Veit, der Feuerspucker - Helen E. Wolf - E-Book

Veit, der Feuerspucker E-Book

Helen E. Wolf

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Beschreibung

Veit, der Feuerspucker Abenteuer. Freundschaft. Fantasy Veit und seine Begleiter springen von ihrem Wolkendrachen und stürzen sich ins Abenteuer. Riesenechsen, verschleppte Dorfbewohner und eine waghalsige Theorie führen sie auf eine riskante Reise in das gefährliche Feuerland, wo jeder von ihnen über sich hinauswachsen muss. Gelingt es ihnen oder scheitert ihre Mission und der Schlangenclan verlässt als Sieger den Platz? Ab 10 Jahren. Zum vorlesen oder selber lesen mit Illustrationen der Autorin.

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Veröffentlichungsjahr: 2022

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Helen E. Wolf

 

VEIT, DER FEUERSPUCKER

 

FÜR LEON LÖWENSTARK

 

 

Inhalt

 

Prolog – Das Land

Kapitel 1 – Abenteuerlust

Kapitel 2 – Esche

Kapitel 3 – Tanzende Sterne

Kapitel 4 – Oka

Kapitel 5 – Verschwunden

Kapitel 6 – Gerrit & Varane

Kapitel 7 – Blut

Kapitel 8 – Wüsten-Hornviper

Kapitel 9 – Gestrandet

Kapitel 10 – Fantowane

Kapitel 11 – Selim

Kapitel 12 – Felsenstadt

Kapitel 13 – Piratin

Kapitel 14 – Ausgangssperre

Kapitel 15 – Ada Rattengesicht

Kapitel 16 – Nacht

Kapitel 17 – Die Fremde

Kapitel 18 – Einbruch

Kapitel 19 – Allein

Kapitel 20 – Leon Löwenstark

Kapitel 21 – Lia Laberbacke

Kapitel 22 – Wüstenhai

Kapitel 23 – Herberge

Kapitel 24 – Team

Kapitel 25 – Tuch

Kapitel 26 – Tanz

Kapitel 27 – Torbogen

Kapitel 28 – Amita

Kapitel 29 – Der Feuerspucker

Epilog – Hochzeit

Begriffserklärung

Impressum

 

Prolog – Das Land

 

Valentin der III. war ein mächtiger König, der von seiner Hauptstadt Goldschloss aus, ein riesiges Reich regierte. Seine Untertanen nannten ihn liebevoll den Oktopus, da er acht Arme besitzen musste, um dieses gigantische Gebiet friedlich zu führen. Seine Feinde hingegen nutzten diesen Namen, um ihn für sein Geschick zu verfluchen.

Das Reich des Oktopus war so bunt wie seine Kleider. Im Süden lagen zahlreiche Städte, große Metropolen und kleine Fischerdörfer, die sich an die Küste des Korallenmeers schmiegten wie Blütenblätter an die Blume. Im Westen wurde das Reich des Oktopus karger, bis es an Tombur grenzte, ein winziges, hügeliges Reich, mit dem der Oktopus seit unzähligen Jahren Frieden pflegte.

Richtung Osten indes zog sich, wie eine natürliche Grenze, ein riesiges Gebirge weit hinauf in den Norden. In der Abenddämmerung leuchtete es in zahlreichen Gelbtönen, weshalb es den Namen Gelbes Gebirge trug. An seinen Füßen wurde die Landschaft einsamer. Wie einzelne Farbflecken zogen sich die Siedlungen Ecra, Indiga, Purpel, Lime und Oka in immer weiteren Abständen in den Norden.

Oka war das letzte Dorf vor der Grenze. In ihm hatten sich die Beschenkten dieser Welt zusammengefunden, um gemeinsam ihre Begabungen zu fördern und sie zu ihrer vollen Größe zu entfalten. Manche ihrer Talente kamen häufiger vor, wie die Fähigkeit gute Reden zu schwingen oder immense Kraft. Andere waren selten wie die Gabe der Tuchtänzerin.

Hinter Oka begann das Feuerland, eine riesige Sandwüste, die vom Schlangenclan beherrscht wurde. Der Clan lebte in der Felsenstadt, die aus bloßem Stein gehauen und deren Türme mit Silber veredelt waren. Die Schlangen bauten ungeheure Mengen an Silber in ihren Minen unter dem Feuerland ab und waren deshalb schon häufig von verschiedenen Königen und Kaisern angegriffen worden. Aber der Schlangenclan war eine furchteinflößende Gemeinschaft, die jedem Angriff trotzte. Auch mit dem Oktopus hatten sie viele Jahre in Feindschaft gelebt, ehe ein Friedensvertrag ausgehandelt wurde.

