Missing Code - Verlorene Spur - Peter Abrahams - E-Book
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Missing Code - Verlorene Spur E-Book

Peter Abrahams

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Beschreibung

Ein genialer Mathematiker mit einem dunklen Geheimnis …  Die Historikerin Beth Hunter ist schwanger und glücklich mit dem hochangesehenen Berkley-Professor Teddy Wu verlobt. Doch kurz vor der Hochzeit verschwindet ihr zukünftiger Ehemann spurlos. Da niemand an ein Verbrechen glauben will, macht Beth es sich zur alleinigen Mission, ihren Verlobten zu finden. Schon bald wird sie bei der gefährlichen Suche von zwielichtigen Geheimdienstagenten konfrontiert, die Teddy besser zu kennen scheinen, als sie selbst … Anscheinend war er nicht nur der geniale Mathematiker, der er vorgab zu sein: Seine unergründlichen Formeln wurden vom Militär zur Verschlüsselung eingesetzt … Je tiefer Beth in Teddys Vergangenheit eintaucht, desto mehr verstrickt sie sich in einem Netz aus Lügen und Intrigen, das sie schließlich selbst in größte Gefahr bringt. »Temporeiche Unterhaltung!« – Publishers Weekly Packender Verschwörungsthriller des amerikanischen Bestsellerautors für Fans von Michael Connelly! 

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Seitenzahl: 541

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Die Historikerin Beth Hunter ist schwanger und glücklich mit dem hochangesehenen Berkley-Professor Teddy Wu verlobt. Doch kurz vor der Hochzeit verschwindet ihr zukünftiger Ehemann spurlos. Da niemand an ein Verbrechen glauben will, macht Beth es sich zur alleinigen Mission, ihren Verlobten zu finden. Schon bald wird sie bei der gefährlichen Suche von zwielichtigen Geheimdienstagenten konfrontiert, die Teddy besser zu kennen scheinen, als sie selbst … Anscheinend war er nicht nur der geniale Mathematiker, der er vorgab zu sein: Seine unergründlichen Formeln wurden vom Militär zur Verschlüsselung eingesetzt …

Je tiefer Beth in Teddys Vergangenheit eintaucht, desto mehr verstrickt sie sich in einem Netz aus Lügen und Intrigen, das sie schließlich selbst in größte Gefahr bringt.

Über den Autor:

Peter Abrahams ist ein renommierter amerikanischer Autor zu dessen weltweiter Leserschaft auch Stephen King gehört, der ihn als seinen »liebsten amerikanischen Spannungsromanautor« bezeichnet. Einige seiner Werke wurden mit hochkarätigen Stars wie Robert De Niro für die große Leinwand adaptiert.

Die Website des Autors: peterabrahams.com/peter-abrahams/

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor seine Standalone-Thriller »Der Nachhilfelehrer«, »Der Häftling«, »Der ideale Ehemann«, »Das Wunschkind«, »Dear Wife«, »Blacked Out – Gefährliche Erinnerung«, »Missing Code – Verlorene Spur« und »Hard Rain – Schleier aus Angst«.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2025

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 1986 unter dem Originaltitel »Red Message« bei Avon Books, New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 1989 unter dem Titel »Das China-Komplott« bei Lübbe.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1986 by Pas de Deux

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1989 für die deutsche Übersetzung by Gustav Lübbe Verlag GmbH, Bergisch Gladbach

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-503-0

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Peter Abrahams

Missing Code – Verlorene Spur

Thriller

Aus dem Amerikanischen von Hartmut Huff

dotbooks.

Prolog

Das Baby wachte immer früh auf. Das rettete ihm an diesem Morgen, als die Männer der Grünen Schlange kamen, sein Leben.

Die Amme spürte, wie das Baby sich neben ihr bewegte. Sie richtete sich auf. Es lag auf dem Rücken. In dem grauen Licht, das der Dämmerung vorausging, konnte sie seine Gesichtszüge nicht sehr gut erkennen: nur seine großen dunklen Augen, die sie beobachteten. Es war ein wunderschönes Baby; die Amme hatte ihren Freundinnen erzählt, daß kein anderes Baby solche Augen habe.

»Guten Morgen, kleine Maus«, sagte die Amme. Es streckte seine Fäuste in die Luft. Sie nahm es hoch, ging aus dem gelben Haus und spazierte zum See.

Nebelschwaden hingen über dem Wasser, hatten sich wie zerknitterte Decken um die Pflaumenbäume gewickelt. Die Amme folgte dem Kiesweg um den Obstgarten, überquerte den geschwungenen Steg über den kleinen Fluß und erreichte den roten Pavillon. Er stand auf einer Landzunge, die in den See hinausragte. Dies war die Stelle, an der die Amme dem Baby am liebsten seine Morgenmahlzeit gab. Als sie die Türe öffnete, spürte sie, wie der Boden unter ihren Füßen erzitterte, und im nächsten Moment hörte sie Donner im Norden. Der Kampf ging weiter.

Im Pavillon setzte sich die Amme auf eine Bank und legte das Baby an ihre Brust. Seine Lippen suchten wild nach ihrer Brustwarze, fanden sie, saugten fest. Für einen Augenblick spürte sie Schmerz; dann war er fort. Die Amme blickte aufs Wasser. Der Nebel glitt vom Ufer zurück, ballte sich in der Mitte des Sees. Ihre Augen schlossen sich. Sie träumte von ihrer Mutter.

Jemand rannte vorbei, schreckte sie auf. Das Baby schreckte ebenfalls hoch und verlor ihre Brust. Es schrie ein wenig. »Pssst«, sagte sie, hielt ihm wieder ihre Brustwarze hin. Draußen waren weitere Schritte zu hören. Geduckt begab sich die Amme zu dem vergitterten Geländer, kniete sich und lugte über den Rand.

Sie sah Männer zum Haus des Herrn rennen; sie wußte nicht, wie viele es waren. Sie hatte nur gelernt, bis zehn zu zählen. Es waren mehr als zehn. Sie alle trugen Gewehre.

Die Männer blieben vor dem Haus stehen. Einer von ihnen rüttelte an der Tür. Die Amme wußte, daß er der Anführer war, weil er der größte war und der Einzige, der Schuhe trug. Die Tür war verschlossen. Der Anführer drehte sich um und machte mit der Hand eine kurze Geste. Zwei der Männer warfen sich gegen die Tür. Sie gab krachend nach und hing dann lose in ihren Angeln. Die Männer gingen hinein.

Die Amme lauschte aufmerksam. Sie hörte das ferne Dröhnen des Krieges; sie hörte einen Fisch im See springen; aber aus dem Hause des Herrn kam nur Schweigen. Die Amme murmelte ein Gebet zu ihren Ahnen. Dann schrie eine Frau in dem Haus. Einen solchen Schrei hatte die Amme noch nie gehört. Ein eisiger Schauer durchströmte ihren Körper. Das Baby strampelte; sie wiegte es in ihren Armen.

Die Männer kamen aus dem Haus. Zwei von ihnen trugen den Herrn des Berges. Einer hielt seine Knöchel, der andere seine Handgelenke. Die Kehle des Herrn war so tief durchschnitten, daß sein Hinterkopf zwischen seine Schulterblätter schlug, während die Männer gingen.

Der Mann, der Schuhe trug, zerrte die Frau des Herrn aus dem Haus. Sie war nackt und versuchte, ihre Scham mit ihren feinen, kleinen Händen zu verbergen. Er riß sie hoch und sagte etwas zu ihr. Sie antwortete nicht. Er sprach wieder, diesmal lauter. Die Amme begriff, daß es eine Frage war, konnte aber die Worte nicht verstehen. Wieder blieb die Frau des Herrn stumm. Der Mann schaute auf sie herab. Und dann drehte er ihr mit einer so plötzlichen Bewegung, daß die Amme erst begriff, was geschehen war, als sie das krachende Geräusch hörte, den Arm auf den Rücken und brach ihn. Die Frau des Herrn sackte zu Boden. Sie stöhnte – ein schrilles Stöhnen, wie ein Hund, der einen Alptraum hat. Und die Amme stöhnte auch. Als der Mann die Frau des Herrn wieder fragte, antwortete sie.

Der Anführer sprach zu seinen Männern. Sie schwärmten Richtung See aus. Die Amme wußte, wie die Frage gelautet hatte. Sie zog sich rasch vom Fenster zurück und blickte sich um. Es gab nur ein Versteck: einen kleinen Lagerraum unter dem Pavillon. Sie öffnete die Falltür, die hinunterführte, sah, daß der Raum mit Gartenwerkzeugen, Fischernetzen und Getreidesäcken gefüllt war. Die Amme kletterte die kurze Leiter hinunter und zog die Tür zu.

Dunkelheit. Gebeugt, um nicht an die niedrige Decke zu stoßen, bewegte sich die Amme vorsichtig in die hinterste Ecke. Spinnennetze klebten in ihrem Gesicht; ihr Fuß glitt auf etwas Weichem und Feuchtem aus. Das Baby hörte auf zu saugen. Die Amme rieb seinen Nacken.

Sie spürte die Wand vor sich; sie war feucht und zerbröselte unter ihrer Berührung. Hingekauert zog sie einige Getreidesäcke zu einem Haufen um sich. Dann legte sie sich mit dem Rücken zur Wand auf den kalten Boden. Sie wiegte das Baby in ihren Armen.

