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Eine tote Autorin und ein Dorf, dass nicht so idyllisch ist, wie es scheint …
Der spannende Auftakt der Cosy Crime-Reihe im malerischen Cornwall
Mia Midway wollte als neue Bibliothekarin von Pennygrave nur ein wenig die Idylle Cornwalls genießen. Doch als sie Elenora Meil, eine berühmte Autorin aus dem beschaulichen Dörfchen, tot auffindet, merkt sie schnell, dass daraus nichts wird. Anders als die Polizei glaubt sie nämlich nicht an einen Unfall und kann es nicht lassen selbst Nachforschungen anzustellen. Zusammen mit der rüstigen Leseratte Lady Gellam und ihrem charmanten Sohn Sir William stößt Mia unter den schrulligen Dorfbewohnern schnell auf Verdächtige. Der Täter ist näher als gedacht und bald schon schweben die Hobby-Ermittlerinnen selbst in Gefahr …
Erste Leser:innenstimmen
„Ich habe mit diesem Cosy Krimi den Herbst eingeläutet, hatte gemütliche Lesestunden und freue mich nun sehr auf weitere Teile!“
„Ein charmant-schrulliges Städchen in Cornwall wird zum geheimnisvollem Mordschauplatz – hat mich bestens unterhalten.“
„Sympathische Hobbydetektive, spannende Story, einfach ein super Cosy Crime!“
„Kurzweilige, rätselhafte und an vielen Stellen auch humorvolle Krimiunterhaltung.“
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Mia Midway wollte als neue Bibliothekarin von Pennygrave nur ein wenig die Idylle Cornwalls genießen. Doch als sie Elenora Meil, eine berühmte Autorin aus dem beschaulichen Dörfchen, tot auffindet, merkt sie schnell, dass daraus nichts wird. Anders als die Polizei glaubt sie nämlich nicht an einen Unfall und kann es nicht lassen selbst Nachforschungen anzustellen. Zusammen mit der rüstigen Leseratte Lady Gellam und ihrem charmanten Sohn Sir William stößt Mia unter den schrulligen Dorfbewohnern schnell auf Verdächtige. Der Täter ist näher als gedacht und bald schon schweben die Hobby-Ermittlerinnen selbst in Gefahr …
Erstausgabe Oktober 2022
Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten
E-Book-ISBN: 978-3-98637-902-5 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-961-2 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-073-8
Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Pheniti Prasomphethiran, © Konmac, © naum, © Roman Sigaev Lektorat: Astrid Pfister Korrektorat: Dorothee Scheuch
E-Book-Version 26.07.2024, 16:13:57.
Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.
Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
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Eine tote Autorin und ein Dorf, das nicht so idyllisch ist, wie es scheint …Der spannende Auftakt der Cosy Crime-Reihe im malerischen Cornwall
Für Johanna
Du hast immer an meine Geschichten geglaubt.
Danke für dich und für all das, was ein eigener Roman wäre, wenn ich es aufschreiben würde.
Ruf Tante Lena an!!!
Stirnrunzelnd nahm Mia die drei Ausrufezeichen wahr, mit denen die SMS-Nachricht versehen war. Ihre Mum verwendete Satzzeichen? Was war denn jetzt passiert? Für gewöhnlich vertrat Laura Midway die Ansicht, dass sich ihre Tochter gefälligst dankbar zeigen sollte, überhaupt von ihr mit Textnachrichten beglückt zu werden. Also akzeptierte Mia für gewöhnlich die satzzeichenlosen Botschaften und entschlüsselte sie nach bestem Wissen und Gewissen. Hier gab es allerdings nichts zu entschlüsseln, die Aufforderung war eindeutig:
Ruf Tante Lena an!!!
Aber warum? Sie hatte nichts mehr von Tante Lena gehört, seit diese vor Jahren nach Cornwall ausgewandert war. Pennygrave lautete der Name des malerischen Ortes, wenn sie sich richtig erinnerte. Dort leitete Tante Lena nun die örtliche Bibliothek.
Ihre Liebe zu Büchern hatte von Anfang an eine besondere Verbindung zwischen den Midway-Frauen geschaffen. Tante Lena war Bibliothekarin aus Leidenschaft und hatte Mia von klein auf mit Lesestoff versorgt. Später – genau genommen die vergangenen zehn Jahre lang - hatte Mia dann als Deutschlehrerin an einer Privatschule versucht, ihre Liebe zum geschriebenen Wort an andere Kinder weiterzugeben, so wie es Tante Lena bei ihr getan hatte. Ein Traum, den Mia geträumt und verwirklicht hatte und der nun ebenso jäh wie bitter zerplatzt war.
Mit einem genervten Knurren legte sie das Handy neben sich aufs Sofa. Wollte ihre Mum vielleicht deshalb, dass sie Tante Lena anrief? Und wenn schon. Sie hatte nicht die geringste Lust, über die Umstände ihrer Entlassung zu sprechen, auch nicht mit ihrer Lieblingstante. Viel lieber wollte sie weiter mit ihrem Eimer voll Eis auf der Couch herumlümmeln und sich Trash-Sendungen im Fernsehen reinziehen. Hohl, sinnlos und Balsam für ihren verletzten Stolz.
Schmollend schob sie sich einen weiteren Esslöffel Schokoladeneis in den Mund und versuchte, das penetrante Piepen zu überhören, welches das Eintreffen einer weiteren Textnachricht verkündete. Ohne Erfolg.
Mia gab ein genervtes Knurren von sich, griff erneut nach dem Handy und las die zweite Nachricht:
Ruf sie an!!! Jetzt!!!!!
Später vielleicht
tippte Mia mit der linken Hand, da sie nicht gewillt war, den Löffel aus der rechten zu legen.
Jetzt! Ruf sie an! Jetzt sofort!!!
Warum denn?
…!!
Hä? Nur noch Satzzeichen? Was war denn jetzt los? Verwirrt starrte Mia auf die seltsame Kommunikation, die alles an Eigenartigkeit übertraf, was sie je mit ihrer Mum erlebt hatte, und da gab es wirklich so einiges. Schließlich obsiegte doch die Neugier.
Ich mach ja schon
tippte sie schnell, woraufhin lediglich ein erhobener Daumen-Emoji zurückkam. Laura Midway hatte die Emojis entdeckt? Dieser Abend steckte voller Überraschungen.
Seufzend scrollte Mia durch ihr Telefonbuch und drückte auf den Namen von Tante Lena.
Es tutete.
