Miss McMurray riskiert Kopf und Kragen - Jo Cunningham - E-Book

Miss McMurray riskiert Kopf und Kragen E-Book

Jo Cunningham

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Beschreibung

Der zweite Fall für die scharfsinnige Una McMurray – mit neuem tierischen Sidekick

Die Statistikexpertin Una McMurray arbeitet an einer gewagten These: Sie will beweisen, dass Katzenbesitzer eine besonders hohe Lebenserwartung haben. Doch der plötzliche Tod von Sue Carmichael, deren Katze als Favorit bei der großen Londoner Cat Show gilt, scheint ihre Annahme zu widerlegen. Una vermutet, dass Sue keines natürlichen Todes gestorben ist. Um das zu beweisen, beschließt sie, undercover zu ermitteln, und nimmt mit Kater Pedro am Wettbewerb teil. Pedros Chancen auf den Sieg sind allerdings äußerst gering. Genau wie Unas Aussichten, den Mörder zur Strecke zu bringen, bevor er erneut zuschlagen kann ...

Ein großartiger Cosy-Crime-Roman mit unvergesslicher Heldin und herrlich britischem Humor

»Clever und sehr lustig.« Ian Moore (über »Miss McMurray rechnet mit dem Schlimmsten«)

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Seitenzahl: 441

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

Die Statistikexpertin Una McMurray arbeitet an einer gewagten These: Sie will beweisen, dass Katzenbesitzer eine besonders hohe Lebenserwartung haben. Doch der plötzliche Tod von Sue Carmichael, deren Katze als Favorit bei der großen Londoner Cat Show gilt, scheint ihre Annahme zu widerlegen. Una vermutet, dass Sue keines natürlichen Todes gestorben ist. Um das zu beweisen, beschließt sie, undercover zu ermitteln, und nimmt mit Kater Pedro am Wettbewerb teil. Pedros Chancen auf den Sieg sind allerdings äußerst gering. Genau wie Unas Aussichten, den Mörder zur Strecke zu bringen, bevor er erneut zuschlagen kann …

Autorin

Jo Cunningham ist in Birkenhead, im Nordwesten Englands, aufgewachsen und lebt inzwischen in London. Sie hat Kreatives Schreiben studiert und verfasst neben Romanen auch Comedy fürs Radio. Jo löst gerne Kreuzworträtsel, schaut Krimiserien oder lernt neue Dinge, die sie nie wieder brauchen wird – zum Beispiel Bühnenkampf oder Buchbinden. »Miss McMurray riskiert Kopf und Kragen« ist der zweite Fall für ihre liebenswert-skurrile Hobbydetektivin Una McMurray.

Jo Cunningham

Miss McMurray riskiert

Kopf und Kragen

Roman

Aus dem Englischen

von Ruggero Leò

Die englische Originalausgabe erscheint 2025 unter dem Titel

»A Calculated Murder« bei Constable.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstveröffentlichung August 2025

Copyright © 2025 by Jo Cunningham

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2025

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: © FinePic®, München

Redaktion: Daniela Jarzynka

LS · Herstellung: ik

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-31290-9V002

www.goldmann-verlag.de

1

Ein Haustier regt zum Denken an

Una stieß die Glastür im fünften Stock auf, die in die Räumlichkeiten der Katapult Insurance führte, und wurde von einem grässlichen Geruch und lauten Rufen empfangen. Offenbar hielt das Desktop-Support-Team mal wieder ein gemeinsames Frühstück ab. Der Montag sollte eigentlich ein ruhiger, nach Desinfektionsmittel duftender Tag sein. Doch dann erblickte sie Rachida, die statt ihrer Mulberry-Handtasche einen flauschigen Hund unter dem Arm trug. Heute fand das beliebteste gesellschaftliche Ereignis der Abteilung für Haustierversicherungen statt: der Bring-dein-Tier-zur-Arbeit-mit-Tag.

»Hallo, Una!« Rachida winkte ihr mit der Pfote ihres Hunds zu.

»Hallo.« Una hob die Hand, um zurückzuwinken, stockte jedoch. Sie hielt nichts davon, es allen Menschen recht zu machen, und hatte nicht vor, mit Tieren anders zu verfahren.

Rachida strahlte. »Das ist Mr Ritzbits. Er genießt seinen Tag im Büro, nicht wahr?«

Una schaute in die leuchtenden braunen Augen von Mr Ritzbits. Sein Blick zeugte von Existenzangst, er wusste nicht, warum er irgendwo und vor allem hier sein sollte, ohne Ausweg und Fluchtmöglichkeit. Diesen Blick hatte sie schon oft bei Berufseinsteigern im zweiten Jahr gesehen.

»Schön, dich kennenzulernen«, sagte Una.

Mr Ritzbits vergaß kurz seine Angst und streckte die Zunge raus.

»Wo ist dein Haustier?«, fragte Rachida so misstrauisch, wie man es von einem Mitglied der Abteilung für Regulatory Affairs erwarten würde.

Una spannte sich an. »Ich hab kein Haustier. Ich bin nicht so der Tier-Typ. Ich meine … gleicht es nicht ein bisschen dem Stockholm-Syndrom, sich ein Tier zu halten, bis es einen mag?«

»Wir zwei gehen besser mal weiter«, antwortete Rachida. »Mr Ritzbits ist sehr gesellig.«

Una steckte sich die Hosenbeine in die Socken, hielt auf dem Boden nach lauernden Raubtieren Ausschau und schlich auf Zehenspitzen zu ihrer Tischreihe. Patti, die ihr kürzlich zugewiesene Uni-Absolventin, saß nicht an ihrem Schreibtisch, war jedoch schon im Büro. Das verriet das Proteinbällchen auf ihrer Tastatur, das pflichtbewusst Newtons Trägheitsgesetz befolgt hatte. Una vergewisserte sich, dass keine dringenden E-Mails eingegangen waren, und machte sich dann auf den Weg zu Gareths Büro. Er hatte nicht auf ihre Mail reagiert, in der sie sich nach möglichen Forschungsprojekten erkundigt hatte, durch die sie sich in ihrer neuen Abteilung würde etablieren können.

Sie blieb am Drucker stehen – der sogar Farbdrucke ausgab, sofern man sich bei Gareths Assistentin Trish hinreichend eingeschmeichelt hatte (was auf Una nicht zutraf). Auf das Gerät gestützt, gefährlich nahe am Tastenfeld, stand der neoliberale Tim.

Una ballte die Fäuste, sodass sich ihre Fingernägel in die Handflächen pressten. »Tim! Was machst du denn hier unten?«

Tim schimmerte seltsam. Erzeugte das Schottenmuster seiner Jacke diesen Effekt? Und er schaute finster drein. »Es gibt eine neue Säule auf der Management-Scorecard. Wir sollen nun alle abteilungsübergreifender arbeiten, daher bin ich hier, als Vertreter der Abteilung für Lebensversicherungen. Das erledige ich künftig immer montagmorgens, dann kann ich für den Rest der Woche die Zugbrücke hochziehen und in meinem Lehnsgut bleiben.«

»Verstehe. Du bist also nicht hier, um Gareth zu sehen?«

Tim richtete sich abrupt auf, als Una ihren derzeitigen Manager und seinen früheren Lebenspartner erwähnte. »Ganz und gar nicht. Wir haben jetzt ein rein berufliches Verhältnis.«

»Aber du hast nicht mal ein Haustier.«

Tim strahlte. »Hab ich wohl, Una. Gestatte mir, dir Sammy das Chamäleon vorzustellen.«

Erneut schimmerte Tim, und Una bemerkte die vagen Umrisse von Sammy auf seiner Jacke. Sie nickte. »Beeindruckend, aber eine Jacke mit Schottenmuster … Ist das nicht richtig grausam?«

»Blödsinn.« Tim setzte erneut eine finstere Miene auf. Dann wurden seine Züge weicher. »Verrat es keinem, aber Chamäleons können ihre Farbe nicht so leicht wechseln. Daher habe ich diese hässliche Jacke gekauft, die besser zu Sammy passt.«

»Und wie läuft’s bei euch oben sonst so?« Una fühlte sich nach wie vor mit ihrer alten Abteilung verbunden. Sie hatte erst vor ein paar Wochen ihre neue Stelle im Team für Haustierversicherungen angetreten. Allein der Umzug eine Etage tiefer hatte ihr eine völlig neue Firmenkultur offenbart.

Tim zuckte mit den Schultern. »So wie immer, Una. Ich könnte behaupten, es ist jetzt nur anders, aber wir wissen beide, dass es schlicht besser ist.«

Gareth gesellte sich zu ihnen, zu seinen Füßen hüpfte ein kleiner Hund. »Hey, Leute! Siehst gut aus, Tim. Interessante Jacke.«

Tim verschränkte die Arme, woraufhin sich auf seiner Brust etwas regte und die Farbe wechselte. »Das ist Sammy. Das Chamäleon.«

Gareth nickte lächelnd. »Das Chamäleon versucht wenigstens, sich seiner Umgebung anzupassen.«

»Ich glaube, wir von der Lebensversicherung fallen eben auf«, sagte Tim. »Ich wollte mich nur blicken lassen, um zu zeigen, dass ich mitmache.«

»Das weiß ich zu schätzen.« Gareth hob den Hund hoch, und das Tier sah Una mit zur Seite geneigtem Kopf an.

