar ein Praktikumsplatz
mir bei den oberen Engeln offen.
Denn den Verlorensten zu retten
aus seines dunklen Dranges Ketten:
Nie werde Er aufhör’n, das zu hoffen!
Nach diesen Worten ließ Er mich
sprach- und verständnislos zurück.
Alleine stand ich vor dem Tor
und war so klug als wie zuvor.
Soll denn des Alten Ironie
dem kalten Teufelsschalk-Genie
am Ende überlegen sein? -
Nein, nein, nein, und dreimal nein!
Mephisto, hör in dich hinein:
Es muss da einen Ausweg geben!
Er überlegt und schlägt sich dann vor den Kopf.
Wenn man als Geist nicht gehen kann… -
so kann man’s als normaler Mann!
Wie blind war ich, das nicht zu sehen:
Wer sterben will, muss erst mal leben,
erst dann kann er zu Grunde gehen!
So muss ich also danach streben,
mich zum Sterblichen zu wandeln…
Und wohl zum Menschen gar? Igitt!
Doch was hilft’s: Ich muss jetzt handeln,
ich spiel Sein Spiel nicht länger mit!
Gleich heute noch… - Ach, nein… - Nein, morgen!
Morgen recherchiere ich!
Morgen mach ich einen Plan.
Als Teufel hab ich viel getan;
doch dieser Weg ist neu für mich!
Hab ich die Menschen sonst gehetzt,
scheint es, dass ich zu guter Letzt
nun auch einer der ihren werde:
Nicht böser Hirte – Teil der Herde.
Doch streb’ ich ihr entgegengesetzt:
Ich will leben, dass ich sterbe!
LEMURIUS erscheint aus dem Hintergrund.
LEMURIUS (besorgt für sich):
Aus meines großen Herrn Gemach
höre ich wieder „Weh!“ und „Ach!“,
wie schon zu oft in letzter Zeit!
(Zu Mephisto.) Ich wünsch Euch einen guten Tag,
der uns viel Böses bringen mag!
Ich fragte mich, ob ihr Euch freut,
dass frisches Seelenmaterial,
schon vorbereitet für die Qual,
heut’ eingeliefert worden ist.
Ob Eure Exzellenz wohl selbst
Hand anlegen mag beim Marter-Fest?
Es ist manch’ lohnenswerter Fang
in unseren Bezirk gelangt.
Stolz sind die Menschlein - hier, wie dort.
Er deutet nach oben.
Sie wähnen sich in Depression,
im Fiebertraum und Drogenrausch.
Noch haben sie die Illusion,
doch ist’s mit ihnen ewig aus.
Das werden sie noch lernen müssen,
dass sie für immer sind entrissen
dem lieb gewordenen Weltenhaus.
Mein Herr und Meister: Wie sieht’s aus?
Macht Ihr mit Nachdruck ihnen klar,
dass nichts mehr wird, wie’s gestern war?
MEPHISTO: Was? Klar machen? Ich? - Nein, nein!
Lass mich mit diesem Zeug in Ruh’!
Mach du das weiterhin allein!
Für mich ist hier nichts mehr zu tun.
LEMURIUS: Eine Hölle ohne Teufel?
Da hab ich doch größte Zweifel!
So ist das nicht definiert:
Das Feuer heiß, sein Herr frustriert.
Los, auf denn! Alles ist bereit…
MEPHISTO: So, schweig!
Was weißt du, armseliger Lemur,
denn vom bereit Sein?
Von Stunden,
Minuten,
Sekunden,
die jahrtausendelang Gültiges zunichte machen,
in zwei, drei Gedankengängen.
Dazu bereit zu sein,
das zu ertragen,
die einstige Existenz in Scherben
und doch
als ewig fortdauernd ansehen zu müssen,
ist mir,
dem Geist der Negation,
am Ende nun auch zugedacht?
Oh, Ekel,
den ich gegen Menschenwerk empfand,
jetzt auch
gegen mich selbst?
(Für sich.) Seltsam, wie mit dem Sinn zugleich
mir auch die Sprache schwindet.
Wie der, dem’s aus Natur sich reimt,
nur bruchstückhaft zusammenbindet,
was Finsteres in ihm Bahn sich bricht!
Am Ende sprech ich Prosa noch!
(Zu Lemurius.) Jetzt stopf sie in das Ofenloch,
mach ihnen gut die Hölle heiß… -
Ha! - Welch’ teuflisch’ Wortspiel!
Pah! - Welch’ öder Scheiß!
Er sinkt in den Stuhl zurück.
LEMURIUS: So schlecht war das nicht… - fand ich!
