Mister Q - Zara Cox - E-Book
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Mister Q E-Book

Zara Cox

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Beschreibung

Elyse Gilbert, genannt Lucky, ist auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit. Völlig mittellos gelangt sie nach New York, wo sie auf eine Anzeige stößt, die ihre Rettung sein könnte. Eine Million Dollar für zehn Nächte mit dem mysteriösen Q, der sein Gesicht hinter einer Maske verbirgt. Q entführt Lucky in seine luxuriöse Villa und in eine dunkle Welt der Lust, nach der sie sich mit jeder weiteren Nacht mehr sehnt. Denn auch wenn die kalte Stimme hinter der Maske sie abstößt, berühren die gemeinsamen Stunden ihr Herz. Doch Lucky kann nicht ahnen, dass Q einer der reichsten Männer New Yorks ist und sie nur eine Figur in einem gefährlichen Spiel ...

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Buch

Elyse Gilbert, genannt Lucky, ist auf der Flucht – vor ihrer Vergangenheit und einem Mann, der ihr nach dem Leben trachtet. Völlig mittellos gelangt sie nach New York, wo sie auf eine Anzeige stößt, die ihre Rettung sein könnte. Eine Million Dollar für zehn Nächte mit dem mysteriösen Q, der sein Gesicht hinter einer Maske verbirgt. Um den einzigen Menschen zu schützen, der ihr am Herzen liegt, und um zu überleben, nimmt sie das unmoralische Angebot an. Q entführt Lucky in seine luxuriöse Villa und in eine dunkle Welt der Lust, nach der sie sich mit jeder weiteren Nacht mehr sehnt. Denn auch wenn die kalte Stimme hinter der Maske sie abstößt, berühren die gemeinsamen Stunden ihr Herz. Doch Lucky kann nicht ahnen, dass Q einer der reichsten Männer New Yorks ist und sie nur eine Figur in einem gefährlichen Rachespiel …

Autorin

Zara Cox schreibt seit ihrem dreizehnten Lebensjahr. »Mister Q« ist ihr erster Roman, der auch in Deutschland erscheint.

Zara Cox

Mister Q

Erotischer Roman

Aus dem Amerikanischen

von Karin Dufner

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel »Beautiful Liar« bei Forever, an imprint of Grand Central Publishing, Hachette Book Group, Inc., New York.
Copyright © der Originalausgabe by Zara Cox Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2018 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München Umschlagmotiv: FinePic®, München Redaktion: Antje Steinhäuser MR · Herstellung: kw Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach ISBN: 978-3-641-21305-3V002www.goldmann-verlag.de
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Teil Eins

Q

1

CASTING

April, 2015

Eigentlich müsste ich nicht hier sein. Völlig überflüssig.

Nicht schon wieder eine.

Ich habe jetzt mehr als genug Material. Ich sollte die Bombe platzen lassen.

Das sage ich mir inzwischen schon seit Monaten.

Mist, wem will ich denn etwas vormachen?

Genug wird nie genug sein. Er muss für seine Tat bezahlen, und zwar mit absolut allem, was ich ihm wegnehmen kann.

Außerdem habe ich die Eier zuzugeben, dass es zur Sucht geworden ist. Das Hinauszögern der Befriedigung gehört zum Spiel. Es wird zum Zwang. In meiner von Überdruss geprägten Welt, in der ich alles kriege, wenn ich nur mit dem Finger schnippe, lernt man riskante Kicks wie diesen zu schätzen.

In einem Wimpernschlag werden sie verflogen sein. So wie alles Angenehme in meinem Leben.

Ich schaue auf die Uhr.

17:58.

Ich stehe vom Sofa auf, gehe den breiten Flur entlang und trete in das leere Zimmer. Es ist nicht völlig leer, könnte es jedoch genauso gut sein. Seit ich die Wohnung vor sechs Monaten nach meiner Zeit in Boston und meiner Rückkehr nach New York erworben habe, habe ich mir die Mühe gespart, sie einzurichten. Es ist, als ahne mein Unbewusstes, dass ich sie nur für diesen einen Zweck brauche.

In der Mitte des Raums nehme ich die Fernbedienung vom Tisch und drücke auf »Power«. Drei Bildschirme erwachen zum Leben. Ich setze mich in den Ledersessel, den ich vorhin hier hingestellt habe. Drei Gesichter starren mir entgegen. Dunkelheit und verspiegeltes Glas bewirken, dass sie mich nicht so deutlich sehen können. Und selbst wenn, ich trage meine Maske. Schwarze Kleidung und Lederhandschuhe vervollständigen die Tarnung.

Anonymität ist der Schlüssel. Ich bin einfach zu bekannt, um mich zu zeigen. Zumindest im Moment. Wer weiß, was in einem oder zwei Monaten sein wird? Jeden Tag ringe ich um Beherrschung. Vielleicht wache ich morgen ja auf und beschließe, dass der Zeitpunkt da ist, nachzugeben und meinen Plan zu enthüllen.

Ich schäme mich nicht, weil ich diesen Weg beschreite, um mein Ziel zu erreichen. Weit gefehlt. Mich dabei selbst zu zerstören ist genau das, worauf ich hinauswill. Wenn ich fertig bin, soll nichts, aber auch gar nichts, übrig bleiben, was man erhalten oder wiedergutmachen kann.

Im Moment ist meine Rolle in der Öffentlichkeit unabdingbarer Bestandteil meines Masterplans. Und da ich bereits jede Menge Sünden auf mich geladen habe, habe ich keinerlei Skrupel, auch noch Eitelkeit hinzuzufügen. Ich gebe zu, dass ich mein anderes Leben liebe. Und meine Identität geheim zu halten erhöht den Kitzel zusätzlich.

Und mir geht es nur um den Kitzel. Ansonsten würde ich Gefahr laufen, vor der Zeit in einem dunklen Abgrund zu versinken. Dem Abgrund, an dessen Rand ich, nach den warnenden Worten meiner Psychotherapeutin zu urteilen, entlangbalanciere.

Sie hält es für eine Erleuchtung, dieses Informationsbröckchen, das sie mir vor drei Jahren in den Schoß geworfen hat. Wenn die nur wüsste. Schon seit ich fünfzehn bin, starre ich in diesen Abgrund, so lange, dass er mit mir verschmolzen ist. Wir sind eins. Unseren letzten Tanz haben wir noch nicht getanzt, aber das ist nur eine Frage der Zeit.

Ich bin achtundzwanzig.

Die dreißig werde ich nicht erleben.

Da das eine feststehende Tatsache ist, hole ich mir mein Vergnügen, wo ich kann.

»Ihr habt alle ein Manuskript vor euch. Wenn ich es sage, lest ihr laut vor. Du fängst an, Pandora.« Ich benutze einen Stimmverzerrer, da in meiner echten Stimme ein heiserer Unterton mitschwingt, der mich verraten könnte. Wegen meiner Position hatte ich schon öfter eine Kameralinse im Gesicht als Sex. Und das will etwas heißen.

Pandora – was ist denn das für ein beschisssener Prollname? – kichert. Als sie eifrig nickt, hüpfen ihre goldenen Locken. Ich unterdrücke ein gereiztes Knurren und setzte sie auf die »Vielleicht«-Liste.

»Darf ich mal fühlen, sagt er.« Wieder kichert sie.

Zehn Sekunden später landet sie unverrückbar auf der »Nein, verdammt«-Liste. Ich drücke auf die Gegensprechanlage. Sie wird hinausbegleitet, und ich wende mich dem nächsten Mädchen zu.

Die Rothaarige starrt in die Kamera. Sie schürzt die Lippen, frei nach dem Motto »Ich bin dazu geboren, dir einen zu blasen«. Ich muss zugeben, dass die Beleuchtung ihr mehr schmeichelt als ihrer Vorgängerin. Doch ihre Augen sind ein wenig zu groß. Zu grün.

Ich stelle die Kamera ein, um sie gründlicher zu mustern. »Welche Augenfarbe hast du? Und behaupte jetzt nicht, dass sie grün sind. Ich erkenne die Ränder deiner Kontaktlinsen.«

Sie errötet. »Äh … sie sind grau.«

Ich konsultiere die Aufzeichnungen auf meinem Tisch. »Und Missy ist dein echter Name?«

Sie nickt heftig.

»Hast du die Anweisungen gelesen?«

»Äh … ja«, antwortet sie. Der Satz verebbt im Ansatz einer Frage. Sie ist eindeutig nicht die Klügste.

»Und was steht da über Lügen?«

Der »Ich blas dir einen«-Ausdruck verfliegt. »Es sind doch nur Kontaktlinsen.« Als sie sich vorbeugt, wirft sie mit ihren Titten, Körbchengröße Doppel-D, fast die Kamera um. »Ich kann sie auch rausnehmen.«

»Nein, lass es. Dein Vorstellungsgespräch ist vorbei. Bitte geh jetzt«, befehle ich in meiner besten Normalostimme und drücke auf die Gegensprechanlage.

Laut eines Aspekts, auf dem meine Therapeutin ständig herumhackt, mag ich eine Schraube locker haben, doch Mama, Gott schenke ihrer reinen Seele Frieden, hat mich als Gentleman erzogen. Auch wenn Mama inzwischen Futter für die Würmer ist, heißt das noch lange nicht, dass ich ihr Andenken nicht mit einem Hauch von Höflichkeit ehren kann.

Missy schürzt wieder die Lippen und öffnet den Mund, als wolle sie um gut Wetter bitten. Doch der kräftige Wachmann, der gerade eintritt und ihr auf die Schulter tippt, überzeugt sie, dass Worte hier nichts mehr ausrichten können.