 

 

Kapitel 1 – Abenteuerlust

 

In gleichmäßiger Langsamkeit bahnte sich der Wolkendrache einen Weg durch die Weiten des Himmels, während sich die Landschaft unter ihm kaum änderte: Bäche, Seen und üppige Wiesen, durchbrochen von kleinen Wäldern. Ein zufriedenes Grummeln klang aus der Brust des gigantischen Tieres und schillernde Blasen erhoben sich aus seinen Nüstern.

Veit seufzte. Er schlug die Beine übereinander und rutschte auf seinem Sitzplatz, dem riesigen Schädel des Drachen, hin und her. Selbst die Freude am Schillerblasen platzenlassen war ihm vergangen. Es war ein grandioser zehnter Geburtstag gewesen, den er bei seiner Tante in der Landeshauptstadt Goldschloss verbracht hatte. Aber seine Herzschläge zählten die Meilen bis nach Hause.

Veits Mutter schwärmte bei jedem Wolkendrachenflug über die Aussicht, die ihr geboten wurde. Jetzt würde sie das kräftige Grün der Wiesen und die glitzernde Oberfläche der Seen des Azurengebiets mit ihren Worten liebkosen. Der Junge meinte, ihre Stimme im Ohr zu hören, als hätte sie sich, wie eine Fee, hineingeschlichen: „Siehst du diese Wasserspiegelung? Ist es nicht wunderschön?«

Nervös zuckte Veit mit dem Kopf, um den Widerhall der Verherrlichung herauszuschütteln. Er war nicht angetan von der Umgebung, sondern voller Ungeduld. Unten sah er Abenteuer lauern, die ihm hier oben entgingen. Bei diesem schwachen Lüftchen benötigten sie Stunden, bis sie ihr Ziel erreichten, vorausgesetzt es wartete keine Flaute auf sie. Dann wurden aus Stunden Tage, denn Windstille bedeutete für einen Wolkendrachen absolute Reglosigkeit.

Veit sprang auf die Füße, wippte auf die Zehenspitzen und fragte sich, warum ein guter Wolkendrachenritt von einer steifen Brise abhing. Er erstarrte und runzelte die Stirn. Der Wolkendrache verlor an Geschwindigkeit und Veit spürte die Tempodrosselung bis in seine dicken Zehen. Mit einem Seufzen ließ er sich auf den Po fallen. Er leckte sich über den Finger und streckte ihn in die Luft. Tatsache. Der Wind flaute ab. Kein Luftzug kühlte die feuchte Haut.

Er sah auf das Tier hinab. Es war eines der kleineren Exemplare: Vom Kopf bis zur gespaltenen Schwanzspitze maß es keine zwanzig Meter. Diese geringe Größe sollte dem Wolkendrachen Schnelligkeit verleihen. Aber wenn der Wind nachließ, konnte jeder Drache nur müde am Himmel schaukeln.

Veit grummelte, zappelte mit seinen dünnen Beinen und sprang auf die Füße. Mit der Hand beschattete er seine Augen und spähte nach vorne. »Wir werden langsamer!«, rief er und klang wie ein quengelndes Kleinkind. »Der Wind lässt nach«, fügte er erklärend hinzu und riss sich zusammen, um nicht wütend mit dem Fuß aufzustampfen. Sei kein Baby!, mahnte er sich.

Aber es reagierte niemand auf ihn. Als Veit sich zu den Mädchen umdrehte, die mit ihm auf dem Drachen saßen, erkannte er warum: Prinzessin Federhaar spielte am Übergang zur Schwanzspitze mit ihren Steinchen und hatte Veits Ruf nicht gehört. Außerdem sprach die Kleine niemals mehr als drei Worte in vier Stunden, weshalb Veits Wahl für einen Gesprächspartner auf Amme-Amanda fiel. Sie hatte das Ende des Drachenkopfes als Rückenlehne umfunktioniert, die geschminkten Augen geschlossen und sonnte sich. Veit schüttelte den Kopf. Das Aussehen war für Amanda und ihn immer nebensächlich gewesen, jetzt galt das nur noch für ihn. Dabei war Amandas Hautton auch ohne Sonnenkraft von einem warmen Braun, während Veits golden leuchtete. Trotz seiner Abneigung gegen Amandas neue Vorliebe wusste Veit, wie wichtig ihr das Sonnenbaden war. Leider.

