Migräne - Thriller - Litt Leweir - E-Book

Migräne - Thriller E-Book

Litt Leweir

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sommer in Berlin. Drückende Hitze. Toni wohnt in einem Mietshaus am Prenzlauer Berg, schreibt und verkauft Bücher über das Internet. Joshua ist Psychotherapeut und hat in diesem Haus seine Praxis. Beide leiden an Migräne. Laute Musik im Hinterhof, aufdringlicher Geruch nach Räucherstäbchen aus einer der Wohnungen belästigen sie. Sie kennen sich kaum, begegnen sich nur manchmal im Treppenhaus. Doch dann werden beide von einer Nachbarin in ein unheilvolles Spiel verwickelt. Es geschieht ein Mord im Haus. Hauptkommissarin Monika Haberstroh ermittelt und befragt die Mieter. Bald aber kann sie Privates nicht mehr von der Arbeit trennen. Sie verliebt sich … Zu was ist Joshua fähig? Zu was Toni? Düster, beunruhigend und hochspannend.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 703

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Litt Leweir

MIGRÄNE

Thriller

konkursbuch Verlag Claudia Gehrke

Sommer in Berlin. Drückende Hitze. Toni wohnt in einem Mietshaus am Prenzlauer Berg, schreibt und verkauft Bücher über das Internet. Joshua ist Psychotherapeut und hat in diesem Haus seine Praxis. Beide leiden an Migräne. Laute Musik im Hinterhof, aufdringlicher Geruch nach Räucherstäbchen aus einer der Wohnungen belästigen sie. Sie kennen sich kaum, begegnen sich nur manchmal im Treppenhaus. Doch dann werden beide von einer Nachbarin in ein unheilvolles Spiel verwickelt. Es geschieht ein Mord im Haus. Hauptkommissarin Monika Haberstroh ermittelt und befragt die Mieter. Bald  aber kann sie Privates nicht mehr von der Arbeit trennen. Sie verliebt sich in Toni  …  Zu was ist Joshua fähig? Zu was Toni?  Düster, beunruhigend und hochspannend.

B. Wahrstein, Buchhändlerin in Köln:

„Einer der besten Thriller, die ich seit Langem gelesen habe! Klasse! Beunruhigend und düster (obwohl es die ganze Zeit in Berlin, wo er spielt, drückend heiß ist). Von vielen Büchern wird ja behauptet, sie hätten eine "Sogwirkung" - hier ist es wirklich so. "Migräne" hat eine Sogwirkung, reißt einen mit, hinein in das Berliner Mietshaus im Hochsommer, in die Gedankenwelt der Protagonisten und auch in das Verbrechen. Ausgesprochen gelungene Charakterzeichnungen. Man kann sich alle Charaktere bestens vor dem inneren Auge vorstellen, sie leben quasi wirklich - was am Können und der Klasse der Autorin liegt. Wir finden sie nicht unbedingt sympathisch (zumindest nicht alle), aber sie sind absolut glaubhaft geschildert, so dass wir uns in jeden Einzelnen hineinversetzen können.

Wir fragen uns mit Bangen, was für schreckliche Dinge dort in diesem Haus geschehen sind, was Wahrheit und was ein furchtbarer Traum ist. Oder ist die Wahrheit noch viel schlimmer als ein Albtraum? Die Spannung baut sich unmerklich auf - und am Ende, mehr will ich nicht verraten, ist alles anders, als wir vorher dachten. So wie es bei einem richtig guten Krimi sein sollte. "Migräne" ist ein Thriller, der diesem Namen alle Ehre macht. Gut und klug geschrieben. Eine Entdeckung!“

Inhaltsverzeichnis

Titelseite & Klappentext

Prolog – Unterwegs

Teil 1

AURA

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Teil 2

MIGRÄNE

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Teil 3

AROUSAL

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Joshua

Toni

Epilog

Zur Autorin Litt Leweir

Impressum:

Prolog – Unterwegs

»Sie waren alle Reisende. Reisende in einem Land, in dem keines Menschen Seele längere Zeit überleben konnte.«

Elisabeth McGregor, Das Eiskind

»I like travelling but I don’t like being anywhere inbetween«, erinnert sich Antonia an einen Satz, den sie vor langer Zeit einmal gehört hat. Es war in einem Sprachlabor an der Universität. Antonia musste diesen Satz während ihres Studiums in Lautschrift übertragen. Einer von vielen Sätzen, den sie während ihres Aussprache-Kurses zu transkribieren hatten, aber der einzige, der bei ihr hängen geblieben ist. Jetzt erinnert sie sich daran.

Antonia ist früher nie gerne verreist. Sie hasste das Gefühl, dazwischen zu sein. Als Kind empfand sie immer ein Gefühl abgrundtiefer Verlassenheit, wenn sie verreiste. Sie nannte es Heimweh. Es dauerte die ganze Reise an, meist verflog es später nach der Ankunft. Jetzt hat sie es nur noch selten und wenn sie es spürt, dann hat es wenig mit dem Ort zu tun, an dem sie sich befindet. Es ist eine ganz andere Art von Dazwischensein, eine, die nicht mit dem Packen von Koffern beginnt. Und sie endet nicht, wenn der Zug in den Zielbahnhof rollt. Sie endet auch nicht, wenn sie Treppen hochsteigt, den Schlüssel ins Schloss steckt, die Koffer in den Flur stellt. Sie endet nie. Dafür ist sie längst nicht mehr so abgrundtief. Sie hat sich relativiert.

Antonia ist schließlich nicht die Einzige, die unterwegs ist. Sie sitzt in einem Zug, einem ICE, zusammen mit anderen Menschen. Wir sitzen in bequemen Sesseln und brausen durch die Nacht, denkt Antonia. Kein Fahrtwind bläst uns durchs Haar. Regen peitscht gegen die Scheiben, uns berührt es nicht. Wir lesen Zeitung. Wir klimpern auf Notebook-Tastaturen, wir essen Weintrauben und Vollkornstullen und Schokolade. Wir hören Musik. Hin und wieder kommt jemand vorbei und bietet uns Kaffee an. Es gibt Toiletten und ein Restaurant. So ist das Dazwischensein doch recht angenehm.

Auch für Antonia. Ihr Herz ist schwer, das schon. So ist das eben manchmal. Aber egal, Antonia ist der Umgang mit ihrem schweren Herzen vertraut. Sie dehnt und streckt sich, atmet tief durch und schon wird es ein bisschen leichter. Sie spürt wohlige Müdigkeit in ihren Gliedern, versucht, sich darin zu vertiefen. Sie lehnt den Kopf gegen die kühle Scheibe und verliert sich in der Betrachtung der wirbelnden Wassertropfen. Und in Erinnerungen.

Es gab eine Zeit, da hat sie davon geträumt, so durch die Welt zu brausen. In ihrer Vorstellung empfand sie ein Gefühl von Freiheit, das nie eintrat, wenn sie dann wirklich verreiste. Damals gab es noch Züge, deren Fenster sich öffnen ließen. Sie verreiste selten und wenn, dann stand sie meistens stundenlang am geöffneten Fenster im Gang und suchte dieses Gefühl von Freiheit und irgendwo im Fahrtwind fand sie manchmal ein Stück davon. Aber damals gab es auch schon die ersten Züge, deren Fenster sich nicht öffnen ließen. Züge mit Großraumwagen, in denen sie sich klaustrophobisch fühlte, in denen sie Atemnot bekam. Heute braucht sie den Fahrtwind nicht mehr. Heute fühlt sie sich wohl in bequemen Sitzen, mit einem Becher Kaffee und einer Glasscheibe zwischen sich und dem Regen. Lesen kann sie in Zügen nur sehr kurz, ihr wird schlecht davon, deshalb liest sie meistens nur Zeitung und selten in einem Buch, auch wenn sie immer eines mitnimmt. Aber zum Glück gibt es heutzutage kleine Geräte, um ein Vielfaches leichter als jedes Buch, mit denen sich ganze Hörbücher und Musiksammlungen herumtragen lassen. Nur wenn die Züge voll sind, wünscht sie sich manchmal noch den Fluchtweg in den Fahrtwind. Aber dieser Abendzug nach Hause ist moderat besetzt. Selten klingelt ein Handy, die Kinder ein Stück weiter vorn sind leise, wahrscheinlich schon müde. Und wenn doch jemand Lärm veranstalten würde, bliebe ihr immer noch ein Fluchtweg, ihr MP3-Player oder das Radio- und Hörspielprogramm in der Armlehne.