Das ist der Herr, den ich von früher kenne,
zupackend, derbe, böse, reich
an destruktiver Energie
Den ich den Fürst Verderber nenne,
der Faust verführte, das Genie…
MEPHISTO (ungläubig-unwillig): Faust?
LEMURIUS: Ja, den Herrn Doktor.
MEPHISTO (zornfunkelnd): Faust?
LEMURIUS: Den Gelehrten, ja!
MEPHISTO (gefasst-ironisch): Beinah’ hätte ich gesagt:
Da sei denn doch der liebe Gott vor,
dass es einer nochmal wagt,
den Namen meiner größten Schmach
in meiner Gegenwart zu nennen!
LEMURIUS: So gut werde ich Euch kennen,
zu wissen, was ich wagen kann,
und wann ich nenne welchen Mann.
Das Spiel ist längst noch nicht zu Ende,
die Chance ist da für eine Wende:
Das Alte wird Euch nicht mehr lähmen,
könnt Ihr am Neuen Rache nehmen!
MEPHISTO: Was ist mit diesem Rätselwort gemeint?
Du willst mich locken, wie es scheint!
Faust… (Er verzieht das Gesicht.) - ist tot.
Und sein Unsterbliches… - weilt dort.
Er deutet mit dem Kopf nach oben.
Soviel ich weiß.
Da lässt an Rache sich nicht denken;
wir müssen uns aufs Untere beschränken.
LEMURIUS: Es kam aus seinem Stamm ein Reis,
vom selben Spekulierer-Geist,
der heut’ noch wie sein Ahnherr heißt.
MEPHISTO: Musst du mich denn ewig kränken
mit dem schändlichsten Betrug?
Mich davon jetzt abzulenken
und Zerstreuung mir zu schenken,
das wär hilfreich, das wär klug!
Doch du kannst es niemals lassen,
und so muss ich mich befassen
ein um ein um’s andere Mal
mit der Schande, mit der Qual! -
Faust!
So vielversprechend ließest du dich
umpudeln
von mir,
warst willig, dich
mir zu verkaufen
für flache Unbedeutendheiten,
die euch die Welt sind,
erbärmlichstes Menschenvolk!
So leichtes Spiel hatt’ ich mit dir:
Fick und Fack und Zick und Zack,
und schon hatten wir den Pakt!
Dann Gretchen,
das schmucke Mädchen,
verdorben.
Ihre Mutter, schlafend,
verstorben,
und der Herr Bruder auch:
Als Soldat und brav,
nach Stich in den Bauch.
Und welche Chancen hatte
das Kleine?
LEMURIUS: Keine!
MEPHISTO: Genau!
Am Ende war der Doktor Faust
tief in blut’ge Schuld verstrickt.
Und in Teil Zwei wurd’ es nicht besser:
Nachdem er Helena gefickt,
verstarb ihm auch das zweite Kind.
Wir druckten Geld, gewannen Land,
und: Ja! Wir führten Krieg!
Noch mancher musst’ sein Leben lassen.
Alles schien mir gut geglückt… - Und doch:
Als Fausten tot am Boden liegt,
krieg ich die Seele nicht zu fassen,
weil sie der Alte mir entzieht! -
(Schäumend, im Tonfall Hitlers.) Welch ein Betroch!
LEMURIUS: Faust sprach die Worte nicht,
die er im Pakt mit euch codierte.
Gelangte heim ins Himmelslicht,
weil er sie clever manövrierte.
MEPHISTO: Schall und Rauch! -
Er sprach vom „höchsten Augenblick“,
den er im Vorgefühl genösse.
War so nicht anders zu verstehen,
als dass der Ring sich nun ihm schlösse,
der ihn an mich auf ewig kettet.
Doch von Oben wurde er gerettet,
und bleibet dort nun ewiglich!
LEMURIUS: Er sagte „dürfte“ und nicht „darf“,
als er versank im Todesschlaf.
Es ist so furchtbar primitiv:
Ihn rettete ein Konjunktiv!
Doch lasst uns nun nach vorne schauen
und auf die Gegenwart vertrauen:
Wie können wir, was Euch gestohlen,
von seinem Abkömmling uns holen?
MEPHISTO: Was faselst du für wirres Zeug?
Zweimal nur hat Faust gezeugt;
und beide Kinder starben früh.
Von einem weiteren hört’ ich nie!
LEMURIUS: Lang, noch lang vor Margarete,
fast war er noch ein kleiner Jung’,
im Studium theologicum,
vergaß er sich bei wilder Fete
mit einer klugen Wirtshausmagd.
Die hat es ihm dann nie gesagt,
dass sie ihm den Sohn austrug.