Genervt starrte Veit auf Amanda hinunter. Ihr dunkles Haar wellte sich über die Spiegelschuppen des Drachen bis zu ihren Kniekehlen. Früher hatte sie es zum Schutz vor Flugsand unter einem Kopftuch verborgen und war mit Veit laut lachend durch die Straßen gezogen. Die nun offen getragene Lockenpracht unterstrich, dass Amanda der Kinderwelt entwachsen war. Veit suchte Abenteuer und sie gutaussehende Jungs. Würg!

Veit sprang vom Drachenkopf auf den mächtigen Rücken des Tieres und stieß mit dem Fuß nach der Älteren.

»Hey!«, rief Amanda und blinzelte schlecht gelaunt zu ihm auf. Sie hatte sich ihr Oberteil bis zu den Rippen geschoben. Auf ihrem Bauch glänzten Schweißtropfen.

»Sorry, war keine Absicht«, behauptete Veit gewohnheitsmäßig und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust.

Amanda verzog das Gesicht und schloss die Augen.

»Wir kommen nie an!«, maulte Veit und starrte Amanda auffordernd an.

»Ich sonne mich!«, entgegnete sie und zog den Saum ihres Rockes ein Stück weiter nach oben.

Ja, Veit wusste, wie wichtig Amanda das Sonnenbaden war und gerade deshalb bereitete es ihm Freude, sie bei dieser unwichtigen Tätigkeit zu stören. »Der Drache wird langsamer. Wenn es so weitergeht, übernachten wir hier.« Das wäre kein Problem, denn nachts strahlten die Wolkendrachenschuppen Wärme ab, aber Veit langweilte sich. Und das war ein Problem.

»Ich wollte mit dem Zug fahren«, erwiderte Amanda mit geschlossenen Augen. »Aber du …«

»Der letzte Bahnhof liegt in Ecra«, unterbrach Veit sie. »Mit Federhaar im Schlepptau beansprucht der Fußweg von dort nach Oka einen Tag.«

»Wir hätten eine Kutsche genommen, das weißt du«, entgegnete Amanda zickig, öffnete die Augen und warf einen gereizten Blick in Flugrichtung. »Wenn der Wind nachlässt, sitzen wir in der Patsche. Das«, sie wies in Richtung ihrer Heimat, »dauert zu Fuß drei Tage! Gestrandet im Nirgendwo.«

Veit folgte ihrem ausgestreckten Arm und nickte. Die gelben Hügel, an deren Fußende Oka lag, waren weit entfernt. Fliegendreck.

»Pippi!«, ertönte es in diesem Moment vom anderen Ende des Wolkendrachens.

»Oh nein!«, schrie Amanda und sprang auf die Füße. Wenn sie jemand vom Sonnenbaden abhalten konnte, dann Prinzessin Federhaar. »Kleine, musst du dringend?«, fragte Amanda nervös und hastete hinüber zu dem blondhaarigen Mädchen.

»Wenn wir absteigen, zieht er ohne uns weiter!«, rief Veit und folgte der Älteren.

»Du sagtest, der Wind flaut ab! Also ist es egal, ob wir abspringen oder nicht«, entgegnete Amanda. Aber sie sah aus, als würde sie lieber zwei Tage in der Sonne liegen, anstatt sich durch die Wildnis zu schlagen.

Tosendes Gewitter, wann hatte sie sich so verändert? Früher wollte sie Räuber-Piratin werden, jetzt …

»Du musst Pippi?« Amme-Amanda hockte sich vor Federhaar.

Die Kleine nickte mit zusammengepressten Lippen.

»Dringend?«, fragte Amanda.

Veit sah ihr die Anspannung an den geblähten Nasenflügeln an. War es fies, dass er sich über diese Abwechslung auf ihrer langweiligen Reise freute? »Wir hätten Feders Topf mitnehmen sollen!« Veit hopste übermütig um die Kleine herum.

»Dir gefällt das?«, zischte Amanda.

»Vom Wolkendrachen konnte ich dich überzeugen, aber nicht von Feders Topf. Das ist witzig!«

»Sie muss nie!«, knurrte Amanda.

»Pippi«, wiederholte Feder und presste die Lippen aufeinander. Ihr Haar reichte ihr bis zur Hüfte, dennoch war sie wie ein Gegenstück zu Amanda. Die Kleine war hellhäutig und weißblond. Ihr Haar war voller Nester, da niemand sie vom Kämmen überzeugen konnte.