»Mia, wie schön, dass du dich meldest.«
»Ja, Überraschung«, brummte Mia missmutig.
Tante Lena lachte. »Nein, eigentlich nicht. Ich habe vorhin mit deiner Mutter gesprochen und sie hat sich bereit erklärt, dich mal zu fragen. Aber dass du dich so schnell entscheidest, damit hätte ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Super, dass du es machst, das erspart mir einiges an Zeit und Aufwand. Sollen wir die Details sofort besprechen?«
»Ähem … was mache ich?«
»Na, die Bibliothek. Ich dachte, deshalb rufst du an?«
»Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, weshalb ich anrufe«, gestand Mia. »Mum hat mich quasi gezwungen, mich bei dir zu melden.«
Tante Lenas helles Auflachen verriet, dass sie sich lebhaft vorstellen konnte, was sich zwischen ihrer jüngeren Schwester und deren Tochter abgespielt haben musste.
»Okay, kein Problem, mein Schatz, ich erkläre dir, um was es geht.«
Zwanzig Minuten später beendete Mia das Gespräch und starrte fassungslos auf das Telefon in ihrer Hand. Hatte sie eben wirklich zugesagt, morgen nach Cornwall zu fliegen und für zehn Monate Tante Lenas Bibliothek zu übernehmen? War sie komplett verrückt geworden? Sie hatte keine Ahnung, wie man eine Bibliothek leitete, und in Cornwall war sie lediglich einmal gewesen als sie – genau, da musste sie ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein. Damals hatte sie die Gegend mit ihren Eltern und ihrem Großvater besucht. Er stammte von dort und hatte seine Töchter samt Enkel nach Pennygrave eingeladen, um ihnen seine Heimat zu zeigen. Und nun würde sie morgen offenbar nach Pennygrave umziehen. In das Cottage von Tante Lena. Für zehn Monate. Weil diese spontan beschlossen hatte, eine Weltreise zu machen. Verrückt.
Das war alles total verrückt.
Sie musste dringend packen.
Mit einem Satz sprang Mia auf und eilte in ihr Schlafzimmer, wo sie den alten Koffer hinter dem Schrank hervorzog. Während sie sich Mühe gab, nur sinnvolle Kleidung einzupacken, durchflutete sie eine Welle prickelnder Abenteuerlust. Was sie vorhatte, mochte vollkommen verrückt sein, aber es war immer noch tausend Mal besser, als herumzusitzen und Trübsal zu blasen. Pennygrave war die perfekte Chance auf etwas Abstand, auf Neuorientierung und auf unerwartete Möglichkeiten. Sollte dieses kornische Dörfchen doch mal zeigen, was es zu bieten hatte.
Mit einem Mal überkam sie eine unbändige Gier nach neuen Erfahrungen. Neugier: Mias wohl ausgeprägtester Charakterzug und jener, bei dem sie sich bis heute nicht sicher war, ob es sich um einen Segen oder einen Fluch handelte. Denn wäre sie nicht so furchtbar neugierig gewesen, würde sie jetzt noch immer an dieser schicken Privatschule Deutsch und Englisch unterrichten und wäre nicht auf so peinliche Art und Weise entlassen worden.
Ach, sei es drum. Energisch klappte sie den Deckel des Koffers herunter und kniete sich darauf, um den Reißverschluss zuzuziehen. Sie würde erst einmal nur das Nötigste mitnehmen. Kleidung, Hygieneartikel und Zahnbürsten gab es in England auch zu kaufen, und um alles andere brauchte sie sich vorerst keine Gedanken zu machen, wie Tante Lena ihr versichert hatte.
Grinsend öffnete Mia den Laptop und checkte ihre Mails. Da war es auch schon: das Online-Ticket, das Tante Lena ihr zuzusenden versprochen hatte.
Mia druckte es aus und packte es gemeinsam mit ihrem Reisepass in die Handtasche. Morgen früh würde das Abenteuer beginnen: Pennygrave.
Unsicher blickte Eleonora Meil um sich, als sie aus dem kleinen Cottage trat. Genau hier war sie aufgewachsen, zwischen den ungleichförmigen Steinwänden, die im Sommer für angenehme Kühle sorgten und im Winter die Wärme des knackenden Kaminfeuers speicherten. Hier, in dem wilden Garten, in dem man sich so herrlich verstecken konnte und in dem es von Feen und Elfen nur so wimmelte. Wie viele Geschichten hatte sie sich dort auf dem kleinen Stein sitzend ausgedacht? Das alles hatte sie längst hinter sich gelassen. Ihre Erinnerungen hatten in Pennygrave ein würdiges Grab gefunden. Dass diese Bibliothekarin es geschafft hatte, sie zu einer Lesung zu überreden, war lediglich der Nostalgie geschuldet. Für einen einzigen Abend würde sie die Vergangenheit noch einmal aufleben lassen … wollte Pennygrave erleben, mit all ihren Sinnen, um dann endlich damit abschließen zu können, und zwar endgültig. Der Entschluss, ihr Elternhaus zu verkaufen, hatte sie große Überwindung gekostet, doch er war unumstößlich. In den vergangenen Jahren hatte das hübsche Cottage leer gestanden, und was nicht benutzt wurde, war dem Verfall preisgegeben, darin unterschieden sich Häuser nicht von Menschen. Ungenutztes verrottete, vergammelte und wurde unbrauchbar, ein Haus ebenso wie ein menschlicher Körper oder der Verstand. Sie hatte Glück, dass die Schäden im Haus noch kein größeres Ausmaß angenommen hatten, Glück und ihre treue Nachbarin Mrs Stanfield. Die gute Irma. Jahrelang hatte diese regelmäßig nach dem Rechten gesehen, den Garten gepflegt und sogar ab und zu im Haus sauber gemacht, in der unumstößlichen Hoffnung, dass Eleonora eines Tages zurückkehren würde. Seit sie denken konnte, war Irma da gewesen. Sie hatte sie bereits als Kind mit Süßigkeiten versorgt, wann immer sie aufeinandergetroffen waren. Dann und wann hatte sie ihr heimlich ein bisschen Geld für neue Bücher zugesteckt. Einfach so. Eleonora wusste, wie sehr sie von der alten Frau vergöttert wurde. Für die Achtzigjährige war sie noch immer die kleine Elli mit den großen Träumen. Dass sie diese längst verwirklicht hatte, schien Irma regelmäßig zu vergessen, aber das machte nichts. Es war sehr angenehm, wenigstens von einem Menschen so behandelt zu werden wie früher.