Am liebsten hätte auch sie den Kopf zur Seite geneigt, aber oh nein, auf keinen Fall.

»Also, Una, du wolltest wegen eines neuen Projekts zu mir kommen, stimmt’s?«

Es widerstrebte Una, vor Tim über das Thema zu sprechen. Er würde das Forschungspotenzial, das es im Hinblick auf Haustierversicherungen gab, nicht mit dem gebotenen Ernst behandeln.

Tim grinste. »Müssen wir den Schadenfreiheitsrabatt für Wüstenrennmäuse überprüfen?«

»Vielleicht können wir ein andermal darüber reden, Gareth?«, schlug Una vor.

Ihr Manager hob die Hand. »Nicht nötig. Ich dachte nur … du und Tim, ihr wart bei dem Projekt in Eastbourne ein großartiges Team. Ihr habt sowohl die Grenzen der versicherungsmathematischen Forschung erweitert als auch einen gefährlichen Serienmörder gefasst. Ihr solltet gemeinsam an einem Forschungsprojekt arbeiten, das euren beiden Abteilungen zugutekommt. Das wäre großartig für alle. Eine Win-win-Situation.«

Tim runzelte die Stirn. »Ich wüsste nicht, wie das ein Gewinn für mich sein sollte, Gareth. Ich bin für meinen Innovationsgeist bekannt. Was in aller Welt soll innovativ daran sein, einen Wellensittich zu versichern?«

»Und ich wollte dich eigentlich darum bitten, mir die Gelegenheit zu geben, mein Engagement zu beweisen«, sagte Una und fügte hinzu: »Ich würde gern zeigen, dass ich eine gute Teamplayerin bin.«

Gareth nickte teilnahmslos. Die Sticheleien perlten vom Panzer des erfahrenen Managers ab. »Großartig – das wäre also abgemacht. Ihr findet sicher ein Projekt, das euch beiden passt.«

Seine hartgesottene Freundlichkeit brach Unas Widerstand ein wenig. »Ich denke darüber nach, Gareth. Ich kann Patti fragen. Sie ist gut darin, neue Ideen zu entwickeln.«

»Super-duper«, erwiderte Gareth. »Lasst uns das ganze Potenzial unseres Teams nutzen. Tim?«

»Nur wenn der Vorschlag, der mir unterbreitet wird, gut genug ist.« Tim wippte auf den Fersen auf und ab. »Aber falls das Projekt dir – ich meine, deiner Abteilung – hilft, ziehe ich es zumindest in Betracht.«

»Das ist also ein Ja. Wir sprechen uns dann Ende des Monats wieder.« Gareth streichelte den Hund. »Das ist übrigens Thimble. Ich hab sie erst seit drei Wochen, aber wir sind bereits Seelenverwandte.«

Tim zog die Stirn kraus. »Du hast nie erwähnt, dass du einen Hund willst.«

»Dinge ändern sich, Menschen auch«, konterte Gareth. »Und jetzt, Thimble, besorgen wir dir ein bisschen Wasser. Bis dann, Leute!«

Gareth schlenderte davon, Thimble folgte ihm dichtauf.

»Ich bin im Moment ziemlich beschäftigt«, sagte Tim. »Ich muss ein großes Team leiten, also müsste dieses Projekt schon was ganz Besonderes sein, um überhaupt Tim-Zeit zu bekommen.«

Una sträubte sich innerlich. »Tja, ich habe auch sehr viel zu tun, lasse dich aber wissen, wenn mir etwas einfällt, das deine Aufmerksamkeit verdient.«

Tim senkte die Stimme. »Wie läuft’s mit der Führung deiner Absolventin? Ein oder zwei jüngere Mitarbeiter in meinem Team benehmen sich, als wären sie bei The Apprentice. Sie spielen sich auf und kritisieren meinen Führungsstil, obwohl sie noch gar keine Ahnung haben. Ganz schön anstrengend.«

»Also, Patti ist nicht so. Ich mach mich mal besser wieder an die Arbeit.«

Una brühte sich einen Kaffee auf und kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Die Wahrheit war: Sie hatte mit der Mitarbeiterführung zu kämpfen. Früher war sie ihren Vorgesetzten gegenüber immer voreingenommen gewesen, und jetzt, da sie selbst in leitender Position tätig war, erkannte sie, dass kein Vorgesetzter je wusste, was er tat – sie selbst wusste es ganz bestimmt nicht. Una hatte ein paar Seminare belegt, doch das bestärkte sie nur in ihrer Überzeugung, dass Führungsstärke nur wenigen von Natur aus gegeben war. Alle anderen litten ständig unter dem Hochstaplersyndrom. Ab und zu verdrängten kleine Erfolge Unas Unbehagen, wenn sie ein Verfahren erläutern oder einen Fehler erklären konnte, den sie selbst schon mal begangen hatte.

Zehn Minuten später erschien Patti an ihrem Schreibtisch, einen großen wiederverwendbaren Kaffeebecher mit Firmenlogo in der Hand. Sie trug mal wieder ein neues Outfit, vermutlich von der Online-Plattform für hochwertige recycelte Kleidung, die sie oft nutzte. Una hatte sich noch nie damit befasst. Sie bezog ihre Garderobe nach wie vor aus Läden, doch da sie sich bereits seit Längerem nichts Neues gekauft hatte, tröstete sie sich damit, dass das als eine Art Einstieg ins Recycling gelten könnte.

»Morgen«, sagte Una.

Patti schob das Proteinbällchen von ihrer Tastatur. »Morgen. Ist ein ganz normaler Wochenanfang, nur dass sich das Büro in einen Zoo verwandelt hat. Das New Yorker Team hat mir heute Nacht die Daten geschickt, mit denen ich die Tabellen erstellen kann, um die du mich gebeten hast.«

»Danke. Schön, dass hier noch jemand kein Haustier hat«, erwiderte Una.

Patti blickte von ihrem Bildschirm auf. »Natürlich hab ich ein Haustier – na ja, es gehört der Familie. Eine Perserkatze. Aber Nigella fährt nicht gern mit öffentlichen Verkehrsmitteln.«

Una nickte. »Das kann ich gut nachvollziehen. Übrigens habe ich gerade mit Tim gesprochen. Mit dem hab ich früher in der Abteilung für Lebensversicherungen zusammengearbeitet. Er leitet da jetzt ein Team.« Una war bemüht, sich möglichst positiv über die Beförderung zu äußern, die Tim nach dem verhängnisvollen Eastbourne-Projekt eingeheimst hatte – statt sie selbst.

»Das ist cool«, sagte Patti. »Ich würde eines Tages gern in seiner Abteilung arbeiten. Vielleicht kann ich mich ja mal wegen einer Beratung mit ihm in Verbindung setzen.«

Una seufzte. »Das würde ihm sicher gefallen. Er mag es, wenn er sich besser auskennt als andere.«

»Nein, nein. Ich nehme gerade an einem umgekehrten Mentoring-Programm teil, bei dem ich älteren Führungskräften Feedback dazu gebe, wie sie besser mit jüngeren Mitarbeitenden umgehen können. Dadurch sehen sie die Dinge aus meiner Perspektive. Aus der Sicht der Gen Z, verstehst du?«

Una lächelte. »Ich glaube, dafür wäre Tim die perfekte Wahl. Jedenfalls hat Gareth vorgeschlagen, dass wir mit ihm an einem abteilungsübergreifenden Forschungsprojekt arbeiten – zu Haustier- und Lebensversicherungen. Vielleicht hast du dazu ein paar Ideen?«

Patti war sofort Feuer und Flamme. »Wie toll! Ich erstelle ein paar Diagramme dazu.«

»Okay. Warum nicht?«, antwortete Una, obwohl sie genau wusste, was dagegensprach. Diagramme waren verwirrend. Unas Verstand kam nicht mit dem wirren Durcheinander zurecht, das Diagramme angeblich ordnen sollten. Sie war sich ziemlich sicher, dass ihr Gehirn das Format einer Excel-Tabelle aufwies.

Patti sprudelte förmlich über vor Begeisterung. »Bis wann brauchst du sie?«

Una zuckte mit den Schultern. »Ist nicht dringend.«

Pattis Enthusiasmus erreichte seinen Höhepunkt. »Ich würde mich über eine Abgabefrist freuen. Das würde mir helfen, denn ich bin eine INTJ-Persönlichkeit.«

»Sagen wir … bis Ende der Woche?«

Die Antwort schien Patti zu verärgern. »Tja, das wird schwierig, aber okay, ja, ich schaff das.«

»Großartig, danke.«

Una schaute auf ihr Handy. Ihre Mum bat sie mit einer SMS um einen Rückruf. Ein Notfall? Ihre Mutter lebte in Eastbourne, also war alles möglich. Sie stürzte auf den Korridor hinaus, um den Anruf zu tätigen.

