Millionäre von Manhattan - Schnonungslos sexy! (8-teilige Serie) - Andrea Laurence - E-Book
SONDERANGEBOT

Millionäre von Manhattan - Schnonungslos sexy! (8-teilige Serie) E-Book

Andrea Laurence

0,0
7,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 12,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

VERLOBT MIT EINEM MILLIONÄR?
"Wach auf, Cynthia!” Langsam öffnet sie die Augen. An ihrem Krankenhausbett sitzt ein fantastisch aussehender Mann, der sie besorgt anschaut. Er behauptet, ihr Verlobter zu sein: Sie, verlobt mit Medienmogul Will Taylor? Warum kann sie sich an nichts erinnern - nicht mal an die letzten Moment vor dem Flugzeugabsturz und auch nicht an ihren eigenen Namen, der ihr seltsam fremd vorkommt? Aber zumindest weckt Wills Kuss in ihr Wärme, Zuversicht - und Verlangen ...

NIE MEHR ALS HEIßE LEIDENSCHAFT
Lustvoll, kurz - und völlig unverbindlich: so stellt sich der überzeugte Junggeselle Alex Stanton die ideale Beziehung vor. Und die süße, sexy Gwen, die er auf einer Hochzeit trifft, scheint die perfekte Frau dafür. Dumm nur, dass ausgerechnet Alex nach zwei Wochen voller Spaß und Sex noch nicht genug hat. Gwen geht ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf ...

HEIßE NÄCHTE MIT DEM MILLIARDÄR
Verlangen, unbezwingbare Sehnsucht - und Angst: Die widersprüchlichsten Gefühle stürmen auf Sabine ein. Denn vor ihrer Tür steht unvermittelt Gavin Brooks! Vor drei Jahren hatte sie eine heiße Affäre mit dem attraktiven New Yorker Milliardär, bis sie sich von ihm trennte. Ihre Welten waren so unterschiedlich, dass Sabine einfach nicht an ein Happy End glauben konnte, auch wenn sie die Nächte mit Gavin nie vergessen hat ...

WIE WIDERSTEHT MAN EINEM MILLIARDÄR?
Eine Verwechslung in der Klinik sorgt für schreckliches Chaos in Claires Leben: Der Vater ihrer kleinen Tochter ist nicht ihr verstorbener Ehemann. Sondern der arrogante Milliardär Luca Moretti - dessen Rechtsanwalt knallhart verhandelt: Einen Monat lang muss Claire mit Luca ein Strandhaus teilen, damit er seine Tochter kennenlernt. Und dabei lässt Luca keine Gelegenheit aus, heiß mit Claire zu flirten!

DER MILLIARDÄR HINTER DER MASKE
Ihre Wangen glühen rot, wenn Emma an die hemmungslose Nacht mit dem maskierten Fremden denkt. Schuld war nur der Tequila auf der Faschingsparty. Wie gut, dass der Maskierte ihren Namen nicht kennt, und sie auch nicht seinen. Doch als sie den Auftrag für die Buchprüfung im Unternehmen des berüchtigten Milliardärs Jonah Flynn erhält, fällt sie aus allen Wolken: Er war der Mann mit der Maske!

DIE SCHÖNSTE VERSUCHUNG VON MANHATTAN

Millionärin über Nacht! Lucy kann kaum glauben, dass sie das gesamte Vermögen ihrer großmütterlichen Freundin Alice erben soll. Und prompt hat sie mit Oliver Drake zu kämpfen, Alices arrogantem Neffen. Allen Ernstes unterstellt ihr der reiche CEO, auf das Vermögen seiner Tante spekuliert zu haben. So eine Frechheit! Als ihr umwerfend attraktiver Feind trotzdem mit ihr flirtet und sie im Lichterglanz von Manhattan heiß küsst, versteht Lucy überhaupt nichts mehr ...

VERLANGEN, DAS MAN NIE VERGISST
Bei einer Charity-Veranstaltung trifft Aidan die sexy Unbekannte wieder, mit der er vor über einem Jahr ein unvergesslich leidenschaftliches Wochenende verbracht hat. Sofort ist die erregende Anziehung wieder da. Doch Violet behauptet, ihn nicht zu kennen! Oder spielt sie ihren Gedächtnisverlust nur? Dass Aidan der Vater ihres Babys ist, ist unübersehbar ...

RENDEZVOUS IM HIMMELBETT
Auf keinen Fall will Harper allein zur Hochzeit ihrer Freunde fliegen und deren Mitleid spüren! Kurzerhand bittet sie einen umwerfend attraktiven Fremden, sie zu begleiten - und Sebastian West sagt tatsächlich Ja. Aber in dem irischen Schlosshotel, wo sie ein weiches Himmelbett teilen müssen, kommen Harper Zweifel. Dieses falsche Spiel fühlt sich so gut und so echt an! Und die Entscheidung zwischen Lust und Verstand ist nicht ihr einziges Problem ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 1600

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Andrea Laurence

Millionäre von Manhattan - Schnonungslos sexy! (8-teilige Serie)

IMPRESSUM

BACCARA erscheint in der Harlequin Enterprises GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: 040/60 09 09-361 Fax: 040/60 09 09-469 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Thomas BeckmannRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Christel BorgesGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2012 by Andrea Laurence Originaltitel: „What Lies Beneath“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto in der Reihe: DESIRE Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BACCARABand 1847 - 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg Übersetzung: Peter Müller

Abbildungen: Harlequin Books S.A., alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2014 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733720810

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

Alles über Roman-Neuheiten, Spar-Aktionen, Lesetipps und Gutscheine erhalten Sie in unserem CORA-Shop www.cora.de

Werden Sie Fan vom CORA Verlag auf Facebook.

PROLOG

„Diese Fluglinie nehme ich nie wieder, das schwöre ich Ihnen! Teuer und inkompetent! Eine Unverschämtheit!“

Die Stimme der aufgebrachten Passagierin war das Erste, was Adrienne hörte, als sie ins Flugzeug stieg. Heute haben anscheinend alle schlechte Laune, dachte sie. Wobei ich für mein Stimmungstief niemand anderen verantwortlich machen kann. Ich kehre als Versagerin nach Hause zurück, und das ist ganz allein meine Schuld.

Ihre Tante hatte es ihr von Anfang an gesagt: Es sei eine dumme und geradezu verantwortungslose Idee, mit dem Geld aus der Lebensversicherung ihres Vaters eine Modedesignfirma in Manhattan aufbauen zu wollen. „In spätestens einem Jahr bist du pleite und kommst nach Milwaukee zurückgekrochen“, hatte sie ihr prophezeit.

Immerhin hatte Adrienne fast drei Jahre durchgehalten. Sie war nicht ganz erfolglos gewesen, hatte auch ein paar Stammkunden gewonnen, aber letzten Endes hatten sie die Kosten aufgefressen. Alles in New York City war teuer, und der große Durchbruch, den sie gebraucht hätte, war ihr verwehrt geblieben.

Adrienne blickte auf ihre Bordkarte. Platz 14 B. Als sie sich der Reihe näherte, musste sie zu ihrem Leidwesen feststellen, dass ausgerechnet die Frau, die sich eben so aufgeregt hatte, ihre Sitznachbarin war. Inzwischen schien sie sich zwar etwas beruhigt zu haben, aber besonders zufrieden sah sie immer noch nicht aus. Adrienne verstaute ihre Tasche in der Gepäckablage und setzte sich auf ihren Platz, wobei sie jeden Blickkontakt mit der Frau vermied.

„Ich glaub’s einfach nicht! Da werfen die mich für eine Reisegruppe von japanischen Geschäftsleuten aus der ersten Klasse und quetschen mich in so einen miesen Fenstersitz. Ich kann kaum meine Arme bewegen.“

Oje, das könnten die längsten zwei Stunden meines Lebens werden, dachte Adrienne verzweifelt. „Würden Sie vielleicht gerne die Plätze tauschen?“, fragte sie hilfsbereit. Etwas Freundlichkeit wirkte ja manchmal Wunder.

Und so war es tatsächlich auch in diesem Fall. „Oh, das ist wirklich nett von Ihnen“, erwiderte die Frau und strahlte. Sie sieht gut aus, dachte Adrienne. Schöne Augen, volle Lippen, perfekte Zähne. Ihre Gesichtszüge erinnern mich sogar ein bisschen an meine Mutter. Wenn ich eine attraktive ältere Schwester hätte, würde sie wahrscheinlich so aussehen.

Modegeschmack hatte die Fremde obendrein. Sie trug nur das Beste vom Besten und Teuerste vom Teuersten.

Fast wurde Adrienne ein wenig eifersüchtig. Irgendwie wäre es passender gewesen, wenn diese Frau – und nicht Adrienne – die einzige Tochter der wunderschönen und legendären Miriam Lockhart gewesen wäre. Die Modeleidenschaft und das Designertalent ihrer Mutter hatte sie zwar geerbt, aber rein äußerlich kam sie mehr nach ihrem Vater, vor allem, was das widerspenstige Haar und die wenig ebenmäßigen Zähne anging. Für eine teure Behandlung beim Kieferorthopäden hatte ihr leider bisher immer das Geld gefehlt.

Adrienne löste ihren Gurt und trat auf den Gang, damit sie die Plätze tauschen konnten. Ihr machte es nichts aus, am Fenster zu sitzen, ganz im Gegenteil. So durfte sie noch einen Abschiedsblick auf New York werfen und beobachten, wie es unter ihr verschwand – genau wie ihre Träume.

„Ich heiße übrigens Cynthia Dempsey“, sagte die Frau, als sie sich auf ihren Platz setzte.