Stille. Schlaf ein, kleine Maus. Schlaf ein. Doch das Baby wollte nicht schlafen. Es war wach. Es drehte seinen Kopf und versuchte, sich aus ihren Armen zu strampeln. Als sie es zurück an ihre Brust zog, hörte die Amme wieder den Schrei der Frau des Herrn. Er kam aus weiter Ferne. Jählings wurde das Baby in ihren Armen sehr still. Sie nahm es an ihre andere Brust, und es saugte. Ein Augenblick von Schmerz. Dann war er vorbei.

Nach kurzer Zeit glaubte die Amme ein leises Plätschern im See zu hören. Dann wieder eins. Ihr Körper begann zu zittern. Das Baby grunzte ein wenig verärgert. Hab keine Angst, sagte sich die Amme. Furcht macht die Milch sauer, und das Baby wird weinen. Sie wußte, sie würde es nicht ertragen können, nackt vor diesen Männern zu stehen, sich den Arm auf den Rücken drehen und brechen zu lassen, sich etwas antun zu lassen.

Schritte dröhnten auf dem Boden über ihr. Harte, klackende Schritte, wie Schuhe sie machen. Das Baby grunzte wieder. Laßt die Milch nicht sauer werden, laßt sie nicht sauer werden. Sie bettelte ihre Brüste an, sie nicht im Stich zu lassen.

Die Falltür öffnete sich, und ein Lichtstrahl fiel in den Lagerraum. Das Baby hörte auf zu saugen. Die Leiter knarrte. Die Amme kauerte sich zwischen die feuchte Wand und die Getreidesäcke. Schritte kamen näher. Ein fester Schuh trat gegen einen der Säcke. Das Baby spürte das Beben, drehte sich und versuchte wieder, sich aus ihren Armen zu strampeln. Die Amme liebte das Baby, und sie konnte nicht zulassen, daß ihm etwas zustieße. Sie tastete nach seinem Gesicht, fand es, preßte ihre Handfläche über seine Nase und seinen Mund.

Eine große Hand streckte sich über die Getreidesäcke.

Lange Finger kamen dicht an den Kopf des Babys. Das Baby wand sich mit all seiner Kraft, rang verzweifelt nach Luft. Sie versuchte, das Leben aus ihm zu drücken. Die › Hand griff ins Leere. Die Amme sah ein dickes Handgelenk, um das eine grüne Schlange gewunden war, die Fänge nur wenige Zentimeter von ihren Augen entfernt. Die Hand berührte die Wand, betastete sie und zog sich dann zurück. Die Leiter knarrte. Die Falltür schloß sich. Dunkelheit.

Als sie keine Schritte mehr hören konnte, hob die Amme ihre Handfläche vom Gesicht des Babys. Einen Augenblick glaubte sie, sie hätte es umgebracht; dann gab es einen grellen, keuchenden Schrei von sich – wie ein Geburtsschrei. Sie wiegte es in dem engen Raum zwischen den Säcken und der Wand, so gut sie konnte. Bald hörte es zu schreien auf. Die Amme hörte erst nach langer Zeit auf zu weinen.

Sie blieb, wo sie war. Einmal hörte sie einen Mann rufen. Danach Stille. Das Baby schlief. Es erwachte. Sie säugte es. Es schlief wieder. Als es das nächste Mal erwachte, erhob sie sich, erklomm die Leiter und öffnete die Falltür. Es war sehr still. Sie kletterte empor. Die Männer waren fort. Keine Spur vom Herrn des Berges und von seiner Frau. Die Amme konnte nicht einmal den Kampfeslärm im Norden hören.

Sehr viel später wurde ein Singen vernehmbar. Es wurde lauter. Soldaten kamen die Straße heraufmarschiert. Es waren nicht die Soldaten in Khaki, die sie so viele Male gesehen hatte. Das waren die Soldaten, von denen sie nur gehört hatte. Die mit den roten Sternen an den Mützen. Sie marschierten singend vorbei. Einige von ihnen lächelten ihr und dem Baby zu.

Die Amme wußte nicht, worum es in dem Krieg gegangen war. Sie wußte nur, daß.er vorbei war.

Teil 1

Kapitel 1

Freitag, der elfte April, war für Beth Hunter in doppelter Hinsicht ein besonderer Tag. Zum einen war es ihr Hochzeitstag. Zum zweiten erschien der Bräutigam nicht. Das bedeutete, daß Beth abgesehen von anderen Dingen auch nicht erfuhr, welche Pläne er für die Flitterwochen hatte.

Später, als es darauf ankam, sich an die Einzelheiten ihrer letzten gemeinsamen Wochen zu erinnern, war Beth imstande, sich den Augenblick zu vergegenwärtigen, in dem sie erstmals festgestellt hatte, daß Teddy etwas Besonderes plante. Das hatte sich zwei Wochen vor dem Hochzeitstag, an einem kühlen, sonnigen Februarmorgen ereignet.

Beth war den Abend zuvor ziemlich lange auf gewesen, hatte Abhandlungen junger Studenten über die Inquisition zensiert und auf Teddys Rückkehr von einer Konferenz in Washington gewartet. Die Beurteilung dieser Arbeiten hatte ihr Zeit gekostet, die sie für ihre Doktorarbeit benötigte, doch zuerst war es amüsant gewesen (»Die Inquisition: Pro und Contra«). Dann wurde es ärgerlich (»Da ich glaube, daß die Inquisition für unsere Zeit nicht von großer Bedeutung ist, habe ich beschlossen, stattdessen über Essen und Trinken im Mittelalter zu schreiben.«) Und schließlich wurde es zur Plackerei (»Die acht Ursachen für die Inquisition sind ...«) Beth erwachte, wobei ihr der Satz »Die Inquisition in Lied und Erzählung« durch den Kopf ging. Sie konnte sich nicht daran erinnern, ob sie das gelesen oder geträumt hatte.

Runter auf den Boden. Fünfzig Rumpfbeugen. Zwanzig Liegestütze auf den Zehenspitzen; die letzten drei oder vier waren wackelig. Beth hatte den Körper einer Schwimmerin, mit diesen langen, sich verjüngenden Muskeln, die viel stärker sind als sie aussehen. Sie schwamm noch immer jede Woche dreimal, aber ihr Körper war nicht mehr so schlank, wie er vor einigen Jahren gewesen war. Sie führte Krieg mit ihrem Gewicht, das in italienischer Pasta einen Verbündeten gefunden hatte. Sie hängte noch fünf weitere Liegestütze dran, nahm dann das Kissen vom Bett und ging, um nach Teddy zu schauen.

Er war nicht im Wohnzimmer. Sie hatte erwartet, ihn dort auf dem alten Cordsofa liegend, mit einer Tasse Kaffee und der Chronicle zu finden. Silbernes Morgenlicht erfüllte das ruhige Zimmer, fiel auf die Ölportraits von Beth und Teddy über dem Kamin. Der Künstler, von einem Freund empfohlen, wurde jetzt berühmt, doch Beth hielt sein Bild von Teddy fast für mißlungen. Mit der Form der Stirn und den feinen Knochen um die Augen hatte er etwas von Teddys Intelligenz eingefangen, doch den Ausdruck düsterer, konfuzianischer Würde, der auf dem gemalten Gesicht lag, hatte Teddy in Wirklichkeit nicht.

Trotz einiger Ungenauigkeiten war das Bild von Beth dem Künstler besser gelungen. Ihr Haar war zu hell – in Wirklichkeit war es so dunkel, wie Haar, das man eben noch blond nennen kann, sein kann; und ihre Augen waren nicht so blau – fast jeder, der blaue Augen hatte, hatte blauere als Beth. Aber er hatte sie nicht zu Doris Day gemacht. Die ausgeprägten Gesichtszüge waren da, und sie wirkte, als wolle sie etwas sagen, das sie lieber nicht sagen sollte: etwas, das für die höfliche Gesellschaft zu bissig war. Das hatte sie von ihrem Vater.

Beth ging auf den Balkon. Der Nordwind blies ein oder zwei mutige Segelboote über die Bucht. Die Luft war sehr klar. Sie konnte weiße Seemöwen über den Berkeley Hills auf der anderen Seite des Wassers schweben sehen. Teddy saß in einem sich auflösenden Korbsessel und las einen Brief. Er trug eine lange rote Unterhose und einen Samtumhang.

»Bist du verrückt?« sagte Beth. »Es ist eiskalt.«

Teddy schaute zu ihr hoch. »Es ist eiskalt, weil du nackt bist.« Er sah sie aufmerksamer an. »Nackt.«

»Nimm dich in acht.« Sie hob das Kissen. »Ist das wichtig?«

»Nur wenn du am frühen Morgen keinen steifen Hals haben willst«, erwiderte Teddy. Sie warf das Kissen auf ihn. Er bückte sich, schützte den Brief.

»Was ist das?«

»Nur ein Brief.«

»Von wem?«

Teddy antwortete mit unergründlichem Gesichtsausdruck: die Augen halb geschlossen, die Lippen zu einem verschmitzten Lächeln verzogen.

»Überanstreng dich bloß nicht mit deiner unergründlichen Miene«, sagte Beth. »Es sei denn, du versuchst einen auf Warner Oland zu machen, der den Tränen nah ist.«

Teddy Wu war als Chinese nicht sehr gut: er konnte nicht unergründlich aussehen, beherrschte die Sprache nicht und verlangte in Chinarestaurants immer nach einer Gabel. »Ich bin eben dumm«, pflegte er immer dann zu sagen, wenn Beth ihn an diese Unzulänglichkeiten erinnerte.

Beth drängte sich an den Korbsessel, legte ihre Arme um Teddy und versuchte, über seine Schulter zu lesen. »Heimtückisch«, sagte er, faltete den Brief und steckte ihn in seinen Umhang.

