Misthaufensportler-Mord - Bernhard Winkler - E-Book

Misthaufensportler-Mord E-Book

Bernhard Winkler

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Beschreibung

Ein österreichischer Krimi in der Provinz: Bühne frei für Revierinspektor "Hofnoah"! Eigentlich stellt Noah Hofer keine hohen Ansprüche an seinen Berufsalltag als Polizist in Gallneukirchen: Er will einfach nur seine Ruhe haben. Und am liebsten endlich seinen Spitznamen "Hofnoah", Hofnarr, loswerden. Doch leider funkt ihm ein Mord dazwischen: Der allseits bekannte und begehrte Jungbauer Erwin Pöttl liegt tot auf dem Misthaufen! Neben seiner landwirtschaftlichen Tätigkeit hatte er im Lockdown noch ein illegales Fitnessstudio in seiner Traktorgarage betrieben. Dort war auch der Hofnoah Kunde, weil seine Mama ihm wegen seines Übergewichts den wöchentlichen Schweinsbraten verweigert hatte. Damit ihn das nicht in Teufels Küche oder noch schlimmer in den Innendienst nach Linz bringt, versucht sich der Hofnoah als Mordermittler – Chaos inklusive!' - Ein Regionalkrimi mit Humor und viel Lokalkolorit aus dem Mühlviertel - Österreich-Krimis aus dem Servus-Verlag: Perfekte Urlaubslektüre! - Cosy Crime in der Provinz: Krimi mit mäßig begabtem Tollpatsch-Inspektor - Auftakt zur neuen Krimireihe von Bernhard Winkler mit Schauplatz Gallneukirchen - Zwischen Misthaufen-Mord und Schweinsbratenliebe: Ein tolles Geschenk für Krimifans Ein Heimatkrimi zum Schmunzeln und Mitraten: Wer hat den Jungbauern auf dem Gewissen? Er liebt Schweinsbraten, seinen ruhigen Job als Provinz-Polizist und Cappuccino ohne Kakaopulver. Und will auf keinen Fall nach Linz versetzt werden. Um diesem Schicksal zu entgehen, setzt Noah Hofer bei der Aufklärung des jüngsten Mordfalls sein ganzes Ermittlungstalent ein. Nur: Davon hat er leider nicht allzu viel. Der Krimiautor Bernhard Winkler hat in seiner Heimat Oberösterreich das perfekte Setting für einen absurd-komischen Provinzkrimi gefunden. Die Irrungen und Wirrungen des Hofnoahs sorgen nicht nur in dessen Umfeld für Kopfschütteln. Sie bieten auch Krimifans beste Unterhaltung mit Schmunzel-Garantie!

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Seitenzahl: 330

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Bernhard Winkler

Misthaufensportler-Mord

Kein Linz-Krimi!

Diese Geschichte ist frei erfunden. Tatsächlich existierende Personen und Firmen wurden verändert und/oder von dem Autor ausgedacht, Geschehnisse anderen und/oder fiktiven Personen zugeordnet. Verbleibende Übereinstimmungen mit etwaigen realen Personen wären somit rein zufällig und sind nicht gewollt.

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung des Autors und des Verlages ist ausgeschlossen.

1. Auflage 2023

Copyright dieser Ausgabe © 2023 Servus Verlag bei Benevento Publishing Salzburg – München, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg.

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: MEDIA DESIGN: RIZNER.AT

Gesetzt aus der Palatino, Helvetica Neue LT Pro

Umschlagmotive (Vorderseite): Sanit Fuangnakhon / shutterstock.com, khathar ranglak / shutterstock.com, SedovaY / shutterstock.com, Mieszko9 / shutterstock.com, pcdazero / pixabay FXQuadro / shutterstock.com

ISBN: 978-3-7104-0319-4

eISBN: 978-3-7104-5067-9

INHALT

KAPITEL ANS

KAPITEL ZWA

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL OCHT

KAPITEL NEI

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ÖF

KAPITEL ZWÖF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FUCHZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL OCHTZEHN

KAPITEL ANS

Revierinspektor Noah Hofer war ein von Geselligkeit und Fleiß geprägter Mühlviertler, wie er im Buche stand. Also, na ja, nicht wirklich. Aber zumindest nahm er diese beiden Eigenschaften so selbstbewusst in Anspruch wie ein gestandener Mühlviertler. Das war im Prinzip ja dasselbe. Gesellig, ja, das kam hin. Zu einem Bier in lustiger Runde hatte er noch nie Nein gesagt.

Oder Moment! Doch! An zweimal konnte er sich erinnern. Da hatte er ganz anti-mühlviertlerisch verweigert. Das eine Mal hatte er aber sogleich wieder revidiert. Es war spätabends nach dem Dienst gewesen, als er noch in Sankt Georgen an der Gusen drunten gewohnt hatte. Sein Heimweg vom Wirtshaus in Gallneukirchen betrug damals noch unpraktische dreizehn Kilometer, bevor er wenig später direkt nach Galli zog, wie Insider die Mühlviertler Metropole nannten. An besagtem Abend stellte ihm der Wirt ungefragt die fünfte Halbe hin, obwohl er mit dem Streifenwagen unterwegs war. Selbstverständlich hatte er da pflichtbewusst verweigert. Als ihm dann aber sein Sitznachbar, der Hamedinger Roland, der im Nebengewerbe Taxi fuhr, glaubhaft versicherte, dass er ihn später heimbringen würde, da nahm er die fünfte Halbe doch noch an. Konnte man ja nicht stehen lassen, die gute Freistädter Hopfenkaltschale. Das tat man einfach nicht. Dass er in dieser Nacht dann trotzdem noch mit dem Streifenwagen über ein Schleichwegerl nach Hause gezuckelt war, war wirklich nicht auf seinem Mist gewachsen. Er hatte ja nicht wissen können, dass der Hamedinger Roland selber noch fünf Halbe konsumieren würde. Und ob der ihn dann mit zweieinhalb Litern intus heimgebracht hätte oder er selbst ident betankt hinterm Lenkrad saß – das war dann auch schon g’hupft wie g’hatscht. Aufgrund des aktivierten Blaulichts waren die anderen Verkehrsteilnehmer ohnehin verpflichtet, auf ihn achtzugeben.

Im Endeffekt blieb also nur das andere Mal übrig, als er tatsächlich ein eiskaltes Bier ebenso eiskalt zurückgewiesen hatte und dann auch wirklich bei dieser Entscheidung geblieben war. Das war damals, als man am Stammtisch zum ungefähr siebenhundertdreiundzwanzigstenmal anfing, ihm zu erklären, welche Mordsarschkarte er mit seinem Namen Noah Hofer gezogen habe. Er hatte zu diesem Zeitpunkt halbwegs damit leben gelernt, dass ihn schon ewig niemand mehr mit seinem richtigen Namen ansprach. Aber dass sie ihm mindestens alle zwei Wochen beim Wirt, wenn das Bier besonders gut schmeckte, auch noch die Begründung dafür aufdrängten, das war ihm dann das eine Mal zu viel geworden. An dem Abend verließ er die Gaststube grußlos, ohne zuvor sein Glas mit dem frisch gezapften Bier ordnungsgemäß geleert zu haben. Ja, nicht einmal bezahlt hatte er es. Den Umsatz konnte sich der Lehner Sepp an den Hut stecken.

