Helmut Danner, Jg. 1941; Promotion in Philosophie, Habilitation in Pädagogik; Lehrtätigkeiten an
Universitäten in München, Trier, Kanada und Südafrika; von 1986 bis 1995 Vertreter
der Hanns-Seidel-Stiftung und Leiter von Projekten in der Erwachsenenbildung in Ägypten,
Kenia und Uganda.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek
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UTB-ISBN 13: 978-3-8252-0947-6 (Print)
eISBN 978-3-8463-0947-6
© 2006 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
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Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart ISBN 978-3-8463-0947-6
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Vorwort zur ersten Auflage
Forschungsmethoden können prinzipiell auf zwei Weisen abgehandelt werden: wissenschaftstheoretisch
im Hinblick auf ihre Begründung und darstellend im Hinblick auf ihre vorfindbare Gestalt
und ihre Anwendungsmöglichkeit (Oppolzer 1969, 11 f). Dieses Buch greift die zweite
Möglichkeit auf. Was in der Literatur, auch in der einschlägigen, häufig als bekannt
vorausgesetzt wird, soll hier Gegenstand sein. So werden die geisteswissenschaftlichen
Methoden Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik
a. auf allgemein philosophischer Ebene,
b. im Rahmen der geisteswissenschaftlichen Pädagogik,
c. durch Originaltexte und deren Interpretation,
d. mithilfe von schematischen Abbildungen und
e. durch Beispiele
dargestellt und nach ihren zentralen Begriffen, Grundgedanken und formalen Schritten
entfaltet.
Die bewusste Beschränkung auf die Darstellung bringt einige Probleme mit sich, die
von Anfang an benannt seien. Zum einen kann eine einführende Darstellung nicht gleichzeitig
wissenschaftstheoretische und erkenntnistheoretische Grundlegung und Auseinandersetzung
sein, obgleich solche Fragen ständig mit hineinspielen; der Anmerkungsteil wird im
Rahmen des Möglichen hierzu Hinweise geben. Zum anderen gehen in die Darstellung notwendigerweise
standortbedingte Entscheidungen und Voraussetzungen des Verfassers ein, die aber ebenfalls
nicht näher erörtert und begründet werden können, sofern dies nicht durch die Darstellung
selbst geschieht. Weiterhin wird die Bemühung, sich einfach und verständlich auszudrücken,
oft durchkreuzt von der Schwierigkeit der Sachverhalte, die eine Simplifizierung verbietet;
dies wird es mit sich bringen, dass dem einen unsere Darstellung zuweilen zu schwierig,
dem anderen aber zu einfach sein wird – das Dilemma einer jeden Einführung.
Das Buch ist nicht nur für Pädagogen geschrieben, sondern für jeden,
der sich grundlegende Kenntnisse über Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik aneignen
will: der Bezug zur Pädagogik stellt dabei eine bestimmte Konkretisierung dar.
München, Januar 1979
H. Danner
Vorwort zur fünften Auflage
Dieses Buch ist 1979 zum ersten Mal erschienen. Mag man fragen, ob es denn heute für
eine fünfte Auflage eine inhaltliche Berechtigung gibt.
Die Spanne von 27 Jahren rückt die „Methoden geisteswissenschaftlicher Pädagogik“
in ein verändertes Licht. Neben der ‚Methoden‘-Frage erhält auch die historische Perspektive Bedeutung; das Buch ist zu einem kleinen Beitrag zur Geschichte der Pädagogik
geworden. Der letzte große Vertreter der ‚geisteswissenschaftlichen Pädagogik‘, nämlich
Wilhelm Flitner, starb 1989. Aber die Kritik an der ‚geisteswissenschaftlichen Pädagogik‘
setzte bereits in den 60 er Jahren des 20. Jahrhunderts ein, verbunden mit einer Hinwendung
zur empirischen und sozialwissenschaftlichen Erziehungswissenschaft. In der Tat gehen
in die geisteswissenschaftliche Pädagogik Elemente der Hegel’schen Philosophie und
der Dilthey’schen Lebensphilosophie sowie andere weltanschauliche und ideologische
Komponenten ein, je nach Vertreter in unterschiedlicher Ausprägung und Akzentuierung –
bis hin zur O. F. Bollnows Orientierung an der Existenzphilosophie.