»Erzähl mir, was drinsteht.«

»Das würde alles vereiteln.«

»Heißt das, es soll eine Überraschung sein?« Sie schob ihre Hand unter seinen Umhang.

»Nicht in dem Sinne.«

»So was wie ein Hochzeitsgeschenk?«

»Nee.«

»Oder eine Reise? Eine Hochzeitsreise, ganz weit weg?«

Teddys Augen flackerten, aber er beobachtete nur eine vorbeifliegende Möwe. »Frag, was du willst«, sagte er. »Ich rede nicht.«

»Du brauchst auch nicht zu reden. Ich werde dir tief in die Augen schauen und Namen nennen. Ich weiß, wann ich richtig liege.« Sie blickte ihm tief in die Augen. »Paris. Rio. Fiji. Athen. Nairobi.«

»Daly City.«

»Jetzt stirbst du.« Beth schob ihren Unterarm unter sein Kinn. Er entzog sich ihrem Griff und ging hinein, um sein Kaffeeritual zu zelebrieren.

Beth erhob sich und starrte auf das Wasser hinaus. Eines der Segelboote, das vor dem Wind lief, setzte einen hellroten Spinnaker. Er flatterte einen Augenblick leicht, blähte sich dann wie eine schwere Brust. Beth ging hinein zu Teddy. Er stand am Küchentisch, schüttete seine Spezialmischung in die neue deutsche Kaffeemühle.

»Laß uns wieder ins Bett gehen«, sagte sie.

»Ich kann nicht.« Wieder flackerten Teddys Augen; dieses Mal war keine Möwe da. »Ich muß ins Büro.«

Das war ungewöhnlich. Teddy hatte ein Büro in Berkeley, wo er Mathematikprofessor war, aber er ging selten dorthin. Es war fast zwei Jahre her, seit er etwas veröffentlicht hatte. Beth hatte seine letzte Arbeit gesehen: »Betrachtungen zu Mordells Konjektur.« Sie bestand aus einem Einleitungssatz, zwei Seiten mit Gleichungen und einem zusammenfassenden Satz und war ihr unverständlich. Für diese Arbeit hatte Teddy den Crafoord Preis bekommen, den Nobelpreis für Mathematik. Die Time hatte einen Artikel über Teddy veröffentlicht, worin er als einer der drei oder vier wichtigsten Mathematiker des Jahrhunderts bezeichnet wurde, und dann die Bedeutung seiner Arbeit auf eine Art erklärt, daß Teddy beim Lesen nur noch die Augen verdrehte. Beth verstand auch nicht viel mehr von dem, was er tat, aber sie konnte sich vorstellen, warum er so reagierte.

»Ein Beweis ist ewig«, hatte er ihr einmal erzählt.

Als er aber andererseits einmal zu erklären versucht hatte, woran er gerade arbeitete, hatte sie seine Ausdrucksweise nicht verstanden. Teddy war daran gewöhnt. »Macht ja nichts«, sagte er. »Dafür weiß ich nicht, wer die Schlacht von Anghieri gewonnen hat.«

»Ich auch nicht.«

Das hatte ihn überrascht. Die Unterhaltung hatte, kurz nachdem sie sich im Gang eines Hallenbades in Berkeley kennengelernt hatten, stattgefunden, und ihm war noch nicht bewußt, auf welche Art Beth sich mit Geschichte befaßte. Das hatte mit Kriegen, Verträgen und Machtpolitik wenig zu tun – oder mit Einheiten pro Hektar, Überschüssen und Wirtschaftsmacht. Beth wollte vielmehr wissen, wie es beispielsweise wäre, die Tür eines Bauernhauses in Vaucluse 1423 zu öffnen und einen Blick hineinzuwerfen. Was würde da auf dem Feuer gekocht werden? Wie roch es? Wie waren die Menschen gekleidet? Was sagten sie zu ihren Kindern? Worüber sprachen sie mit dem Dorfgeistlichen? Was dachten sie über den Herrn droben auf dem Hügel? Beths Arbeit bestand nicht darin, über all dies zu phantasieren, obwohl sie es manchmal tat, seit ihrer Kindheit getan hatte. Als Historikerin bestand ihre Aufgabe darin, sich an Fakten zu halten. Beharrlichkeit zählte. Und Kreativität. Das war das Wort, das Profis benutzten, wenn sie Phantasieren meinten.

In der Küche streckte Beth ihre Hand aus. »Komm, Teddy. Zurück ins Bett. Nur für fünf Minuten.«

»Fünf Minuten!« Er sah bestürzt aus. »Nicht mal im Traum fiel's mir ein, dich so zu beleidigen.«

Beth versuchte es anders.

»Okay«, sagte Teddy nach ein oder zwei Minuten.

Sie begaben sich ins Schlafzimmer, ließen den Duft frisch gemahlener Kaffeebohnen hinter sich und Teddys Umhang. Und wieder genoß Beth die Weichheit seiner Haut, die Kraft seines schlanken Körpers, das Schimmern, das in seinen Augen leuchtete, als er erregter wurde. Keuchen, ihres und seines, und Gefühle, die kaum lange zu ertragen waren.

Danach lagen sie gemeinsam auf dem Bett. Eine kühlende Brise zog durchs Fenster. »Es ist widerlich«, sagte Teddy, »daß eine schwangere Frau derart sexbesessen ist.«

»Ich kann nichts dafür. Die Schwangerschaft scheint mein – mein ...« Sie suchte nach einem Wort.

»Ich weiß«, sagte er mit matter Stimme.

Beth lachte und richtete sich auf. »Warum ist das so? Welchen biologischen Zweck soll das erfüllen?«

»Biologie?« sagte Teddy, der angeblich alle anderen Wissenschaften völlig ignorierte.

Beth bedeckte ihn mit einem Kissen. Sie balgten darum. Es war ein wildes Gerangel. Nach einer Weile vergaßen sie das Kissen; Teddy vergaß, ins Büro zu gehen.

Zu dieser Zeit, Anfang Februar, war Beth in der sechsten Woche schwanger. Ihre Schwangerschaft war der Grund dafür, warum sie heiraten wollten, obwohl Beth diese Notwendigkeit nicht einsah. Sie und Teddy hatten seit über einem Jahr zusammengelebt, und sie war damit zufrieden, wie es war, ohne daß Kirche oder Staat ihren Segen gaben. Aber Teddy hatte darauf bestanden.

»Warum?« hatte Beth gefragt.

Er hatte ihren Bauch getätschelt. »Für dieses kleine Ding. Um ihm zu zeigen, daß wir's ernst meinen.« Er dachte einen Augenblick nach. »Oder ihr.«

Beth sagte weiter nichts dazu: Teddy war Waise.

Stattdessen fragte sie: »Hast du schon mal über einen Namen nachgedacht?«

»Adolf, natürlich, wenn's ein Junge wird.«

»Und Medusa, wenn's ein Mädchen wird?«

»Genau.«

Sie hatten sich für die Trauung am Freitag, dem elften April, in der Zeit von 10.15 bis 10.25 auf dem Standesamt angemeldet. Sie hatten an ein paar Freunde Einladungen für einen anschließenden kleinen Empfang verschickt. Beths Mutter hatte aus Arizona angerufen, um mitzuteilen, daß sie käme; und Teddys Adoptiveltern, Mildred und Arthur Merton, hatten aus Oregon geschrieben, daß sie verhindert seien, und einen Pfandbrief über fünfzig Dollar beigefügt. Die Mertons hatten Teddy adoptiert, nachdem er von Missionaren aus China mitgebracht worden war; mit zwölf war er nach Andover gegangen, wo er ein Stipendium bekommen hatte und seitdem hatte er sie selten gesehen.

»Sie haben diese Aufgabe nicht wirklich erfüllt«, hatte er Beth einmal spät abends erzählt.

Über sein Leben in China wußte Teddy fast nichts. Er kannte nicht einmal sein Geburtsdatum. Alles, was er wußte, war in dem Visum enthalten, mit dem er in die Vereinigten Staaten eingereist war. Es trug seinen Namen, Wu Tun-li, das Datum der Einreise – 12. Juli 1949 – und einen winzigen Daumenabdruck. In dem Feld für »Alter« stand »Ein Jahr (geschätzt)«; unter »Name des Vaters« und »Name der Mutter« stand »Verstorben«. Teddy feierte seinen Geburtstag am 12. Juli.

Am 10. April, dem Abend vor der Hochzeit, kam Teddy mit einer Flasche Champagner nach Hause. »Du bekommst nur ein Glas«, sagte er, während er den Korken knallen ließ. Er war zum Fachmann für Schwangerschaft geworden.

»Auf die Zukunft«, sagte Teddy. Sie stießen mit den Gläsern an und tranken. Beth spürte den Champagner kalt und trocken über ihre Zunge gleiten. Ein plötzliches Glücksgefühl erfüllte sie, überkam sie völlig überraschend: Morgen früh würde sie heiraten. Der Wein weckte die Erinnerung an einen lange vergessenen Jungmädchentraum.

Sie gingen hinaus auf den Balkon. Im Osten hob sich der Vollmond, streute winzige zerbrochene Monde über die ganze Bucht. Ein Passagierschiff dampfte mit gleißenden Lichtern auf das Golden Gate zu. Beth meinte, die Bordkapelle spielen zu hören.

»Ich liebe dich«, sagte Teddy. Sie umarmten sich.

Ein Klopfen an der Tür. Beth küßte Teddy auf die Wange. Dann ging sie, das Glas in der Hand, durchs Wohnzimmer in den Korridor und öffnete die Tür.