Die Sitze neben und vor Antonia sind frei, der direkt neben ihr sowieso, dort liegt ihr Rucksack, darauf das obligatorische Buch. Andrea Barrett »The Voyage of the Narwhal – exploration, endeavor and evolution in the frozen north«. Sie versucht es schon lange zu lesen, aber sie steckt darin fest. Ab und zu nimmt sie es zur Hand, streicht über das eisblaue Cover. Zu kalt für November, denkt sie, vielleicht sollte sie es nächsten Sommer noch einmal versuchen.

Der Zug hält. Ein paar Reisende schieben ihre Koffer auf Rollen über den abendlichen Novemberbahnhof. Die Zugeingänge sind kaum verstopft, das Einsteigen geht schnell, Plätze sind bald gefunden. Vor Antonia hieven zwei Männer ihre Reisetaschen in die Gepäckablage, ein jüngerer mit einem schwarzen Lockenkopf, und ein etwas älterer mit fast stoppelkurzem dunklem Haar und Geheimratsecken. Sie schälen sich aus Mantel, Jacke und Schals und setzen sich in die beiden Sitze vor Antonia. Das würde Antonia eigentlich kaum stören. Aber fünf Minuten, nachdem der Zug wieder losgefahren ist, stellt einer der Männer, der jüngere, der im Fenstersitz direkt vor Antonia Platz genommen hat, seine Sitzlehne nach hinten. Antonia sieht sein Gesicht von der Seite, sie schätzt ihn auf Mitte, Ende dreißig. Er ist ein kräftiger, fast bulliger Typ mit einem breiten Gesicht. Der Ältere ist hochgewachsen und schlank und wahrscheinlich in Antonias Alter, Mitte fünfzig. Der jüngere Mann wirkt frisch und zufrieden, der Ältere müde und angespannt. Sie unterhalten sich und dadurch, dass der Jüngere seinen Sitz nach hinten verstellt hat, kann Antonia das Gespräch mithören. Aber das will sie nicht, die beiden Männer sind ihr zu nah. Sie ärgert sich und die Wärme verzieht sich aus ihren Gliedern. Sie wird unruhig, die Muskeln in ihren Armen zucken. Sie spürt ein leichtes Stechen in der Stirn und ein Kribbeln im Hinterkopf. Sie sucht nach einem Fluchtweg, kramt nach ihrem MP3-Player und hängt ihn sich um den Hals. Etwas hält sie davon ab, die Kopfhörer in die Ohren zu stecken und das Gerät einzuschalten. Die ruhige Stimme des jüngeren Mannes klingt angenehm und sie beginnt zuzuhören. Das Stechen in ihrer Stirn lässt nach, sie wird ruhig. Die beiden Männer haben einander etwas zu erzählen und nach und nach zieht ihr Gespräch Antonia in ihren Bann.

Kurz bevor der Zug in den Hauptbahnhof einfährt, hört es auf zu regnen. Die beiden Männer haben den Zug eine Station vorher verlassen. In Gedanken ist Antonia noch bei ihnen. Sie packt ihr Buch ein, streift mit geübten Griffen ihre Jacke über, verstaut ihre linke Hand in der Jackentasche und betritt den Gang.

Teil 1

AURA

»In my work, I want to create doubt … Because that’s what we’re sure of.«

Siri Hustvedt, What I loved

Toni

Die Sonne scheint. Ich will keine Sonne. Sie ist zu grell und aufdringlich noch dazu. Ich lasse überall die Jalousien der Dachfenster herunter, doch sie schleicht sich an den Seiten herein und sticht mir in die Augen. Ich werde wütend, sie soll das lassen, ich muss arbeiten, schreiben. Dabei kann ich im Moment nicht einmal lesen. Und ich kann unmöglich schreiben, wenn ich nicht lesen kann. Die Welt drängt sich mir auf. Eine Welt, die ich nicht will. Nicht nur die Sonne stört mich. Der Gestank von widerlich süßlichem Räucherwerk strömt aus irgendeinem Nachbarfenster in den Hinterhof und dann durch die Terrassentür in meine Nase. Mir wird schlecht. Ich schließe die Tür zum Wohnzimmer, auch wenn es dadurch noch stickiger wird. Die Tür zur Terrasse nach vorne kann ich nicht öffnen. Im Schulhof gegenüber übt mal wieder die Trommelgruppe. Nicht einmal geschlossene Türen und Stopfen in meinen Ohren kommen dagegen an. Es reicht zu wissen, dass sie trommeln.

Ich zwinge meine Gedanken auf einen Punkt, aber es hilft nichts, meine Gedanken hüpfen über die Dinge wie ein Stein übers Wasser und ich sehne mich danach, dass sie endlich im kühlen Nass versinken. Doch sie hüpfen ewig weiter und kommen zu nichts. Aufdringlich blinkt der Cursor auf dem leeren Blatt. Ich könnte ihn schlagen. Ich stelle mir vor, wie Dr. Blalock ihn fängt. Ich sehe Dr. Blalock genüsslich cursorkauend auf dem Schreibtisch sitzen. Die Vorstellung amüsiert mich. Ich stelle mir vor, wie ich Sol davon erzähle, wenn sie heute Abend nach Hause kommt. Wie wir den Gedanken weiterspinnen. Ein Dr. Blalock über einer zerfledderten Textverarbeitung, fenster-, symbol- und buchstabenschmausend.

Aber Dr. Blalock versucht immer nur den Mauszeiger zu fangen, nicht einmal das gelingt ihm. Und Sol kommt heute Abend nicht nach Hause. Sie wird auch morgen nicht nach Hause kommen. Ich schlucke den Kloß hinunter. Ich will jetzt nicht traurig sein. Ich will endlich Ruhe. Ich will eine leise, duftlose, dunkle Welt ohne Kloß. Solange ich die nicht habe, kann ich nicht arbeiten. Ich habe sie nicht, also kann ich genauso gut einkaufen.

Selbst das Schuhe-Anziehen geht heute schwer. Ich habe Bleigewichte an den Gliedern, Blei im Herzen, Blei im Kopf. Ich streife die Jacke über und stoße dabei den Eimer mit den Schirmen um.

»Scheiße!« Ich gebe dem Eimer einen Tritt und reiße die Wohnungstür auf. Die Tür fällt hinter mir ins Schloss, als ich merke, dass ich keinen Schlüssel habe.

Andreas, der Nachbar von gegenüber, hat einen. Ich klingle, keine Reaktion. Wahrscheinlich ist er arbeiten, er führt ein kleines Café, nur ein paar Häuser weiter. Kein Problem also. Ich steige die fünf Etagen hinunter.

Doch Andreas ist nicht im Café, hat heute frei, niemand weiß, wo er ist. Wahrscheinlich hockt er im Schatten an irgendeinem See und lässt es sich gut gehen. Für einen Moment beneide ich ihn. Aber das nützt auch nichts. Ich klettere die hundertzehn Stufen wieder hinauf.

Was nun? Kann immer noch nicht denken, in meinem Kopf summt ein Bienenschwarm.