Die ‚geisteswissenschaftliche Pädagogik‘ ist eine Richtung innerhalb der Geschichte
der deutschen Pädagogik, die im Wesentlichen die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
dominiert hat. Es geht nicht darum, sie wieder zu beleben. Sie kann und muss in ihrer
historischen Bedingtheit gesehen und belassen werden; aber die Auseinandersetzung mit ihr macht die Entwicklung der deutschen Erziehungswissenschaft in der zweiten
Hälfte des 20. Jahrhunderts zum Teil verständlich. Beispielsweise hat auch die ideologiekritische
Ablehnung des Bildungsbegriffs in den 60 er und 70er Jahren damit etwas zu tun.
Neben dem historischen Aspekt, der hier mehr am Rande interessiert, gibt es aber ein
systematisches Interesse an der ‚geisteswissenschaftlichen Pädagogik‘, nämlich die Art und Weise,
wie sie an ihren Gegenstand herangeht – an Erziehung, Bildung, Schule, etc. und die
wissenschaftliche Reflexion darüber. Diese Herangehensweise ist so geartet, dass sie
das eigentümlich Menschliche in den Blick zu bekommen und es zu bewahren versucht.
Was das Menschliche ausmacht, ist Sinn,
Sinnhaftes, Bedeutung. Nicht nur unser Sprechen, auch unser Handeln und unsere Hervorbringungen
sind sinnvoll; und wenn wir sagen, was jemand sagt oder tut, sei ohne Sinn, sinnlos,
dann reklamieren wir gerade, dass wir Sinn erwarten. Von Naturdingen, auch von Tieren,
erwarten wir hingegen keinen Sinn. Eine Bedeutung der ‚geisteswissenschaftlichen Pädagogik‘
für die systematische Erziehungswissenschaft liegt gerade darin, dass sie das Erziehungs-
und Bildungsgeschehen als ein sinnhaftes beschrieben und reflektiert hat.
Ist das heutzutage noch wichtig? Oder ist es nach dem PISA-Schock nicht besser, technokratische
Mittel und Wege zu erforschen, um das Humankapital der deutschen Gesellschaft zu steigern
und die künftige ökonomische Verwertbarkeit von Lernenden im globalen Wettkampf zu
sichern (Rittelmeyer 2006)? Dabei muss dann nicht mehr auf ‚Sinn‘ geachtet werden;
die Zweckhaftigkeit des Mitteleinsatzes reicht aus. Von ‚Sinn‘ zu reden, stört nur.
An diesem Punkt geht es in der Tat um eine grundlegende Entscheidung nicht nur des praktisch tätigen Pädagogen, sondern auch des Wissenschaftlers, der
sich mit dem pädagogischen Geschehen befasst: wie sie nämlich ihre Aufgabe und ihren
Gegenstand wahrnehmen. Hat in ihrer Wahrnehmung das Sinnhafte einen zentralen Platz;
oder halten sie die Rede davon für ein überholtes Geschwätz, vor allem wenn es um
den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit geht?
In meinem Tätigkeitsbereich der vergangenen Jahre, nämlich in der Entwicklungszusammenarbeit,
kann interessanterweise eine ähnliche Antinomie – verstehendes gegen technokratisches
Vorgehen – beobachtet werden. Ist es richtig, ‚Entwicklung‘ ökonomisch und statistisch
zu definieren, wie es die Tendenz von Internationalem Währungsfonds und der Weltbank
ist? Ist der folgerichtige Weg, den Entwicklungsländern ökonomische Maßnahmen zu verordnen?
(Ein Beispiel hierfür ist der „Structural Adjustment Plan“ der 80er Jahre, der inzwischen
als Irrweg eingesehen worden ist.) Kann man, wie das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung glaubt, Demokratie, Regierungsführung und Menschenrechte
statistisch messen? Kann man Afrika mit einer Verdoppelung der Entwicklungshilfe,
mit einem „big push“, in der Tat helfen, wie Blairs „Commission for Africa“ und der
G8-Gipfel vom Juli 2005 glauben machen?