Ich wende mich dem letzten Bildschirm zu.

Sie hat den Blick gesenkt. Ihre Wimpern sind so lang, dass ich mich frage, ob ich wieder einer Blenderin aufgesessen bin. Seufzend betrachte ich den Rest ihres Gesichts. Kein Make-up oder fast keines, falls sie sich die Mühe gemacht hat. Ihre Lippen sind voll, und sie hat ein wenig Lipgloss aufgetragen. Auf der linken Gesichtshälfte, gleich über der Oberlippe, hat sie ein winziges Muttermal. Also echt.

Ich vergrößere das Bild und mustere den Rest, den ich sehen kann. Ihr graues T-Shirt ist so abgetragen, dass es beinahe fadenscheinig ist. Außerdem stehen ihre Schlüsselbeine ein bisschen zu stark hervor. Mit Unterernährung begeistert man die Massen nicht. Aber dieses Problem lässt sich leicht beheben.

Anders als der übrige Bestand, aus dem ich meine früheren Kandidatinnen ausgewählt habe, scheint sie nicht in BDSM-Clubs zu verkehren. Kurz frage ich mich, ob es meine sorgfältig platzierte Annonce war, die sie angelockt hat.

Ihre Brust unter dem T-Shirt hebt und senkt sich stetig. Doch der pochende Puls an ihrer Kehle verrät sie. Ich zoome den Puls heran. Die Haut darüber ist weich, ja, beinahe seidig und von zartem karamellblondem Flaum bedeckt.

Etwas an ihr sorgt dafür, dass ich an die Sesselkante rutsche. Mir gefällt ihre vorgespielte Ruhe. Die meisten Menschen fangen im grellen Licht eines Kamerascheinwerfers an zu zappeln.

Ich werfe einen Blick auf ihre Kurzbiografie. »Lucky.«

Langsam hebt sie den Kopf. Ihre Augenlider öffnen sich. Ihre Augen sind grünbraun mit einem natürlichen dunklen Rand um die Iris, der die Farbe betont. Ich kriege es zwar nicht ganz zu fassen, doch etwas an ihrem Augenausdruck weckt mein Interesse.

Verdammt, wenn ich ein Herz hätte, würde ich schwören, dass es einen Schlag ausgesetzt hat.

»Ist das dein echter Name?«

Sie zuckt die Achseln. »Könnte sein«, murmelt sie.

Verdammt. Schon wieder eine Lügnerin. »Wenn man das nächste Bond-Girl werden will, wirkt die geheimnisvolle Tour vielleicht sexy. Aber hier nützt sie dir nichts. Sag mir deinen wahren Namen. Oder geh.«

»Nein.« Ihre Stimme klingt rauchig und erotisch und lenkt mich einen Moment ab, bevor ich ihre Antwort registriere.

»Nein?«

»Bei allem Respekt, doch Sie verstecken sich hinter einer Kamera und geben Befehle. Ich verstehe, dass Sie bei diesem kleinen Spiel alle Trümpfe in der Hand haben. Doch ich werde Ihnen meine nicht gleich am Anfang zeigen. Was den Sinn und Zweck dieses Vorstellungsgesprächs angeht, heiße ich Lucky. Auch wenn dieser Name nicht in meiner Geburtsurkunde steht, höre ich darauf, seit ich fünfzehn bin. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen.«

Oh … fuck, sieh an. Überrascht und amüsiert stelle ich fest, dass ich beinahe schmunzeln muss.

Ich streiche mir mit dem behandschuhten Finger über den Mund, hin- und hergerissen, ob ich ihr ihre Frechheit durchgehen lassen oder sie rausschmeißen soll.

Ja, sie fasziniert mich. Und die Daten, die ich brauche, werde ich schon aus ihr herausholen, bevor sie auf der gestrichelten Linie unterschreibt, falls es so weit kommen sollte. Allerdings muss sie bei diesem Job unwidersprochen meinen Befehlen gehorchen.

»Steh auf. Entfern dich von der Kamera, bis du an der Wand bist.«

Lucky erhebt sich anstandslos, was mich ein wenig versöhnlicher stimmt. Sie schiebt den Stuhl beiseite und weicht langsam zurück. Der Saum ihres weiten T-Shirts endet an einer ausgewaschenen Jeans. Noch ehe sie voll vor der Kamera steht, erhasche ich einen ersten Blick auf ihre Stundenglasfigur und ihre zierliche Gestalt. Sie ist ein Pin-up-Girl aus den Fünfzigern in billigen Kleidern. Ihre Brüste sind voll, wenn auch nicht ganz Körbchengröße Doppel-D. Oberschenkel und Waden sind so wohlgeformt, dass sie auf der Straße Vollbremsungen auslösen würden. Ihr natürlich goldbrauner Teint weist darauf hin, dass sie vermutlich aus dem Mittleren Westen stammt.

Sie hat das Potenzial, die Männer aus den Socken zu hauen – nach einigen nahrhaften Mahlzeiten natürlich. Im Moment ist sie zu schlank. Allerdings habe ich in meinem verkommenen Leben schon genug gesehen und getan, um zu wissen, dass nicht ihr Körper die Attraktion sein wird, sondern ihr Blick. Die Geheimnisse und Schatten, die sie mit aller Mühe zu verbergen versucht und die sie fast bei lebendigem Leibe auffressen.

Eigentlich sind mir diese Geheimnisse scheißegal. Aber die Vorstellung, sie zu ficken und meine Spielchen mit ihr zu treiben, lässt eine zerstörerische Flamme in mir emporzüngeln.

»Dreh dich um und lass deine Haare herunter.«

Kurz zucken ihre Finger an ihren Seiten, bevor sie sich zur Wand wendet. Eine Hand hebt sich und zupft an dem Band, das den lockeren Knoten oben auf ihrem Kopf zusammenhält.

Eine karamellfarbene und goldene Mähne fällt ihr über den Rücken. Ihre Wellen sind dicht genug, um meine Hände zu verschlucken, und reichen ihr bis über die Taille. Die zulaufenden Enden streifen den Ansatz ihres makellos geformten Hinterns.

Nachdem ich sie eine Weile beobachtet habe, spreche ich mit verstellter Stimme ins Mikrofon. »Hast du irgendwelche auffälligen Muttermale, von denen ich wissen sollte, Lucky?«

Die Frage kommt an. Kurz verspannt sich ihr Rücken, ehe sie sich zwingt, locker zu werden. »Ja.«

»Wo?«

»Oben am Oberschenkel«, erwidert sie.

»Zeig es mir«, entgegne ich, obwohl ich es eigentlich nicht zu sehen brauche. Meine sorgfältig ausgewählten Maskenbildnerinnen können jedes störende Muttermal überschminken.

Langsam dreht sie sich um. Ich rechne damit, dass sie den Blick senkt oder zumindest ein wenig Verlegenheit an den Tag legt. Doch sie sieht direkt in die Kamera, während ihre Finger an den Knöpfen ihrer Jeans nesteln. Der Reißverschluss öffnet sich, und sie schiebt sich den Stoff über die Hüften. Ihr weißes Unterhöschen aus Baumwolle ist schlicht und gelinde gesagt abtörnend. Dennoch wandern meine Augen zu dem anliegenden Stoff, der ihre Schamlippen bedeckt.

Ich bemerke auch, wie sich ihr Busch leicht darunter abzeichnet.

Ich rutsche in meinem Sessel herum, berühre jedoch nicht die Erektion, die in meiner Hose zum Leben erwacht. Sich selbst einen runterzuholen ist Zeitverschwendung. Entweder ficke ich oder nicht. So einfach ist das.

Sie lässt die Jeans auf Kniehöhe sinken und dreht das rechte Bein nach außen. Der rote Kreis an der Innenseite ihres Oberschenkels ist so auffällig, dass er überschminkt werden muss. Ich merke es mir.

»Danke, Lucky, du kannst dich wieder anziehen.«

Kurz malt sich Überraschung auf ihrem Gesicht, doch sie ordnet ihre Kleidung. Dann fallen ihre Hände wieder seitlich an den Körper.

»Es ist Zeit für die Probeaufnahmen. Streich deine Haare zur Seite und komm näher. Leg deine Hände flach auf den Tisch und beug dich vor, aber setz dich nicht.«

Sie befolgt meine Anweisungen buchstabengetreu. Ich stelle die Kamera so ein, dass sie auf ihr Gesicht gerichtet ist.

»Bist du bereit?«

Sie nickt fast unmerklich.

»Du bist gerade in eine Bar gekommen. Du kennst mich nicht. Aber du siehst mich. Ich bin der Typ, der mit einem Bourbon in der Ecke sitzt. Und ich sehe dich. Alles von dir. Jede Fantasie, die du je hattest. Ich will es dir besorgen. Du hast mich gefunden, Lucky, den Typen, der sich mehr danach sehnt, dich zu ficken, als nach seinem nächsten Atemzug. Siehst du mich.«

Ihre Nasenlöcher beben leicht. »Ja.«

»Gut. Schau in die Kamera. Nicht zwinkern. Zeig mir, was ich sehen will. Überzeug mich davon, dass du es wert bist, gefickt zu werden. Überzeug mich davon, dass du es wert bist, für dich zu sterben.«

Ihre Augenlider senken sich, ihre Miene wird nachdenklich. Doch sie zwinkert weder, noch verliert sie die Konzentration. Langsam wandelt sich ihr Gesichtsausdruck von gleichgültig zu fasziniert. Ihre Augen gehen auf, und plötzlich ist sie eine grünäugige Sirene. Ihre Aufmerksamkeit ist voll da, ohne abzuschweifen. Ihre Lippen von der Farbe zerdrückter Rosenblätter öffnen sich, doch anders als erwartet, fährt sie sich nicht mit der Zunge darüber. Sie … atmet nur. Ein. Aus.

