Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Sie ist schon Männern mit Schlips begegnet und Männern im T-Shirt, aber noch nie einem Unsichtbaren: Das Rendezvous mit dem charmanten Physiker von Kometenfeuer stellt Sarah vor ganz neue Herausforderungen. Viel schlimmer: Aus einem Till wird ein Tom. Doch ehe sie sich verliebt, stolpert sie mitten herein in die tödliche Branche der Weltraumtouristik, die nicht nur ihr nach dem Leben trachtet.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 257
Veröffentlichungsjahr: 2019
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf.
1. KOR. 13, 7+8A
Für Nele
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Sie stellte sich sanftes Meeresrauschen auf YouTube ein, lehnte sich entspannt in ihren Stuhl zurück und griff nach ihrem frisch aufgesetzten Kaffee, dessen lang ersehnter Duft vorübergehend die spießig abgestandene Büroluft vertrieb. Es fühlte sich schon fast an wie Urlaub. Zumindest machte es die Tatsache, dass an diesem Freitag im ganzen Land die Schulferien begannen, für sie erträglicher. Sarah Wagner war 35 Jahre alt und ging schon lange nicht mehr zur Schule. Noch eine Woche, dann würde zwar auch sie für 14 Tage nicht mehr in ihr Büro kommen müssen, aber der Gedanke daran löste bei ihr nicht wirklich Freude aus. Einen Urlaub hatte sie diesmal nicht gebucht, stattdessen würde sie bei ihrer Mutter sein, die vor einem Jahr an einem neuartigen demenziellen Syndrom erkrankt war. Sarah hatte sich zum Ziel gesetzt, so viel Zeit wie eben möglich mit ihr zu verbringen, solange ihre Mutter sie noch erkannte. Das war gar nicht so einfach, denn ihre Arbeit wollte sie genauso wenig aufgeben wie ihre wenige Freizeit, die ihr noch verblieb.
Die Wellen schlugen plätschernd an den malerischen Südseestrand, der den Hintergrund des aufgerufenen Videos bildete. Immer wieder, immer gleichmäßig, so, als wäre die Zeit stehengeblieben und die ganze Welt richtete sich nur noch nach einem Rhythmus. Wenn dem nur immer so wäre …
„Genug geträumt!“, platzte plötzlich eine raue weibliche Stimme dazwischen.
„Petra, was fällt dir ein?“, blaffte Sarah ihre Kollegin an, die sich ohne um Erlaubnis zu bitten bereits neugierig über ihren Monitor beugte. Hätte Petra ihre schwarzen Haare nicht zurückgebunden, wären sie glatt in Sarahs Gesicht gelandet.
„Oho, sanftes Meeresrauschen … Wohin geht es denn nächste Woche?“
Sarahs Miene versteinerte sich. „Nirgendwohin.“
„Bitte was? Wieder nach Malle oder doch mal nach Kos? Komm schon, raus mit der Sprache!“ Petra setzte ein Lächeln auf, das in Kombination zu ihrem dunklen Teint perfekt auf jeden Katalog einschlägiger Reiseanbieter gepasst hätte. Nicht ohne Grund: Schließlich stammten Petra Zultus Eltern aus Bulgarien und hatten ihrer Tochter den Süden schon in den Genen mitgegeben.
„Male ist die Hauptstadt der Malediven und auf Kos ist nix los.“
Petra lachte. „Jetzt mal im Ernst: Fährst du wirklich nicht weg?“
„Nein. Es ist wegen meiner Mutter.“
Petras Lächeln gefror. „Oh. Das tut mir leid.“
„Naja, es ist, wie es ist. Sie hat mich zwar früher nicht immer gut behandelt, aber sie ist immer noch meine Mutter. Die Medizin ist bislang machtlos gegen diese neuartige Demenzform, sodass sie mich wohl schon bald nicht mehr erkennt. Ich sollte deshalb noch so viel Zeit wie möglich mit ihr verbringen.“
„Ach Sarah, du hast so ein gutes Herz. Aber du musst auch an dich denken. Könntest du nicht mit der Arbeit etwas kürzer …?“
„Versuch es gar nicht erst, Petra! Ich arbeite Vollzeit und dabei bleibt es.“ Petra verstand einfach nicht. Petra hatte zwei Kinder, ging halbtags arbeiten und vor allen Dingen einen tollen Mann gefunden. Sie aber hatte niemanden, der ihr Anerkennung geben konnte, nur ihren Chef, und den wollte sie auf keinen Fall enttäuschen.
