Million miles away - Sarah Stankewitz - E-Book

Million miles away E-Book

Sarah Stankewitz

4,5

Beschreibung

Der neue New-Adult-Roman von Sarah Stankewitz Ein Auslandsjahr. Eine Flucht vor dem eigenen Leben. Eine Liebe, die unter die Haut geht. Die 18-jährige Melody Warren ist gebrochen. Ihre Vergangenheit holt sie ein. Die einzige Lösung: Ein Jahr lang allem entfliehen. Als sie jedoch in Port Macquarie landet, wird sie sofort mit Andrew McCaw konfrontiert. Der impulsive, attraktive und unglaublich nervtötende Andrew, der ihre Nähe nicht zu ertragen scheint. Womit Melody nicht rechnet - Andrew ist der Einzige, der sie von ihren Schatten befreien kann ... Ein Sommer voller Lügen, Intrigen, Geheimnissen und der einen Sache, die jeder Mensch in seinem Leben sucht: die ganz große Liebe ...

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MANUELA_55

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Schönes Hörbuch , nur die Vorleserin sollte noch üben . Wenn ich es gekauft hätte, würde ich mein Geld zurück fordern.
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Beliebtheit




Inhalt

Million miles away - Nur bei dir

Widmung

Für dich, Patrick. Du bist meine Melodie.

Prolog - Melody

1. Kapitel - Melody

2. Kapitel - Andrew

3. Kapitel - Melody

4. Kapitel - Andrew

5. Kapitel - Melody

6. Kapitel - Andrew

7. Kapitel - Melody

8. Kapitel - Andrew

9. Kapitel - Melody

10. Kapitel - Andrew

11. Kapitel - Melody

12. Kapitel - Andrew

13. Kapitel - Melody

14. Kapitel - Andrew

15. Kapitel - Melody

16. Kapitel - Andrew

17. Kapitel - Melody

18. Kapitel - Andrew

19. Kapitel - Melody

20. Kapitel - Andrew

Epilog - Melody

Danksagung

Über die Autorin

Impressum

Million miles away - Nur bei dir

Sarah Stankewitz

Widmung

Für dich, Patrick. Du bist meine Melodie.

Die Liebe gleicht einer Melodie, die einem nie mehr aus dem Kopf geht.

- Marliese Zeidler -

Prolog - Melody                                                     

Es gab eine Zeit, in der ich dachte, dass Blitze durch meine Venen schießen werden, wenn ein Mann mich berührt. Der Mann, dem ich mein Herz schenke und in dem ich meine Zukunft sehe, wenn ich ihm in die Augen blicke. Doch jetzt weiß ich, dass diese Blitze nichts als Schmerzen hinterlassen. Tiefe Spuren auf meiner Seele. Ich werde niemals ein Kribbeln auf meiner Haut spüren, wenn man mich berührt. Stattdessen wird es mich verbrennen.      Mittlerweile ist mir bewusst, dass Blitze nichts anderes sind als elektrische Entladungen in den Wolken, die schließlich krachend auf unsere Erde hinabschießen. Früher habe ich sie geliebt. Doch dann kam er. Und hat alles, was ich einst liebte, in meine persönliche Hölle verwandelt. Seit dieser einen Nacht hasse ich sie. Doch diese Nacht hat mir auch gezeigt, dass Blitze einem nichts anhaben können, auch wenn man sie fürchtet. Menschen hingegen schon. Sie können dich brechen.

Ein leises Grollen kündigt sich am Himmel an. Schon beim Geräusch des Donners beginnt mein Körper sich zu verkrampfen. So stark, dass ich mir meine Fingernägel ins Fleisch bohre, bis das Blut aus den frischen Wunden herausquillt. Mom wird mich auf meine wunden Stellen ansprechen und ich werde nicht wissen, wie ich es ihr erklären soll. Schnell lasse ich meinen Blick zum Fenster schweifen und schon Sekunden später sehe ich die ersten Verzweigungen des Blitzes, der die Nacht erhellt. Früher, als ich noch kleiner war, fand ich dieses Schaubild der Natur immer wundervoll. Mittlerweile treibt es mir Tränen in die Augen. Mit einem Schluchzen ziehe ich mir die Decke über den Kopf und warte. Das ist alles, was ich tun kann. Jede Nacht warte ich einfach nur darauf, dass die Türklinke nach unten gedrückt wird. Darauf hoffend, mich in Luft aufzulösen, bevor er kommt. Ich warte. Die Sekunden verstreichen, die Minuten ziehen vorüber und die Hoffnung keimt auf, dass es heute anders sein wird. Dass ich gerettet werden kann.     Schnell ziehe ich die Decke wieder herunter und starre verloren auf die Tür meines Zimmers. Durch den unteren Spalt kann ich erkennen, dass draußen alles dunkel ist. Zu dunkel. Zu ruhig. Irgendetwas stimmt hier nicht. Plötzlich höre ich seine Schritte vor meinem Zimmer. Klack. Klack. Jeder einzelne Schritt seiner Sohlen sorgt dafür, dass mein Herz immer schneller zu schlagen beginnt. Klack. Klack.