»Pippi!« Federhaar stampfte mit dem Fuß auf und wäre beinahe auf den spiegelnden Schuppen des Drachens ausgerutscht.

»Es bleibt uns nichts anderes übrig, als abzusteigen«, entschied Veit mit einem Hopser in der Stimme. Er hasste Wandern, aber Amme-Amandas bestürzter Gesichtsausdruck war unbezahlbar. Es versprach eine unterhaltsame Tour zu werden.

»Du hältst durch, bis wir zu Hause sind«, beschloss Amanda und rappelte sich auf.

Federhaar schossen die Tränen in die Augen, sie klappte den Mund auf und fing an zu schreien.

»Oh nein!«, flüsterte Amanda, denn wenn Federhaar heulte, verdreifachte sich ihr Bedürfnis, die Blase zu leeren.

Veit wandte sich ab, damit Amanda nicht das Lachen sah, das ihm ins Gesicht sprang. »Wir steigen ab!«, rief er, rannte los und flog mit einem Kopfsprung vom Rücken des Wolkendrachens.

»BENGEL!«, brüllte Amanda, griff nach Feder und dem Reiserucksack und hechtete Veit hinterher ins Nichts. Denn der Wolkendrache schwebte noch immer viele hundert Meter über dem Erdboden.

Kapitel 2 – Esche

 

Der Wind riss an Veit, der im Sturzflug, Kopf voran, durch die Luft sauste. Er liebte es, von Wolkendrachen abzusteigen. Es war eine ungefährliche Angelegenheit, zwar war es schwierig zu beeinflussen, wo man landete, aber man schwebte hinab, als wäre man ein Blatt. Veit drehte sich auf den Rücken und erspähte über sich Amme-Amanda. Mit den Füßen voraus, raste sie gen Erdboden. Sie umklammerte den Träger des Rucksacks. Federhaar hing an ihrer zweiten Hand und folgte der Älteren wie ein Luftballon. Die Haare der beiden bauschten sich in den Himmel. Weiße und schwarze Strähnen verwoben sich miteinander und verwandelten sich in ein tanzendes Zebra.

Veit winkte und wandte den Blick wieder hinab. »Krötendreck!«, brüllte er. Unter ihm lag eine spiegelglatte Wasseroberfläche. Ein riesiger See. Mühselig versuchte Veit durch die Luft zu schwimmen, weg von dem See, der unter ihm lag. Doch das Gewicht seines Körpers zog ihn schnell hinab. Veit vollführte einen Salto, doch das Ufer näherte sich kaum.

»SEE!«, brüllte er nach oben, in der Hoffnung, die Mädchen vor einem unfreiwilligen Bad zu retten, und entdeckte eine Landzunge, die ausladend ins Wasser reichte. Tannen wuchsen auf ihr wie Speere in den Himmel. Die Landung würde unangenehm werden. Aber besser als drei Tage in nassen Kleidern zu wandern. Veit warf sich herum, ruderte durch die Luft und hechelte wie ein Hund. Er spürte die Klauen des dunklen Sees am Körper reißen, vollführte einen letzten Purzelbaum und landete auf stachligem Boden. Er überschlug sich, kullerte weiter, krachte gegen den Stamm einer Tanne und stöhnte leise.

Veit atmete Tannennadeln und Waldboden ein. Seine Hände gruben sich in feuchte Erde. Er wandte den Kopf, blinzelte und rollte sich herum. Baumwipfel ragten über ihm in den Himmel. Er fuhr sich über das Gesicht, drehte sich auf alle viere und stemmte sich hoch. Frische Luft flutete seinen Körper. Er schloss die Augen und spürte die Freude in sich tanzen. Abenteuer gemeistert!

Er riss die Lieder auf. Mitten im See lag eine Insel! Er hatte sie zunächst nicht beachtet, aber dieses Eiland war der perfekte Ort für einen Menschenschwan!

Veit rieb sich die Hände, ließ sich auf den Boden plumpsen und streifte die Schuhe ab. Menschenschwäne liebten derart geschützte Orte. Nur eine Feder benötigte Veit, um sich in einen Schwan zu verwandeln. Dann konnte er fliegen, unabhängig von jedem Luftzug! Die Gefahr, dass er dauerhaft in der Gestalt des Vogels gefangen sein würde, zog er nicht in Betracht. Er war nicht dumm und würde die Feder niemals in Vollmondnächten nutzten. Leider waren Menschenschwäne angriffslustig und hatten dolchscharfe Zähne. Zudem rief ihr Speichel Halluzinationen hervor und ein Fieber, das tödlich endete. Okay, Veit würde nicht hinüberschwimmen. Er wackelte mit seinen Zehen und schlüpfte zurück in die Schuhe.