Mit einem Lächeln auf den Lippen schloss Eleonora Meil die Tür hinter sich ab und trat auf die Straße. Sofort spürte sie die Blicke. Es sah sie zwar niemand direkt an, doch Eleonora Meil wusste, dass sie starrten. Alle starrten sie an.
Während sie die Straße entlang zum Dorfplatz ging, auf dem sich wie jeden Mittwoch die Obst- und Gemüsestände reihten, zog sie den Kopf immer weiter ein. Niemand sprach sie an. Niemand begrüßte sie oder drückte seine Freude darüber aus, dass sie wieder hier war. Es war schrecklich. Entweder tuschelten die Menschen hinter vorgehaltener Hand, sahen ihr bewundernd hinterher oder warfen ihr missgünstige Blicke zu. Dabei waren es dieselben Menschen, mit denen sie aufgewachsen war. Dort hinten zum Beispiel stand Melanie McTrout. Mit ihr war sie zur Schule gegangen und man konnte an ihrem Gesicht ablesen, dass sie sie auch erkannt hatte. Warum kam sie nicht einfach her und redete mir ihr? Auf der linken Seite am Brunnen lehnte Noah McCann. Okay, dass der nicht mit ihr reden wollte, konnte sie verstehen. Auch Merla Warrington war vermutlich nicht besonders gut auf sie zu sprechen. Dennoch war sich Eleonora sicher, die Funken, die aus Merlas Blick sprühten, nicht verdient zu haben. Rasch ging sie weiter. Wenn sie es bis an den Gemüsestand schaffte, konnte sie sich vielleicht auf ihren Einkauf konzentrieren, und Mary Skyler würde wohl oder übel mit ihr reden müssen, wenn sie bei ihr einkaufte.
Eleonora lief auf Marys Stand zu, machte dann aber abrupt kehrt, als sie dort Melody Clearmont im Gespräch mit Nora Wells entdeckte, die offenbar gerade versuchte, Melodys Gesprächssalven zu entgehen. Melody Clearmont war die neugierigste Person auf dem Planeten Erde, wenn nicht sogar darüber hinaus. Nichts schien dieser Frau zu entgehen. Trotz ihrer zweiundsiebzig Jahre verfügte sie über einen messerscharfen Verstand und zögerte nicht, diesen einzusetzen. Nicht nur, dass sie leidenschaftlich gern andere Menschen beobachtete, nein, sie liebte auch nichts mehr als die kleinen Fehltritte ihrer Mitmenschen aufzudecken und zu diskutieren. Obwohl eigentlich nicht sie, sondern Reverend Morten die moralische Instanz in Pennygrave verkörperte, konnte es Melody Clearmont nicht lassen, moralische Verfehlungen der anderen an den öffentlichen Pranger zu stellen. Melodys Melodien wurden sie scherzhaft genannt, die endlosen Monologe, mit denen Melody die anderen regelmäßig über Verfehlungen in der Dorfgemeinschaft aufklärte, freiwillig oder unfreiwillig.
Schnell bog Eleonora nach links ab und versteckte ihr Gesicht hinter einem üppigen Strauß Margeriten.
»Keine Angst, hier will bestimmt niemand ein Autogramm«, keifte Clara Clottingham, die missgünstigste Person in der gesamten Umgebung. Eleonora zwang sich zu einem Lächeln, aber zu einer Antwort konnte sie sich dann doch nicht durchringen. Stattdessen machte sie auf dem Absatz kehrt und hastete zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Sie würde die gute Irma bitten, ein paar Dinge für sie einzukaufen.
Noch während sie sich vom Dorfplatz wegbewegte, spürte sie die Blicke der Einwohner von Pennygrave in ihrem Rücken.
Vielleicht war es doch eine dumme Idee gewesen, herzukommen.
Mit klopfendem Herzen starrte Mia durch die Scheibe des Taxis und kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Die Reise nach Pennygrave hatte gerade mal sechs Stunden gedauert und doch hatte sie das Gefühl, in einer vollkommen anderen Welt gelandet zu sein. Die Farbenpracht aus ihrer Erinnerung war nur ein matter Abglanz dessen, was sie in dem beschaulichen englischen Örtchen tatsächlich vorfand. Ein Meer aus Blumen und Farben, das sich sowohl auf die Vorgärten als auch auf die Parks und Straßenränder ergoss, als sei man in einem Bild von Monet oder direkt auf dem Ausstellungsgelände eines Blumenladens gelandet. Auch der kleine Vorgarten, vor dem das Taxi nun hielt, protzte mit einer regelrechten Farbexplosion. Erst beim zweiten Hinsehen nahm Mia das winzige Steincottage wahr, das inmitten des Blumenmeeres wirkte wie ein Fels in einer Blütenbrandung. Fasziniert von der Schönheit dieses Anblicks, verharrte Mia überwältigt auf dem Rücksitz und begriff erst auf das Räuspern des Taxifahrers hin, dass sie aussteigen sollte. Dem Fahrer gab sie ein üppiges Trinkgeld, woraufhin dieser es sich nicht nehmen ließ, ihren Koffer bis vor die Eingangstür zu tragen. Erst als er sich mit einem freundlichen Lächeln verabschiedet hatte, wagte sie es, den Haustürschlüssel unter dem Gartenzwerg mit der kleinen Laterne hervorzuholen, den Tante Lena ihr beschrieben hatte.
Während sich die Tür mit einem leisen Klicken öffnete, fühlte sich Mia plötzlich beobachtet. Seit jeher hasste sie das Gefühl, dass ihr jemand von hinten in den Nacken starrte, deshalb hatte sie auch immer vollstes Verständnis für Schüler gehabt, die sich gern in die letzte Reihe setzten.
Mit einem Ruck drehte sie sich um und suchte mit raschen Blicken die Umgebung ab. Tatsächlich traf sie dabei den Blick gleich mehrerer Personen. Direkt hinter ihr auf der anderen Straßenseite stand eine etwa achtzigjährige Dame. Ihr Rücken war vom Alter gekrümmt, der Hals dafür umso weiter nach vorne gereckt, was ein bisschen an eine Schildkröte erinnerte. Aus dem faltigen Gesicht blitzten neugierige Augen hervor, die jede Bewegung von Mia verfolgten und bewiesen, dass in dem gebrechlich wirkenden Körper noch ein wacher Verstand wohnte.