Adrienne lächelte sie freundlich an und hoffte, ihre Zähne würden dabei nicht unangenehm auffallen. „Und ich bin Adrienne Lockhart.“

„Ein schöner Name. Der hat was. Würde sich gut auf einer Plakatwand am Times Square machen.“

Oder auf dem Aufnäher eines Modelabels, dachte Adrienne. „Vielen Dank. Aber ich glaube, ich bin nicht so fürs Rampenlicht geschaffen.“

Die Frau machte es sich auf ihrem Platz bequem, und während das Flugzeug auf die Startbahn rollte, nestelte sie an ihrem Verlobungsring, der mit einem großen Diamanten verziert war. Er schien zu groß für ihre schlanken Finger zu sein.

„Oh, wollen Sie heiraten?“, fragte Adrienne.

„Ja“, erwiderte Cynthia und seufzte leise. Sie wirkte nicht besonders glücklich, eher innerlich unbeteiligt. „Im Mai heirate ich Will Taylor den Dritten. Seiner Familie gehört der Daily Observer. Die Hochzeit soll im Plaza-Hotel stattfinden.“

Geldadel vom Feinsten. Adrienne saß direkt neben der Frau, trotzdem fühlte sie sich meilenweit von ihr entfernt. Ihre Hochzeit allein würde vermutlich ein Vermögen kosten. Mode war wahrscheinlich das einzige Gesprächsthema, das sie gemeinsam hatten.

„Wer entwirft Ihr Hochzeitskleid?“, fragte Adrienne.

„Badgley Mischka.“

„Oh, die machen tolle Sachen. Als ich auf dem College war, habe ich sogar mal ein Praktikum bei denen gemacht. Mein eigenes Interesse liegt allerdings mehr bei tragbarer Alltagsmode. Für die moderne Frau, die im Berufsleben steht.“

„Ach, kommen Sie aus der Modebranche?“

Adrienne schlug die Augen nieder. „Wenn man so will … ja, gewissermaßen. Ich hatte in SoHo eine kleine Boutique mit selbst geschneiderten Sachen. Aber ich musste das Geschäft jetzt schließen.“

„Könnte es sein, dass ich Ihre Kreationen mal irgendwo gesehen habe?“

„Wohl eher nicht“, erwiderte Adrienne und zeigte auf ihre Bluse in Grau und Pink mit dem ungewöhnlich bestickten Kragen. „Und weil ich das Geschäft geschlossen habe, ist das wohl Ihre letzte Chance, eine Bluse im Adrienne-Lockhart-Design zu sehen.“

„Schade eigentlich“, erwiderte Cynthia stirnrunzelnd. „Das Teil gefällt mir richtig gut, und meine Freundinnen würden es auch mögen. Vielleicht hätten wir alle mal öfter nach Downtown gehen sollen.“

Drei Jahre lang hatte sich Adrienne abgestrampelt, um ihre Kreationen bekannter zu machen. Hatte Fotos und Arbeitsmuster an Modeschöpfer und Zeitschriften geschickt – immer in der Hoffnung, entdeckt zu werden. Doch ohne Erfolg. Und gerade jetzt, wo sie den Laden dichtgemacht hatte und nach Hause zurückkehrte, lernte sie jemanden mit Beziehungen kennen!

„Ladies und Gentlemen, wir starten in wenigen Sekunden.“

Adrienne lehnte sich zurück und kniff angespannt die Augen zusammen. Sie hasste das Fliegen. Besonders die Starts und Landungen machten ihr schwer zu schaffen. Jedes Mal rief sie sich ins Gedächtnis, dass Taxifahren viel gefährlicher war als Fliegen – doch es nützte nichts.

Die Motoren röhrten auf. Adrienne öffnete ihre Augen und sah, wie Cynthia nervös an ihrem Verlobungsring nestelte. Auch sie flog offenbar ungern.

Als das Flugzeug abhob, ging ein Rütteln durch die Maschine. Cynthias Ellenbogen rutschte von der Armlehne, und in diesem Moment flog ihr der Ring vom Finger. Er landete auf dem Boden und rollte zwischen die Sitzreihen.

„Verflixt“, schimpfte Cynthia und sah sich Hilfe suchend um. Dass das ausgerechnet jetzt passieren musste!

Adrienne wollte gerade etwas Beruhigendes sagen, als ein lauter Knall ertönte. Das gesamte Flugzeug bebte. Voller Panik sah Adrienne aus dem Fenster. Die Maschine war ja nach dem Start noch nicht besonders hoch gekommen – und jetzt schien sie schon wieder abwärts zu rauschen!

Voller Panik krallte sie sich an der Armlehne fest und schloss einen Moment lang die Augen. Angstvolle Schreie ertönten. Mit zitternder Stimme kündigte der Pilot über den Bordlautsprecher eine Notlandung an. Adrienne wünschte, sie hätte der Sicherheitsunterweisung der Stewardess besser zugehört, statt sich mit Cynthia zu unterhalten. Gute Kontakte würden ihr nichts mehr nützen, wenn sie tot war.

Zum Glück konnte sie sich noch von früher einigermaßen daran erinnern, was in so einer Situation zu tun war. Sie beugte sich nach vorne, positionierte ihren Kopf zwischen den Knien und umschlang die Beine mit den Armen. Wieder ertönte ein Knall, diesmal noch lauter als zuvor, die Lichter im Passagierraum erloschen, das Flugzeug schlingerte.

Jetzt half nur noch Beten …

1. KAPITEL

Vier Wochen später

„Cynthia?“

Wie durch dichten Nebel drang die Stimme zu ihr. Eigentlich wollte sie nur schlafen, wieder in das wohlige Nirgendwo sinken, wo nichts schmerzte. Doch die Stimme ertönte erneut, fordernder, drängender.

„Cynthia! Will ist hier.“

Sie kämpfte gegen die bleierne Müdigkeit an. Irgendwie war es komisch zu hören, wie jemand sie mit diesem Namen ansprach. Ungewohnt und fremdartig.

„Vielleicht sollte ich lieber später noch mal wiederkommen. Sie braucht ihre Ruhe.“ Die tiefe Männerstimme hatte wie immer eine belebende Wirkung auf sie. Ihr Körper reagierte, wurde wacher.

„Nein, nein, sie dämmert ja nur ein wenig vor sich hin. Die Ärzte sagen, es tut ihr gut, wenn sie sich ein bisschen mehr bewegt und Gespräche führt.“

„Was soll das bringen? Sie erkennt uns ja doch nicht.“

„Aber sie sagen, ihre Erinnerungen könnten jederzeit zurückkommen“, widersprach die Frau etwas verärgert. „Wenn wir mit ihr reden, helfen wir ihr am meisten. Ich weiß, es ist schwierig, aber wir müssen uns Mühe geben. Cynthia, meine Liebe, bitte wach auf.“

Es kostete sie einige Überwindung, die Augen zu öffnen, und es dauerte einen Augenblick, bis sie alles wieder deutlich sah. Die Deckenbeleuchtung im Krankenzimmer. Das Gesicht der älteren Frau über ihr. Wer war sie noch gleich? Angestrengt dachte sie nach. Man hatte ihr gesagt, sie sei ihre Mutter, Pauline Dempsey. Was für ein beunruhigendes Gefühl, wenn man nicht einmal die eigene Mutter wiedererkannte, die Frau, die einem das Leben geschenkt hatte! Es war schon beängstigend, unter Amnesie zu leiden …

„Will ist hier, Liebling.“

Pauline betätigte einen Knopf, und leise brummend fuhr das Kopfende des Bettes hoch.

Jetzt konnte sie Will besser sehen. Er saß am Fußende. Und er war ihr Verlobter, hatte man ihr gesagt. Irgendwie konnte sie das kaum glauben, wenn sie diesen attraktiven, gut gekleideten Mann sah. Er trug sein brünettes Haar kurz, seine Gesichtszüge waren ebenmäßig und wirkten fast aristokratisch. Er hatte blaue Augen, aber sie hätte nicht sagen können, welcher Blauton es war. Sie vermied es, ihn länger als nötig anzusehen. Irgendwie empfand sie das nicht gerade als angenehm. Vielleicht, weil sie in seinen Blicken tiefere Gefühle vermisste. Oder weil er sie stets so überaus skeptisch musterte.

Ihr Gehirn war wie leergepustet, sie wusste so gut wie nichts, aber eines war ihr in den vergangenen Wochen bewusst geworden: Ihr Verlobter schien sie kein bisschen zu mögen. Stets hielt er sich im Hintergrund. Und wenn er nicht gerade heimlich über ihr Verhalten den Kopf schüttelte, schienen sie und ihr Zustand ihm völlig egal zu sein.

Dieser Gedanke machte sie so traurig, dass sie am liebsten geweint hätte. Aber das wagte sie nicht, denn wenn sie sich erregte, kamen sofort die Krankenschwestern herbeigeeilt und gaben ihr etwas zur Beruhigung. Und dann fühlte sie sich immer wie betäubt.

Statt Wills Augen fixierte sie jetzt lieber seine Kleidung. Das tat sie überhaupt gerne – genau studieren, wie die Menschen, die sie besuchten, sich kleideten. Will trug einen Anzug, wie gewöhnlich. Einen dunkelblauen Zweireiher, dazu ein blaues Hemd und eine Krawatte mit Diamantmuster. Will war Herausgeber einer Zeitung und konnte sie nur während der Mittagspause oder nach Feierabend besuchen – wenn er nicht gerade ein Meeting hatte. Und er hatte jede Menge Meetings. Zumindest behauptete er das.

„Hallo, Will“, brachte sie mühsam hervor. Das Sprechen fiel ihr immer noch schwer. Sie war mehrfach am Gesicht operiert worden, durch das Unglück hatte sie unter anderem alle ihre Vorderzähne verloren. Man hatte ihr neue implantiert, aber die fühlten sich fremd in ihrem Mund an. Auch klang sie sicher merkwürdig, weil durch den Qualm und die Hitze im Flugzeug ihre Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen worden waren.