Ich bin nicht lebensmüde, dachte er frustriert und starrte auf den See. Am anderen Ende platschten zwei Körper vom Himmel und versetzten das Wasser in Aufruhr. Prustend brach erst Amandas, dann Feders Kopf durch die Wasseroberfläche. Der Wind trug die Flüche der Älteren bis zu Veits Ohren und er begriff, warum seine Eltern den Abstieg von einem Wolkendrachen planten. Sie wären niemals in einem See oder in Tannennadeln gelandet. Außerdem waren Veit und die Mädchen durch einen riesigen See getrennt.

»Ich schlage mich zu ihnen durch«, entschied Veit, klopfte sich den Schmutz und den Dreck von der Hose und sah sich um. Im feuchten Boden entdeckte er eine Fährte. Zacken.

Echsenspuren!, bemerkte Veit. Sternschnuppen regneten in seinem Herzen, denn ein Tier, das solche Fußabdrücke hinterließ, musste von stattlichem Ausmaß sein. Probehalber stellte sich Veit in eine der Vertiefungen. Der Tritt war größer als seine Schuhe. Dabei hatte er schmale, aber lange Füße, die zu seinem schlaksigen Körper passten.

Veit starrte auf die Spuren der Echse und in ihm reifte ein gigantischer Plan. Sie würden keine drei Tage bis nach Hause brauchen. Veit würde ihnen ein Transportmittel beschaffen! Pah, von wegen Menschenschwan.

Seine Brust schwoll vor Stolz an und er sprintete los, immer der Fährte nach. Veit wusste, dass schwarze Riesenechsen am Tag in einem Bau lebten, in der Nähe eines Sees und unter Tannen. Hier standen etliche Nadelbäume, aber sie befanden sich direkt am Seeufer. Der Bau musste ein Stück entfernt sein, damit das Wasser nicht eindringen konnte. DA! Die Spuren führten vorbei, aber Veit hatte den Höhleneingang gefunden. Ein riesiges Loch verbarg sich an den Wurzeln einer stattlichen Tanne, die auf einer kleinen Anhöhe gewachsen war.

Der Junge biss sich auf die Lippen. Das Tier, das im Inneren des Baus lebte, musste riesig sein. Feder würde im Eingang aufrecht stehen können. Sollte er wirklich …?

Aber so schnell ließ Veit einen Entschluss nicht los. Er würde nach Oka reiten und nicht mit durchgelaufenen Schuhen ankommen. Er sah sich um und entdeckte, was er suchte. Faustgroße Steine lagen in der Nähe des Echsenbaus. Als hätte jemand zuvor die gleiche Idee wie er entwickelt, sie aber nicht bis zum Ende ausgeführt.

»Gut so«, raunte Veit. »Ich bin der Echsenzähmer.« Mit diesen Worten flitzte er hinunter zum See. Er brauchte Wellentänzerblüten. Diese Pflanzen wuchsen in Seen an Stellen, die von Trauerweiden beschattet wurden. Hier stand nur Nadelgehölz. Veits Blick wanderte am Saum des stillen Gewässers entlang.

Da! Seine Augen erspähten eine Weide. Unweit beugte sie sich ausladend übers Wasser.

Veit rannte, sprang über Wurzeln, stolperte über Steine und tauchte schließlich durch den Vorhang der tiefhängenden Äste. Schmale Blätter streichelten ihm durch die Haare und er sah die Wellentänzer. Die Pflanze überzog den See im Schatten der Weide wie ein Teppich. Sie hatte viele kleine dunkelgrüne Blätter und war gespickt mit silbrig weißen, spitzen Blüten. Das Gewächs erinnerte Veit an den Nachthimmel: Dunkelheit, in der die Sterne funkelten.

Erfreut jauchzte Veit und wollte hinunterspringen. Leider fiel an dieser Stelle die Ebene steil zum Wasser hin ab. Er musste ein Stück klettern und landete beinahe im See, ehe er die Hand nach der ersten Blüte ausstrecken konnte. Er zuckte zurück. Ein Gesicht unter der Oberfläche betrachtete ihn.