»Pscht, ruhig, ruhig!«, murmle ich, setze mich auf die Treppe, reibe meine Augen, mein Gesicht, atme tief durch. Hinter der Tür höre ich die Stimme von Dr. Taussig. Es klingt wie: »Kommen Sie herein, kommen Sie herein.«

»Ich kann nicht, kein Schlüssel«, antworte ich. Doch das ist der alten Taussig egal, sie macht einfach weiter Rabatz. »Ach, halt doch die Klappe, Alte, so kann doch kein Mensch denken!«, zische ich. Ich versuche es trotzdem. Ich taste nach meinem Portemonnaie, wenigstens das habe ich eingesteckt. Mit Plastikkarten lassen sich Türen öffnen, das kenne ich aus dem Fernsehen. Ich bin gut ausgestattet. Bankkarte, Krankenkassenkarte, Kundenkarten vom Bioladen, vom Supermarkt, vom Kaufhaus. Ich wähle die vom Kaufhaus, weil ich sie selten benutze und weil es deshalb nicht so schlimm wäre, wenn sie bei der Aktion Schaden nähme. Ich versuche, die Karte in Höhe der Türklinke zwischen Tür und Türrahmen zu schieben, aber eine Leiste verdeckt die Ritze. Eigentlich gut, weil einbruchsicher, zumindest für Einbrecher, die diese Methode des Eindringens ins Wohnungen bevorzugen, nur für mich gerade schlecht. Die Tür zur Nachbarwohnung öffnet sich. Eine Frau kommt heraus, ich sehe sie zum ersten Mal. Bis vor Kurzem stand die Wohnung leer. Jetzt strömt daraus der Duft von frisch gebackenem Kuchen in den Hausflur.

»Ich habe mich ausgesperrt«, sage ich. Sie soll ja nicht denken, ich würde hier einbrechen.

Sie ignoriert mich einfach, zieht die Tür zu und geht die Treppe hinunter. Auch gut. Ich blicke ihr einen Moment nach, dann wende ich mich wieder meinem Problem zu.

Joshua

Joshua steht am geöffneten Fenster und blickt in den kargen Hinterhof. Er bewegt sich nicht und doch perlt der Schweiß auf seiner Stirn. Es ist Juli, die Schulferien haben vorletzte Woche begonnen, deshalb hat er die Praxis für sich. Ulrike ist mit ihrem Sohn in Urlaub gefahren, liegt an der Ostsee am Strand. Das ist wahrscheinlich der einzige Ort, an dem es sich im Moment aushalten lässt. Warum ist er nicht auch dort? Warum sagt er nicht einfach seinen Klienten ab, packt seine Koffer und folgt ihr? Weil Brigitte durchdrehen würde. Ulrike ist schließlich frisch geschieden und frei. Wäre sie noch verheiratet, würde Brigitte ihm unterstellen, dass er etwas mit beiden hat. Neulich hat sie ihn schon gefragt, ob er schwul ist, nur weil er sich mit Thomas treffen wollte. Er hat nichts dazu gesagt. Dafür hat er sie später ordentlich gevögelt. Vielleicht war das ja Antwort genug. Sie hat sich jedenfalls nicht beschwert. Sie hat auch nicht mehr gefragt. Er schlägt sich mit der flachen Hand auf die Stirn, lacht. O Gott, was denkt er da eigentlich! Manchmal kommt in ihm doch noch der Kerl durch, der er früher einmal war und den er eigentlich überwunden zu haben glaubt. Zum Glück kann ihn niemand denken hören.

Vielleicht sollte er endlich mit Brigitte reden, erklären, warum er so froh ist, endlich wieder einen Freund wie Thomas zu haben, dass er sich schon so lange einen Freund wie Thomas gewünscht hat und dass Thomas ihm sehr wichtig ist. Aber wahrscheinlich würde sie das erst recht beunruhigen. Sie wirft ihm vor, dass er sich nicht genug für seine Familie interessiert. Die Familie soll ihm am wichtigsten sein. Und das ist sie ja auch, es gibt nichts Wichtigeres für ihn auf der Welt als Jonas. Das müsste sie doch eigentlich wissen.

Er könnte Jonas mitnehmen, abgestillt ist er ja mittlerweile. Ulrike ist auf Usedom. Wenn er mit Jonas nach Rügen fährt, kann Brigitte doch nichts dagegen haben, oder? Und Brigitte hätte dann ein paar Tage für sich. Sie hat erst vor einem Monat wieder zu arbeiten begonnen und es strengt sie noch sehr an. Es würde ihr bestimmt gut tun, sich mal zu Hause um nichts kümmern zu müssen. Sie könnte mit ihren Freundinnen ins Kino gehen, in Ruhe lesen, tun, was sie schon immer mal tun wollte. Sie jammert doch die ganze Zeit, dass sie nie eine Sekunde für sich hat und dass Joshua sich zu wenig kümmert. Joshua hat nicht das Gefühl, dass er sich zu wenig kümmert. Aber egal, als Argument taugt es, er wird heute Abend mit ihr reden. Heute ist Mittwoch, morgen könnte er noch alle Termine für nächste Woche absagen. Er hat zurzeit keine Klienten, für die das ein Problem wäre. Er hat im Moment ohnehin nicht so viele Klienten, aber das erzählt er Brigitte besser nicht, sonst fängt sie an, sich unnötig Sorgen zu machen. Dass etwas mit ihm nicht stimmt. Dass er nicht genug Geld nach Hause bringt. Dass die Familie in Not gerät. Am liebsten würde er Brigitte gleich anrufen und alles klarmachen. Aber Brigitte mag es nicht, wenn er sie bei der Arbeit anruft. Das kann er verstehen. Er stellt auch das Telefon ab, wenn er Klienten hier hat, das geht gar nicht anders. Neuerdings stellt er es auch manchmal ab, wenn er keine Klienten hat. Aber nicht zu oft, Thomas könnte ja anrufen.

Er setzt sich an seinen Schreibtisch. Die letzte Klientin für heute hat vor einer halben Stunde die Praxis verlassen. Er hat sich ein paar Notizen gemacht, den morgigen Tag geplant. Eigentlich könnte er nach Hause gehen. Aber er hat keine Lust, nach Hause zu gehen. Am liebsten würde er eine Weile durch den Park schlendern, am See ein Eis essen. Danach könnte er sich einen Film ansehen, er war schon lange nicht mehr im Kino. Er könnte Thomas anrufen und ihn fragen, ob er ihn begleitet. Auch hinterher auf ein Bier. Es gibt eigentlich keinen Grund, das alles nicht zu tun. Brigitte wird Jonas nach der Arbeit von ihrer Mutter abholen. Brigitte könnte einen ruhigen Abend mit Jonas verbringen. Und wenn Brigitte sich dann morgen einen netten Abend mit einer Freundin machen will, kann er sich um Jonas kümmern. Machen das Paare nicht normalerweise so? Er würde Jonas seinen Brei geben, ihn wickeln, ihn ins Bett bringen, ihm eine Gute-Nacht-Geschichte vorlesen, auch wenn er sie noch nicht versteht, wie Brigitte ihm immer vorhält. Es ist die Stimme, auf die es ankommt, nicht so sehr die Geschichte, das hat er ihr schon oft erklärt. Nach dem Lesen würde er das Babyfon einschalten und sich vor den Fernseher setzen oder mal wieder ein Buch lesen. Ab und zu würde er in Jonas’ Zimmer gehen, nachsehen, ob alles in Ordnung ist, Jonas beim Schlafen zusehen, still vor sich hinlächeln. Es könnte so schön sein.

