Mit einem Schlag verliebt - Helen E. Wolf - E-Book

Mit einem Schlag verliebt E-Book

Helen E. Wolf

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Beschreibung

Außenseiterin. Bluterguss. Erste Liebe. Einsamkeit bestimmt Eules Leben. Bis Dima das Klassenzimmer betritt. Er trägt gammelige Klamotten und stinkt nach Rauch, aber er akzeptiert Eules Wahrheitsliebe und ihren Hang zur Besserwisserei. Mit der Wucht einer neuen Freundschaft verändert sich Eules Leben. Doch Dima verbirgt ein nachtschwarzes Geheimnis hinter seiner Rüstung aus Muskeln und Blutergüssen. Mit einem Schlag verliebt eignet sich für Mädchen ab 14 Jahren und junggebliebene, die gerne in unterhaltsamer Weise über die Dramen der Jugend lesen. MOSAIK: Zuckerwatte im Hirn & Konfetti im Bauch Triggerwarnung: Mobbing, Thematisiert werden: Kindesmisshandlung, versuchte Vergewaltigung, Selbstmordabsicht und Häusliche Gewalt. Das Buch ist ein Wohlfühlbuch, die Themen werden nicht tiefgehend behandelt und gut aufgelöst, dennoch kann es für Personen mit entsprechenden Erfahrungen emotional belastend sein über solche Themen zu lesen. (Geschrieben von einer Sozialpädagogin)

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Helen E. Wolf

 

MIT EINEM SCHLAG VERLIEBT

E U L E & B E U L E

 

 

FÜR CHRIS

 

 

 

 

Triggerwarnung:

Thematisiert werden: Mobbing, Kindesmisshandlung, versuchte Vergewaltigung, Selbstmordabsicht und Häusliche Gewalt. Das Buch ist ein Wohlfühlbuch, die Themen werden nicht tiefgehend behandelt und gut aufgelöst, dennoch kann es für Personen mit entsprechenden Erfahrungen emotional belastend sein über solche Themen zu lesen.

 

 

 

 

 

 

INHALT

1 | MONTAG | BEGEGNUNG

2 | MONTAG | VERTRAUEN

3 | DIENSTAG | VERRÜCKT

4 | DIENSTAG | ÜBERFALL

5 | MITTWOCH | BLAU

6 | MITTWOCH | PANIK

7 | MITTWOCH | BLIND

8 | MITTWOCH | BIS ZUM MOND

9 | DONNERSTAG | ALLEIN

10 | DONNERSTAG | GEMEINSAM

11 | DONNERSTAG | UN KURABIYESI

12 | DONNERSTAG | EINBRUCH

13 | DONNERSTAG | EIS

14 | FREITAG | ERFOLG

15 | FREITAG | ZERSCHLAGEN

16 | FREITAG | HOCH

17 | FREITAG | STILO

18 | FREITAG | EINHORN-WIEHERN

19 | FREITAG | KUSS

20 | FREITAG | SEHNSUCHT

21 | SAMSTAG | COUNTDOWN

22 | SAMSTAG | KOMMST DU?

23 | SAMSTAG | WUT

24 | SONNTAG | MORGEN

25 | SONNTAG | DANACH

26 | SONNTAG | FARBFLECKEN

27 | SONNTAG | JO

28 | MONTAG | NACHT

29 | MONTAG | HILFE

30 | EIN JAHR SPÄTER

Abschließende Worte

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IMPRESSUM

 

1 | MONTAG | BEGEGNUNG

E U L E

»Morgen.« Ein Junge stand im Klassenzimmer. Er war älter als Eule, aber nicht groß, mit einem runden Kopf, abstehenden Ohren und millimeterkurzem Haar. Seine Kleider wirkten wie aus der Mülltonne gestohlen. »Ist das die 10a? Die Klasse von Herrn Müller?« Er hatte breite Schultern und kräftige Oberarme.

»Äh … Ja. Der Hasenzahn ist unser Lehrer.« Unbehagen beschlich Eule. Sie war allein mit einem Typ, der aussah, wie die Kids vom Bahnhof. Dann erinnerte sie sich an ihren strubbeligen Zopf, die riesige Brille und ihre Schlabberkleider. Okay. Einen Schönheitswettbewerb gewannen sie beide nicht.

»Welcher Platz ist frei?« Sein Blick wanderte über die Tische, als wäre er hier zu Hause. »Wo sind die anderen?«, schob er eine weitere Frage nach.

Was will dieser Kerl hier?, fragte sich Eule. Er passte nicht in das Ambiente des anerkannten Gymnasiums. »Äh … meine Klassenkameraden sind auf dem Pausenhof. Sie sind dort bis die Schule beginnt.« Mit dem Daumen wies Eule über ihre Schulter in Richtung Fenster. Ihre Augen klebten auf dem Jungen. Er war kein unsicherer Teenager, der morgens Pickel ausdrückte, sondern wirkte erwachsen. »Cool«, flüsterte Eule.

»Cool? Was ist cool?« Fragend zog er die Augenbrauen zusammen.

»Äh … nix!«, presste Eule hervor. Tatarataaa! Das war eine ihrer schlechten Angewohnheiten: Sagen, was sie dachte, ohne über ihre Worte nachzudenken. Peinlich!Ich bin nicht erwachsen. Ich weiß, wie man Pickel ausdrückt!, jammerten Eules Gedanken.

»Was ist?«, fragte der Junge.

»Äh …? Was soll sein?«

»Wo ist ein Platz frei?«

»Für dich?« Verwirrt schürzte Eule ihre Lippen.

»Klar, für wen sonst?« Er setzte einen Blick auf, der fragte: Von welchem Planeten kommt die denn?

»Ich … äh …«

»Ist äh eines deiner Lieblingswörter?«

»Äh … Nein!« Eule riss die Augen von dem Jungen. Reiß dich zusammen!, ermahnte sie sich.

»Fangen wir von vorne an.« Beschwichtigend hob er die Hände. »Welcher Platz ist frei?«

»Du bist neu?«

»Und du nicht die Hellste.« Er lachte bellend. »Klar bin ich neu. Warum sollte ich sonst einen Platz wollen?«

»Aber die Ferien sind seit einer Woche vorbei!«

Er zuckte mit den Schultern. »Mein Wechsel verzögerte sich. Wo kann ich mich setzen?«

Eule atmete hektisch ein. »Neben mir«, hechelte sie. Sie schielte von ihrem Pult zu dem Jungen.

»Bei dir?«, wiederholte er.

»Äh … Die übrigen Plätze sind besetzt. Es tut mir leid!«

Er lachte, aber er kämpfte um Echtheit. »Ist kein Problem.«

Eule wusste, dass er log. Er hatte die Schnauze voll von ihr. »Die anderen sind belegt«, beteuerte sie.

»Wie gesagt: Das ist okay.« Er donnerte seinen Rucksack auf den Tisch, ein Träger war abgerissen, und ließ sich auf den Stuhl fallen.

Gestank kroch in Eules Nase. »Rauchst du?«, fragte sie.

»Training und Kippen?«, antwortete er mit einer Gegenfrage und präsentierte seinen imposanten Bizeps.

»Das verstehe ich nicht«, räumte Eule ein.

»Ich treibe Sport. Ich zerfetze mir nicht freiwillig die Lunge.«

»Und warum stinkst du nach Zigaretten?«

Das bellende Lachen, das auf ihre Frage folgte, kam aus tiefstem Herzen. »Du bist echt nett!«, gab er zurück und streckte Eule die Hand entgegen. »Ich heiße Dimitri. Aber ich werde Dima genannt.«

»Dimitri?«, fragte Eule. Argwöhnisch musterte sie seine Pranke. »Für einen Ausländer sprichst du gut deutsch.«

»Ma benannte mich nach meinem Vater. Er war weg, bevor ich geboren wurde. Schlag ein!«, fügte er hinzu. »Hände schüttelt man.«

»Tschuldigung.« Irritation flutete durch Eule, als sich seine kräftigen Finger um ihre schlossen.

»Verrate mir, wie du heißt«, führte Dima die zähe Konversation fort.

»Ich bin Eule.«

»Ungewöhnlicher Name. Ich hätte erwartet, dass die deutschen Ämter ihn verbieten.« Mit einem schrägen Grinsen schüttelte Dima den Kopf.

»Eule ist ein Spitzname«, erklärte Eule und spürte, wie ihr Hitze den Hals hinaufkroch. »Wegen der Brille«, ergänzte sie und deutete auf das große Gestell.

»Eule?« Der Ruf riss Eule aus ihrem Wachkoma und schleuderte sie in das nächste Weltwunder. Die sexy Lady, die in der Klassenzimmertür stand, hatte seit Monaten kein Wort mit Eule gewechselt.

»Mandy?«, hauchte Eule.

Gefolgt von der übrigen Klasse betrat die Dunkelhaarige den Raum, ließ Eule links liegen und sah Dima an. »Wer bist du denn?«, gurrte sie, setzte sich auf Dimas Tisch und verflocht ihre Beine zu einem Schneidersitz.

Dima riss die Augen auf und öffnete seinen Mund, aber kein Ton kam heraus.

»Wie süß! Du bist stumm wie ein Fisch!« Sie beugte sich vor und streichelte ihm über den Kopf. »Ich heiße Mandy Fischer und werfe meine Angel nach dir aus.« Sie lachte und schwang ihre langen Beine vom Tisch. »Denk in deinen feuchten Träumen an mich, Fisch«, raunte sie ihm in Zimmerlautstärke zu.

D I M A

Was für ein Schulstart! Dima hieß Fisch und saß neben einer fleischgewordenen Baustelle. Auf den ersten Blick sah Eule aus wie ein netter Hobbit, mit ihrem krassen Zwergenwuchs und dem ungepflegten Haarknoten. Ihr Gestammel hatte Dima zum Schmunzeln gebracht, ehe abgrundtiefes Fremdschämen zuschlug.

Dima schielte zu Eule. Sie verkroch sich in ihrer Tasche, kramte Bücher, Mäppchen und Hefte heraus und ignorierte die Welt. Ihr Verhalten war beschämend und unterstrich die Tragik der Situation. Der Schutzwall, den sie mit ihren Sachen errichtete, war unübersehbar.