Veit verlor das Gleichgewicht, strauchelte und fiel auf den Rücken. Seine Finger griffen nach einem Stein und bewahrten ihn vor einem unfreiwilligen Bad. Aber Veit war der Wasseroberfläche sehr nahegekommen. Seine Wange presste sich an den felsigen Untergrund. Er starrte auf das Wasser, direkt in die Gesichtszüge einer Nixe. Sie erwiderte seinen Blick aus grauen Augen. Ihre Gestalt war von einem bläulichen Weiß, mit einem Porzellanpuppengesicht. Veit spürte sein Herz schlagen wie das Trappeln von Pferdehufen. Er sprang auf die Füße und hastete den Abhang hinauf, den er heruntergeklettert war. Zweimal rutschten ihm die Schuhe weg, aber seine Hände fanden halt. Beim Stamm der Weide angekommen, warf er einen Blick zurück. Die Nixe war im Wasser geblieben.

Erleichterung breitete sich in ihm aus. Es existierten zahlreiche Geschichten über diese, in Gewässern lebenden, Frauen. Sie sollten Wasserlebewesen befehligen und Kinder in ihr nasses Reich entführen. Aber die Nixe kletterte nicht ans Ufer, um ihn mitzunehmen.

Veit stieß erleichtert die angehaltene Atemluft aus und hoffte, sie war nicht auf dem Weg, ihren Vater, den Nix, zu holen.

Der Junge starrte in den See. Er brauchte diese Blüten. Mit der flachen Hand rieb er sich über die Nasenspitze. Ohne Wellenreiter kein Reittier. Er schloss die Lieder, blendete die Welt aus und dachte angestrengt nach.

Das ist es!, er riss die Augen auf. Seine Mutter hatte ihm erklärt, dass ein Tausch nötig war, wenn er etwas aus der Natur nahm. Endlich erwies sich ihr zäher Unterricht als nützlich.

»Ich brauche drei Blumen«, murmelte Veit und kletterte zurück ans Ufer. Als Dank für die Bewohner des Sees riss er sich drei Haare aus und warf sie in das Wasser. Eine weiße Hand pflückte sie aus den Wellen. Die Zweite durchbrach die Oberfläche und winkte, schoss vor und schloss sich um Veits Handgelenk. Das bleiche Gesicht der Nixe tauchte aus dem Wasser auf. Ihr Haar schimmerte bläulich, ihre Nase bestand aus zwei schmalen Schlitzen und ihre vollen Lippen lächelten.

Veit schrie, wollte sich losreißen, doch der Griff der Nixe war schraubstockfest. Aber sie zog ihn nicht hinab in ihr nasses Reich, stattdessen nickte sie ihm zu und löste die Finger von seiner Haut. Zurück blieben fünf blaue Tupfen.

Der Junge starrte auf die Stellen. Sie schimmerten wie Öltropfen im Wasser. Er hob den Blick, aber die Nixe war verschwunden. Wieder betrachtete er die Flecken. Er schüttelte sich, brüllte: »YEAH!«, und rammte die Faust in die Luft. Entschieden griff er drei Blüten und sprintete zum Echsenbau, ehe die Nixe doch noch mit ihrem Vater zurückkehrte.

Konzentrier dich auf deine Aufgabe!, riet er sich und kratzte Erde zusammen, warf die Blütenblätter darauf und durchmischte alles. Er pflückte den Beutel vom Gürtel und stopfte das Erde-Wellentänzer-Gemisch hinein, zurrte das Täschchen fest und richtete sich auf.

Er starrte zum Höhleneingang. Sicher hatte die Echse ihn bemerkt. Diese Giganten interessierten sich nicht für Menschen, aber wenn sie sich bedroht fühlten und angriffen, bedeutete das stets den Tod ihres Opfers. Ich hingegen weiß, wie man sie zähmt, dachte Veit, griff nach einem Stein und warf ihn in die Höhle. »Raus mit dir, du -« Der Satz war noch nicht beendet, als das riesige Tier aus seinem Bau schoss.

Veit hatte nicht mit dieser Schnelligkeit gerechnet. Der Kopf der Echse krachte gegen seine Brust und schleuderte ihn an die nächste Tanne.