Auf dem Treppenabsatz stand eine Chinesin. Sie hatte hohe Wangenknochen und tiefliegende dunkle Augen. Ihr stark mit Grau durchsetztes Haar glänzte. Das graue Haar und die tiefliegenden Augen waren die einzigen Spuren von Alter. Sie trug grünen Lidschatten, Jade-Ohrringe und ein schwarzes Seidenkleid mit langen Ärmeln, die ihre Handgelenke bedeckten. Sie war sehr schön.

»Ja?« sagte Beth.

Die Chinesin ignorierte sie. Sie schaute an Beth vorbei und sah Teddy, der sie vom Wohnzimmer aus beobachtete. Tränen stiegen in ihre Augen.

»Tun-li«, sagte sie zärtlich.

»Ich fürchte, Sie haben sich im Apartment geirrt«, sagte Beth.

Die Frau schien sie nicht zu hören. Sie starrte Teddy an. »Tun-li«, wiederholte sie. »Ich ...« Ihre Stimme erstarb. Sie schluckte und versuchte es wieder. »Ich bin deine Mutter.«

Niemand rührte sich. Dann kam Teddy langsam nach vorn. Beth wandte sich ihm zu. »Ich verstehe nicht«, sagte sie. Er war bleich; eine kleine Ader pulsierte auf seiner Stirn.

»Teddy.«

Er bewegte sich an ihr vorbei und betrachtete die Frau. Sie schaute zu ihm hoch und sagte nichts. Zwei Tränen tropften aus ihren Augenwinkeln und rollten über die glatten Wangen. Teddy stand einen Schritt entfernt reglos.

Nach einem langen Augenblick machte er diesen letzten Schritt und umarmte sie. Sie erwiderte seine Umarmung. Teddys Körper zitterte. Beth legte sanft eine Hand auf seine Schulter. Die Frau beobachtete sie. Ihre Augen waren jetzt trocken. Sie glänzten im Licht der Dielenlampe. Beth zog ihre Hand weg.

Kapitel 2

Die Zeit verging. Vielleicht wurden sie sich alle im selben Augenblick dessen bewußt, daß sie verging. Die Frau löste sich aus Teddys Armen. Er wandte sich Beth zu. Seine Wangen waren feucht, doch ein Lächeln war auf seinem Gesicht, ein hilfloses Lächeln. »Ich kann nicht glauben, daß das wahr ist«, sagte er. »Ich kann's einfach nicht glauben.« Seine Stimme versagte. Er holte tief Luft, als ob dieser Atemzug die Gefühlsaufwallung zurück in seine Kehle drücken könne.

»Es ist geschehen«, sagte die Frau. »Fünfunddreißig Jahre habe ich auf diesen Augenblick gewartet.« Sie löste den obersten Knopf ihres Kleides. Darunter war ein zylindrisches Silberamulett zu sehen, das an einer Kette um ihren Hals hing. Sie schraubte den Boden ab, nahm ein Stück Papier heraus, glättete es und reichte es Teddy.

Er entfaltete es: ein verblichenes Schriftstück, chinesisch geschrieben, mit einem roten Siegel am unteren Rand. »Was ist das?« fragte Teddy.

Die Frau schaute verwirrt. Dann sagte sie: »Kannst du es nicht lesen?«

»Nein.«

Das Gesicht der Frau verzog sich, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Doch sie kamen nicht. Sie gewann rasch ihre Beherrschung wieder. »Ich hätte damit rechnen müssen«, sagte sie. Sie nahm das Papier wieder an sich. »Das ist deine Geburtsurkunde. Ich trage sie seit dem Tag, als ich dich verlor, bei mir.«

»Wie hast du mich verloren?« fragte Teddy. »Wie hast du mich gefunden? Ich habe so viele Fragen. Ich weiß nicht – Nein! Warte.« Er legte seinen Arm um Beths Schulter. »Das ist Beth. Sie ist ... Wir werden morgen heiraten.«

»Soviel Segen auf einmal«, murmelte die Frau. Ihr Englisch war fast perfekt, wurde nur dadurch beeinträchtigt, daß sie etwas Schwierigkeiten bei der Aussprache des R hatte. Förmlich, wie eine Priesterin, die eine Zeremonie zelebriert, ergriff sie Beths Hand. Aber sie schüttelte sie nicht; stattdessen neigte sie ihren Kopf und küßte Beths Fingerrücken. Ihre Lippen wären weich und kühl. Sie duftete nach Minze.

Die Frau richtete sich auf und schaute Beth an. »Sie ist schön.« Dann seufzte sie und blinzelte ein oder zweimal, als erwache sie aus einer Trance. Die Zeremonie war vorüber.

Beth blickte in die dunklen Augen. »Das ist wundervoll.«

»Das ist es.« Die Frau wandte sich Teddy zu. Linkisch streckte er seine Hand aus. Sie drückte sie an ihre Wange.

»Wundervoll«, wiederholte sie.

»Gut«, sagte Beth nach einigen Augenblicken, »kommen Sie herein.«

Sie gingen ins Wohnzimmer. Während sie Platz nahmen, Teddy und die Frau auf dem Cordsofa, sie auf einem der Sitzkissen, sagte Beth: »Ich weiß nicht, wie ich Sie anreden soll.«

Die Frau schien sie nicht zu hören. Ihr Blick war auf die Portraits über dem Kamin gerichtet. Ohne die Augen davon abzuwenden, antwortete sie: »Mein Name ist Han Shih.«

»Han ist Ihr Familienname?«

»Ja.«

Beth dachte einen Augenblick nach. »Nicht Wu?«

Han Shih wandte sich ihr zu. Sie öffnete den Mund, als wollte sie lachen, doch sie lächelte nur breit. »Heutzutage nehmen wir den Namen des Gatten nicht mehr an.«

Beth verstand das sehr wohl; sie hatte auch nicht die Absicht, morgen Teddys Namen anzunehmen. Was sie nicht wußte, war, was Han Shih mit »wir« meinte. Und sie wußte noch immer nicht, wie sie sie anreden sollte. Während sie noch überlegte, wie sie die Frage formulieren sollte, sprach Teddy.

»Jetzt möchte ich aber die ganze Geschichte hören«, sagte er.

»Geschichte?«

»Ja. Wie hast du mich gefunden? Oder habe ich dich gefunden?«

Han Shih legte ihre Hände auf die seinen. »Ich habe nie die Hoffnung aufgegeben – so habe ich dich gefunden.«

Teddy beugte sich näher zu ihr, wartete darauf, daß sie weitersprach. Aber Han Shih schwieg, war wieder ganz von dem Portrait gefesselt.

Beth nutzte die Zeit, um Han Shihs Gesicht zu studieren; dann schaute sie Teddy an. Beide hatten schmale Gesichter und ausgeprägte Wangenknochen; doch abgesehen davon gab es keine erkennbare Ähnlichkeit. In dem entstandenen Schweigen fühlte sie sich plötzlich unsicher. Das Sofa, die Sitzkissen, der Perserteppich, den sie bekommen hatte, nachdem ihr Vater gestorben und das Haus verkauft worden war – nichts konnte vertrauter sein. Und doch war alles plötzlich so fremd, als sei ein Zauber wirksam geworden. Beth erhob sich und ging durchs Zimmer. Sie schaltete die Lampen ein.

Ihre Bewegung brach den Zauber. Han Shihs Augen folgten ihr; die Frau sah, daß Beth es bemerkt hatte, und lächelte. Beth erwiderte das Lächeln. Sie lächelte noch immer, als sie sich im Spiegel neben dem Wandschalter sah. Das Lächeln verflog.

Sie hörte Teddy sagen: »Eigentlich wollte ich fragen, wie du mich nun wirklich gefunden hast.«

»Ich habe immer nach einem Zeichen gesucht«, erklärte Han Shih. »Schließlich kam es.« Sie nahm etwas aus ihrer Handtasche und reichte es ihm. Beth ging hinüber und sah, daß es ein Ausschnitt aus der Time war – dieser zwei Jahre alte Artikel über Teddy. Er schien länger zu sein, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sie las ihn aufmerksam. War der Text auch ein wenig anders?

»Was ist das?« fragte Beth.

Han Shih wirkte überrascht. »Das Time-Magazin«, sagte sie. »Haben Sie es nicht gesehen?« Sie runzelte betroffen die Stirn, was ihr Gesicht erheblich älter machte.

»Doch.«

Die Falten verschwanden so schnell, wie auf den »Nachher«-Fotos in der Mustermappe eines Schönheitschirurgen. »Eine Frau aus meinem Straßenkomittee, die in der Bibliothek arbeitet, hatte es auch gesehen«, sagte Han Shih. »Sie zeigte es mir.«

»Ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, meinte Beth.

»Entschuldigung.« Han Shih schaute auf ihre Hände, zupfte an einem ihrer Ärmel. »Ich hätte erklären sollen, daß diese Frau alles über mich und meine Vergangenheit weiß. Sie müssen wissen, daß dies eine der Aufgaben des Straßenkomittees ist.«

»Wo ist diese Straße?«

Wieder öffnete sich Han Shihs Mund, als wolle sie lachen, und dieses Mal tat sie es. Es war ein lautes, melodisches Lachen, wobei sie alle Zähne zeigte: weiß und ebenmäßig. »Natürlich in Beijing. Ich lebe in Beijing.«

Einen Moment lang verstand Beth den Sinn des Wortes nicht. Sie dachte an eine Bucht an der kalifornischen Küste. Dann begriff sie, daß die Frau von Peking sprach. In Teddys Gesicht konnte sie lesen, daß es ihm noch nicht klar war. »Peking«, sagte sie zu ihm.