Dima hob den Blick und sah sich um. Niemand beachtete Eule. Das geht mich nichts an, dachte er und ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken. Er musste akzeptierten, dass Eule eine wolkenverhangene Nacht war. Mandy hingegen war eine voller Sternschnuppen. Er spähte zu der Dunkelhaarigen hinüber. Peinlich, dass sie ihn aus der Fassung gebracht hatte. Sie war bombe und er zu einem Fisch mutiert! Dima seufzte.

»Was hat der Fisch?«, rief jemand von hinten.

Dima angelte seinen Rucksack hervor und kramte einen Block und zwei Kulis heraus. Fuck! Wenn er nicht Eules Schicksal teilen wollte, sollte er sich ein anderes Vorbild suchen.

Ein Zettel landete auf seinem Tisch.

HEUTE SCHWIMMBAD?MANDY

Verarscht die mich? Dima sah zu Mandy hinüber. Sie zwinkerte ihm zu und malte ein Fragezeichen in die Luft. Dima fuhr sich über seine Haare. Im Rucksack lagen Handtuch und Badehose, da er heute Morgen beschlossen hatte, ins Schwimmbad zu gehen. In Mandys Angebot witterte er eine Falle, aber es gab nicht viele Tage an denen er freiwillig sein Shirt auszog. Knapp nickte er Mandy zu.

D I M A

Im Unterricht wurde Eule gemieden wie kochendes Spülwasser. Es brachte einen nicht um, aber es bedeutete arbeiten in einer unangenehmen Umgebung. Ständig streckte sie den Finger in die Luft, hatte das Stottern abgelegt und fügte zu jeder Antwort eines Kollegen etwas hinzu. Sie war definitiv kein netter Hobbit.

Dimas letzter Funken Hoffnung an ihre Freundlichkeit erlosch, als sie, im Matheunterricht, über das Gleiche und dasselbe fachsimpelte. »Da ich bei meinen Mitschülern Probleme bezüglich der grammatikalisch korrekten Verwendung dieser beiden Formen bemerkte, recherchierte ich eine Eselsbrücke. Wenn sich etwas gleicht, wird das Gleiche verwendet.« Triumphierend starrte Eule den Klassenlehrer an. »Ich führe den Sachverhalt aus am Beispiel von Mandys und Fundas Hosen. Sie sind exakt gleich, da vom selben Hersteller mit dem gleichen Schnittmuster produziert. Vermutlich erwarben Mandy und Funda die Hosen im selben Geschäft.« Eule legte eine theatralische Pause ein. »Aber wäre es dieselbe Hose, könnte nur eine von beiden sie tragen, denn es gäbe lediglich eine Hose. Verstanden?«

Eules überhebliches Lächeln verblasste bei Mandys entsetztem Aufschrei: »Funda, du trägst dieselbe Hose wie ich?« Die Dunkelhaarige sprang von ihrem Platz und zerrte Fundas Tisch zur Seite. Fassungslos starrte sie das Gegenüber an. »Du trägst dieselbe Hose!«, schrie sie mit sich überschlagender Stimme. »Zieh die Hose aus. Niemand trägt dieselben Sachen wie ich.«

Dima wollte Funda helfen, aber es war nicht seine Angelegenheit. Seine Hand schloss sich zu einer Faust und sein Blick sprang zu Herrn Müller. Zur Salzsäule erstarrt, glotzte der Lehrer Mandy an. Er war überfordert, das war offensichtlich. Das ist nicht meine Aufgabe!, brüllten Dimas Gedanken ihm entgegen.

»Es ist nicht dieselbe Hose, sondern die Gleiche.«, stieß Eule mit bebender Stimme hervor.

Dimas Blick schoss herum. Spinnt die?, fragte er sich. Geschockt starrte er Eule an. Dieselbe oder die gleiche Hose, war das nicht belanglos? Eule schien das anders zu sehen. Wie weggetreten fixierte sie Mandy.

»Ist mir egal!«, keifte Mandy, holte aus und versetzte Funda einen Stoß vor die Brust. »Zieh die Hose aus!«

Dima sprang auf. Mit einem Krachen fiel sein Stuhl nach hinten und seine Augen flogen zu Herrn Müller. Wenn dieser nicht eingriff … Dima atmete auf. Der Lärm hatte den Lehrer aus seiner Starre gerissen. »Mandy! Stopp!« Herr Müller drängte sich zwischen Mandy und Funda. »Hör auf Mandy! Ihr streitet wegen einer Hose!«

»Sie verstehen das nicht!«, zeterte Mandy. »Funda trägt meine Hose!«

Dima bückte sich und hob seinen Stuhl auf. Für ihn war das Drama überstanden. Das war Herrn Müllers Aufgabe.

»Funda trägt nicht deine Hose!«, rief Eule.

Mandy wirbelte zu Eule herum. »Halt dein Maul!«, brüllte die Dunkelhaarige. »Ich trage nicht dieselbe Hose wie Funda.«

»Richtig! Ihr tragt die gleichen Hosen!«, erwiderte Eule entschieden. Aber ihr Blick krallte sich an ihrem Pult fest und offenbarte ihre Unsicherheit.

E U L E

»Du und der Schwachsinn!«, keifte Mandy.

Bestürzt sog Eule die Luft ein. Es war ihr gelungen die sexy Lady von Funda abzulenken, doch zu welchem Preis? Statt Funda stand nun sie im Fokus von Mandys Wut. »Nicht Schwachsinn, sondern Grammatik« konterte Eule. Furcht ließ ihre Hände zittern, aber ihre Stimme war fest. »Die Lehre vom Bau einer Sprache, ihren Formen und deren Funktion im Satz.«

»Du bist ein Biest!«, fauchte Mandy.

»Beruhig dich«, bat Hasenzahn.

»Ich werde gedisst! Merken Sie das nicht?«

»Funda soll die Hose ausziehen!«, schaltete sich Lilo ein und bahnte sich einen Weg an Mandys Seite. Natürlich hielt sie zu der Dunkelhaarigen, denn sie waren die fleischgewordene Version von Bibi und Tina.

»Lolli. Bitte halte dich raus«, schimpfte Hasenzahn.

»Lolli?« Lilo lachte. »Herr Müller, meine Lolliphase ist vorbei. Oder sehen Sie pinke Haare?« Sie schüttelte ihren blonden Bob.

»Dabei verpasste ich dir diesen Spitznamen.« Mit weinerlicher Stimme schlang Mandy ihre Arme um Lilos Hals und ihre Stimmung kippte von Wut in Verzweiflung.

»Lolli war ein super-süßer Spitzname«, gurrte Lilo und streichelte Mandy über die Wange.

Hasenzahn klatschte in die Hände. »Setzt euch! Wir fahren mit dem Unterricht fort.«

Mit gequältem Gesichtsausdruck nickte Mandy.

Aber Lilo rief: »Tragen Türkinnen nicht Röcke?« Auffordernd sah sie sich in der Klasse um.

Alles in Eule wurde kalt. Das war ihre Schuld.

»Funda soll einen Rock anziehen!«, murrte jemand.

»Hört sofort auf«, donnerte Hasenzahn. »In dieser Klasse gibt es keine Ausländerfeindlichkeiten!«

»Funda ist keine Ausländerin«, schaltete sich Eule ein. »Sie besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft!«

»Eule, still! Verdammt! Lilo auf deinen Platz.« Hasenzahn ging zu seinem Pult zurück. »Wo waren wir?«

Eules Hand schoss in die Höhe.

E U L E

»Zufrieden, Besserwisserin?«

Eule fuhr herum. »Dima?«

»Yeah.« Er fiel neben Eule auf die Bank der Straßenbahnhaltestelle. »Mandy tickt aus und du legst Wert auf Grammatik? Das war beschissen. Tat Funda dir nicht leid?«

Mandy tickt aus … Sternschnuppen flogen in Eules Herz. Er hatte die Grünäugige angestarrt wie ein Hypnotisierter und trotzdem bemerkt, dass sie sich daneben benahm! Mit dem nächsten Atemzug sank Eules Stimmung. Denn Dima hatte nicht begriffen, dass sie Funda mit ihrem Verhalten vor Mandy gerettet hatte.

»Eule?« Dima schnipste mit dem Finger vor ihrem Gesicht.

Sie zuckte zusammen, erhob sich und fluchte: »Mich behandeln alle scheiße!« Damit stieg sie in die eingetroffene Straßenbahn. Dima folgte ihr und Eule entdeckte bestürzt ein Handtuch, das aus seinem Rucksack lugte. Mist! Er hatte dasselbe Ziel wie sie.

»Sie beachten dich nicht. Das ist alles«, beschwichtigte Dima. »Außerdem provozierst du sie mit deinem Verhalten. Mit dieser Art findest du nie Freunde.«

»Hm …« Dass Dima auf dem Weg ins Freibad war, missfiel Eule. Mit einem direkten Abstecher ins Bad wurde ihr gewöhnlich eine himmlische Distanz zu ihren Klassenkameraden garantiert. Hoffentlich versaute Dima ihr den Tag nicht mit seiner Anwesenheit, sondern kapierte, dass mit ihr nichts anzufangen war. Entschieden wandte Eule sich ab, hastete durch die Straßenbahn, warf sich auf einen Platz und knallte ihren Rucksack daneben.

»Darf ich mich setzen?« Er war ihr gefolgt.

»Warum!?«, zischte sie ohne zu ihm aufzusehen.

»Warum nicht?«

»Du findest mich beschissen! Warum sollte ich dich setzten lassen?« Eule starrte aus dem Fenster.

Dima seufzte. »Dein Verhalten war beschissen, aber das kommt vor.«

Eule regte sich nicht.

»Bitte …?«

Sie zog ihre Tasche beiseite. »Du fandest es blöd, wie Mandy mit Funda umgegangen ist?« Mist! Sie wollte nicht über den Vorfall sprechen.

»Mandy war schräg unterwegs!«

»Aber Mandy ist cool …«

»Und deswegen im Recht?«, fragte Dima. »Sie ist heiß. Aber das ist kein Freifahrtschein sich wie eine Despotin zu verhalten.«

Mit einem zufriedenen Gefühl im Magen sah Eule aus dem Fenster. »MIST! Das ist meine Haltestelle!«, rief sie und fuhr aus ihrem Sitz. Doch die Türen der Straßenbahn schlossen sich bereits. »Ich dachte, du willst auch ins Freibad!«, fauchte Eule Dima an.