»Hi, Una, entschuldige, dass ich dich auf der Arbeit störe«, sagte ihre Mum. »Cassie musste ins Krankenhaus. Sie bekommt einen Knieersatz. Es wurde plötzlich ein Termin frei. Wir haben ihr angeboten, uns um Pedro zu kümmern, aber sie besteht darauf, dass du auf ihn aufpasst.«

Una war empört. Pedro war der schwierige, scheue Kater, der Mums mystischer Freundin Cassie gehörte. Sie hatte gehofft, ihn nie wiederzusehen.

»Ich? Aber ich wohne nicht mal in der Nähe! Es verwirrt ihn sicher. Wenn ihr ihn aus Eastbourne fortschafft, reißt ihr ihn aus seiner gewohnten Umgebung. London ist bestimmt zu laut für ihn.«

»Cassie meint, ihr wäre wohler zumute, wenn er bei dir ist«, antwortete Unas Mum. »Sie hat angeblich in einer Vision gesehen, dass etwas Schlimmes passiert, vor dem Pedro dich beschützen wird. So, jetzt weißt du’s. Er wird höchstens sechs Wochen bei dir bleiben.«

»Sechs Wochen! Aber ich weiß doch gar nicht, wie man eine Katze versorgt. Wir müssen das besprechen!«

»Wir kommen am Wochenende rüber. Dann klären wir das.«

»Dieses Wochenende?«, stotterte Una. »Und was ist mit der Vision, die du erwähnt hast?«

»Ich glaube, die Verbindung bricht ab«, antwortete ihre Mum. »Ich muss los. Liebe Grüße von Ken.«

Una kehrte an ihren Schreibtisch zurück. Sie kochte vor Wut darüber, dass man ihr Pedro aufzwingen wollte.

Doch dann erinnerte sie sich an Rachidas verächtliche Reaktion von vorhin. Vielleicht wäre es wirklich ein wenig seltsam, sich nicht einmal darauf einzulassen, ein Haustier für sechs Wochen aufzunehmen.

In ihrer Jugend hatte sie eine Schildkröte namens Raymond gehabt. Sie wusste noch, wie sie auf dem Rasen hinter dem Haus gelegen und mit Raymond gesprochen hatte, während er mit dem ledrigen Kopf zustimmend genickt hatte.

Eines Winters hatte ihre Mum Raymond in einen mit Stroh gefüllten Karton gesteckt und in den Schrank unter der Treppe gestellt. Im Frühjahr hatten sie den Karton dann wieder herausgenommen.

»Schau nicht rein«, hatte ihre Mum gesagt. »Ich glaube, Raymond hat Probleme aufzuwachen.«

Am nächsten Tag hatte ihr Dad Raymond zu einem kleinen Loch gebracht, das er neben dem Rosenstrauch im Garten ausgehoben hatte.

»Una, willst du dich von Raymond verabschieden? Er geht in den Schildkrötenhimmel.«

Sie hatte sich gefragt, ob die Schildkröte wirklich so brav gewesen war, dass sie die Aufnahme in diesen seltsamen Himmel verdiente.

Ihr Dad hatte Raymond in ein gelbes Küchentuch gewickelt und wollte ihn gerade ins Loch legen, als sich ein graues, schuppiges Bein aus dem Karton reckte und wackelte.

»Er lebt!«, hatte ihr Dad gesagt und sich ihr strahlend zugewandt. »Er lebt noch.«

Una hatte weinen müssen – warum nur war das Leben so unberechenbar? Danach hatte sie kaum wieder ein Bedürfnis nach Haustieren verspürt.

»Vielleicht kannst du mir ein paar Ratschläge geben, wie man eine Katze versorgen muss, wenn ich nicht aus der Sache rauskomme«, sagte sie zu Patti, die bereits ein neues Diagramm mit zwei überlappenden Ovalen erstellt hatte. Die Überschrift lautete: Haustier- und Lebensversicherungen.

Patti strahlte. »Du willst dir eine Katze zulegen? Das freut mich so! Dann hast du einen Gefährten und fühlst dich nicht einsam.«

Einsam? Una hatte sich nie für einsam gehalten. Bis jetzt.

2

Vollendete Tat(zen)sachen

Una verbrachte den Samstagmorgen damit, ihre Wohnung aufzuräumen, um für den Besucheransturm gewappnet zu sein. Sie saugte den Laminatboden, spülte Tassen und besorgte Kekse (eine Packung mit Zartbitter-, eine mit Milchschokoladenkeksen). Gegen Mittag ließ sie sich in ihren massiven Sessel fallen und beäugte ihr Werk. Alles erledigt – jetzt musste sie nur verhindern, dass sie auf Pedro aufpassen sollte. Um 12.15 Uhr ertönte die Klingel, und ihre Mum kam mit Ken hereinspaziert.

»Schau dich nur an«, sagte ihre Mum. »Gut siehst du aus.«

Das traf eher auf Unas Mum zu, die braun gebrannt und mit verwuschelten Strähnchen aus den Flitterwochen zurückgekehrt war. Ken, ihr frischgebackener Gatte, war sogar noch brauner als sonst, was sein weißes, schütteres Haar stärker zur Geltung brachte.

»Schön, dich zu sehen!« Ken begutachtete die Wandfarbe im kleinen Flur mit einer Miene, die ihm bei jedem Amateur-Pokerspiel zum Verhängnis werden würde. Er klopfte mit den Fingerknöcheln an die Wände, um sich zu vergewissern, dass sie solide waren. »Endlich sehe ich mal deine Wohnung. Gar nicht so leicht hierherzufinden. Macht nichts, vielleicht kannst du dir eines Tages eine zentralere Wohnlage leisten als Balham.«

Die beiden ließen sich in Unas weiches Zweisitzersofa sinken. Una spannte sich an, als Ken eine Plastikkiste, die mit einem Tuch bedeckt war, sanft absetzte. Vermutlich lauerte Pedro irgendwo darin. Sie würde hart verhandeln müssen – so hart wie damals, als sie Luca vom Team für Projektmanagement dazu gebracht hatte, dem monatlichen Status-Update einen weiteren Gliederungspunkt hinzuzufügen.

»Wir haben dir ein Geschenk mitgebracht.« Unas Mum reichte ihr eine Tragetasche aus einem Duty-Free-Shop.

Una öffnete sie und fand darin die Flasche einer Likörsorte, von der sie noch nie gehört hatte.

»Der hat vierzig Prozent«, sagte Unas Mum. »Und ist wahrscheinlich illegal.«

»Aber authentisch«, fügte Ken hinzu.

»Wie aufmerksam«, sagte Una. Vielleicht bekäme sie mit dem Zeug den hartnäckigen Schimmel aus den Badezimmerfugen entfernt.

Ken beugte sich vor. »Na, dann wollen wir Pedro mal an sein neues Zuhause gewöhnen.«

»Zuhause?« Una schob den beiden den Teller mit Milchschokoladenkeksen zu wie Bestechungsgeld. »Ich hab noch nicht eingewilligt, auf Pedro aufzupassen. Du weichst dem Thema schon die ganze Woche aus, Mum. Wäre Pedro bei dir nicht besser aufgehoben? Du kannst doch so gut mit Katzen.«

Ihre Mum schüttelte den Kopf. »Ken verkauft gerade seine Wohnung und zieht bei mir ein. Das ist auch ohne Katze schon stressig genug.«

»Außerdem dachten wir, Pedro könnte dir ein wenig Gesellschaft leisten«, sagte Ken mit Blick auf den Stapel New-Scientist-Zeitschriften, die Una als Beistelltisch dienten.

»Ich bin mir Gesellschaft genug.«

Pedro steckte den Kopf aus der Katzenbox und zog ihn gleich wieder ein.

»Was ist mit Jean und John?« Una änderte ihre Strategie. Sie würde alle Leute aufzählen, die sie je in Eastbourne kennengelernt hatte, angefangen mit Mutters Bingogruppe.

»Die machen bald eine Ostsee-Kreuzfahrt«, antwortete ihre Mum.

»Raj?«

Unas Mum schüttelte den Kopf. »Der meint, er sei kein Tierfreund. Aber er fährt bald nach London, um sich ein Musical anzusehen. Wenn er hier ist, will er dir eine SMS schicke. Vielleicht hast du ja Lust, ihn zu begleiten.«

»Er hat Karten für Cats.« Ken beugte sich vor.

Una erschauerte. Es war schon schlimm genug, dass man sie zwang, auf eine Katze aufzupassen, ganz zu schweigen davon, dafür zu bezahlen, eine singen zu hören.