Seit wann ist ihm die Lust vergangen, abends nach Hause zu gehen? Er weiß es nicht mehr. So richtig bewusst wurde es ihm erst vor ein paar Tagen. Eigentlich war es Thomas, der ihn darauf gebracht hat. Joshua hat sich mit ihm spontan zu einem Bier getroffen. Als es langsam Zeit wird zu gehen, fragt Thomas: »Du gehst nicht mehr gerne nach Hause?«

Und als Joshua nicht antwortet, fragt er: »Dir geht es nicht gut, was?« Joshua weiß nicht, was er antworten soll, und Thomas fragt nicht weiter. Vielleicht hat er bemerkt, dass es Joshua bisher selbst noch nicht klar war, dass er erst darüber nachdenken muss. Joshua hat darüber nachgedacht. Nein, es geht ihm wirklich nicht gut. Er möchte nicht über jeden seiner Schritte Rechenschaft abgeben müssen. Er braucht etwas Luft zum Atmen, er möchte manchmal einfach sein dürfen, wie er ist. Was soll er Brigitte sagen? Männer, die jammern, wie schwer sie es haben, gehen ihm auf die Nerven. Klar haben Männer sich an der Hausarbeit zu beteiligen, Väter an der Kindererziehung. Klar dürfen Frauen genauso Karriere machen wie Männer. Er hat das nie in Zweifel gezogen. Das ist nicht das Problem, auch wenn Brigitte es immer so darstellt. Was ist dann das Problem? Ist er wirklich dabei, sich in einen schweigsamen, mürrischen Macker zu verwandeln? Oder war er das vielleicht schon immer, ist es geblieben, auch als seine wilden Jahre vorbei waren? Er kann es nicht fassen, nicht greifen. Sein Kopf funktioniert heute nicht richtig. Eigentlich funktioniert er eine ganze Weile schon nicht mehr, aber heute ist es besonders schlimm. Er kann sich nicht konzentrieren. Er konnte sich schon bei der Sitzung vorhin nicht konzentrieren. Dauernd hat er den Faden verloren. Eigentlich sollte er die Sitzung überhaupt nicht berechnen, so wenig war er bei der Sache. Seine Klientin hat ihn genervt, immer dieselbe alte Leier jede Woche. Sie ist schon seit zwei Jahren bei ihm und hat sich keinen Deut weiterentwickelt. So kommt es ihm im Moment jedenfalls vor. Vielleicht sollte er es ihr endlich einmal sagen. Vielleicht sollte er die Therapie abbrechen. Es wäre das erste Mal, dass ein Therapieabbruch von ihm ausgeht. Sonst waren es immer seine Klienten, die nicht mehr wollten. Oder die Krankenkasse, die nicht mehr zahlte. Meistens war es einfach irgendwann Zeit aufzuhören.

Joshua ist gerade dabei, seine Sachen zusammenzupacken, als es an der Tür klingelt. Thomas? »Ich dachte, du bist bestimmt bald fertig und wir können so deinen Feldwebel umgehen«, hört er ihn schon sagen. »Dein Feldwebel«, so nennt Thomas Brigitte gelegentlich. Eigentlich müsste Joshua Brigitte verteidigen, Thomas verbieten, so über sie zu sprechen, über die Frau, die Joshua heiraten wird, die Frau, mit der er ein Kind hat, die Frau, die er liebt, in die er doch eigentlich noch verliebt sein müsste. Natürlich ist es nicht Thomas, auch Thomas kann sich nicht dauernd mit ihm treffen, er hat ja schließlich auch Familie und einen Job. Manchmal hat Joshua Angst, ihn zu sehr zu belästigen.

Es ist eine Frau. Joshua kennt sie nicht. Eine neue Klientin? Er möchte keine neuen Klientinnen annehmen, nicht jetzt. Aber die Frau fragt nicht nach einem Termin. Sie erzählt eine wirre Geschichte, die Joshua nicht interessiert. Er versteht nur so viel, dass sie sich wohl ausgesperrt hat und telefonieren möchte. Joshua führt sie in sein kleines Büro, eine ehemalige Speise- und Abstellkammer. Joshua fiel es immer schwerer, seine Schreibarbeiten zu Hause zu erledigen. Es war Ulrikes Idee, die Kammer zu einem Büro für ihn umzufunktionieren. Sie selbst kann ganz gut zu Hause arbeiten. Jetzt steht hier ein kleiner Schreibtisch am Fenster mit einem Drehstuhl davor. Joshua bittet die Frau, auf dem Stuhl Platz zu nehmen, und reicht ihr das Telefon. Er bleibt an der Tür stehen, unschlüssig, ob er sie alleine lassen soll. Aber sie dreht sich zu ihm, während sie eine Nummer wählt, und lächelt ihn an. Ein Spaghettiträger ihres gelben Oberteils hängt herunter. Sie stellt die Füße auf den Drehstuhl, der grüne Rock gleitet langsam über ihre nackten Schenkel. Ein Rinnsal aus Schweiß fließt über ihren Hals in ihren Ausschnitt und verschwindet zwischen ihren Brüsten. Joshua sollte eigentlich nicht hinsehen, aber er kann es nicht lassen. Durch das Fenster weht der Gestank von Räucherwerk, so widerlich süß, dass es ihn würgt. Er spürt ein leichtes Pochen in der Stirn, ihm ist schlecht. Er fühlt den Drang, der Frau in den Ausschnitt zu fassen, er möchte ihr das Schweißrinnsal vom Hals lecken. Er sieht sich ihren Rock hochschieben. Seine Muskeln in den Armen zucken, er muss sich beherrschen. Zum Glück erreicht sie gleich jemanden. Sie bedankt sich bei ihm, reicht ihm die Hand zum Abschied, hält sie länger als notwendig, so kommt es ihm jedenfalls vor, lächelt ihn an. Für einen Moment ist er versucht zu fragen, ob sie noch einen Moment bleiben will. Doch die Gelegenheit verstreicht, er begleitet sie zum Ausgang, schließt die Tür, setzt sich an den Schreibtisch in seinem Kabuff, versucht, sich zu beruhigen. Einen Moment überlegt er, ob er sich selbst Erleichterung verschaffen soll. Doch dann klingelt das Telefon.

»Kannst du auf dem Nachhauseweg ein paar Tomaten mitbringen?«, hört er Brigittes genervte Stimme durch das Telefon. Und er fragt sich, was er wohl jetzt schon wieder angestellt hat.

Toni

Dr. Taussig hat Verstärkung bekommen, Dr. Blalock hat sich zur ihr gesellt und nun drängeln sie gemeinsam. »Wenn Sie hier rumschreien, geht’s auch nicht schneller. Wie wär’s, wenn Sie mir mal behilflich wären. Sie können doch Türen öffnen, Dr. Blalock, vor allem dann, wenn Sie es nicht sollen. Jetzt dürfen Sie, ich bitte Sie darum.«

Nichts, nur das Gejammere geht weiter: »Kommen Sie herein, geben Sie uns zu essen, schenken Sie uns Ihre Aufmerksamkeit!« So geht es in einem fort.

»Sie haben es doch nicht etwa verlernt, Dr. Blalock?«, versuche ich ihn bei der Ehre zu packen und als auch das nichts hilft, gehe ich zu Drohungen über: »Sie werden verhungern, wenn Sie mich nicht hereinlassen, Sie werden in Ihrem Dreck ersticken, niemand wird Ihnen jemals wieder den Bauch kraulen.«

Das scheint zu wirken, hinter der Tür ist es still geworden. Aber sonst tut sich nichts. Die werden doch nicht einfach abgehauen sein? Ich versuche es jetzt telepathisch, konzentriere mich auf das Bild der Türklinke, sehe Dr. Blalock springen, sehe mich von außen gegen die Tür drücken, sehe mich in den Flur fallen. Ich versuche, Dr. Blalock die Vorstellung zu schicken. Keine Reaktion. Vielleicht sollte ich Dr. Taussig als Medium verwenden. Sie ist doch die Tüftlerin, diejenige, die immer einen Weg findet. In Zimmer, die sie nicht betreten soll. In Einkaufstüten mit Wurst, die nicht für sie bestimmt ist. In Regenrinnen, die – wie der Name schon sagt – dafür da sind, dass in ihnen der Regen rinnt und nicht dafür, dass flauschige ältere Damen in Begleitung ihrer flauschigen Brüder darin spazieren gehen. Ich wette, das mit dem Klinkenspringen war auch Taussigs Idee und sie überlässt Blalock nur die Ausführung. Sie lässt Blalock gerne für sich arbeiten. Das soll sie jetzt auch tun. Ich versuche, mit ihr auf telepathischem Weg in Kontakt zu kommen. Nichts. Ich wünschte, ich hätte einen Kurs in Tierkommunikation besucht, wie ich es schon immer mal wollte.