Dima sah nach draußen und ein fettes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Das war die Haltestelle fürs Schwimmbad?«, fragte er.

»Ja!«, knurrte Eule.

D I M A

»Wir sind vorbeigefahren.« Dima lachte bellend, beugte sich vor und drückte den Halteknopf.

»Du willst ins Freibad?« Erstaunt hob Eule ihre Augenbrauen.

»Verzockt.« Dima zuckte mit den Schultern. »Eigentlich gehe ich in Neustadt schwimmen.«

»Neustadt? Kommst du nicht aus Mosaik?«, fragte Eule.

»Nein, aus einem Kaff zwischen hier und da. Ich war in Neustadt auf der Schule«, fügte er hinzu. Die Bahn fuhr die Haltestelle an und Dima erhob sich.

»Warum hast du gewechselt?«

»Ist das ein Verhör?« Er trat aus der Tür und sah sich nach der Anzeigetafel um. »Warten wir auf die Nächste? Oder laufen wir zurück?«

»Die Straßenbahn fährt in 5 Minuten.« Eule wies mit dem Kopf in Richtung der Tafel. »Du bist schneller beim Schwimmbad, wenn du hierbleibst. Ich gehe zu Fuß.«

Verwundert verzog Dima das Gesicht. Er hatte nicht erwartet, dass Eule sich freiwillig bewegte. »Ich komme mit.« War das sein Ernst?

Eule schnaubte, nickte aber und drückte den Ampelknopf.

»Wo wohnst du?«, fragte Dima.

»Ist das ein Verhör?«, wiederholte Eule Dimas Worte.

Dima lachte. »Ich dachte, es ist an mir neugierig zu sein.«

Die Ampel schaltete auf Grün und Eule verließ den Gehweg. Sie brummte: »Ich komme aus Hausen.«

»Krass«, spuckte Dima aus. »Ich auch.«

Mitten auf der Straße blieb Eule stehen und guckte Dima an. »Wirklich?«

»Yeah.« Dima packte Eule an den Schultern, um sie weiterzuschieben. Aber sie erstarrte.

Eules Blick senkte sich auf Dimas Finger. Sie lagen locker auf ihrer Haut. »Lass das«, zischte sie.

Dima hob die Hände. »Sorry.« Er trabte auf die andere Straßenseite. »Warum gehst du hier zur Schule?«, rief er ihr zu. »Neustadt ist näher.«

»Unser Gymnasium ist die beste sprachliche Schule der Gegend. Meine Eltern sahen auf diesem Gebiet Defizite bei mir.«

»Sie schicken dich auf eine Schule mit Schwerpunkt Sprache, weil dir Sprachen schwerfallen?«

»Hm …«

»Eltern sind für die Tonne.« Abfällig schüttelte Dima den Kopf.

»Wem sagst du das«, bestätigte Eule. »Warum nimmst du die Fahrt auf dich?«

»Meine Ma will mich fördern.« Dima lachte über die Absurdität seiner Worte. Dann registrierte er Eules bohrenden Blick und fuhr sich mit der Hand übers Haar. Was konnte er erzählen, dass glaubwürdig war, aber nicht an der Wahrheit kratzte? »Die sprachliche Ausrichtung … mir liegen Sprachen.«

»Ach …?«

»Yeah«, beteuerte Dima. Es war krass, wie wahr diese Antwort war. Schließlich bekam er diese zweite Chance dank seiner Sprachbegabung. »Gehst du gerne schwimmen?«, wechselte er das Thema.

»Ich liebe es!«, rief Eule aus. »Das Wasser ist kühlend und weich zugleich. Die Schwerelosigkeit im Becken ist wie getragen zu werden und die dumpfe Ruhe beim Tauchen schenkt mir Frieden. Im Wasser fühle ich mich frei!« Abrupt hielt sie inne, starrte Dima an und fragte: »Und du?«

Er zuckte mit den Schultern. »Wenn ich einen freien Kopf brauche, gehe ich joggen oder trainiere. Ich muss ins Schwitzen kommen um an der inneren Stille zu schnuppern.«

»Warum gehst du dann schwimmen?«, wollte Eule wissen.

»Um Spaß zu haben. Außerdem bin ich mit Mandy und den Kollegen verabredet.«

Eule blieb stehen und starrte Dima an. »Du verfügst über keinerlei Prinzipien«, stellte sie abfällig fest.

Dima zog die Augenbrauen zusammen.

»Du redest mit mir, obwohl ich mich beschissen benehme, und du gehst mit Mandy baden, obwohl sie sich schräg verhält.«

»Ich gestehe: Bei mir sind keine Prinzipien vorhanden.« Dima grinste schief und stellte fest, dass es sich richtig anfühlte, mit Eule unterwegs zu sein. Dabei bestand zwar die Gefahr von ihren Worten vernichtet zu werden, aber die Zeit mit ihr war voller Wahrheit, da sie ungeschönt aussprach, was sie dachte. Anders als Mandy, die manipulativ und auf ihre Vorteile bedacht war. Dennoch flutete Vorfreude durch Dimas Körper, als in seinem Hirn ein Bild der Dunkelhaarigen aufploppte. Wie krank! Im Vergleich zu Mandys Ausraster in der Mathestunde waren Eules Macken wie das Flattern eines Schmetterlings. Trotzdem brannte Dima danach, Mandy näher kennen zu lernen. Er stöhnte genervt und registrierte die vorbeifahrende Straßenbahn.

»Alles gut?«, fragte Eule.

»Klar! Ich war in Gedanken bei …« Dima brach ab. Er schätzte Eules Ehrlichkeit. Warum wollte er ihr eine Lüge auftischen? »Ist es noch weit?«, wich er einer Erklärung aus.

»Wir sind gleich da.«

E U L E

Eule schielte zu Dima. Er fuhr sich mit der Hand über seinen Stoppelkopf. Vermutlich war er genervt. Er hatte gestöhnt als die Straßenbahn an ihnen vorbeigefahren war. »Wann triffst du dich mit den anderen?«, fragte sie.

»Um zwei.«

Eule war verwundert. »Gewöhnlich tauchen sie erst um drei auf.«

Dima zuckte mit den Schultern. »Mir soll es recht sein.«

Mir auch, dachte Eule, ging zielstrebig zur Kasse und zeigte ihre Jahreskarte vor. »Man sieht sich!«

»Eule! Warte!«

Jetzt würde es unhöflich werden. »Was ist?«, zischte sie.

»Du bist nicht mit den Kollegen verabredet«, stellte er fest und folgte ihr durch die Schranke.

»Nein.«

»Aber ihr geht in dieselbe Klasse …«

»Verpflichtet das zur Freundschaft?«

Dima zuckte mit den Schultern. »Sie ignorieren dich, aber …«

»Sie ignorieren mich vermutlich, weil ich schweigsam bin«, höhnte Eule. »Ich gehe mich umziehen«, fügte sie hinzu. »Tschüss.«

»Warte!« Dima griff nach ihrem Arm.

»Was ist?«, fauchte Eule. Wieder hatte er sie angefasst. Die Berührung rauschte durch ihren Körper, wie ein brüllender Dämon. Fremd.

»Wann fährst du nach Hause? Wir könnten gemeinsam gehen.«

Eule entwand sich ihm und grummelte: »Eigentlich breche ich um drei auf.«

D I M A

»Fischie.« Mandy boxte Dima von hinten gegen die Schulter. Als er sich umdrehte, pfiff sie anerkennend. »Deine Anatomie ist perfekt! Wow.« Das letzte Wort war ein gehauchtes Stöhnen. »Du siehst süß aus, weißt du das?« Ihre Finger strichen über Dimas Kopf, hinab zu seinen Oberarmen. »Diese Muskeln …«

»Danke«, entgegnete Dima unverbogen. Er wusste, wie er aussah. Aber er trainierte nicht um Mädchen zu beeindrucken. Er konnte keine Rüstung anziehen, wenn er eine benötigte, also hatte er seinen Körper zu einer geschmiedet.

»Du sprichst mit mir!« Begeistert klatschte Mandy in die Hände. »Fisch kann reden!«, rief sie in die Runde, »und sieht verdammt gut aus«, fügte sie mit einem Augenzwinkern hinzu. »Komm mit. Ich zeige dir unseren Stammplatz.«

Mit dem Eintreffen der Kollegen änderte sich die Stimmung. Worte schwirrten um Dimas Kopf, Lachen erklang und Begrüßungen wurden ausgetauscht. Das waren Schwimmbadgänger. Wie Dima es gewohnt war.

»Wusstest du, dass Eule hier ist?«, wandte Dima sich ihr zu, als die Ersten in Richtung Becken aufbrachen und die übrigen Kekspackungen aufrissen.

»Sie ist oft hier.« Mandy verdrehte die Augen.

»Und warum liegt sie nicht bei euch?« Es musste möglich sein, Eule in die Klassengemeinschaft zu integrieren.

Der Spott verschwand aus Mandys Gesicht. »Keine Ahnung. Sie mag uns nicht?« Sie zuckte mit den Schultern. »Sie hält sich für etwas Besseres.«

»Eule? Ich würde sie als unsicheren Teenie mit dicker Schutzmauer bezeichnen.«

»Sie ist anders als wir«, bestätigte Mandy und murmelte: »Sorry, dass du in der Schule neben ihr sitzen musst.«

»Kein Problem«, platzte Dima heraus. »Ich komme gut mit ihr klar.«

Gekonnt hob Mandy ihre Augenbraue. »Es freut mich, dass du frei von Vorurteilen bist! Aber du wirst sie besser kennen lernen.«

Dimas Kiefermuskeln spannten sich an. »Wir wohnen im selben Dorf.«

»Du kommst auch aus Hausen? Kennt ihr euch länger?«, fragte Mandy.

»Nein.« Dima schüttelte den Kopf. »Aber Eule ist in Ordnung.«

»Magst du sie fragen, ob sie sich zu uns legen will?«

Dima lachte. Niemals würde Eule dieses Angebot annehmen. »Sie genießt ihre Ruhe.«

»Sie mag uns nicht«, entgegnete Mandy.