Die Begründung der lustigen Runde, warum bei seiner Taufe damals gepfuscht worden sei, lautete, dass »Noah« schlicht und einfach kein Vorname sei. Franz sei einer, Karl sei einer und, wenn’s sein musste, auch noch Johann, solange er sich Hans nennen ließ. Aber Noah stelle nichts anderes dar als den oberösterreichischen Dialektausdruck für »Narr«, höhnten sie. Und dass er auch noch Hofer hieß, habe ihnen gar keine andere Wahl gelassen, als ihn zum Hofnarren von Gallneukirchen zu küren. Zum Hofnoah eben. Der Scherz des Jahrtausends sei das gewesen, jubelten sie noch zwanzig Jahre später und hielten sich ihre stolzgeschwellten Gössermuskeln vor Lachen.

Über die Zeit verselbstständigte sich der Wirtshausschmäh, und die meisten Leute, die mit dem Hofer Noah bekannt waren, blieben bei seinem Rufnamen. Ob Hofer Noah oder Hofnoah – im lässig dahergemumpfelten Mühlviertler Dialekt klang das ja wirklich gleich. Für ihn persönlich brachte die Umbenennung über die Zeit aber einige Probleme mit sich. Sein Vorgesetzter, der Bezirksinspektor Leidinger Schorsch, zögerte die – zumindest nach Meinung des Hofnoah längst überfällige – Beförderung ständig hinaus. Ein Hofnarr könne die Karriereleiter im Exekutivdienst nicht aufsteigen, meinte er immer wieder. Vielmehr solle er dankbar dafür sein, dass er mit so einem dümmlichen Namen einfacher Revierinspektor bleiben dürfe und sich nicht überhaupt einen anderen Job suchen müsse. Im Mittelalter habe man einem Hofnarren so eine Position schließlich auch nicht gelten lassen. Für den dann üblicherweise folgenden selbstgefälligen Lachanfall könnte der Hofnoah dem Chef jedes Mal aufs Neue eine anständige Watschn in sein blades Gesicht zimmern. Aber dann wäre er wirklich gezwungen, sich beruflich umzuorientieren.

Auch privat kämpfte der Hofnoah mit seinem Namen. Dass er Junggeselle war, verstand sich von selbst. Welche Dame von Welt wollte schon einen 38-jährigen Hofnarren daten? Wobei man es sich zu einfach gemacht hätte, den ausbleibenden Erfolg bei den Frauen nur auf seinen Namen zurückzuführen. Er tat sich halt generell schwer mit dem anderen Geschlecht. Oder hatte er nur deshalb Hemmungen, weil er seit dem 2000er-Jahr eben hieß, wie er hieß?

Über diese Henne-Ei-Frage diskutierte er mit seiner Mutter, die für das Namensdesaster maßgeblich verantwortlich war, recht häufig. Sie war sich ganz sicher, dass es sein stetig wachsender Speck um Bauch und Hüften war, der ihn für die Damenwelt immer unattraktiver werden ließ. Er sei zwar nicht dick im eigentlichen Sinne, betonte sie, aber heutzutage würden Frauen an ihre Partner halt höhere Ansprüche stellen als noch zu ihrer Zeit. Zu ihrer Zeit sei es schon ein Luxus gewesen, wenn ein Mann schöner war als ein Aff. Diese Messlatte würde der Hofnoah, ordentlich zurechtgemacht, schon überspringen, gestand ihm die Mutter immerhin zu. Er habe halt das Pech, dass das nicht mehr reiche. Ein Mann müsse mittlerweile mehr gleichschauen als nur einem Primaten, und deswegen solle ihr Noah tunlichst ein paar Kilos an der Wampe loswerden.

Mit seinem Namen, der etwas ganz Besonderes sei, habe die missliche Beziehungslage jedenfalls nichts zu tun, war die Mutter überzeugt. Im Gegenteil: Damals, als sie ihn im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Linz zur Welt brachte, seien von der Oberärztin abwärts alle hellauf begeistert gewesen. Er sei im 1982er-Jahr der einzige Noah auf der Geburtenstation gewesen. Der Hofnoah sah sich außerstande, das als Pro-Argument für seinen Namen durchgehen zu lassen. Mit derselben Begründung hätte sie aus ihm schließlich einen Adolf machen können, da hätte es auch keinen zweiten gegeben. Er war sich nicht hundertprozentig sicher, aber wahrscheinlich wäre ihm Adolf sogar lieber gewesen. Dann hätten die Leute ihn gefürchtet, statt ihn zu hänseln.

Auch die ausbleibende Beförderung habe nichts mit seinem Namen zu tun, behauptete die Mutter. Er sei körperlich einfach zu wenig fit, um bei der Polizei Karriere zu machen. So wie er beinand sei, habe er ja niemals eine Chance, einen fliehenden Verbrecher zu fangen.

Der Hofnoah ließ das Bodyshaming der Mutter immer recht beherrscht über sich ergehen, wie er auch sonst nach außen hin die Ruhe in Person war. Wenn ihm etwas gegen den Strich ging, wurde er nicht laut, sondern zog sich zurück. Damit war er eigentlich immer ganz gut durchgekommen. Dann aber nahm eine folgenschwere Entwicklung ihren Lauf, die seine Gelassenheit privat wie beruflich auf eine harte Probe stellen sollte.

Die Misere begann damit, dass ihn die Mutter eines Tages zu einem veganen Mittagessen verdonnern wollte, als er sie, wie üblich zweimal pro Woche, in Erwartung des besten Schweinsbratens Oberösterreichs besuchte. Bei jedem anderen Fleischtiger hätte so ein Affront das »Fassl«, wie die Mutter ihn figurbedingt neuerdings nannte, zum Überlaufen gebracht. So auch beim Hofnoah.

Doch vor seiner Mutter versuchte er selbst angesichts dieser Bedrohungslage die Contenance zu bewahren. »Beiß nicht die Hand, die dich füttert!« – dieses alte Sprichwort nahm der Hofnoah wörtlich. Vielleicht aus Liebe zu der Frau, die ihn in die Welt gesetzt hatte. Vielleicht aber auch einfach wegen des Küchenmessers mit Tofuresten, das sie in diesem Moment drohend in der Hand hielt.