»Okay … Was ist mit Anton? Er kommt gut mit Pedro klar.« Una hatte selbst miterlebt, wie gut Kens Sohn Pedros angenehme Seiten herauskitzeln konnte.

»Die Sache ist die«, sagte Ken, »Anton ist momentan ein bisschen unbeständig. Ich hatte den Eindruck, nach der Hochzeit würde etwas zwischen ihm und Rosa laufen. Sie waren bei Dino essen. Aber jetzt redet er davon, sich hier eine Wohnung zu suchen.«

Rosa war bei der Hochzeit von Unas Mum und Ken für die Frisuren und das Make-up zuständig gewesen. Obwohl Una sie nicht so gut kannte, passte ihr unkonventioneller Modestil zu Antons nonchalanter Erscheinung. Vielleicht konnte Una die beiden verkuppeln, damit Anton in Eastbourne bleiben und Pedros Katzensitterdienst übernehmen würde.

»So eine Schande«, sagte ihre Mum. »Ich finde, sie passen perfekt zusammen. Menschen können sich echt selbst im Weg stehen, stimmt’s, Kenneth? Manchmal muss man nur erkennen, was zum Greifen nah ist.«

Die beiden schauten sich tief in die Augen.

Una wand sich kurz innerlich und beugte sich vor. »Pedro! Pedro!«, rief sie leise.

Der Kater tauchte auf, ein Bein nach dem anderen. Er tat Una ein wenig leid – sie war seine letzte Rettung.

»Wir haben jede Menge Futter für ihn dabei«, sagte Ken. »Wir haben ein Trockenfutter gefunden, das er mag. Und wir versuchen, ihm seine Katzenleckerlis abzugewöhnen. Sie sind nicht gut für ihn. Aber wir lassen dir eine Packung davon da, nur für den Fall.«

»Und wie sieht’s mit Impfungen aus?«, fragte Una.

Ihre Mum strahlte. »Ich wusste, dass du das fragen würdest. Er hat ein neues Flohhalsband um und ist gegen alles frisch geimpft.«

»Ich meinte eher mich«, erwiderte Una. »Muss ich mich impfen lassen?«

Inzwischen war Pedro komplett aus der Kiste geklettert und musterte neugierig schnüffelnd den Teppich.

Wie sollte sie es hinbekommen, mit diesem wilden Tier zusammenzuleben?

»Hört mal«, sagte Una, »ich bin damit überhaupt nicht einverstanden. Kann ich vielleicht mal mit Cassie sprechen? Du hast mir noch immer nicht ihre Nummer gegeben.«

Ihre Mum öffnete die Handtasche und nahm einen Kassenbon von Gregg’s heraus, auf dessen Rückseite eine Telefonnummer stand. »Gut, dass du mich daran erinnerst. Hier, bitte sehr. Sie meinte aber, du sollst dich nicht jeden Tag melden und ihr alles erzählen.«

»Was?«

»Sie würde nur gerne ab und zu einen Videocall machen«, fuhr ihre Mum fort, »damit sie weiß, dass es Pedro gutgeht.«

Una schnaubte. »Ist das nötig? Ich könnte sie kontaktieren, wenn etwas schiefläuft.«

»Das hilft ihr nicht bei der Genesung, oder?«, hielt ihre Mum entgegen.

»Ich habe auch nicht nach ihrer Nummer gefragt, um mich über Katzenpflege zu informieren, sondern um zu erfahren, warum sie mich auserwählt hat. Was hat sie in ihrer Vision gesehen?«

»Ach ja«, sagte Ken, »kurz bevor sie weggefahren wurde, hat sie mich am Arm gepackt und erzählt, sie hätte eine Vorahnung gehabt. Pedro wird dich angeblich vor Schaden bewahren. Sie hält es für äußerst wichtig, dass er vorerst bei dir bleibt.«

»Schaden? Welche Art von Schaden?«

Ken griff in seine Blouson-Lederjacke und reichte Una einen Umschlag. Darin steckte ein handgeschriebener Brief auf liniertem Papier mit einer Art Wasserzeichen. Die mit schwarzer Tinte verfasste Nachricht wies jede Menge Schnörkel auf, und Una hatte Mühe, die Schrift zu entziffern. Wie haben die Menschen nur kommuniziert, bevor es Textverarbeitungssoftware gab?

Liebe Una,

danke, dass du dich um Pedro kümmerst, doch vielleicht solltest du eher mir dafür danken, dass Pedro sich um dich kümmern wird. Ich habe von dir geträumt. Du warst ganz allein und verängstigt in einem dunklen Raum, während ringsherum Gefahr und Chaos herrschten. Aber irgendwie hat Pedro dich beschützt. Mir gefällt die Vorstellung nicht, dass er in einer Großstadt ist, also pass bitte auf ihn auf, nicht zuletzt um deinetwillen. Und sorg dafür, dass er einmal pro Woche Sardinen bekommt, damit sein Fell schön glänzt (Dosensardinen genügen).

Liebe Grüße, Cassie

Kürzlich, während Unas Eskapade in Eastbourne, war Pedro eine echte Bedrohung für sie gewesen. Er hatte sie bei ihrer Mordermittlung auf eine völlig falsche Fährte geführt. Cassies Visionen indes waren ziemlich exakt eingetreten, und nun prophezeite sie Unheil – für Una. In Unas Alltag gab es keine offensichtlichen Gefahren. Sie ging nur zur Arbeit, bezahlte ihre Rechnungen und hielt nach Löchern im Beton Ausschau. Welches neue Desaster drohte ihr jetzt?

»Eine Tasse Tee wäre schön«, sagte ihre Mum. »Die Fahrt war ganz schön anstrengend.«

Una brachte den beiden Tee und noch mehr Kekse.

»Wir übernachten in einem dieser Minihotels«, verkündete ihre Mum.

»Gemütlich und direkt an der Autobahn«, ergänzte Ken. »Ich möchte morgen wieder früh losfahren. Ich muss nachmittags rechtzeitig zum Ü-60-Stepptanzwettbewerb erscheinen.«

Una schwieg – sie würde sich auf keinen Fall in ein Gespräch über Stepptanz verwickeln lassen. Pedro war inzwischen bis zum Fernsehtisch vorgedrungen und schnüffelte an dem völlig überflüssigen Blu-ray-Player.

»Du könntest hier für unseren nächsten Besuch ein Schlafsofa aufstellen«, sagte Ken. »Mit meinem Rücken kann ich nicht auf einem normalen Sofa schlafen, und ich weiß es zu schätzen, dass du uns dein eigenes Bett anbieten würdest, aber das würde ich nicht wollen.«

»Ich kümmere mich darum«, antwortete Una. Sie hatte den beiden nicht angeboten, bei ihr unterzukommen, und war erleichtert gewesen zu hören, dass sie sich ein Hotel genommen hatten. Aber das war nicht sonderlich pflichtbewusst von ihr. Sie würde sich beim Ausverkauf nach einem Schlafsofa umsehen.

Jemand stupste ihr Bein an. Es war Pedro. Er strich mit dem Kopf an ihrem Schienbein entlang.

»Oooh, er mag dich«, sagte ihre Mum.

»Er will gefüttert werden«, erklärte Ken.

»Ist er eigentlich … stubenrein?«, fragte Una.

»Das Katzenklo ist im Kofferraum«, erwiderte Ken. »Ich hole es dir hoch. Informier dich einfach bei Google darüber. Heutzutage findet man alles im Internet.«

Una wappnete sich dagegen, an diesem Abend etwas über den bestmöglichen Umgang mit Katzenklos zu lesen. Cassies Warnung klang zwar vage und nicht überzeugend, doch man konnte nie wissen …

»Hört mal«, sagte sie, »da ihr ihn den ganzen Weg hierhergebracht habt, kann er bei mir bleiben, bis ich euch das nächste Mal besuche. Haben wir einen Deal?«

»Deal.« Unas Mum öffnete die Packung mit den gewöhnlichen Keksen.

»Wisst ihr, das ist schon lustig! Letzten Montag war wieder der Tag, an dem wir unsere Haustiere zur Arbeit mitbringen durften, und jetzt hab ich selbst eins – na ja, zumindest für eine Weile.«

»Schade«, sagte Ken. »Aber ich glaube nicht, dass Pedro es mag, viele andere Haustiere um sich zu haben. Deine Wohnung ist perfekt für ihn, hier hat er sein eigenes Reich. Und du könntest ihn vielleicht mal auf dem kleinen Rasenstück hinterm Haus herumlaufen lassen.«

»Das ist der Gemeinschaftsgarten.« Una unterdrückte den Drang, Ken über die hohen Nebenkosten ihrer Wohnung ins Bild zu setzen. »Ich behalte ihn wohl fürs Erste hier drinnen.«

»Wir machen uns jetzt mal auf den Weg und checken ein«, sagte ihre Mum. »Aber wir laden dich später schön zum Essen ein. Wo auch immer du hinwillst.«

»Wir kommen mit der U-Bahn zum Treffpunkt«, fügte Ken hinzu. »Das wird sicher ein kleines Abenteuer.«

»Was ist mit Pedro? Kann er allein bleiben?«

»Vielleicht stellst du seinen Korb in die Küche«, schlug ihre Mum vor, »mit ein bisschen Wasser und Futter.«

»Und mit der Katzentoilette«, ergänzte Ken. »Ein paar Stunden wird er schon durchhalten, stimmt’s, Kumpel?«

Er kraulte die Katze unterm Kinn, und Pedros frostige Unnahbarkeit verwandelte sich in wonnige Zuneigung.