„Dann lasse ich euch beiden Hübschen mal einen Augenblick allein“, sagte Pauline. „Soll ich dir nachher einen Kaffee aus der Cafeteria mitbringen, Will?“

„Danke für das Angebot, aber nein, danke.“

Ihre Mutter verließ das geräumige Krankenzimmer, das speziell für VIP-Patienten reserviert war. Cynthia durfte hier sein, weil ihre Familie dem Krankenhaus vor ein paar Jahren eine überaus großzügige Spende hatte zukommen lassen. Das hatte man ihr jedenfalls erzählt.

„Und, wie fühlst du dich heute, Cynthia?“

Die Frage war gar nicht so leicht zu beantworten. Ihr Gesicht pochte noch, und der gebrochene Arm juckte unter dem Gips, aber insgesamt ging es ihr gar nicht mal so schlecht. Wenn sie bedachte, wie schlimm die Schmerzen gewesen waren, als sie zum ersten Mal hier im Krankenhaus erwacht war … Alles, wirklich alles hatte ihr wehgetan. Ihr Gesicht war so stark angeschwollen gewesen, dass sie kaum die Augen hatte öffnen können. Ja, sie hatte in den vergangenen Wochen schon einiges erreicht. „Ach, eigentlich fühle ich mich ganz gut. Und wie geht’s dir?“

Will runzelte die Stirn und zwang sich zu einem Lächeln. „Mir geht’s prima. Viel zu tun, wie immer.“

„Du siehst aber ganz schön erschöpft aus.“ Das tat er wirklich. Sie wusste ja nicht, wie er sonst so aussah, aber seine Augenränder schienen mit jedem Besuch bei ihr dunkler und tiefer zu werden. „Kannst du nachts gut schlafen?“

Er dachte einen Augenblick nach, dann zuckte er mit den Schultern. „Nicht so sehr. Es war ein ziemlich stressiger Monat.“

„Vielleicht brauchst du mal eine Dröhnung von dem Zeug hier“, sagte sie und wies mit einem Kopfnicken auf die Infusions­flasche, die über einen Schlauch mit ihrem Arm verbunden war. „Wenn man das in den Adern hat, schläft man sechzehn Stunden durch wie ein Baby, ob man will oder nicht.“

Will schmunzelte, und diesmal wirkte es echt. Das freute sie. Ich würde ihn auch gerne mal lachen hören, ging es ihr durch den Kopf. Sein Lachen klingt bestimmt sexy.

Insgesamt strahlte er eine Sinnlichkeit aus, die selbstbewusst wirkte, und nicht einmal durch die sterile Krankenhausatmosphäre gedämpft wurde.

„Eine ordentliche Ladung Infusionslösung, hört sich verlockend an.“ Er blickte zu Boden und schien sich unwohl zu fühlen.

Sie wusste nie, was sie zu ihm sagen sollte. Sie bekam ja recht häufig Besuch, von Freunden und Verwandten, von lauter Menschen, an die sie sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Aber keine Gespräche waren so anstrengend, so beklemmend und peinlich wie die mit Will.

Sie hatte gehofft, es würde sich im Laufe der Zeit bessern, doch das war nicht der Fall. Je netter sie zu ihm war, desto mehr schien er sich zurückzuziehen – gerade so, als könnte er es gar nicht fassen, dass sie freundlich zu ihm war.

„Ich habe etwas für dich“, sagte er plötzlich.

Überrascht richtete sie sich im Bett auf. „Oh, wirklich?“

Am Anfang hatte sie all die Geschenke, Blumensträuße und Luftballons kaum zählen können. Sie waren nicht nur von Bekannten gekommen, sondern sogar von wildfremden Menschen, die Berichte über das Flugzeugunglück im Fernsehen gesehen hatten. Sie war eine von nur drei Personen, welche die Katastrophe überlebt hatten.

Will griff in seine Hosentasche und zog eine kleine Schmuckschatulle hervor. „Die Fluggesellschaft hat mich angerufen. Man hat unter all den Trümmern noch etwas gefunden, was man dir zuordnen konnte.“

Er öffnete das Kästchen. Ein Ring mit einem riesigen Diamanten lag darin. Halb wollte sie glauben, dass es sich nur um Modeschmuck handelte, aber sie hatte ja gesehen, was ihre Verwandtschaft so an Ringen und Ketten trug, und daher wusste sie, dass er echt sein musste.

„Der ist wunderschön“, stellte sie fest.

Will zog die Stirn in Falten. Ihre Reaktion schien ihn zu befremden. „Cynthia … das ist dein Verlobungsring.“

Fast hätte sie gelacht, aber dann sah sie seinen todernsten Gesichtsausdruck. Es erschien ihr unvorstellbar, etwas derart Kostbares zu besitzen. „Mein Verlobungsring …?“ Sie sah zu, wie Will das teure Stück auf den Ringfinger ihrer linken Hand steckte. Er saß ein wenig eng, aber die Finger waren auch noch angeschwollen.

Je länger sie den Ring an ihrer Hand betrachtete, desto bekannter schien er ihr vorzukommen. „Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass ich ihn schon mal gesehen habe“, sagte sie stolz. Die Ärzte hatten sie ermutigt, jedes Mal zu berichten, wenn ihr etwas bekannt vorkam.

„Das ist schön. Ich habe ihn reinigen und durchchecken lassen, ob auch nichts locker ist. Es wundert mich nicht, dass er dir bei dem Unglück vom Finger gerutscht ist – nachdem du für die Hochzeit so streng Diät gehalten hast.“

„Und jetzt ist er zu eng, und ich sehe aus wie die Verliererin eines Boxkampfes“, beklagte sie sich.

„Mach dir keine Sorgen, wir haben jede Menge Zeit“, beruhigte er sie. „Es ist ja erst Oktober. Bis zum Mai ist es noch lange hin. Bis dahin bist du garantiert wie neu.“

„Hochzeit im Mai … im Plaza-Hotel“, murmelte sie. Sie wusste nicht, warum, aber daran erinnerte sie sich.

„Siehst du, dein Gedächtnis kommt allmählich zurück“, sagte er lächelnd. Es war ein mechanisches Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. Er erhob sich und steckte die leere Schmuckschatulle wieder in die Tasche. „Ich treffe mich heute Abend mit Alex zum Essen, deshalb muss ich langsam los.“

Sie erinnerte sich an Alex, weil er ihr in der Vorwoche einen Krankenbesuch abgestattet hatte. Er war ein alter Schulfreund von Will – und ein Charmeur. Obwohl sie im Krankenbett ziemlich ramponiert aussah, hatte er ihr geschmeichelt, wie schön sie sei, und dass er sie sofort heiraten würde, wenn sie nicht Wills Verlobte wäre. Natürlich war das nur dummes Gerede, aber sie wusste es trotzdem zu schätzen. „Dann wünsche ich euch beiden viel Spaß und guten Appetit. Bei uns hier im Krankenhaus gibt’s heute Abend Gummiadler mit Reis, glaube ich.“

Will lächelte. „Bis morgen dann.“ Er ergriff ihre Hand und tätschelte sie.

Kaum hatte er sie berührt, durchrieselte es sie wohlig. Die dumpfen Schmerzen, die sie trotz der Medikamente spürte, waren sie weggeblasen. Unwillkürlich griff sie nach seiner Hand, um die Verbindung nicht abreißen zu lassen.

Ja, seine Berührungen waren wirksamer als Morphium – oder was auch immer man ihr in die Adern träufelte. Das hatte sie schon gemerkt, als er ihr zum ersten Mal ganz behutsam den Handrücken geküsst hatte. Auch wenn sie sich nicht an ihn erinnern konnte … Bei jedem Körperkontakt, und war er auch noch so flüchtig, spürte sie eine große beruhigende Vertrautheit.

Umso mehr betrübte es sie, dass er sie – geplante Heirat hin oder her – gar nicht wirklich zu mögen schien.

Überrascht blickte Will erst auf seine Hand, dann auf sie. Hatte er die Berührung als ebenso überwältigend empfunden? Fast erschrocken zog er den Arm zurück und stand auf.

„Gute Nacht, Cynthia“, sagte er noch. Dann ging er.

Nun lag sie allein in ihrem tristen Krankenzimmer. Und fühlte sich entsetzlich einsam und verlassen.

Alex saß Will gegenüber und nippte still an seinem Drink. Das gesamte Essen über hatte er noch nicht viel gesagt, aber genau das mochte Will ja an dieser Freundschaft – dass sie auch mal gemeinsam schweigen konnten. Obendrein verstand Alex, dass es für Will eine schwere Zeit war.

Will hatte Alex zum Essen eingeladen, weil er den Rat von jemandem brauchte, der ihm nicht nach dem Mund redete. Die meisten Menschen sagten ihm nur, was er hören wollte. Alex hingegen war einer der wenigen aus Wills Bekanntenkreis, der noch mehr Geld hatte als er selbst, und sich ihm gegenüber deshalb ganz unbefangen benahm. Weil er so ein berüchtigter Playboy war, hätte Will sich normalerweise nicht für einen Rat in Liebesdingen an ihn gewandt – aber immerhin würde er schonungslos offen sein, was Cynthia anging.

Ja, Wills Beziehung zu Cynthia war mehr als kompliziert. Vor ein paar Wochen hatte er noch gedacht, schlimmer könnte es gar nicht mehr werden. Und jetzt …

„Wie geht es Cynthia?“, fragte Alex schließlich.

„Schon viel besser. Die Wunden und Verletzungen heilen gut. Allerdings erinnert sie sich immer noch an nichts.“

„Auch nicht an euren großen Krach?“

„Vor allem nicht an den großen Krach“, antwortete Will seufzend.

Bevor Cynthia nach Chicago aufgebrochen war, hatte Will sie mit Beweisen konfrontiert, dass sie ihn betrogen hatte – und die Verlobung gelöst. Sie hatte gemeint, sie beide sollten alles in Ruhe durchsprechen, wenn sie zurück war, aber daran hatte er kein Interesse gehabt. Für ihn war die Sache erledigt gewesen.