Sie schluckt, eine langsame Bewegung, die den Blick auf ihren Hals und dann tiefer zu ihren Brüsten lenkt. Wider Willen gebannt betrachte ich, wie sich ihre Brustwarzen unter dem dünnen Stoff ihres T-Shirts verhärten. Langsam krallen sich ihre Finger in das harte Holz, bis sich jeder Atemzug in eine lautlose Forderung verwandelt.

Ein … fick … aus … mich …

Ein. Fick.

Aus. Mich.

Ich rühre mich nicht, obwohl es mir in den Fingern juckt und meine Muskeln von einer Ruhelosigkeit brennen, die ich schon lange nicht mehr gespürt habe.

Ich beobachte, wie sie die Kamera im Griff hat. Ihr Körper ist lüstern angespannt. Ihre Augen weiten sich, weil sie blinzeln muss, doch sie tut es nicht.

Sie verharrt reglos und mit geballten Fäusten und atmet einfach nur Sex. Ihre Augen werden feucht, und eine Träne rinnt ihr die Wange hinunter. Der Anblick ist seltsam befreiend, ein winziger Höhepunkt.

Ich lehne mich im Sessel zurück. »Das war recht überzeugend. Du darfst dich setzen, Lucky.«

Sie blinzelt heftig, bevor sie auf den Stuhl sinkt. Ein kurzes Wischen, und die Träne hat es nie gegeben. Ebenso wenig wie den Fick des Jahrhunderts, den ihr Gesicht gerade noch versprochen hat.

Ihre schauspielerischen Fähigkeiten sind beachtlich. Kurz bin ich nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist. Sie sollte besser nicht zu talentiert sein. Ich schiebe den Gedanken beiseite und lese weiter ihre Akte.

»Du gibst ein Motel als deine Adresse an?«

Ich kenne die Adresse in Queens zwar nicht, doch die Motelkette ist als unterste Schublade verschrien. Ohne mir meinen Widerwillen anmerken zu lassen, warte ich auf ihre Antwort.

»Ich bin erst seit Kurzem in der Stadt. Ich habe noch keinen festen Wohnsitz.«

Die Geheimnisse in ihren Augen, die abgetragenen Kleider, die zerzausten Haare und die unrasierte Möse erzählen allmählich ihre eigene Geschichte. Auch wenn sie den Mut hat, mir Widerworte zu geben und damit einen Job mit einem Spitzenverdienst zu riskieren, ist sie auch verzweifelt.

Die Frage lautet nur, wie verzweifelt.

»Bist du zurzeit irgendwo beschäftigt?«

Sie nickt. »Ich arbeite hin und wieder in einer Großküche. Aber ich kann mir freinehmen, wenn es nötig ist.«

»Also hättest du Zeit, falls ich dich haben will?«

Die Verzweiflung bricht sich Bahn, und ihre Augen blitzen ein wenig zornig. »Falls? Soll das heißen, dass ich das alles hier umsonst gemacht habe?«

Ihre Chuzpe bringt mich ein wenig zum Lachen. »Du hast doch nicht ernsthaft gedacht, dass du nach dreiminütigen Probeaufnahmen einfach so eine Million Dollar kriegst, oder?«

Die Wut verschwindet aus ihren Augen, obwohl sie kurz die Lippen zusammenpresst, ehe sie etwas erwidert. »Stimmt es also? Ist es kein Trick? Gibt es für diesen Job wirklich eine Million Dollar? Für … Sex?«, stößt sie hervor.

»Meinst du, ich würde es zugeben, wenn es ein Trick wäre? Wie lautete der Anzeigentext?«

»Eine Million hemmungslose Gründe, es zu wagen.

Eine Million Chancen, ewig ausgesorgt zu haben.

Eine Million, um Lüste auszuleben.

Hast du den Mut, dich einfach hinzugeben?

Für einen Zahltag, den du nie vergessen wirst.«

Dass sie sich wortwörtlich daran erinnert, ist ein weiterer Hinweis für ihre Bedrängnis.

Schweigend warte ich darauf, dass sie fortfährt.

»Nehmen wir einmal an, dass es kein Trick ist. Wie funktioniert es dann genau?«

»Wenn du die nächsten Prüfungen bestehst und ich entscheide, dass du passt, kriegst du den Auftrag. Für jeden Auftritt bekommst du hunderttausend Dollar.«

»Also … zehn Auftritte. Über welchen Zeitraum?«

»Hängt davon ab, wie viele Aufnahmen nötig sind. Etwa zwischen drei Wochen und einem Monat. Aber ich sollte dich warnen. Es ist harte Arbeit, Lucky. Falls du glaubst, du könntest dich zurücklehnen und im Kopf die amerikanische Nationalhymne aufsagen, vergiss es lieber.«

Ihre Finger klopfen auf den Tisch, das erste Zeichen von Nervosität, das sie sich anmerken lässt. »Ich … ich muss doch nichts … Fieses machen, oder?«

»Definiere ›fies‹.«

»Es geht doch nur um normalen Sex. Keine anderen Körperausscheidungen? Denn das wäre bei mir ein klares Nein.«

Wieder zuckt es um meinen Mund. »In den Auftritten spielen weder Natursekt noch Fäkalien oder Perversionen eine Rolle.«

Ihre Finger hören auf zu klopfen. »Okay.« Abwartend blickt sie direkt in die Kamera. »Und wann bekomme ich Bescheid?«

Ich höre die kaum verhohlene Dringlichkeit und streiche mir mit dem Finger über die Lippen. »Bald. Ich melde mich innerhalb der nächsten Woche.« Keine Ahnung, warum ich mit ihr spielen will. Doch ich habe das Gefühl, dass es mir einen weiteren heiß ersehnten Kick geben wird, wenn ich sie auf Trab halte.

Als sie den Mund öffnet, unterbreche ich sie. »Auf Wiedersehen, Lucky.«

Ein flüchtiger Gedanke über den Ursprung ihres Namens wird zerquetscht und vergessen. Ich drücke auf die Gegensprechanlage, damit der Wachmann sie hinausbegleitet, und verlasse den Raum.

Wenige Minuten später fahre ich in meinem Arbeitszimmer den Computer auf dem Schreibtisch hoch und aktiviere den verschlüsselten Server, den ich brauche. Nachdem ich die Anwendung geöffnet habe, loggen sich kurz darauf die Mitglieder meines exklusiven Herrenclubs ein.

Meine Mail ist kurz und bündig.

Nächste Q-Produktion erscheint am 20.03.2015.

Auf zehn Mitglieder beschränkt.

Versteigerung beginnt in fünfzehn Minuten.

Ich starte den Countdown, stehe auf und schenke mir einen Bourbon ein. Mit dem ersten Schluck spüle ich die beiden rezeptpflichtigen Tabletten hinunter, die angeblich verhindern sollen, dass ich austicke. Dann schlendere ich zur Fensterfront und schaue auf den für Midtown typischen Verkehrsstau hinunter. Dieses Penthouse mittleren Niveaus ist eines von vielen, die ich in diesem Gebäude und überall in New York besitze.

Offiziell wohne ich nicht hier. Ich nutze das Apartment nur, wenn Stimmungsschwankungen und Druck verlangen, dass ich ein wenig Abstand zur Villa meiner Familie in der Upper West Side gewinne. Nie würde ich lange wegbleiben. Denn ich habe mich damit abgefunden, dass meine Familie mich nie in Ruhe lassen wird.

Ich weiß eben, was ich weiß. Deshalb haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, mich an der kurzen Leine zu halten. Doch mit über dreihundert Immobilien in meinem persönlichen Portfolio und noch einigen Tausend mehr unter der Verwaltung des Familienunternehmens habe ich viele Möglichkeiten, mich zu verdrücken, wenn die Dämonen heulen.

Und heute ist das Penthouse in Midtown mein vorübergehender Rückzugsort.

Als meine Zeitschaltuhr mich piepsend darauf hinweist, dass mir noch eine Minute bleibt, drehe ich mich um.

Ich setze mich an den Schreibtisch und schalte den Stimmverzerrer ein. Als die Uhr bei null angelangt ist, betätige ich die Maus. »Gentlemen, fangen Sie an zu bieten.«

Ich habe den Satz noch kaum beendet, als die ersten fünf Gebote auf dem Bildschirm erscheinen. Sechzig Sekunden später ist eine Gesamtsumme von einer Viertelmillion Dollar erreicht. Ich lehne die Fingerspitzen aneinander und wünsche, ich könnte mehr Begeisterung aufbringen. Das Geld bedeutet mir nichts. Das hat es noch nie. Das Endspiel ist es, das mir einen Kick gibt.

Meine Gedanken wandern zurück zu Lucky. Wenn ich ihre geschickte Heimlichtuerei näher betrachte, muss ich zugeben, dass sie Potenzial hat.

Ich will mich mit einem Skalpell über ihre Geheimnisse hermachen, sie ausbluten lassen und mir die Hände mit diesem Blut beschmieren. Außerdem will ich sie ficken, bis ihr Körper den Geist aufgibt. Im Moment bin ich nicht sicher, was ich mehr will.

Deshalb konzentriere ich mich auf die Summen auf dem Bildschirm, die immer höher werden.

Eine halbe Million. Eine Million. Anderthalb Millionen.

Mein Telefon piepst zwei Mal. Ich greife danach und lese die beiden Terminerinnerungen auf dem Display.

19:00 – Dr. Nathanson. Meine Therapeutin.

21:00 – Abendessen mit Maxwell.