»Uff!«, stöhnte Veit und rappelte sich auf. Er fühlte sich wie zertrümmert. »Fliegendreck!«, fluchte er und griff nach seinem Beutel. Pickeliger Hustensaft! Er hatte ihn mit einem Knoten verschlossen. Seine Finger zitterten wie Espenlaub. Sie rissen an dem schmalen Bändel, aber es war ein hilfloses Durcheinander. Das Tier schlich heran, als witterte es eine Falle. Eine gespaltene Zunge zuckte aus dem Maul. Dann stieß der Kopf vor. Messerscharfe Zähne hielten auf Veit zu.

Er hechtete zur Seite, blieb mit dem Fuß an einem Stein hängen, fiel und kullerte ein Stück weiter. Der Atem des Tieres roch nach Verwesung und Tod.

»Bäh!«, spuckte Veit aus und riss die Schnur des Beutels auf. Das Monster wandte den Schädel in Veits Richtung und er pfefferte eine Hand Erde-Wellentänzer-Gemisch in Richtung der Echsenvisage. Er verfehlte sie um einen Meter. Das Zeug flog wie ein herabfallender Stein.

»Verdammter Pups!«, fluchte Veit und sprang zur Seite, als die Echse ihn attackierte. Sein Säckchen war fast leer. Seine Lebensversicherung-im-Beutel hatte für einen Angriff gereicht. Er hatte gedacht … »Falsch gedacht!«, schimpfte Veit. »Jetzt oder tot!«

Erneut stürmte die Bestie mit weit geöffnetem Maul auf Veit zu. Er sah das scharfe Gebiss, den riesigen Mund, die mordlüsternen Augen und warf. Er traf das Tier und das Tier traf ihn.

Die Fangzähne fuhren Veit über die Brust und zerfetzten sein Shirt. Schmerz flammte durch Veits Körper, als seine Haut aufriss. Blut quoll aus zwei klaffenden Schnitten. Veit taumelte nach hinten und fiel auf den Rücken. Das Monstrum schnellte über ihn. Es riss die Schnauze auf und zielte auf Veits Kopf.

Da brüllte der Junge die drei Worte in der Sprache der Götter. Er hatte ihre Bedeutung vergessen, aber nicht ihren Sinn. Sie krönten ihn zum Herrscher über die Riesenechse. Doch reichte das Erde-Wellentänzer-Gemisch aus, welches das Tier eingeatmet hatte, um den Zauber zu vollführen? Funktionierte es? Oder war Veit gleich Echsenfutter?

Der Augenblick hämmerte in Veits Herz und die Echse erstarrte. Direkt über seinem Gesicht befand sich das weit aufgerissene Maul. Fauliger Atem schlug ihm entgegen.

»Wow!«, würgte Veit. Die regungslose Zunge berührte seine Nasenspitze. Veits Blick ging tief hinab in den dunklen Schlund des Monsters. Er hob die Hand. Sein kleiner Finger passte haarscharf zwischen seine Wange und die Zähne des Ungetüms. Um sein ganzes Gesicht zogen sich spitze Reißzähne. Veit bewegte vorsichtig den Kopf. Ein messerscharfer Schmerz explodierte an seiner Schläfe. Ein Fangzahn schlitzte ihm die Haut auf. Panik überrollte Veit, aber er musste stillhalten. Er durfte nicht von dem Zahn fortzucken, denn die Gefahr bestand, dass er dafür auf der anderen Gesichtshälfte das Gebiss berührte. Nicht bewegen, dachte Veit, die Augen im Schlund des Tieres.

Seine Fäuste ballten sich und ein stetes Zittern flutete seine Glieder. Er brauchte seine ganze Kraft, um regungslos zu verharren. Erst als sein Herz sich beruhigte und sein Körper sich damit abfand, dass sein Kopf im Maul einer Riesenechse gefangen war, begann sein Verstand zu arbeiten. Veit hatte die drei Worte gesprochen. Das Tier war erstarrt und er der Herr über das Monster. Er befahl und es gehorchte. »Tu deinen Schädel weg«, zischte er und der riesige Kiefer zog sich zurück.

Blauer Himmel und der Geruch nach Erde überfluteten Veits Sinne. Ein Steinbrocken fiel ihm vom Herz. Erleichtert atmete er aus und rollte sich unter dem Tier hervor. Er sprang auf die Füße und brüllte: »YEAH!«

»Vollidiot!«, dröhnte ein Echo vom See her.

Veit fuhr herum.

»Was fällt dir ein?«, schrie Amme-Amanda. Ihre Augen waren schreckgeweitet. Sie hielt Prinzessin Federhaar im Arm.