»Das ist richtig«, bestätigte Han Shih. »Peking, so heißt es nach der Wade-Giles Umschreibung. Aber wir sprechen jetzt Pinyin.« In ihrer Stimme schwang ein leicht ermahnender Ton mit, wie ihr selber auffiel, denn sie fügte hinzu: »Es ist alles so bürokratisch.« Das dünkte Beth wie ein westlicher Gedanke, der auch auf westliche Art ausgedrückt wurde; das einzig Unwestliche daran war, wie der Buchstabe R über ihre Zunge glitt und fast zu L wurde.

»Du wußtest das schon vor zwei Jahren?« sagte Teddy. »Warum hast du nicht geschrieben? Ich hätte zu dir kommen können «

»Das war nicht Teil meines Traumes«, erwiderte Han Shih. »Ich träumte davon, dich zu finden.«

»Wie sind Sie hierhergekommen?« fragte Beth.

»Ich habe gewartet.« '

»Auf die Reisegenehmigung?«

»Nicht direkt. Auf eine Gelegenheit. Ich bin ganz offiziell hier.«

»Offiziell?« fragte Beth. »Sind Sie bei der Regierung?«

»Nein, nein.« Han Shih hob abwehrend die Hände und winkte ab. »In diesem Apartment bin ich nicht offiziell. Viele Chinesen haben Verwandte in Amerika. Das interessiert die Regierung nicht. Aber ich bin ganz offiziell in San Francisco. Im Rahmen eines Kulturaustausches.«

»Was für ein Kulturaustausch ist das?« wollte Beth wissen.

»Ich bin Köchin.« Han Shih lachte klingend; ihre kleine rosafarbene Zunge tanzte hinter ihren Zähnen.

Beth kam plötzlich ein Gedanke. Sie ging in die Küche und fand den Chronicle auf dem Küchentisch. Die Geschichte, die sie suchte, stand auf einer Innenseite, ein kleiner Artikel, der »Chinesische Köche unterwegs« überschrieben war. Daneben ein Foto mit acht oder neun Köchen. Han Shih stand in der hinteren Reihe, schaute direkt in die Kamera.

Beth brachte die Zeitung ins Wohnzimmer.

»Das habe ich noch gar nicht gesehen«, erklärte Han Shih. Sie setzte eine goldgerahmte Brille auf und betrachtete das Foto aufmerksam. »Ich hasse es, fotografiert zu werden.« Aber in ihrem Gesicht war keine Spur von Mißfallen über das Ergebnis erkennbar. Sie war sehr fotogen. Sie lächelte Teddy an. Er lächelte zurück.

»Möchtest du etwas trinken?« fragte er. »Wir haben Champagner.«

»Sehr schön.«

»Und Abendessen«, fügte Beth hinzu. »Es ist schon nach neun.«

»Ich möchte Ihnen helfen«, sagte Han Shih und folgte ihr in die Küche.

»Sie müssen heute doch schon sehr viel gekocht haben. Warum ruhen Sie sich nicht aus?«

»O nein. Ich koche gerne. Und außerdem ...« Ihr Blick wanderte zu Teddy, der im Wohnzimmer über das Tablett mit den Getränken gebeugt war.

Beth schwieg, weil sie sich ein wenig ihrer Unsensibilität schämte. Han Shih wollte für ihren Sohn kochen. Han Shih streifte eine Schürze über ihr Seidenkleid. »Darf ich einen Blick in Ihren Kühlschrank werfen?« fragte sie.

»Natürlich.«

Han Shih wählte einige Zutaten aus und legte sie auf einen Hackklotz. Sie war in ihrem Element. Mit flinken, knappen Handbewegungen hackte sie Zwiebeln, Knoblauch und Ingwer. Sie schnitt ein T-Bone-Steak in dünne Streifen, teilte Karotten und Champignons, beschnitt die Enden grüner und gelber Bohnen. Sie erhitzte Öl in einer schweren Pfanne, rührte Zwiebeln, Knoblauch und Ingwer hinein, fügte dann Sojasauce und Salz hinzu.

»Welche Küche kochen Sie denn?« fragte Beth.

»Alle möglichen. Mandarin und Hunan, Szechuan und Kantonküche und Mongolische Küche. Ich kann sogar Hamburger und Pommes Frites zubereiten.«

Beth lachte. Teddy kam mit drei Gläsern Champagner herein. »Wo arbeiten Sie?« fragte Beth.

»In einem Hotel.«

»In Peking?«

»In Beijing. Ja.«

Han Shih drehte einen Schalter am Herd, um die Kochtemperatur zu erhöhen, und schüttete das Fleisch, Karotten, Champignons und Bohnen in die Pfanne; sie goß ihren ganzen Champagner dazu. Die Pfanne zischte. Düfte erfüllten die Küche.

»Mmmm«, sagte Teddy. Er schaute zu, wie Han Shih die Zutaten umrührte. Sie drehte sich nicht um, aber sie wußte, daß er sie beobachtete. Beth ging hinaus, um im Eßzimmer den Tisch zu decken.

Sie legte die Rattan-Sets heraus, das weiße Porzellan, die rostfreien Bestecke. Sie steckte weiße Kerzen in die Leuchter und entzündete sie. Dann ging sie zur Stereoanlage, schaltete die Lautsprecher fürs Eßzimmer ein und legte eine Platte von Jay McShann auf. Seine Musik erfüllte das Zimmer. Beth hörte gerne beim Essen Musik. Genau wie ihr Vater, obwohl der nie etwas anderes als Broadway-Melodien aufgelegt hatte – außer spät abends, wenn er Bach lauschte. Beth warf einen Blick auf den Eßtisch. Sie entfernte die Bestecke wieder und legte stattdessen Stäbchen auf und eine Gabel für Teddy.

»Der Tisch ist gedeckt«, rief sie.

»Eine Minute noch«, antwortete Han Shih.

Beth ging durch die Diele ins Arbeitszimmer und öffnete die untere Schublade ihres Schreibtischs. Seit der Grundschule hatte sie Sammelalben gehabt. Jetzt bewahrte sie einen großen Pappkarton voller Zeitungsausschnitte auf, die sie einmal einkleben würde, wenn sie Zeit hatte. Sie wühlte darin herum, bis sie ihr Exemplar des Time-Artikels gefunden hatte. Er war kürzer als Han Shihs. Und es fehlten darin zwei Details, die in Han Shihs enthalten waren: Teddys Geburtsort und sein chinesischer Name.

Als sie ins Eßzimmer zurückkehrte, waren Teddy und Han Shih dabei, aufzutragen. »Seht mal hier«, sagte Beth und zeigte ihnen den Ausschnitt. Han Shih warf einen Blick darauf, holte dann ihre Brille heraus und las ihn. Kerzenlicht spiegelte sich in den Gläsern.

»Und?« sagte Han Shih.

»Er ist nicht mit Ihrem identisch.«

»Ich weiß«, erklärte Han Shih, nahm ihren Ausschnitt aus der Handtasche und legte ihn neben den von Beth. »Meiner stammt aus der Fernost-Ausgabe. Mit Ihrem hätte ich meinen Sohn nie gefunden.«

»Warum nicht?« fragte Teddy.

»Weil dein Name nicht darin steht«, antwortete Han Shih überrascht. »Dein richtiger Name. Wie hätte ich sonst wissen sollen, daß du es bist?«

»Aber Wu muß doch in China ein weit verbreiteter Name sein«, meinte Beth.

»Sicher. Es gibt Millionen Wus. Aber nur einen Wu Tun-li.« Sie wandte sich an Teddy. »Über chinesische Namen weißt du nicht Bescheid?«

»Nein.«

Han Shih schnalzte leise mit der Zunge. »Das ist einfach«, sagte sie, während sie ihre Brille abnahm. »Tun ist der Generationsname, den dein Vater für dich und alle deine Brüder ausgewählt hat. Es ist das zwölfte Wort in einem alten Gedicht, aus dem seine Familie seit mindestens zweihundert Jahren Namen schöpft. Dein Vater hatte das elfte Wort; sein Vater das zehnte. Deshalb ist Tun kein Name wie John oder Bob. Und kein anderer Wu würde so heißen.«

»Habe ich Brüder?«

»Nein.«

»Schwestern?«

»Nein.«

»Was ist mit meinem Vater?«

Han Shih senkte für einige Momente den Blick. »Er ist tot.«

Sie standen schweigend um den Tisch, wie Trauernde bei einer Beerdigung. Schließlich fragte Beth behutsam: »Was bedeutet li?«

Han Shih hob den Kopf und lächelte. »Das ist sein Baby-Name. Ich selbst habe ihn ihm gegeben.«

Han Shih ging in die Küche und kam mit drei Tassen Tee zurück. »Für mich Wasser«, sagte Beth.

Aber Han Shih stellte einfach die Tasse vor sie hin. »Mit Tee schmeckt es besser.« Dann setzte sie sich und hob ihre Tasse. »Auf eine glückliche, glückliche Ehe.« Sie tranken aus ihren Teetassen.

»Sie werden doch hoffentlich zur Trauung kommen«, sagte Beth.

»Das werde ich sehr gern.«

»Sie ist um Viertel nach zehn.«

»Gut. Morgen steht bei uns nichts auf dem Programm.«

Sie aßen. »Köstlich«, stellte Teddy fest. Aber er war kein Fachmann. Italienisches Essen mochte er am liebsten. Nach Beths Geschmack war zuviel Ingwer im Öl.