„Okay, dann solltest du dir wenigstens in deinen freien Tagen hier etwas gönnen. Vielleicht kannst du ja tagsüber bei deiner Mutter sein und abends … Nun, du weißt schon.“
„Nein, nicht wieder feiern gehen und besoffene Männer abschleppen, die sowieso viel zu unreif sind. Davon habe ich wirklich genug.“
„Hm, dann brauchen wir Plan B. Hast du es schon mal mit einer Partnerbörse probiert? Mein Cousin kennt da jemanden, der hat …“
„Und du meinst wirklich, dass da bessere Männer sind?“
„Zumindest hast du mehr Auswahl. Und die Männer, die nicht gerne feiern gehen, sind dort bestimmt auch angemeldet.“
„Glaubst du echt, dass ich dort die Liebe meines Lebens finde?“
„Einen Versuch ist es allemal wert. Komm schon, trinken wir einen Kaffee und dann melde ich dich da an.“
Sarah zögerte einen Augenblick, dann erhellte sich ihre Miene. „Na gut, aber dann einen Eiskaffee … zum Wellenrauschen!“
Zum Henker, war diese Frau hübsch! Langes, aber nicht zu langes blondes Haar, sogar ein bisschen gelockt, strahlend blaue Augen und eine zuckersüße Stimme: Diese Frau musste er unbedingt haben! Und spätestens seitdem ihre Freundin sie bei der Partnerbörse angemeldet hatte, wusste er plötzlich auch einen Weg. Vielleicht konnte er auf diese Weise sogar das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden, wenn er es nur geschickt anstellte. Tom Lortery ließ seine Drohnenkamera, die er heimlich auf dem Büroschrank platziert hatte, ganz nah an den Bildschirm von Sarahs Computer heranfahren. Sie war gerade damit beschäftigt, ein Foto von sich für die Partnerbörse auszuwählen. Zunächst musterte sie ein Foto von sich im prallgefüllten roten Bikini an irgendeinem Strand. Keine Frage, Sarah Wagner hatte eine Traumfigur, das musste er sich eingestehen. Doch der Augenschmaus ihrer freien Haut währte nicht lange, denn kurz darauf erschien sie in einem zweifelsohne nicht minder schicken grünen Bergsteigeroutfit mit Rucksack vor einem Alpenpanorama. Ja, zeig mir alle deine Urlaubsfotos!, dachte er vergnügt. Es folgte ein Foto vor der grünen Kulisse eines französischen Gartens. Dort posierte sie in einem farbigen Sommerkleid vor wohlgetrimmten Buchsbäumen aller erdenklichen Formen. Ein klassisches Bild, das ihr ganz augenscheinlich gefiel, denn sie ließ es länger geöffnet als die beiden vorherigen Fotos und führte einen leidenschaftlichen Austausch mit ihrer Freundin darüber.
„Ja, das ist gut, schön klassisch, nicht übertrieben oder zu streng, das würde ich als erstes Foto nehmen!“, rief Petra begeistert, und tatsächlich: Sarah entschied sich dazu, dieses Foto hochzuladen. Kometenfeuer hieß die Börse, deren Name Tom ein wenig schmunzeln ließ. Komet, na das passt ja perfekt zu unserem Programm. Seit nunmehr neun Jahren war Tom Lortery Manager bei Capada, einem Unternehmen, das steinreichen Touristen gegen viel Bares einen Flug ins Weltall ermöglichte.
Gutes Foto, ich muss schon sagen … und dann war diese Frau auch noch so schnell in ihren Entscheidungen. Sie machte kein großes Federlesen, sondern wusste genau, was sie wollte. Ob sie beim Shopping auch so war? Das musste er unbedingt ausprobieren. Doch dem stand noch ein Problem im Weg, und dieses war kein besonders geringes: Er würde nicht der einzige Mann sein, dem ihr Foto gefiel. Nicht, dass Spitzenmanager Tom Lortery kein Selbstbewusstsein besessen und seinen Körper als nicht konkurrenzfähig mit anderen Kerlen in seinem Alter eingestuft hätte. Aber es gab etwas, das seiner Suche nicht gerade förderlich sein würde: Er war unsichtbar. Er musste unsichtbar bleiben, damit die Sache mit Fleeze 89 nicht ans Licht kam. Solange der Untersuchungsausschuss noch tagte, durfte er sich allem offenbaren, nur nicht einer Mitarbeiterin im höheren Dienst der Weltraumtouristikzulassungsbehörde. Das fing schon mit dem Profilbild an: Er musste es irgendwie schaffen, die Aufmerksamkeit dieser Frau allein durch Worte zu gewinnen und sich dabei von den wahrscheinlich nicht wenigen Mitbewerbern absetzen. Dazu musste er erst einmal herausfinden, auf was Sarah Wagner stand.
Hier kam die nun folgende Prozedur gerade recht: Sarah wählte aus ihren Desktopfotos ein zweites Profilbild aus. Dabei ging sie diesmal nicht so schnell vor wie bei der Auswahl ihres ersten Fotos. Im Gegenteil: Tom erfuhr eine Menge über ihre Gewohnheiten, Hobbys, wusste schließlich, dass sie gerne klettern ging, joggte, viel Zeit mit kleinen Kindern (ihren?) verbrachte und Hockey spielte. Wow. Schlussendlich, nach gefühlt einer halben Stunde des Hin- und Herdiskutierens mit ihrer Freundin Petra, entschied sie sich für ein Foto, das sie in einer vollständigen Hockeyrüstung inklusive Helm und hoch erhobenem Schläger zeigte. Furchteinflößend und genau sein Fall. Tom fragte sich, ob sie sich immer so viel Zeit für ihre Privatangelegenheiten auf der Arbeit nahm. Gut, dass sie nicht seine Angestellte war. Er lächelte still in sich hinein. Aber immerhin, durch diese umfassenden Einblicke in die Eitelkeit seiner Traumfrau wusste er nun einigermaßen, was sie beschäftigte und worüber sich ganz zwanglos ein anregendes Gespräch zwischen ihnen entwickeln konnte.