Doch dann, während er gerade in einer Besprechung mit seinem Makler gewesen war, hatte ihn der Anruf erreicht, dass das Flugzeug mit Cynthia an Bord abgestürzt war. Als sich herausgestellt hatte, dass sie nicht mehr wusste, wer sie war, hatte er sich entsetzlich ratlos gefühlt. Die Trennung aufrechtzuerhalten, das wäre ihm in dieser Situation grausam und unmenschlich vorgekommen. Nein, er musste ihr zur Seite stehen, bis sie wieder auf den Beinen war – aber dann würde er sie verlassen, wie ursprünglich geplant.

So hatte er es bis vor Kurzem jedenfalls vorgehabt. Doch jetzt … jetzt war er verwirrt. Deshalb hatte er Alex zum Essen eingeladen. Der sollte ihm helfen, die Situation einzuschätzen, bevor er vielleicht etwas Falsches tat.

„Hast du ihr das mit der Trennung denn noch nicht gesagt? Oder vielmehr – noch mal gesagt?“

„Nein, habe ich nicht. Ich wollte damit warten, bis sie aus dem Krankenhaus entlassen wird. In ihrem Zimmer sind wir nur selten allein, und ich will nicht, dass ihre Eltern sich da einmischen. Außerdem habe ich es noch nicht übers Herz gebracht.“

„Dann ist sie also noch nicht wieder das eiskalte Biest, das wir alle so lieben und schätzen?“

Will schüttelte den Kopf. Wenn es so wäre – das würde ihm vieles leichter machen. Dann könnte er sie nach ihrer Genesung ohne jegliches Schuldgefühl verlassen. Aber seit dem Unglück war sie irgendwie … eine ganz andere Frau.

Im Stillen hatte er stets damit gerechnet, dass sie sich wie die alte Cynthia verhalten würde, dass sie schimpfen und meckern und das Krankenhauspersonal herumscheuchen würde. Aber keine Spur davon! Ursprünglich hatte er sie nur aus Pflichtgefühl besucht, doch allmählich freute er sich geradezu darauf, täglich ein bisschen mehr. „Es ist, als ob Aliens sie entführt und gegen eine andere Person ausgetauscht hätten.“

„Ja, ich muss auch sagen, als ich sie letztens besucht habe, war sie recht angenehm“, berichtete Alex. „Freundlich und kein bisschen bissig.“

„Ich weiß. Ich kann’s ja selbst kaum glauben, wenn ich sie sehe. Sie fragt die Leute freundlich, wie es ihnen geht, und bedankt sich artig selbst für die kleinsten Aufmerksamkeiten. Sie zeigt so viel Herzenswärme – ganz anders als die Frau, der ich den Laufpass gegeben habe.“

Alex runzelte die Stirn. „Du schmunzelst sogar versonnen vor dich hin, wenn du über sie sprichst“, stellte er fest. „Da hat sich was verändert. Du magst sie auf einmal wirklich, was?“

„Soll das ein Verhör werden?“ Will machte eine Pause und dachte nach. „Es stimmt schon: So wohl wie jetzt habe ich mich in ihrer Nähe noch nie gefühlt. All die Jahre nicht. Aber die Ärzte sagen, dass ihr Gedächtnisverlust wahrscheinlich nur vorübergehend ist. Von einer Sekunde auf die andere könnte sie wieder die alte Cynthia sein. Und ich habe keine Lust, noch einmal Gefühle zu investieren und dann wieder vor den Kopf gestoßen zu werden.“

„Wahrscheinlich vorübergehend kann aber auch bedeuten: für immer. Mit Glück bleibt sie so.“

„Spielt keine Rolle“, erwiderte Will kopfschüttelnd. „Vielleicht weiß sie nicht mehr, was sie getan hat – aber ich weiß es. Ich könnte ihr nie wieder vertrauen, und das heißt: Die Sache ist erledigt.“

„Oder es ist eine zweite Chance für euch. Wenn sie plötzlich ein anderer Mensch ist, solltest du sie auch so behandeln. Mach ihr nicht eine Vergangenheit zum Vorwurf, an die sie sich nicht mal mehr erinnern kann. Vielleicht verpasst du sonst deine große Liebe.“

Während Alex sich seinem Steak zuwandte, dachte Will angestrengt nach. Ja, Cynthia war wirklich wie ein neuer Mensch, und schon bei der Arbeit freute er sich darauf, sie zu sehen. Und dann die Berührung heute – reine Magie! Vielleicht sprach doch einiges dafür, den Rat seines Freundes anzunehmen.

Andererseits – was wusste Alex schon? Er blieb ja nie so lange bei einer Frau, bis es Probleme gab. Nein, irgendwo in der neuen Cynthia lauerte immer noch die alte Cynthia, eine selbstverliebte, launische, untreue Frau, die keinen Cent für die Gefühle anderer gab. Er hatte die Verlobung ja nicht ohne Grund beendet. Eine Beziehung wie damals – nein, die wollte er nie wieder!

Nach Einschätzung der Ärzte würde sie schon bald das Krankenhaus verlassen können. Sicher würden ihre Eltern Pauline und George sie dann bei sich zu Hause einquartieren wollen, aber Will würde darauf bestehen, sie mit zurück ins gemeinsame Apartment zu nehmen.

Dort konnte er sich am besten um sie kümmern, und sie befand sich in ihrer gewohnten Umgebung. Und wenn diese Umgebung ihr das Gedächtnis zurückbrachte? Das würde ihm die Mühe ersparen, die Trennung ein zweites Mal aussprechen zu müssen.

„Würden Sie vielleicht gerne die Plätze tauschen?“

Diese Worte schwirrten ihr im Kopf herum, und sie wusste nicht recht, ob sie träumte oder ob es die Nebenwirkungen der Schmerzmittel waren. Alles schien durcheinander.

„Ich heiße übrigens Cynthia Dempsey.“

Cynthia Dempsey, Cynthia Dempsey! Im Halbschlaf runzelte sie die Stirn. Irgendwie mochte sie es nicht, wenn die Leute sie so ansprachen. Aber was sollten sie denn sagen? Wenn sie nicht Cynthia Dempsey hieß – sollte sie nicht wissen, wer sie wirklich war?

Der andere Name lag ihr fast auf der Zunge. Aber nur fast.

Bevor sie sich an ihn erinnern konnte, tauchte erneut die Erinnerung an das Flugzeugunglück vor ihrem inneren Auge auf. Der Knall, der Absturz, die Flammen.

„Nein!“

Sie fuhr aus dem Bett hoch. Ihr Herz schlug wild, ihr Atem ging stoßweise. Das Überwachungsgerät an ihrem Bett begann laut zu piepen, und sofort erschien eine der Nachtschwestern.

„Geht es Ihnen nicht gut, Miss Dempsey?“

„Nennen Sie mich nicht so!“, fuhr sie die Schwester an. Offenbar war sie noch nicht ganz bei sich.

„Okay … Cynthia. Fühlen sie sich nicht wohl?“

Cynthia erkannte ihre Lieblingskrankenschwester Gwen, eine zierliche junge Frau aus den Südstaaten, die das Leben positiv, aber trotzdem realistisch sah. Außerdem konnte sie schmerzfrei Blut abnehmen, was ihr jede Menge Bonuspunkte verschaffte.

„Es ist alles in Ordnung, ich habe nur schlecht geträumt. Tut mir leid, dass ich Sie so angeraunzt habe.“

„Schon gut.“ Gwen checkte das Überwachungsgerät und den Tropf mit dem Schmerzmittel. „Viele Traumapatienten haben Albträume. Möchten Sie vielleicht ein Schlafmittel?“

„Nein, danke. Es nervt nur so, dass ich … mich nicht wie ich selbst fühle. Vielleicht hat das aber auch mit den Medikamenten zu tun.“

Gwen setzte sich zu ihr aufs Bett und tätschelte ihr das Knie. „Ihre Kopfverletzung war nicht so ohne. Eigentlich dürfte ich Ihnen das nicht sagen, aber vielleicht erreichen Sie nie wieder hundertprozentig den Normalzustand. Oder sie erreichen ihn und merken es nicht einmal. Sie sollten versuchen, das Leben zu genießen, wie es jetzt ist.“

Cynthia hatte das Gefühl, dass die Krankenschwester die einzige Person war, mit der sie wirklich über ihre Probleme reden konnte. Besser als mit Will oder ihrer Mutter.

„Irgendwie fühlt sich alles so … falsch an. Die Leute. Und wie sie mich behandeln. Sehen Sie sich nur das hier an.“ Sie wies auf ihren Verlobungsring.

„Oh, sehr hübsch“, sagte Gwen mit betontem Understatement.