Sie aß nur ein oder zwei Bissen. Dann begann sie sich urplötzlich müde zu fühlen. Seit Beginn ihrer Schwangerschaft war sie früher zu Bett gegangen. Sie schaute auf ihre Uhr: noch nicht einmal zehn. Im neunten Monat würde sie wie ein neugeborenes Kind achtzehn Stunden am Tag schlafen. Sie trank mehr Tee, hoffte, das Thein würde sie aufmuntern, doch stattdessen spürte sie einen Gähnreiz. Sie unterdrückte ihn und setzte sich aufrechter auf ihren Stuhl.

Jählings blieb die Zeit stehen; und alles erschien ihr glasklar: die Anmut, mit der Han Shih ihre Eßstäbchen führte; wie Teddy ohne zu schmecken aß; die Art, wie Jay McShann einen Tonartwechsel aufbaute, der ihn zum Thema zurückführen würde und einem stürmischen Finale; selbst, was mit diesem Stillleben an der Wand nicht stimmte – die Birne hatte kein Gleichgewicht. Es war alles glasklar.

Und gleichzeitig fühlte sie sich sehr müde.

Teddy wandte sich an Han Shih. »Wie sind wir eigentlich voneinander getrennt worden?«

Han Shih antwortete nicht sofort. Sie starrte auf das Stillleben, als versuchte sie, in dem Arrangement der Früchte ein Muster zu sehen, das eine tiefere Bedeutung hatte. Oder vielleicht hatte sie das Problem mit der Birne erkannt.

»Ich habe dich im Krieg verloren«, sagte sie schließlich.

»In welchem Krieg?«

»Im Revolutionskrieg natürlich«, sagte sie, als sei das der einzige Krieg, den es je gegeben hätte.

»Wie hast du ... mich verloren?«

Han Shih seufzte. »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll.«

»Beginn mit dem Wo und Wann. Wo haben wir gelebt?«

Beth lachte. Es machte ihr immer Freude, zu verfolgen, wie mathematisch Teddy dachte. Vielleicht lachte sie ein wenig zu laut. Teddy und Han Shih schauten sie an. Das Lachen wurde zu einem Gähnen.

Han Shih legte ihre Eßstäbchen auf den Teller. »Shanghai«, sagte sie. »Aber zu der Zeit waren wir nicht in Shanghai. Wir hatten ein Sommerhaus.«

»Wo?«

»In der Nähe von Wuxi.«

»Wuxi?«

Han Shih lächelte. »Nicht weit von Shanghai.« Sie fügte etwas über Schildkröten hinzu, das Beth nicht verstand. Die Musik war sehr laut, dröhnte um sie, als sei sie unter dem Deckel des Pianos gefangen. Teddy sagte etwas; aber ihn konnte sie auch nicht verstehen.

»Entschuldigt mich.« Beth stand auf und ging ins Wohnzimmer. Sie reduzierte die Lautstärke, aber die Musik klang immer noch zu laut. Sie schaltete die Stereoanlage aus. Eine Fahrradklingel bimmelte. Han Shih sagte gerade: » ...das Import-Export-Geschäft.« Beths Augenlider wurden schwer. Sie ging auf den Balkon hinaus. Der Himmel war noch klar. So wirkte der Mond heller und der rosafarbene Nebel, der über den Städten an der Ostseite der Bucht schwebte, schien trüber. Aus dem Westen fächelte eine leichte Brise. Das war gut; sie und Teddy würden nach dem Empfang mit der Pop-Up einen Törn machen. Sie roch das Meer.

Beth setzte sich auf eine Chaiselongue. Nur für ein paar Minuten, dachte sie. Die frische Luft wird mich aufmuntern. Aber ihr Hals konnte ihren Kopf nicht aufrecht halten. Sie lehnte sich zurück. Ich werde meine Füße nicht hochnehmen, sagte sie sich. Sie legte die Füße hoch. In der Ferne klingelte ein Telefon. Ein Hund bellte. Eine Frau lachte.

Nur fünf Minuten.

Als Beth erwachte, lag sie im Bett. Allein. Sie stand auf und öffnete die Vorhänge. Tageslicht schien in ihre Augen. Ihr Kopf schmerzte. Sie suchte nach ihrer Uhr. Sie lag auf dem Küchentisch. Halb zehn. Unter der Uhr lag ein Zettel.

Guten Morgen, Schlafmütze,

ich habe meine Mutter ins Hotel gebracht, damit sie sich umziehen kann. Wir treffen uns um zehn auf der Eingangstreppe.

In Liebe, T.

Beth ging zurück ins Schlafzimmer, öffnete den Kleiderschrank und suchte ein Kleid aus: graue Wolle mit langen Ärmeln und malvenfarbenem Besatz. Als sie sich nach ihren Schuhen bückte, spürte sie es zum ersten Mal: eine Bewegung in ihrem Leib.

Vielleicht hatte sie es sich eingebildet. Sie war kaum mehr als fünfzehn Wochen schwanger – zwei oder drei Wochen zu früh dafür, daß sich etwas regte.

Sie blieb, wie sie war, ganz still.

Es kam wieder. Ein kleiner Stoß. Dann noch einer, etwas fester, so, als ob das Baby Wert darauf legte, jeden Zweifel auszuräumen. Diese Lebensäußerung des Babys, ob nun wirklich oder eingebildet, ließ Beth unter einer Welle von Emotionen erschauern, ließ sie gleichzeitig lachen und weinen.

»Teddy«, sagte sie laut.

Sie konnte es kaum erwarten, ihm das zu erzählen.

Kapitel 3

Beth fand den Manila-Umschlag, der die Heiratserlaubnis enthielt, nahm Autoschlüssel und Geld und öffnete die Tür. Zwei Männer und eine Frau standen im Treppenhaus. Sie trugen enge, schwarze Hosen, schwarze Westen, weiße Rüschenhemden und hatten Ringe in den Ohrläppchen.

Der Party-Service. Den hatte sie völlig vergessen. »Ich hab’s eilig. Finden Sie sich ohne mich zurecht?«

Einer der Männer kam näher und schaute ihr mit dem Ausdruck unermeßlicher geistiger Tiefgründigkeit tief in die Augen. Wie ein großer religiöser Führer, der es gewöhnt ist, das Leid der Menschen zu lindem, oder wie jemand, der gerade eine Schocktherapie hinter sich hatte. Es war ein Blick, den sie oft in Kalifornien sah.

»Keine Sorge«, sagte er. »Wir sind Profis.«

Daran hatte Beth keinen Zweifel. Das Geld, eine geradezu astronomische Summe, wär im Voraus verlangt worden. Sie trat beiseite. Die beiden Männer kamen herein und sahen sich aufmerksam um. Die Frau folgte und schob einen Rollwagen vor sich her, der mit Essen und Getränken beladen war. »Sehr nett«, stellte einer der Männer fest.

Beth ging hinaus und schloß die Tür. Während sie die Treppe hinunterstieg, hörte sie den anderen Mann sagen: »Aber sieh dir mal diese Möbel an!«

Zwei Treppen, die mit einem verschlissenen roten Läufer ausgelegt waren. Eine Erinnerung an die vornehmen Tage, bevor das alte Wohnhaus in drei Apartments umgewandelt worden war. Andere Erinnerungen daran gab es in der Eingangshalle: polierte Messingbriefkästen, ein goldgerahmter Spiegel, Schnittblumen in einer Vase. Sie halfen, die Miete hochzuhalten. Und dennoch behauptete der Vermieter, er würde Geld verlieren und spielte mit dem Gedanken, zu verkaufen. Beth und Teddy spielten mit dem Gedanken, zu kaufen. Dann wären sie endlich den roten Läufer los.

Der Himmel draußen war eine tiefhängende, graue Decke. Feuchtigkeit trieb vom Pazifik herein und ließ Beth frösteln. Sie ging rasch um das Haus herum zu der Garage an der Rückseite. Teddy hatte seinen Wagen nicht genommen. Es war ein großes, anonym aussehendes amerikanisches Modell, das er sehr mochte, aber nicht sehr gut parken konnte; wenn er in die Stadt mußte, nahm er ein Taxi. Beth besaß einen kleinen japanischen Wagen. Er war nicht mit Stickern verziert, die verkündeten, auf welcher Seite sie stand, was Atomkrieg, Abtreibung, Waffenbesitz, Schwulenrechte oder die Pioniere betraf. Es war einfach ein Auto. Sie stieg ein, fuhr den Telegraph Hill hinunter und bog nach Süden Richtung Civic Center ab.

Beth fand fast direkt vor dem Rathaus einen Parkplatz und näherte sich den steinernen Stufen. Der Himmel hatte sich verdunkelt; der Wind war fast eingeschlafen. Ein dicker, kalter Regentropfen landete auf ihrem Handrücken. Ein anderer-streifte ihr Gesicht. Die Fußgänger um sie begannen, schneller zu laufen.

Teddy war nicht auf den Stufen. Am Fuß der Treppe verkaufte ein Mann mit einer Baseballmütze Joghurteis. Zwei Jungen in Blue Jeans lagen auf der untersten Stufe, Rucksäcke unter ihren Köpfen. Ein Penner hockte auf halber Höhe, eine Papiertüte zwischen den Knien. Wer sonst treppauf oder treppab ging, trug Geschäftskleidung. Beth schaute auf ihre Uhr. Fünf nach zehn.

Sie ging hinein, passierte die Sicherheitsüberprüfung und stand unter dem Kuppelgewölbe. Die Luft war feucht und kalt, Höhlenluft. Hoch droben hielten ein nackter Mann und eine Frau, beide aus Stein, den Staatsschild. Er sah wie Kirk Douglas aus. Sie schaute gelangweilt drein. Beth blickte sich in der weiten Halle suchend nach Teddy um. Er war nicht da.