»Darf ich vorstellen? Das ist unser Reittier. Schattennacht!«, entgegnete Veit und reckte sein Kinn.

Amandas Körper zitterte. Aber nicht wegen ihrer nassen Kleider. Wie eine Ertrinkende krallte sie sich an Federhaar. »Sei froh, dass ich keine Hand freihabe, sonst würde ich dir deine Blödheit aus dem Hirn prügeln!« Ihre Stimme überschlug sich bei den Worten.

Veit verzog das Gesicht. »Reittier. Schattennacht«, wiederholte er lahm.

»Schau es dir an, dein Reittier. Es ist der TOD!«

Langsam wandte Veit den Kopf. Das nachtschwarze Monstrum reichte ihm mit dem Schädel bis zur Brust. Aus seinem Nacken ragten lange Stacheln und es war hässlich wie ein Sumpfloch. Aus dem geöffneten Maul troff ein Spuckefaden. Veit schüttelte sich angewidert. Er sah die Energie, die durch den Körper des Tieres pulsierte und flüsterte vorsichtshalber noch einmal die drei Worte, nur zur Sicherheit.

»Beinahe wärst du Echsenfutter geworden«, tobte Amanda. »Wie hätte ich das in Oka erklären sollen? Kann man dich keine zehn Minuten allein lassen? Schau mich an, wenn ich mit dir rede!«, brüllte sie.

Veit sah die Angst und die Sorge um ihn in ihren Augen und wandte sich ab. »Magst du mitkommen?«

Amanda ließ Feder zu Boden gleiten, verschränkte die Arme vor der Brust und knurrte: »Ich hatte erwartet, ich müsste dir eine Menschenschwanfeder aus den Händen reißen.« Sie verzog den Mund und grinste. »Du sagst immer, dass du dir eines Tages eine organisierst. Im See ist die perfekte Insel dafür. Aber ich finde dich hier.« Sie zog aus dem Rucksack ein wassergetränktes Kopftuch und dirigierte Veit herbei.

Leise knirschte Veit mit den Zähnen. Noch immer kannte Amanda seine größten Geheimnisse, doch im Gegensatz zu früher zog sie ihn heute damit auf. Blöder Kuchen, wollte Veit rufen, verkniff sich aber die Worte. Sie ist älter geworden, genauso wie ich, entschied er und nahm sich vor, kindische Schimpfwörter aus seinem Sprachschatz zu streichen. Stattdessen trat er zu ihr, zog sein zerfetztes Shirt aus und hob die Arme, damit Amanda das Tuch um seine Wunden wickeln konnte.

»Etwas anderes habe ich leider nicht da und auch nicht die passenden Kräuter«, murmelte sie. »Du wirst es aushalten. In Oka kümmern sich die Ältesten darum.«

»Ich weiß, dass eine Auseinandersetzung mit einem Menschenschwan zu riskant ist«, platzte Veit heraus, als Amanda das Tuch feststeckte. »Ich bin nicht lebensmüde, weißt du?«

Die Ältere begann haltlos zu lachen. »Sagt der Junge, der Riesenechsen aus ihrem Bau jagt«, prustete sie.

»Ich habe die Echse mit der Bannerde gezähmt. Das war ein Kinderspiel!«

»Weißt du, Kleiner«, Amanda wuschelte Veit durch das Haar, »irgendwann wirst du begreifen, dass das Menschenleben viel aufregender ist als das eines Schwans. Ich hoffe nur, wenn es so weit ist, trägst du immer noch deine Haut und keine Federn.« Sie lachte, schulterte den Rucksack und fragte: »Wie besteigt man dein Reittier?«

Kapitel 3 – Tanzende Sterne

 

Dunkelwald. Der Name zauberte düstere Bilder voller Finsternis und Furcht, durchwebt von schmalen Streifen silbernen Mondlichts in Veits Kopf. Abenteuerlust funkelte durch seinen Körper, denn er, Amanda und Feder würden den Wald durchqueren. Der Dunkelwald trennte das Azurengebiet und Pear, eine große Grasebene, voneinander ab. Am nördlichsten Ende Pears lag Oka, über das die Wipfel des Gelben Gebirges schützend in den Himmel ragten.

Amanda hatte noch einmal Veits Wunden verarztet, die weniger tief waren als vermutet und sich bereits wieder schlossen.

Die Abenddämmerung streckte ihre schwarzen Finger nach dem Reich des Oktopus aus, als sie in den Schatten der ersten Bäume tauchten.

---ENDE DER LESEPROBE---