Ich bestätige den ersten Termin und lösche den zweiten.

Ein Essen mit Maxwell abzusagen wird mir eine ganze Wagenladung Ärger einhandeln. Niemand sagt ein Abendessen mit Maxwell Blackwood ab. Zuerst einmal deshalb, weil er einer der mächtigsten Männer des Landes ist.

Außerdem ist er mein Vater.

Ja, ich heiße Quinn Blackwood und bin Erbe des Blackwood-Vermögens und zudem das einzige Kind von Maxwell Blackwood und Adele Blackwood (verstorben). Meine Familie besitzt eine atemberaubende Menge von Immobilien an der Ostküste der Vereinigten Staaten und auch ein paar Liegenschaften im Westen. Wenn man den Erbsenzählern glauben kann, bin nur ich allein sechsundzwanzig Milliarden Dollar schwer.

Allerdings ist mein einziges Lebensziel, mit meinem Vater in der Hölle zu ringen. Schon seit ich fünfzehn bin. Deshalb ignoriere ich sein Kommando und beobachte, wie die Nachzügler zurückbleiben und nur noch die zehn höchsten Gebote übrig sind. Die Auktion steuert auf ihr Ende zu, und nach nur einer halben Stunde bin ich knapp zwei Millionen Dollar reicher.

Als ich den Namen des höchsten Bieters erkenne, grinse ich hämisch. Ihm zusätzlich zu allem anderen auch noch das Geld abzunehmen ist auf düstere Weise befriedigend.

Nach der Versteigerung schließe ich die App und rufe eine andere Liste auf. Dutzende Webseiten von Hilfsorganisationen mit Fotos verhungernder Kinder füllen meinen Bildschirm. Wenige Minuten später sind fünfzig dieser Organisationen die dankbaren Empfänger von zwei Millionen Dollar.

Ich mag Quinn Blackwood sein, gelegentlicher Konsument von verschreibungspflichtigen Medikamenten, um die Dämonen in Schach zu halten. Außerdem im Nebenberuf Q, Pornostar für einen exklusiven Kreis, der für meine Arbeit Millionen hinblättert.

Vielleicht sogar ein durchgeknalltes Arschloch, das ernsthafte Probleme mit seinem Daddy hat.

Aber mangelnde Großzügigkeit kann mir niemand vorwerfen.

2

VOR DEM DREH

»Wie geht es dir heute, Quinn?«

Ich seufze auf. »Ich zahle dir hunderttausend Dollar, wenn du versprichst, bei unseren Sitzungen nicht mehr diese Frage zu stellen.«

Adriana Nathanson mustert mich eine ganze Minute lang schweigend über den Rand ihrer rechteckigen Brille hinweg. Für eine Frau Mitte vierzig sieht sie gut aus und könnte sogar für eine blonde und blauäugige sexy MILF durchgehen, obwohl ich Vorboten einer beginnenden Botox-Sucht wahrnehme. »Warum soll ich diese Frage nicht stellen?«

»Weil wir beide wissen, dass alles, was ich antworte, eine Lüge wäre.«

»Ich habe einen Vorschlag: Weshalb versuchst du es nicht ausnahmsweise mit der Wahrheit?«

»Ich habe auch einen Vorschlag: Fuck off, Dr. Nathanson.« Mein Puls wird kaum schneller. Allerdings schwingt in meinem Ton eine Gehässigkeit mit, die mich selbst überrascht.

»Ich dachte, wir wären über die Feindseligkeitsphase hinweg und würden Fortschritte machen, Quinn.«

»Wirklich?«, hake ich ohne eine Spur von Interesse nach. »Und wie kommst du darauf?«

»Weil du seit über einem Jahr keine Anzeichen mehr dafür gezeigt hast.« Sie notiert sich etwas.

Ich schweige.

Nach einer Weile blickt sie auf. »Quinn?«

»Doctor?«

»Ist seit unserer letzten Sitzung etwas geschehen? Du wirkst … aufgebracht.«

Ich knacke laut mit den Fingerknöcheln. »Nein, bin ich nicht.«

Wir starren einander an. Dieses Spiel haben wir schon Tausende von Malen gespielt.

»Wie ist es mit den Albträumen?«

Zwischen meinen Schulterblättern zuckt es. Eins muss man ihr lassen. Sie hat ihre Geistesblitze. Allerdings nicht viele, sonst würde ich sie nicht schon seit zehn Jahren aufsuchen, obwohl es offiziell für meinen Zustand keine Heilung gibt.

Ich lehne mich zurück und scheuere das Zucken am Ledersessel weg. »Die sind immer noch drei Stufen über Normalnull.«

»Daran ist nichts normal, Quinn. Erzähl mir von dem letzten.«

Das Zucken wird stärker. Ich schüttele es ab. »Kein Unterschied zu dem davor oder zum vorvorletzten.« Ganz gleich, was ich tue und wie laut ich auch schreie, stets stirbt sie am Ende.

Wieder schürzt sie die Lippen. »Es ist hilfreich, darüber zu reden.«

»Ich bin absolut sicher, dass das nicht so ist.«

Seufzend legt sie den Montblanc-Füller auf ihre Notizen, nimmt die Brille ab und fixiert mich mit einem Blick aus babyblauen Augen. »Dein Vater ist wieder in der Stadt. Hast du ihn schon gesehen?«

Ich erstarre. Das Zucken verschwindet schlagartig. Ich spüre ihn, bevor er sich zeigt. Den Abgrund. Er ist wie ein tödliches Virus, das sich durch mich hindurchfrisst. Im linken Handgelenk fängt es an. Es kriecht durch meine Adern und nistet sich in meinem Gehirn ein. Es ist nicht leicht, es in Schach zu halten, doch ich riskiere es. »Nein, habe ich nicht.«

»Und deine Stiefmutter?«

Ich grinse hämisch. »Das ist eine dumme Frage, Dr. Nathanson.«

Sie hat den Anstand, verlegen das Gesicht zu verziehen. Wir wissen beide, dass es meiner Stiefmutter verboten ist, mich ohne Anwesenheit meines Vaters zu treffen. Also …

»Wie geht es dir damit, dass er wieder da ist?«

»Eine halbe Million.«

»Du kannst mich nicht bestechen, damit ich dir keine Fragen stelle, Quinn.«

»Dann stell mir eben andere.«

Sie neigt den Kopf zur Seite. So, als ob ich sie tatsächlich verblüffen würde, obwohl das nicht stimmt. Sie weiß genau, was ich bin und was sich hinter dieser Farce von Höflichkeit verbirgt.

»Möchtest du nicht gesund werden?«

Wieder eine idiotische Frage. Wir starren einander weiter an. Sie schlägt ein paarmal die Beine übereinander.

»Ich habe heute in deinem Büro angerufen. Deine Assistentin sagte, du seist früher gegangen.«

»Ich höre keine Frage.«

Sie zuckt die Achseln. »Sonst verlässt du das Büro nie vor zehn Uhr.«

»Schon wieder keine Frage.«

»Da ich gerade in der Gegend war, dachte ich, wir könnten zusammen zu Mittag essen.«

»Warum?«

Sie lacht nervös auf, das erste Zeichen dafür, dass sie gleich die Beherrschung verliert. Sie ist so leicht durchschaubar, dass es langweilt. »Weshalb essen Menschen wohl zu Mittag?«

»Und was bringt dich auf die Idee, dass ich mit dir zu Mittag essen würde?«

»Weil es das ist, was normale Leute tun.« Sofort bemerkt sie ihren Ausrutscher und verzieht das Gesicht.

»Aber ich bin nicht normal, Dr. Nathanson. Bin ich nicht deshalb seit zehn Jahren jede Woche bei dir? Darf ich nicht aus diesem Grund in deinem Mund kommen, seit ich achtzehn bin?«

»Quinn …«

»Sind wir fertig, Doctor?«

»Es wäre wichtig, wenn du dich ein wenig mehr öffnen …«

»Sind. Wir. Fertig?«

»Für heute ja.«

»Beschissenen Dank. Kannst du mir einen Gefallen tun? Bitte spiel mir nicht länger vor, dass du alles über mich weißt. Du weißt nur, was ich dir in diesem Raum sage.« Wieder knacke ich mit den Knöcheln, eine scheußliche Angewohnheit, die ich einfach nicht loswerde. Ich warte, bis sie ihr in Leder gebundenes Notizbuch zugeklappt und es neben sich auf den Tisch gelegt hat. Als sich ihre blauen Augen auf mich richten, setze ich mich wieder und sehe sie an. »Aufstehen.« Sie gehorcht. »Dreh dich zur Tür um. Ist sie abgeschlossen?«

Sie schüttelt den Kopf. »Nein.« Ihre professionelle Art ist verschwunden, und ihre Stimme zittert vor Aufregung. Kurz sehne ich mich nach einem Stück dieser Aufregung, aber was soll’s? Ich habe zehn angenehme Minuten vor mir.

»Gut. Ausziehen.«

Das korrekte schwarze Kostüm wird abgelegt. Gefolgt von der cremefarbenen Seidenbluse. Sie faltet die Sachen zusammen und richtet sich auf. Ich betrachte ihr akkurat hochgestecktes Haar, die goldene Schließe der Perlenkette in ihrem Nacken, die taubengraue Spitzenunterwäsche, die Strapse, die Pumps.

Meine Langeweile steigert sich.