1. Kapitel - Melody

»Aufwachen.« Dunkler Rauch schlingt sich um seine Gestalt, während mein Körper noch immer wild unter mir zittert. Es dauert nicht mehr lange, dann wird er mein Zimmer wieder verlassen. Halte durch. Mein Herz donnert gegen meinen Brustkorb. Meine Haut fühlt sich an, als würde sie brennen. Nein, als wäre sie verseucht. Seine Hände umfassen meine Hüfte. Tränen rinnen mir über die Wange. Seine Hand gleitet tiefer. Mein Herz … bleibt stehen. »Hey, aufwachen.« Verschlafen blinzle ich gegen das helle Licht über mir an. Mein Nacken schmerzt ungemein und als ich mich wieder daran erinnere, wo ich bin ... warum ich hier bin, schrecke ich hoch. Die alte Dame neben mir zerrt an meinem rechten Ärmel, wobei ihre wilde, bereits ergraute Lockenmähne wie im Takt hin und her wippt. Als sie ihren mit rotem Lippenstift beschmierten Mund zu einem Lächeln verzieht, erscheinen vereinzelte Fältchen um ihre Augen. Sie erinnern mich an die Verzweigungen des Blitzes, der sich eben in meine Träume geschlichen hat. Prompt schüttele ich den Kopf, reibe mir meine müden Augen und blicke ihr, ebenfalls lächelnd, ins Gesicht. »Wir landen gleich«, sagt sie lauter, als ich in diesem Moment ertragen kann. Ein pochender Schmerz kündigt sich in meinem Schädel an. Wir landen gleich. Und danach werde ich allein aussteigen. Ich werde allein meine Koffer schnappen und keine Ahnung haben, was dann mit mir geschieht.     Schnell lasse ich meinen Blick nach draußen schweifen, beobachte die weißen Wolken, die mir immer das Gefühl geben, auf Zuckerwatte zu landen. Eine von ihnen sieht aus, als wäre sie ein riesiger Baum, der inmitten dieser zuckerwatteartigen Heimat seine Wurzeln geschlagen hat. Ich liebe es, die Formen der Wolken zu deuten und mir vorzustellen, dass sie sich beliebig verwandeln können. Sie können anders sein, wenn sie wollen. Wir Menschen haben dieses Glück leider nicht, wir sind in unseren Körpern gefangen, bis unsere Herzen ein letztes Mal schlagen. Manchmal wünsche ich mir, dass dieses letzte Mal für mich schneller kommt, als es von der Natur vorgesehen ist. »Wie spät ist es?«, frage ich die Dame, die sich vorhin neben mich gesetzt hat, weil ihr Mann auf der anderen Seite des Flugzeuges zu laut schnarchte. Ich schloss sie sofort in mein Herz, auch wenn ihre roten Lippen und das entsetzliche Lächeln mich an einen Clown erinnerten. »Es ist gleich 12 Uhr. Zeit fürs Mittagessen«, antwortet sie, während sie ihre bunt lackierten Fingernägel in ihre Tasche steckt und ein labbriges, triefendes Sandwich daraus befreit. Sekunden später hält sie es mir entgegen und allein schon beim Gedanken daran, dieses pappige Etwas in meinen Mund zu stecken, wird mir speiübel. Dankend schüttele ich den Kopf und warte darauf, dass sie es wieder in ihre Tasche legt, in der es ungestört vor sich hin gären kann. Doch anstatt es verschwinden zu lassen oder es selbst zu essen, legt sie es mir in die Hände, die noch immer zitternd in meinem Schoß liegen. »Falls du später noch Hunger bekommst, nimm es ruhig, Kindchen. Ich mache die besten Sandwiches in ganz Port Macquarie.« Port Macquarie. Mein neues Zuhause. Auch wenn ich so schnell wie möglich Abstand zu meinem wirklichen Zuhause gewinnen wollte, wäre meine Wahl niemals auf diesen Ort gefallen.     Mom hat mich früher zum Flughafen gebracht, als ursprünglich geplant, weshalb ich einen früheren Flug nehmen konnte. Was ich nicht bedacht habe: Ich bin vollkommen allein. Allein in einem Land, das ich nur aus Fernsehserien kenne, das so anders ist als meines. Doch was willst du tun, wenn deine eigene Mutter nicht mehr in der Lage ist, dir in die Augen zu sehen? Wenn der unbändige Hass in ihrem Blick immer stärker wird? Dann sitzt du in einem Flugzeug, tausende Meilen über sicherem Boden, und begibst dich auf die Reise - eine Reise, von der du keinen blassen Schimmer hast, wo sie endet. Schnell stopfe ich mir das triefende Sandwich in die Handtasche und lasse meinen Blick wieder aus dem Fenster schweifen. Immer wieder gleiten meine Gedanken zu ihr, obwohl ich unseren Streit zu verdrängen versuche. Wenn man bedenkt, dass ich ein Jahr lang von Zuhause weg sein werde, könnte man meinen, dass unser Abschied emotionsgeladen hätte sein müssen, dass wir uns in den Armen gelegen und geweint hätten. Stattdessen hat sie mich nur herzlos umarmt und mich dann, mit all meinen Ängsten, Gedanken und meiner Panik, allein gelassen. Der Mensch, von dem man immer denkt, dass er der größte Anker im Leben ist, hatte mich verstoßen.     »Wissen Sie, wie ich zur Wohnsiedlung am Rocky Beach komme?«, frage ich meine Nachbarin. Ich könnte mir in den Hintern beißen, dass ich mir die genaue Adresse nicht aufgeschrieben habe. Aber damals ging ich noch davon aus, dass sie mich abholen würden. Doch wie soll ich ihnen jetzt sagen, dass ich schon früher hier bin? »Kindchen, ohne Taxi wirst du nicht weit kommen. Holt dich denn niemand ab?« Schon beim Gedanken daran, vollkommen allein in diesem Flughafen zu stehen, wird mir schwindelig. Mein Puls beschleunigt sich so stark, dass ich die Adern unter meiner Haut pochen sehe. »Doch, eigentlich schon. Aber ich bin früher angereist als geplant und ich konnte ihnen noch nicht Bescheid geben«, antworte ich, während ich mich an meinem Sitz festkralle. Die Stellen an meinen Oberschenkeln schimmern im Licht leicht violett, während sie sonst kaum noch zu erkennen sind. Schnell wende ich meinen Kopf wieder der alten Dame zu. Es wird Zeit, dass ich an etwas anderes denke.     »Bernie und ich müssen leider in eine andere Richtung, sonst hätten wir dich mitnehmen können, Kindchen. Wenn du dich beeilst, ergatterst du vielleicht noch ein Taxi. Hast du denn keine Telefonnummer von deiner Gastfamilie?« Gastfamilie. Allein schon dieses Wort sorgt in meinem Inneren für einen wilden Strudel aus Gedanken, dem ich nicht zu entkommen weiß. Was ist, wenn sie ganz anders sind, als ich es mir vorgestellt habe? Es ist ein seltsames Gefühl, zu wissen, dass ich ein ganzes Jahr lang in einem anderen Land verbringen werde. Andere Menschen um mich haben werde und nicht mehr in meinem eigenen Zimmer schlafen kann. Obwohl ich seit dieser einen Nacht kaum mehr ein Auge in meinem Bett zumachen konnte, war es dennoch meines. Kein fremdes, von dem ich nicht weiß, wann die Bettwäsche das letzte Mal gewechselt wurde. Meine Mom sagte, dass die Mutter am Telefon nett geklungen hätte. Super! Nett ist der kleine Bruder von scheiße. Jedenfalls wenn wir der Logik meiner Mutter folgen. »Ich weiß die Nummer leider nicht. Meine Mom hat sie, aber heute Morgen ging alles so schnell, dass ich kaum Zeit hatte, an alles zu denken. Ist es weit bis zum Rocky Beach?«, hake ich noch einmal nach in der Hoffnung, dass ich es irgendwie schaffen werde, dort heil anzukommen.     »Zu Fuß wirst du es garantiert nie erreichen, Kindchen.« Bevor die Dame, deren Namen ich noch nicht einmal kenne, weitersprechen kann, werden wir von der Stewardess unterbrochen. Sie steht nur einen Meter von unseren Plätzen entfernt und beginnt uns auf die Landung vorzubereiten. Ich glaube nicht, dass ich dafür bereit bin. Niemals. Schnell greife ich nach meinem Gurt und schnalle mich an. Bald sind alle Passagiere gesichert und wir setzen zur Landung an. Der Kaugummi in meinem Mund wird von Minute zu Minute klebriger und zäher, aber ich kaue dennoch in Höchstgeschwindigkeit auf der weichen Masse herum. Als wir an Höhe verlieren, beginnt das Flugzeug unangenehme, beängstigende Geräusche von sich zu geben. Ich muss mich an meinem Sitz festkrallen, während die Wände um mich herum wild vibrieren. Schnell werfe ich wieder einen Blick aus dem kleinen Fenster und sehe, wie wir durch das zuckerwatteartige Paradies hindurchrauschen. Die Wolken ziehen so schnell an uns vorbei, dass ich keine einzige in ihrer Form und Gestalt deuten kann. Umgehend schließe ich meine Augen und warte einfach nur darauf, diese Landung endlich hinter mich zu bringen.