„Top, Sarah, wirklich top! Wenn du mit diesem Profil nicht die Blicke aller Kerle dieser Welt auf dich ziehst, weiß ich es auch nicht. Du wirst den Einen finden, da bin ich mir sicher!“, hörte er Petra sagen.
Nun wurde es aber wirklich Zeit, seinerseits aktiv zu werden. Die Uhr lief.
Sarah konnte es kaum erwarten, bis endlich Feierabend war. Immerzu malte sie sich die Blicke der Männer aus, die begierig ihr Profil besuchten und ihren virtuellen Briefkasten mit Nachrichten nur so überschwemmten. Währenddessen merkte sie, wie sie angesichts ihrer ausschweifenden gedanklichen Ausflüge mit ihrer Arbeit ins Stocken geriet. Nach zehn Minuten fiel ihr auf, dass sie sich noch immer auf Seite 724 des etwa eintausend Seiten umfassenden Zulassungswerkes der Firma Capada befand, das sie zwecks des laufenden Verfahrens noch einmal hervorgekramt hatte, um sich in Anbetracht der am Freitag tagenden Konferenz über den Fall „Fleeze 89“ wieder auf den neuesten Stand zu bringen.
Sarah Wagner, du reißt dich jetzt zusammen und bringst diesen Arbeitstag noch ordentlich und wenigstens ansatzweise produktiv zu Ende!, ermahnte sie sich zu Selbstdisziplin, und tatsächlich: Zumindest das Kapitel „Über die internen Zuständigkeiten betreffend das Qualitätsmanagementsystem“ schaffte sie noch, ehe sie den Wälzer Papier schließlich zuklappte. Genug getan für heute, dachte sie. Für den Rest war Anfang nächster Woche auch noch Zeit. So band sie sich ihre Haare zum Zopf, griff nach ihrer schwarzen Handtasche mit dem Havanna-Button und verließ um Punkt Viertel nach vier ihr Büro. Wie üblich um diese Uhrzeit war sie die Letzte auf ihrer Etage. Energischen Schrittes schwebte sie den blauen Teppich des kleinen Korridors entlang, der selbst die Geräusche ihrer Absätze schluckte, wenn sie einmal welche trug, was selten genug vorkam. Naja, dachte sie und lächelte in sich hinein, wenn Petra recht hat, lege ich mir zur Feier des Tages vielleicht mal wieder welche zu. Wenn es mit ihrem Traummann klappte. Als sie das für eine Behörde ziemlich futuristische Gebäude ihres Arbeitsplatzes verließ, beschloss sie, nicht direkt nach Hause zu gehen und in ihrem PC schon nach adäquaten Männern Ausschau zu halten, sondern die Spannung lieber noch ein wenig zu steigern. Der Prinz-Georgs-Garten schrie an derart malerischen Sommertagen wie heute geradezu nach einem Spaziergang.
Darmstadt war heiß. Das Außenthermometer des Bundesinstituts für Zulassungsangelegenheiten der Weltraumtouristik, kurz BIfZudeWe, zeigte an diesem Nachmittag geschlagene 32 Grad Celsius an. Vielleicht sollte Sarah den Spaziergang doch besser in eine Sitzung im Schatten verwandeln. Schon die Passage des Hauptbahnhofs war an diesem Tag um diese Uhrzeit schweißtreibend und ein regelrechter Spießrutenlauf zwischen den Heerscharen an Berufspendlern, zu denen sich jetzt zu allem Überfluss auch noch die Reisevögel mischten, die mit ihren Koffern noch die breitesten Wege zu abenteuerlich verschlungenen Pfaden machten. „Mensch Jonas, pass doch auf, da möchte eine Dame vorbei!“