Mia lächelte breit und winkte der Dame vorsichtig zu, doch diese fixierte sie weiterhin starr und unbeeindruckt. Verunsichert ließ Mia ihren Blick nach rechts schweifen und traf dabei den eines Mannes in den Vierzigern. Er trug eine braune Cordhose und eine typisch englische Tweedjacke. Unter seiner ebenfalls braunen Basecap lugte dichtes, braunes Haar hervor. Er senkte sofort den Blick und ging zügigen Schrittes weiter die Straße entlang. Die alte Dame hingegen verharrte noch immer an Ort und Stelle. Mia streifte sie kurz mit ihrem Blick und sah dann nach links. Hier öffnete sich der weitläufige Marktplatz, auf dem einige Stände mit Blumen, Gemüse und Handwerkskunst aufgebaut waren. Auch von dort aus verfolgten mehrere Augenpaare jede ihrer Bewegungen. Mias freundliches Lächeln transformierte sich in ein gezwungenes. Schnell drehte sie sich um, schlüpfte in das kleine Cottage hinein und schloss die Tür hinter sich.
Aufatmend lehnte sie sich mit dem Rücken gegen das Türblatt, das nun eine hölzerne Barriere gegen die neugierigen Blicke bildete, und schloss für einen Moment die Augen. Als Lehrerin war sie fremde Blicke ja gewohnt, aber das hier war etwas anderes. Die Menschen sahen sie nicht nur an, sie schienen sie förmlich zu durchdringen. Andererseits, wer mochte es ihnen verdenken? In einem kleinen Ort wie Pennygrave war vermutlich nicht besonders viel los, ihre Ankunft hier war daher bestimmt eine Art Hauptattraktion.
Mit einem beherzten Ruck stieß sie sich vom Türblatt ab und trat weiter in das Gebäude hinein, um ihr vorübergehendes Zuhause genauer in Augenschein zu nehmen. Sie zog die Schuhe aus, schritt durch eine grüne Holztür und fand sich in einem Wohnzimmer wieder, das ihr spontan die Sprache verschlug. Ein üppiges Sofa mit rosarotem Blümchendekor und zwei dazu passende Sessel dominierten den Raum. Auf der linken Seite stand ein offenes Regal, das fast bis zur Decke reichte. In diesem waren sowohl ein komplettes Arsenal an Porzellangeschirr als auch Figürchen aus verschiedensten Materialien sowie Kunstobjekte ausgestellt. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand sich ein optisch identisches Regal, aber dieses war vollgestopft mit Büchern. Eine weitere Wand war nicht vorhanden, denn statt einer solchen ließen bodentiefe Sprossenfenster eine enorme Helligkeit in den Raum und gaben den Blick auf einen Garten frei, der von der Straßenseite aus nicht einmal zu erahnen gewesen war.
Fast ehrfürchtig öffnete Mia die beiden Fensterflügel und sah sich einer Farbenpracht gegenüber, die jene des Vorgartens noch bei Weitem übertraf. Sie schluckte trocken. Bisher hatte sie mit Pflanzen nicht besonders viel zu tun gehabt, abgesehen von dem kleinen Kaktus, den ihr ihre Mutter einmal zum Geburtstag geschenkt hatte und der seither in ihrer Küche traurig vor sich hin kümmerte. Bei diesem Anblick englischer Gartenkunst wurde ihr hingegen regelrecht flau im Magen. Zu allem Überfluss plätscherte in der Mitte der wildromantischen Blütenpracht ein kleiner Springbrunnen. Direkt daneben befand sich eine gusseiserne weiße Bank und zwei dazugehörige Stühle, ein Beistelltischchen komplettierte das romantische Ensemble. Zweifellos der perfekte Platz, um ein gutes Buch zu lesen. Ein Lächeln stahl sich auf Mias Gesicht. Vielleicht war dieser fluchtartige Trip in ein anderes Land doch keine Notlösung, sondern eine echte Chance, hier in Cornwall eine Auszeit zu nehmen, in diesem gemütlichen Cottage zu leben, zu lesen und einen kompletten Neuanfang zu wagen. Den Gedanken daran, dass die Bibliothek nicht nur zu ihrem Vergnügen da war, sondern von ihr geleitet werden sollte, versuchte sie erfolglos zu verdrängen.
Aufgeregt ging sie wieder ins Innere des Cottage.
Gerade hatte Mia den Fuß auf die erste Stufe der Treppe gesetzt, die ins Obergeschoss führte, als ein warmer, voller Gong ertönte. War das die Türglocke? Der Gong erklang erneut.
Mia ging zurück zur Eingangstür, öffnete sie und wurde sofort grob zurückgeschoben. Überrascht nahm sie eine Frau wahr, die sich hereindrängte, schnell die Tür hinter sich schloss und sich ebenso mit dem Rücken an das Türblatt lehnte, wie sie es wenige Minuten zuvor selbst getan hatte.
»Entschuldigen Sie bitte mein stürmisches Eindringen.« Die Frau lächelte verlegen und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich halte das einfach nicht mehr aus. Als wäre es nicht genug, dass mich alle anstarren, jetzt werde ich auch noch verfolgt.«
Mechanisch schüttelte Mia die Hand ihres Überraschungsgastes.
»Da bin ich also. Ich hoffe, ich bin noch pünktlich?« Die Fremde warf einen hastigen Blick auf ihre Uhr und lächelte dann erleichtert. »Ja, bin ich. Schön. Wo soll ich mich ausbreiten?«
Erst jetzt nahm Mia die große Tasche wahr, die die Frau fragend in die Höhe hielt.
»Ich … ich weiß nicht«, stammelte Mia unbeholfen. Sie hatte keine Ahnung, wo diese Frau sich ausbreiten sollte, geschweige denn davon, wer sie überhaupt war oder was sie hier wollte. Als sie sie weiterhin abwartend ansah, lächelte Mia verlegen. Dann prustete sie plötzlich los. Die Situation war aber auch zu komisch.
»Es tut mir wirklich leid, aber ich fürchte, ich habe nicht die geringste Ahnung, was Sie von mir wollen«, sagte Mia entschuldigend, während sie sich noch immer kichernd die Hand vor den Mund hielt.