„Sehr hübsch? Bitte tun Sie nicht so, Gwen. Wir wissen beide, dass ein Diamant dieser Größe das Hungerproblem in einem kleineren Dritte-Welt-Land für ein Jahr beseitigen könnte.“

„Hm, ja, wahrscheinlich.“

„Dieser Protz, dieser Reichtum – das ist mir alles so fremd. In meinem Innersten fühle ich mich überhaupt nicht wie ein Luxus-Girlie, das auf eine teure Privatschule gegangen ist und dem man jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat. Ich fühle mich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Wenn das mein Leben ist, warum ist es mir dann so fremd? Wie kann ich sein, wie ich bin, wenn ich nicht weiß, wer ich war?“

„Das geht mir jetzt ein bisschen zu sehr ins Philosophische, wenn man bedenkt, dass es drei Uhr früh ist. Ich kann Ihnen nur raten: Grübeln sie nicht darüber nach, wer Sie vielleicht einmal waren, sondern seien Sie nur Sie selbst. So wie Sie jetzt sind.“

„Gar nicht so einfach, wenn man …“

„Machen Sie es nicht komplizierter als nötig. Wenn Sie das Krankenhaus verlassen und Ihr neues Leben beginnen, nehmen Sie sich als Cynthia Dempsey an. Und dann tun Sie einfach, wonach Ihnen der Sinn steht. Was Ihr Gefühl Ihnen sagt. Wenn die neue Cynthia lieber zu einem Baseballspiel geht als in ein klassisches Konzert – fein. Wenn Ihnen Kaviar und ein Fünfhundert-Dollar-Wein nicht mehr schmecken, ziehen Sie sich einen Cheeseburger und ein Bier rein. Nur Sie können wissen, wer Sie jetzt sein wollen. Lassen Sie sich nicht reinreden.“

„Vielen Dank, Gwen.“ Sie beugte sich vor und umarmte die Krankenschwester, die ihr wie die einzige echte Freundin in ihrem neuen Leben vorkam. „Ich werde morgen entlassen und ziehe zurück zu Will in unser Apartment. Ich habe keine Ahnung, was mich da erwartet – aber wenn mir mal nach Cheeseburgern und Bier ist, darf ich Sie dann anrufen?“

Gwen setzte ihr breitestes Lächeln auf. „Aber klar doch.“ Sie kritzelte ihre Handynummer in das kleine Notizbuch, in dem Cynthia sich alles notierte, seit sie eingeliefert worden war. Dann fügte sie hinzu: „Und machen Sie sich nur nicht zu viele Sorgen. Eine Zukunft mit Will Taylor – das kann doch nur gut werden.“

Cynthia lächelte zurück. Sie hoffte, dass Gwen recht hatte.

2. KAPITEL

Will musterte Cynthia nachdenklich, während sie wie eine Museumsbesucherin durch das Apartment schritt. Zwar hatten sie und ihr Innenausstatter das alles gemeinsam ausgesucht, aber sie sah es jetzt wohl mit neuen Augen.

Noch bewegte sie sich vorsichtig und etwas steif, aber insgesamt hatte sie große Fortschritte gemacht. Den mittlerweile vom Gips befreiten Arm trug sie in einer Schlinge, außerdem hinkte sie ein wenig, doch ihr war kaum noch anzumerken, wie knapp sie dem Tode entronnen war.

Das Haar trug sie jetzt kürzer, weil es teilweise bei der Katastrophe versengt worden war. Es stand ihr recht gut, fand Will. Eine neue Frisur für die neue Frau in seinem Leben.

Hatte er das eben wirklich gedacht? Das konnte doch nur Ärger geben!

Als Will sich umwandte, sah er, dass Cynthia das große Bild von ihrer Verlobungsfeier anstarrte, das im Wohnzimmer hing. Verflixt! Eigentlich hatte er auf Paulines Wunsch sämtliche Aufnahmen von Cynthia aus dem Apartment entfernt – aber ausgerechnet das größte Porträt hatte er vergessen!

Soweit er wusste, hatte Cynthia bisher noch kein Bild von sich vor dem Unfall gesehen. Jetzt rechnete er damit, dass sie sofort Dr. Takashi anrufen und ihm mit einem Kunstfehlerprozess drohen würde. Er selbst war allerdings der Meinung, dass der Facharzt für plastische Chirurgie hervorragende Arbeit geleistet hatte – auch wenn Cynthia nicht ganz wie früher aussah.

Zu seinem Erstaunen musterte Cynthia das Bild nur schweigend und setzte dann die Besichtigung des Apartments fort. In diesem Moment klingelte sein Handy, und er musste sich ein paar Minuten lang mit einem Problem beschäftigen, das die Zeitung betraf.

Als er sich anschließend auf die Suche nach Cynthia machte, fand er sie im Kleiderzimmer. Ungläubig durchforstete sie alles.

„Dior, Donna Karan, Kate Spade … gehört das wirklich alles mir?“

„Allerdings. Meine Sachen haben wir schon woanders untergebracht, damit auch noch deine Riesen-Schuhsammlung Platz findet.“

Erst jetzt fielen ihr die Unmengen teurer Schuhe auf. Sie schlüpfte aus den Slippern, die sie trug, schnappte sich ein paar Christian Louboutins und zog sie sich an. „Hm, sie sind mir ein bisschen zu groß“, stellte sie fest.

Zu groß? Komisch. „Na ja, wenn deine Füße bei dem Unglück irgendwie geschrumpft sein sollten, erwartet dich das erlesene Vergnügen, ordentlich shoppen zu gehen und deine Schuhbestände neu aufzufüllen.“

„Ach was, eine Einlage rein, und dann passen sie schon. All diese Schuhe nicht mehr zu tragen – das wäre doch reinste Verschwendung!“ Sie wandte sich wieder den Kleidern zu. „Wie kommt es nur, dass ich all diese Designer erkenne und weiß, dass es besonders teure Marken sind – aber meine eigene Mutter eine Fremde für mich ist?“

Das war eine gute Frage. Leider wusste Will so gut wie nichts über Amnesie. „Vielleicht erinnert sich dein Gehirn nur an das, was dir am wichtigsten war.“

„Soll das heißen, dass mir Schuhe und Klamotten mehr bedeutet haben als meine Familie?“

Will zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Falls es so war – mir hättest du so was nicht anvertraut.“

Kopfschüttelnd ging Cynthia aus dem Zimmer.

Es dauerte einen Moment, bis Will ihr folgte. Er fand sie im Wohnzimmer wieder, wo sie auf der Couch saß und mit leerem Blick auf ein modernes Gemälde an der Wand starrte. „Ist alles in Ordnung mit dir?“

Sie nickte zögerlich. „Ich habe das Gefühl, dass alle um mich herum wie auf Zehenspitzen gehen“, murmelte sie. „Dass man mir etwas verheimlicht. Wenn ich dir ein paar Fragen stelle – würdest du mir offen und ehrlich antworten?“

„Natürlich“, sagte er und setzte sich zu ihr auf das Sofa. Sie hatten einiges zu klären, und es hatte keinen Sinn, das länger als nötig hinauszuzögern.

„Lieben wir uns?“

Donnerwetter, das war direkt! Aber eine ehrliche Frage verdiente eine ehrliche Antwort. „Nein.“ Kein Gerede um den heißen Brei herum. Sie musste es wissen.

„Aber … warum sind wir dann verlobt?“

„Sind wir gar nicht.“

„A… aber …“, stotterte Cynthia und blickte auf ihren Ring.

„Wir haben uns mal geliebt“, erklärte Will. „Vor langer, langer Zeit. Unsere Familien sind seit Urzeiten befreundet, und wir waren schon zu Collegezeiten zusammen. Vor zwei Jahren habe ich dir einen Antrag gemacht, aber dann … hast du dich verändert, und die Kluft zwischen uns ist immer größer geworden. Deine Familie weiß es noch nicht, aber kurz bevor du dich auf die Flugreise machen wolltest, habe ich unsere Verlobung gelöst.“

„Gab es einen Anlass?“

„Du hast mich betrogen, du hattest eine Affäre. Als ich das erfuhr, wollte ich nicht mehr mit dir zusammen sein, egal, was die Kosten-Nutzen-Rechnung sagte.“

„Kosten-Nutzen-Rechnung? Das hört sich aber sehr kalt und geschäftsmäßig an.“

„So war das nun mal. Eine richtige Beziehung konnte man das kaum noch nennen. Dein Vater und ich hatten ein gemeinsames Projekt, das unseren beiden Firmen einen Riesengewinn versprach, und er arbeitet nun mal am liebsten mit der eigenen Familie zusammen. Deshalb bin ich bei dir geblieben – auch in der Hoffnung, unser Verhältnis würde sich wieder bessern. Aber dann, als ich von deiner Affäre erfuhr, hatte ich keine Wahl mehr. Projekt hin oder her, mit den Hochzeitsplänen war es vorbei. Ursprünglich wollte ich bis Ende Oktober hier ausziehen. Aber das hat sich nach dem Unfall geändert.“

„Das heißt … du bleibst?“ Hoffnungsvoll sah sie ihn an, und ihr Blick berührte ihn in seinem Innersten. Irgendwie kam es ihm tatsächlich falsch vor, sie für etwas zu bestrafen, an das sie sich nicht einmal erinnern konnte.

„Nein, ich bleibe nur, bis du wieder auf dem Damm bist. Dann geben wir unsere Trennung bekannt, und ich ziehe wie geplant aus.“

Cynthia lächelte verständnisvoll, aber er hatte den Eindruck, dass ihre Augen feucht schimmerten. Dann wandte sie den Blick ab. „Ich muss ja ein ganz furchtbarer Mensch gewesen sein. Wie konntest du dich überhaupt in mich verlieben?“

„Ich mochte die Frau, die du warst, als wir uns kennengelernt haben. Doch nach dem College hast du dich ziemlich verändert.“

Betroffen blickte sie zu Boden. Sie hatte ja die Wahrheit hören wollen – aber es tat doch ganz schön weh. „War ich überhaupt mal zu irgendwem nett?“

„Selten … Deine kleine Schwester hast du geradezu verwöhnt. Aber wenn dir irgendwas nicht in den Kram gepasst hat, bist du sofort in die Luft gegangen.“

„Bin ich denn jetzt auch so?“, fragte sie verunsichert.

„Nein. Seit dem Unglück bist du wie ausgewechselt.“

Cynthia schwieg.

„Aber es ist fraglich, wie lange dieser Zustand anhält. Die Ärzte meinen, dass die Amnesie nur vorübergehend ist. Irgendein Auslöser, eine Kleinigkeit, könnte dir jederzeit das Gedächtnis zurückbringen. Und die Frau, die jetzt neben mir sitzt, würde wieder verschwinden.“

„Und … das willst du nicht?“

Nachdenklich sah er ihr in die Augen, verlor sich in ihnen. Wie lange war er mit Cynthia zusammen gewesen, ohne sie wirklich zu kennen? Hatte er sie überhaupt je geliebt? Vielleicht hatte es einfach nur gut gepasst. Die schönste und klügste Studentin an der Universität und der Captain des Poloteams. Beide aus den besten Kreisen, aus äußerst wohlhabenden Familien. Da lag eine Verbindung natürlich nahe …

Aber dies – jetzt – war etwas völlig anderes. Er wollte die Frau, die neben ihm saß, wirklich kennenlernen. Wollte ihr helfen, die Welt neu zu entdecken und zu erfahren, wer sie war. Oder wer sie sein wollte.