Schließlich gelang es Sarah doch, die schier unüberwindbaren Hindernisse zu passieren und sich zur Innenstadt durchzuschlagen. Am Hessischen Landesmuseum, in dem sie als Kind immer so gern die Skelett- und Fossilexponate der naturhistorischen Ausstellung bewundert hatte, führte ihr Weg direkt durch den Herrngarten, unter dessen alten Bäumen sich für gewöhnlich die Studenten dem süßen Nichtstun hingaben. Da die Semesterferien jedoch schon begonnen hatten, verweilten nicht mehr so viele Studenten wie sonst in der Stadt. Nachdem sie den Herrngarten durchquert hatte, kam sie endlich in ihren Prinz-Georgs-Garten, in dem sich die Gartenbaukunst des Rokoko auf eine sehr ästhetische Weise mit der Wissenschaft verband. Vier Quadrate Lust- und Nutzgarten gebaren in ihrer Mitte jeweils eine Sonnenuhr aus Sandstein mit Globus, einer Wetterfahne sowie dem Namenszeichen Ludwigs des VIII., dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt selbst, der den Garten einst seinem Sohn Prinz Georg zum Geschenk gemacht hatte. Wenn es ein Paradies auf dieser Erde gab, dann lag es möglicherweise hier. Das Einzige, das Sarah an diesem Ort störte, war der Mangel an Schatten spendenden Bäumen, sodass sie sich nur kurz auf eine der heißen Bänke setzte, um ihrem nächsten Date nicht krebsrot entgegentreten zu müssen. Für einige Momente schloss sie die Augen, doch es war keine angenehme Wärme, die auf ihr Gesicht fiel, sondern eine brennende Hitze. Eigentlich sollte ich im Freibad sein, dachte sie. Doch dazu fehlten ihr heute einfach Zeit und wenn sie ehrlich war auch die Lust. Sie musste noch einkaufen und wollte außerdem bei ihrer Mutter vorbeischauen. Und dann wartete da ja noch Kometenfeuer auf sie. Viel zu tun. Mit einem Ruck erhob sie sich, spazierte noch einmal um die riesige Wasserfontäne des Springbrunnens in der Mitte herum, ehe sie sich schließlich auf den Weg ins Martinsviertel machte, wo sie wohnte.
Ihre Wohnung in dem zitronengelb angestrichenen Fünf-Parteien-Haus lag im zweiten Stock. Normalerweise schleppte sich Sarah nach der Arbeit immer mit letzter Kraft die beiden Treppen hoch – selbst ihr wöchentliches Lauftraining half ihr nicht besonders weiter, wenn Energie und Antrieb fehlten. Doch diesmal war sie ein wenig beschwingter als sonst und nahm sogar zwei Stufen auf einmal. Zu ihrem Glück in diesen Tagen lag ihr kleines Apartment auf der Nordseite des Hauses, sodass die Luft, die sie bei der Ankunft begrüßte, noch als „erträglich“ bezeichnet werden konnte.
Rasch warf Sarah einen Blick in ihren Kühlschrank und die kleine Küchenecke, schrieb einen Einkaufszettel und verließ sofort wieder das Haus, um etwaigen Trödeleien erst gar keine Chance zu geben. Ihr Supermarkt war fußläufig gut erreichbar, was ihr bei der Hitze mehr als gelegen kam. Trotzdem spürte sie, wie sich Schweißtropfen überall an ihrem Körper zu bilden begannen und schon nach einer halben Minute gemütlichen Marsches an ihr hinabliefen.
Nach dem Einkauf sortierte sie erst einmal ihre eigenen Sachen zu Hause ein, ehe sie schnell unter die Dusche sprang und sich – durch die nasse Erfrischung wieder etwas wohler fühlend – auf den Weg zu ihrer Mutter machte, die in Bessungen, im Süden der Stadt wohnte.
Als ihre Krankheit diagnostiziert worden war, hatte Sarah als ihre einzige Tochter darauf gedrängt, dass sie von Fulda in ein betreutes Wohnen nach Darmstadt umzog. Natürlich war Emma Wagner der Abschied von ihrem eigenen Haus schwergefallen, aber diese Entscheidung war aus Sarahs Sicht die einzig richtige gewesen und letztlich hatte das auch ihre Mutter eingesehen. Nur so konnte Sarah auf der letzten Station bis zu ihrem vollständigen Gedächtnisverlust für sie da sein.
„Das ist aber lieb von dir“, freute sich Emma, als Sarah ihr den vollen Einkaufskorb reichte, und herzte sie zur Begrüßung auf beide Wangen.
„Wie geht es dir?“, fragte Sarah.