Dima zögerte. Das eine hing nicht zwingend mit dem anderen zusammen.

»Kommst du mit schwimmen?« Mandy richtete sich auf und zog ihr Top über den Kopf. Dann streifte sie die Shorts von den Beinen. Der Auftritt war gekonnt inszeniert. »Gefällt dir, was du siehst?«, fragte sie, als sie Dimas Blick bemerkte.

»Klar«, entgegnete er.

»Bist du nicht verlegen, dass ich dich beim Gaffen erwische?«

»Wenn ich eine Show geboten bekomme, sollte ich sie genießen.«

»Ertappt!« Mandy streckte Dima die Hand entgegen. »Komm.«

Dima griff zu und ließ sich hochziehen. Als er aufrecht stand trat er einen Schritt auf Mandy zu. Sie zog die Augenbrauen zusammen, aber seine Aufmerksamkeit richtete sich auf ihre vollen Lippen. Wie gerne würde er sie küssen. Stattdessen rief er: »Wer schneller am Becken ist!«, löste sich von ihrem Anblick und sprintete los.

2 | MONTAG | VERTRAUEN

E U L E

»ACHTUNG! KALT!«

Eule schrie auf. Etwas Nasses hatte sich auf ihren Rücken gelegt. Sie fuhr hoch und schlang sich ihr Handtuch um den Körper.

Dima saß ihr mit einem breiten Grinsen gegenüber. Lässig balancierte er in der Hocke.

Eules Lippen wurden schmal. »Was soll der Mist?«

»Du benimmst dich, als hätte ich dir einen Eimer Eiswürfel über den Kopf gekippt. Dabei waren es meine Hände.« Er streckte ihr seine Pranken entgegen und lachte bellend.

Eule zog ihre Knie an die Brust und taxierte Dima. »Wenn du das witzig findest …«, gab sie drohend zurück. Es war nicht das Wasser, das sie störte, sondern die unerwartete Nähe.

Dima rieb sich übers Haar, in dem Wassertropfen glitzerten. »Weißt du, wann du nach Hause fährst? Ich möchte mich anschließen.«

Eule griff nach ihrer Brille und sah zur Schwimmbaduhr. Ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich. »Um vier.« Die Bahn um drei fuhr gerade ab! Mist!

»Kommst du rüber und holst mich ab?«

»Bin ich dein Babysitter?«, fauchte Eule. »Wenn du mitkommen willst, bist du um vier am Ausgang!«

»Ich dachte, im Schwimmbad bist du glücklich?«, fragte Dima unbeeindruckt.

Eule starrte hinauf in die Blätter eines Baumes. »Sorry«, brummte sie.

»Ich warte um vier am Ausgang«, lenkte Dima ein. »Lernst du?«

Eule warf einen Blick auf ihr Mathebuch und zuckte mit den Schultern. »Es hilft mir, den Kopf freizubekommen.«

Dima lachte bellend auf. »Cool. Aber warum Mathe? Ich dachte, in den Sprachen sind deine Defizite.«

Eule erkannte seinen Scherz! Die Freude darüber klickte ein Lächeln in ihr Gesicht. »Bei Mathe ist die Welt in Ordnung. Klare Regeln, klare Lösungswege, klare Antworten. Das liebe ich!«

Dima nickte. »Nachvollziehbar.«

Eule legte den Kopf schräg. An Dimas rechter Seite, direkt neben seinem Sixpack befanden sich zwei kreisrunde Narben. »Was ist das?«, fragte sie und streckte die Hand aus. Im letzten Moment hielt sie sich zurück, um ihn nicht zu berühren.

»Ich weiß nicht, was du meinst.« Sein freundliches Gesicht war einer verschlossenen Maske gewichen.

Eule runzelte die Stirn. Er hatte nicht den Kopf gesenkt, um zu sehen, wovon sie sprach. »Ich gehe schwimmen, magst du mitkommen?«, fragte sie.

D I M A

Eules Frage riss Dima die Lügenmaske vom Gesicht und klatschte ihm ein echtes Lächeln auf die Lippen. »Wenn die große Eule zum Schwimmen einlädt, bin ich dabei!«

»Was soll das heißen?«, wollte Eule wissen und stand auf.

»Als wir ankamen, war es unmissverständlich, dass du gerne auf mich verzichtest.«

»Das war bemerkbar?« Eule warf das Handtuch auf ihre Decke und ging neben Dima zum Becken. »Cool, ich kann Nachrichten zwischen den Zeilen verstecken.«

»Verstecken?«, fragte Dima. Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass Eule einen schlichten Oma-Badeanzug trug. Mega unsexy. »Hättest du mich angeschrien: ,Zieh Leine, du Arsch!‘, wäre es kaum deutlicher gewesen.«

Eule schürzte erschrocken die Lippen. »Das Wort >Arsch< verwende ich nicht«, beteuerte sie.

»Nein? Was dann: Arschkrapfen? Arschgesicht?«

Eule funkelte Dima an. »Ich hätte höchstens betont, dass ich meine Ruhe genieße.« Gereizt blieb sie am Beckenrand stehen.

»Das ist in Ordnung. Mir geht es manchmal ähnlich«, erwiderte Dima. »Gerade finde ich, dass es mit dem Streiten reicht. Jetzt wird geschwommen!« Damit gab er Eule einen Schubs. Ihre Hände fuhren nach oben, als suchten sie Halt. Aber sie verlor den Kampf gegen die Schwerkraft und klatschte, mit dem Po voran, ins Becken. Wassertropfen spritzten auf Dimas Füße. Er grinste, bis Eule auftauchte und ihre Augen schrien: Ich hasse dich!

Das Lachen fiel neben Dima auf die Fliesen. Fuck!

Eule riss ihren Blick von Dima und kraulte davon.

Er seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust. Eule war nicht normal. Da traf ihn ein Stoß in den Rücken. Dima verlor das Gleichgewicht, die Welt kippte und Wasser schlug über ihm zusammen. Im Wirbelsturm aus oben und unten fragte Dima sich: War das Eule? Aber sie war weggeschwommen. Prustend tauchte er auf und starrte zum Beckenrand.

Mandy grinste ihn an. »Was fällt dir ein Eule ins Becken zu stoßen? Ich dachte, du findest sie in Ordnung.« Lässig stemmt sie eine Hand in die Hüfte.

Dima lachte. Das Grinsen in Mandys Augen war die richtige Antwort auf seine Tat. »Hilf mir raus.«

Mandy reagierte, wie es sich gehörte, und streckte ihm die Hand entgegen. Ein Ruck, ein Schrei und sie fiel neben Dima ins Becken.

»Unverschämter Kerl!« Mandy beschwerte sich mit einer Ladung Wasser in Dimas Gesicht.

»Wasserschlacht!«, brüllte Stilo, Lilos Freund, und sprang mit einer Arschbombe ins Becken.

Dima liebte Schwimmbadtobereien wie angetautes Schokoladeneis. Schreien, Lachen und getunkte Köpfe. Außerdem entstand, ohne große Einflussnahme, eine spannungsgeladene Nähe.

»Ich ergebe mich!«, japste Mandy endlich und schlang ihre Arme um Dimas Hals. Dunkle Haarsträhnen klebten ihr im Gesicht. »Nicht mehr tunken. Ich erfülle dir jeden Wunsch!«

Jeden Wunsch? Das war Musik in Dimas Ohren. Er sah ihre vollen Lippen auf seinen.

Ein schneidender Pfiff durchschnitt Dimas Trommelfell und seine Zuckerwatteträume zerplatzten.

»Das ist das Schwimmerbecken«, beschwerte sich der Bademeister. »Für Kindereien ist der Nichtschwimmerbereich da!«

»Danke Björnie!«, rief Mandy, löste sich von Dima und kletterte aus dem Becken. »Ich schulde dir nichts!«, brüllte sie zu ihm hinab und gab ihrem Retter einen Kuss auf die Wange.

»He!«, protestierte Dima und folge ihr. Wie war es möglich, dass ihm ein Ich-erfülle-dir-jeden-Wunsch-Versprechen durch die Finger glitt? Er warf einen Blick über die Schulter und bemerkte, dass sie mit ihrer Wasserschlacht Eule verjagt hatten. Schade, dass sie nicht ihre Jugend entdeckt und mitgetobt hatte.

»Fisch, ich brauche dich!« Mandy tauchte an seiner Seite auf. »Ich möchte einen Reiterkampf austragen. Du darfst mein Pferd sein.«

»Pferd?« Verwirrt runzelte Dima die Stirn.

»Wer ist beim Reiterkampf dabei?«, rief Mandy und schob Dima ins Nichtschwimmerbecken.

»Was ist das?«, wollte Dima wissen.

»Du nimmst mich auf deine Schultern«, flötete Mandy. »Wenn ich die Schlampe vom gegnerischen Pferd stoße, sind wir Sieger. Wenn ich im Wasser lande, die anderen.« Sie musterte Dima. »Bist du mein Hengst?«, fragte sie mit einem Augenaufschlag.

Dima hob zustimmend seinen Mundwinkel. Wie könnte er ablehnen?

»Wer tritt als Erster gegen mich und Fisch an? Lilo, wollt ihr starten?«

»Stilo und ich sind Titelverteidiger!« Die Blonde sah träge von ihrem Handtuch auf. »Wenn wir etwas können, dann den Reiterkampf! Wir treten als Letzte an.«

»Klare Ansage, Bitch!«

Das Anzicken gehörte zum Reiterkampf wie die sexuelle Anziehung. Als Mandy auf Dimas Schultern kletterte, explodierte in ihm eine Supernova. Ihre Beine schlangen sich um seinen Oberkörper und Fantasien von seinen Lippen auf ihren Schenkeln fluteten sein Hirn.

»Halt mich fest, Pferdchen!«, kommandierte Mandy und Dima legte seine Pranken um ihre zierlichen Waden.

Stilo zählte von fünf rückwärts.