Eigentlich müsste er ihr jetzt beteuern, dass er ihr das Gedächtnis zurück wünschte. Aber sie wollte ja die Wahrheit hören, das hatte sie ausdrücklich gesagt. Also antwortete er: „Nein, ich möchte nicht, dass die Frau, die jetzt neben mir sitzt, verschwindet.“

„Es ist schon komisch“, sinnierte sie. „Ein Teil meiner Person fehlt mir, und natürlich ist das kein schöner Zustand. Aber nach allem, was ich jetzt gehört habe, ist es vielleicht besser so. Ich … kann noch einmal bei null anfangen.“

Er dachte über ihre Worte nach. Alex hatte ja gemeint, es könnte eine zweite Chance für ihre Beziehung sein. Aber war Will wirklich bereit, Cynthia diese Chance einzuräumen? Sie hatte ihn betrogen und damit alles kaputt gemacht. Spielte es denn eine Rolle, dass sie sich daran nicht mehr erinnern konnte? Er war sich da nicht so sicher. „Man hat immer eine Wahl.“

„Wie meinst du das?“

„Dein Gedächtnis könnte jederzeit zurückkommen. Aber auch dann hast du die Wahl. Du brauchst nicht so zu sein wie früher, du kannst versuchen, dich zu ändern. Neu anzufangen.“

Sie nickte nachdenklich. Es fiel ihr sichtlich schwer, die nächste Frage zu stellen. „Ich weiß jetzt, dass du mich nicht mochtest, aber … hast du dich vor dem Unfall wenigstens körperlich zu mir hingezogen gefühlt?“

„Du warst eine sehr schöne Frau.“

„Das ist keine richtige Antwort. Du weichst der Frage aus.“

Sie wirkte stark und gleichzeitig verlegen. So viele Facetten hatte sie früher nie gezeigt. Er ertappte sich bei der Frage, wie es wohl wäre, mit ihr – der neuen Cynthia – zu schlafen. Doch schnell wischte er den Gedanken beiseite. Er würde sie schon bald verlassen, also stellte sich die Frage nicht. „Ich weiche der Frage nicht aus. Du warst sehr schön, und jeder Student in Yale wollte dich. Ich auch.“

„Das Bild an der Wand …“

„Das große Foto von unserer Verlobung?“

„Ja. So sehe ich nicht mehr aus. Und das werde ich wahrscheinlich auch nie wieder.“

Sie wirkte so verletzlich, so zerbrechlich – ganz anders als die alte Cynthia. Er konnte nicht anders, er musste sie einfach trösten. Sanft fuhr er ihr mit den Fingern über die Wange. Ihr Gesicht war kaum noch angeschwollen. „Früher warst du … wie soll ich sagen … wie eine antike Statue in einem Museum. Vollkommen – aber auch kalt. Ich finde, kleine Makel geben Persönlichkeit. Du bist jetzt viel hübscher. Von außen … und von innen.“

Cynthia ergriff seine Hand. „Es ist nett, dass du das sagst. Selbst wenn es nicht stimmt. Ich weiß nicht, was ich dir alles angetan habe, aber ich kann es mir ungefähr ausmalen. Es tut mir so leid. Meinst du, dass du mir all diese Dinge je verzeihen kannst?“

Ihre Augen schimmerten feucht, und es schmerzte ihn, sie so leiden zu sehen. „Weißt du, vielleicht sollten wir das Vergangene auch einfach vergessen. Und noch einmal ganz neu anfangen.“

„Ganz neu?“

„Ja. Nicht mehr nach hinten sehen, nur noch nach vorne. Du brauchst nicht mehr darüber nachzugrübeln, wer du warst, und ich will dich nicht mehr für Dinge bestrafen, die du nicht ändern kannst.“

„Und was bedeutet das für … uns? Für dich und mich?“

Das war eine gute Frage, und die Antwort fiel ihm nicht leicht. Sie ließ ihm Zeit, einen Moment lang drüber nachzudenken.

„Es bedeutet, dass wir beide wieder bei null beginnen. In Wirklichkeit sind wir eh wie Fremde. Wir hatten und haben keinen Grund, einander zu vertrauen oder gar zu lieben. Lassen wir es auf uns zukommen. Wir haben Zeit.“

„Und was ist hiermit?“ Cynthia hielt ihm die Hand mit dem Verlobungsring entgegen.

„Am besten, du trägt den Ring vorerst weiter. Die Angelegenheit geht nur uns etwas an, da brauchen wir keine Besserwisser mit guten Ratschlägen, vor allem nicht aus unseren Familien. Wir müssen unsere Entscheidungen selbst treffen.“

Erleichtert lächelte sie ihn an, und es erfüllte sein Herz mit Freude, sie so zu sehen. Sie ist wirklich schön, dachte er, auch wenn sie es nicht glaubt. Spontan gab er ihr einen Kuss, ganz behutsam, gewissermaßen nur als Versicherung, dass alles in Ordnung kommen würde, selbst wenn sie nicht mehr zusammenfinden würden.

Sofort reagierte sein Körper auf sie, und er musste seine ganze Selbstbeherrschung aufwenden, um sie nicht erneut – und diesmal heftiger – zu küssen. Er wollte sich auf keinen Fall zu weiteren Berührungen hinreißen lassen. Zum einen war ihr Körper noch nicht vollständig verheilt, zum anderen hatte er Angst, damit in eine Falle zu tappen, aus der es kein Entrinnen gab.

Cynthia fühlte sich überhaupt nicht schön. Das kleine Küsschen eben – das war sicher nur ein Mitleidskuss gewesen. Plötzlich klingelte Wills Handy, und er nutzte die Gelegenheit, um zu verschwinden, vermutlich in sein Arbeitszimmer. Jetzt musste sie sich ganz allein mit ihrem neuen alten Zuhause vertraut machen.

Wie ein Zuhause fühlte es sich allerdings nicht an. Die gesamte Einrichtung war ihr zu ungemütlich – es fehlte einfach die Behaglichkeit. Weil sie nicht recht wusste, was sie tun sollte, beschloss sie, ausgiebig zu duschen. Will schien offensichtlich eh länger beschäftigt zu sein.

Ihre erste Dusche seit dem Flugzeugunglück! Sie war wirklich froh, dass man ihr endlich den Gips entfernt hatte. Richtig dünn und weiß war ihr Arm geworden. Rund eine halbe Stunde stand sie unter der Brause und fühlte sich anschließend viel besser.

Doch allzu lange hielt der Zustand nicht an. Als sie im Spiegel am Schminktisch ihr Gesicht betrachtete, sank ihre Stimmung rapide. Sie sah ihrem früheren Ich zwar entfernt ähnlich, würde aber wahrscheinlich nie wieder so schön sein wie auf dem Verlobungsfoto. Und was noch viel schlimmer war: Sie fühlte sich in ihrer eigenen Haut nicht wohl.

„Hast du geduscht?“

Cynthia fuhr herum. Will stand im Türrahmen. Er war so lange in seinem Arbeitszimmer geblieben, dass sie schon fast vergessen hatte, dass er da war.

Verschämt zog sie ihr Badetuch höher. Wahrscheinlich hatte er sie schon tausendmal nackt gesehen, aber davon wusste sie ja nichts mehr. Jetzt war er für sie ein Fremder. Jeder war für sie ein Fremder – sie selbst eingeschlossen, so merkwürdig sich das auch anhörte.

Als er ihre Unsicherheit bemerkte, schlug er schuldbewusst die Augen nieder. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen. Ich gehe lieber wieder.“

„Nein, bleib“, stieß sie hervor. Sie wollte einfach nicht allein sein.

„Okay“, erwiderte er. „Warte einen Moment, ich bin gleich zurück.“

Als er wiederkam, hatte er einen flauschigen blauen Bademantel dabei. „Hier, dein Lieblingsstück. Den hast du abends immer gern getragen, wenn du es dir mit einem Buch und einem guten Glas Wein auf der Couch gemütlich gemacht hast.“

Er half ihr, den Bademantel überzuziehen, und als seine Finger rein zufällig ihre nackte Haut berührten, wurde ihr ganz heiß. „Danke“, murmelte sie.

Er trat einen Schritt zurück und musterte sie. Ich werde aus ihm nicht schlau, wenn er mich so ansieht, dachte sie. Ist das Neugier in seinem Blick? Verärgerung? Oder … Begehren?

„Hast du Hunger?“

„Jetzt, wo du fragst … ja. So langsam könnte ich was vertragen.“

„Was darf’s denn sein?“

„Ganz egal. Hauptsache keine Krankenhauskost.“

Er lachte auf. „Das verstehe ich. Ich fahre kurz los und hole uns was. Hier in der Nähe ist ein Thai-Restaurant, wäre dir das recht?“

„Ja, du kannst für mich was aussuchen. Nur nicht allzu scharf bitte.“

Will nickte, wandte sich um und ging. Kurze Zeit später hörte Cynthia, wie die Tür ins Schloss fiel.

Zum Essen wollte sich etwas anziehen und suchte unter den unzähligen Kleidern etwas weiter Geschnittenes, das ihr passen konnte. Die meisten Sachen waren ihr zu eng, aber zum Glück nicht alle.