Die Dame mit den schulterlangen grauen Haaren sah sie schweigend an. „Ach weißt du, mir geht so manches durch den Kopf. Solange ich noch klar denken kann, denke ich über mein Leben nach, das ich gelebt habe. Das war es nun, bald muss ich der Welt für immer auf Wiedersehen sagen. Komm, setz dich!“
Sarah nahm neben ihrer Mutter an dem runden Tisch in dem kleinen Apartment Platz, das sie von der Größe und Einrichtung her fast ein bisschen an ihr eigenes erinnerte. Nur Sarahs Möbelgeschmack war natürlich ein bisschen moderner. „Mama, für dich ist es noch nicht vorbei. Wir werden kämpfen, solange es Hoffnung gibt.“
„Die Medizin kann meinen Verfall ein wenig bremsen, aber du weißt genau, dass das Ende meiner geistigen Kraft unausweichlich kommen wird. Ich habe mein Leben gelebt, es ist in Ordnung für mich.“
„Nächste Woche habe ich Urlaub. Dann können wir viel zusammen machen.“
„Das freut mich für dich, dass du bald freihast. Aber du musst auch an dich denken, du hast noch eine Zukunft vor dir. Welchen Urlaub hast du geplant?“
„Diesmal keinen. Ich bin der Urlaube müde geworden. Diesmal bleibe ich hier. Darmstadt ist auch schön.“
Ein unübersehbarer Ausdruck der Enttäuschung huschte über das Gesicht ihrer Mutter. „Aber Kind, ein Ortswechsel täte dir mal gut und würde sicher neue Energie freisetzen. Was machen die Männer denn ohne dich?“
Sarah seufzte. Das ewige Thema. „Alle Männer, die ich bislang in meinem Leben kennengelernt habe, machen ihre Sache auch gut ohne mich. Sie suchen sich eben andere Frauen, deren Körper ebenso attraktiv sind, das macht für sie keinen Unterschied.“
„Sarah, du denkst zu negativ über die Männer. Vielleicht ist es das …“
„Nein, auch das ist es nicht, Mama. Du hältst mich doch wenigstens für so erwachsen, dass ich noch unterscheiden kann, ob ein Mann meinen Charakter oder nur meinen Körper liebt. Aus dem Alter der rein körperlichen Liebe bin ich raus. Ich kann verstehen, dass du willst, dass ich endlich den richtigen Mann an meiner Seite finde, und dass du dir ein Enkelkind wünschst. Aber ich kann nichts herbeizaubern. Immerhin habe ich mich mal bei einer Partnerbörse angemeldet. Die Hoffnung stirbt ja immer zuletzt.“
„Du hast was?“, fragte Emma Wagner überrascht.
„Ich setze uns beiden mal einen Kaffee auf und dann erzähle ich dir ein bisschen …“
Nachdem Sarah den Spätnachmittag mit ihrer Mutter trotz der üblichen leidigen Themen ihrer Mannlosigkeit und Emmas Krankheit relativ gut überstanden hatte, gönnte sie sich zu Hause nochmals eine kalte Dusche. Das Abendbrot fiel diesmal sehr einfach aus, schließlich wuchs Sarahs Ungeduld. Als sie fertig gegessen hatte, war es endlich soweit: Sie rief die Seite von Kometenfeuer auf, meldete sich an und öffnete ihr Postfach. Sie hatte sich nicht zu viel versprochen: Links oben zeigte ihr eine weiße Zahl in einem roten Kreis an, dass ihr Profil seit ihrer Anmeldung heute Vormittag bereits stolze 320 Besucher aufweisen konnte. Außerdem hatte Mann ihr 178 virtuelle Lächeln geschickt, wie ihr die Zahl in einem Smiley verriet. Noch viel spannender aber war die Anzeige direkt daneben, die ihr 38 neue Nachrichten ankündigte. Sie hatte natürlich keine Vergleichswerte, aber ihr Gefühl verriet ihr, dass sie wohl ziemlich gefragt sein musste. Sie überlegte einen Moment lang ernsthaft, ob sie sich die Mühe machen und zunächst alle 178 Smileys anschauen sollte. Ach nein, dachte sie, Smileys bringen mich nicht wirklich weiter und symbolisierten ihr eher die Sprach- und Ideenlosigkeit der Männerwelt, auch wenn sie natürlich nett gemeint waren. Sie wünschte sich schließlich einen Partner, mit dem sie auch reden konnte. Sie war für ihre Begriffe nicht zu anspruchsvoll, aber ein bisschen Mühe durften sich die Männer doch geben. Also direkt die Nachrichten.
Mit zitternder Hand bewegte sie den Mauszeiger auf das Briefsymbol und klickte einmal darauf, woraufhin sich zunächst eine Übersichtsliste der eingegangenen Nachrichten mit Benutzername und Alter des Absenders, Datum, Uhrzeit und Betreffzeile öffnete. Die erste Nachricht war ein herzlicher Willkommensgruß seitens Kometenfeuer, dessen Inhalt sehr stark an ein übliches Blabla erinnerte, nach dem Motto „Herzlich willkommen, schön dass Sie sich für Kometenfeuer entschieden haben, wir wünschen Ihnen viel Spaß und Erfolg bei der Partnersuche und finden es ganz großartig, dass Sie uns ein wenig an ihrem vermögenden Einkommen teilhaben lassen …“.