Dimas Körperbau war perfekt für den Reiterkampf. Er war nicht groß, aber seine Muskeln spannten sich an und seine Gestalt gab keinen Millimeter nach. Mandy kämpfte verbissen, während Dima von ihrer Nähe gefangen war. Fingernägel bohrten sich in Haut und Mandys Gegnerinnen landeten reihenweise im Wasser.

»Die Titelverteidiger betreten den Ring!«, rief Lilo, als Bine prustend aus dem Becken kletterte.

Die Fluten teilte sich vor Stilos Massen und Lilo saß auf seinen Schultern wie eine Prinzessin auf einem überdimensionalen Thron.

»Bereit, Pferdchen?«, fragte Mandy und tätschelte Dimas Kopf.

»Yeah.«

»Auf in den Kampf!«

Stilo und Lilo waren verdiente Titelverteidiger. Stilo war eine Wucht, standfest und größer als Dima. Sein Gesicht war voller Konzentration und auch Dima war jetzt ganz bei der Sache. Die Mädchen schrien und fluchten.

»Zicke!«, keifte Lilo. Ihre Fingernägel gruben sich in Mandys Handgelenk und mit der freien Hand versuchte sie Mandys Schulter zu packen. Aber Mandy riss mit einem harten Ruck ihren Arm zurück, Dima stampfte zeitgleich einen Schritt nach hinten und es katapultierte Lilo, mit dem Kopf voraus, von Stilos Rücken. Mit einem Aufschrei landete sie im Wasser.

»SIEG!«, brüllte Mandy.

Prustend tauchte Lilo auf. »Scheiße, Stilo!«, fluchte sie, versuchte ihre Haare zu richten und gleichzeitig die verlaufene Schminke in Ordnung zu bringen.

»Was ist?«, fragte Stilo.

»Wir sind Loser!«

Unbekümmert zuckte Stilo mit den Schultern. »Beim nächsten Mal gewinnen wir.«

»Beim nächsten Mal? Es wird kein nächstes Mal geben!«, schrie Lilo. »Sieh dir Fisch an«, sie deutete zu Dima. »Mandy ist trocken! Sehe ich aus, als wäre ich aufs Baden eingestellt?« Sie wandte sich ab und tobte fluchend aus dem Wasser.

»Lilo!«, rief Stilo und folgte seiner Freundin.

»Sieg!«, gurrte Mandy. Ihre Finger streichelten über Dimas Haarstoppel. »Du darfst mich runterlassen.« Sie glitt von Dimas Schulter und fand sich in seinen Armen wieder. Er hatte ihre Beine liebkosen wollen, jetzt zog ihr Mund seine Aufmerksamkeit auf sich.

»Wir sind Sieger«, raunte sie. »Du verdienst eine Belohnung, denn du hast mich beschützt!«

Stumm musterte Dima die Dunkelhaarige.

»Was wünschst du dir von mir?«, fragte sie und schlang ihm die Arme um den Hals.

Dima versank in ihren Augen.

»Fisch?«, flüsterte Mandy.

Der beschissene Spitzname riss Dima aus dem Grün ihrer Augen, hinein ins Nichtschwimmerbecken. Der Moment war zerstört. FISCH!?, wollte er brüllen. Oberflächliche Zicke! Dimas Blick sprang zur Schwimmbaduhr. »Fuck! Ich muss los! Ich fahre mit Eule nach Hause.« Damit fegte er aus dem Wasser und griff sein Handtuch. Er zog das T-Shirt über und stopfte die übrigen Sachen in seinen Rucksack. »Wir sehen uns morgen!«, rief er Mandy zu und rannte zum Ausgang.

Mandy stand im Becken und verstand die Welt nicht mehr.

D I M A

Eule wartete bei den Umkleidekabinen und wühlte in ihrer Tasche.

»Danke, dass du auf mich gewartet hast!« Dima rubbelte sich mit dem Handtuch über seine Haarstoppel und stopfte es in seinen Rucksack.

»Ich warte nicht, ich trinke«, korrigierte Eule. »Ich dachte nicht, dass du kommst.«

»Warum sollte ich nicht kommen?«

»Du hast mich ins Wasser geworfen.«

»Das war ein Scherz. Du hättest dich revanchieren dürfen.«

»Als ob mir das gelungen wäre!«, schnauzte Eule.

Dima hob die Mundwinkel zu einem schrägen Grinsen. »Ich hätte dafür gesorgt, dass es dir gelingt.«

»Sicherlich.« Ironie troff aus Eules Stimme.

»Probier es das nächste Mal aus. Mir bereitet es Spaß, jemanden ins Wasser zu werfen und selbst drinnen zu landen.« Gleichgültig zuckte Dima mit den Schultern.

»So willst du nach Hause fahren?«, wechselte Eule das Thema. Ihr Blick wanderte von seinem, am Oberkörper klebenden T-Shirt, zu seiner Badehose. Seine versöhnlichen Worte ignorierte sie.

»Ich habe die Zeit verzockt, aber wir waren verabredet.«

»Geh dich umziehen«, genehmigte Eule. »Ich warte.«

»Dauert das nicht zu lange?«

»Beeil dich!«

»DANKE!«, rief Dima und stürmte davon. Am Rande nahm er einen dunkelhaarigen Mann wahr, der wütend auf einen Freund einredete.

D I M A

»Was ist da los?«, fragte Dima nachdem er sich umgezogen hatte und stopfte sein Handtuch in den Rucksack. Er sah zu einer Menschentraube, die zwei streitende Männer begaffte. Eule bemerkte ihn nicht. Sie war Teil der glotzenden Masse.

Der Dunkelhaarige mit den schlanken Gliedmaßen und der Brille auf der Nase hatte mit dem Aufstand begonnen. Aber der Bärtige mit der Glatze brüllte lauter. Sie beugten sich zueinander, die Hände geballt. Ihre Körper pulsierten vor Anspannung.

Die Welt explodierte. Der Dunkelhaarige warf den Glatzköpfigen zu Boden und sprang hinterher. Er kniete über dem Gegner und donnerte ihm die Faust ins Gesicht.

MaTscH!

D I M A

Eule zuckte zusammen. Das Geräusch schmatzte in ihrem Hirn.

»Fuck!«, fluchte Dima. »Weg da!« Er drängte sich durch die Menge.

Eule wusste, dass sie handeln sollte. Hilfe holen, schrie es in ihrem Kopf. Aber ihre Beine bewegten sich nicht. Ihr Blick war auf die Männer gerichtet. Die Faust des Brillenträgers krachte in das Gesicht des Glatzkopfes. Bei jedem Schlag, der folgte, biss Eule ihre Zähne fester aufeinander.

Die Szene kippte, als Dima sich einmischte. Er packte den Angreifer an der Schulter und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Er zerrte an dem verdrehten Gelenk. Schmerzen flammten durch den Mann und Dima riss ihn fort. Der Brillenträger fluchte und versuchte, sich zu befreien. Blind vor Wut schlug er um sich. Aber Dimas Griff war fest. »Du da, mit dem grünen T-Shirt«, brüllte er einem Mann zu, »hol den Bademeister!« Der Angesprochene zuckte zusammen als erwachte er aus einem Traum, während Dima den Dunkelhaarigen in Richtung der Toiletten zerrte. Die Bombe war entschärft. Eule atmete auf und es war ein kollektives Aufatmen.

Ich muss Dima beistehen, dachte Eule, aber um zu ihm zu gelangen, war sie gezwungen am Opfer vorbei zu schleichen. Sie wollte nicht hinsehen und gleichzeitig konnte sie den Blick nicht abwenden.

Das Gesicht des Glatzköpfigen war voller Blut. Eine Frau ging neben ihm auf die Knie und half ihm sich aufzurichten. Aus seiner Nase quoll ein roter Sturzbach und tränkte seinen Bart. Vor Schmerzen verkrümmte er seinen Körper. Dennoch breitete sich Erleichterung in Eule aus, denn er konnte sich bewegen, sitzen, atmen. Leben.

Eules Blick flog zu Dima. Er hatte den anderen abgewandt, damit er seinen Gegner nicht sehen konnte. Aber der Brillenträger tobte noch immer und versuchte sich aus Dimas Griff zu befreien. Alles in Eule sträubte sich näher zu gehen, aber sie kämpfte sich unerbittlich weiter.

»Beruhige dich Kollege.« Dimas Gesicht war voller Anspannung und seine Oberarmmuskeln pulsierten unter der Anstrengung.

Ein prickelndes Gefühl flutete durch Eules Eingeweide. Es war nicht zu glauben! Dima hatte sich in den Kampf von Erwachsenen eingemischt und die schreckliche Situation unter Kontrolle gebracht.

Ein Zittern überrollte den Mann und im nächsten Moment sackte er zusammen. Erst fielen die Schultern herunter, dann der restliche Körper. Seine Knie und Hände klatschten auf den Boden und bewahrten den Mann vor einem Frontalzusammenstoß mit den Fliesen. Tränen fluteten ihm in die Augen und liefen über. Dima ging neben ihm in die Hocke und legte die Hand auf seine Schulter. Der Dunkelhaarige schniefte und nahm die Brille ab. Seine Finger hinterließen rote Spuren auf der Haut.

»Was ist passiert?« Mit Entsetzen im Gesicht trat der Bademeister hinzu. Björn hatte sein Abi an Eules Schule abgelegt. Es beruhigte Eule, die vertraute, aber erwachsene Gestalt zu sehen.

Dima hob den Blick von dem weinenden Mann und registrierte Eule. Sie sah es an der Veränderung in seinen Augen. »Prügelei«, spuckte er aus. »Der andere steckte einiges ein. Ein Krankenwagen wäre sinnvoll. Eule holst du unsere Sachen?«

Eule nickte mechanisch und wandte sich ab. Ihre Hände zitterten, als sie Dimas Rucksack aufnahm. Atme und beruhige dich.

»Bekommen wir die Bahn?«

Eule fuhr zusammen. Sie hatte nicht bemerkt, dass Dima ihr entgegengekommen war. Er nahm ihr seine Tasche ab und warf einen angespannten Blick in Richtung Ausgang.

Eule hob den Kopf zur Uhr. Es war kaum Zeit vergangen. »Wenn wir rennen«, antwortete sie.