Oder müsste man nicht auch jene Afrikaner zu Wort kommen lassen und ernst nehmen,
die Entwicklungshilfe entweder ganz oder bedingt ablehnen? Wäre nicht das Angebot
von Afrikanern zur Partnerschaft in dem Entwicklungskonzept „New Partnership for Africa’s
Development“
(NEPAD) eine Chance, einen Dialog zu eröffnen, hinzuhören und zu verstehen, was die afrikanischen Länder und Völker traditionell, geschichtlich, kulturell,
mental charakterisiert, um auf dieser Basis und in einem humanen Umgang ‚Entwicklungshilfe‘ anzubieten? Es ginge also auch
hier um das Verstehen des Sinnhaften in Tradition, Kultur, Mentalität, etc.
Wenn man in Pädagogik, Entwicklungszusammenarbeit, aber auch in Politik und Wirtschaft,
nicht auf technokratische Machbarkeit setzt, Menschen nicht als manipulierbare, wenn
auch komplizierte Automaten behandelt, sondern im Sinnhaften des individuellen und gesellschaftlichen Lebens ein Wesentliches erkennt und anerkennt,
dann ist das Anliegen dieses Buches nach wie vor aktuell. Es geht hier darum, wie
Sinnhaftes interpretiert (Hermeneutik), in seinem Wesentlichen beschrieben (Phänomenologie)
und in seinen Widersprüchen reflektiert (Dialektik) werden kann. Um die historische
Belastung des Begriffes ‚geisteswissenschaftlich‘ zu vermeiden, sollte wohl angemessener
von einer ‚sinn-orientierten‘ Pädagogik (Danner 1981; 1985 a) gesprochen werden. Ebenso
sei schon hier darauf hingewiesen, dass Methode in unserem Zusammenhang genau genommen ein Hilfsbegriff ist; denn es geht nicht um
wissenschaftliche Methoden von der Art, wie sie beispielsweise mit einem Fragebogen,
einer Statistik oder einem Laborversuch gegeben sind. Der englische Begriff approach würde die Sache angemessener beschreiben, wenn wir von Hermeneutik, Phänomenologie
und Dialektik sprechen; sie sind in diesem Sinn ‚Annäherungswege‘, ‚Zugangsweisen‘.
Diese Neuauflage belässt im Wesentlichen die Hauptteile – die grundlegenden Einführungen
in Hermeneutik, Phänomenologie und Dialektik – in ihrer bisherigen Form. Es wurden
zwei zusätzliche Exkurse aufgenommen, um auf jüngere erziehungswissenschaftliche Entwicklungen
in der Hermeneutik und in der Phänomenologie hinzuweisen, nämlich auf die objektive Hermeneutik sowie auf den Bezug zur Lebenswelt und die ethische Reflexion im Anschluss an Lévinas. Anmerkungen wurden, so weit vertretbar, in den Text aufgenommen und Literaturhinweise
durch neuere Erscheinungen ergänzt. Einige hartnäckige Druckfehler konnten eliminiert
werden. Nach wie vor möchte das Buch nichts anderes sein als eine Einführung – eine Analyse der grundlegenden Begriffe, Phänomene und Erkenntisprozesse, um die
Grundlage zu schaffen für eine theoretische Auseinandersetzung und praktische Anwendung.
Für wertvolle Hinweise zu dieser Auflage danke ich Christian Rittelmeyer,
in dessen eigenen, praktisch orientierten Arbeiten das Hand-in-Hand-Gehen von Hermeneutik
und Phänomenologie demonstriert wird, und vor allem danke ich Frau Wehler und Frau
Henning des Ernst Reinhardt Verlags für die Entscheidung zu dieser neu gestalteten
Auflage und für deren Betreuung, womit sie das Anliegen einer ‚Sinn-Orientierung‘
unterstützen.
Nairobi, Februar 2006
Helmut Danner