Jedenfalls ließ er sich zu einem bemerkenswerten, spontanen Befund hinreißen: »Na ja, ein paar Kilos könnten wohl runter«, gab er mit zusammengebissenen Zähnen klein bei. Den Gemüsereis mit Tofu verschmähte er trotzdem und vereinbarte mit ihr einvernehmlich, sie erst wieder zu besuchen, wenn er für den Schweinsbraten schlank genug sei. Eine Visite bei der Köchin seines Lieblingsgerichts während der Schweinsbraten-Auszeit hätte ihn psychisch zu sehr aufgewühlt. Außerdem fiel ihm ein weiteres altes Sprichwort ein: »Begib dich niemals in Teufels Küche!«, das der Hofnah angesichts des seltsamen Menüvorschlags der Mutter ebenso wörtlich nahm.

Noch am selben Tag begann er, sich intensiv mit der Frage zu beschäftigen, wie er am besten und schnellsten abnehmen könnte. Radeln am Heimtrainer? Laufen im Gusental? Alles zu ineffektiv. Ein Fitnesscenter musste her. Allerdings gab es da ein Problem: Die umliegenden Fitnesstempel hatten wegen der Corona-Pandemie alle noch geschlossen. Bis die wieder öffneten und er sich eine schweinsbratentaugliche Figur antrainiert hätte, könnte gut und gern noch eine Ewigkeit vergehen. Einen so langen Entzug würde er nicht ohne Folgeschäden überleben.

Verzweifelt recherchierte er weiter und schreckte selbst vor der Idee nicht zurück, seiner Mutter den gewünschten Gewichtsverlust einfach mit Bauch-weg-Unterwäsche vorzutäuschen. Er hatte im Fernsehen vielversprechende Werbespots gesehen, und als er sich ein Probe-Set bestellte, lieferte es auch bei ihm recht gute Ergebnisse. Die überschüssige Fettmasse wurde auf ein geringeres Volumen zusammengequetscht und seinem Körper insgesamt eine schlankere Silhouette verliehen.

Es gab dabei aber ein großes Problem: Nach etwa einer Viertelstunde in der Zwangsmontur wurde ihm furchtbar schlecht. Das verunmöglichte den Verzehr eines Schweinsbratens. Er ließ nichts unversucht, um das Speckweg-Korsett doch noch praxistauglich zu bekommen. In mehreren Tests führte er Buch über den genauen Start-Zeitpunkt der Übelkeit und glich die Daten mit den zeitlichen Voraussetzungen eines Besuchs bei der Mutter ab. Aber selbst wenn er die Folterunterflack erst unmittelbar vor der Fahrt zur Mutter am WC auf der Polizeiinspektion angezogen hätte, wäre es sich nicht ausgegangen, die acht Minuten Fahrzeit und den fünfzehnminütigen Schweinsbratenverzehr zeitlich vor dem Einsetzen der Übelkeit unterzubringen. Es wäre selbst dann nicht möglich gewesen, wenn er den Weg mit Blaulicht samt Folgetonhorn schneller zurückgelegt und beim Essen das Stöcklkraut weggelassen hätte.

Die Verzweiflung des Hofnoah wuchs stetig, bis er eines Tages durch einen glücklichen Zufall eine Lösung für sein Problem fand. Diese musste allerdings unter allen Umständen strengstens geheim bleiben. Wochenlang funktionierte es perfekt. Er verlor Kilo um Kilo, und schlussendlich hatte er die von der Mutter erwartete Gewichtsabnahme endlich erreicht. Die Finalisierung des Deals »Wunschgewicht gegen Wunschgericht« stand unmittelbar bevor.

Doch ausgerechnet an jenem Tag, an dem er erstmals wieder auf seinen geliebten Schweinsbraten zur Mutter fahren wollte, drohte sein heikles Geheimnis aufzufliegen, als auf der Polizeiinspektion in Gallneukirchen ein verhängnisvoller Anruf einging.

KAPITEL ZWA

»Kommts schnell, mein Bub liegt am Misthaufen!«, blazte eine hysterische Frauenstimme ins Telefon.

»Da, wo ich herkomm, hab ich g’lernt zu grüßen, wenn ich wo anruf«, belehrte der Hofnoah die aufgeregte Bürgerin.

»Geh, Hofnoah, bitte! Heroben am Pöttl-Hof. Mein Bub, der Erwin! Sie haben ihn um’bracht!«, sprach die Anruferin ihn mit seinem inoffiziellen Dienstgrad an und lieferte einen kühnen Mordverdacht mit. Das klang nach Arbeit. Der Hofnoah seufzte.

»Ich komm vorbei«, antwortete er und hängte auf. Noch unsicher, was er von dem Anruf halten sollte, war er zunächst einmal froh darüber, dass seine Kollegin, die Mairinger Bettina, gerade nicht da war. So musste er sie nicht zum Einsatz mitnehmen, was ihn schon fast wieder in einen freudigen Zustand versetzte, wenn es nicht immer noch ein Einsatz wäre. Er verstand sich mit der ehrgeizigen jungen Beamtin nicht besonders. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie ihm als Aufpasserin vor die Nase gesetzt worden war. Mit ihrem mittlerweile pensionierten Vorgänger war er immer auf einer Wellenlänge gewesen. Der hatte nie ein Problem damit gehabt, fünfe auch einmal gerade sein zu lassen. Aber sie – der Hofnoah nannte die Mairinger Bettina selten beim Namen – rückte ihm ja sogar ungefragt das Kapperl zurecht, wenn es schief am Kopf saß. Gut, dass sie jetzt auf Pause war.

In stillem Protest ließ er seine Kopfbedeckung regelwidrig liegen und ging zum Auto. Beim Ausparken erwischte er genau das richtige Timing, denn gerade als er den Vorwärtsgang einlegte, marschierte sie mit ihrem Eurospar-Jausensackerl daher. Schon allein dafür hätte ihr die Fristlose gehört. Jeder mit einem Funken Anstand kaufte sein Leberkas-Semmerl beim Traditionsfleischer droben und nicht im Großkaufhaus drunten.

Genüsslich rollte er an ihr vorbei und winkte ihr mit dem Handrücken nach vorn zu wie der Papst. Um seine heilige Ruhe länger auskosten zu können, fuhr er über die Alte Straße zum Pöttl-Hof nach Altenberg hinauf, anstatt die schnellere Bezirksstraße zu nehmen. Der Tote würde ihm schon nicht davonlaufen.

Den Pöttl-Hof kannte der Hofnoah gut. Und genau diese Tatsache war es, die ihn ganz untypisch von Höhenmeter zu Höhenmeter nervöser werden ließ. Das heikle Geheimnis seines Abspeckvorhabens, das er mit sich herumtrug, betraf nämlich ausgerechnet den Pöttl-Hof.

Einige Wochen zuvor, während der Corona-Lockdown noch im Gange war, war am Revier ein anonymer Hinweis eingegangen, wonach dort ein florierendes illegales Fitnesscenter betrieben werde.

»Legts diesen Misthaufensportlern endlich das Handwerk!«, hatte der erboste Anrufer gekeift und einfach aufgelegt.