»Umdrehen.«

Sie gehorcht. Sie hat gute Titten, was die Ansicht ihrer Vorderfront leicht verbessert. Ich mustere sie rein objektiv. Sie ist eine Schönheit, wenn auch ein wenig zu mager. Ihre Beine sind wohlgeformt, Hüften und Oberschenkel schlank und durchtrainiert. Als mein Blick zu ihrem Gesicht wandert, kann ich die unzähligen Gefühle lesen, die sich darin spiegeln. Keines davon geht mir ans Herz. Das schwarze Gift, das mich durchströmt, stumpft mich von innen heraus ab. Ich lehne den Kopf zurück und schließe die Augen.

»Den Rest ausziehen und herkommen«, befehle ich.

Einen halben Meter vor mir bleibt sie stehen.

Ihr Moschusgeruch verrät mir, wie erregt sie ist. Sie ist feucht und geil. Schade, dass ich nicht in der Stimmung bin, sie zu ficken. Ich lasse die Hände mit den Handflächen nach unten neben meine Oberschenkel sinken.

Das ist die unausgesprochene Erlaubnis, die sie braucht, um auf die Knie zu fallen. Sie zerrt an meinem Gürtel und knöpft mir die Hose auf. Kühle Hände greifen in meine Unterhose und holen mich heraus. Ich höre, wie sie scharf nach Luft schnappt, bevor ihre gierigen Lippen sich um meine schlaffe Eichel schließen. Speichel landet auf meinem Schwanz, und diensteifrige Hände fangen an, mich zu reiben. Das Muskelgedächtnis meldet sich.

Der Funke ist da, allerdings jämmerlich und zu vernachlässigen.

Ich öffne die Augen und starre an die weiße Decke. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie ihr Kopf schneller und schneller auf und nieder wippt, damit ich das Interesse nicht verliere. Ich zähle die Deckenstrahler und senke dann den Blick, um die echten Meisterwerke und zahlreichen Plagiate zu bewundern, die die Wände zieren. Geistesabwesend zähle ich auch sie. Zwölf beeindruckende Beispiele.

Adriana Nathanson hat Stil.

Allerdings lassen ihre Fähigkeiten im Schwanzlutschen zunehmend nach.

Ich seufze laut auf. Sie wippt schneller. Eine Hand kriecht über meine Bauchmuskeln und meine Brust hinauf.

»Nein.«

Sie befasst sich wieder mit meinem Schwanz.

Ich seufze noch einmal.

Ich kriege von einer Therapeutin, die tausend Dollar die Stunde verlangt und die berühmteste in New York ist, einen geblasen. Dabei ist sie splitterfasernackt, und ihre Bürotür ist nicht abgeschlossen. Abhängig davon, wer zufällig hereinschneit, könnte sie ihre Zulassung verlieren. Eigentlich sollte ich scharf sein.

Doch stattdessen fällt mir der mühsam erweckte Ständer zusammen.

Als ich sie gerade wegschieben will, habe ich ein anderes Gesicht vor Augen.

Lucky.

Mein Schwanz erwacht wieder zum Leben. Adriana stöhnt und keucht vor Glück, als ich in ihrem Mund dicker werde. Meine Augen schließen sich, und das Bild wird schärfer. Das Platinblond wird von karamellfarbenen Locken abgelöst. Ein abgetragenes T-Shirt ersetzt die Perlen. Volle, rosige Lippen umfangen meinen Schwanz, und eine Zunge zuckt. Zähne fahren spielerisch über meine große Vene. Ich bewege die Hüften. Sie nimmt mich tiefer in den Mund, bis ich hinten an ihre Kehle stoße. Als sie ein langes, sonores Knurren von sich gibt, vibriert sie an meiner Eichel.

Wieder schnappt sie nach Luft. Der Schleier, der meine Langeweile verdeckt, schlägt Wellen und will sich heben. Meergrüne Augen blicken mich an, während sie mich verschlingt.

Ihre Hand schleicht sich über meine Bauchmuskeln die Brust hinauf.

Ich reiße die Augen auf.

Adriana.

»Nein«, zische ich wieder. Enttäuschung verdüstert mir die Stimmung.

Ihre Hand kehrt zu meinem Schwanz zurück. Sie versucht, mich ganz in sich aufzunehmen. Ich bin zu groß für sie. Von ihrem Würgen wird mir übel.

»Hör auf.«

Erschrecken malt sich in ihrem Blick. Mein erschlaffender Schwanz rutscht ihr feucht und schwer aus dem Mund.

»Quinn, stimmt etwas nicht …?«

»Runter von mir, verdammt.«

Sie besitzt tatsächlich die Frechheit, gekränkt zu wirken. Ihr schnelles Blinzeln, das unterdrückte Tränen vortäuschen soll, sorgt dafür, dass mein Mund abfällig zu zucken beginnt. Man muss ihr zugutehalten, dass sie sich ohne Widerspruch zurückzieht.

Ich verstaue meinen Schwanz und schließe meine Hose. Während ich aufstehe und meinen Gürtel zumache, schlüpft sie hastig in ihre Kleider.

»Nächste Woche um die gleiche Zeit?«, frage ich höhnisch.

Sie hält inne. »Ich kann dich später in dieser Woche dazwischenschieben, falls du möchtest.«

Ich weiß, warum sie mir das anbietet. Mein Vater ist in der Stadt. Außerdem könnte sich die seltene Chance ergeben, dass ich sie ficke. »Ich möchte nicht.«

Betroffenheit versucht, ihre gebotoxte Stirn zu bewegen. »Quinn, ich bin wirklich besorgt um dich«, murmelt sie.

Ich lache. Es ist ein echtes Lachen aus dem Bauch heraus, das mein Gesicht teilt. Leider dauert es nicht lang, denn der leere Abgrund saugt es auf. »Du bist besorgt um mich?« Die Vernunft ist nur noch eine bröckelige Fassade. Ich muss hier raus. Sofort. Ihr Nicken lässt mich innehalten.

»Ja«, erwidert sie. Als sie sich weiter anzieht, zittern ihre Hände.

»Du leidest tatsächlich unter Wahnvorstellungen, richtig?«

Sie knöpft ihre Bluse zu und schließt ihren Rock. »Ich begreife nicht, warum du dich so verhältst.«

Wieder lache ich. »Nein, Adriana? Was meint denn dein Seelenklempner zu unserem kleinen Arrangement?«

Sie erbleicht, und ihr fällt die Kinnlade herunter. »Woher weißt du das?«

Beim Anblick ihres Gesichtsausdrucks schnaube ich sarkastisch. »Glaubst du allen Ernstes, es ist ein großes Geheimnis, dass du auch einen Therapeuten hast? Es sollte mich erleichtern, dass du noch genug Verstand besitzt, um zu erkennen, wie nötig du Hilfe brauchst. Verrat mir eines: Gibt es für deine Störung eine Diagnose?«

Ihr Atem bebt. »Ich … ich bin nicht bereit, das mit dir zu erörtern. Wie unsere Sitzungen sind auch meine vertraulich. Das verstehst du doch, oder?« Sie hat sich wieder gefasst. Ein Hauch von Warnung schwingt in ihrem Tonfall mit. Am liebsten würde ich erneut loslachen, aber die verfahrene Situation hat plötzlich etwas Bedrückendes.

»Verschon mich mit diesem Vertraulichkeitsmist, Adriana. Ich bin bei dir, seit ich siebzehn bin. Seit ich achtzehn bin, lutschst du mir den Schwanz. Wahrscheinlich war es sogar dir zu kritisch, die Grenze zur Pädophilie zu überschreiten.«

Ihr aufgesetzter Mut verfliegt. Sie streckt eine Hand aus. »Du wirst … Du darfst niemandem von uns erzählen, Quinn.«

»Da ist kein uns!«, zische ich. »Streite doch nicht ab, dass du eigentlich erwischt werden willst. Immerhin ist die Tür meistens nicht abgeschlossen, wenn du mir einen bläst. Die Vorstellung, dass jemand hereinkommen könnte, gibt dir einen billigen Kick, richtig?«

Schuldbewusstsein malt sich auf ihrem blassen Gesicht. Aber ihr Blick gleitet mit ekelerregender Geilheit über mich.

Ich marschiere zur Tür und reiße sie auf.

»Nächste Woche um die gleiche Zeit«, sagt sie hinter mir.

Ich gehe, ohne ihr zu antworten.

* * *

Zwei Stunden später. Ich befinde mich in der VIP-Lounge des XYNYC, des Clubs in Soho, den ich gemeinsam mit einem Kumpel aus West Point besitze. Der Club ist einer der vielen Unternehmen, deren stiller Teilhaber ich bin. Irgendwo muss das viele schmutzige Blackwood-Geld ja hin, oder?

Den zweiten Whiskey in der Hand beobachte ich die leicht bekleideten Mädchen, die unterhalb meiner mit einem Seil abgetrennten Lounge tanzen. Einige werfen mir verstohlene Blicke zu. Ich taxiere nüchtern, verwerfe alle. Meine Augen suchen, finden aber nicht das Gewünschte. Ich frage mich, warum ich mir überhaupt die Mühe mache. Vielleicht will ich mich der Unausweichlichkeit der immer größer werdenden Dunkelheit noch nicht ergeben.

Wünsche ich mir womöglich, dass die Dinge anders lägen, obwohl ich mein Schicksal kenne und mich damit abgefunden habe?

Seit ich hier bin, summt schon zum vierten Mal das Telefon in meiner Tasche. Ich höre mit den sinnlosen Grübeleien auf, strafe das Telefon jedoch mit Nichtachtung. Ich bin nicht in der Stimmung, um mich mit Maxwell Blackwood zu befassen. Der kann warten.

Ich entscheide mich für eine schlanke Brünette im silbernen rückenfreien Kleid und winke sie mit gekrümmtem Zeigefinger zu mir.