Das Trauungszeremoniell fand in Raum 310 statt. Beth fuhr mit dem Aufzug in die dritte Etage. Raum 310 war ein Gerichtssaal, der durch eine Holzbalustrade halbiert war. Auf der einen Seite Reihen harter Bänke. Auf der anderen der Schreibtisch der Sekretärin, der die Ausmaße eines Pingpongtisches hatte. Darüber hob sich wie ein Thron der Schreibtisch des Richters. Der Stuhl des Richters war leer. Dahinter rahmten die amerikanische und die Bärenflagge eine Tür, auf der PRIVAT stand.

Es war kein guter Tag für eine Trauung. Die Sekretärin nicht mitgerechnet, hielten sich sechs Menschen in dem Gerichtssaal auf, die zusammengedrängt auf einer der vorderen Bänke saßen. Sie alle hatten olivgelbe Haut und glänzendes schwarzes Haar: eine stämmige Frau mittleren Alters mit grellrotem Lippenstift; ein dünner Mann mittleren Alters mit einem dicken ergrauenden Schnurrbart, der über seine Wangen gezwirbelt war; zwei hagere Mädchen, die miteinander tuschelten; ein junger Mann, kaum älter als einundzwanzig oder zweiundzwanzig, der auf seine Schuhe starrte; und eine Frau etwa gleichen Alters, die ein Brautkleid trug und weiße Blumen im Haar hatte und den Eindruck machte, als würde sie jeden Augenblick gebären.

Kein Teddy. Beth ging durch eine Tür der Balustrade und reichte der Sekretärin die Heiratserlaubnis. Die Frau war eine üppige Schwarze mit glatt gekämmtem Haar und einer riesigen Brille. Sie zog einen Bleistift hinter ihrem Ohr hervor, fuhr mit ihm über den Terminkalender, entdeckte »Hunter-Wu«, machte einen Haken dahinter und sagte: »Dauert noch ein paar Minuten.« Sie steckte den Bleistift wieder hinters Ohr und starrte ins Leere. Beth sah auf die Uhr an der Wand: neun nach zehn.

»Beth?«

Sie hörte eine vertraute Stimme hinter sich und drehte sich um. Eine Frau kam durch den Raum auf sie zu. Sie hatte ein schön geschnittenes Gesicht, und ihre schlanke Gestalt steckte in einem eleganten Seidenanzug. Während sie näherkam, wurden andere Einzelheiten erkennbar: sonnenverbrannte Haut, metallisch rotes Haar, wäßrige blaue Augen.

»Mutter«, sagte Beth, als sie sich umarmten. Beth roch Zigarettenrauch und Tomatensaft. Tomatensaft bedeutete Bloody Mary.

»Bin ich pünktlich? Ich bin noch nie Trauzeugin gewesen.«

»Du bist früh dran«, sagte Beth. »Teddy ist noch nicht da.«

Ihre Mutter schaute sich im Saal um. Sie entdeckte die Hochzeitsgesellschaft und warf Beth einen kurzen, vielsagenden Blick zu. Ihre Augen schienen klar zu werden, und Belustigung zeigte sich darin. Beth erinnerte sich vieler solcher Momente in der Vergangenheit; doch ihr Vater war vor fünf Jahren gestorben und ihre Mutter war nach Arizona gezogen, um allein in der heißen Sonne zu vertrocknen.

»Bleibst du bitte hier, Mutter? Ich will mal nachschauen, ob Teddy draußen wartet.« Beth fuhr mit dem Fahrstuhl nach unten und schaute hinaus. Es regnete heftig. Der Joghurteis-Verkäufer und die Rucksackjungen waren verschwunden; der Penner hatte sich nicht gerührt. Sein durchnäßtes Hemd klebte an seinen dünnen Schultern. Sonst war niemand auf den Stufen.

Sie kehrte in Raum 310 zurück. Die olivhäutigen Menschen saßen auf ihrer Bank. Ihre Mutter saß auf einer anderen, rauchte eine Zigarette und blätterte in einer Illustrierten. Alle anderen Bänke waren leer. Hinter der Beamtin öffnete sich die Tür, auf der PRIVAT stand.

Olivhäutige Menschen kamen heraus. Ihre Gesichter waren ausdruckslos. Die Braut trug weiß. Ihre Schwangerschaft war noch nicht so weit wie die der anderen Braut. Sie trotteten heraus, wechselten Blicke mit der Hochzeitsgesellschaft Nummer zwei. Alle schauten ernst.

»Hunter-Wu«, rief die Sekretärin. Viertel nach zehn.

Beth näherte sich dem Schreibtisch. »Wu ist noch nicht hier.«

»Aha.«

»Hat er vielleicht eine Nachricht hinterlassen?« »Nachricht?«

»Hat er angerufen und mitgeteilt, daß er später käme?« »Nee.«

»Dann wird er wahrscheinlich jeden Augenblick hier sein.«

»Sie haben bis zehn Uhr fünfundzwanzig Zeit.« Die Sekretärin zog den Bleistift hinter ihrem Ohr vor und schrieb 10 Uhr 25 auf einen Notizzettel. Dann begann sie, einen Staketenzaun darum zu zeichnen.

Beth setzte sich neben ihre Mutter. »Was nicht in Ordnung?«

»Er kommt zu spät«, sagte Beth.

»Gescheite Männer sind nun mal so. Dein Vater kam nie in seinem Leben pünktlich zu einer Verabredung.« Sie zog an ihrer Zigarette. Beths Vater war Gagschreiber gewesen.

Beth stand auf und ging wieder in die Halle, diesmal über die Treppe. Teddy begegnete ihr dabei nicht. Regen. Penner. Sie ging in Raum 310 zurück. Die Sekretärin starrte abwesend in die Luft; der Staketenzaun um 10 Uhr 25 war unvollendet. »Darf ich mal telefonieren?«

Mit einem Seufzen schreckte die Sekretärin aus ihren Gedanken hoch, blickte erst prüfend Beth, dann das Telefon an. Während sie noch nachdachte, öffnete sich die Tür hinter ihr, und ein dicker roter Mann steckte das Gesicht in den Raum.

»Warum die Verzögerung, Eulalia?« Er hatte wäßrige blaue Augen, wie Beths Mutter.

»Kein Bräutigam«, entgegnete die Sekretärin, ohne sich zu ihm umzudrehen, so wie ein Catcher zu einem Schiedsrichter spricht.

Die wäßrigen Augen musterten Beth, ihre Mutter, die olivhäutigen Leute. »Jetzt aber ein bißchen Beeilung«, sagte er. »Wir wissen wohl alle, was Zeit ist.« Das rote Gesicht zog sich zurück. Die Tür wurde geschlossen.

»Geld«, erklärte die Sekretärin den olivhäutigen Leuten, die von ihrer Bank aus zusahen. »Geld.« Sie lachte; ein kehliges Lachen, das höher wurde, bis es schließlich nur noch Hunde hören konnten.

»Darf ich mal telefonieren?« wiederholte Beth. Die Sekretärin schüttelte den Kopf.

»Warum nicht?«

Die Sekretärin war verblüfft. »Ich hab’ nicht nein gesagt. Ich habe nur gelacht.« Sie schob das Telefon näher zu Beth, betrachtete sie aufmerksam. »Keine Ferngespräche.«

Die Hochzeitsgesellschaft beobachtete sie ebenfalls. Beth ergriff den Hörer und rief zu Hause an. »Hallo«, ertönte Teddys Stimme. »Im Augenblick ist niemand hier. Wenn Sie eine Nachricht hinterlassen wollen, sprechen Sie bitte nach dem Signalton.« Beth legte auf.

Die Sekretärin hob ihre Augenbrauen. Beth wartete darauf, daß sie »Und?« sagen würde. Aber das tat sie nicht. Zehn Uhr einundzwanzig.

Beth durchquerte den Raum, ging an den olivhäutigen Leuten vorbei, die wegschauten, und an ihrer Mutter, die »Und?« sagte. Sie eilte in die Halle hinunter. Der Penner lag bewußtlos flach auf dem Rücken. Er war ein oder zwei Stufen hinuntergerollt. Seine Flasche war ganz hinuntergerollt und auf dem Bürgersteig zerbrochen. Regentropfen prallten von den Steinen und von dem mitgenommenen Gesicht des Mannes.

Wieder im Gerichtssaal. Die Uhr zeigte 10 Uhr 24. Beth setzte sich neben ihre Mutter. »Weißt du ein Wort für unschuldig mit vier Buchstaben?« fragte diese. Sie hatte in einer der Illustrierten ein Kreuzworträtsel gefunden.

»Wie lautet der erste Buchstabe?«

»Könnte ein N sein.«

Beth wollte naiv sagen, als die Sekretärin rief: »Hernandez-Ruiz.« Die olivhäutigen Leute standen auf und gingen ins Richterzimmer. Der junge Mann schlurfte als letzter hinterher.

Beth stand auf und ging zu der Balustrade. »Ich bin sicher, er wird jeden Augenblick hier sein«, sagte sie zu der Sekretärin. »Können Sie uns dazwischenschieben?«

»Tut mir leid. Wir sind ausgebucht.« Sie ging ihren Terminkalender durch. »Bis nächsten Freitag.« Beth unterdrückte eine wütende Antwort. Vielleicht bemerkte die Sekretärin das; ihr Gesicht entspannte sich. »Warten Sie nur, Süße. Manche kommen nicht. Das passiert immer wieder. Kalte Füße.«

Beth setzte sich. »Männer«, sagte ihre Mutter. »Vor allem intelligente.« Beth überlegte, für wann sie ihren Rückflug gebucht haben mochte.