     Nachdem die Reifen letzte quietschende Geräusche von sich gegeben haben, kommen wir endlich zum Stillstand. Meine Nachbarin springt augenblicklich auf, beugt sich über mich und gibt mir einen feuchtfröhlichen Kuss auf meine rechte Wange. »Auf dass du hier alle Antworten findest, die du immer gesucht hast«, flüstert sie mir ins Ohr und tätschelt meine Wange mit ihren vom Sandwich klebrigen Fingern. »Willkommen in Australien!«, setzt sie noch hinzu und sorgt damit dafür, dass ich zu realisieren beginne: Ich bin in Australien. Und eines steht fest: Auf die Fragen, die ich habe, werde ich hier keine Antworten erhalten. Niemals. Dafür ist es längst zu spät.

    Draußen angekommen, empfängt mich sofort eine wohlige Hitze, die mir ein vertrautes Gefühl gibt. Auch wenn die Wärme in Texas nicht mit dieser zu vergleichen ist, gibt sie mir ein gewisses Gefühl von Verbundenheit. Schnell greife ich nach meinem Strohhut, platziere ihn gekonnt auf meinem Kopf und schnappe mir meinen viel zu schweren Koffer. Als mein Blick letztendlich am Port Macquarie-Hastings Council vor mir landet, wird mir bewusst, wie anders hier alles ist. Frisco, meine Heimat, war mit all ihren Farben und Lichtern, die die Nacht erhellen, schon immer eine sehr impulsive Stadt. Der kleine Flughafen vor mir würde in unseren vermutlich fünf Mal hineinpassen. Es ist, als wäre ich in eine komplett andere Welt gereist. Sogar die Luft riecht hier anders, so würzig und erfrischend. Ich marschiere auf das kleine Abfertigungsgebäude zu und lasse meinen Blick über das restliche Flughafengelände schweifen. Viele Passagiere werden mit offenen Armen empfangen, während ich, mit meinem Koffer kämpfend, auf den Eingang des Flughafengebäudes zusteuere. Sobald ich die großen Glastüren geöffnet habe, betrete ich das Innere des Flughafens und bin erstaunt darüber, wie modern hier drin alles aussieht, im Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild.     Die Rollen meines Koffers geben quengelnde Geräusche von sich, als sie über die hellbraunen Fliesen gleiten. Unverzüglich beginne ich in meiner Handtasche zu kramen, bis ich das Foto gefunden habe. Ich weiß, dass es sinnlos ist, nach ihr Ausschau zu halten, aber ich möchte mir das Gesicht so schnell wie möglich einprägen. Schließlich wird sie in den nächsten zwölf Monaten meine Ersatzmutter sein. Miranda hatte uns dieses Foto von sich zukommen lassen, damit ich sie am Flughafen schneller erkenne, wenn sie mich abholt. Dumm nur, dass sie mich erst in drei Stunden hier erwartet. Ich betrachte noch einmal das Foto: Ihre dunklen Haare gehen ihr knapp bis zu den Schultern und die kleinen, zierlichen Lachfältchen erinnern mich an die Dame aus dem Flugzeug. Sie hat strahlend braune Augen, die mich sofort an einen Schokoladencookie denken lassen. Ob man hier genauso gern Cookies isst wie in den Staaten?     Ich muss zugeben, dass ich mir kaum Gedanken darüber gemacht habe, wohin es mich verschlagen wird, als meine Mom mich dazu überredete, dieses Austauschjahr anzutreten. Mittlerweile bereue ich es. Wirklich. Ich hätte mich außerdem vorher viel mehr mit dem Leben hier vertraut machen sollen. Tja, jetzt ist es so oder so zu spät. Verloren starre ich also auf das Foto in meinen Händen, während ich wie ein begossener Pudel durch die doch recht gemütliche Eingangshalle gehe. Einige der Menschen um mich herum sehen mich an, als wäre ich von einem anderen Stern. Was denn? Habt ihr noch nie eine echte Texanerin gesehen? Kaum vorstellbar, doch vielleicht hätte ich zumindest an meinem ersten Tag auf meinen Hut und die geliebten Stiefel verzichten sollen. Schnell stopfe ich das Foto von Miranda in die Tasche meiner kurzen Shorts und als ich meinen Blick hebe, ist eine harte Männerbrust alles, was ich sehe. Der graue Stoff des T-Shirts direkt vor meiner Nase, hält mich in seinem Bann gefangen.     Unter ihm zeichnen sich bereits die Konturen von Brustmuskeln ab, die mich sofort ein Stück nach hinten weichen lassen. Sie erinnern mich zu sehr an etwas, das ich niemals in meinem Leben haben kann. Sobald ich dem zum Körper gehörendem Gesicht in die Augen sehe, verschwimmt alles vor mir. Ich habe noch nie einen Mann attraktiv gefunden, weil ich weiß, was sie mit einem machen können. Ihr gutes Aussehen kann einen in den Bann ziehen und nie wieder freigeben, auch wenn man damit in seinen eigenen Abgrund spaziert. Doch jetzt blicke ich in so schokoladige Augen, dass ein Cookie locker einpacken könnte. Es ist, als hätte man seine Augen aus einem Schokobrunnen hervorgezaubert. Als ich meinen Blick über den Rest seines Gesichts schweifen lasse, bleibt mein Herz kurz stehen. Dabei hasse ich dieses Gefühl, meinen eigenen Herzschlag nicht mehr spüren zu können. »Cassidy?« Erst als dieser Name seine Lippen verlässt, werde ich aus meiner Starre gerissen. Seine Augen beginnen zu glänzen, doch etwas in ihnen verrät mir, dass er durch mich hindurchschaut, anstatt mich anzusehen. Als würde er hinter mir jemanden ausmachen, der ihm diese Tränen in die Augen treibt. Das Verlangen in seinem Blick sorgt sofort dafür, dass ich ihm am liebsten das geben würde, wonach er sich sehnt. Obwohl ich weiß, dass ich es niemals könnte.     »Ähm … entschuldige«, antworte ich ihm und mache mich daran, so schnell wie möglich aus seinem Sichtfeld zu verschwinden. Er darf mich nicht so ansehen. Niemand darf das. Sekunden später packt mich der Fremde an meinem rechten Unterarm und zieht mich zurück in seine Richtung, doch als sein Blick erneut in meinem Gesicht landet, sehe ich etwas in ihm. Enttäuschung. »Sorry, ich dachte, du wärst jemand anderes«, sagt er tonlos, wobei seine Stimme leicht zu vibrieren beginnt. Seine Haut an meiner zu spüren fühlt sich falsch an. Niemand darf mich auf diese Art und Weise berühren. Sofort entziehe ich ihm meinen Arm, räuspere mich und lasse mich letztendlich doch darauf ein, ihn eingehend zu mustern. Seine braunen Haare schimmern im Licht blond, stehen in verschiedene Richtungen ab und sehen unendlich weich aus. Seine Lippen sind zu einer schmalen Linie verzogen, während sein Blick noch immer glasig auf mich gerichtet ist. Unter dem Shirt kann ich seine Brust pochen sehen, so, als würde sein Herz im nächsten Augenblick aus ihr heraus springen. Seine Oberarme wirken markant und einige seiner Muskeln scheinen sich anzuspannen, als er seine Reisetasche fest umklammert. »Okay«, flüstere ich leise, während ich mir erneut meinen Koffer schnappe. Als ich mich bücke, befreit sich Mirandas Bild aus meiner Hosentasche und rieselt wie in Zeitlupe auf den Boden. Bevor ich danach greifen kann, hat der Fremde sich ebenfalls nach vorn gebeugt und das Foto aufgehoben. Sobald sein Blick wieder meinen streift, wird er blass. Seine Lippen beben kaum merklich, als er immer wieder zwischen dem Foto in seinen Händen und mir hin und her schaut. »Warte, woher hast du das?«, fragt er mich barsch, wobei er das Bild in meine Richtung dreht und es mir vors Gesicht hält. Weil sich alles in meinem Inneren verkrampft, schaffe ich es nicht, ihm zu antworten.     »Woher du das hast, hab ich dich gefragt! Bist du … bist du Melody?«, setzt er noch einmal hinterher und beinahe fühlt es sich an, als würde er meinen Namen ausspucken. Als würde er mich schon jetzt verabscheuen. Woher zur Hölle weiß er, wer ich bin? »Ja, das bin ich«, ist alles, was ich mit zittriger Stimme über meine Lippen bringe. Sofort tritt ein Zorn in seinen Blick, der mich erneut zurückweichen lässt. Ich kenne diesen Ausdruck zu gut, als dass ich ihn noch eine weitere Sekunde ertragen könnte. »Verdammt, das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein!«, donnert er, während er vor meinen Augen auf und ab zu laufen beginnt. Seine Tasche hat er mittlerweile auf den Boden fallen lassen. Anstatt etwas zu sagen, starre ich ihn weiterhin einfach nur stumm an. Es geht nicht anders – mein Herz scheint jeden Moment stehen zu bleiben. Gleich wird mich alles wieder einholen, auf eine Art und Weise, wie es mich nie wieder einholen sollte. »Du kannst deiner Mutter sagen, dass die Sache abgeblasen ist«, presst der Typ vor mir nun angespannt hervor und fesselt mich noch Sekunden später mit seinem Blick. Als könnte er es nicht fassen, dass ich hier bin. Was hat dieser Kerl eigentlich für ein Problem? Als ich in meinem Gehirn nach irgendeinem Anhaltspunkt suche, was ihn mit meiner Mutter verbinden könnte, versteift sich mein ganzer Körper. Auf einmal ist es, als wäre alles sonnenklar, was sonst im Dunkeln lag. Seine Augen erinnern mich nicht ohne Grund an die der Frau auf dem Foto.     »Du … du bist Andrew?«, bringe ich stotternd hervor, während ich mir meinen Hut schnappe und ihn sachte auf meinen Koffer gleiten lasse. Sobald ich meine Haare befreit habe, starrt er mich noch entsetzter an als ohnehin schon. Andrew ist der Junge, mit dem ich den Schüleraustausch vornehmen soll. Ich werde in seiner Familie sein, während er meine Mutter mit seiner Anwesenheit beglückt. Ich weiß, dass er es würde, immerhin hat meine Mom sich immer nur eines gewünscht: mich endlich auszutauschen. »Blitzmerkerin«, zischt er, während er noch immer nicht aufhört, mich beängstigend zu mustern. »Was ist dein Problem, verdammt?«, presse nun auch ich wütend hervor. Wieso zur Hölle mussten wir uns begegnen? Hätten wir nicht einfach in die jeweils andere Familie eintauchen können, ohne dass wir uns über den Weg laufen?     Mittlerweile hasse ich mich dafür, früher als geplant geflogen zu sein. Diese Unterhaltung ist so surreal, dass ich nicht einmal mit dem Kopf schütteln kann. Ich bin zu nichts mehr imstande. »Du bist mein Problem! Ich … ich habe keinen Bock mehr auf den Scheiß! Ich wollte den Austausch sowieso nie machen, aber jetzt … flieg einfach zurück nach Hause!« Ungläubig blicke ich zu ihm auf, während ich verzweifelt nach den passenden Worten suche. »Ich kann jetzt nicht einfach zurückfliegen! Ich habe kein Ticket, verdammt! Außerdem steht dieser Austausch seit Wochen fest.« Ohne mir weiter Beachtung zu schenken, kramt er in seiner Tasche herum, bis er ein Portemonnaie zückt, etliche Scheine herauszieht und sie mir in die Hand drückt. Dabei weicht er meinem Blick bewusst aus. »Flieg einfach wieder zurück, okay?«