»Dann renn!«

E U L E

»Was … war da los?« Eule keuchte und zog sich mit letzter Kraft in die Straßenbahn. Der Sprint hatte sie an ihre Grenzen getrieben. Mit einem Seufzen ließ sie sich auf einen Zweierplatz fallen.

Dima schob sich neben sie und knetete sich die Hände. »Der Zermatschte hatte Sex mit der Freundin des Schlägers.«

Hitze flutete durch Eule. Peinliches Thema!, schrie ihr inneres Alarmsystem.

»Der Kollege sollte eine Therapie beantragen«, fuhr Dima fort. »Aggressionen muss man unter Kontrolle behalten. Er wird eine Anzeige kassieren.« Dima wischte sich übers Gesicht. »Der Bademeister ruft den Notarzt und die Polizei.«

Eule fuhr von ihrem Sitz hoch. »Solltest du nicht dortbleiben? Polizei. Aussage.«

Dima lächelte und zog sie auf ihren Platz zurück. »Kein Interesse.«

»Aber sie müssen deine Sicht der Dinge hören.«

»Jeder kann erzählen, was passiert ist.«

»Aber du«, mit großen Augen starrte Eule Dima an, »du bist der Held.«

Dima zuckte mit den Schultern. »Ich lege keinen Wert auf solche Gespräche.«

Eules Gedanken drifteten in die Vergangenheit. Sie sah das Blut und hörte das Geräusch, als Faust auf Knochen traf. »Ich konnte nicht mehr denken. Das ging zu schnell.«

»Das ist normal.«

»Ich hätte den Bademeister holen sollen!«, bestimmte sie. »Ich hatte Angst …«

»Jeder hätte das übernehmen können. Erinnere dich an den Hosenstreit. Selbst Herr Müller brauchte, bis er den Schock überwunden hatte und eingreifen konnte.«

Eule hob die Augenbrauen und sah Dima an.

»Das geht allen so.«

»Dir nicht! Du handeltest wie ein Profi!« Fasziniert sah sie ihn an. »Das war … gut von dir.«

»Gut?« Er lächelte schräg.

»Fantastisch, beeindruckend, heldenhaft.« Eules Augen leuchteten.

»Danke.« Das Lächeln verschwand aus Dimas Gesicht und Dunkelheit kletterte in seine Iris.

»Warum warst du nicht erstarrt?«, fragte Eule.

Dima zuckte mit den Schultern.

»Kann ich das lernen?«

Nun sah er sie an. »Der Preis ist zu hoch«, erwiderte er.

Eule hob ihre Augenbrauen, aber Dima wandte den Blick ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Eule würde keine weitere Erklärung erhalten. Sie schloss für eine Minute den Mund, dann flüsterte sie: »Ich war versteinert. Da war ein Loch in der Realität. Ich zittere.« Sie streckte ihm ihre Finger entgegen. »Was wäre geschehen, wenn du nicht eingegriffen hättest?« Angst flackerte in ihren Augen.

Dima fing Eules Hand, die sie ihm vors Gesicht hielt, und barg sie in seinen Pranken. »Jemand anderes hätte sich eingemischt. Du stehst unter Schock. Das ist normal.«

Mechanisch nickte Eule. Die trockene Wärme von Dimas Haut schoss kleine Wellen der Sicherheit in ihren Körper. Sie atmete aus und die Hektik in ihren Gedanken ließ nach.

»Ich erinnere mich nicht, wie ich von dir zu den Männern gekommen bin«, erklärte Dima. »Ich handelte ohne zu denken.« Er schloss für einen Moment die Augen. »Zu mir kam ich erst, als ich dein verschrecktes Gesicht sah. Du standest da wie ein Reh im Scheinwerferlicht.« Er warf ihr ein scheues Lächeln zu. »Da bemerkte ich, was das für eine krasse Situation war. Ich sah den Typ mit dem Blut an seinen Händen und wollte verschwinden.«

»Danke, dass du mich mitgenommen hast.«

E U L E

Eules Herzschlag hatte sich beruhigt, als sie sich am Bahnhof in den Reisebus schob. Gewöhnlich saß sie vorne, aber Dima war vermutlich ein cooler Hintensitzer. Mit gesenktem Kopf und zusammengebissenen Zähnen, entschied sie sich für einen Zweiersitz im hinteren Teil des Busses.

Die Plätze waren enger als die in der Straßenbahn. Sanft stieß sein Knie gegen ihr Bein. Aber Eule zog sich nicht an den Rand ihres Sitzes zurück, denn sie vermisste die Sicherheit, die Dimas Hand in ihr ausgelöst hatte. Die Berührung war ein kleines Trostpflaster.

Eule biss sich auf die Lippe. Sie war eine unabhängige Einzelgängerin! Obwohl sie seine Nähe genoss, würde sich nichts daran ändern.

D I M A

Vollidiot! Mandy hatte sich Dima auf dem Silbertablett serviert und er war abgehauen! Das war seine Chance gewesen. Stattdessen verzichtete er aufs Küssen, weil sie ihn Fisch nannte. Ich bin verrückt! Er fuhr sich mit der Hand über die Haare und dachte an ihre Schenkel, nahe an seinen Lippen.

FUCK!

»Woran denkst du?«

Dima warf seinen Blick hinüber zu Eule. Er genoss das Schweigen mit ihr, aber sie hatte zu viele Fragen. »An den Nachmittag im Schwimmbad. Bevor …«

»Du kommst gut mit den anderen klar …«

Dima nickte. »Mandy und ich sprachen über dich. Sie findet es gut, dass wir uns verstehen.«

»So?« Eule hob ihre Augenbrauen. Sie wandte den Blick ab und sah aus dem Fenster. Als Dima glaubte, er könnte mit seiner gedanklichen Folter fortfahren, platzte sie heraus: »Erzähl mir etwas Wichtiges von dir.«

»Hä?«

Eule zuckte mit den Schultern. »Du weißt, dass ich ein Außenseiter-Freak bin und trotzdem sitzt du neben mir«, stellte sie fest. »Niemand aus unserer Klasse fährt mit diesem Bus. Ich gehe davon aus, dass wir auch in Zukunft nebeneinandersitzen.«

Dima runzelte die Stirn. »Deshalb soll ich dir etwas Wichtiges von mir erzählen?«

»Ich denke, wir sollten uns kennen lernen«, bestätigte Eule mit einem abgehackten Kopfnicken.

»Wir quatschen ununterbrochen«, brummte Dima.

Eule verdrehte die Augen. »Auf diese Weise dauert es ewig bis wir den Macken des anderen begegnen. Wenn du in der Abschlussklasse erwähnst, dass du Mathe hasst, dann weiß ich erst nach Jahren, dass ich dich verabscheue.« Sie zuckte mit den Schultern. »Offenbare deine dunklen Geheimnisse. Das erspart uns ein paar Tage voller verkrampfter Freundlichkeit und wir können gleich getrennte Plätze einnehmen.«

Dima lachte leise. »Wieder die alte?«

Eule schürzte verwundert die Lippen.

»Was willst du wissen?«, lenkte er ein.

Eule zuckte mit den Schultern. »Erzähl mir etwas, dass niemand weiß!«

»Haha.«

»Es war ein Versuch wert. Alternativ bitte ich um einen ausführlichen Steckbrief. Wer bist du? Wer gehört zu deiner Familie? Hobbys, …?«

Dima fuhr sich übers Haar. Er hatte keine Lust auf das Spiel. Lieber dachte er an Mandy. Aber er schaffte es nicht abzulehnen. Seit er in der Bahn Eules Hand gehalten hatte, fühlte es sich an, als wäre er mit seinen kleinen Geschwistern unterwegs. Sie hatte seinen verdammten Beschützerinstinkt auf sich programmiert, weil sie beim Gehen mit den Armen schlenkerte wie ein Kindergartenkind, aussah wie ein Hobbit und maulte: Mich behandeln alle scheiße! Dimas Ruf war ruiniert. »Schieß los«, brummte er.

»Fang mit deinem Namen an, dann kommt das Geburtsdatum.«

»Nein. Du fängst an.«

»Ich …?«

»Klar. Dein Spiel. Du startest.«

Nervös biss Eule sich auf die Lippen.

»Traust du dich nicht?«, stichelte Dima.

»Ich …« Eule wurde rot.

»Ich fange an, aber du legst nach«, verlangte er. »Ich heiße Dimitri Schönbaum, genannt Dima. Ich bin sechzehn Jahre alt und wohne in Hausen. Meine Halbgeschwister heißen Jack und Zoey. Sie sind vier und sechs Jahre alt. Meine Ma hat keine Ausbildung, da sie nach ihrem Schulabschluss mit mir schwanger wurde.« Dima grinste schräg. »Sie jobbt im Krankenhaus, hart, aber für wenig Kohle. Ihr Macker arbeitet bei einem Gebrauchtwagenhändler und zieht täglich Kunden über den Tisch.«

»Wendet dein Dad üble Tricks an?«

»Der Kerl ist NICHT mein Dad«, betonte Dima. Seine Stimme war kalt wie Eis. Er sah die Furcht in Eules Augen und bemühte sich um einen neutralen Tonfall: »Sorry. Ich hasse ihn.« Er atmete tief ein, ehe er fortfuhr: »Ich treibe gerne Sport. Joggen gehe ich, um den Kopf frei zu bekommen. Um mich fit zu halten, trainiere ich alles, was ohne große Hilfsmittel zu bewerkstelligen ist: Calisthenics, Parkour, Rope Skipping.«

»Was? Rope …«

»Rope Skipping. Seilspringen« Dima grinste.

»Du springst Seil?« Eule hob ihre Augenbrauen.

»Ich wette, ich beeindrucke dich, wenn du mich mit meinem Seilchen zu sehen bekommst.«

»Mit deinem Seilchen«, wiederholte Eule ungläubig.

»Im Ernst. Seilspringen ist ein gutes Training, das auch Boxer praktizieren.«

»Dann wird es eine unerwartet harte Sportart sein«, konterte Eule.

Dima lachte leise. »Mein Lieblingsfach ist Sport.«

»Warum hast du die Schule gewechselt?«, grätschte Eule dazwischen.

Dima musterte Eule und erklärte, ohne ihre Augen loszulassen: »Ich wurde gebeten, zu gehen.«

»Nein!«, rief Eule und starrte Dima geschockt an.