Noch am selben Abend fuhr der Hofnoah nach Altenberg hinauf, um Nachschau zu halten, und traf prompt den Pöttl Erwin in seiner umgebauten Traktorgarage an, inmitten von feinsten Krafttrainingsgeräten. Der 35-jährige Jungbauer, der von seiner Mutter immer noch Bub genannt wurde, war dabei nicht allein. Mit ihm gemeinsam schupften noch ein paar andere Herrschaften fleißig Gewichte. Zwei davon, bei denen der Schock über den uniformierten Besucher besonders groß war, erkannte der Hofnoah auf den ersten Blick. Zum einen war da der Reisinger Doktor, langjähriger Gemeindearzt in Altenberg, bei dem sich die Frage stellte, ob ihm vor Anstrengung oder Nervosität die Soße von der Stirn rann. Zum anderen, noch pikanter, stemmte der aufstrebende Jungpolitiker und amtierende Gesundheitslandesrat, Watzinger Stefan, keuchend zwei Kurzhanteln in die Höhe.

Der Hofnoah war zwar nicht sonderlich an Politik interessiert, aber selbst ihm kam es komisch vor, dass der Watzinger tagsüber im Radio die Corona-Regeln predigte und den Abend beim angestrengten Aerosol-Austausch beim Pöttl Erwin in der Garage verbrachte. Dies erschien ihm ebenso suboptimal wie die Tatsache, dass der Reisinger Doktor seine Arbeitstage nach Corona-Massenimpfungen beim Pumpen am Pöttl-Hof ausklingen ließ.

»Was ist da los?«, waren dann auch die einzigen halbwegs professionell-autoritären Worte, die der Hofnoah herausbrachte, während sein Blick im Raum kreiste. Er ertappte sich selbst auf frischer Tat dabei, wie er das Angebot an Bauchtrainingsgeräten einer besonders genauen optischen Prüfung unterzog. Vielleicht sah ihm in diesem Moment dann auch der Pöttl Erwin sein intensives Interesse an. Denn irgendwie bekam er es gedeichselt, die Frage, was los sei, recht schlüssig zu beantworten. Zudem bot er dem Hofnoah eine VIP-Mitgliedschaft in seinem Fitnesscenter an, ohne es wie eine plumpe Beamtenbestechung wirken zu lassen.

Der Hofnoah sah keinen Grund, das Angebot des Beamtenflüsterers auszuschlagen, was wahrscheinlich der Tatsache geschuldet war, dass ihn nicht nur der Pöttl Erwin, sondern auch die anderen honorigen Herrschaften voller Respekt als »Herr Inspektor« und nicht als Hofnoah ansprachen. Jedenfalls war der Pöttl Erwin auf einen Trainingsstart des Hofnoah noch am selben Abend regelrecht erpicht. Vom Andrang her hätte es zeitlich auch nicht besser passen können, weil mit dem Eintreffen des Herrn Inspektors zufällig alle restlichen anwesenden Sportler mit ihrem Training fertig waren und das Center zügig verließen.

Der Pöttl Erwin lieh ihm sogar ein Sportgewand. Das war zwar ein bisschen eng, und besonders das ärmellose Leiberl mit den schmalen Trägern und dem tief sitzenden Ausschnitt sah nur an durchtrainierten Feschaks wie dem Pöttl Erwin wirklich gut aus. Aber das war dem Hofnoah so was von egal, denn auch der Landesrat und der Doktor, die noch geblieben waren, um den Hofnoah zu hofieren, trugen mit großer Begeisterung zu seiner Motivation bei. Während der ersten Bauchübungen, die er schnaufend absolvierte, überschütteten sie ihn förmlich mit warmen Worten des Lobes für seine hervorragende körperliche Fitness. Außerdem sprachen sie dem Hofnoah ihr ehrliches Mitleid für die Schweinsbraten-Auszeit aus. Der Reisinger Doktor diagnostizierte, dass beim Hofnoah aus medizinischer Sicht nichts gegen den fallweisen Konsum eines g’schmackigen Bratls spreche, sofern er das vitaminreiche Stöcklkraut nicht stehen lasse. Landesrat Watzinger versicherte, er trete schon lange dafür ein, das allgemeine, freie und gleiche Recht jedes Oberösterreichers auf einen Schweinsbraten in der Landesverfassung zu verankern.

Der Hofnoah fühlte sich in der Runde auf Anhieb wohl, und der Abend endete in einer Win-win-Situation für alle: Der Pöttl Erwin konnte sein Fitnessstudio weiterbetreiben, der Landesrat und der Gemeindearzt behielten ihre gut dotierten Jobs, und für den Hofnoah tat sich die Chance auf, den geliebten Schweinsbraten bald wieder genießen zu können.

An all das musste er denken, als er an diesem zuvor so ruhigen Oktober-Vormittag in die Zufahrtsstraße zum Pöttl-Hof einbog. Drunten in Gallneukirchen hing der Nebel, heroben in Altenberg war blauer Himmel und Sonnenschein, und nur noch wenige Meter vom Hofnoah entfernt lag angeblich der Pöttl Erwin tot auf seinem eigenen Misthaufen. Das klang zu grauslich, um wahr zu sein. Vielleicht hatte sich die Mutter vom Erwin, die Pöttl Uschi, ja einen schlechten Scherz erlaubt, dachte der Hofnoah. Er kannte sie nur flüchtig, aber die Leute redeten nichts Gutes über sie.

Das Anwesen war ein prächtig restaurierter Vierkanter, der auf einer Anhöhe hoch über Linz thronte und einen atemberaubenden Blick auf die Voralpen bot. Die Kulisse wirkte, als ob der Bauer des herrschaftlichen Gutes auf »sein« Oberösterreich hinunterschauen konnte. Das passte recht gut zu der polarisierenden Persönlichkeit des Hausherrn. Einige meinten nämlich, der Pöttl Erwin würde tatsächlich auf die Leute herabblicken. Andere hingegen sahen in ihm einfach nur den bewundernswerten, feschen Jungbauer Erwin.

Der Junggeselle war ein Einzelkind und lebte mit seiner Mutter allein auf dem riesigen Gehöft. Sein Vater hatte knapp zwanzig Jahre zuvor bei einem Autounfall sein Leben gelassen. Die Leute spekulierten immer noch recht intensiv über das frühe Ableben des Erwin senior. Besonders hartnäckig hielt sich das Gerücht, es sei kein Unfall, sondern ein Anschlag seiner eifersüchtigen Frau gewesen. Die Pöttl Uschi war vielen im Dorf nicht ganz geheuer. Man sagte ihr nach, sie habe ihrem Gemahl die Bremsen seines geliebten feuerroten Dreier-BMW-Coupés manipuliert, als er sich auf den Weg nach Linz runter zu seiner mindestens ebenso geliebten Affäre gemacht habe. Nichts davon wurde je bewiesen, weder die Schuld seiner Frau noch die Existenz einer Geliebten. Aber der Dorftratsch irrte selten.