2. Kapitel - Andrew

Ihre Augen waren viel zu grau. Viel zu nah an der Farbe, die es nur ein einziges Mal auf dieser Welt gibt. Die Farbe, die mich in ihren Bann gezogen hat, seit ich denken kann. Doch dieses Mädchen ist anders. Sie ist vollkommen anders. Das rede ich mir jedenfalls immer und immer wieder ein, seitdem ich sie einfach habe stehen lassen. Es stimmt, ich hatte seit der ersten Sekunde keinen Bock auf diesen idiotischen Austausch, auch wenn meine Mom der Meinung war, dass es mir helfen würde. Als würde mir tatsächlich jemand helfen können. Ich brauche keine Hilfe und vor allem wäre es keine, bei diesem Mädchen zu Hause in Texas zu versauern. Ganz ehrlich, wer will schon in Texas leben?     Als diese Frage durch meinen Kopf schießt, beginnen meine Augen erneut, Flüssigkeit zu produzieren. Ich heule nicht. Schließlich komme ich mit der ganzen Scheiße bestens allein zurecht. Nachdem ich sie habe stehen lassen, sah ich noch etliche Male zurück. Sie tat mir leid. Aber meine Wut war stärker als jedes Mitleid, das ich empfand. So war es schon immer und so wird es immer sein, daran wird auch Melody nichts ändern können. Melody. Sogar ihr Name klingt mir viel zu vertraut. Viel zu ähnlich. Viel zu … schwungvoll. Donnernd lasse ich meine Faust auf das Lenkrad fallen, während ich versuche, meine Wut wieder in den Griff zu bekommen. Ich weiß, was mir helfen könnte. Doch erst einmal muss ich meiner Mom erklären, dass ich nicht fliegen werde. Definitiv werde ich weder heute noch morgen oder in drei Wochen nach Texas fliegen. Diese Sache hat sich, als ich sie gesehen habe, erledigt. Ich starte den Motor und fahre quietschend aus der Parklücke heraus, während ich in meiner Hosentasche nach meinem Handy suche.      Wieso müssen wir Kerle eigentlich unser ganzes Arsenal in den Hosentaschen verstauen? Die sind doch nicht ansatzweise groß genug, verdammt! Als ich das Handy endlich aus der Tasche befreit habe, scrolle ich durch mein Telefonbuch und verweile auf ihrem Namen, entschließe mich jedoch in letzter Sekunde, jemand anderen anzurufen. Jemanden, der mich aus diesem Loch, in das ich gerade falle, bestens herausziehen kann. »Hey, Alter. Vermisst du mich jetzt schon so doll, dass du es nicht mal eine halbe Stunde ohne mich aushältst? Hör mal, ich bin gerührt, aber langsam mache ich mir echt Sorgen«, beginnt Cooper am anderen Ende der Leitung mich aufzuziehen. »Planänderung. Ich fliege nirgendwohin!«, antworte ich ihm und umklammere mein Handy so fest, dass meine Adern hervortreten. Immer wieder presse ich meinen Fuß aufs Gaspedal, damit ich nicht langsamer werde. »Was laberst du für einen Müll, Drew? Natürlich fliegst du!« Zynisch lachend schüttele ich meinen Kopf, nur um dieses Bild aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Ich muss verdammt noch mal diese Farbe aus meinem Gedächtnis streichen! »Kein Witz, Mann. Ich hab mich umentschieden. Ich bleibe«, sage ich, bewusst entspannt, damit Cooper merkt, wie ernst es mir ist. »Was soll der Scheiß? Deine Mutter wird ausrasten!« Beim Gedanken daran, wie enttäuscht Mom sein wird, verspüre ich sogar etwas Reue. Aber die Wut überlagert noch immer jedes andere Gefühl in meinem Inneren. »Sie wusste von Anfang an, dass ich keinen Bock auf den Scheiß habe. Weder auf ihre Familie noch auf diese beschissene Stadt.«     »Was ist mit Melody?«, fragt er mich und allein beim Klang ihres Namens keimt der Zorn in mir wieder so stark auf, dass ich alles um mich herum in Kleinholz verwandeln könnte. »Ich habe sie am Flughafen getroffen und ihr gesagt, dass sie nach Hause fliegen soll. Ganz einfach.«     »Ganz einfach? Du kannst sie doch nicht einfach nach Hause schicken, Mann. Was hast du gemacht? Sie da einfach sitzen lassen?« Langsam, aber sicher bemerke ich, dass Cooper alles andere als begeistert über meinen plötzlichen Sinneswandel ist. Dabei kann es ihm vollkommen egal sein, wie ich sie behandle. »Ich habe ihr Geld für das Ticket in die Hand gedrückt und ihr 'n guten Heimflug gewünscht. Keine Sorge, die kommt schon klar.« Ihr einen guten Heimflug gewünscht? Dass ich nicht lache. Vermutlich sitzt sie jetzt heulend am Flughafen und hat keine Ahnung, was sie machen soll. Doch ich darf nicht daran denken, sonst komme ich noch auf die blöde Idee zurückzufahren, um sie mitzunehmen. Und das wäre mein Untergang. »Das ist nicht zu fassen. Sag mir, wie sie aussieht, dann hol ich sie ab!« Während ich mich von meinem besten Kumpel anschnauzen lasse, rufe ich mir ihr Bild in Erinnerung. Diese Haut, die aussah, als wäre sie von der Sonne geküsst. Ihr blondes Haar, das viel zu nah an dem Blond ist, das ich liebe. »Du brauchst sie nicht abzuholen. Sie ist bestimmt schon wieder auf dem Weg zurück«, antworte ich ihm, während ich mir ihr Bild aus dem Gedächtnis schüttele. Mein Blick ist stur auf die Straße gerichtet, während ich mich darauf konzentriere, dass dieser Wagen unter mir nicht ausbricht. »Du glaubst doch nicht, dass sie so schnell einen Flieger bekommen hat. Sie ist ganz allein da, Mann. Sie kennt hier keinen, vergiss nicht, dass sie in einem völlig fremden Land auf einem beschissenen Flughafen festsitzt.«     »Sie steht das schon durch. Die Kleine wird auch ohne dich klarkommen, Cooper! Sie kommt aus Texas. Sie hatte sogar einen beschissenen Cowboyhut auf!« Natürlich weiß ich es besser. Das Äußere hat nichts mit dem Inneren eines Menschen zu tun. Melody war so still und verunsichert, dass sie das Bild, das ich von so einem Mädchen wie ihr hatte, sofort vollkommen veränderte. »Das ist dein Problem, oder? Dass sie aus Texas kommt. Du dachtest, du würdest damit fertigwerden, aber das kannst du nicht«, stellt Cooper fest und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Aber es ist mir egal, was er von mir hält. Im Hintergrund höre ich lautes Planschen im Wasser, weibliche Stimmen, die so viele Oktaven in die Höhe steigen, dass es in meinen Ohren schmerzt. Wie hält Cooper das nur ständig aus? »Ist Lily bei dir?«, frage ich ihn, ohne auf seine Bemerkung näher einzugehen. Sobald ich ihren Namen ausgesprochen habe, beruhige ich mich. Nicht, weil ich Gefühle für sie habe, sondern weil sie meine Gefühle für immer aus mir verbannt. Zumindest solange sie bei mir ist. Dieses Mädchen macht es mir unmöglich, etwas für sie zu empfinden, und genau deshalb brauche ich ihre Nähe jetzt dringender denn je. »Ja, ist sie. Soll ich dich weiterreichen?«     »Nein, sag ihr einfach, dass sie zu mir kommen soll. JETZT!«, antworte ich ihm und lege all meine Willenskraft in diese Worte. Ich muss mich wieder leer fühlen.     »Ich sags ihr. Aber jetzt nochmal zu Melody. Sag mir einfach, wie sie aussieht. Ich werde sie da garantiert nicht allein sitzen lassen!« Jetzt, da er sie wieder in mein Gedächtnis zurückruft, verpufft meine letzte Selbstbeherrschung. Ich umklammere das Handy so fest, dass es knackende Geräusche von sich gibt. »Könntest du aufhören, dich wie Mutter Teresa aufzuführen? Du kennst sie nicht mal. Lass es einfach gut sein.« Ich erreiche die offene Straße in Richtung Rocky Beach und drücke aufs Gaspedal, bis der Motor heulend aufschreit. »Und heute Abend gehen wir feiern«, setze ich noch hinterher und beende damit das Gespräch, um mich voll und ganz auf die rasende Geschwindigkeit zu konzentrieren, die mich von allem wegbringt.