Unas Mum und Ken zogen ihre Mäntel an, holten Pedros restliche Sachen aus dem Auto und fuhren schließlich los.

Nun war Una allein mit Pedro. Er schlich durch ihre Wohnung wie ein potenzieller Käufer. Was dachte er wohl? Seiner teilnahmslosen Miene nach zu urteilen, nicht viel.

Sie stellte den Katzenkorb in die Küchenecke vor die Möbel. Sie hatte sich nicht erkundigt, ob sie eine Katze in der Wohnung halten durfte, doch sicher würde niemand sie verpfeifen, und es war ja nur eine vorübergehende Lösung, um Cassie zu helfen.

Montag im Büro würde sie Patti um Rat fragen, was sie mit Pedro machen sollte. Musste sie mit ihm spazieren gehen? Wenn nicht, was für eine Art von Trainingsplan musste sie befolgen? Wie oft brauchte er Futter – und wie viel? Wie sollte sie die Katzentoilette reinigen, in welchen Mülleimer gehörte das Streu? Und am wichtigsten: Pedros Haustierversicherung. Deckte Cassies Police seinen Aufenthalt bei einer dritten Person ab?

Pedro hatte seinen Rundgang beendet und putzte sich. Immerhin war er selbstreinigend wie ihr Backofen.

Una schrieb Anton eine Textnachricht:

Ich hab gehört, du bist vielleicht auf Wohnungssuche. Sag Bescheid, wenn ich helfen kann.

Ein paar Sekunden später antwortete er:

Ich komme nächste Woche zur Besichtigung runter, suche nur ein Zimmer in einer Wohngemeinschaft. Ich freue mich nicht darauf. Vielleicht könntest du bei der einen oder anderen Begehung mitkommen, falls ich überhaupt eine habe. Ich habe gehört, du kümmerst dich um Pedro.

Hoffentlich erwartete er nicht, dass sie ihn bei sich auf dem Sofa schlafen ließ – schließlich musste sie schon eine Katze beherbergen. Sie beschloss, ihm ein vages, aber höfliches Angebot zu machen.

Weißt du schon, wo du übernachtest?

Ja, danke. Ich wohne bei meinem Kumpel und seiner Freundin in Stoke Newington. Hoffentlich finde ich in der Gegend etwas.

Una kannte sich in Stoke Newington nicht sonderlich gut aus und wusste nur, dass es irgendwo im Norden Londons lag. Sie hatte ihre eigene Wohnungssuche gehasst – ständig von Leuten ausgefragt zu werden und keinen hinreichend guten Eindruck zu hinterlassen, um eine Wuchermiete für ein schäbiges Zimmer in einem Haus mit Gemeinschaftsbad und -küche zahlen zu dürfen. Zum Glück hatte sie jetzt ihr eigenes Apartment.

Pedro gähnte. Tja, größtenteils ihr eigenes Apartment.

Sie schickte eine SMS zurück:

Ich helf dir gern bei der Suche.

Danke. Übrigens ist in ein paar Wochen Premiere: Ich zeige das Hochzeitsvideo in der Wohnung deiner Mutter, falls du kommen willst.

Una fragte sich, ob Rosa bei dieser Premiere dabei wäre. Das könnte eine gute Gelegenheit sein, sie mit Anton zu verkuppeln … und dann könnte sie Anton den Katzensitterdienst für Pedro aufs Auge drücken. Klar, sie hatte bisher noch nichts mit Verkupplungen am Hut gehabt, niemand hatte sie je darum gebeten. So etwas überließ sie Amara, der seit Unizeiten selbst ernannten Expertin in Sachen Partnervermittlung. Bei ihrem Videocall letzten Sonntag hatte ihre Freundin sie dazu gedrängt, wieder Numbr zu nutzen, die Dating-Seite für mathematisch Interessierte. Sie behauptete, ein so spezialisiertes Portal würde automatisch Perverse und Zeitverschwender aussortieren. Wenn Una an ihren Mathekurs an der Universität in Leeds zurückdachte, wusste sie allerdings nicht so recht, wie Amara zu diesem Schluss gelangt war. Und jetzt, da Una sich um eine Katze kümmern musste, war sowieso keine Zeit mehr für Zahlenromantik.

Ja, ich komme zur Premiere. Mit Popcorn.

Mit ungesüßtem und nur vollständig aufgegangenem Popcorn, um die Zähne zu schonen und sich nicht zu verschlucken.

Nachdem Una Pedros Sachen sortiert hatte, machte sie sich fürs Abendessen mit ihrer Mum und Ken fertig. Ehe sie aufbrach, schaute sie noch einmal nach Pedro. Er ignorierte sie geflissentlich und stierte gezielt auf eine völlig unauffällige Stelle des Teppichs.

»Denk bitte daran, dass dein Katzenklo in der Küche steht.«

Das war stressig – sie war nicht darauf vorbereitet, ihn zeitweise zu betreuen. Aber was war das für eine Gefahr, die Cassie vorausgesagt hatte, und wie könnte Pedro sie davor schützen?

3

Neun-Lebens-Versicherung

Patti hatte einen der großen Besprechungsräume im obersten Stock reserviert, um das abteilungsübergreifende Projekt für Haustier- und Lebensversicherungen zu präsentieren. Diese Art von Raum diente sonst Meetings mit wichtigen Kunden, doch an diesem Dienstagnachmittag saßen nun Una, Patti und Tim am Zehn-Personen-Tisch. Die Sonne schien durch die bodentiefen Fenster, vor denen sich ganz London erstreckte.

Patti traf noch die technischen Vorkehrungen für ihre Präsentation, die sie auf dem großen Wand-Bildschirm am Tischende zeigen wollte. Una hatte vor, sich mit den anderen über den Arbeitsaufwand des Projekts zu einigen – und darüber, wie sie ihren und Pattis Beitrag sichtbar machen konnte, ohne dass Tim das gesamte Lob kassierte.

»Ich könnte den ganzen Tag hier sitzen und die Aussicht genießen«, sagte Tim und scrollte auf seinem Handy.

»Die Aussicht ist unglaublich«, stimmte Una zu.

»Hast du am Wochenende irgendwas Aufregendes gemacht?«, fragte er.

Una schüttelte den Kopf. »Nein, ich hab nur ein wenig rumgebummelt. Aber Anton kommt nächsten Sonntag zur Wohnungssuche her, und ich habe ihm gesagt, dass ich ihn bei der Besichtigung unterstütze.«

Una wünschte sich, Anton nicht erwähnt zu haben. Während der Ermittlungen in Eastbourne war Tim bei jeder Begegnung mit ihm zum Super-Alphatier mutiert, um Anton den Rang abzulaufen.

»Echt?«, fragte Tim. »Ich habe ein Portfolio von Mietobjekten. Aber ich kann mir vorstellen, dass die meisten davon über Antons Budget liegen. Das sind Wohnungen für gut verdienende Berufstätige, die ein erstklassiges Objekt in zentraler Lage suchen. Wo schaut er sich denn um?«

»Er sucht etwas in der Nähe seiner Freunde, in Stoke Newington.«

Tims Züge erstarrten. »Stoke Newington! Eine Siedlung im Norden Londons, in die nur eine einzige Buslinie fährt, damit die Aura der Spießigkeit gewahrt bleibt. Nicht mein Ding. Ganz und gar nicht.«

»Ich kenne den Stadtteil nicht«, erwiderte Una. »Ich habe keine Lust, ewig in einem Bus zu sitzen.«

»Nimm dir was zu lesen mit«, schlug Tim vor. »Fortgeschrittene Methoden für den Versicherungsmathematiker, Band eins bis drei.«

»Oh je.« Unas Motivation, nach Stoke Newington zu fahren, war soeben um zwölf Prozent gesunken. Zugleich wusste sie, wie schrecklich es war, eine anständige Mietwohnung in London zu ergattern, und fühlte sich verpflichtet, Anton moralisch zu unterstützen.

Tims Miene hellte sich auf. »Und geht es Ken und deiner Mutter gut?«

»Ja. Aus irgendeinem Grund fragt Ken oft nach dir.«

Tim hatte Ken ebenfalls in Eastbourne kennengelernt, und die beiden hatten sich bei Kens Junggesellenabschied angefreundet.