Menschen kamen herein. Sie wurden getraut. Sie gingen wieder. Beth und ihre Mutter lösten drei Kreuzworträtsel. Beth rief Teddys Büro an. »Tut mir leid«, sagte die Sekretärin. »Dr. Wu ist heute nicht im Hause. Sie können ihn daheim erreichen. Haben Sie die Nummer?« Beth rief viermal zu Hause an. Dreimal hatte sie Teddys Anrufbeantworter dran. Beim vierten Mal meldete sich der Mann vom Partyservice.

»Bei Wu-Hunter«, sagte er.

»Hier spricht Beth Hunter.«

»Hallo! Kein Grund zur Sorge! Wir sind fertig. Und die Gladiolen sind herrlich. Einfach herrlich.«

»Gladiolen?«

»Ich hab’ noch nie so viele gesehen. Wir haben sie in alles gestellt, worin man Wasser füllen kann. Sieht aus wie ein Gemälde von Dingsbums.«

»Von wem sind sie?«

»Irgendwo liegt eine Karte. Bleiben Sie dran.«

»Egal. Ich wollte nur wissen, ob Anrufe gekommen sind.«

»Reichlich. Aber das ist der erste, auf den wir uns gemeldet haben. Soll ich den Anrufbeantworter abhören?«

»Halten Sie sich damit nicht auf. Hat mein – war Dr. Wu da?«

»Dr. Wu?«

»Ja. Mein ...«

»Oh, nein. Hier war nur der Bote aus dem Blumengeschäft und dann noch der Weinlieferant – die Getränkeabteilung war mit dem Champagner ein bißchen knauserig. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen. Ist nicht schön, wenn er ausgeht. Hab’ ich schon erlebt.«

»Nein. Das ist in Ordnung.«

»Gut. Machen Sie sich keine Sorgen.«

Sie legte auf.

Gegen Mittag waren die Bänke leer. Die Sekretärin nahm eine braune Tüte aus einer ihrer Schreibtischschubladen, öffnete sie und holte ein Sandwich heraus. Der rotgesichtige Richter kam aus seinem Zimmer. »Wohin diesmal?« fragte er. »Nick’s oder die Oyster-Bar?«

»Nick’s«, erwiderte sie. »Sie sagten beim letzten Mal, in der Oyster-Bar sei die Bedienung schlecht gewesen.«

»Tatsächlich?« Er trat durch die Tür, verlangsamte seinen Schritt, als er sich der Bank näherte, auf der Beth und ihre Mutter saßen. Er blieb stehen und räusperte sich. »Nur nicht aufregen«, sagte er munter. »Besser, man weiß es jetzt als in zehn Jahren.«

Beth schaute auf, glaubte, nicht recht gehört zu haben.

»Ich weiß, wie Sie sich fühlen«, fuhr der Richter fort, bemüht, seine Stimme tröstend klingen zu lassen. »Ich hab’s schon tausendmal erlebt.«

»Was haben Sie schon tausendmal erlebt?«

Der Richter schaute Beths Mutter an, dann Beth. »Nun sicher, vielleicht nicht bei Mädchen wie Ihnen. Sie sind doch nicht schwanger, oder?«

Das geht dich einen Scheißdreck an, dachte sie. Aber sie sagte: »Nein.«

»Dachte ich mir. Sie sehen auch nicht so aus.« Beth saß ruhig da, dachte an das Strampeln, das sie in ihrem Bauch gespürt hatte, wünschte, sie könnte es jetzt spüren. Der Richter wertete ihr Schweigen als Zustimmung. Er tätschelte ihren Arm. »Und außerdem«, sagte er, »sind diese Mischehen nichts. Ich hab’ überhaupt keine Vorurteile. Es ist einfach so. Ich kenne mich mit Ehen aus. Stimmt’s, Eulalia?«

Die Sekretärin warf einen Hähnchenknochen in den Abfalleimer. »Stimmt.«

Der Richter lächelte. »Ich wette, Sie fühlen sich schon wohler. Sie sehen gut aus. Die Männer fliegen sicher auf Sie. Ich würde auch auf Sie fliegen, wenn ich nicht so’n alter Zausel wäre und keine Frau hätte, um die ich mir Gedanken machen müßte.«

Er lachte. Die Sekretärin lachte. Dann ging er aus der Tür. Für einen Augenblick drang der Lärm von Anwälten herein, die zum Lunch gingen. Die Tür schloß sich.

»Ich könnte kotzen«, sagte Beth.

»Er wollte doch nur nett sein«, meinte ihre Mutter.

»Zum Teufel mit ihm«, sagte Beth heftiger, als sie eigentlich wollte.

Die Sekretärin hörte auf zu kauen und blickte auf.

»Stimmt.«

Beth und ihre Mutter gingen hinaus.

Es regnete noch immer. Der Penner war verschwunden. Die Glasscherben waren in den Gully gespült worden. Beth sah sich um. Kein Teddy.

Sie gingen schweigend die Stufen hinunter, über den Bürgersteig und stiegen dann schweigend in den Wagen. Ein Strafzettel klebte an der Windschutzscheibe. »Wie ärgerlich«, sagte Beths Mutter. Sie öffnete ein Päckchen Zigaretten und steckte eine an. Ihre Hände zitterten. Rauch erfüllte den Wagen.

Beth fuhr durch den Regen heim und parkte hinter dem Haus. Teddys Wagen war noch da. »Er wartet bestimmt drinnen«, meinte ihre Mutter. »Wahrscheinlich ist er mit irgendeinem mathematischen Problem beschäftigt und hat alles um sich vergessen.« Beth sagte nichts. Sie gingen zur Vorderseite des Hauses. »Schreibt er noch immer überall Gleichungen hin?«

»Ja.«

»Dein Vater war genauso. Ich hab’ überall Papierfetzen gefunden, die mit Witzen beschrieben waren. Gestern noch habe ich einen im Barschrank gefunden.« Sie schwieg. »Er muß ihn geschrieben haben, bevor er in die Tonight-Show ging.«

»Was war das für ein Witz?«

»Ich erinnere mich nicht genau. Ich war nie eine gute Witzeerzählerin. Aber ich glaub' nicht, daß es einer seiner besten war. War ein Schwiegermutterwitz. Ich wünschte, ich hätt' ihn nicht gefunden. Ich hoffe nur, daß nicht noch mehr herumliegen.«

Kapitel 4

Fröhlicher Lärm drang über die Treppen nach unten: Korken knallten, Eiswürfel klirrten, Leute lachten. »Oh, Gott«, sagte Beths Mutter, während sie hochgingen. Die Apartmenttür stand offen. Drinnen war die Hochzeitsfeier in vollem Gang. Kein Teddy.

Einen Augenblick lang stand Beth unbemerkt an der Schwelle. Überall waren leuchtend rote Gladiolen und ihre Freunde, ihre und die von Teddy. Es wirkte wie eine gelungene Party: Alle Münder waren beschäftigt – schluckend, kauend, redend.

Dann entdeckte Marty Kesselmann sie, einer von Teddys Kollegen und hob grüßend eine Riesengarnele. Alle drehten sich um. Die meisten ihrer Freunde betrachteten eine Heirat nicht als Sakrament; aber dennoch klatschten alle, und ein oder zwei Stimmen sangen laut und ausgelassen »Hoch lebe die Braut«.

Beth trat mit erhobenem Kopf ins Zimmer, so wie es sie der Lehrer im Debattierklub an der High School gelehrt hatte. »Ihr seid ein bißchen voreilig«, sagte sie. »Teddy hat kalte Füße bekommen.« Gelächter. Es legte sich. »Wirklich, er war nicht da. Hat ihn jemand heute gesehen?«

Niemand hatte ihn gesehen. Ihre Gesichter zeigten Verblüffung. Sie betrachteten sie aufmerksamer. Beth wußte nicht, was sie sagen sollte; hätte auch nichts sagen können, weil sich plötzlich die Muskeln um ihre Mundwinkel nach unten zogen. Es kam für sie völlig überraschend. Sie wandte sich ab, ging rasch über den Korridor ins Schlafzimmer und schloß die Tür hinter sich.

Sie erlebte eine Welle von Emotionen – Verwirrung, Demütigung, Ärger. Doch nichts blieb. Es war irgendwie unwirklich; das alles gehörte zum Heiraten. Als sie zwanzig Minuten später herauskam, hätte sie jedem ins Gesicht schauen können, den rotgesichtigen Richter eingeschlossen.

Aber die Gäste waren fort. Und ebenso der Partyservice, das Büffet, die Getränke. Nur ihre Mutter war geblieben, saß auf dem Sofa mit einer Bloody Mary in der Hand. Und die hellroten Gladiolen.

»Willst du einen Drink?«

»Nein.«

Beth ging in die Küche. Der Zettel lag auf dem Tisch:

Guten Morgen, Schlafmütze, ich habe meine Mutter ins Hotel gebracht, damit sie sich umziehen kann. Wir treffen uns um zehn auf der Eingangstreppe.

In Liebe, T.

Neben dem Zettel lag die Visitenkarte eines Blumenhändlers. Le Bouquet stand darauf, eine Adresse auf der Sutter Street. In dem Feld für Grußworte befanden sich drei chinesische Schriftzeichen, mit grüner Tinte geschrieben. Ihr Unbehagen wandelte sich zu einem Gefühl, das tief war und sie nicht losließ: Sorge. Sorge um Teddy. Auch seine Vergeßlichkeit hatte Grenzen.