    Noch immer presche ich durch die Straßen von Port Macquarie, meinem Zuhause. Wie konnte ich mich ernsthaft auch nur eine Sekunde darauf einlassen, diesen Ort zu verlassen? Ich darf ihn nicht verlassen, immerhin sind Erinnerungen mit ihm verknüpft, die nur er mir geben kann. Immer wieder schleicht Melody sich in meinen Kopf und schafft es, dass ich mich beschissen fühle. Allein schon deshalb will ich, dass ich ihre Nähe nie wieder spüren muss. Sobald ich in unsere Nachbarschaft einbiege, reduziere ich meine Geschwindigkeit und lasse die Häuser, die mir nur allzu vertraut sind, an mir vorbeiziehen.     Für mich sind sie vertraut. Für sie ist all das hier fremd. Neuland. Und doch habe ich sie einfach da sitzen lassen. Einige Dinge, die über mich im Umlauf sind, versuche ich immer abzustreiten. Aber eine Sache, die über mich erzählt wird, ist wahr. Ich bin ein Arschloch. Ein ganz gewaltiges. Und das, obwohl sie Arschlöcher gehasst hat. Vermutlich bin ich deshalb genau dazu geworden. Zu dem, was sie verabscheut. Damit es nicht mehr so verflucht wehtut.