In den meisten Betreffzeilen der Nachrichten von interessierten Männern stand schlichtweg ein „Hallo“, ein „Hey“ oder auch gar nichts. Das war auf der einen Seite natürlich langweilig und fantasielos, auf der anderen Seite aber eine klassische Begrüßung, mit der man erst einmal nicht viel falsch machen konnte. Auf jeden Fall war es allemal geschickter als ein „Na du Süße“, „Hallo du Stern“, ein geschmettertes „Wie geht’s?“ oder ein „Hey, ich komme auch aus Darmstadt!“. Allein der Gedanke entlockte ihr ein Lachen, obwohl sie einen vergleichbaren Betrefftext tatsächlich nicht fand. Dafür hatten es die Benutzernamen in sich: Während sie „Toni781“ ja noch halbwegs akzeptierte (wenngleich es offensichtlich noch mindestens 780 andere Tonis gab, die mutmaßlich in Konkurrenz zur 781. Ausgabe Tonis standen), „Sonnengott“ für sie neben der Vorstellung eines braungebrutzelten Machos zumindest nach einem Hauch von Kreativität und Sommer klang, musste sie bei dem Namen „Henning50“ laut losprusten vor Lachen, weil sie sich doch ziemlich an ihre Schilddrüsentabletten erinnert fühlte, zumal die Stärke des Arzneimittels tatsächlich genau 50 Mikrogramm betrug. Im Vergleich zu den beiden ersten Absendern („Hallo, wie geht’s dir?“, „Was machst du so?“) jedoch brachte es Henning50 zumindest auf einen vollständigen Text: „Hallo du, ich finde dein Profil sehr ansprechend und könnte mir ein Treffen mit dir vorstellen. Ich würde mich freuen, von dir zu hören! Gruß, Henning“. Die Fotos zumindest hielt sie für akzeptabel, handelte es sich doch keineswegs um Eigenschnappschüsse im Schlabber-T-Shirt vor der mütterlichen Waschmaschine. Aber ein bisschen mehr persönlicher Touch in der Nachricht hätte sie schon gefreut. Ein Physiker namens „Erdy“ machte das mit dem persönlichen Touch besser, indem er fragte, ob sie in der Hockey-Nationalmannschaft spielte. Das war natürlich mit einem Augenzwinkern gemeint, entlockte Sarah ein Schmunzeln und brachte sie in Versuchung, ein wenig keck zurückzuschreiben, dass sie so männlich gar nicht aussehe, gleichwohl aber vor Kurzem in die Hockey-Nationalfrauschaft berufen worden sei. Doch sie entschied sich gegen eine Antwort, denn ihr Physiker (eigentlich ein Traumberuf für sie!) hatte kein Profilbild. Kein gutes Zeichen.
Auch die nachfolgenden 28 Nachrichten, Fotos und Profile ihrer Verehrer konnten sie nicht wirklich überzeugen, sodass sie bereits zu hadern anfing. Was hat Petra mir nur da versprochen? Glaubt sie wirklich, dass ein Internetportal bessere und intellektuellere Männer hervorbringt? Oder lag die Schuld bei ihr selbst? War sie etwa viel zu anspruchsvoll, ungeduldig oder schlichtweg beziehungsunfähig? Naja, immerhin erkenne ich hier schneller, wenn jemand eine unbehandelte Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, dachte sie sarkastisch.
Enttäuscht stellte sie fest, dass ihr nur noch eine Nachricht blieb. Immerhin, der Name „Tintenfisch“ gefiel ihr aus irgendeinem Grund und machte sie neugierig, auch wenn der Betreff nicht mehr als ein „Hallo :)“ hergab.
Hallo Fledermausnacht,
ich bin zwar ein Tintenfisch, aber wenn du magst, können wir uns mal gemeinsam im Stadtpark auf die Suche nach den Fledermäusen machen.
Liebe Grüße, Till
Na bitte, wer sagte es denn. Das war ein präziser, auf ihren Benutzernamen anspielender, intelligenter wie ungewöhnlicher Vorschlag, der sie auf Anhieb neugierig machte. Damit konnte sie etwas anfangen. Und weil ihr das Profilbild eines sanft lächelnden Gesichts mit schwarzen Haaren und wohl gepflegtem Bart zusagte, beschloss sie kurzerhand, ihre erste Nachricht in die Tasten zu hauen. Sie wollte den Tag unbedingt mit einem Erfolgserlebnis abschließen.
Hallo Tintenfisch, welchen Stadtpark meinst du denn?
Liebe Grüße, Fledermausnacht
Sarah kicherte in sich hinein. Während ihr Tintenfisch seinen alltäglichen Namen bereits in der ersten Nachricht preisgegeben hatte, entschied sie für sich, noch ein wenig mit ihren Pseudonymen herumzuspielen.
Tom hatte seine eigene Art und Weise, mit dem Eintreten eines bestimmten Ereignisses umzugehen. Während sein äußeres Erscheinungsbild reglos und mit stoischer Gelassenheit die Tatsache hinnahm, weil es sie doch nicht ändern konnte, arbeitete sein Inneres bereits an der Umsetzung von Plan B. Jeder noch so kleine Ärger wäre nicht nur eine Zeit-, sondern darüber hinaus eine Energieverschwendung gewesen. Wenn Sarah Wagner seine Nachricht zwar gelesen, aber womöglich einem Konkurrenten geantwortet hatte, dann war das ein Fakt, auf den er nun reagieren musste. Zweifelsohne würde es unangenehm werden, so viel stand fest. Aber kneifen ging nicht.