»Ich mag Ken«, sagte Tim, »er hat Temperament.«

»Stimmt wohl.«

»Und grüß mir die alte Schnarchnase Anton. Falls ich höre, dass eine Wohnung in der Preisklasse für sogenannte ›Spätstudenten‹ frei wird, geb ich dir Bescheid.«

»Danke.«

»Ich fühle mit ihm.« Patti richtete sich auf, nachdem sie es geschafft hatte, ihre Präsentationsfolien auf den Bildschirm zu bringen. »Ich wohne noch bei meinen Eltern, und egal, wie viel ich spare, ich bekomme nie genug für die Kaution einer eigenen Wohnung zusammen.«

»Dann musst du mehr sparen«, sagte Tim. »Ein paar teure Kaffees weniger und nicht so viele Avocado-Toasts wären ein Anfang.«

Patti wandte sich ihm zu. »Das ist so ein herablassendes Klischee. Ich esse nicht mal mehr Avocado-Toast. Mum macht mir immer eine große Portion Bircher-Müsli.«

Tim schnaubte.

Patti klopfte mit ihrem lackierten Fingernagel, der wie eine Koralle schimmerte, auf den Tisch. »Gut. Konzentrieren wir uns. Meine Präsentation ist bereit zur Durchsicht.«

Der große Bildschirm zeigte die Titelfolie: Haustiere und Lebenserwartung – Vorschlag für ein abteilungsübergreifendes Forschungsprojekt.

Una war ein wenig stolz auf ihre Absolventin, die Tim gegenüber so professionell auftrat.

»Großartig«, sagte Tim. »Gute Initiative.«

Patti nickte. »Ich trage euch jetzt meinen Vorschlag vor, aber unterbrecht mich bitte, falls ihr Fragen habt.«

Auf den ersten Folien wurden die Hintergründe zum Thema Haustier- und Lebensversicherungen erklärt – die Größe des Marktes, die wichtigsten Trends –, dann kam Patti zur Folie mit ihrem Forschungsvorschlag.

»Gareth meinte, wir sollen uns ein abteilungsübergreifendes Projekt suchen, das die Interessen von Haustier- und Lebensversicherungen kombiniert. Ich schlage vor, wir beschäftigen uns mit dem Verhältnis zwischen Haustieren und der Lebenserwartung ihrer Besitzer. Verlängert ein Haustier das Leben des Halters, und wenn ja, können wir einen Zusammenhang zwischen der Lebenserwartung und bestimmten Haustierarten erkennen?«

Tim legte sein Handy weg. »Dazu ist doch sicherlich schon viel geforscht worden.«

»Es gibt Studien auf dem Gebiet«, erwiderte Patti. »Die habe ich im Anhang auf einer Folie verlinkt. Aber ich schlage vor, dass wir uns eine bestimmte Art von Haustier ansehen und das Thema vertiefen. Ich zum Beispiel habe eine Katze. Wir könnten uns auf Katzenbesitzer konzentrieren und vielleicht sogar verschiedene Rassen untersuchen, um zu sehen, ob es Abweichungen gibt.«

Tim beugte sich vor. »Wie sollen wir uns auf die Auswirkungen von Katzenhaltung auf die Lebenserwartung fokussieren und zugleich alle anderen Faktoren ausschließen?«

»Das ist immer schwierig.« Patti ließ sich von Tims Fragen nicht aus der Ruhe bringen. »Aber wir würden uns vergleichbare Projekte ansehen, um herauszufinden, wie man diesen einen Aspekt am besten isolieren kann.«

»Wir bräuchten nur einen ausreichend großen Querschnitt«, sagte Una.

»Vielleicht müssen wir noch mehr Faktoren beachten, etwa, ob die jeweilige Person schon früher Katzen gehalten hat«, warf Tim ein.

»Vielleicht sollten wir mehr über die verschiedenen Rassen herausfinden und überlegen, wie wir sie richtig eingruppieren«, sagte Patti.

Unas Gehirn schwirrte. »Gute Idee – aber wir können die Rassen nicht bis zur x-ten Ebene analysieren. Wir sollten die fünf beliebtesten herauspicken oder einen Weg finden, sie zusammenzufassen.«

»Ich glaube immer noch, dass wir dabei ständig falsche Rückschlüsse ziehen würden«, merkte Tim an. »Könnte doch sein, dass die langlebigsten Katzenbesitzer einfach die sind, die die meiste Zeit mit ihren Tieren verbringen.«

»Lasst uns die Daten auswerten und sehen, was dabei herauskommt«, sagte Una.

Tim verdrehte die Augen. »Ja, danke, Una. Ich bin nicht derjenige, der hier ausgebildet wird. Ich muss zugeben, Patti, die Idee hat Potenzial. Ich könnte ein paar meiner Neuen darauf ansetzen. Dann wären sie für eine Weile ruhiggestellt und würden nicht ständig rumjammern.«

»Danke, Tim«, antwortete Patti mit einem Pokerface. »Und was deine Absolventen betrifft, könntet ihr vielleicht an dem neuen Programm für umgekehrtes Mentoring teilnehmen. Dafür kriegst du beim Management-Team sicher ein paar Brownie-Punkte. Gareth ist ein großer Fan davon.«

»Umgekehrtes Mentoring?« Tim runzelte die Stirn. »Du meinst … du meinst … dann seid ihr meine Mentoren?«

»Ja.«

»Und für was?«

»Wir helfen dir, die Dinge aus der Sicht jüngerer Teammitglieder zu sehen.«

Tim sträubte sich. »Aber ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich mir das schon den ganzen Tag anhören muss. Außer, ich trage meine fantastischen Kopfhörer mit Geräuschunterdrückung – oder mit Gejammerunterdrückung, wie ich es jetzt nenne.«

Patti lächelte ihn an. »Ja, aber stell dir vor, wie viel besser es wäre, wenn du die Sichtweise eines Juniors kennenlernen und so herausfinden könntest, warum er sich beschwert und wie du die Ursache dafür beseitigen kannst. Dann würde auch der Lärm außerhalb deiner Kopfhörer verschwinden.«

Es war ein wenig beängstigend, Patti mit etwas Distanz zu beobachten. Sie hatte es auf Tim abgesehen, was eindeutig die Möglichkeit eröffnete, dass sie sich auch Una vorknöpfen würde.

Tim wirkte verunsichert. »Tja, mal sehen, ob ich die Zeit dafür finde. Ich weiß dein Angebot allerdings zu schätzen.«

»Ich finde einen freien Termin in deinem Kalender und schick dir eine Einladung zu unserer ersten Sitzung«, erwiderte Patti.

»Großartig«, sagte Una. »Danke für die Präsentation, Patti. Das klingt toll. Wäre schön, wenn du die wichtigsten Punkte auflisten könntest, damit wir daran arbeiten können, und ich halte Gareth über unseren Fortschritt auf dem Laufenden.«

»Moment mal … Ich finde, ich sollte Gareth darüber informieren«, wandte Tim ein. »Immerhin ist das Ganze eine abteilungsübergreifende Kooperation, und ich bin in der anderen Abteilung.«

»Tja«, brummte Una wütend, war aber außerstande, ein Gegenargument vorzubringen.

»Ich setze euch natürlich beide in CC«, fügte Tim hinzu, schnappte sich sein Handy und verließ fluchtartig den Raum.

»Er wird viele Sitzungen mit seinem Mentor brauchen«, sagte Patti.

»In der Tat«, stimmte Una zu. »Ich hol dir einen Kaffee – gut gemacht!«

Patti lächelte und wirkte plötzlich wieder wie eine junge Uni-Absolventin, nachdem sie sich beim Vortrag so erschreckend gut im Griff gehabt hatte. »Danke, Boss.«

Auf dem Weg zum Aufzug dachte Una über ihre eigene Lebenserwartung und ihre jüngst entstandene Beziehung zu Pedro nach.

»Woher weiß man eigentlich, was die eigene Katze tagsüber so macht?«, fragte sie. »Ich meine, was, wenn ich nach Hause komme und Pedro alles zerfetzt hat?«

»Hast du keine Katzenkamera installiert?«, erkundigte sich Patti. »Wir hatten Nigella zunächst eine Halsbandkamera umgehängt, aber das lieferte zu viele Aufnahmen. Jetzt haben wir ein paar Kameras im Haus verteilt, damit wir tagsüber nach ihr sehen können. Bei einem Hund ließe sich jemand finden, der nach ihm sieht, mit ihm spazieren geht, aber es ist nicht so leicht, einen guten Katzensitter zu bekommen.«

»Ist es nicht ein bisschen seltsam, Pedro zu überwachen?«

»Das geschieht doch in guter Absicht, oder?«, sagte Patti, als sie aus dem Aufzug traten.