Als offiziellen Grund, warum der Pöttl Erwin senior in einer Serpentine aus der Kurve hinausgeteufelt und geradewegs in einen Baum geschossen war, hatte die Regionalzeitung damals seine Alkoholisierung genannt. Das kam den Leuten von Anfang an komisch vor. Zum einen war man üblicherweise erst dann alkoholisiert, wenn man sich spätabends von Linz drunten auf den Heimweg nach Altenberg hinauf machte, und nicht bereits, wenn man runterfuhr. Zum anderen war der Alkoholgehalt, der in seinem Blut offiziell gemessen wurde, nicht plausibel: Er lautete 0,7 Promille. Mit einem solch geringen Wert fuhr man nicht gegen einen Baum, waren sich die Altenberger Verschwörungstheoretiker einig. Mit einem solch geringen Wert stand man morgens nach einem erholsamen Acht-Stunden-Schlaf auf. Alles unter einem Promille (die Experten im Wirtshaus meinten zwei) lag innerhalb der Messtoleranz des durchschnittlich ungenauen Alkomaten.

Als der Hofnoah jetzt mit dem Streifenwagen über den Vorplatz des Pöttl-Hofs tuckerte, lief die Uschi ganz aufgeregt auf ihn zu. Der Vorplatz war so riesig, dass er ohne Probleme für pompöse Staatsbesuche herhalten hätte können.

»Hofnoah! Hofnoah! Komm her! Drent beim Misthaufen! Mich trifft der Schlag!«, rief sie und wachelte mit den Armen. Das Auto war noch gar nicht zum Stehen gekommen, da öffnete sie schon die Fahrertür, packte den Revierinspektor wie einen Lausbuben am Unterarm und zerrte ihn heraus. Es war das erste Mal, dass er bereute, sich nicht angeschnallt zu haben.

»He! Gehen lässt mich aber schon noch selber, goi!«, wies der Hofnoah die resolute Altbäuerin, so streng er konnte, zurecht. Doch es half nichts, und er fügte sich seiner Entführerin, die ihn unter Aufsicht des knurrenden Hofrüden Rambo wie einen widerspenstigen Hund an der Leine hinter sich herschleifte.

Angekommen beim Misthaufen, ließ sie endlich von ihm ab. Und als der Hofnoah sich wieder sicher auf die eigenen zwei Beine gestellt hatte, offenbarte sich tatsächlich das telefonisch angekündigte Bild: Auf der höchsten Stelle des riesigen Viehkotbergs lag ein Mensch in Sportgewand im Dreck. Zwei Hühner waren gerade dabei, den Fremdkörper aufgeregt gackernd zu inspizieren.

Da das Gesicht der Leiche von ihnen abgewandt war, hätte es jeder sein können. Die Pöttl Uschi war sich allerdings aufgrund des Outfits sicher, dass es ihr Junior sein musste. Auch der Hofnoah konnte ihn mit relativ großer Wahrscheinlichkeit identifizieren. Wenn er sich nicht täuschte, trug die Person genau jenes ärmellose Leiberl, das ihm der Pöttl Erwin beim ersten Training damals so freigiebig geborgt hatte. Nicht einmal zum Waschen hatte der Hofnoah die verschwitzten Sachen danach mitnehmen müssen. Das war recht großzügig der Pöttl Uschi delegiert worden, die nicht ahnte, dass der aufgesogene Schweiß nicht von ihrem Erwin stammte. Und jetzt lag ihr Sohnemann da im Mist. Was für eine Sauerei. Die teuren Designerfetzen würde man wegschmeißen müssen.

Dem Hofnoah war die Situation unangenehm. Er konnte nicht einschätzen, ob die Pöttl Uschi wusste, dass er bei ihrem Sohn regelmäßig illegal trainiert hatte. Seit ein paar Tagen waren zwar alle Fitnessstudios wieder geöffnet, aber die Schandtaten von damals sollten bei ihm als Polizeibeamten besser nicht die Runde machen. Solange er keine Hinweise dazu hatte, ob die Pöttl Uschi über sein Geheimnis im Bilde war, beschloss er, in ihrer Gegenwart seinen Bauch so weit wie möglich herauszustrecken. So würde der zuletzt sichtbar geschrumpfte Umfang zumindest ihrerseits keinen Hinweis liefern.

»Wer macht denn so was?«, waren die ersten Worte, die er fand, seit ihn die Pöttl Uschi zum Misthaufen gezerrt hatte.

»Was weiß denn ich?«, antwortete sie mit einer rhetorischen Gegenfrage. »Ich wollt nachschauen gehen, warum die Viecher am späten Vormittag immer noch so unruhig herumblazen. Der Erwin hat manchmal auf die Stallarbeit vergessen, wenn er in der Nacht davor unterwegs gewesen ist. Ich hab ihm hunderttausendmal gepredigt …« Sie hielt kurz inne, wirkte dabei aber alles andere als traurig, nur ein bisschen gestresst. »Jedenfalls hab ich dann von der Weiten schon diesen Wahnsinn da g’sehn. So mach doch was, Hofnoah!«, rief sie aufgebracht, und auch die am Misthaufen tobenden Hühner schienen ihn mit ihrem nervösen Gegacker zum Handeln aufzufordern.

Die grenzenlose Überforderung des Angesprochenen war unübersehbar. Ein Toter am Misthaufen gehörte nun mal nicht zum Tagesgeschäft der Polizeiinspektion Gallneukirchen, an Mord gar nicht zu denken. Und Selbstverschulden konnte in diesem Fall wohl auch ohne Hilfe der Exekutive ausgeschlossen werden.

In normalen Zeiten hätte sich der Hofnoah bei einem Tötungsdelikt trotzdem gemütlich zurücklehnen können. Die Regel besagte: Sobald in einem Fall der Verdacht auf Mord besteht, wandert die Zuständigkeit nach einer ersten Nachschau am Tatort nämlich zum Landeskriminalamt nach Linz hinunter – und der Hofnoah auf ein Bier ins Wirtshaus hinüber.

Die Zeiten waren aber alles andere als normal. In der Landeshauptstadt fehlte es an Personal, und so war ein halbes Jahr zuvor die Order an die umliegenden Polizeiinspektionen ergangen, die Drecksarbeit bis auf Weiteres bittschön selbst zu erledigen. Dass Drecksarbeit anscheinend wörtlich zu nehmen war, hatten sie nicht dazugesagt. Seinem Chef, dem Leidinger Schorsch, war damals gleich die Kinnlade heruntergefallen, als die Hiobsbotschaft aus Linz drunten am Posten eintrudelte. Sie sollten zum Herrgott beten, dass in ihrem Rayon in nächster Zeit nichts Gröberes passiert, trug er dem Hofnoah und der Mairinger Bettina auf. Die Performance der Polizeiinspektion Gallneukirchen ließe auch ohne Zuständigkeit für Mord und Totschlag schon zu wünschen übrig. Man munkelte, dass der Leidinger Schorsch deswegen nicht mehr besonders fest im Sattel saß. Manche meinten gar, dass ihm eine Strafversetzung nach Linz hinunter drohte. Aber derlei grausame Gerüchte wurden nur hinter vorgehaltener Hand geäußert. So etwas wünschte man niemandem. Jedenfalls war eine Misthaufen-Leiche nun das Letzte, was er und sein mit Schwerverbrechen unerfahrenes Team gebrauchen konnten.