»Na, die Lesung vorbereiten«, erklärte die Fremde leicht irritiert. »Sind Sie nicht Lena Midway? Wir haben doch telefoniert oder nicht?« Mit einem Mal riss sie erschrocken die Augen auf und legte die Hand auf Mias Schulter. »Oh Gott, oder habe ich mich jetzt etwa in der Hausnummer geirrt? Ach du meine Güte, bitte entschuldigen Sie. Und ich stürme hier einfach so herein. Was müssen Sie nur von mir denken?«
»Nein, nein«, wiegelte Mia schnell ab. »Hier wohnt schon Lena Midway. Sie ist meine Tante. Eigentlich.«
»Miss Midway ist eigentlich ihre Tante?«
»Nein, sie wohnt eigentlich hier.« Mia schüttelte lachend den Kopf über ihre ungenaue Ausdrucksweise. Es hätte ihr leichter fallen müssen, sich im Englischen präzise auszudrücken, doch die Situation hatte sie derart überrumpelt, dass sie einen Moment brauchte, um sich wieder zu fassen. »Lena Midway ist meine Tante. Ich bin Mia Midway«, stellte sie sich endlich formvollendet vor.
»Ah. Freut mich sehr, Miss Midway. Ich bin Eleonora Meil, die Autorin.«
»Oh«, erwiderte Mia nur. Die Art, wie Miss Meil ihren Namen genannt hatte, legte nahe, dass Mia sie kennen sollte, doch das war leider nicht der Fall.
»Ich werde morgen eine Lesung in der Bibliothek Ihrer Tante abhalten und wir hatten für heute noch einen Termin zur Vorbesprechung vereinbart. Ist sie denn nicht da?«
»Ähem, nein.« Mia zögerte einen Moment und überlegte, doch angesichts der Tatsachen war es wohl das Beste, mit offenen Karten zu spielen. »Es tut mir sehr leid, Miss Meil, meine Tante ist gestern zu einer Weltreise aufgebrochen. Sie wird erst in zehn Monaten wieder zurück sein. Hat sie Ihnen denn nichts davon gesagt?«
»Mit keiner Silbe. Was geschieht denn dann in der Zwischenzeit mit der Bibliothek?«
»Ich werde vorübergehend die Leitung übernehmen.«
»Na, das ist doch wunderbar, dann bin ich ja doch richtig.« Eleonora Meil strahlte. »Wo sollen wir uns denn am besten besprechen?« Erneut nahm sie die schwere Tasche, die sie zwischenzeitlich abgestellt hatte, in die Hand, bereit dazu, in jede beliebige Richtung zu marschieren, die Mia ihr weisen würde.
»Wir können uns gern im Wohnzimmer unterhalten«, schlug Mia zögerlich vor. »Allerdings fürchte ich, dass ich dafür die Falsche bin. Ich habe noch nie …«
Doch da war die resolute Autorin auch schon an ihr vorbei ins Wohnzimmer gestapft. Mia blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Während Miss Meil kurzerhand verschiedene Blätter auf dem niedrigen Couchtisch verteilte, suchte Mia nach den richtigen Worten, um ihr Dilemma zu erklären.
»Es tut mir wirklich leid, Miss Meil, ich glaube nicht, dass die Lesung morgen stattfinden kann. Vielleicht wäre es besser, wenn Sie damit warten, bis meine Tante wieder da ist. Ich habe wirklich noch gar keine Ahnung auf diesem Gebiet, daher …«
»Ach, Papperlapapp, natürlich wird die Lesung stattfinden. Ich bin doch nicht umsonst hierhergereist. In die Höhle des Löwen sozusagen.« Sie lachte kurz auf und zwinkerte der überraschten Mia zu. »Die Einwohner von Pennygrave warten seit Jahren auf meinen Besuch, da kann ich sie doch jetzt nicht enttäuschen.«
»Aber ich habe wirklich keine Ahnung …«
»Sie müssen ja auch gar keine Ahnung haben. Glauben Sie mir, das ist nicht meine erste Lesung.«
Kurz war Mia versucht, die Autorin darauf hinzuweisen, dass es äußerst unhöflich war, andere zu unterbrechen, doch diese sortierte bereits so konzentriert ihre Unterlagen, dass Mia sich nicht sicher war, wie sie auf eine Zurechtweisung reagieren würde. Gerade nahm sie einige Bücher aus ihrer Tasche und stapelte sie auf dem Tisch. Überrascht nahm Mia die Sticker auf den Covern wahr, die darauf hinwiesen, dass es sich bei dem Roman um einen Bestseller handelte.
»So, das wären erst einmal meine Unterlagen«, konstatierte Miss Meil und hob den Blick. Dann reichte sie Mia einen dünnen Ordner. »Ich habe hier für Sie, also eigentlich für Ihre Tante, die wichtigsten Informationen zusammengestellt. Anbei ist auch ein Entwurf, wie ich mir die Vorstellung meiner Person von Ihnen wünsche. Ich hoffe, Sie werden nicht allzu sehr davon abweichen?«
Mia nickte zur Bestätigung. Da sie noch immer keine Ahnung hatte, wer diese Frau überhaupt war, würde sie wohl nicht einmal geringfügig von den Aufzeichnungen abweichen.
»Sehr gut, das freut mich«, sagte Miss Meil. »Ich mag es nämlich nicht besonders, wenn überraschend irgendwelche Details über mich erzählt werden, von denen die Hälfte dann sowieso nicht stimmt. Die Presse verbreitet ja gern so einiges. Nach der Vorstellung meiner Person, werde ich dann einen Teil aus meinem Roman vorlesen. Es wäre nett, wenn Sie mir dazu ein Glas Wasser bereitstellen könnten und ein Päckchen Kaugummi. Wenn mein Mund so trocken ist, kann ich schlecht lesen. Ich weiß, man kaut nicht, wenn man vorliest, aber ich bin Profi, glauben Sie mir. Ich stecke den Kaugummi lediglich in die Backentasche, das genügt, um meinen Mundraum feucht zu halten. Da werden Sie keinerlei Kaubewegung sehen.«
Mia nickte.