Una beschloss, später darüber nachzugrübeln. Es war ja nicht so, als könnte sie Pedro um sein Einverständnis bitten, und sie sollte sich für Cassie gut um ihn kümmern.

Zurück an ihrem Platz, fand sie eine Nachricht von Tim vor und baute einen Videocall zu ihm auf.

Er saß ergonomisch korrekt an seinem Schreibtisch und wirkte selbstsicher. »Ich habe Gareth gerade über unser Projekt auf den neuesten Stand gebracht. Ich freue mich sehr, dass du mit Patti bei meiner abteilungsübergreifenden Kooperation mitmachst. Das dürfte sich auf den Bereich Haustierversicherungen vorteilhaft auswirken.«

Una biss die Zähne zusammen. »Moment mal, das war meine Idee! Ich habe das Projekt vorbereitet und Patti gebeten …«

»Una, sei jetzt nicht so emotional. Gareth war sehr zufrieden mit deinem Beitrag, und ich sorge dafür, dass du die volle Anerkennung für deine Leistung bekommst. Ich finde nur, dass meine Führungsqualitäten unsere Initiative besser auf Touren bringen, stimmt’s?«

Una war keine Expertin für unterschwellige Botschaften. Ihr war es lieber, wenn die Leute nur das sagten, was sie auch meinten, und sie nicht zwischen den Zeilen lesen musste. Allerdings war sie mittlerweile eine Expertin für Tim, und seine plötzliche Begeisterung für Haustiere und deren Versicherung schien mit Gareth zu tun zu haben. Seit der Trennung der beiden hatte Tim in den letzten sechs Monaten Trübsal geblasen, während Gareth anscheinend darüber hinweg war. Una musste sich ihre Kämpfe gut aussuchen, und in Tims Fall wäre es wohl vorerst netter, ihm das Gefühl zu geben, das Sagen zu haben.

»Okay, Tim. Verstehe. Du willst vor Gareth gut dastehen.«

»Das weiß ich zu schätzen. Und natürlich helfe ich gern, falls ich etwas beisteuern kann. Tim scheut sich nicht, die Ärmel hochzukrempeln, sofern er rechtzeitig informiert wird und von vorneherein klar ist, wann er die Ärmel wieder runterkrempeln kann.«

Una beendete den Call.

»Patti, wir haben grünes Licht von Gareth, und Tim bietet uns seine Hilfe an.«

Patti sah auf, ohne ihr unfassbar schnelles Getippe auf der Tastatur zu unterbrechen. »Cool. Ich schicke euch gleich die nächsten Arbeitsschritte. Ich denke, ich stelle ein paar Nachforschungen über Rassen an, um herauszufinden, ob es irgendwelche natürlichen Gruppierungen gibt, die wir berücksichtigen sollten. Vielleicht finden wir in Katzenlexika oder Enzyklopädien die gängigsten Stichwörter.«

Una lernte auf die harte Tour zu akzeptieren, dass manche Leute ihre Arbeit besser erledigten als sie.

»Klingt gut. Ich schaue mal, welche Katzenkameras ich für Pedro besorgen kann«, antwortete Una. »Obwohl mir dein Vorschlag gut gefällt, einen Katzensitter zu suchen. Lass mich mal sehen.«

Sie googelte nach Katzen Balham und fand einen Link zu The Balham International Cat Show. Die Ausstellung würde Mitte Mai stattfinden. Dort würden Katzen aus aller Welt gegeneinander antreten, und letztlich sollte eine Superkatze gekürt werden. Der Wettbewerb fand in dem Gemeindezentrum statt, das nur wenige Gehminuten von Unas Wohnung entfernt war. Der Artikel endete mit einem kurzen Absatz darüber, dass die Londoner Katzengemeinschaft über den tragischen Unfalltod von Jeff Bridgely, dem Repräsentanten des letztjährigen Siegers, trauerte. Nicht gerade das, was Una lesen wollte, wenn ihr neues Projekt darum kreiste, dass sie Katzen mit neun Leben und Besitzer in einem richtig hohen Alter finden wollten.

»Patti, ich schicke dir schnell einen Link. Nächsten Monat findet eine Katzenausstellung statt. Da dürften wir herausfinden, welche Rassen am beliebtesten sind. Vielleicht besorge ich mir ein Ticket.«

»Ich könnte mitkommen«, sagte Patti.

Una hatte ganz vergessen, dass Uni-Absolventen immer Angst hatten, etwas zu verpassen. »Aber der findet am Wochenende statt. Außerhalb der Arbeitszeit. In Balham.«

»Das geht schon in Ordnung. Sag mir einfach, wann du hingehst, dann kann ich das arrangieren. Vielleicht kaufe ich da ein paar Leckerlis für Nigella.«

Una freute sich. Es wäre besser, den Wettbewerb in Begleitung zu besuchen, und Tim hatte eine Katzenallergie, sodass er sicher weniger erpicht auf die Veranstaltung wäre. Trotzdem müsste Una auch ihn einladen, damit er vor Gareth gut dastehen könnte.

Sie las weiter. »Auf dem hiesigen Bauernmarkt gibt es am Samstag eine Art Infostand. Ich kann die Details in Erfahrung bringen, und dann entscheiden wir am Montag, ob es sich lohnt, da hinzugehen.«

Patti lächelte sie an. »Klingt nach einem Plan. Danke, Una. Mir gefällt dein Ansatz sehr, über den Tellerrand hinauszuschauen.«

Una strahlte und empfand einen leichten Anflug von Stolz auf ihren Führungsstil.

Sie hatte sich nie auf den hiesigen Bauernmarkt gewagt, in der Annahme, dass es dort nur überteuerte Eier und unverpackte Lebensmittel gab, die von den Besuchern angehaucht und kontaminiert wurden. Möglicherweise würde man dort auch auf lebendes Vieh stoßen. Eine Herdenpanik in Balham? Aber sie musste da hin – die Katzenausstellung wäre eine hervorragende Datenquelle. Dann fiel ihr Cassies Warnung ein, und ihre Finger kribbelten. Gehörte der Wettbewerb – dieser unglaubliche Glücksfall, der ihr in den Schoß gefallen war – irgendwie zur ominösen Bedrohung?

4

Der Versuch, auf Balhams Bauernmarkt nicht abzukratzen

Am Samstagmorgen aß Una halbherzig eine Schüssel Porridge, das sie so unbefriedigend fand wie die Goldilocks zu Beginn ihrer Haferbrei-Odyssee. Anschließend zog sie sich ihre neue leichte Weste über und machte sich auf den Weg zum Bauernmarkt.

Seit ihrem Umzug nach Balham vor fünf Jahren war die Wohngegend exklusiver geworden. Damals war Una sich vorgekommen wie eine unbeliebte, wohlhabende Gentrifiziererin. Jetzt – beim Anblick der gut betuchten Neuankömmlinge – hielt sie sich eher für eine unbeliebte, aber leicht armselige Gentrifiziererin.

Una schlenderte die Hauptstraße entlang, die von Spezialitäten-Cafés und Wettbüros dominiert wurde, und erreichte das Gemeindezentrum. Das Gebäude sah aus, als wäre es früher ein Stallhof gewesen. Heute jedoch standen auf dem Kopfsteinpflaster davor lauter Verkaufsbuden und jede Menge Kunden. Auf dem Markt herrschte reges Treiben, nirgends gab es Sitzgelegenheiten, das Ganze richtete sich offenbar an Menschen, die ruhelos umherstreiften wie Mittelschicht-Haie. Una lief die erste Reihe ab und wollte alle Stände systematisch abklappern, bis sie irgendwann zum Infostand der Balham International Cat Show käme.

Wie befürchtet boten viele Stände unverpackte Lebensmittel an. Fudge, Muffins, Brote – alles angeblich hausgemacht. Unas Blick fiel auf einen Rote-Bete-Brownie. Für manche ein appetitlicher Snack, aber hier, im Freien und auf einem Teller an der Stirnseite eines Standes, glich das Gebäck in ihren Augen eher einer Petrischale, in der es von Bakterien nur so wimmelte. Der Mann neben ihr tauchte ein kleines Stück Brot in eine Schale mit Olivenöl, das alle Kunden probieren durften.

Rasch ging sie an einem Stand mit Badekugeln vorbei. Es grenzte an ein Verbrechen, Menschen aus Profitgier mit aggressiven Gerüchen zu belästigen. Die handgefertigten Seifenstücke stellten Una jedoch vor eine Art Rätsel. Waren die öffentlich ausgelegten, unverpackten Seifen schmutzig oder sauber? Wenn jemand anders sie in die Hand genommen hatte, bevor man sie kaufte, wurden dessen Keime sicherlich später beim Gebrauch abgespült. Oder bräuchte man ein Extrastück Seife, um diese Seife zu säubern?