Am Tatort versuchte der Hofnoah jetzt, so gut es ging, Haltung anzunehmen. Er zupfte die Uniform über seinem künstlich aufgeblähten Bauch zurecht und marschierte ohne Uschis Hilfe selbstbewusst zum Auto.

»Ich hol Verstärkung!«, rief er in Richtung Misthaufen zurück. Dann griff er durch die immer noch geöffnete Fahrertür nach dem Funkgerät: »Galli eins an Zentrale«, meldete er, »ich hab einen mutmaßlichen 75er am Pöttl-Hof in Altenberg heroben. Erbitte Verstärkung.«

Paragraph 75, Strafgesetzbuch: Mord. Der Hofnoah ging die Sache betont offensiv an und versuchte gleichzeitig, seine innere Unsicherheit zu überspielen. Im Alltag ging er der Mairinger Bettina recht gern aus dem Weg, aber in diesem Moment wäre er doch ganz froh gewesen, wenn er am Tatort eines mutmaßlichen Morddeliktes nicht allein gewesen wäre. Daran hätte er zuvor schon denken können, als er der Mairinger Bettina samt Jausensackerl davongefahren war, ärgerte er sich über sich selbst.

Am anderen Ende der Leitung interessierte sein Funkspruch offenbar niemanden. Die Sekunden verstrichen, aber Antwort kam keine.

Wer hingegen schon kam, war die Pöttl Uschi. »Lass mich doch nicht einfach so stehen!«, herrschte sie ihn an, als sie ihren Weg vom Misthaufen zum Streifenwagen gefunden hatte.

Dann antwortete im Funk doch noch jemand. »Du hast keinen mutmaßlichen 75er, sondern einen mutmaßlichen Klopfer«, schimpfte die Mairinger Bettina durch die Leitung. Der Hofnoah hatte offenbar das Ärgernis einer weiteren Dame erregt. »Allein zu einem 75er fahren – sag, bist du deppert?«

Mit ihrer harschen Reaktion verhagelte die Mairinger Bettina dem Hofnoah die Gelegenheit zu beichten, dass er sich in diesem Moment mit ihr zu zweit am Tatort um einiges wohler gefühlt hätte. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als in der Rolle des coolen Kieberers zu bleiben.

»Funkdisziplin, Frau Kollegin«, mahnte er betont gelassen. »Außerdem warst du auf Pause, goi! Was hätt ich da sonst machen sollen?«

Die Pöttl Uschi konnte es nicht fassen, dass die Beamtenbagage über ihre Pause diskutierte, während ihr Bub am Misthaufen verweilte. Sie riss dem Hofnoah das Funkgerät aus der Hand.

»Du, also bei aller Freundschaft, meinen Buben haben s’ um’bracht. Schau bitte zu, dass du und dein minderbemittelter Kollege den Mörder findets!«, instruierte sie und entsorgte das Funkgerät wie eine alte Getränkedose, nur auf umgekehrtem Weg, beim Autofenster hinein.

Für den Hofnoah hatte sie noch eine Zurechtweisung parat: »Und du, streck deinen Bierbauch nicht so raus! Das schaut ja furchtbar aus. Hättest auch sporteln sollen wie mein Erwin. Ihr warts im selben Alter, aber mein Erwin hat schon mehr gleichg’schaut.« Sie stapfte Richtung Stall davon. Der Hofrüde Rambo, ein Bild von einem Schäferhund, knurrte drohend und warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

Der Hofnoah fühlte sich einerseits besser. Er war erleichtert, dass die Pöttl Uschi offenbar keine Ahnung von seinen Besuchen in dem illegalen Fitnessstudio ihres Sohnes hatte. Andererseits traf der gemeine Vergleich mit ihrem 35-jährigen Buben einen wunden Punkt, denn sie hatte damit völlig recht: Der Pöttl Erwin war in jeder Hinsicht eine bessere Partie als er. Er war ein fescher Kerl, wohlhabend und über die Grenzen des Dorfes hinaus eine Berühmtheit. Das lag vor allem an seiner Teilnahme an der Datingshow Desperate Farmers. Die Folgen wurden gerade ausgestrahlt, doch schon seit der Aufzeichnung schwappten wahre Wogen der Begeisterung durch das Mühlviertel. Obwohl niemand dem Pöttl Erwin abgenommen hatte, dass er dort tatsächlich eine Partnerin fürs Leben gesucht hatte. Ihm waren auch vor dem Fernsehauftritt schon genug Frauen nachgelaufen.

Bereits im zarten Alter von achtzehn Jahren hatte er als »Mister Juli« mit einem strahlenden Lächeln im oberösterreichischen Jungbauernkalender posiert. Zudem war er, erst wenige Monate bevor er am Misthaufen landen sollte, bei einem Wettbewerb in Linz drunten zum »schönsten Mann Oberösterreichs« gewählt worden – der perfekte Werbeslogan, den der Fernsehsender bei keiner Gelegenheit unerwähnt ließ.

Die Sendung Desperate Farmers war dann auch zu einer einzigen Pöttl-Erwin-Show verkommen, in der er auf seinem Hof ein wunderschönes Model nach dem anderen antanzen ließ und am Ende eine nach der anderen wieder heimschickte. Der Funke sei einfach nicht übergesprungen, hatte er jede Woche von Neuem geknickt in die Kamera gesülzt, während die Damen über wahre Funkenflüge zu berichten wussten. Das Unfaire war, dass trotzdem irgendwie alle zufrieden waren: Der Fernsehsender verzeichnete wöchentliche Rekordquoten, das Publikum fühlte sich großartig unterhalten, und die Kandidatinnen waren nach einem einwöchigen Urlaub am Bauernhof zwar abserviert, aber erholt wieder nach Hause gefahren. Der eindeutige Gewinner des ganzen Theaters war wieder einmal der Pöttl Erwin gewesen.

Die Fernsehleute hatten ihm sogar eine eigene Sendung über seinen Alltag als »Glamour-Bauer« angeboten, wie er dem Hofnoah während seines Trainings noch wenige Wochen zuvor erzählt hatte. Dem Hofnoah wäre beinahe das Leberkas-Semmerl vom Mittagessen wieder hochgekommen, als der junge Landwirt das Wort »Glamour-Bauer« komplett unironisch aussprach. Aber jetzt lag der vom Leben so reich Beschenkte ja da drüben im Misthaufen, tröstete sich der Hofnoah.