Die Geschwindigkeit, mit der sie ihre Freundinnen stehen lässt und die Stufen zu mir herauftrippelt, ist beinahe komisch. Ich bedeute dem Sicherheitsmann mit einem Nicken, sie durchzulassen, und nehme sie mit zu den Samtsofas im hinteren Teil. Mein Privatkellner serviert ihr ein Glas Jahrgangschampagner. Ich lehne mich zurück und protestiere nicht, als sie ihren langbeinigen Körper neben mich platziert. Übertönt von einer dröhnenden The-Weeknd-Nummer plappert sie irgendeinen Mist. Ich schweige. Beim dritten Glas Champagner wird sie kühner. Sie beugt sich zu mir herüber. Ihre Finger nesteln am Knopf meines Hemdes. Anmachsprüche werden mir ins Ohr geflüstert.

Ich gestatte meiner Hand, mit ihrem Haar zu spielen, während ich tiefer in meinem ganz persönlichen Abgrund versinke. Am Rande nehme ich wahr, dass die Dunkelheit wächst, seit ich die Versuche eingestellt habe, sie zurückzudrängen.

Als ihre Hand über meinen Schritt kriecht, summt wieder mein Telefon.

Ich lehne den Kopf zurück und öffne das Gewölbe, in dem meine finstersten Pläne wohnen.

In achtzehn Monaten werde ich dreißig.

Ich werde fünfzehn Milliarden Dollar erben.

Ich werde einer der reichsten Männer der Welt sein.

Und, falls alles glattgeht, außerdem ein Mörder.

3

LESEPROBE

LUCKY

Eine Million Dollar.

Die drei Wörter hallen in meinem Kopf wider, als ich mir die Baseballkappe tief in die Stirn ziehe und in die abgehalfterte Lederjacke schlüpfe, die ich gestern Vormittag im Müll gefunden habe. Sie ist mir drei Nummern zu groß, aber wenigstens ist der Geruch nach billigem Parfüm und Sperma weg, seit ich sie in meinem Motelzimmer kurz gereinigt habe.

Als ich den Gehweg entlanghaste, achte ich darauf, den Menschenmassen zur morgendlichen Stoßzeit auszuweichen. Vor zwei Tagen habe ich jemanden aus Versehen angerempelt. Die wüsten Beschimpfungen, mit denen der Typ im schicken Anzug mich überhäuft hat, haben mir die Tränen in die Augen getrieben. Wenn ich nicht darauf achten müsste, keine Aufmerksamkeit zu erregen, hätte er von mir auch ein paar ganz ausgewählte Vokabeln zu hören gekriegt. Doch mich bedeckt zu halten war wichtiger, als ihn anzumachen. Das Schlimmste, was ihm passiert ist, waren ein paar Tropfen eines höllenteuren Kaffees für zehn Dollar pro Becher auf seinem Anzug.

Was jedoch mir blüht, falls ich entdeckt werde, würde ich meinem übelsten Feind nicht wünschen. Also senke ich den Kopf und beobachte, wie die schmutzigen Spitzen meiner abgewetzten Stiefel mich raschen Schrittes über den Gehweg tragen.

Die Fahrt mit der Subway von meinem abgewrackten, kakerlakenverseuchten Motel in Queens in die Wall Street verläuft zum Glück ereignislos. Doch als ich aus dem Bahnhof komme, wächst meine Nervosität. In dem Meer aus Börsenmaklern im Anzug und Erfolgstypen fallen meine billigen Klamotten und meine jämmerliche Verkleidung auf. Allerdings nicht genug, um bemerkt zu werden, wenn man nicht wirklich gründlich hinschaut.

Das Problem ist nur, dass da jemand hinschaut.

Clayton Getty sucht mich. Ebenso wie der Mann, den ich in meiner Kindheit für meinen Vater gehalten habe. Gemeinsam verfügen die beiden über genügend Mittel und Wege, um mich aufzuspüren, ganz gleich, wo ich auch bin.

Im Moment lautet die Frage nicht, ob sie mich finden, sondern wann. Und diese Zeitspanne versuche ich verzweifelt zu verlängern. Das Wann war es, das mich zur Telefonzelle in der Nähe meines Motels getrieben hat, wo ich mein kostbares Geld für ein völlig absurdes Telefonat ausgab und mein Foto an ein unbekanntes Konto bei einer Social-Media-Plattform geschickt habe. Wegen des Wann habe ich meine Mobilfunknummer auf der Mailbox eines Fremden hinterlassen, in der Hoffnung, einen Job zu ergattern, der ein abstruses Honorar verspricht.

Obwohl ich mir sagte, dass ich alt genug bin, um nicht auf einen Trick hereinzufallen, haben mich Angst und Verzweiflung, die wie Säure in meinem Magen brannten, weitermachen lassen. So bin ich in einen sterilen Raum in einem Penthouse in Midtown geraten, wo es nach Geld und bösen Absichten stank. Dazu eine Roboterstimme, die mir noch immer im Kopf widerhallt, sodass es mir kalt den Rücken hinunterläuft.

Die verschlüsselte Annonce, herausgerissen aus einer Immobilienzeitschrift, die ich im Aufenthaltsraum an meinem neuen Arbeitsplatz gefunden habe, ist real. Sie steckt greifbar in meiner Gesäßtasche. Allerdings könnte es auch Zeitverschwendung sein. Der schauerlich gereimte Witz eines gelangweilten Arschlochs, das nur die Zeit totschlagen will. Außerdem gehören solche Anzeigen in unseriöse Schmierenblätter, nicht in teure Hochglanzmagazine. Also könnte die Stimme, die mich seit drei Tagen bis in meine Träume verfolgt, auch der ultimative Beschiss in dem Beschiss kosmischen Ausmaßes sein, als der sich mein Leben zusammenfassen lässt. Nur, dass ich die Sache und die damit zusammenhängenden Möglichkeiten nicht aus dem Kopf kriege.

Die geheimnisvolle Anzeige in einer weggeworfenen Zeitschrift hat eine Kette von Ereignissen in Gang gesetzt, von denen ich tief in meinem Innersten wusste, dass sie mein Untergang sein könnten.

Sie hat mir Hoffnung gegeben.

Und zurzeit ist Hoffnung alles, was mir geblieben ist.

Eine Million Dollar.

Für Sex. Für mein Leben.

Mir ist es unbegreiflich, dass jemand so viel für Sex bezahlt. Wo ich herkomme, kostet ein Lapdance sechzig Dollar. Einen geblasen kriegt man für fünfundneunzig. Und richtiger Sex bringt die unvorstellbare Summe von einhundertfünfundsiebzig ein, häufig auf hundertfünfzig heruntergehandelt, wenn man etwas im Magen hat. Sollte einen jedoch der Hunger voll im Griff haben und man so dämlich sein, sich die Not anmerken zu lassen, hat man Glück, wenn man achtzig absahnt.

Außer der Zufall will es, dass man befördert wird und einen Job in der Villa ergattert. Der Luxusflügel der Villa ist der Traum jedes Mädchens. Die Villa ist der Ort, wo Clayton Getty sein Königreich mit Fäusten aus Titan regiert. Tatkräftig unterstützt von meinem Vater, seiner rechten Hand.

Hier wurde ich geboren, und ich habe dort gewohnt, bis ich fünf war und meine Mutter ohne viel Federlesen vor die Tür gesetzt wurde. Nächste Station: Trailer-Trash-Park.

Ich erkannte erst, dass ich dem Schicksal dafür hätte danken sollen, als Ma starb und mein bis dato abwesender Vater aufkreuzte, um mich zurück in die Villa zu schleppen.

Anfangs glaubte ich, das Karma habe beschlossen, mich nicht mehr mit Mist zu bewerfen. Das Essen war toll, es gab heiße Duschen, und die Betten waren weich und bequem. Hätte ich nur gewusst, dass das Karma lediglich ein kurzes Nickerchen machte, während die Uhr und Clayton die Zeit bis zu meinem siebzehnten Geburtstag abzählten. Die sechs Monate zwischen dem Tag, als meine Mutter an ihrer abgewrackten Leber starb, und meinem siebzehnten Geburtstag waren nur ein Boxenstopp zwischen Jüngstem Gericht und Hölle. Eine Generalprobe für die Kunden der Villa.

Und es war eine tolle Show. Jeden Abend wurde ich herausgeputzt wie ein Püppchen und den geilen Arschlöchern vorgeführt, während Ridge, Claytons oberster Aufpasser, mich bewachte wie ein Schießhund. Das monatelange »Schauen, aber nicht anfassen« brachte die Freier förmlich um den Verstand, und am Morgen meines siebzehnten Geburtstages sabberte Clayton beinahe. Seine Enttäuschung, dass ich keine Jungfrau mehr war, war so widerwärtig offensichtlich. Dennoch fraß ihm jeder seiner schmierigen Kunden aus der Hand.

An dem Abend, an dem der Mann, den ich für meinen Vater hielt, mir eröffnete, ich sei zu Claytons bester Hure aufgestiegen, kotzte ich ihm auf die Schuhe. Das brachte mir eine Rückhand ein, die ich bis heute spüre. Die Erinnerung an die Schläge danach ist mit der Zeit verblasst, doch wie es so schön heißt, vergisst man das erste Mal nie.

Als ich um die Ecke in die Wall Street einbiege, trifft mich ein eisiger Windstoß wie eine Kanonenkugel. Ich zittere dermaßen, dass mir die Zähne klappern. Kaltes Wetter wie dieses bin ich nicht gewohnt. Die Kleinstadt in der Nähe von Fresno, Kalifornien, wo ich aufgewachsen bin, mag ein Drecksloch gewesen sein, aber wenigstens war es ein warmes Drecksloch. Der Übergang von ewigem Sonnenschein zu wechselhaftem Wetter war ein körperlicher Schock. Allerdings sind die Witterungsverhältnisse meine geringste Sorge.