»Ich denke, in einem gewissen Alter dürfen wir alle unsere Marotten haben, nicht wahr?« Wie um ihre Aussage zu bestätigen, zog sie ein Päckchen aus der Tasche, entnahm ihm einen Kaugummi und steckte ihn in den Mund. Genießerisch schloss sie die Augen, während sie zu kauen begann. Dann schob sie den Kaugummi mit der Zunge sichtbar in ihre Backentasche, deutete triumphierend mit ihrem Zeigefinger auf den Mund und grinste. »Sehen Sie? Nichts zu sehen.«
Mia nickte zustimmend. Diese Frau schien ja ganz genau zu wissen, was sie wollte. Wie praktisch, denn sie hatte wirklich noch nie eine Lesung abgehalten oder besucht. Seltsam für eine Lehrerin für zwei Sprachen, müsste man meinen, doch tatsächlich hatte sie Lesungen bisher einfach nichts abgewinnen können. Die Zeit, die sie damit verbringen müsste, beim Vorlesen zuzuhören, nutzte sie doch lieber, um selbst zu lesen. Außerdem war es absolut nervtötend, wenn jemand einen Text, den sie vorliegen hatte, unterhalb ihrer eigenen Lesegeschwindigkeit vortrug. Sogar bei ihren Schülern - okay, Ex-Schülern - hatte sie das regelmäßig alle Beherrschung gekostet. Auch das persönliche Kennenlernen von Autoren fand sie nicht besonders reizvoll. Ganz im Gegenteil. Es war doch viel angenehmer, wenn die Geschichte unabhängig von der Person blieb, die sie geschrieben hatte. Mia hatte viel zu große Angst davor, dass sie einen Roman plötzlich deshalb blöd finden könnte, weil sie dessen Autor unsympathisch fand. Aber das musste sie Miss Meil ja nicht gerade auf die Nase binden.
»Oh, das hier ist nicht von mir«, unterbrach die Schriftstellerin Mias Gedanken und streckte ihr ein Blatt entgegen, das sie vom Wohnzimmertisch genommen hatte.
Mia nahm es an sich und begann zu lesen.
Liebe Mia,
herzlich willkommen in meinem gemütlichen Cottage. Das hier ist nicht nur ein Haus, sondern ein wirkliches Zuhause. Ich bin sehr glücklich hier und hoffe, dass auch du dich wohlfühlen wirst. Den Kühlschrank habe ich noch aufgefüllt, du wirst in deinen ersten Tagen hier Wichtigeres zu tun haben als Lebensmittel einzukaufen. Dass du mir das Haus so hinterlassen sollst, wie du es vorgefunden hast, brauche ich wohl nicht zu erwähnen, ich kenne dich ja. Ups, ich glaube, jetzt habe ich es doch getan. Egal.
Um den Garten solltest du dich bitte ein bisschen kümmern. Es würde mir das Herz brechen, wenn meine geliebten Blütenfreunde verstorben sind, wenn ich zurückkomme. Falls du dich mit Pflanzen nicht auskennst, mach dir keine Sorgen, wir haben hier direkt im Ort eine wunderbare Gärtnerei. Hab keine Scheu, sie zu beauftragen. Für dadurch entstehende Unkosten ebenso wie für eventuelle Reparaturen und Instandhaltungsarbeiten habe ich ein kleines Konto eingerichtet. Von diesem bezahlst du bitte alle Rechnungen, die das Cottage betreffen. Die Kontodaten liegen oben in der Nachttischschublade.
Ach, und dann habe ich tatsächlich noch etwas Wichtiges vergessen: Die Bestsellerautorin Eleonora Meil wird am Mittwochabend eine Lesung in unserer Bibliothek abhalten. Sie ist in Pennygrave geboren und aufgewachsen, lebt aber mittlerweile in der großen weiten Welt. Es hat mich drei Jahre gekostet, sie dazu zu bringen, hier eine Lesung abzuhalten. Bitte zieh das also durch. Lady Sophie wird dir helfen. Miss Meil ist außerdem eine erfahrene Autorin, also mach dir keine Sorgen. Aber sei nett zu ihr. Es wäre nicht schön, wenn der Liebling des Ortes verprellt wird. Ach, du machst das schon. Tut mir leid, dass ich dich jetzt so ins kalte Wasser werfen muss, aber ich weiß, dass ich dir das zutrauen kann. Miss Meil kommt am Dienstag um vierzehn Uhr zu einer kurzen Vorbesprechung. Die Kaffeemaschine ist in der Küche, ein Kuchen ist im Kühlschrank und Kekse sind im Schrank darunter. Bedient euch und macht es euch gemütlich.
Der Schlüssel für die Bibliothek ist ebenfalls im Nachttisch. Die Papiere der Bibliothek sind vor Ort in den Ordnern unter dem Verleihtresen, da musst du dich vermutlich ein bisschen einlesen. Es wäre mir sehr recht, wenn die Unterlagen die Bibliothek trotzdem nicht verlassen würden. Im Gegensatz zu meinem Cottage hat die Bibliothek eine Alarmanlage. Den Code dafür findest du übrigens auch im Nachttisch. So, ich hoffe, jetzt habe ich nicht noch etwas Wichtiges vergessen. Vielen Dank noch mal, dass du so spontan für mich einspringst. Das mit deiner Entlassung tut mir leid, aber ich freue mich wirklich sehr über den dadurch entstandenen positiven Nebeneffekt.
Ich wünsche dir eine wundervolle Zeit in Pennygrave. Pass gut auf mein Häuschen und die Bibliothek auf, am allermeisten aber auf dich selbst.
Es umarmt dich,
deine Tante Lena.
Aha. Nun wusste sie wenigstens Bescheid. Typisch Tante Lena. Sie war schon immer ein bisschen chaotisch gewesen. Lag wohl in der Familie.
Mia sah auf und traf direkt den Blick von Miss Meil, die besorgt die Stirn runzelte. »Schlechte Nachrichten?«
»Ähem nein, nur ein Brief von meiner Tante.« Im selben Augenblick wurde Mia bewusst, dass Miss Meil vermutlich kein Wort von dem Geschriebenen verstanden hatte, obwohl sie die Buchstaben betrachtet hatte, denn der Brief war auf Deutsch verfasst. Für Mia, die zweisprachig aufgewachsen war, machte es keinen Unterschied.
»Gut, können wir dann die Lesung noch kurz besprechen?«
»Oh, ja, natürlich, entschuldigen Sie bitte.«
»Kein Problem.«
In der folgenden halben Stunde gingen die beiden Frauen den Ablauf der Lesung durch. Schnell bestätigte sich, dass Miss Meil äußerst konkrete Vorstellungen davon hatte. Im Prinzip erklärte sie lediglich, was Mia zu tun hatte und diese machte sich entsprechende Notizen. Nach knapp dreißig Minuten hatte Mia ein klares Bild davon, wie der morgige Abend ablaufen würde und die Autorin packte zufrieden ihre Unterlagen ein. Mia bot an, eine Flasche Wein zu öffnen, was Miss Meil dankend annahm.