Das schlechte Gewissen über diese in Gedanken vollzogene Pietätlosigkeit folgte auf dem Fuße. Gratis in diesem Fitnesscenter trainieren zu dürfen, war wirklich ein feiner Zug gewesen, den er dem Pöttl Erwin nie vergessen würde. Andächtig hielt er vor dem Eingang der zum Fitnessstudio gewordenen ehemaligen Traktorgarage eine Schweigeminute ab, als es plötzlich richtig laut wurde.

Auf dem Vorplatz fuhr eine Parade bestehend aus einem Streifenwagen, einem Notarztauto, einem Rettungswagen, einem Drehleiter-Fahrzeug und einem Kommandobus der Freiwilligen Feuerwehr sowie einem Zivilfahrzeug auf. Die Sirenen fusionierten zu einem ohrenbetäubenden Fanfaren-Orchester.

Die Ersten, die ihr Fahrzeug verließen und auf den Tatort zumarschierten, waren drei Gestalten in weißen Ganzkörperanzügen von der Spurensicherung. Einzeln und im Stakkato begrüßten sie den Revierinspektor, alle mit den gleichen Worten: »Servus Hofnoah, wohin?«

Der Angesprochene deutete zum Misthaufen: »Die ehrenwerten Herrschaften des Ku-Klux-Klans bitte in diese Richtung!« Er kostete den Moment, so gut es ging, aus, weil die Männer in ihren Overalls die einzigen waren, bei denen ihm zu dem elendigen Hofnoah-Schmäh ein Konter einfiel. Bei den anderen musste er die Spezialanrede stoisch über sich ergehen lassen. Das galt auch für den Grant der Mairinger Bettina, die sich vor ihm aufgebaut hatte.

»Du bist mir noch eine Antwort schuldig«, herrschte sie ihn zur Begrüßung an.

»Aha. Wofür?«, fragte er übertrieben fadisiert an ihr vorbeiblickend.

»Na, ob du deppert bist! Da wird einer um’bracht, und du fährst allein hin. Das werd ich melden müssen«, lieferte sie ihm einen weiteren Grund, sie ganz und gar nicht zu mögen.

»Tu, was du nicht lassen kannst«, sagte er betont gelassen und marschierte davon. Er konnte es nicht fassen, dass er sich nur wenige Augenblicke zuvor die aufbrausende Kollegin noch herbeigewünscht hatte.

Das Tamtam der Einsatzkräfte hatte mittlerweile mindestens ein Dutzend Schaulustige angelockt, die wie die Fliegen zum Misthaufen drängten. Während sich die einen geschockt die Hand vor den Mund schlugen, konnten ihn die anderen nicht halten und diskutierten angeregt miteinander. Bei den Wortfetzen, die der Hofnoah aufschnappte, ging es aber nicht um das Elend, das sich ihnen darbot. Zwei Altbauern aus der Nachbarschaft besprachen stattdessen die Finalfolge Desperate Farmers, die einer von ihnen verpasst hatte. Beide freuten sich, dass sie bei der letzten Episode im Leben des Pöttl Erwin jetzt sogar live dabei sein durften.

Der Hofnoah entschied, dem Durcheinander ein Ende zu setzen. »Es gibt hier nichts zu sehen. Kommts, gehts heim!«, appellierte er an die Vernunft der Leute. »Und falls jemand sein Gewissen erleichtern möcht, rufts mich am Nachmittag an oder schauts am Revier in Galli drunten vorbei«, rief er in die Runde und schob ein paar Männer vom Misthaufen weg.

»He! Wir sind von der Feuerwehr!«, wehrte sich einer der Abgeschobenen und deutete auf etwa fünf weitere Herumstehende. Die Florianijünger waren wieder einmal auf Nummer sicher gegangen und mit voller Mannschaft angerückt. Erst jetzt registrierte der Hofnoah die eingestickten Familiennamen auf ihren Hemden. Das Dunkelgrün der Uniformen war von den im selben Farbton gehaltenen Arbeitsoutfits der gaffenden Landwirte kaum zu unterscheiden.

Kopfschüttelnd wandte sich der Hofnoah den anderen Zuschauern zu, bei denen er immerhin vereinzelt welche fand, die nicht der engagierten Einsatzorganisation angehörten. Er wies sie an, sich vom Tatort zu entfernen, allerdings mit bescheidenem Erfolg.

»Erwin?!?«, entfuhr es ihm auf einmal erschrocken. »Du lebst?« Er traute seinen Augen nicht. Unter den Schaulustigen befand sich ein junger Mann, der dem Pöttl Erwin wie aus dem Gesicht geschnitten war. Interessiert beobachtete er auf seinem Rennrad sitzend das geschäftige Treiben. Von der Ansprache des Hofnoah schien er etwas überrumpelt.

»Was? Nein! Nicht der Erwin«, gab er reflexartig zur Antwort. »Hubinger Kevin«, mumpfelte er kaum hörbar, und noch bevor der Hofnoah ihn verscheuchen konnte, war er schon davongeradelt.

Unterdessen hatte die Feuerwehr ihre Drehleiter so positioniert, dass ein Kollege von der Spurensicherung im Rettungskorb zur Leiche des Pöttl Erwin transportiert werden konnte.

»Schleichts euch!«, versuchte dieser zunächst, die Hühner verbal zum Rückzug zu bewegen. Doch erst als er handgreiflich wurde, räumten sie unter lautem Protest das Feld. Er fotografierte den Tatort aus der Nähe und markierte die Position der Leiche. Danach wurde er wieder an Land befördert, und zwei Feuerwehrler stiegen in den Korb, um den Pöttl Erwin zu bergen. Als er schließlich auf einer Trage am Vorplatz abgelegt worden war, begann der Gerichtsmediziner seine Untersuchungen.

Dem Hofnoah fiel bei diesem etwas Ungewohntes auf: »He Franz, du wirst doch nicht noch zu einem vorbildlichen FFP2-Maskenträger werden«, zog er den über die Leiche gebeugten Arzt mit Mund-Nasen-Schutz auf. Dieser war dafür bekannt, niemals eine Maske zu verwenden. Er begründete das damit, dass er aufgrund der jahrzehntelangen Konfrontation mit allen Herrgottsviren und -bakterien gegen alles immun sei, was es auf der Welt gab. Aber nun hatte er auf einmal eine Maske auf, die so groß war, dass sie ihm das halbe Sichtfeld verhüllte.

»Red nicht so blöd«, pfauchte er den Hofnoah an, »ich trag die, weil’s da stinkt wie Sau!« Entsprechend schnell wollte er wohl fertig sein und stellte binnen Sekunden einen ersten Befund: »Bluterguss am Kopf, verursacht vermutlich durch einen stumpfen Gegenstand. Und so, wie die Leich beinand ist, wird sie sicher schon seit Mitternacht am Misthaufen g’legen sein. Mehr kann ich sagen, wenn ich sie mir in der Gerichtsmedizin näher ang’schaut hab.« Noch im Sprechen stand er auf und machte sich davon.