Hier gibt es sogar noch mehr Überwachungskameras auf der Straße und weniger Leute, die angezogen sind wie ich.

Als ich den Kopf ein Stück hebe, sehe ich zwei Straßen weiter das Gebäude, zu dem ich hinwill.

Blackwood Tower.

Genauer gesagt der Keller.

Ich habe keine Ahnung, was sich überirdisch abspielt. Seit ich aus Fresno abgehauen bin, habe ich die Finger vom Internet gelassen. Als ich ein einziges Mal versucht habe, mein Telefon zu benutzen, hat Clayton mich innerhalb einer Stunde entdeckt. Ich habe das Telefon an einer Raststätte in Iowa weggeworfen, bin den ganzen Weg nach New York per Anhalter gefahren und habe mir ein Einweghandy erschwindelt.

Welche tollen Geschäfte die in diesem Wolkenkratzer aus Glas und Stahl treiben, interessiert mich nicht. Mir ist nur wichtig, dass ich für diesen Job in bar bezahlt werde und dass mich niemand bemerkt, solange ich mich bedeckt halte.

Ich haste am Eingang des Gebäudes vorbei zur Seitentür, die in ein höhlenartiges Untergeschoss führt. Nachdem ich den Sicherheitscode eingegeben habe, gehe ich durch eine riesige Profiküche und dann noch eine Treppe hinunter in den richtigen Keller. Ich schiebe eine schwere doppelflüglige Tür auf und werde von einem Schwall Dampf und von Geschirrgeklapper begrüßt. Eine kleine Tür führt zu Toilette und Umkleideraum. Rasch schlüpfe ich aus Jeans und T-Shirt und ziehe Arbeitsklamotten an.

Das weiße Hemd und die dazu passende Hose schlottern um mich herum, das Ergebnis von zu vielen ausgefallenen Mahlzeiten. Ich schnüre die Hose mit dem billigen Flechtgürtel zusammen, den ich mitgebracht habe, und schiebe meine Haare ordentlich unter das schwarze Haarnetz, bevor ich wieder hinausgehe.

»Hallo, Süße. Bist aber früh dran«, übertönt eine Stimme das Rattern und Vibrieren der vielen Maschinen, die saubere Gläser und Teller ausspucken.

Ich werde langsamer und nicke Miguel zu, bleibe aber nicht an seinem Arbeitsplatz stehen. Öfter, als mir lieb ist, habe ich bemerkt, dass er mir auf Arsch und Titten glotzt. Bis jetzt wirkt meine harmlose Verpiss-dich-Ausstrahlung. Aber ich bin nicht sicher, wie lange noch. Aus Erfahrung weiß ich, dass einigermaßen vorzeigbare Titten und ein knackiger Po Männer blind für fast alles andere machen.

»Ja«, erwiderte ich. »Glück gehabt mit der Subway.« An meinem Arbeitsplatz schalte ich meine Maschine an. Sekunden später erscheint der erste dampfende Stapel sauberer Teller vor mir.

»Spitze. Und … äh … woher, hast du gesagt, kommst du?« Er muss schreien, um das Klappern der Teller zu übertönen, die ich auf den Servierwagen staple.

Ich drehe mich um und erdolche ihn mit einem kalten Blick. »Ich habe gar nichts gesagt.«

Kurz wirkt er überrascht. Dann grinst er. »Stell dich nicht so an, muchacha. Ich will dich nur besser kennenlernen. Da brauchst du doch nicht gleich zickig zu werden.«

Ich wende mich wortlos ab. Er versteht den Wink, denn er spricht mich den restlichen Vormittag lang nicht mehr an.

Eine Stunde vor dem Mittagsansturm, wenn Hunderte schmutziger Teller hinuntergeschickt werden, habe ich von einem gesprächigen Miguel erfahren, dass die Mitarbeiter im Blackwood Tower drei kostenlose Mahlzeiten pro Tag bekommen. Das Management kriegt sogar einen Brunch, deshalb die Hektik am späten Vormittag. Nur nach dem Mittagessen kehrt ein wenig Ruhe ein. Doch wir dürfen neben unserer Mittagspause noch zweimal eine Viertelstunde Pause machen.

In der ersten Pause gieße ich mir im Aufenthaltsraum eine Tasse billigen, aber kostenlosen Kaffee ein, hole das Einweghandy aus meinem Spind und gehe nach oben. Draußen laufe ich weiter in die Seitenstraße hinein und vergewissere mich, dass ich allein bin, bevor ich das Telefon einschalte.

Mein Herz klopft, und meine Handflächen werden feucht, während ich warte, bis das blaue Rädchen sich nicht mehr dreht. Mein Verstand sagt mir, dass es ein Wegwerftelefon ist. Clayton hat keine Chance, es zu orten, solange ich keine Dummheit mache wie zum Beispiel, jemanden in der Villa anzurufen. Und das habe ich keinesfalls vor. Erstens löst nichts und niemand dort auch nur die Spur eines nostalgischen Gefühls in mir aus. Und außerdem habe ich dann und wann wegen der Sache, die ich getan habe, ein schlechtes Gewissen.

Trotzdem ist mir vor Angst beinahe schwindelig, als ich nachschaue, ob ich einen Anruf verpasst habe.

Nichts.

Mein Herzschlag wird langsamer, und zum Glück lässt auch ein Großteil der Angst nach, sobald das Telefon deaktiviert ist. Doch stattdessen meldet sich Besorgnis.

Es ist Donnerstag. Der Fremde mit der Roboterstimme hat versprochen, sich innerhalb einer Woche zu melden. Heißt das in den nächsten sieben Tagen oder noch in dieser Woche, also vor Freitag? Ich starre ins Leere und grüble über seine Worte nach. Je länger ich über das nachdenke, was in diesem Raum passiert ist, desto surrealer fühlt es sich an.

Die beeindruckende, aber minimalistische Wohnung. Die hellgrauen Wände und der unbequeme Designerstuhl. Der Spiegel. Die futuristisch wirkende Kamera.

Seine hypnotische Roboterstimme.

Ist das alles tatsächlich geschehen?

»Elly.«

Mein Verstand befreit sich von dem letzten Rest Angst. Ich komme zu dem Schluss, dass ich in ein Kubrick-artiges Hungerdelirium gefallen sein muss und mir das alles nur einbilde, seitdem ich die dämliche Anzeige gelesen habe.

»Elly?«

Was heißt, dass mein Leben noch immer von einer Uhr bestimmt wird, die auf Countdown läuft. Und das bedeutet, dass ich nur noch Tage oder höchstenfalls eine oder zwei Wochen habe. Denn Clayton wird mich finden. Und dann wird er mich töten. Entweder langsam oder schnell. Doch der Tod wird letztlich die Strafe sein.

»Hey, Elly!«

Ich brauche eine Nanosekunde, um diesen Namen als meinen zu erkennen. Ein Fingerschnippen begleitet das Rufen. Als ich mich umdrehe, steht Miguel einen Meter fünfzig von mir entfernt da. Eine Zigarette baumelt zwischen seinen Fingern, und er sieht mich merkwürdig an.

Meine Haut prickelt, als ich an Entdeckung und Flucht denke. Ich zwinge mich zur Ruhe, um ihm nicht zu verraten, dass der Name, mit dem er mich anspricht, mir genauso vertraut wie fremd ist. »Ja?«

Er lacht. »Hast du mich nicht gehört? Du warst kurz total weggetreten.«

Langsam stecke ich das Telefon ein. »Willst du irgendwas, Miguel?«

»Nein, ich nicht. Aber der Boss will dich sehen.«

Mein Herz setzt einige Schläge aus. »Warum?«

Er zuckt die Achseln. »Keinen Schimmer. Aber er möchte dich sofort sprechen.«

Es gelingt mir, zu nicken und einen angemessenen Abstand zu ihm zu halten, als ich losgehe.

»Äh … Elly?«

Ich erstarre. Der Name erinnert mich daran, warum ich hier in dieser kalten, lärmenden Stadt bin und auf ein Schicksal warte, das nur der Tod sein kann. Ich blicke mich um.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, erkundigt sich Miguel.

»Wir kennen uns nicht gut genug, als dass du mir solche Fragen stellen könntest.«

Wieder ein Achselzucken. »Kann sein. Ich frage dich aber trotzdem.«

Ich überlege mir verschiedene Antworten und entscheide mich für die einzig mögliche. »Alles okay.« Ich werfe meinen Styroporbecher weg und haste ins Gebäude, bevor Miguel weiter die Nase in meine Angelegenheiten stecken kann.

Sully Manning, der Mann, für den ich arbeite, hat mitgehört, als ich mich in dem Laden in Queens, wo ich das Telefon gekauft habe, nach einem Aushilfsjob erkundigte. Seine wachen hellgrauen Augen musterten mich forschend, während ich mit dem Ladenbesitzer sprach. Dann folgte er mir nach draußen und erschreckte mich fast zu Tode, bevor er meinte, er könne mir vielleicht helfen. Ich brauchte zwei Anläufe, um meine Angst zu überwinden und die Nummer zu wählen, die er mir gegeben hatte.

Auf dem Weg zu seinem Büro frage ich mich, ob diese Angst nicht gerechtfertigt war. War ich zu vertrauensselig? Hunger und Furcht können einem ganz schön zusetzen. Bin ich in eine Falle spaziert, weil ich zugelassen habe, dass ersterer die Oberhand gewann?

Meine Füße wollen nicht mehr weiter. Kampf oder Flucht? Das Adrenalin schießt mir durch die Adern.