»Ach, das ist nun endlich ein gelungener Moment an diesem seltsamen Tag«, sagte die Besucherin und seufzte zufrieden, als sie sich mit dem Weinglas in der Hand rückwärts in die weichen Kissen sinken ließ.
»Das können Sie laut sagen«, erwiderte Mia lachend.
Am Morgen hatte sie ihre Wohnung in Deutschland verlassen und nun saß sie in diesem gemütlichen Cottage in Cornwall und trank Rotwein mit einer Bestsellerautorin. Das Leben konnte wirklich verrückt sein.
»Ach, Sie werden Pennygrave lieben.« Miss Meil seufzte erneut und sah verträumt in ihr Weinglas, als verberge sich die Vergangenheit irgendwo unter der roten Flüssigkeit. »Ich war hier wirklich glücklich.«
»Warum leben Sie denn dann nicht mehr hier? Wenn diese Frage nicht zu persönlich ist.«
Miss Meil lächelte verklärt. »Nein, nein, das kann ich Ihnen gern beantworten. Am Anfang meiner Karriere habe ich noch in Pennygrave gelebt und geschrieben. Ich hatte nie vor, von hier wegzugehen, aber – ich weiß nicht, ob es den Spruch mit dem Propheten in Deutschland auch gibt … «
»Ein Prophet gilt nichts im eigenen Land?«
»Ja, ganz genau. Dann verstehen Sie sicherlich, was ich meine. Es war wirklich seltsam. Von Kindesbeinen an war ich immer sehr beliebt hier. Ich habe mich wohlgefühlt. Ich hatte unzählige Freunde, war Klassenbeste und Schülersprecherin. Mein Leben war einfach toll. Dann habe ich angefangen zu schreiben. Die ersten nationalen Erfolge stellten sich ein, dann die internationalen. Bereits mit meinem zweiten Roman war ich sehr erfolgreich, auch im Ausland.«
»Das ist doch wunderbar.«
»Ja, sollte man meinen, nicht wahr? Aber im gleichen Maße, wie mein Erfolg wuchs, wuchs auch der Neid. Viele Menschen hier betrachteten mich plötzlich mit anderen Augen. Ich war immer eine von ihnen gewesen. Doch auf einmal schien ich nicht mehr dazuzugehören.«
»Aber wieso denn, wenn Sie nach wie vor hier in Pennygrave gewohnt haben?«
Miss Meil zuckte mit den Schultern. Der fröhliche Ausdruck auf ihrem Gesicht war einem wehmütigen gewichen. »Tja, das ist wohl die Sache mit dem Propheten. Man kann es nicht logisch erklären. Es ist einfach so.«
»Schade.«
»Ja, sehr.«
Eine nachdenkliche Pause entstand. Dann machte die Schriftstellerin eine wegwerfende Handbewegung, als könne sie ihre Gedanken verscheuchen wie eine lästige Fliege. »Zum Glück gibt es aber auch noch Menschen, die mich nach wie vor zu mögen scheinen. Das hoffe ich zumindest. Ich glaube nicht, dass ihre Tante die Lesung sonst organisiert hätte. Sie wird ja wohl vorher das Interesse abgefragt haben, oder?«
»Tut mir leid, das weiß ich nicht. Ich bin wie gesagt erst heute Morgen hier angekommen und stehe deshalb in der ganzen Sache noch vollkommen planlos da.«
Miss Meil lachte belustigt auf. »Ach, das macht nichts. Dafür sind Sie mir sehr sympathisch. Falls niemand kommt, werden wenigstens Sie da sein und mir zuhören, nicht wahr?«
»Auf jeden Fall«.
»Na sehen Sie, dann ist das Auditorium doch schon mal nicht leer. Notfalls lese ich eben exklusiv für Sie.«
»Ich denke nicht, dass es so weit kommen wird.« Mia meinte es ehrlich, denn Miss Meil war zweifellos eine sympathische, einnehmende Person. Sie konnte sich kaum vorstellen, dass jemand sie nicht mögen könnte. »Bestimmt lauern die Menschen von Pennygrave bereits darauf, Sie endlich wiederzusehen«, sagte sie aufmunternd.
Die Autorin verdrehte die Augen. »Ja, lauern ist genau das richtige Wort.«
»Wie meinen Sie das?«
Miss Meil beugte sich zu Mia, als wolle sie ihr ein Geheimnis verraten. »Ich glaube, ich werde beobachtet.«
Mia lachte auf. »Oh, das Gefühl kenne ich. Als ich hier aus dem Taxi gestiegen bin, hatte ich sofort das Gefühl, dass mich alle anstarren.«
»Ja, ganz genau. Sie starren mich an.«
»Na ja, also ehrlich gesagt kann ich das bei Ihrem Bekanntheitsgrad aber auch nachvollziehen. Werden nicht alle Stars ständig beobachtet? Vielleicht sind ja sogar ein paar Paparazzi nach Pennygrave gekommen.«
»Oh, Sie schmeicheln mir, meine Liebe.« In gespielter Verlegenheit legte Miss Meil eine Hand auf ihre Brust und lächelte anzüglich, wurde aber gleich darauf wieder ernst. »Nein, Paparazzi interessieren sich nicht besonders für Schriftstellerinnen in den besten Jahren, glauben Sie mir. Eher für jugendliche Schauspielerinnen. Die Blicke von Lesern, die mich erkennen, bin ich durchaus gewohnt. Das hier ist etwas anderes. Es sind missgünstige Blicke. Böse Blicke. Ich glaube sogar, dass ich verfolgt werde.«
»Wieso?«
»Tja, wenn ich das nur wüsste. Es ist einfach so ein Gefühl.« Es entstand eine kleine Pause, in der sich Mia zum ersten Mal während des Gesprächs unbehaglich fühlte.
Plötzlich lachte Miss Meil laut auf. »Ach was soll’s, vielleicht ist es auch nur die Paranoia einer Frau, die sich zu viele Geschichten ausgedacht hat. Der gute Wein wird mich vergessen lassen.« Demonstrativ erhob sie ihr Glas, schwenkte die Flüssigkeit darin mehrfach im Kreis und trank sie dann in einem Zug aus. »So, und nun sollte ich mich auf den Weg machen. Sie sind ja noch jung, aber glauben Sie mir, ich brauche meinen Schönheitsschlaf, sonst sehe ich morgen früh zerknitterter aus als mein Bettlaken.« Sie lachte erneut, laut und sympathisch. Dann packte sie ihre Sachen zusammen und ging zur Tür. Die beiden Frauen verabschiedeten sich fast wie Freundinnen.