Okay, ich gebe es auf, ich muss es wohl alleine hinkriegen. Schlüsseldienst kommt nicht in Frage, das würde mich ruinieren. Auf Andreas warten? Zur Not. Aber hatten nicht Elfi und Katharina schon immer Schlüssel zu unseren Wohnungen? Ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass wir kurz nach unserem Einzug auch einen Schlüssel von dieser Wohnung bei ihnen deponiert haben. Nun muss ich hoffen, dass eine der beiden zu Hause ist. Mein Handy ist in der Wohnung. Mein Fahrradschlüssel auch, der hängt nämlich am Schlüsselbund. Vielleicht sollte ich beides am Körper befestigen, möglichst mit Stahlketten. Die Telefonzellen, die ich finde, nehmen nur Telefonkarten, aber das ist sowieso egal, weil ich mir Telefonnummern grundsätzlich nicht merken kann. Nicht einmal die von Elfi und Katharina, die wir schon lange kennen. Aber was soll’s, ich bin gut zu Fuß, drei Kilometer sind fast nichts, mit den Öffentlichen dauert es länger, also mache ich mich auf gut Glück auf den Weg.

Und ich habe Glück, ich treffe Elfi vor ihrer Haustür, auf dem Weg zu einem Hausbesuch. Elfi ist Physiotherapeutin. Zwei Minuten später und sie wäre weg gewesen. Endlich beginnt meine Glückssträhne! Federnden Schrittes mache ich mich auf den Weg nach Hause. Doch ich werde aufgehalten. Vor dem Schaufenster eines Buchclubs spricht mich eine Frau an. Von Frauen auf der Straße angesprochen zu werden, hätte mir früher einmal gefallen, heute ist es mir eher lästig. Aber die plötzliche glückliche Wendung in meinem Leben stimmt mich milde. Also höre ich mir an, was die Frau zu sagen hat. Sie hält mir einen Stapel Karten hin, ich soll eine ziehen, ich könne was gewinnen, sagt sie. Ich ziehe eine Karte, die Frau nimmt sie mir aus der Hand und behauptet, ich habe ein Buch gewonnen. Dann verschwindet sie im Laden, um es zu holen. Noch bin ich misstrauisch, frage mich, wo der Haken ist. Sie kommt zurück, drückt mir eine Tüte in die Hand. Natürlich fragt sie mich auch noch, ob ich Interesse hätte, dem Buchclub beizutreten. Ich sage nein und darf die Tüte trotzdem behalten. Es ist tatsächlich ein Buch drin, ein gebundenes mit einem beruhigenden blauen Schutzumschlag. Es heißt »Das Eiskind«. Genau, was ich brauche, ein Buch, klar und kühl. Ich trage das kühlende Buch unter meinem Arm und fühle mich reich beschenkt. Ein Schlüssel in meiner Hosentasche und ein Buch unter dem Arm, was will ich mehr. Etwas zu essen natürlich, mein Kühlschrank ist leer. Der Duft, der einem Imbiss entströmt, macht mich nicht aggressiv, er lockt mich sogar. Wolken haben sich vor die Sonne geschoben, es bläst ein erfrischender Wind. Ich bin sicher, es wird gleich ein Gewitter geben.

Dr. Taussig und Dr. Blalock erwarten mich im Flur. Ich löffle Futter auf ihren Teller und sie fallen darüber her, als hätten sie zwei Wochen nichts mehr bekommen. Ich setze mich mit meinem fleisch- und salatgefüllten Fladenbrot auf das Sofa, klappe das Buch auf und versinke kauend in eine andere Welt.

Kurze Zeit später fängt es in meinem Kopf an zu summen. Diesmal kein Bienenschwarm. Es ist das Summen von Gedanken, wenn sie zueinander finden. Nein, eigentlich ist es kein Summen, es ist mehr ein Schnurren. Ein Schnurren, so laut wie das von Dr. Taussig und Dr. Blalock, wenn sie auf meinem Schoß liegen, wenn sie ihre Köpfe in meine Armbeuge drücken. Wenn ich ihnen so nah und vertraut bin, dass ich sie duze. So nah und vertraut werde ich auf einmal mit meinen Gedanken. Sie rollen sich zusammen in meinem Kopf, sie werfen sich auf den Rücken und schnurren. Und ich kraule ihnen den Bauch und lächle verzückt.

Joshua

»Mit Thomas?«, fragt Brigitte, als Joshua ihr von seinen Reiseplänen erzählt.

»Nein, nicht mit Thomas und auch nicht mit Ulrike«, antwortet er. Warum eigentlich nicht mit Thomas? Er könnte ihn fragen.

»Wie kommst du auf Ulrike?«, fragt Brigitte irritiert.

»Weil Ulrike im Moment auf Usedom ist. Habe ich das nicht erzählt?«

Brigitte antwortet nicht. »Was ist eigentlich in letzter Zeit mit dir los?«, fragt sie.

»Was soll mit mir los sein? Ich bin nur etwas müde, ich könnte ein paar Tage Urlaub gebrauchen.«

»Und ich soll hier alleine rumhocken.«

»Ich dachte, dir könnten ein paar Tage ohne uns auch gut tun. Und wir fahren ja im September noch einmal alle zusammen weg.«

»Hm.« Sie füllt Wasser in den großen Pastatopf und sagt nichts mehr.

Erst als sie gemeinsam am Tisch sitzen, beginnt sie wieder zu reden. Sie erzählt von der kleinen Sophie, die einen Schnupfen hat, und vom kleinen Johannes – »Stell dir vor, der kommt schon in die Schule.« Joshua ist versucht zu sagen, dass dies zu erwarten war, schließlich ist er vor zwei Monaten sechs geworden, Joshua erinnert sich noch genau an den langweiligen Kindergeburtstag –, aber er verkneift sich die Bemerkung. Während des Essens blubbert Brigitte weiter von Konstantin und Jessica, von der alleinerziehenden Monika und ihrem Balthasar. Er tut so, als würde er zuhören, wirft hin und wieder einen Satz ein, eine Frage, ein Hm, ein Ja, ein Na so was. Darin hat er ja Übung. Er wird schon nichts Wesentliches verpassen.

Joshua übernimmt das Aufräumen der Küche, während Brigitte Jonas ins Bett bringt. Er sprüht die Spüle mit Essigreiniger ein und lässt ihn eine Weile einwirken, dann reibt er mit einem Lappen darüber und zum Schluss die Spüle mit einem trockenen Tuch blank. Brigitte möchte es so. So muss es auch nach jedem Duschen und Baden mit der Badewanne gemacht werden. Damit sich kein Kalk ablagert, sagt Brigitte. Seinetwegen müsste das nicht sein. Ihm würde es reichen, Bad und Küche einmal in der Woche gründlich zu reinigen. Oder eine Putzfrau damit zu beauftragen. Ruth und er hatten eine. Für Brigitte ist es rausgeschmissenes Geld.

Als er fertig ist, setzt er sich noch einen Moment zu Jonas. Die Spieluhr über seiner Wiege ist noch nicht abgelaufen, aber er schläft schon. Joshua streicht ihm mit dem Finger über die Wange und macht sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Brigitte hat sich in ein Buch vertieft.