Plötzlich klingelte das Telefon. Erst war sie sich nicht sicher, ob sie das Gespräch annehmen sollte, aber schließlich wohnte sie hier. Es konnte durchaus für sie sein. Und vielleicht war es ja auch Will, der wegen des Essens etwas nachfragen wollte. Sie nahm den Hörer ab. „Hallo …?“

„Cynthia …?“ Es war eine Männerstimme, aber sie gehörte nicht Will. Die Stimme war tiefer, geflüstert, sie klang fast verschwörerisch.

„Ja, hier ist Cynthia. Wer spricht da bitte?“

Der Mann zögerte einen Moment. „Baby, ich bin es doch. Nigel.“

Nigel? Sie hatte keine Ahnung, wer das sein sollte. Aber er hatte sie „Baby“ genannt, und das gefiel ihr schon mal gar nicht. „Es tut mir leid, ich kann mich nicht an Sie erinnern. Ich hatte einen Unfall und habe mein Gedächtnis verloren.“

„Dein Gedächtnis verloren …? Um Himmels willen, Cynthia! Wir müssen uns unbedingt treffen. Ich war die ganzen Wochen über verrückt vor Sorge um dich. Dein Handyanschluss ist tot, und ins Krankenhaus habe ich mich nicht getraut. Wahrscheinlich hätte man mich auch gar nicht zu dir gelassen, weil ich kein Verwandter bin. Ich weiß nur, was in der Zeitung stand, und da gab es keine Details. Können wir uns morgen treffen? Wenn Will auf der Arbeit ist?“

Cynthia bekam ein flaues Gefühl in der Magengegend. Will hatte ihr ja nicht viel über ihre Affäre erzählt, aber es war nicht schwer zu erraten, dass dieser Nigel ihr heimlicher – oder nicht so heimlicher – Liebhaber gewesen war.

Wie hatte Will doch gesagt? Sie hätte jederzeit die Wahl, etwas Neues aus ihrem Leben zu machen. Und sie und Will wollten noch einmal bei null anfangen. Der Mann am Telefon würde genau diese Chance zerstören, so viel war klar.

„Nein, tut mir leid.“

„He, warte mal, Baby. Ich kann von der Bronx aus einem Frühzug nehmen und dich auf einen Kaffee treffen.“

„Nein, ich wünsche keine weiteren Kontakte. Auf Wiederhören.“ Sie legte den Hörer auf. Sekunden später klingelte es wieder, offenbar ein zweiter Versuch des Anrufers, doch sie nahm nicht ab, und irgendwann gab er auf.

Sie atmete tief durch und machte sich dann weiter fertig. Für ihr erstes gemeinsames Essen mit Will.

3. KAPITEL

Will saß am Schreibtisch in seinem Arbeitszimmer und blickte auf seinen Laptop. Nach dem gemeinsamen Essen hatte er sich wieder zurückgezogen. Fast jeden Abend war er hier und arbeitete. Die Zeitung forderte viel von ihm, und weil er tagsüber meist in irgendwelchen Konferenzen sitzen musste, blieben ihm nur die Abende, um seine E-Mails zu checken und etwas wirklich Produktives zu schaffen. Ja, er steckte viel Zeit in den Observer, um ihn an der Spitze zu halten, aber das machte ihm nichts aus. Im Gegenteil, je schlechter die Beziehung zu Cynthia im Laufe der Jahre geworden war, desto lieber hatte er sich in seine Arbeit geflüchtet.

Heute war das anders. Mindestens hundert ungelesene E-Mails warteten auf ihn, aber er konnte sich nicht konzentrieren. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab … zu Cynthia.

Durch die gläserne Tür, die sein Arbeitszimmer vom Wohnzimmer trennte, konnte er sie sehen. Als er losgefahren war, um das Essen zu holen, hatte er gedacht, zwischen ihnen beiden liefe es eigentlich ganz gut. Als er sie nach dem Duschen halb nackt gesehen hatte, war er sogar ziemlich erregt gewesen.

Aber irgendwie schien sie ihm verändert, seit er von der kurzen Fahrt zurückgekommen war. Sie hatten das Thai-Essen im Speisezimmer zu sich genommen und über unverfängliche Dinge geplaudert, doch sie war ihm dabei merkwürdig nervös vorgekommen. Als das Telefon geklingelt hatte, war sie wie von der Tarantel gestochen aufgesprungen, um vor ihm beim Apparat zu sein und das Gespräch anzunehmen. Es war dann nur ihre Mutter Pauline gewesen. Die beiden hatten noch eine Weile geplaudert, während er den Tisch abgeräumt und sich dann in sein Arbeitszimmer verkrochen hatte.

Vielleicht ist es meine Schuld, dass sie so nervös ist, sinnierte Will. Vielleicht hat sie gemerkt, welche erregende Wirkung sie auf mich hatte, und das ist ihr unangenehm. Wahrscheinlich hätte ich auch nicht von einer eventuellen gemeinsamen Zukunft reden sollen. So sicher bin ich mir da ja selbst nicht. Wenngleich mir mein Körper etwas anderes sagt als mein Verstand …

Es überraschte ihn nicht, dass Cynthia sich schon recht früh zurückzog, um ins Bett zu gehen. Offenbar hatte sie ihr erster Tag außerhalb des Krankenhauses doch ziemlich angestrengt. Und nicht nur körperlich, sondern auch psychisch, da sie vieles über ihre Vergangenheit erfahren hatte, das ihr sicher nicht gefiel. Im schlimmsten Fall könnte das den Heilungsprozess beeinträchtigen. Aber sie hatte ja von ihm verlangt, die Wahrheit zu sagen.

Wenn sie sich in das gemeinsame Schlafzimmer gelegt hatte, war es sicher das Beste, wenn er im Gästezimmer schlief. So konnte es nicht zu verfänglichen Situationen kommen, und ihm lag daran, sich seine Unvoreingenommenheit zu bewahren.

Jetzt, da sie schlief, konnte Will sich auch besser auf die Arbeit konzentrieren. Gegen Mitternacht hatte er das Wichtigste geschafft und machte Schluss. Am nächsten Morgen würde er um sechs Uhr aufstehen – das waren für ihn die normalen Zeiten. „Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“, sagte er immer. „Oder wenn ich im Ruhestand bin. Je nachdem, was früher eintritt.“

Am nächsten Morgen war er bereits vollständig angezogen und trank Kaffee, als Cynthia die Küche betrat. Sie trug einen Morgenmantel und hatte ihr Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie war weder geschminkt noch sonst irgendwie zurechtgemacht. Das kannte Will von der alten Cynthia überhaupt nicht. Sie hatte sich immer makellos gestylt an den Frühstückstisch gesetzt. Auf diese Überraschung nahm er erst einmal einen Schluck Kaffee.

„Guten Morgen“, sagte Cynthia gähnend.

„Guten Morgen“, erwiderte er. „Möchtest du auch einen Kaffee?“

„Nein danke“, antwortete sie und verzog den Mund. „Im Krankenhaus habe ich einmal Kaffee getrunken, aber er schmeckt mir überhaupt nicht.“

Er schob ihr einen Teller hinüber. So früh morgens konnte er noch nicht viel vertragen, aber eine Kleinigkeit aß er doch immer, um die morgendliche Redaktionskonferenz durchzustehen. „Hier, ich habe schon Toast gemacht. Im Schrank sind Tee und Kakao, falls du möchtest.“

Cynthia setzte sich auf einen der Küchenstühle und nahm sich einen Toast. Zu seiner Erleichterung stellte Will fest, dass sie heute Morgen wieder viel entspannter wirkte. Vielleicht würde es ihr ganz guttun, für einige Zeit allein im Apartment zu sein.

„Schade, dass ich jetzt schon weg muss, aber die Arbeit ruft. Ich werde zusehen, dass ich heute Abend nicht zu spät nach Hause komme.“

„Du arbeitest ziemlich viel“, stellte sie fest.

Will zuckte mit den Schultern und erhob sich. „So viel wie nötig. Übrigens, die Haushälterin kommt so gegen Mittag, ab der Zeit bist du dann also nicht mehr allein. Ich habe sie gebeten, uns ein warmes Abendessen zu machen, damit wir nicht ausgehen müssen. Heute soll’s Schmorbraten geben.“

„Okay …“ Cynthia nickte stirnrunzelnd.

„Was hast du denn?“

„Jemanden zu haben, der für einen kocht und putzt – das fühlt sich für mich so … ungewohnt an. Eigentlich sollte ich daran gewöhnt sein. Bin ich aber nicht.“

„Das wirst du schneller wieder zu schätzen wissen, als du denkst. Vor allem, wenn du ein paarmal Anitas Hausmannskost gegessen hast.“ Er schlüpfte in sein Jackett. „Wenn du Fragen hast oder was brauchst, ruf mich ruhig auf dem Handy an. Ich habe dir auch ein paar Telefonnummern an den Kühlschrank gepinnt. Von deinen Verwandten und einigen Freunden. Für den Fall, dass dir langweilig wird.“

„Danke“, sagte sie und stand auf, um ihn zur Tür zu bringen.

Als es ans Verabschieden ging, wollte Will ihr aus alter Gewohnheit einen Kuss auf die Wange geben, doch als er sah, wie sie sich plötzlich versteifte, hielt er in der Bewegung inne. Stattdessen hob er kurz verlegen die Hand, wandte sich um und ging in den Hausflur.

Als er im Fahrstuhl stand, schüttelte er über sich selbst den Kopf. Was war denn das eben gewesen? Er benahm sich nicht gerade wie ein Mann, der kurz vor dem Auszug stand. Irgendwie fühlte er sich immer mehr zu ihr hingezogen.

Nur schnell ins Büro! Dort war er wenigstens Herr der Lage.

Nachdem Cynthia die Tür zum Apartment wieder geschlossen hatte, lehnte sie sich von innen dagegen und ließ verwirrt den Kopf sinken. Wie erschrocken sie gewesen war, als er sie hatte küssen wollen, wie schnell ihr Herz geschlagen hatte! Sie wollten zwar wieder bei null anfangen, aber für Zärtlichkeit war es auf jeden Fall noch zu früh. Das würde alles nur unnötig verkomplizieren.