Sie spürte einen leichten Druck an der Wade und schaute hinab. Ein großer Hund schnüffelte an ihrer Jeans. Sie wollte ein so kräftiges Tier nicht ausschimpfen und sah sich nach dem Besitzer um. Typisch! Ein abgelenkter Mann in den Vierzigern mit windzerzaustem Haar, Skijacke und Designer-Gummistiefeln stand in der Nähe und beäugte ein Glas mit eingelegten Limetten. Aus seiner Jackentasche hing eine lange Leine heraus. Er war eindeutig der Halter und sah dem Hund sogar ähnlich.

»Henri!«, rief der Mann, ohne das Tier auch nur anzusehen.

Der Hund eilte hinüber zu seinem Herrchen und blickte voller Bewunderung zu ihm auf, während der Mann weiterhin diverse Gläser in die Hand nahm. Unwahrscheinlich, dass Pedro Una je mit solcher Hingabe ansehen würde.

Sie bog um die Ecke und entdeckte eine Bude, auf die jemand mit Filzstift Information geschrieben hatte, und darunter stand Balham International Cat Show. Neben einem riesigen Fotoalbum lagen altmodisch fotokopierte Faltblätter auf dem Tisch. Daran saß eine Frau in den späten Sechzigern mit kurz geschnittenem grauen Haar und extrem ausdrucksstarken braunen Augen, die sich in diesem Moment direkt in Unas Seele bohrten.

Una brauchte einen Augenblick. Sie nahm sogar ein Glas Honig in die Hand, der von Bienen aus Balham stammte. Sie fragte sich, welche Eigenarten des hiesigen Bienenvolks wohl den Geschmack prägten. Wirkten sich vielleicht die gute Verkehrsanbindung und die hervorragenden Grundschulen irgendwie darauf aus?

Sie musste zu dem Infostand gehen. Sie hatte Patti davon erzählt, und das würde ihrem tollen neuen Projekt auf die Sprünge helfen. Außerdem war Una jetzt eine mittlere Führungskraft! Aber die unheimliche Frau hinter dem Stand schüchterte sie ein.

Trotzdem lief Una los und schaute dabei nach rechts und links, als ob sie eine Straße überquerte. Die Frau stierte sie immer noch an.

»Ja?«, fragte sie, als Una vor ihr stand. »Kann ich Ihnen helfen?«

War es nicht völlig offensichtlich, was Una an einem Informationsstand der Balham International Cat Show wollte?

»Ich wüsste gerne mehr über die Katzenausstellung«, sagte sie und wich dabei immer wieder dem stählernen Blick der Frau aus. Aber natürlich! Diese Dame hatte viel Zeit mit Katzen verbracht und konnte nun andere Menschen mit katzengleicher Hartnäckigkeit anstarren.

»Verstehe«, sagte die Frau. »Wir haben eine sehr umfangreiche Website. Was genau möchten Sie denn wissen?«

Das lief nicht gut. Die Frage war berechtigt. Warum war Una hier? Warum informierte sie sich nicht online – wie alle anderen? Aber wenn die Informationen so leicht zugänglich waren, wieso gab es dann überhaupt diesen Infostand?

»Ich habe seit Kurzem eine Katze. Eine Hauskatze. Und ich habe mich gefragt, was die Ausstellung einer frischgebackenen Katzenhalterin an Ideen oder Ratschlägen bieten könnte.«

Wow. Una klopfte sich im Geiste auf die Schulter. Das hatte sie richtig gut improvisiert. Es stimmte sogar irgendwie. Sie hatte nur verschwiegen, dass sie die Ausstellung als eine Art Datenquelle nutzen wollte, um ihr berufliches Forschungsprojekt voranzubringen. Das war nicht die Art von Grund, die diese furchterregende Person gutheißen würde.

Die Frau klopfte langsam mit den Fingern auf den billigen lila Tischüberzug. »Öffnen Sie das Fotoalbum.«

Es war ein altmodisches Album, in dessen gepolsterten Kunstledereinband in goldenen Lettern das Wort Katzen geprägt war. Zaghaft klappte Una es auf. Sie hatte kein Desinfektionsgel dabei – ein großer Fehler, wenn man mit analogen Informationen arbeitete.

»Soll ich eine bestimmte Seite aufschlagen?«, fragte Una.

»Im ersten Teil finden Sie die Bilder der letztjährigen Gewinner. Aber wenn Sie weiterblättern, werden Sie sehen, dass es auf der Ausstellung einen Markt gibt, wo Sie alles Mögliche kaufen können: hochwertiges Futter, Pflegezubehör, Kostüme …«

»Kostüme?«, hakte Una nach.

»Körbe, Katzenklos, Überwachungsgeräte …«

»Okay, das ist interessant.«

»Spielzeug, Leckerlis, Musik. Aber meiner bescheidenen Meinung nach ist der Höhepunkt der Katzenwettbewerb selbst.«

»Dieser Wettbewerb ist doch nur eine lustige Veranstaltung, bei der eine Katze einen Preis gewinnt, oder nicht?«

Die Frau blinzelte. »Sie sind wirklich eine Anfängerin, nicht wahr? Vielleicht sollten Sie sich lieber nächstes Wochenende die Clapham North Catstravaganza ansehen. Sehr kommerziell, eher für ein Mainstream-Publikum. Den Tootinger Katzenfestzug haben Sie knapp verpasst – der war letzten Monat –, kein großer Verlust. Und für die echten Profis gibt es die Balham International Cat Show – der prestigeträchtigste Wettbewerb des Südwest-Londoner- Katzen-Grand-Slam.«

Hätte Una ein Fell gehabt, hätte es sich jetzt gesträubt. Diese Frau war äußerst ungehobelt, aber auf eine Weise, die es Una unmöglich machte, einfach wegzugehen. Eine Art von hypnotisierender Unhöflichkeit, die einen in ihren Bann zog.

Una blätterte weiter durch das Album. Das erste Foto zeigte die Beste Perserkatze. Wie die Frau sah auch die Katze Una an, als wäre sie ein zweitklassiges Wesen. Die Überschrift lautete Lord Partington-Lane III.

»Ein königlicher Stammhalter«, sagte Una. »Ich wette, diese Katze bekommt Kaviar zum Frühstück.«

Humor war ein gutes Mittel, um bei Fremden das Eis zu brechen. Zugegebenermaßen hatte sie bislang noch nie Erfolg damit gehabt, doch Smalltalk fiel ihr schwer, und sie musste das volle Repertoire ihrer Konversationsfertigkeit nutzen.

»Das ist der Name der Katze«, erklärte die Frau kopfschüttelnd. »Darunter steht in kleinerer Schrift der des Besitzers. Der eigentliche Star ist die Katze.«

Una beäugte den Text. Da stand er, unter Lord Partingtons Namen: Rosemary Sconce.

»Oh. Oh, ich verstehe. Warum hat sie ihrer Katze einen so langen Namen gegeben?«

»Das ist ein ganz besonderes Tier«, sagte die Frau. »Wohingegen Rosemary eine ganz gewöhnliche Halterin ist.«

Das nächste Bild zeigte die Beste Langhaar – Mademoiselle Fifi Lautrec, im Besitz von Luke Lavish. Dann kam Beste Kurzhaar – Greyfriars Davenport von Devizes, im Besitz von Sue Carmichael. Una war froh, dass Pedro nur einen Namen hatte. Schlicht. Angemessen.

»Wollen Sie Ihre Katze anmelden?«, fragte die Frau. »Ich kann Ihnen einen Sonderrabatt für die Teilnahme anbieten, da Sie heute persönlich hier sind. Fünf Prozent Rabatt. Befristetes Angebot. Ich heiße übrigens Ellen.«

»Ich bin Una. Ich weiß nicht, ob Pedro für eine Ausstellung taugt«, erwiderte Una, ehe ihr bewusst wurde, dass gleich vor ihr eine Informationsquelle saß, die sie für ihr Projekt anzapfen konnte. »Was müsste man denn tun, um an der Ausstellung teilzunehmen?«

»Na, wenn Sie das schon nicht wissen.« Ellen verdrehte die Augen. »Wir haben zwei Durchgänge: einen in der Kategorie Schönheit gefolgt von der Kategorie Persönlichkeit.«

Una sah Ellen an. War das ein Scherz?

»Aber Katzen haben doch eigentlich keine Persönlichkeit, oder?«

Die braunen Augen der Frau funkelten bösartig. »Ich zeige es Ihnen mal«, sagte sie.

Ellen blätterte im Fotoalbum ein wenig weiter und zeigte Una Bilder von Lord Partington, der durch einen Reifen sprang und dabei seinen Ausdruck völliger Überlegenheit beibehielt. Seine Besitzerin – und das war wohl besagte Rosemary Sconce – hielt den Reifen theatralisch in der einen Hand, während sie mit der anderen ein kleines Katzenleckerli präsentierte.

»Rosemary hat den Reifen ganz wunderbar geführt, das muss ich zugeben«, sagte Ellen ein wenig warmherziger als bisher.