Wenige Stunden später hatte Mia ihre Sachen aus dem Koffer in den Schrank geräumt, sich umgezogen, frisch gemacht und lag nun mit angewinkelten Beinen in dem gemütlichen Bett im ersten Stock. Auf den Knien hielt sie den Ordner mit den Informationen über die Autorin, den sie von Miss Meil erhalten hatte. Genau die richtige Bettlektüre, denn die Begegnung mit der lebensfrohen Schriftstellerin hatte unweigerlich ihre Neugier geweckt.
Sie nippte an ihrem Pfefferminztee, den sie sich auf dem Schränkchen bereitgestellt hatte, und seufzte wohlig. Hier wirkte nicht einmal die pfirsichfarbene Blümchentapete kitschig, sondern behaglich und fröhlich. Kein Wunder, dass Tante Lena nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt war.
Mia ließ ihren Rücken in die weichen Kissen sinken und schlug den Ordner auf ihren Knien auf. Miss Meil hatte ganze Arbeit geleistet. Auf der ersten Seite befand sich ein tabellarischer Lebenslauf, auf der zweiten ein Fließtext, der die Informationen in ausformulierter Weise wiederholte. Offensichtlich hatte die Autorin nicht nur eine klare Vorstellung von der Lesung, sondern auch von den Informationen, die sie anderen von sich preisgeben wollte.
Miss Eleonora Meil war siebenundvierzig Jahre alt und, wie sie bereits selbst erklärt hatte, in Pennygrave geboren und aufgewachsen. Bereits in der Primary School hatte sie Lehrer und Freunde mit kleinen Geschichten erfreut und regelmäßig den Vorlesewettbewerb gewonnen. Die schulischen Erfolge führten sich in allen Bereichen auch auf den weiterführenden Schulen fort. Der Schulabschluss der Schriftstellerin war, wie erwartet, A-Level mit Bestnoten. Eine echte Überfliegerin offenbar. Anschließend Medizinstudium in Oxford, mit Stipendium. Danach arbeitete sie als Ärztin in England, Frankreich und den USA, kehrte aber immer wieder nach Pennygrave zurück, wo sie das Cottage ihrer bei einem Unfall verunglückten Eltern geerbt hatte. Im Alter von achtunddreißig Jahren schrieb sie ihren ersten Roman. Zwar keinen Bestseller, aber nun, wo Mia den Titel las, kam er ihr doch entfernt bekannt vor. Mit dreiundvierzig gelang ihr dann der Durchbruch. Ein Bestseller, der inzwischen sogar verfilmt worden war. Es folgten vierzehn weitere Romane, die allesamt auf der Bestsellerliste vertreten waren. Miss Meil war inzwischen hauptberuflich Autorin, arbeitete aber weiterhin unentgeltlich für Ärzte ohne Grenzen und war in verschiedenen Wohltätigkeitsvereinen aktiv, welche separat aufgelistet waren.
Wow. Beeindruckt sah Mia von den Notizen auf und blickte aus dem kleinen Fenster, das dem Bett direkt gegenüberlag. Die Dämmerung brach gerade herein und zeichnete ein herrlich buntes Farbenspiel an den Himmel. Angesichts der Leistungen von Miss Meil fühlte sich Mia auf einmal erschreckend klein und unbedeutend. Was hatte sie bisher schon zustande gebracht? Sie war vierunddreißig Jahre alt, lebte auf Kosten ihrer Tante in deren Cottage, um Babysitter für eine Bibliothek zu spielen. Ja, sie hatte auch studiert, aber doch eher mit durchschnittlichen Ergebnissen. Darüber hinaus hatte sie bisher nichts erreicht, womit es sich zu prahlen gelohnt hätte. Nicht einmal einen Mann oder Kinder konnte sie vorweisen. Wenn sie jetzt verunglücken würde, wie Miss Meils Eltern, würde sie nichts hinterlassen außer ein paar armseligen Habseligkeiten, die man bestenfalls noch auf dem Flohmarkt verschleudern konnte. Sie hatte nichts von wirklichem Wert erschaffen. Nichts Bleibendes.
Bevor sie sich noch weiter in ihren trüben Gedanken verlieren konnte, kämpfte sie Neid und Traurigkeit nieder und zwang ihren Blick wieder auf die Inhalte des Ordners. Dem Lebenslauf beigefügt waren verschiedene Zeitungsartikel. Allesamt schwärmten sie in den höchsten Tönen von Miss Meils Handlungen und Erfolgen. Eine strahlende Ikone, diese Frau. Dennoch war sie bei ihrem Besuch keineswegs abgehoben oder arrogant gewesen. Kurz schossen Mia Miss Meils Worte durch den Kopf, dass diese sich beobachtet fühle. Vielleicht wollten diese Beobachter einfach nur ein bisschen an ihrem strahlenden Leben teilhaben. Ein Stück von ihrem Glanz miterleben, wenn auch nur passiv.
Mia lächelte. Sie freute sich schon auf die morgige Lesung. Vielleicht war das ja eine wunderbare Möglichkeit, von einer Frau zu lernen, die es im Leben zu etwas gebracht hatte, sowohl tatkräftig als auch menschlich.
Zufrieden mit ihrem ersten Tag in Pennygrave schloss sie die Augen und ließ sich von der entspannten Atmosphäre des Schlafzimmers in einen tiefen Schlaf tragen.
Sir William räusperte sich vorsichtig, als er den großen Salon betrat. Er wusste, wie sehr sich seine Mutter in ihren Gedanken verlieren konnte. Die Welt jenseits ihrer Erinnerungen schien dann für sie nicht mehr zu existieren. Nicht nur einmal hatte er sie durch eine unbedachte Berührung fast zu Tode erschreckt, weil sie nicht mitbekommen hatte, dass er überhaupt anwesend war.
Erneut räusperte er sich, dieses Mal etwas lauter.
Jetzt drehte sich Lady Sophie endlich um. Auf ihrer Stirn zeigten sich leichte Falten, die immer noch ein bisschen tiefer waren, wenn sie nachgedacht hatte.
»Was machst du denn noch hier unten, Mutter?«, fragte Sir William, während er zu ihr trat und ihr liebevoll die Hand auf die Schulter legte.
»Ach, ich kann nicht schlafen.«
»Bist du aufgeregt wegen deiner neuen Chefin?«
Lady Sophie nickte. »Was, wenn sie mich nicht mag?«