    Sobald ich die Karre in der Garage geparkt habe, steige ich aus, schlage die Tür wütend zu und mache mich auf den Weg ins Haus. Schon jetzt kann ich das Wasser riechen, das nur wenige Meter von unserem Strandhaus entfernt ist. Am liebsten würde ich sofort, ohne mit meiner Mom zu reden, zum Strand gehen und mich von den Wellen vollkommen einnehmen lassen. Das. Ist. Alles. Was. Ich. Will. Und doch muss ich mich jetzt dem Mist stellen, den ich verzapft habe. Die Treppe unserer Veranda hinaufzusteigen fühlt sich gut und gleichzeitig falsch an. Ich habe alles durcheinandergebracht. Alle Pläne. Alles, was meine Mom mühsam versucht hat, aufzubauen. »Mom?«     Meine Stimme klingt entschlossen, aber dennoch muss ich mir größte Mühe geben, nicht sofort abzuhauen. »Andrew?« Die Stimme meiner Schwester sorgt dafür, dass ich meinen Kopf sofort in die entsprechende Richtung reiße. Ohne darüber nachzudenken, was ich jetzt tun soll, renne ich ihr entgegen und sofort wirft Amber sich in meine Arme und umklammert mich so fest, dass ich kaum noch Luft bekomme. »Was … was machst du hier?« Als ich ihr ins Gesicht sehe, bemerke ich, dass ihre Augen noch immer rot unterlaufen sind. Amber konnte den Gedanken nicht verkraften, ein Jahr lang von mir getrennt zu sein. So wie ich. Meine kleine Schwester bedeutet mir alles. Mit ihren knapp ein Meter sechzig blickt sie zu mir auf, während sie sich die Überreste ihrer Tränen aus dem Gesicht wischt. »Ich habs mir anders überlegt. Wie kann ich dich allein lassen? Nicht, dass Cooper dich noch auffrisst«, stichele ich und sehe sofort, dass ihre Augen aufblitzen, sobald ich seinen Namen ausspreche. Sie ist verknallt in ihn. So stark, dass sie jede Nacht traurige Emosongs hört, Herzchen an die Wände malt und ihn jedes Mal mit ihren Blicken auszieht, wenn er zu Besuch ist.     Cooper ist ein Blindgänger – er checkt es einfach nicht. Dabei ist Amber mit ihren sechzehn Jahren nur ein Jahr jünger als er und deutlich reifer als andere in diesem Alter. Okay, das widerspricht jetzt den Emosongs und den Herzchen, ich gebs zu. Aber in anderen, wichtigen Dingen ist sie wirklich weitaus älter, als sie es biologisch ist. »Mom wird dich umbringen, das weißt du, oder?«, fragt sie und drückt ihren Rotschopf an meine Brust. Die Brust, auf die Melody vorhin wie sabbernd gestarrt hat. Damit ich nicht wieder im Selbstmitleid versinke, hebe ich meine Schwester hoch, werfe sie auf meinen Rücken und mache mich auf in die Höhle des Löwen. Hoffentlich wird sie mich nicht kastrieren, wenn ich ihr sage, dass ich Melody einfach habe sitzen lassen. Oh doch und wie sie mich kastrieren wird. Meine Mom freut sich schon wochenlang auf dieses Mädchen, beinahe so, als hätte sie lieber noch eine Tochter, als mich. »Na und? Ich hätte es nicht verantworten können, dass du ein Jahr lang auf Coopers nackten Oberkörper verzichten musst, weil ich nicht da bin, um mit ihm surfen zu gehen. Glaub mir, du liegst ihr am Herzen. Wenn wir ihr einfach nur verklickern, dass du süchtig nach verschwitzten Cooper-Düften bist, dann wird sie das verstehen.«     »Wage es ja nicht, ihr davon zu erzählen!«, kreischt Amber, als ich sie wieder absetze und durch die Gegend wirble. »Keine Sorge, ich würde es anders ausdrücken. Sonst kann Mom wahrscheinlich nie wieder ruhig schlafen, wenn er hier ist. Und das wäre für mich genauso mies wie für dich«, sage ich lächelnd, während ich ihr eine Strähne hinter das Ohr schiebe, die sich aus ihrem Dutt gelöst hat. Seit sie geboren ist, habe ich keinen Menschen getroffen, der mir so viel bedeutet wie sie. Okay, das ist gelogen, aber wenn ich es mir selbst lange genug einrede, dann werde ich vielleicht eines Tages wirklich daran glauben. »Kommt Cooper heut vorbei? Jetzt, wo du hierbleibst, wollt ihr euch doch bestimmt in die Wellen stürzen«, sagt Amber verführerisch und ich sehe, dass sie in dieser Sekunde wieder zu dem dreizehnjährigen Mädchen mutiert, das sabbernd vor dem Backstreet-Boys-Poster in ihrem Zimmer sitzt und Brian anschmachtet. Damals habe ich sie damit immer aufgezogen und auch jetzt verliert diese Angelegenheit nicht ihren Reiz.     »Andrew?« Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus dem Gespräch mit meiner Schwester, die mich nur verängstigt ansieht. Schnell drehe ich mich um und blicke in das schockierte Gesicht von Miranda McCaw. Und glaubt mir, das Gesicht gleicht in diesem Fall einem Serienmörder aus einem schlechten Achtziger-Jahre-Horrorfilm. Unsicher lasse ich meinen Blick an mir hinabwandern, um mich schon mal von meinem besten Stück zu verabschieden.     »Hey, Mom«, begrüße ich sie, als ich meinen Blick wieder nach oben gleiten lasse und sehe, wie sie mit verschränkten Armen dasteht. »Was zur Hölle machst du hier? Du solltest schon längst im Flieger sitzen! Ich muss gleich Melody abholen!« Nervös trete ich von einem Bein aufs andere und gehe ihr ein Stück entgegen. Sicherheitshalber ziehe ich Amber hinterher, damit meine Mom nicht auf doofe Gedanken kommt. Die Kastration wird sie doch wohl nicht vor den unschuldigen Augen ihrer eigenen Tochter durchführen. Oder doch?     »Du brauchst sie nicht abzuholen. Ich habe keine Lust auf den Kram, Mom. Du wusstest es von Anfang an. Es tut mir leid, dass ich deine kostbaren Pläne durcheinanderbringe, aber ich muss einfach hierbleiben und auf Amber aufpassen. Außerdem muss ich besser werden – die Wellen in Texas sind dafür bekannt, nicht existent zu sein«, beginne ich mein Fehlverhalten in ein positives Licht zu rücken. Irgendwie muss ich es ihr erklären, ohne den wahren Grund zu verraten. »Das kannst du unmöglich ernst meinen, Andrew! Wir hatten das wochenlang ausdiskutiert und du hast dich dafür entschieden, mitzumachen! Und was ist mit Melody? Es geht hier nicht nur um dich, Andrew!« Ihre Worte sind schneidend, und wenn ich noch fünf Jahre jünger wäre, dann würde ich spätestens jetzt in Tränen ausbrechen. »Ich habe sie am Flughafen getroffen und ihr gesagt, dass sie wieder nach Hause fliegen kann. Keine Sorge, ich habe ihr das Geld fürs Ticket gegeben. Sie hatte auch nicht sonderlich Bock auf all das hier.« Sobald diese Worte meinen Mund verlassen haben, bekomme ich Panik. Meine Mutter konnte schon immer diesen teuflischen Blick aufsetzen, aber jetzt scheinen ihre Augen beinahe zu glühen – vor Wut. Gleich zerscheppert sie etwas. Ganz sicher. Amber krallt sich währenddessen an meinem Arm fest und ich ziehe sie noch ein Stück näher an mich heran.     »Das hast du nicht gesagt, oder? Verdammt noch mal, was ist dein Problem? Du kannst sie nicht einfach wieder zurückschicken! Und vor allem kannst du sie nicht einfach alleine in einem völlig fremden Land auf dem Flughafen sitzen lassen! Ich kann es vielleicht noch verstehen, dass du nicht fliegen wolltest, aber dieses Verhalten ist unter aller Sau! Das Mädchen kann nichts dafür, dass du dich nicht entscheiden kannst!« Natürlich kann sie nichts dafür. Und dennoch gebe ich ihr in jeder einzelnen Sekunde die Schuld an meiner Misere. Obwohl ich weiß, dass es unfair ist. Das Leben war mir gegenüber auch nie fair, also scheiß auf Fairness! Meine Mom geht an mir vorbei, ohne mich anzusehen. Sekunden später hat sie ihren Korb auf dem Tisch abgestellt, sich ihre Schlüssel geschnappt und macht sich auf den Weg zur Veranda.      »Was machst du, Mom?«, fragen Amber und ich wie im Chor und können ein Lachen nicht unterdrücken.     »Ich hole Melody vom Flughafen ab! Und, Andrew, das wird noch Konsequenzen haben!« Mein Lachen wird im Keim erstickt. Sie wird sie mit nach Hause bringen. Alles bricht in dieser Sekunde in mir zusammen. Die Konsequenzen haben bereits begonnen, als ich dieses Haus betreten habe. Einen Augenaufschlag später ist meine Mom verschwunden. Zu meinem Glück höre ich schon einen Moment später klackende Absätze auf der Veranda, die mich wieder in die Realität zerren. Lily erscheint im Wohnbereich, mit einem so kurzen Rock, dass ich es kaum schaffe, meine Augen von ihren nackten Beinen zu lassen. Ihre braunen Haare sind noch vom Wasser feucht und Tropfen davon perlen auf ihr sonnengebräuntes Dekolleté herab, das sie mir genüsslich präsentiert, als sie näher kommt. »Hey, Babe«, schnurrt sie, während sie mir einen Kuss auf den Mund presst, der mir beinahe den Atem raubt. Nicht, weil er mich anturnt, sondern weil sie auch nach einer gefühlten Ewigkeit nicht von mir ablässt. »Oh Gott, ich gehe kotzen«, sagt Amber würgend und verkriecht sich nach oben in ihr Zimmer. Sofort greife ich Lilys Hand und zerre sie ebenfalls nach oben - in mein Zimmer. Weg von all dem, was mich heimsucht.

3. Kapitel - Melody