Sully sieht mich durchs Fenster und winkt mich mit seiner fleischigen Hand heran. Ich schaue mich um. Soll ich losrennen? Wie weit würde ich kommen?

»Elly, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«

Ich wische mir die feuchten Hände an der Hose ab und bleibe an seiner Tür stehen.

»Äh, Sie wollten mich sprechen?«

»Ja«, entgegnet er barsch. Er hat irische und italienische Vorfahren und eine zackige Art, mit der er die ganze Mannschaft auf Trab hält. Sully schiebt ein paar Papiere auf seinem Schreibtisch herum, bevor er den Kopf hebt. »Willst du dir was dazuverdienen?«

»Ich … ja?«

Er neigt den Kopf zur Seite. »Sehr begeistert klingst du ja nicht.«

Ich schlucke und frage mich, ob das wieder ein LSD-Trip ist, ohne dass ich high bin. »Doch, ich will.«

Er nickt mit seinem grauen Schädel. »Sehr gut. Zwei meiner Kellnerinnen haben sich krankgemeldet. Irgendeine bescheuerte Magenverstimmung. Du musst sie vertreten.«

Meine Angst steigert sich. Ich dränge sie zurück und zwinge mich zu nicken. »Okay. Was … was soll ich tun?«

»Geh zu Meg in der Ausgabestelle für Arbeitskleidung. Sie soll dir die Klamotten von einem der Mädchen raussuchen. In einer Viertelstunde musst du oben sein.«

Ich bin froh, dass ich nicht antworten muss, denn inzwischen hat die Panik Besitz von meinen Stimmbändern ergriffen. Ich gehöre in den Keller tief unter der Erde, wo mich niemand sieht, nicht nach oben, um zu tun, was Sully von mir verlangt. Doch ohne den Job wird der Hunger mich eher zur Strecke bringen als Clayton. Neunundneunzig Prozent meines Verdiensts gehen für mein mieses, aber astronomisch überteuertes Motelzimmer drauf. Der Inhaber hat beschlossen, ein Auge zuzudrücken, obwohl ich weder Namen noch Adresse angegeben habe. Dafür bezahle ich pro Woche dreißig Dollar mehr als den Normalpreis. Im Moment besitze ich noch zweiundzwanzig Dollar.

Deshalb zwinge ich meine Füße, sich zu bewegen.

»Oh, und Elly?«

Ich bleibe stehen. Sully betrachtet mich.

»Vergiss nicht, wie du hierhergekommen bist. Wir alle haben eine Vergangenheit, die wir nicht an die große Glocke hängen wollen. Deshalb kümmere ich mich nicht um deine. Also erwidere den Gefallen, indem du mich nicht enttäuschst. Abgemacht?«

Ich nicke. »Abgemacht.«

Er scheucht mich hinaus.

Auf dem Weg zu Meg ergreift mich Erleichterung.

Ich hatte recht, Sullys Motiven nicht zu trauen. Er weiß, dass ich etwas zu verbergen habe. Aber im Gegensatz zu Miguel hat er beschlossen, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Darüber bin ich froh. Denn wenn ich meine Kellertür aufstoßen würde, kämen verwesende Leichen zum Vorschein.

Die erste würde erklären, warum ich nicht gern auf Elly höre. Bevor ich nach New York kam, hat mich niemand so genannt.

Mein wirklicher Name lautet Elyse Gilbert, Spitzname Lucky, eine Erfindung des Dreckskerls, der sich eine Zeit lang als mein Vater bezeichnet hat. Seine Begründung lautete, dass ich der größte Pechvogel auf der Welt sei. Ich würde genauso sterben, wie ich geboren wurde: nackt, schreiend und bettelarm.

Was das Pech angeht, hat er bis jetzt recht behalten. Das mit der Armut stimmt auch.

Womit er jedoch nicht gerechnet hat, ist, dass ich mit zweiundzwanzig wegen Brandstiftung und Mordes auf der Flucht sein würde. Auch nicht, dass einer der Männer, die mich jagen, nur das Ziel verfolgt, mir mein Geheimnis zu entreißen, bevor er mich unter die Erde bringt.

4

SZENE 1

LUCKY

In meiner neuen Kellnerinnentracht – schwarzes durchgeknöpftes Kleid und weiße Schürze – treffe ich am Personalaufzug ein. Mein Haarnetz habe ich mit einer winzigen weißen Haube und die Stiefel mit einer hautfarbenen Strumpfhose und flachen Schuhen, Leihgabe von Meg, vertauscht. Wenn ich nicht solches Herzklopfen hätte, würde ich das Gesicht verziehen, so lächerlich sehe ich aus.

Im Personalaufzug gibt es zwei Knöpfe – B. Restaurant und B. Management. Mit einem zitternden Finger drücke ich auf den zweiten Knopf. Ich wische mir den Schweißfilm von der Stirn, hole tief Luft und rede mir ein, wie unwahrscheinlich es ist, dass Clayton mich hier findet. Allerdings kann ich es selbst nicht recht glauben.

Einmal hat er ein Mädchen, das ihm zweitausend Dollar geklaut hatte, bis ins allerhinterste Drecksnest von Alaska verfolgt. Er hat zwar vier Monate dazu gebraucht, doch seine Geduld war unerschöpflich. Er hat sie aufgespürt, sie zurück nach Fresno geschleppt und sie in dem seinen Kunden mit den perversesten Neigungen vorbehaltenen Raum an eine Wand gekettet. Als er Abby ein Jahr später freiließ, ging sie los und warf sich direkt vors nächstbeste Auto.

Ich habe mich für New York enschieden, da ich hoffte, in den Menschenmassen eine Weile untertauchen zu können. Das heißt nicht, dass mir wohl dabei ist, mich zu verstecken, wo jeder mich sehen kann. Ich würde meinen kleinen Finger dafür geben, wieder im Keller bei meinen schmutzigen Tellerstapeln zu sein und Miguels sich täglich steigernde Anmache zu ertragen.

Als sich die Aufzugtür mit einem »Ping« öffnet, fühle ich mich, als würde mir gleich das Herz stehen bleiben. Ich trete in ein beeindruckendes, von einem Oberlicht erleuchtetes Atrium hinaus. Es ist mit faszinierenden Wasserspielen, Meisterwerken der Floristik und eleganten Möbeln ausgestattet, wie ich sie nur aus Hochglanzzeitschriften kenne. Anders als ich befürchtet habe, wimmelt es hier nicht von Menschen. Doch ich weiß, dass ich auffalle wie eine Nonne im Puff.

Da ich mitten in dem lichtdurchfluteten Raum stehe, ziehe ich bereits die ersten Blicke auf mich. Ich senke die Augen und steuere auf das Zischen einer Kaffeemaschine zu. Zwei Bedienungen, ein junger Typ und eine Frau etwa in meinem Alter, stehen vor einer Theke aus Glas und Chrom, die aussieht wie aus einem Science-Fiction-Film. Hinter der Theke bombardiert ein beleibter Küchenchef ein vierköpfiges Team mit Anweisungen, was besondere Ernährungsgewohnheiten und die Temperatur der Foie Gras angeht, bevor er mich mit finsterem Blick fixiert.

»Sind Sie die Aushilfe, die ich angefordert habe?«, herrscht er mich an.

Ich räuspere mich. »Ja, mein Name ist Elly. Sully schickt mich.«

Er presst die Lippen zusammen und weist auf das andere Ende der Theke. »Bleiben Sie dort stehen, und rühren Sie sich nicht. In fünf Minuten bekommen Sie Ihr Briefing.«

Ein Briefing? Um Essen zu servieren?

Er brüllt den beiden Kellnern Befehle zu, die daraufhin rasch nicken und mit silbernen Tabletts in verschiedene Ecken des Restaurants entschwinden.

Ich warte und bemühe mich um Konzentration. Schließlich will ich nicht, dass sich die Geistesabwesenheit in der Seitenstraße wiederholt, deren Zeuge Miguel geworden ist. Allerdings wandert mein Blick durch den Raum und bleibt an einem Zeitschriftenständer hängen. Auf der Titelseite ist eine Luftaufnahme des Blackwood Tower abgebildet, flankiert von zwei Männern – einer älter, einer jünger –, die einander ansehen. Dynamisches Duo oder Dynamisches Duell?, lautet die Schlagzeile. Selbst im Profil sind die beiden so attraktiv, dass mein Interesse geweckt ist. Gerade will ich mich vorbeugen, um die Titelseite näher zu betrachten, als sich jemand neben mir räuspert.

Der Küchenchef wirkt noch ärgerlicher als zuvor. »Sie bedienen heute Mr Blackwood. Er nimmt sein Mittagessen um Punkt eins ein.«

Ich nicke. »Okay.« Er will gehen. »Moment noch, tut mir leid, aber welcher der Herren ist denn Mr Blackwood?«

Die Kellner halten inne und starren mich mit offenem Mund an.

Der Küchenchef flucht in einer Sprache, die ich nicht verstehe, und schüttelt den Kopf. »Wie lange arbeiten Sie schon hier?«

»Seit zwei Wochen.«

»Und Sie wissen nicht, wie der Mann aussieht, bei dessen Firma Sie beschäftigt sind?«

Ich zucke die Achseln. »Ich spüle im Keller Geschirr«, murmele ich.

Er mustert mich von Kopf bis Fuß. Seine Lippen zucken verächtlich. »Na, das passt«, brummt er leise.

Ich schlucke meinen Zorn hinunter und zwinge mich, nicht die Fäuste zu ballen. »Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie ihn mir zeigen würden, falls es Ihnen nichts ausmacht.«