Fest erwiderte Dima ihren Blick. »Die Wahrheit ist: Ich muss zu eurer noblen Sprach-Schule reisen, weil die Unterschichtenschule mich nicht mehr will.«

»Warum?«

»Zu viele Fehlzeiten, auch bei Klausuren.«

»Aber deine Noten sind okay?«

»Klar.« Dima zuckte mit den Schultern und ließ sich in seinen Sitz zurückfallen.

»Warum fehlst du oft?«

Dima wandte den Blick ab, sah den Gang hinunter und brummte: »Kein Bock auf den Scheiß?« Es war keine Antwort, sondern eine Frage. Er wusste, dass sie es hörte.

»Man schwänzt nicht, wenn Schulaufgaben anstehen.«

Dima atmete ein. Seine Gedanken überschlugen sich und er schüttelte den Kopf. »Du willst die Wahrheit wissen?«

Sie nickte.

»Ich werde nicht darüber sprechen.«

»Oh … Aber …« Sie schwieg und dafür schätzte er sie. »Wirst du das ändern?«, fragte sie schließlich.

»Nein. Ich werde nicht darüber reden.«

»Ich meine das Schwänzen. Willst du einen guten Schulabschluss?«

Er zuckte mit den Schultern. »Klar.«

»Nein!« Eule schüttelte den Kopf. »Das reicht nicht. Du musst es schwören. Was ist dir heilig?«

»Heilig?«

»Na wichtig.«

»Die Kleinen«, kam es wie aus der Pistole geschossen.

»Okay. Versprich mir, dass du für deine Geschwister in die Schule kommst!«

»Immer?«

»Ich weiß nicht wie das in deiner alten Schule war, aber bei uns sind sie streng.«

»Meine Ma schreibt mir eine Entschuldigung.«

Eule riss die Augen auf. »Leidest du unter einer krassen Krankheit?«

Wenn es so einfach wäre … Dima schüttelte den Kopf.

»Okay …« Eule knabberte an ihren Fingernägeln. »Versprich es, beim Leben deiner Geschwister.«

Dima lachte. »Da fand ich die Version vorher besser«, betonte er und überraschte sich selbst als er hinzufügte: »Ich verspreche, dass ich kommen werde.«

Zufrieden nickte Eule und fragte: »Welche Strafe musst du erleiden, wenn du es nicht tust?«

»Die Kleinen um die Ecke bringen?«

»Du bist doof!«, brummte Eule.

Dima lachte. »Lass gut sein. Ich gebe mir Mühe zu kommen.«

»Es ist wichtig für dich.«

»Vermutlich.« Dima nickte.

»Dann zum Anfang der Diskussion: Wegen entschuldigter Abwesenheit bitten sie dich, die Schule zu verlassen? Es war kein Verweis?«

»Kein Verweis«, bestätigte Dima. Er zögerte und entschloss sich für die Wahrheit. »Die Fehlstunden waren der offizielle Grund. Der Schulleiter hoffte, mir auf diese Weise nicht mein Leben zu verbauen. In Wirklichkeit kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen mit einem Kollegen.«

»Einem Mitschüler? Du?« Eule wich ein Stück von Dima ab. »Du betontest: Aggressionen muss man unter Kontrolle behalten.«

»Gut gemerkt, Detektiv!«

E U L E

MIST! Eule hatte ihr Bein weggezogen. »Dima, du bist einer der Guten.« Sie vermisste seine Nähe.

»Bist du dir sicher?«

»Klar«, behauptete Eule, obwohl die Verunsicherung in ihr brodelte.

Dima wandte die Augen ab und starrte auf den Sitz vor sich. »Ich weiß nicht, wie sich unser Schulleiter das vorstellt, aber wenn einer den Kopf in die Kloschüssel gedrückt bekommt, sehe ich rot.«

»Kloschüssel?«

»Ich war auf einer schlechten Schule.«

»Aber dann war dein Handeln ritterlich!«

»Die Eltern des Täters regten sich auf.« Dima zuckte mit den Schultern. »Der Schulleiter musste reagieren. Das erste Mal verdonnerte er mich nur zu einem Antiaggressionskurs«, erzählte er und sah auf seine Hände. »Es war ein guter Kurs, aber ich werde trotzdem zuschlagen, wenn Schwächere drangsaliert werden.«

»Warum hast du keinen Erwachsenen geholt? Du bist nicht die Polizei.«

»Bis jemand gekommen wäre, hätte der Pimpf die Toilette ausgeleckt.«

»Igitt!!!« Angewidert verzog Eule das Gesicht. Übelkeit breitete sich in ihr aus. Sie starrte aus dem Fenster und murmelte: »Du hättest den Blödkopf packen und zum Rektor bringen können.«

»Nicht mein Stil«, konterte Dima.

»Besser als Ärger.«

»Besser als blutige Hände«, korrigierte Dima. »Mein Schulleiter war eine Niete«, fügte er hinzu. »Er schaffte es nicht, den Typen davon abzuhalten sein Verhalten zu wiederholen. Deshalb musste ich mich darum kümmern. Nach unserer zweiten Auseinandersetzung war der Kerl besänftigt.« Dimas Stimme war mit Stolz gewürzt. »Du bist dran«, beendete er das Thema.

Eule fiel aus den Wolken. »War das alles?«, rief sie. »Du kannst nicht …« Sie wollte mehr hören und ihr Vertrauen in Dima zurückzugewinnen.

»Mein Steckbrief war ausführlich. Du bist dran.«

»Okay.« Eule seufzte. »Ich heiße Eule. Wegen meiner Brille. Ich gehe gerne in die Schule. Ich mag Mathe und Physik.« Sie überlegte einen Moment. »Ich liebe Schwimmen, aber ich hasse Sport. Beim Rennen zur Straßenbahn wäre ich beinahe kollabiert«, fügte sie mit einem kleinen Lächeln hinzu.

»So schlimm war es nicht.« Dima winkte ab. »Kollabieren ist krasser.«

»Es war gigagrauenvoll!«, beteuerte Eule. Wenn sie an den Sprint dachte, wurde ihr schwindelig. »Ich mag Pferde. Aber ich reite nicht.«

»Warum nicht?«

Eule zuckte mit den Schultern. »Sie jagen mir Angst ein. Ein Fahrrad oder ein Auto muss meinen Anweisungen folgen, bei einem Pferd ist das anders«, erklärte sie. »Es kann sich verweigern, durchgehen oder in die falsche Richtung laufen. Das wäre die Katastrophe, denn ich würde nie zurückfinden. Mein Orientierungssinn ist für die Tonne«, gab sie zu.

D I M A

»MIST!« Eule wurde ein bisschen rot. »Ich sollte meinen Mund halten!«

Dima lachte. »Du spinnst, das weiß ich längst.«

»Pfff«, stieß Eule hervor und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bin Einzelkind«, fuhr sie fort. »Meine Eltern sind Anwälte. Meine Mutter ist in Sachen Scheidungen unterwegs und mein Vater verteidigt Steuerhinterzieher.« Sie sah aus dem Fenster. »Sie gehen ins Büro, bevor ich aufstehe, und kommen nachts zurück. Oder sie übernachten in der Kanzlei. Die Wochenenden verbringen sie auf Seminaren, Tagungen oder in der Schweiz bei Klienten.« Sie zögerte, ehe sie fortfuhr: »Meine Beziehung zu Mandy ist enger als die zu meinen Eltern.« Herausfordernd starrte sie Dima an.

Das war eine knallharte Offenbarung. Anders als die Story mit den Pferden. Dieses Geständnis stachelte Dimas Beschützerinstinkt an. Er wollte Eule beruhigen, wie in der Bahn. Es drängte ihn, sie in den Arm zu nehmen, anstatt ihre Hand zu halten. Gleichzeitig sehnte er sich danach, ihr von seiner Familie zu erzählen. Aber das ging zu weit. Fuck! Er durfte Eule nicht helfen, denn er führte keine Freundschaften. Alles, was er zu bieten hatte, waren oberflächliche Bekanntschaften. Sein größtes Problem war: Er beneidete Eule.

»Du bist reich?«, brachte Dima schließlich heraus. »Besitzt ihr einen Pool?« Es interessierte ihn nicht. Aber er musste die Situation entschärfen und das Gespräch in eine andere Richtung lenken.

Eules Lippen wurden schmal. »Ja«, gab sie angespannt zurück. »Bevor du fragst: Unser Pool ist im Haus. Ich schwimme lieber im Sonnenschein. Sogar wenn ich dort den Doofis aus der Schule begegne.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und starrte den Vordersitz an.

Fuck. Ich hätte sie in den Arm nehmen sollen.

D I M A

»Wo wohnst du?«, frage Dima und sah dem abfahrenden Bus nach.

»Am Sonnenberg«, knurrte Eule. »Was dachtest du?«

»Warum bist du angefressen?« Eule hatte nicht ausgesprochen, dass sie Trost wünschte, woher sollte Dima es wissen?

»An mir ist das interessanteste, das meine Eltern Besserverdiener sind: Wow.« Wütend funkelte sie ihn an.

»Das behauptest du. Mich turnt Kohle an, weil ich keine besitze. Interessant fand ich dich schon vorher.«

Eules Augen leuchteten auf.

Puh. Dima musste sie nicht in den Arm nehmen. Ein kleines Kompliment reichte, um ihr eine Freude zu bereiten.

»Wo wohnst du?«, fragte Eule mit alter Heiterkeit.

»Am Alten Markt.« Dima blickte die Straße hinunter.

»Ganz schön zentral.« Nervös kickte Eule mit dem Fuß einen Kiesel über die Fahrbahn.

»Und billig«, ergänzte Dima. »Geeignet für jemanden wie mich.«

Verlegen starrte Eule auf ihre Füße.

»Bist du heute Morgen mit dem Bus gefahren?«, fragte er. »Du bist mir nicht aufgefallen.«

»Als hättest du mich bemerkt«, brummte Eule und räumte ein: »Frühs fahren viele Zwerge mit.«

»Stimmt, der Bus war gerammelt voll. Beinahe hätte ich ihn verpasst«, erinnerte sich Dima.