Also erinnerte sich Tom Lortery an das Passwort, das Sarah Petra und ihm unfreiwillig verraten hatte. „Gänseblümchen01“ hielt er zwar für eine niedliche Stilfigur der ewigen Liebt-mich-liebt-mich-nicht-Frage, schwierig zu merken war es jedoch nicht. Mit der ganzen Professionalität eines Managers tippte er den ersten Buchstaben in die Tastatur, ehe sich sein Herz meldete. Nichts stellte seinen Ruhepuls so auf die Probe wie die Liebe. Seine Finger zitterten bereits, als er die Eingabetaste drückte. Anmeldung fehlgeschlagen, falsches Passwort, stand dort in roter Schrift. „Scheiße“, fluchte er. Vielleicht habe ich einen Schreibfehler eingebaut? Jetzt ganz ruhig bleiben. Nur ruhig bleiben. Aber ja, natürlich. Er durfte die Umlaute nicht tippen! Eine Frau wie Sarah konnte unmöglich wissen, dass Kometenfeuer auch Umlaute akzeptierte. Gaensebluemchen01! Ganz langsam, um nur ja keinen Tippfehler seiner zittrigen Hände wegen einzubauen, schlug er seinen zweiten Versuch in die Tasten. Dieser Versuch musste passen, sonst würde es so eng, dass ihm die Luft wegblieb. Er spürte, wie sein Herz wummerte, während er die Eingabetaste drückte. Der Versuch passte. Zwei Sekunden lang erschien ein Ladesymbol, anschließend Sarahs Benutzeroberfläche. Toms Anspannung wich keinen Zentimeter, paarte sich aber nach dem gelungenen Anmeldeversuch mit einer wilden Euphorie. Er, Tom Lortery, würde im Zweifel alles schaffen und seine Konkurrenz gnadenlos ausstechen. Schnaufend vor Erregung überflog er die Nachrichten der Männer, die Sarah angeschrieben hatten. Er wusste, dass er sich so kurz wie möglich in ihrem Profil aufhalten musste, schließlich konnte sie jederzeit selbst zurückkehren und war sicherlich nicht gerade unverwundert, bereits angemeldet zu sein. Die eingegangenen Nachrichten interessierten ihn nicht weiter, bei den meisten ihrer Absender handelte es sich ohnehin um unbeantwortete Opfer wie ihn. Zügig wechselte Tom in den Nachrichtenausgang, in dem er nur eine einzige Nachricht vorfand.
Hallo Tintenfisch, welchen Stadtpark meinst du denn?
Liebe Grüße, Fledermausnacht
Tom Lortery hätte einen Lachanfall bekommen, wäre er nicht vor Eifersucht geplatzt. Tintenfisch, was war das für ein alberner Name! Nein, Tom Lortery, reiß dich zusammen. Du machst das jetzt ganz cool und abgezockt wie ein Killer. Bevor seine wallenden Gefühle überschwappen konnten, meldete er sich mit einem Klick ab und atmete tief durch. Diese Konversation würde er im Auge behalten. Gleich morgen früh, wenn Sarah noch in ihrem Bett lag, würde er sich diesen Tintenfisch genauer ansehen.
Sein Handy holte ihn klingelnd in die Realität seiner Küche zurück. „Ja?“, begrüßte er seinen Chef Borto Winscher, der wie immer mit gehetzter Stimme ins Telefon bellte, sodass Tom das Gerät instinktiv ein paar Zentimeter von seinem Außenohr entfernt hielt. „Lortery, wie stehen die Aktien?“
„Es ist alles noch im Werden, sieht aber gut aus. Ich habe eine Drohne in ihr Büro geschmuggelt und beobachte sie seitdem. Heute hat sie nicht besonders viel gearbeitet, aber nächste Woche wird sie voll da sein.“
Winscher grunzte. „Und die Dokumente?“
„Sie hat einen riesigen Katalog über uns, den sie gerade durchgeht. Nächsten Freitag ist die Konferenz.“
„Und was steht in dem Katalog drin?“
„Es geht um das Qualitätsmanagementsystem.“
„Viel heiße Luft! Genauer bitte!“
„Sie hat keine Sekunde von ihrem Schreibtisch gelassen. Im Gegenteil, dann kam auch noch eine Kollegin herein und sie haben sich über Belanglosigkeiten unterhalten. Ich hatte noch keine gute Sicht, …“
„Herrschaftszeiten, und Sie wollen unser Spion sein? Machen Sie Ihrem tollen Summviech doch mal Feuer unter den Arsch!“
„Wenn ich die Drohne in ihrer Anwesenheit umherfliegen lasse, wird sie Verdacht schöpfen. Das Ding ist nicht ganz geräuschlos …“
„Und, was würde sie dagegen tun? Sich eine Fliegenklatsche besorgen oder doch lieber die Feuerwehr rufen?“
„Wenn sie weiß, dass sie beobachtet wird, wird sie etwas ahnen und uns auf keinen Fall eine Zulassung erteilen. Das würde die Sache wesentlich schlimmer machen.“