Das mochte er früher mit Ruth, gemeinsam auf dem Sofa sitzen, lesen oder einen Film ansehen. Manchmal haben sie sich gegenseitig etwas vorgelesen oder sie haben sich hinterher über den Film unterhalten oder noch während er lief, ihre Kommentare abgegeben, zusammen gelacht. Ja, sie haben immer sehr viel zusammen gelacht. Joshua holt seinen Krimi aus dem Schlafzimmer und setzt sich ans andere Ende des Sofas.

Es dauert nicht lange und Brigitte klappt ihr Buch zu und gähnt. Sie rutscht auf dem Sofa zu Joshua herüber, legt ihren Kopf auf seinen Schoß. Er streicht ihr über das Haar und liest weiter. Sie knöpft sein Hemd auf und streichelt seine nackte Brust. Er klappt das Buch zu und legt es weg. Er schließt die Augen und denkt an Schweißrinnsale auf Dekolletés und grüne Röcke, die über Schenkel rutschen. Ihm ist heiß.

Nach dem Vögeln kuschelt Brigitte sich an ihn. »Wir könnten doch zusammen fahren«, sagt sie. Ihr Höschen hängt an ihrem Knöchel, sie zappelt mit dem Fuß, schüttelt es ab. Joshua sucht nach einer Antwort, die sie nicht verletzt, aber ihm fällt keine ein. Egal, sie ist ohnehin schon eingeschlafen.

Joshua liegt neben Brigitte im Bett. Er hört ihre regelmäßigen Atemzüge, betrachtet ihr langes blondes Haar, das im Licht der Straßenlaterne leuchtet. Eigentlich sollte er auch schlafen. Kein Wunder, dass er immer so müde ist, wenn er kaum schläft. Er wälzt sich aus dem Bett, geht ins Wohnzimmer, setzt sich auf das Sofa und betrachtet den Baum vor dem Fenster. Er sehnt sich nach wiegenden Ästen im Wind. Aber kein Lüftchen weht. Das Gewitter am Nachmittag war nur sehr kurz und hat kaum für Abkühlung gesorgt. Es ist schon seit Wochen heiß und stickig, auch nachts kühlt es kaum noch ab.

Er schaltet die Stehlampe neben dem Sofa ein und greift nach seinem Buch. Doch er kann sich nicht konzentrieren. Warum nicht morgen früh einfach die Sachen packen, Jonas schnappen und nichts wie weg? Er könnte sich ein Auto mieten. Einfach verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Morgen arbeitet Brigitte nicht, er kann Jonas also nicht einfach bei ihrer Mutter abholen und sagen, dass Brigitte heute länger arbeiten muss und er deshalb Jonas abholen soll. Er müsste Brigitte irgendwie aus dem Haus locken, ihr anbieten, auf Jonas aufzupassen. Aber mit welcher Begründung? Nein, so etwas erfordert gute Planung. Er könnte ihr einen Wellnesstag schenken, ja, das wäre eine gute Idee. Er setzt sich an den Schreibtisch, schaltet sein Notebook ein und recherchiert. Aber nicht lange. Statt nach Wellnessangeboten sucht er Seiten über die kälteren Regionen dieser Welt. Island, Grönland, Alaska. Er sieht sich schon irgendwo in Island in einer Hütte. Und was ist mit Thomas, wird er Thomas nicht vermissen? Was wird Thomas davon halten? Was machst du dort, hört er Thomas fragen, wovon wirst du leben? Aber er hat ja genug Geld, er könnte so viel wie möglich flüssig machen und mitnehmen. Aber kannst du es aushalten, dich immer zu verstecken, denn das musst du, wenn du deinen eigenen Sohn entführst, der Mutter wegnimmst, das ist dir doch klar, oder? Und Brigitte? Ist es dir egal, wie es Brigitte geht? Du musst verrückt sein, so etwas der Frau anzutun, die du doch liebst. Aber liebt er sie überhaupt noch? Er sucht nach einem Gefühl für sie, doch er findet keins. Es ist irgendwo verschüttgegangen, in einem Alltag, den er so nie wollte. Er wollte ein Kind, ja, aber wollte er jemals so leben? Er hätte ein Kind mit Ruth haben sollen, damals, als es noch möglich war, rechtzeitig. Vielleicht hätte er sie dann gar nicht erst verlassen. Doch irgendwann war alles zu spät. Ruth ist krank geworden, konnte keine Kinder mehr bekommen. Dann kam Brigitte, dann Jonas. Hätte er Ruth jemals für Brigitte verlassen, wenn Jonas nicht gewesen wäre? Damals war er sich sicher. Damals? Jonas ist ein halbes Jahr alt, Brigitte war im dritten Monat schwanger, als er mit Ruth geredet hat. Doch kommt es ihm vor, als wäre das alles Jahrzehnte her. Damals wollte er nicht nur Jonas, er wollte weg, in ein anderes, ein neues Leben. Jetzt will er wieder weg, wieder in ein anderes Leben. In ein Leben mit Ruth und Jonas. Aber natürlich kann er Brigitte nicht verlassen und Jonas einfach mitnehmen. Genauso wenig wie er sich einfach Jonas schnappen und nach Island auswandern kann. Und Jonas nur noch ab und zu sehen, das kann er sich nicht vorstellen. Aber vielleicht wäre es ja möglich, dass sie sich Jonas teilen, dass er zur Hälfte bei Brigitte und zur Hälfte bei ihm bleibt. Aber wäre ihm ein halber Jonas genug? Selbst wenn, so einfach ist das alles nicht. Und ob Ruth ihn überhaupt zurückhaben will, ist völlig unklar. Sie hat die Trennung erstaunlich gut verkraftet. Im Moment weiß er nicht einmal, wo sie ist. Sie haben das Haus verkauft, seither reist Ruth durch die Welt. Er hat sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Der Scheidungstermin ist in gut drei Monaten, dann werden sie sich zwangsläufig wieder begegnen. Er freut sich darauf.

Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite des Zauns, kommt ihm eine Redewendung in den Sinn. Vielleicht ist das sein Problem. Er ist nie zufrieden mit dem, was er hat. Er schielt immer nach dem anderen. Es muss nicht einmal neu sein, es muss nur woanders sein als da, wo er gerade ist. Er kann nicht immer von einem Ort zum anderen hetzen. Aber das hat er doch nicht getan, er war immerhin fünfundzwanzig Jahre lang mit Ruth verheiratet. Aber auch Ruth hat ihm eigentlich nie gereicht.

Es zieht ihn in Jonas’ Zimmer. Er schaltet seinen Computer aus, löscht das Licht im Wohnzimmer und setzt sich zu Jonas ans Bett. Jonas, mein Sohn, denkt er stolz. Er sieht ihn wachsen, wie er laufen lernt. Sein erster Schultag, seine erste Freundin, Abitur. Sie, zusammen am Lagerfeuer, ein alter grauhaariger Mann und ein junger Mann. Sie braten Würstchen an Holzspießen. Sie lachen. Sie sind Freunde. Sie sind glücklich. Eigentlich hat er alles, was er braucht. Eine junge attraktive Frau, einen prächtigen kleinen Sohn, eine Psychotherapiepraxis und seit Neustem sogar einen richtig guten Freund. Und ab und zu, trotz seines Alters, noch einen netten kleinen Fick nebenbei. Ja, er sollte wirklich zufrieden sein.