Trotzdem – wie seine Küsse wohl schmecken würden …?

Kopfschüttelnd begab sie sich in ihr Zimmer, um sich anzuziehen. Sie entschied sich für eine Khakihose und eine langärmelige Bluse.

Zurück in der Küche goss sie sich einen Tee auf und aß noch einen Toast mit Himbeermarmelade. Anschließend ging sie in das Zimmer, das nach Wills Angaben ihr Arbeitszimmer gewesen war.

Gestern hatte sie kurz hineingeschaut, mehr aber auch nicht. Nach ihrem Gespräch mit Will – und Nigels Anruf – hatte sie geradezu Angst vor dem bekommen, was sie finden würde. Aber es musste nun mal sein. Da drin wartete vielleicht ihre Vergangenheit.

Auf dem Schreibtisch war eine große Fläche freigehalten – bestimmt der Platz für ihren Laptop, aber der war ja bei dem Flugzeugunglück zerstört worden. Links und rechts lagen etliche Aktenordner und Hochglanzmagazine. Alles sehr akkurat und aufgeräumt, viel zu aufgeräumt!

An den Wänden hingen viele eingerahmte Zeitschriftenanzeigen für bekannte Markenprodukte. Sie konnte nur vermuten, dass sie diese Anzeigen entworfen hatte. Ihre Familie hatte ihr ja gesagt, dass sie einen hohen Posten in einer Werbeagentur in der Madison Avenue gehabt hatte.

Beunruhigt musste sie sich eingestehen, dass auch dieser Teil ihrer Kenntnisse vollständig verschwunden war. Sie kannte die Handelsmarken, hatte aber nicht die leiseste Ahnung davon, wie man sie fachmännisch bewarb.

Wenn sie in diesem Job nicht mehr arbeiten konnte, musste sie sich etwas anderes einfallen lassen, und zwar schnell. Vor allem, wenn Will sie tatsächlich verlassen würde. Er hatte ja noch alle Möglichkeiten offengelassen, aber nach dem, was ihr altes Ich ihm angetan hatte, wäre eine Trennung nur allzu verständlich. Obwohl sie sehr hoffte, dass es nicht so weit kam – und nicht nur aus finanziellen Gründen …

Nur nicht zu sehr darüber nachgrübeln! Um sich abzulenken, schaute Cynthia sich die Unterlagen näher an. Dabei spielte die Neugier eine Rolle, aber auch die Hoffnung, dass irgendetwas davon ihr die Erinnerung zurückbringen könnte. In den Papieren ging es um Kunden und Kampagnen. Alles war gespickt mit Fachausdrücken aus der Werbebranche, sodass sie kaum die Hälfte verstand.

Als Nächstes öffnete sie eine der Schreibtischschubladen. Vorne lagen nur Materialien wie Kugelschreiber und Büroklammern, doch weiter hinten – wie versteckt – fand sie ein Bündel Briefe. Sie zog sie heraus. Alle waren an sie adressiert. Einige der Poststempel waren schon weit über ein Jahr alt.

Sie öffnete den ältesten Umschlag und begann zu lesen. Es war ein handgeschriebener Liebesbrief von Nigel. Fast schon rührend altmodisch in einer Zeit von SMS und E-Mail! Vielleicht hatte sie dieses belastende Material gerade deshalb aufbewahrt.

Fasziniert las sie Brief um Brief und erfuhr so immer mehr über die Hintergründe ihrer Liebschaft. Offenbar war Nigel ein engagierter, aber weitgehend erfolgloser Künstler, den sie bei einer Ausstellung kennengelernt hatte. Seitdem hatten sie sich heimlich zum Essen getroffen, hatten etliche Wochenenden miteinander verbracht, hatten sich sogar ab und an in ihrem und Wills Apartment getroffen.

Die Briefe klangen außerordentlich romantisch – viel mehr, als bei einer flüchtigen Affäre zu erwarten war. Sie wusste ja nicht, was sie Nigel zurückgeschrieben hatte, aber die beiden schienen wirklich viele Gefühle füreinander gehabt zu haben.

Irgendwie passte das gar nicht zu dem Bild, das sie nach den Berichten der anderen inzwischen von sich aufgebaut hatte. Wie konnte sich eine wohlhabende Society-Lady aus besten Kreisen in einen mittellosen Künstler aus der Bronx verlieben? Es war ihr ein Rätsel.

Hatte sie Nigel nur benutzt? Oder war es ihr peinlich gewesen, sich offen zu ihm zu bekennen? Ihre Eltern würden sicher nicht viel von so einer Verbindung halten. Vielleicht hatte sie sich aber auch von allem das Beste herauspicken wollen: heimliche Liebe mit dem romantischen Nigel, aber Ehe mit dem reichen Will.

Falls das so war, kam ihr das jetzt ziemlich charakterlos vor. War sie wirklich so berechnend gewesen? Da konnte man sich ja nur schämen!

Sie legte die Briefe auf eine freie Stelle des Schreibtisches und suchte weiter nach Zeugnissen aus ihrer Vergangenheit. Sowohl ihr Laptop als auch ihr Handy waren beim Flugzeugunglück zerstört worden, digitale Beweise ihrer Affäre gab es also vermutlich nicht mehr. Will wollte ihr ein neues Handy besorgen. Da würde sie sich gleich eine neue Nummer geben lassen – eine, die Nigel nicht kannte.

In einer anderen Schublade fand sie einige Geburtstags- und Valentinstagskarten. Keine davon war von Will. Auch diese legte sie auf den Stapel. Dazu kamen noch einige verdächtige Fotos von ihr und einem blonden Mann, den sie nicht erkannte, mit dem sie aber recht vertraut wirkte. Sie würde sie vernichten, ebenso wie die Briefe.

Als Anita eintraf, hatte Cynthia schon einen großen Stapel an Papieren, die vernichtet werden mussten. Sie ging ins Wohnzimmer, um die Haushälterin zu begrüßen. Sie war eine etwas mollige Frau mit allmählich ergrauendem Haar. Sie hielt bereits ein Tuch in der Hand und staubte damit das Regal über dem Kamin ab.

Der Kamin! Dort würde Cynthia den verräterischen Schriftwechsel verbrennen!

„Guten Tag, Miss Dempsey.“ Die Haushälterin klang freundlich, aber auch ein wenig eingeschüchtert. „Wie schön, dass Sie wieder zu Hause sind. Ich verhalte mich ganz ruhig. Sie werden gar nicht merken, dass ich da bin.“

Hatte die Frau etwa Angst vor ihr? „Sagen Sie doch ruhig Cynthia zu mir. Und keine Sorge, Sie stören nicht. Ich bin ja froh, dass jemand hier ist. Sagen Sie Bescheid, wenn ich bei irgendwas helfen kann. Wenn ich Ihnen bei der Arbeit zuschaue, bekomme ich nur ein schlechtes Gewissen.“

Anita blickte sie fassungslos an. So eine Behandlung war sie nicht gewöhnt. „Danke, Miss Dempsey, ich komme schon zurecht. Kann ich noch irgendetwas für Sie tun, bevor ich loslege?“

„Na ja, wenn Sie so fragen – mir ist ein bisschen kalt. Vielleicht könnten Sie mir helfen, den Kamin anzumachen?“

Ein paar Tage später saß Will in seinem Arbeitszimmer. Er hatte diesen Samstag fest für unerledigte Arbeiten reserviert, aber er konnte sich nicht konzentrieren. Mal wieder wanderten seine Gedanken zu Cynthia. Ob sie sich wohl langweilte?

Früher hatte er sich oft ins Arbeitszimmer verkrochen, um ihr aus dem Weg zu gehen, aber seit sie sich so verändert hatte, sah das anders aus. Er klappte seinen Laptop zu und ging ins Wohnzimmer. Sie lag auf der Couch und war in einen Liebesroman vertieft. Aus ihrem gemeinsamen Bücherregal stammte der nicht.

„Was liest du denn da?“

„Eine Liebesgeschichte. Habe ich gestern im Laden an der Ecke gekauft. Ist ganz gut.“

Die alte Cynthia hatte in ihrem ganzen Leben noch keinen Liebesroman gelesen, da war er sich ganz sicher. Aber ihm gefiel, dass die neue Cynthia auf gefühlvolle Dinge stand. „Es ist heute so schön warm draußen. Was hältst du davon, wenn wir eine Runde durch den Park drehen?“

Sie strahlte ihn an. „Tolle Idee!“

Als sie durch den Central Park spazierten, fiel Cynthia plötzlich ein Hot-Dog-Stand ins Auge. „Ich muss unbedingt rauskriegen, ob ich sowas mag.“

Ihre Neugier war so ansteckend, dass auch Will sich einen bestellte – was er seit Jahren nicht mehr getan hatte. Sie setzten sich auf eine Bank, und während Will noch an seinem zweiten Bissen kaute, hatte sie ihren Snack schon vollständig verputzt. „Oha!“, staunte er. „Möchtest du noch einen?“

„Nein danke“, antwortete sie und tupfte sich den Mund ab. „Es gibt noch so viele Gerichte, die ich ausprobieren möchte. Wenn ich es da jedes Mal übertreibe, habe ich im Nullkommanichts zwanzig Kilo drauf.“

Schlagartig schien sich ihre Stimmung wieder zu verfinstern. „Worüber grübelst du nach?“, fragte er.

„Darüber, dass ich mich in einer ganz schön üblen Situation befinde. In ein paar Wochen bist du vielleicht weg. In meinen alten Job kann ich vorerst nicht zurück – was auch immer ich in der Werbung gemacht habe, ich kann mich nicht mehr daran erinnern. Ich weiß überhaupt nicht, worin ich gut bin. Bis vor ein paar Minuten wusste ich ja nicht mal, ob ich Hot Dogs mag. Was soll ich nur tun?“