»Warst du die Hohlbirne wegen der wir noch einmal anhalten mussten?«

»Hohlbirne, was ist das für ein Wort?« Ehe Eule rot wurde, fügte Dima hinzu: »Morgen komme ich zeitiger. Sehen wir uns?«

»Gerne.«

3 | DIENSTAG | VERRÜCKT

E U L E

Mit den Fäusten in den Hosentaschen bahnte sich Dima einen Weg zwischen den Grundschülern hindurch. Mit einem knappen Nicken trat er neben Eule unter das Dach des Bushäuschens. Trotz der Morgenfrische trug er keinen Pulli.

»Guten Morgen«, grüßte Eule, aber Dima schloss wortlos die Augen und drehte den Kopf. Seine Halswirbelsäule knackte. Interessant fand ich dich schon vorher. Dimas Worte ploppten durch Eules Hirn. »Schön, dass du da bist!« Eule wippte von der Zehenspitze auf die Ferse und zurück.

»Ich hab es versprochen«, stellte Dima klar. Seine Stimme kratzte, als würde er sie das erste Mal an diesem Tag benutzen. Er gähnte und rieb sich über seine Stoppelhaare.

»Und du bist pünktlich!«, betonte Eule.

Dimas Mundwinkel hob sich schwach. »Heute kannst du mich nicht als Hohlbirne beschimpfen.« Ein müdes Seufzen folgte.

»Das war nicht böse gemeint«, entgegnete Eule.

»Hm.« Dima starrte über die Köpfe der Grundschüler hinweg. »Viel los hier …«, brummte er unverbindlich und verfiel in Schweigen.

Gestern war die Busfahrt unterhaltsam gewesen, heute sah Eule aus dem Fenster und ihr Hirn fand keine Worte, die groß genug waren die Stille zu füllen.

E U L E

»Fisch!«, rief Mandy. Sie sprang von der Bank, an der sich morgens die Klasse versammelte, ignorierte Eule und begrüßte Dima mit einem Kuss auf die Wange. »Wie geht es dir?«

»Mit dir an meiner Seite? Bestens!«

Eule verdrehte die Augen.

Aber die sexy Lady strahlte. »Björn, der Bademeister, berichtete mir von deiner Heldentat«, raunte sie. »Magst du dich zu uns setzen?«

Dimas Blick wanderte über die Sitzgruppe und erspähte Funda. »Zwischen euch ist alles gut?«

»Natürlich!«, rief Mandy. »Funda ist eine gute Freundin. Ich hatte einen schlechten Tag.« Sie winkte ab, grinste Funda zu und griff nach Dimas Arm. »Setz dich.« Sie bot ihm ihren Platz an, vermutlich um ihren kleinen Hintern auf seinen Schoss zu stapeln, doch Dima zögerte und sah Eule an.

»Eule!«, rief Mandy. »Such dir ein Stück Bank.« Sie strahlte Eule an, aber die Freundlichkeit ihrer Worte kam nicht in ihren Augen an.

»Nein, danke. Ich gehe ins Klassenzimmer. Es läutet gleich.« Eule wandte sich ab. Mandys Falschheit verursachte ihr Magenschmerzen.

»Ich komme mit.«

Dima? Eule starrte ihn an. Bist du verrückt?, wollte sie brüllen und gleichzeitig breitete sich dickes Glück in ihrem Bauch aus. Das war gut, denn es gab ihr Halt, als sie durch Mandys lächelndes Gesicht in den Abgrund des Hasses blickte. Eule biss sich auf die Innenseite ihrer Wange, aber sie fühlte Dimas Wärme auf ihrer Haut. Mandy war egal, die Dämonin hatte keine Macht über Eule. Feenstaub flirrte bei dieser Erkenntnis durch Eules Brust. Voller Begeisterung wollte sie nach Dimas Pranke greifen und mit ihm ins Schulhaus hüpfen. Erst im letzten Moment unterdrückte sie diesen Impuls und zog ihre Hand zurück. Kurz berührten sich ihre Finger. Verwirrt sah er zu ihr hinüber.

»Lasst uns hineingehen«, hörte Eule Mandys Stimme in ihrem Rücken. Sie war die Königin unter den falschen Schlangen. Sie hakte sich bei Dima ein und zog ihn Schritt für Schritt von Eule weg. Er merkte es nicht, aber Eule spürte, dass sich Dimas Wärme von ihr entfernte.

E U L E

Mandy begleitete Dima bis zu seinem Platz, dort schob sie sich auf seinen Tisch und platzierte ihre Füße auf Dimas Stuhl, rechts und links neben seinem Schoß.

Dima störte sich nicht daran. Er packte seine Ellbogen auf Mandys Knie, verschränkte die Arme und fragte: »Gibt es noch was, Määndie?«

Boa, ist der cool!, dachte Eule.

Aber Mandy lächelte unbeeindruckt, mit geschlossenem Mund und Grübchen, wie sie es ihr Markenzeichen war. »Kommst du später mit ins Schwimmbad?«, fragte sie. »Ich sehne mich nach einem persönlichen Bodyguard.«

Du warst nicht dabei!, wollte Eule maulen.

»Außerdem will ich dort fortfahren, wo wir gestern unterbrochen wurden.« Sie zwinkerte ihm verschmitzt zu.

Angewidert wandte Eule sich ab.

»Klar, ich bin dabei«, stimmte Dima zu. »Eule kommst du auch mit?«

Eule erstarrte und schielte zu Dima und Mandy, ehe sie den Kopf drehte. Beide sahen sie an. Dima freundlich, Mandy mit einem Funkeln hinter den dunklen Wimpern.

»Äh … Nein. Ich gehe heute nicht schwimmen.«

»Schade«, behauptete Mandy und wand sich Dima zu. »Bleiben wir zwei«, gurrte sie und sah ihm tief in die Augen.

Gleich schieben sie sich die Zungen in die Hälse, stellte Eule angeekelt fest und stöhnte genervt.

»Alles okay?«, fragte Dima.

»Das ist ein Klassenzimmer!«, zischte Eule. »Körperflüssigkeiten könnt ihr auf der Toilette tauschen!«

»Danke für deine Überlegung, Eule.« Mandy lachte glockenhell. »Aber wir verschieben das auf später. Klos stinken.« Sie schob sich vom Tisch und stolzierte zu ihrem Platz.

Eule sah ihr nach und verzog das Gesicht. Erst dann fiel ihr auf, dass Dima sie mit einem schrägen Grinsen musterte.

»Ist was?«, blaffte sie.

»Du bist verrückt«, erwiderte er lächelnd.

4 | DIENSTAG | ÜBERFALL

E U L E

»Hi Eule!« Mandy zog Eule in ihre Arme. »Es ist schön, bei dir zu sein.« Mit einer ausladenden Geste schloss sie die Buchsbaumskulpturen in der Einfahrt und die pompöse Eingangstüre in ihre Freude mit ein.

Eule starrte Mandy an. Als es geklingelt hatte, war sie an den Hausaufgaben gesessen. Ihre Augen sprangen von Gesicht zu Gesicht. Vier waren mit Mandy aufgekreuzt: Stilo, Bine, Lilo und Hugo, der den Beinamen Mini-Ghost trug, nach einer Gespenstergeschichte, die sie vor Jahren als Schullektüre gelesen hatten.

»Es ist lange her, dass ich hier war. Beinahe hätte ich mich verlaufen.« Mandy quetschte sich an Eule vorbei ins Haus. Ihre Augen wanderten über die Schwarzweißfotos an den Wänden. »Wie früher!«, jubelte sie. »Es fühlt sich an, als würde ich nach Hause kommen. Hinein mit euch!«, forderte sie ihre Begleiter auf.

Die großen Fünf der Klasse, versammelt in Eules Hausflur. Eule hatte das Gefühl im weitläufigen Eingangsbereich Platzangst zu bekommen.

»Kommt!«, rief Mandy und verschwand mit den anderen im Wohnzimmer. Eule folgte auf zitternden Knien.

»Erledigst du Hausaufgaben?« Hugo betrachtete den Esstisch, auf dem sich Laptop, Bücher und Notizen stapelten.

»Äh … nein.« Entschlossen schob Eule die Verbindungstür zu. Niemand musste von ihrem Dunklen-Recherche-Hausaufgaben-Wahn wissen.

»Aber was war das?« Hugo starrte auf die Tür, hinter der sich Eules Arbeitsberge verbargen.

»Das ist unwichtig, Mini-Ghost.« Mandy zog Hugo in Richtung Couchlandschaft. Doch als sie um die Ecke bogen, gefror Hugo erneut.

»Voll der krasse Fernseher!«, rief er. Auch die Übrigen musterten das Gerät anerkennend.

»Ich dachte, der von meinem Vater ist groß«, murmelte Stilo und Hugo bekam einen gigantischen Lachflash.

»Der von deinem Vater!«, wiederholte er japsend.

Eule biss sich auf die Innenseite ihrer Wange. Was wollten Mandy & Co. bei ihr? Sie sah zum Oberhaupt der Clique, aber die Dunkelhaarige ließ sich ohne Erklärung auf das Sofa fallen.

»Darf ich das Teil einschalten?«, fragte Mini-Ghost.

»Äh …«

»Komm schon!«, rief Hugo.

Eule nickte ergeben, während ihre Augen wissen wollten: Warum seid ihr hier?

»Wo sind deine Filme?« Suchend sah Mini-Ghost sich um.

Eules Hand deutete auf die Schrankwand. Was wollt ihr hier?, brüllten ihre Gedanken.

Hugo trat hinüber und zog die Türen auf. Dann öffnete sich sein Mund. »Wow«, stieß er hervor. »Wo bin ich?« Ehrfurchtsvoll starrte er auf die Reihen der Blu-Rays. »Sind das deine?«

»Äh … von meinen Eltern«, erklärte Eule und warf der gigantischen Sammlung einen flüchtigen Blick zu, ehe sie versuchte in Mandys Gesicht eine Antwort auf ihre unausgesprochene Frage zu finden.

»Das sind krasse Filme.« Hugo zog eine Hülle nach der anderen aus dem Schrank und legte sie auf eine Anrichte. Bis eben waren sie alphabetisch geordnet gewesen. Bei der Vorstellung, sie später wieder sortieren zu müssen, schloss Eule die Augen.