Toni

Stille, zumindest, solange ich das Wachs in meinen Ohren habe. Aber es nützt nichts. In dieser Jahreszeit kann ich erst schreiben, wenn die Sonne hinter dem Dach des Hauses gegenüber verschwunden ist. Manchmal versuche ich es trotzdem schon früher. Selten gelingt es mir. Meistens fühle ich mich schlecht, wenn ich versage. Mitte fünfzig und noch nichts in meinem Leben erreicht – so fühlt es sich dann an. Ein Gefühl, das ich vermeiden sollte, indem ich mich tagsüber um andere Dinge kümmere. Mein Geschirr, den Einkauf, mein Geschäft. Bücher sind mein Geschäft. Ich kaufe Kisten billiger Bücher für wenig Geld und verkaufe sie dann einzeln für etwas mehr Geld. Alles im Versand natürlich, so brauche ich keinen Laden. Reiseführer gehen am besten, habe ich festgestellt. Ich halte mich damit einigermaßen über Wasser, seit Sol nicht mehr da ist. Sol hat das Geld nach Hause gebracht, das es mir eine Zeit lang ermöglicht hat, in Ruhe zu schreiben. Es lag also nicht an finanziellen Schwierigkeiten, dass ich schon früher nur wenig geschrieben habe. Es gibt so viele Dinge, die stören können, das Licht, die Hitze, der Lärm, die Müdigkeit, die Angst, die vor allem. Jetzt, wo ich noch das Geschäft mit den Büchern habe, scheine ich fast mehr zu schreiben als früher. Vielleicht, weil ich schreiben muss. Aber schreibe ich, was ich schreiben will? Ich schreibe, wie es Menschen miteinander treiben. Frauen, Männer, zu zweit, in Gruppen, miteinander, mit sich selbst, mit Liebe, ohne Liebe, in der Fantasie. In meiner Vorstellung ist alles möglich. Deshalb kann ich auch über Sex schreiben, obwohl ich schon lange keinen mehr hatte, jedenfalls nicht in Gesellschaft. Warum schreibe ich über etwas, was mich offensichtlich nicht mehr wirklich interessiert? Weil ich schreiben möchte. Weil es sich verkauft, denn schließlich möchte ich, dass das, was ich schreibe, auch gelesen wird. Natürlich macht es mir auch Spaß. Es muss mir Spaß machen, sonst wäre es zu merken. Meine Geschichten würden keine Lust machen, wenn es mir keinen Spaß machte, sie zu schreiben. Schreiben ist eine der unaufwendigsten Möglichkeiten, sich selbst zu malträtieren und dabei auch noch Lust zu empfinden. Das Schreiben von Pornografie treibt dies auf die Spitze. Und natürlich verrate ich damit auch, was mich selbst antörnt. Anfangs hat mich das gestört. Mittlerweile ist es mir egal. Ich habe mich daran gewöhnt. Vielleicht versuche ich auch einfach, nicht mehr daran zu denken. Ich sperre ihn einfach weg, den Gedanken. Vielleicht brauche ich deshalb so viele Räume. Einen zum Schlafen, einen zum Existieren, einen, den ich nie betrete, und den vierten für den ganzen Rest. Den schließe ich gelegentlich auf, hole mir heraus, was ich brauche. Ein paar Tropfen Blut, ein paar Rinnsale Schweiß, etwas nackte Haut. Muskeln und Knochen. Ein Stück klopfendes Herz. Atem. Dann verschließe ich ihn wieder. Oder ich bilde mir ein, dass ich ihn wieder verschließe.

Eigentlich ist es völlig egal, was ich schreibe. Ich könnte eine Fallot’sche Tetralogie beschreiben und würde mich verraten. Dass ich überhaupt über eine Fallot’sche Tetralogie schreibe, verrät ja schon einiges. Was das ist? Ein Herzfehler, eigentlich eine Kombination verschiedener Herzfehler. Vier, um genau zu sein, deshalb Tetralogie. Ich würde gerne einmal eine Geschichte über eine Frau mit einem Herzfehler schreiben. Ich würde gerne über irgendetwas anderes schreiben als übers Vögeln. Aber wenn mir überhaupt etwas einfällt, dann sind es diese merkwürdigen Geschichten. Mysteriöse Unbekannte, die an der Tür klingeln, weil sie sich ausgesperrt haben und vom Nachbarn auf dem Schreibtisch gevögelt werden. Oder sie wollen eigentlich nur eine Tasse Zucker und zwei Tage später masturbieren sie auf dem Sofa in der Nachbarwohnung zu einem Porno von Andrew Blake. Manchmal wird mir schlecht von diesen Geschichten, manchmal will ich diese Bilder nicht mehr sehen. Manchmal wünsche ich mir eine Fantasie, keusch wie eine Nonne.

Es klingelt. Ich bin in der Küche und gieße mir einen Tee auf, nur deshalb bekomme ich es überhaupt mit. Wenn ich am Schreibtisch sitze, mit meinen Wachsklumpen in den Ohren, höre ich manchmal nicht einmal das Telefon. Ich öffne. Es ist eine mysteriöse Unbekannte mit einer Tasse in der Hand. Auf den zweiten Blick kommt sie mir gar nicht mehr so unbekannt vor. Es ist die Frau, die ich aus der Tür nebenan habe kommen sehen. Meine neue Nachbarin, frisch eingezogen. Unsere Klingelschilder berühren sich fast. Sie braucht Zucker. Ich muss lachen. Sie blickt mich irritiert an. Ich bitte sie herein, durchsuche meine Küchenschränke nach Zucker. Aber ich habe nur ein paar Tütchen Vanillinzucker, zwei Zuckerwürfel – von »anno dunnemals«, wie Sol sagen würde – und ungefähr zehn Jahre alten Süßstoff. Das weiß ich deshalb so genau, weil ich damals eine Geliebte hatte, die Süßstoff in ihren Kaffee nahm. Ich selbst kann gesüßten Tee oder Kaffee nicht ausstehen, Sol trank alles ungesüßt und schwarz. Die mysteriöse Unbekannte möchte einen Kuchen backen, das geht nicht mit dieser Art Süßstoff, egal, wie alt er ist. Und meine zwei Zuckerwürfel und der Vanillinzucker sind nicht wirklich ihre Rettung. Also erkläre ich ihr den Weg zu dem kleinen Laden an der Ecke, der um diese Zeit noch geöffnet hat.

Ich bin froh, als sie wieder weg ist. Ich gieße mir Tee ein, gehe zurück in mein Arbeitszimmer, stopfe mir Wachs in die Ohren und fange endlich an.

Joshua

Er sitzt an seinem Schreibtisch, als es wieder losgeht. Es ist immer ungefähr dieselbe Zeit, sieben, Viertel nach sieben. Eigentlich müsste er darauf gefasst sein. Wahrscheinlich kommt der Typ um diese Zeit von der Arbeit nach Hause. Trotzdem zuckt Joshua jedes Mal wieder zusammen, wenn ihm von einem Moment auf den anderen durch das Hinterhoffenster Heavy-Metal-Klänge entgegenschmettern. Er schließt das Fenster, doch es hilft nicht viel. Er nimmt sein Notizbuch und seinen Lieblingsstift vom Schreibtisch und geht in eines der vorderen Therapiezimmer. Natürlich schließt er beide Türen, die zu seiner Schreibkammer und die zum Therapiezimmer. Er hört die Musik trotzdem, spürt das Vibrieren der Bässe auf seiner Haut, in seinem Magen. Es hilft auch nicht zu wissen, dass das eigentlich nicht sein kann, weil der Typ im Hinterhaus wohnt und die Praxis im Vorderhaus liegt.

Joshua macht ein paar Notizen über die letzte Sitzung, nicht so gründlich, wie er eigentlich sollte und vorhatte, denn das leise Wummern – mag es nun eingebildet oder wirklich sein – macht ihn unruhig. Seine Hände kribbeln und er spürt einen Anflug von Übelkeit. Trotz der Hitze fröstelt es ihn unangenehm.