„Ich habe noch nie einen so verzagten Feigling wie Sie erlebt, Lortery! Wissen Sie, dass es sich bei ERNA 36 um einen mit nach hinten abgewinkelten Wings Tips ausgestatteten ultraleisen Quadrocopter handelt? Wenn Sie sich nicht ganz blöd anstellen und das Ding direkt an ihr Ohr fliegen lassen, wird nichts passieren. Lassen Sie sich also bis Montag etwas einfallen, sonst war das ihr letzter Arbeitstag für die Firma Capada. Haben wir uns verstanden?“
„Jawohl, Chef!“
„Ausgezeichnet.“ Tom atmete einmal tief durch, als Winscher auflegte. Die Anrufe seines Chefs gehörten mit zu den unangenehmsten Dingen in seinem Job. Noch unangenehmer waren nur das laufende Strafverfahren und die drohende Insolvenz. Niemand wusste, wie es mit der Firma weiterging. Auf keinen Fall durfte Winscher von Sarahs Anmeldung bei Kometenfeuer erfahren und noch viel weniger von seinem Vorhaben, Sarah zu treffen. Tom konnte sich bestens ausmalen, wie Winscher auf einen derartigen Plan reagieren würde. „Sind Sie wahnsinnig, Lortery? Sie wollen sie persönlich treffen? Und dann auch noch unsichtbar? Das wird ihre Neugierde zusätzlich anstacheln und sie wird herausfinden wollen, wer wir sind und was wir vorhaben. Wenn es soweit ist, kommen wir in Teufels Küche!“ Tom lächelte. Natürlich würde Sarah neugierig werden und er würde sein Geheimnis solange hüten, bis sie Vertrauen zu ihm aufgebaut hatte. Doch es konnte genauso gut sein, dass er es schaffte, sie auf seine Seite zu ziehen und mit der Kuscheltaktik auf den richtigen Kurs zu bringen. An dieser Stelle dachte er ein wenig anders als Winscher. Kuscheltaktik kannte der große Abteilungsleiter nicht.
Tom starrte von seinem kleinen Küchentisch durch das Balkontürfenster nach draußen, wo die Abendsonne die Birkenbäume anstrahlte. Es versprach, wieder ein wundervoller Sommerabend zu werden. Und er war wieder allein.
Am Samstagmorgen schrillte der Wecker um 6:30. Das war kein Problem für Tom, schließlich benötigte er nur wenige Sekunden, um Feuer zu fangen. Schon unter der Dusche stand er voller Adrenalin, und als er noch im Bademantel um eine Anmeldung bei Kometenfeuer anhielt, zitterten seine Hände bei der Eingabe des Passwortes wie am Vorabend. Sarah war mit Sicherheit noch nicht wach, sie durfte nicht wach sein. Rein theoretisch könnte sie zwar später in ihren Login-Daten nachschauen, wann sie sich zuletzt angemeldet hatte, und aufgrund dieser schier unmöglichen Uhrzeit misstrauisch werden. Doch dass Sarah Wagner im Rausch der Liebe auf solche Details achtete, hielt Tom für unwahrscheinlich. Er stellte sich vor, wie Sarah jetzt im Bett lag, wie sein Blick von der Seite nur auf ihre langen blonden Haare fiel, die aus der Bettdecke herausschauten, und wie sie verträumt darauf wartete, den sonnigen Samstagmorgen zu begrüßen.
Eine Nachricht riss Tom aus seiner Vorstellung. Der Tintenfisch hatte zuletzt um 00:16 geschrieben. Mit einem Klick überblickte Tom den gesamten Schriftwechsel des Vorabends.
Hallo Fledermausnacht,
die meisten Fledermäuse gibt es auf der Rosenhöhe, dorthin gehe ich morgen Abend. Hast du Lust mitzukommen?
Lieben Gruß, Tintenfisch
Hallo Tintenfisch,
da bin ich aber gespannt. Morgen Abend schon? Du willst es aber wissen. Naja, das Leben ist kurz, ich bin ein spontaner Mensch, also warum nicht? Beobachtest du dort öfter Fledermäuse?
Hallo Fledermausnacht,
ja, schon mal. Die Rosenhöhe ist einfach ein romantischer Ort, erst recht in der Dämmerung. Ich bin eben nicht nur Ingenieur, sondern auch Romantiker von Beruf …
Ich habe meinen Namen nur so gewählt, weil ich ihn ganz lustig fand. Eigentlich habe ich gar nichts mit Fledermäusen zu tun. Aber für einen romantischen Parkspaziergang bin ich immer zu haben. Um wie viel Uhr sollen wir uns denn treffen?
Super! Um sieben Uhr am Löwentor, meine Fledermaus?
Alles klar! Ich freue mich! :)
Tom musste sich zusammenreißen, um seine Übelkeit hinunterzuwürgen. Meine Fledermaus, von wegen! Diesem Till würde er es schon zeigen. Jetzt musste er sich nur Tills Profil gut einprägen, dann stand einem persönlichen Date mit Sarah Wagner nichts mehr im Wege. Zufrieden rieb er sich die Hände.