Der Hofnoah notierte in seinem kleinen schwarzen Notizbuch alle Informationen, die er während der Ermittlungen am Tatort erhielt. Auch wenn er in dem Fall sicher war, sich merken zu können, dass der Pöttl Erwin eine auf die Birne bekommen hatte. Lieber aufschreiben, dachte er, denn Mordermittlungen waren in seiner Karriere mangels Zuständigkeit noch nie vorgekommen. Ein aufgebrachtes Opfer eines Parkschadens da, ein aufmüpfiger Bürger mit einem Dachschaden dort – das waren normalerweise seine Baustellen. Und natürlich alle möglichen Folgen übermäßigen Alkoholkonsums. Ein Mord war da im Vergleich schon eine andere Hausnummer.

Als er mit seinen Notizen zum Zustand der Leiche fertig war, blickte er sich suchend nach der Altbäuerin um. Von ihr wollte er ein paar Fragen zum Vorabend beantwortet haben. Als er sah, dass die Mairinger Bettina schon neben ihr stand, entschloss er sich allerdings dazu, seine wohlverdiente Mittagspause anzutreten. Die vorlaute Kollegin konnte die restliche Tatortarbeit ruhig ohne ihn erledigen.

Es war ein großer Tag für den Hofnoah. Nach wochenlangem Bauchtraining wollte er bei der Mutter auf volles Risiko gehen, ihr die geschmolzenen Pfunde präsentieren und den ihm ohnehin bald verfassungsrechtlich zustehenden Schweinsbraten einfordern.

Als er zum Auto ging, hörte er die Mairinger Bettina noch nachrufen: »Hofnoah, pass auf …«, aber er ignorierte diese Worte wie gewohnt und wollte nichts mehr zwischen sich und den Schweinsbraten kommen lassen. Hofnoah, pass auf … war meistens die Einleitung für eine ihrer furchtbar gescheiten Weisheiten, und davon wollte er sich diesen Freudentag nun wirklich nicht verderben lassen.

Zielgerichtet schritt er, jeden Blickkontakt meidend, zum Auto. Kurz bevor er den Türgriff berührte, überkam ihn ein undefinierbares Brennen im Gesäß. Als er sich umsah, blickte er dem Hofrüden Rambo, der ihn zuvor die ganze Zeit schon argwöhnisch observiert hatte, direkt ins Gesicht. Der Wachhund des Pöttl-Hofs war gerade dabei, den Hofnoah zum Abschied in den Allerwertesten zu zwicken. Seine zwar gefletschten, aber altersbedingt bereits recht abgestumpften Zähne deuteten dabei keine Spur von Aggression, sondern vielmehr ein fröhliches Grinsen an.

Mit einem gezielten Rückwärtstritt bereitete der Hofnoah dem Vergnügen des Hofrüden ein Ende, worauf sich dieser beleidigt zurückzog. Damit war zwar ein erneuter Angriff vereitelt, und auch das Brennen hatte sich inzwischen einigermaßen gelegt. Im Zuge eines ungelenken Kontrollblicks stellte der Hofnoah aber ein Loch in seiner dunkelblauen Uniformhose fest, aus dem seine Unterwäsche hervorlugte. Ungünstigerweise war diese in einem knalligen Rot gehalten. Doch auch das konnte den Revierinspektor nicht aus der Ruhe bringen. Er war gedanklich längst beim Schweinsbraten der Mutter.

Er stieg ins Auto und fuhr davon. Zunächst organisierte er sich am Weg aber sicherheitshalber noch ein Leberkas-Semmerl. Die Gefahr, dass die Mutter für den spontanen Besuch nicht vorgesorgt hatte, schätzte er zwar als gering ein. Aber ein Restrisiko bestand immer.

KAPITEL DREI

Der Mutter stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben, als der Hofnoah pünktlich um zwölf Uhr hungrig und für seine Verhältnisse abgemagert in ihrer Küche aufkreuzte.

»Ja, wie schaust du denn aus?«, fragte sie erstaunt. Nicht nur sein Besuch kam unerwartet, sondern auch seine neue Figur. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er tatsächlich genügend Disziplin zum Abnehmen aufbringen würde, schon gar nicht in so kurzer Zeit. Sie hatte eher mit Monaten als mit Wochen gerechnet. Und obwohl sie sich prinzipiell über jeden Besuch ihres Sohnes freute, war ihr seine Überraschungsvisite in ihrer Küche gar nicht recht, denn sie war kulinarisch überhaupt nicht vorbereitet.

»Da schaust, goi!«, antwortete er stolz und drehte sich in der engen Küche wie eine Ballerina um die eigene Achse.

»Du bist ja kaum wiederzuerkennen«, stellte die Mutter nach der Pirouette verblüfft fest. »Aber wieso hast du denn ein Loch im Hintern?« Sie ging hinter ihrem Sohn in die Hocke und untersuchte Rambos Werk interessiert.

»Geh, lass das! Ist nicht so wichtig«, reagierte der Hofnoah schroff und nahm mit einem Drehwurm im Kopf am Küchentisch Platz.

»Lange nicht g’sehn, Mama. Wie geht’s dir?«, wollte er seltsam desolat wissen. Die Mutter registrierte den befremdlichen Zustand ihres Sohnes sofort. Gerade noch so vital, wirkte er auf einmal etwas bleich um die Nase.

»Ist dir nicht gut?«, fragte sie besorgt.

»Nur schwindlig. Die Pirouette hätt ich bleiben lassen sollen. Es hat halt doch nicht nur Vorteile, wenn man so schnell so viel G’wicht verliert«, antwortete er selbstkritisch.

Doch wirklich schlecht konnte es ihm ohnehin nicht gehen, denn er kam gleich zum Wesentlichen: »Wie schaut’s aus? Hast einen Schweinsbraten für mich?«

Die Mutter verneinte verschämt. Für ihren Buben kein Bratl auf Lager zu haben, war ihr mehr als peinlich.

Auch der Hofnoah war mit der Situation überfordert, denn das zuvor gekaufte Leberkas-Semmerl war wirklich nur als Back-up für den absoluten Notfall gedacht gewesen. Wochenlang hatte er auf diesen einen Moment hingefiebert. Wenn es beim Training besonders zwickte, stellte er sich bildlich vor, wie er den ersten Bissen von dem Bratl genießen würde, den nur die Mutter so zart hinbekam. Und jetzt das!

Der Hofnoah war tief enttäuscht. Das letzte Mal hatte er sich so mies gefühlt, als die Mairinger Bettina einen Tag früher aus dem Urlaub zurückgekommen war, weil der Chef dringend wegmusste.