Vielleicht sollte er doch mal wieder seine Entspannungsübungen machen. Damit hat er seine Lärmempfindlichkeit früher ganz gut in den Griff bekommen. Und mit Sport. Sport ist fast noch wichtiger. Es gab Zeiten, da hatte er nur noch selten Anfälle und wenn, dann ganz leichte. In letzter Zeit werden sie wieder stärker und vor allem kommen sie häufiger. Meistens hat er nicht einmal Kopfschmerzen. Oft spürt er nur eine leichte unterschwellige Übelkeit und ein dumpfes Gefühl im Kopf. Manchmal nicht einmal das, dann kann er sich einfach nicht mehr konzentrieren und seinen Blick nicht mehr fokussieren. Er hat das Gefühl, als schwebe er einen Zentimeter über dem Boden, und er kann Abstände nicht mehr richtig einschätzen. Seine Bewegungen werden unkoordiniert. Er greift nach seiner Tasse und schubst sie zu Boden. Er verliert den Faden. Er beginnt etwas zu tun und hat schon im nächsten Moment vergessen, was er eigentlich wollte. Oder er weiß nicht mehr, wie es geht. Das Telefon in die Hand nehmen und dann? Es wieder weglegen und stattdessen den Stift nehmen. Oder die Hände schweben sekundenlang über der Tastatur, ehe er es bemerkt. Manchmal muss er lange überlegen, bis es ihm wieder einfällt. Manchmal will es ihm partout nicht einfallen. Es ist wie in diesen Träumen, in denen die Zeit drängt, etwas unbedingt erledigt werden muss, aber es geht einfach nicht. Dauernd kommt etwas dazwischen, ein Gedanke, ein Geräusch, Menschen, die gar nicht hier sein sollten. Oder Leere im Kopf. Und die Aufgabe lässt sich einfach nicht lösen. Mittlerweile kennt Joshua diese Anfälle gut, er hatte sie schon immer. Wären sie neu, würde er sich vielleicht Sorgen machen, einen Neurologen konsultieren. Aber er weiß, es ist nur seine Migräne.

Joshua klappt sein Notizbuch zu und bringt es zurück in sein Kabuff. Sein Puls steigt, als er die Kammer betritt und der Hinterhofschall sein Ohr erreicht. Er beeilt sich, wegzukommen, auch wenn er nicht weiß, wohin eigentlich.

Er trifft sie im Treppenhaus. Gerade, als er abschließen will, geht sie an ihm vorbei die Treppe hinunter. Sie bleibt stehen, wartet einen Moment, dreht sich zu ihm um, schaut ihn lange an.

Sie treiben es in seiner kleinen Kammer auf dem Schreibtisch, das Fenster steht sperrangelweit offen. Doch diesmal stört ihn die Musik nicht, im Gegenteil, sie macht ihn erst richtig geil. Auch die Frau ist laut und auch das gefällt ihm. Es dauert nicht lange. Ein hübscher Fick, kurz und wild.

Die Musik hat aufgehört. Er hört nur die grelle Stimme der Hebamme von nebenan und ihren sich langsam beruhigenden Atem – seinen und den der Frau, die auf seinem Schreibtisch sitzt. Nass, klebrig. Auch an ihm scheint alles zu kleben. Schweiß rinnt ihm in die Augen, brennt. Er geht ins Bad, wäscht sich, kippt Wasser in sein Gesicht, trocknet sich mit einem Papiertaschentuch ab. Nicht einmal ein Kondom hat er benutzt, obwohl eine Packung in seiner Schreibtischschublade liegt. So etwas sollte ihm einfach nicht passieren, er ärgert sich über seine Verantwortungslosigkeit. Seine Aktentasche liegt im Flur, er nimmt sie, öffnet die Praxistür, tritt in den Hausflur, zieht die Tür zu, schließt ab und geht.

Toni

Die mysteriöse Unbekannte, die eigentlich meine Nachbarin ist, steht vor meiner Wohnungstür und drückt mir einen Teller in die Hand. Der Teller fühlt sich warm an. Karotten-Nusskuchen liegt darauf, frisch gebacken. Und das, wo ich noch nicht einmal Zucker für sie hatte. Ich nehme den Kuchen, bedanke mich höflich. Sonst noch was? Sie fragt nach Geschäften in der Gegend, sie kenne sich noch nicht so gut aus. Ich fühle mich genötigt, sie hereinzulassen, führe sie in die Küche, biete ihr Platz an, hole einen Zettel und einen Stift, zeichne ihr alles auf, finde sie nun nicht mehr mysteriös und unbekannt. Eine neue Nachbarin, weiter nichts. M. Fallot steht am Klingelschild. Monika, Mireille, Martina, Maike?

»Wie heißt du?«, fragt sie. Ihre Stimme klingt nach Alkohol und Zigaretten. Eine Verlassene, die sich zu Tode säuft und qualmt? Meinetwegen, solange sie sich dabei von mir fernhält. Aber ich werde ihr trotzdem antworten müssen. Da mein Nachname auf dem Klingelschild steht, nehme ich an, dass sie meinen Vornamen wissen will. Ich nenne ihn ihr.

»Aber die meisten nennen mich Toni«, füge ich unnötigerweise hinzu.

Nun will sie wissen, was ich mache. »Ich schreibe«, antworte ich, aber nur, weil der Satz »Ich verkaufe Bücher übers Internet« drei Wörter mehr hat.

»Und was?«

»Pornografie.«

Sie lächelt, glättet das Papier, auf dem ich Straßen und Geschäfte eingezeichnet habe, kritzelt darauf herum, ein Herz, ein Strichmännchen, eine Blume.

»Lebst du allein?«, fragt sie und legt den Stift auf den Tisch.

»Ja.«

»Das ist manchmal ganz schön einsam«, sagt sie.

»Finde ich nicht.«

»Vielleicht können wir ja mal ein Glas Rotwein zusammen trinken.«

»Ich trinke nicht.«

»Dann einen Tee. Klingel doch einfach bei mir, wenn du Lust hast.«

Ich antworte nicht. Wenn ich nicht klingle, wird sie es vielleicht vergessen. Sie kommt bestimmt aus einer anderen Stadt, ist einsam. Aber das wird sich bald ändern. Sie wird Menschen kennenlernen, Freundschaften schließen und nicht mehr einsam sein. Vielleicht verliebt sie sich auch bald. In eine Frau oder einen Mann, egal. Womöglich heiratet sie schon nächstes Jahr und dann bin ich sie endgültig los.

Sie geht.

Jetzt bin ich völlig aus dem Konzept. Ich schalte meinen Computer aus, schließe die Tür zu meinem Arbeitszimmer, schalte den Fernseher ein, setze mich auf das Sofa, will meine Ruhe haben. Weiter nichts als meine Ruhe. Doch die Belästigungen nehmen kein Ende. Diesmal ist es wieder dieser scheußliche Räucherwerkgestank, den irgendein Schwachkopf der Nachbarschaft aufnötigt. Dazu noch laute New-Age-Musik, sicher ganz angenehm zu hören, wenn man so etwas hören will. Aber es fragt mich niemand, ob ich es hören möchte. Und das macht mich wütend. »Ich möchte jetzt nicht mehr belästigt werden!«, sage ich laut. Weder mit Karotten-Nusskuchen und unerwünschten Rotweinteeeinladungen noch mit Lärm und Gestank. Doch kaum, dass es Sommer wird, öffnen alle ihre Fenster und werfen ihren Schallmüll in die Welt. Sie sind lästig wie Insekten, doch kein Fliegengitter hilft gegen sie und kein Zitronenöl. Nur Ohropax und manchmal nicht mal das. Ich hasse es!

Ich trete auf die Terrasse, schnuppere, lausche. Doch es ist nicht auszumachen, welchem Hinterhoffenster, welcher Terrassentür Gestank und Lärm entweichen. Aber ich habe einen Verdacht. Ich ziehe meine Schuhe an, greife nach meinem Schlüssel und ziehe in die Schlacht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!